Die Heilerin von London
Historischer Roman. Deutsche Erstausgabe
Die Apothekerstochter Susannah heiratet den Kaufmann Henry. Doch die Ehe ist nicht glücklich. Nur die Besuche von Henrys Cousin William heitern sie auf. Als die Pest ausbricht, kann Susannah ihr medizinisches Wissen einsetzen. Kann sie auch ihr Herz heilen?
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Produktinformationen zu „Die Heilerin von London “
Die Apothekerstochter Susannah heiratet den Kaufmann Henry. Doch die Ehe ist nicht glücklich. Nur die Besuche von Henrys Cousin William heitern sie auf. Als die Pest ausbricht, kann Susannah ihr medizinisches Wissen einsetzen. Kann sie auch ihr Herz heilen?
Klappentext zu „Die Heilerin von London “
Pestherd und Feuersbrunst. Und die heilende Kraft der Liebe.Von der Stiefmutter vertrieben, steht Susannah, die Tochter des Apothekers, vollkommen mittellos da. Notgedrungen fügt sie sich in die Heirat mit einem reichen Kaufmann. Henry ist weitgereist, charmant und weltgewandt, doch ein dunkles Geheimnis umgibt ihn. In dem fremden Haus wird Susannah zunehmend von Albträumen heimgesucht. Nur die Besuche von Henrys Cousin können sie ein wenig aufheitern. William ist Arzt, er weiß Susannahs medizinische Kenntnisse zu schätzen. Denn die junge Frau kennt sich aus mit den heilenden Kräften von Lavendel, Rosmarin und Süßholz. Als die Pest in der Stadt ausbricht und London kurz darauf in Flammen steht, wird Susannahs Wissen immer wertvoller. Bis zur Erschöpfung kämpft sie um die Menschen, die sie liebt. Aber kann sie auch ihr eigenes Herz heilen?
Pestherd und Feuersbrunst. Und die heilende Kraft der Liebe.
Von der Stiefmutter vertrieben, steht Susannah, die Tochter des Apothekers, vollkommen mittellos da. Notgedrungen fügt sie sich in die Heirat mit einem reichen Kaufmann. Henry ist weitgereist, charmant und weltgewandt, doch ein dunkles Geheimnis umgibt ihn. In dem fremden Haus wird Susannah zunehmend von Albträumen heimgesucht. Nur die Besuche von Henrys Cousin können sie ein wenig aufheitern. William ist Arzt, er weiß Susannahs medizinische Kenntnisse zu schätzen. Denn die junge Frau kennt sich aus mit den heilenden Kräften von Lavendel, Rosmarin und Süßholz. Als die Pest in der Stadt ausbricht und London kurz darauf in Flammen steht, wird Susannahs Wissen immer wertvoller. Bis zur Erschöpfung kämpft sie um die Menschen, die sie liebt. Aber kann sie auch ihr eigenes Herz heilen?
Von der Stiefmutter vertrieben, steht Susannah, die Tochter des Apothekers, vollkommen mittellos da. Notgedrungen fügt sie sich in die Heirat mit einem reichen Kaufmann. Henry ist weitgereist, charmant und weltgewandt, doch ein dunkles Geheimnis umgibt ihn. In dem fremden Haus wird Susannah zunehmend von Albträumen heimgesucht. Nur die Besuche von Henrys Cousin können sie ein wenig aufheitern. William ist Arzt, er weiß Susannahs medizinische Kenntnisse zu schätzen. Denn die junge Frau kennt sich aus mit den heilenden Kräften von Lavendel, Rosmarin und Süßholz. Als die Pest in der Stadt ausbricht und London kurz darauf in Flammen steht, wird Susannahs Wissen immer wertvoller. Bis zur Erschöpfung kämpft sie um die Menschen, die sie liebt. Aber kann sie auch ihr eigenes Herz heilen?
Lese-Probe zu „Die Heilerin von London “
Die Heilerin von London von Charlotte Betts1. Kapitel
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Susannah stand am Fenster der Apotheke und blickte gedankenverloren hinaus, während sie in einem Mörser Schwefelblumen zu einem übelriechenden Pulver zerstieß. Auf der Fleet Street herrschte wie üblich geschäftiges Treiben. Der über Nacht gefallene Schnee war schon jetzt am Morgen dunkel vom Ruß, der von den Kalköfen in Limehouse in dichten Wolken herüberzog. Es herrschte so strenger Frost, dass das Abwasser im Hauptablaufkanal in seltsamen Eisformationen erstarrt war. Kirchenglocken läuteten, und Hunde bellten, während ein nicht abreißender Strom von Menschen an ihr vorüberzog.
