Die Geschichte der Wapshots
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Im Mittelpunkt des Geschehens: Vater Leander, Kapitän eines kleinen Vergnügungsdampfers, mit schriftstellerischen Neigungen und nie um eine Lebensweisheit verlegen, Mutter Sara mit ihren Anfällen von damenhafter Tüchtigkeit und die beiden Söhne Beverly und Moses, die mehr schlecht als recht die amerikanischen Abenteuer des Erfolgs und Versagens zu bestehen haben. Alles in allem eine Familie, die mit standesgemäßen Scheuklappen über ihren drohenden Verfall hinwegsieht. "Die Geschichte der Wapshots", Gegenstück einer erhabenen Familienchronik, ist der mehrstimmige, moderne amerikanische "Don Quijote". Für diesen Roman wurde John Cheever mit dem National Book Award ausgezeichnet, für seine Stories erhielt er den Pulitzer-Preis. Einer der großen Klassiker des 20. Jahrhunderts endlich in neuer Übersetzung.
Die Geschichte des Wapshots von John Cheever
LESEPROBE
St. Botolphswar schon alt, ein altes Städtchen am Fluss. Zur Blütezeit der Segelschifffahrtvon Massachusetts war es einmal ein wichtiger Binnenhafen gewesen, doch jetztwaren nur noch eine Tafelsilberfabrik und ein paar andere kleine Betriebe übriggeblieben. Zwar fanden die Einheimischen nicht, dass der Ort an Größe undBedeutung verloren hatte, aber die lange Namensliste der Bürgerkriegstoten ander Kanone im Stadtpark erinnerte daran, wie viele Einwohner in den 1860erJahren dort gelebt hatten. So viele Soldaten würde St. Botolphsnie wieder aufbieten können. Im Park spendeten ein paar große Ulmen Schatten,und das Ganze war ringsum locker von Läden umschlossen. Die Fassade des Cartwright-Blocks, der die Westseite einnahm, hatte imersten Stock Spitzbogenfenster, grazil und abweisend wie bei einer Kirche. Hinterdiesen Fenstern befanden sich die Redaktionsräume des Eastern Star, dieZahnarztpraxis von Dr. Bulstrode sowie die Büros derTelefongesellschaft und der Versicherungsagentur. Die Gerüche, die aus diesenBüros strömten - von Zahnpräparaten, Bohnerwachs, Spucknäpfen und Leuchtgas -vermischten sich in der Eingangshalle des Gebäudes zu einem Duft ausvergangenen Zeiten. Im heftigen Herbstregen, in einer sich stark veränderndenWelt, bot der Platz ein Bild überraschender Beständigkeit. Als sich am Morgen desUnabhängigkeitstages die Parade formierte, sah dort alles sorglos und festlichaus.
Die beiden Wapshot-Jungen- Moses und Coverly - saßen in der Water Street auf dem Rasen und beobachteten die Ankunft derFestwagen. Bei der Parade waren spirituelle und kommerzielle Themen buntgemischt, und neben dem »Geist von '76« stand ein alter Kutschwagen mit derAufschrift: KAUFEN SIE IHREN FRISCHEN FISCH BEI MR. HIRAM. Die Räder desWagens, die Räder aller an der Parade teilnehmenden Fahrzeuge waren mit rot-weiß-blauemKrepppapier geschmückt, und überall hingen bunte Fähnchen. Auch die Fassade desCartwright-Blocks war mit solchen Fähnchen verziert.Sie hingen schlaff am Bankgebäude herab und wehten an allen Autos oder Wagen.
Die Wapshot-Jungenwaren schon seit vier Uhr früh auf den Beinen; sie waren müde, und wie sie dain der heißen Sonne saßen, schien der Feiertag schon hinter ihnen zu liegen.Moses hatte sich an einem Feuerwerkskracher die Hand verbrannt. Bei einer weiterenDetonation hatte Coverly seine Augenbrauen eingebüßt.Die beiden lebten auf einer Farm drei Kilometer außerhalb des Ortes und warennoch vor Tagesanbruch im Kanu den Fluss raufgekommen,wobei ihnen das Wasser in der Nachtluft lauwarm vom Paddel über die Händegelaufen war. Wie immer hatten sie an der Christ Church ein Fensteraufgebrochen und die Glocke geläutet, hatten unzählige Singvögel, vieleEinwohner, alle Hunde in der Stadt und auch den Bluthund der Pluzinskis in der meilenweit entfernten Hill Streetgeweckt. »Das sind bloß die Wapshot-Jungs«, hörteMoses jemanden am dunklen Fenster des Pfarrhauses sagen, »schlaf weiter.« Coverly war damals sechzehnoder siebzehn - blond wie sein Bruder, aber durch seinen langen Hals ging erleicht vorgebeugt wie ein Pfarrer und hatte zudem die schlechte Angewohnheit,mit den Fingerknöcheln zu knacken. Er besaß einen scharfen Verstand und großeEmpfindsamkeit, machte sich Sorgen um die Gesundheit von Mr. Hirams Zugpferdund betrachtete traurig die Insassen des Seemannsheims - fünfzehn, zwanziguralte Männer, die auf Bänken auf einem Lastwagen saßen und todmüde aussahen.Moses ging aufs College, hatte im letzten Jahr den Gipfel seiner körperlichenReife erreicht und besaß die Gabe umsichtiger und gelassener Selbstbewunderung.Jetzt, um zehn Uhr, saßen die Jungs im Gras und warteten darauf, dass ihreMutter ihren Platz auf dem Wagen des Frauenvereins einnahm.
Mrs. Wapshothatte den Frauenverein von St. Botolphs gegründet,und daran wurde jedes Jahr bei der Parade erinnert. Coverlykonnte sich an keinen Vierten Juli erinnern, an dem seine Mutter nicht in derRolle der Gründerin aufgetreten war. Der Wagen war schlicht. Man hatte auf derPritsche eines Lastwagens einen orientalischen Teppich ausgebreitet. Die sechsoder sieben Gründungsmitglieder saßen auf Klappstühlen mit dem Rücken zumFührerhaus. Mrs. Wapshot stand mit Hut an einemRednerpult, nippte ab und zu an einem Glas Wasser und lächelte traurig denGründungsmitgliedern oder einem alten Bekannten zu, den sie am Straßenrand erkannte.So, über den Köpfen der Leute, vom Ruckeln des Lastwagens wankend, genau wiedie religiösen Symbole, die im Herbst im Norden Bostons durch die Straßengetragen werden, uni die großen Seestürme zu besänftigen, zeigte sich Mrs. Wapshot jedes Jahr vor ihren Freunden und Nachbarn, und eswar angemessen, dass sie durch die Straßen gefahren wurde, denn im ganzen Orthatte niemand mehr zur Aufklärung der Bewohner beigetragen. Sie hatte einKomitee zum Sammeln von Spenden für ein neues Gemeindehaus der Christ Churchgegründet, sie hatte die Spenden für die granitene Pferdetränke an der Eckegesammelt und sie, als Pferdetränken aus der Mode kamen, mit Geranien undPetunien bepflanzen lassen. Die neue High School auf dem Hügel, die neue Feuerwache,die neuen Verkehrsampeln, das Kriegerdenkmal, sogar - doch, doch - diesauberen öffentlichen Toiletten im Bahnhof am Fluss waren Mrs. Wapshots Organisationstalent zu verdanken. Bestimmt fuhrsie voller Genugtuung am Park entlang.
Mr. Wapshot- Kapitän Leander - befand sich nicht unter den Zuschauern. Er stand am Steuerder S. S. Topaze und steuerte sie flussabwärts zurBucht. An jedem schönen Sommermorgen fuhr er mit der alten Barkasse los, machtein Travertine Halt, uni den Zug aus Bostonabzuwarten, und überquerte dann die Bucht nach Nangasakit,wo es einen weißen Sandstrand und einen Vergnügungspark gab. Er hatte schonviel erlebt; er war Teilhaber in der Tafelsilberfabrik gewesen und hattemanches von Verwandten geerbt, doch alles war ihm aus den Händen geglitten, undvor drei Jahren hatte ihn Cousine Honora zum Kapitänder Topaze gemacht, um ihn vor weiteren Dummheiten zubewahren. Die Arbeit bekam ihm gut. Er betrachtete die Topazeals seine Schöpfung; sie schien seine Vorliebe für romantischen Unsinn, für dieMädchen am Strand und die langen, mit Albernheiten verbrachten, nach Salzwasserriechenden Sommertage widerzuspiegeln. Sie war achtzehn Meter lang, hatte einenalten Harley-Motor mit einer Schraube und bot in der Kabine und auf den Decksvierzig Passagieren Platz. Sie war ein seeuntüchtiger Klotz, der sich - nachLeanders eigenen Worten - wie ein feststehendes Gebäude fortbewegte, die Decks vollgepackt mit Schulkindern, Huren, BarmherzigenSchwestern und anderen Fahrgästen, das Kielwasser übersät mit den Schalen hartgekochter Eier und Sandwichpapier, und bei jedemGeschwindigkeitswechsel zitterten ihre Knochen so stark, dass an ihrem Rumpfdie Farbe abblätterte. Doch Leander stand am Steuer und fand die Fahrt zugleichherrlich und traurig. Die Spanten der alten Barkasse schienen nur vomvergänglichen Glanz des Sommers zusammengehalten zu werden, und es roch nachsommerlichen Überbleibseln - nach Turnschuhen, Handtüchern, Badeanzügen und demschalen Duft der Bretterwände von alten Badehäuschen. Auf der Fahrt über dieBucht sah das Wasser manchmal veilchenblau wie ein Auge aus, während derLandwind die Karussellmusik herüberwehte und man in der Ferne die Küste von Nangasakit sah - ein Getümmel aus albernen Vergnügungen,Lampions, Gebratenem und Musik, das dem Atlantik in solch zerbrechlichem Wirrwarrtrotzte, dass es wie Strandgut aussah, wie die Seesterne und Orangenschalen,die von den Wellen an Land gespült wurden. Wenn Leander das Karussell hörte,brüllte er immer: »Binde mich an den Mast, Perimedes.« Es machte ihm nichts aus, dass er den Auftritt seinerFrau bei der Parade versäumte.