Peng! Ein Schneeball flog gegen die Fensterscheibe und riss Susannah so unsanft aus ihren Gedanken, dass ihr vor Schreck der Stößel aus der Hand fiel. Draußen erblickte sie einen Straßenjungen, der sie schadenfroh auslachte.
«Kleiner Teufel!» Drohend hob sie die Faust und sah ihm nach, bis er in der Menge verschwunden war. Dann fiel ihr ein hochgewachsener Mann mit dunklem Hut und Umhang ins Auge, der sich vorsichtig einen Weg durch den Schnee bahnte.
Etwas an der Art, wie er sich durch die Menschenmenge bewegte, fesselte Susannahs Aufmerksamkeit. Seine Bewegungen waren ein wenig wie die eines Wolfs, der lautlos durch einen Wald huscht. Als er näher herangekommen war, erkannte sie ihn: Es war ein Arzt, ein Kunde ihres Vaters, der aber eher unregelmäßig vorbeikam. Gerade wich er einem dampfenden Haufen Pferdeäpfel aus, stieg über einen alten Kohlkopf hinweg und steuerte dann zielstrebig auf die Apotheke zu.
Susannah öffnete ihm die Tür. «Guten Morgen», sagte sie und fröstelte in der eisigen Luft, die er mit hereinbrachte.
Er tippte sich an den Hut, erwiderte ihr Lächeln jedoch nicht. «Ist Mr. Leyton da?»
«Im Augenblick nicht. Kann ich weiterhelfen?»
«Ich glaube kaum, dass Ihr ...»
«Sagt mir doch einfach, was Ihr braucht, Sir.» Mit einem Seufzen unterdrückte sie ihren Unwillen. Warum hielt er sie automatisch für unfähig, bloß, weil sie Röcke trug?
«Was ich brauche, würde ich gerne mit Eurem Vater besprechen. Deshalb bin ich hergekommen.»
Bei seinem Tonfall fühlte sich Susannah spontan zu einer schnippischen Antwort gereizt, aber sie beherrschte sich und sagte nur: «Er ist gerade beim Pfarrer, um dessen Urin zu beschauen.»
Der Arzt, der gerade die Handschuhe abstreifte, um seine kalten Hände warm zu reiben, zog missvergnügt die dunklen Augenbrauen zusammen. «Die Sache ist sehr dringend. Wenn er zurück ist, richtet ihm bitte aus, dass Doktor Ambrose hier war. Er möchte mich umgehend aufsuchen.»
«Kann ich ihm noch ausrichten, was Ihr mit ihm zu besprechen wünscht?» Susannah war wieder an die Arbeitsplatte getreten.
Nach kurzem Zögern zuckte Doktor Ambrose die Achseln. «Ich habe einen Patienten, der unter einem Blasenstein leidet. Mr. Leyton hat einmal erwähnt, dass er in solchen Fällen mit einem seiner Mittel guten Erfolg erzielt hat. Der Gesundheitszustand des Patienten lässt es leider nicht zu, den Stein herauszuschneiden, er leidet an chronischer Kurzatmigkeit ... Könnt Ihr Euch das alles merken?»
«Oh, ich glaube schon.» Susannah lächelte süß und nahm wieder ihre Instrumente auf. «Bei Blasensteinen empfiehlt Vater in der Regel süßen Salpetergeist, vermischt mit Laudanum und Wacholderöl. Euer Patient sollte einen Teelöffel davon einnehmen, in einer Tasse Leinsamentee, gesüßt mit Honig.» Sie rührte mit dem Stößel so energisch in dem zerstoßenen Schwefel, dass eine faulig riechende Wolke zwischen ihnen aufstäubte.
Doktor Ambrose hustete und presste sich ein Taschentuch an die Nase. «Seid Ihr da sicher?»
«Selbstverständlich. Und gegen das Pfeifen in seiner Brust solltet Ihr es mit einer Milch aus Ammoniakharz versuchen, verrührt mit Blausternsirup.»
Verdutzt zog Doktor Ambrose die Augenbrauen in die Höhe, aber Susannah ließ sich ihre Genugtuung nicht anmerken. «Vielleicht möchtet Ihr Euch ja am Kamin aufwärmen, während ich die Arzneien für Euch zubereite?», sagte sie.