An jenem Morgen kam es vor demBeginn der Parade zu Verzögerungen, die anscheinend durch den Wagen desFrauenvereins ausgelöst wurden. Eins der Gründungsmitglieder kam die Straße entlang,um Moses und Coverly zu fragen, ob sie wüssten, woihre Mutter sei. Die beiden sagten, sie seien seit Sonnenaufgang nicht mehr zuHause gewesen. Sie machten sich schon Sorgen, als Mrs. Wapshotplötzlich aus Moody's Drugstoretrat und ihren Platz auf dem Wagen einnahm. Der Tambourmajor blies seinePfeife, der Trommler, der einen blutigen Verband um den Kopf trug, schlug denTakt, und die Querpfeifen und Trommeln begannen zu lärmen und verscheuchten einDutzend Tauben vom Dach des Cartwright-Blocks. VomFluss blies ein leichter Wind herüber, der einen dunklen, rauen Schlammgeruchauf den Platz wehte. Die Parade raffte ihre verstreuten Glieder zusammen undsetzte sich in Bewegung.
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© Verlag DuMont
Übersetzung:Thomas Gunkel
- Autor: John Cheever
- 2007, 2. Aufl., 384 Seiten, Maße: 15,2 x 21,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Gunkel, Thomas
- Übersetzer: Thomas Gunkel
- Verlag: DuMont Buchverlag
- ISBN-10: 3832180079
- ISBN-13: 9783832180072
- Erscheinungsdatum: 02.07.2007
DIE WELT
"So verspielt Cheever seinen Anti-Familienroman erzählt, so glänzend ist sein Stil. [...] Dass sich das so gut liest, liegt natürlich auch an Thomas Gunkels Übersetzung."
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
"Cheever bespielt in der 'Geschichte der Wapshots' eine Klaviatur amerikanischer Themen mit dem Witz und dem schrägen Eigensinn eines Jazz-Virtuosen alter Schule. [...] [Seinen] Figuren eignet eine Art Grazie im Scheitern wie im Weitermachen, die vielleicht die schönste Form des 'American Dream' verkörpert."
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
"Cheever zu lesen heißt in die Abgründe um ihre Träume gebrachter Seelen blicken. In all seinen Storys und Romanen hat er dieses Thema ruhelos variiert - verdichtet zu gefahrvollen Idyllen, hinter deren Fassaden sich kleine Apokalypsen abspielen."
VOGUE
"Thomas Gunkels elegante Neuübersetzung schafft die Voraussetzung, dieses geschliffene Sprachkunstwerk in seiner ganzen Pracht kennen zu lernen und etwas vom 'warmherzigen, bitteren, schwermütigen Humanismus' zu begreifen, den Rick Moodys Nachwort rühmt."
DER TAGESSPIEGEL
"Aus einer Vielzahl von Episoden und Ereignissen setzt Cheever ein wunderbares Familienbild zusammen - skurril, komisch und wehmütig. Es macht Spaß und manchmal auch melancholisch, Zeit mit diesen Figuren zu verbringen. [...] Schön, dass Dumont dieses literarische Kunststück jetzt wieder zugänglich gemacht hat."
WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG
"Das Buch ist voller Anekdoten, Binnengeschichten, kleiner satirischer Kabinettstückchen, die zunächst wenig funktional erscheinen, die sich jedoch fügen zu einem weitgespannten
ROLLING STONE
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