«Kennt Ihr denn die genaue Zusammensetzung?»
«Ich gehe meinem Vater bei der Zubereitung seiner Rezepturen schon sehr lange zur Hand.»
Sie stellte den Mörser beiseite und verschwand in dem kleinen Hinterzimmer, das durch einen Vorhang von der übrigen Apotheke abgetrennt war. Rasch warf sie noch einen Blick zurück durch den Spalt im Vorhang: Der Arzt, der sich unbeobachtet wähnte, hob gerade vor dem Kamin seinen Umhang in die Höhe, um sich das Hinterteil zu wärmen. Susannah verbiss sich ein Lachen und wandte sich dann zum Tisch, um sich an die Arbeit zu machen. Als sie gerade das Fläschchen mit der zweiten Arznei verkorkte, hörte sie die Ladenglocke klingeln. Sie zog den Vorhang beiseite und sah, wie eine elegant gekleidete Dame die Apotheke betrat.
«Bitte, nehmt kurz Platz am Kamin, ich bin gleich für Euch da», begrüßte Susannah die Frau. Dann händigte sie Doktor Ambrose die beiden Arzneifläschchen aus und war beim Abschied um Höflichkeit bemüht, schließlich sollte er ja wiederkommen. «Ich hoffe, jetzt ist Euch wärmer?» Sie überlegte kurz, ob sie ihn darauf aufmerksam machen sollte, dass ihm Schwefel am Nasenrücken haftete, entschied sich jedoch dagegen. «Es heißt ja, dieser eisige Wind käme direkt aus Russland und dass der Frost deswegen seit Dezember kaum nachgelassen hat.»
«Das hat womöglich auch seine Vorteile», sagte der Arzt. «Durch die Kälte wird immerhin die Plage eingedämmt.»
«Außer natürlich in der Gemeinde St. Giles. Wir müssen darum beten, dass der Frost die Pest völlig ausrottet.»
«In der Tat.» Doktor Ambrose nickte. «Schreibt die Arzneien mit auf mein Konto.» Dann verließ er die Apotheke.
Susannah, die sich mit leisem Befremden fragte, warum der Arzt so kurz angebunden war, sah ihm nach, während er auf der Fleet Street davonging. Schade, dass sein dunkles, gutgeschnittenes Gesicht nicht mit etwas liebenswürdigeren Umgangsformen einherging! Die wartende Kundin, eine blonde Frau ungefähr in Susannahs Alter, angetan mit einem eleganten Umhang mit Pelzbesatz, unter dem ein purpurroter Rock hervorlugte, betrachtete gerade mit zurückgelegtem Kopf das ausgestopfte Krokodil, das an einem der Deckenbalken aufgehängt war. Angewidert rümpfte sie das Stupsnäschen. «Ist das echt?»
«Allerdings! Es ist aus Afrika. Mein Vater hat es von einem Seemann gekauft.» Susannah erinnerte sich lebhaft daran, wie er es vor Jahren mit nach Hause gebracht und welche Mischung aus Angst und Neugierde das Tier ihr eingeflößt hatte. Zaghaft hatte sie mit der Fingerspitze seinen harten, schuppigen Leib berührt und war beim durchdringenden Blick seiner Glasaugen erschauert. Tom, ihr kleiner Bruder, hatte sich hinter dem Tresen versteckt, bis ihre Mutter ihm glaubhaft versichert hatte, dass das Tier nicht lebendig war.
«Gehe ich richtig in der Annahme, dass das hier Mr. Leytons Apotheke ist?», fragte die Besucherin. «Ich habe das Schild erkannt, auf dem ein Einhorn und ein Drache zu sehen sind.» «Wie Ihr seht, hängt dieses Schild draußen über der Tür.» «Ist Mr. Leyton zu sprechen?»
«Im Augenblick nicht. Kann ich Euch helfen?»
Die Frau spitzte die Lippen und musterte Susannah eingehend. «Ich hätte gern ...» Sie ließ den Blick über die Fläschchen und Tiegel auf den Wandregalen ringsherum schweifen und runzelte leicht die Stirn. ja. Ein Fläschchen Rosenwasser hätte ich gern.» Dann fuhr sie mit einem behandschuhten Finger am Tresen entlang. «Erlaubt mir eine Frage: Wie viele Räume habt Ihr hier im Haus?»
«Nun», stammelte Susannah, völlig überrumpelt. «Wir haben drei Schlafkammern, die Wohnstube und das Speisezimmer, und dann noch den Laden, das Hinterzimmer und die Küche.»
«Das Haus ist sehr schmal, und krumm vor Alter.»
«Aber dafür ist es tief.» Susannah spürte, wie ihr vor Empörung das Blut ins Gesicht schoss. Instinktiv richtete sie sich sehr gerade auf. «Außerdem ist die Wohnstube mit Holz getäfelt, und wir haben noch einen schönen Hof mit Garten.»
Die Frau seufzte. «Na, es wird wohl gut genug sein, nehme ich an.» Sie legte einige Münzen auf den Tresen, nahm das Rosenwasser an sich und wartete dann an der Tür, bis Susannah herbeigeeilt kam, um sie zu öffnen.
Erleichtert, die Frau mit ihren zudringlichen Fragen los zu sein, blieb Susannah kurz fröstelnd in der offenen Tür stehen und spähte an der wartenden Kutsche vorbei die verschneite Straße hinauf. Dort erblickte sie Ned. Der Lehrjunge ihres Vaters hatte den ältlichen Misses Lane ein Päckchen Leberpillen vorbeigebracht und hatte es nun sichtlich eilig, in die warme Apotheke zurückzukehren. Im Laufschritt kam er angetrabt, das Gesicht zum Schutz gegen den schneidenden Wind gesenkt. Susannah konnte sehen, dass er auf dem besten Wege war, mit der blonden Kundin zusammenzustoßen, die gerade die Kutsche bestieg.
«Ned, Vorsicht!», rief sie ihm zu.
Erst im letzten Moment wich er zur Seite aus.
Die Frau warf Susannah einen vorwurfsvollen Blick zu, reckte hochmütig die Nase und gab dem Kutscher Zeichen, sich in Bewegung zu setzen.
«Pass doch besser auf, Ned!», schimpfte Susannah, als der Junge an ihr vorbei in die Apotheke stürmte.
Er knallte die Tür hinter sich zu und stürzte an den Kamin, um seine Hände am Feuer zu wärmen und mit den vor Kälte erstarrten Füßen aufzustampfen.
«Meine Güte, Ned!» Der Ärger über die letzten beiden Kunden, der sich in Susannah aufgestaut hatte, brach sich nun Bahn. «Sieh dir nur all das Eis an, das du an deinen Stiefeln hereingeschleppt hast. Hol den Besen und kehre es rasch auf, ehe es schmilzt.» «Entschuldigung, Miss.»
«Danach kannst du die Salbentiegel abstauben.»
ja, Miss.» Sofort holte er den Besen aus dem Hinterzimmer und fing an, den Boden zu kehren.
Susannahs Ärger legte sich wieder. Bisweilen erinnerte Ned sie an ihren Bruder Tom, der mittlerweile weit weg von ihnen im fernen Virginia lebte. Sie nahm einen großen Tiegel vom Regal, schöpfte einen Löffel der klebrigen Substanz heraus und schmierte sie auf ein Stück Packpapier. «Da!» Sie reichte ihm die Salbe. «Reib dir damit die Frostbeulen ein, dann platzt die Haut nicht auf. Und vergiss nicht, danach die Salbentiegel abzustauben!» Sie nahm den Mörser mit dem Schwefelpulver vom Tresen und ging ins Hinterzimmer, um damit eine Salbe gegen Hautunreinheiten anzurühren.
Ihr ganzes Leben, sechsundzwanzig Jahre inzwischen, hatte sie in der Apotheke verbracht, und ihre liebsten Erinnerungen waren mit diesem Ort verbunden. Während sie weitere Ingredienzien abwog und die Salbe zusammenmischte, summte sie vor sich hin und dachte daran zurück, wie sie und Tom als Kinder durch das Abzählen von Pillen Rechnen gelernt hatten. Auch ihre Experimente mit der Waage waren ihr lebhaft in Erinnerung: ihr Staunen darüber, dass ein großer Strauch getrockneter Salbei ebenso viel wog wie ein winziges Stück Blei. Mit dem großen Steinmörser, den sie auch jetzt gerade benutzte, hatte sie bereits herrlich klebrige Mixturen aus Schweineschmalz, Bleiweiß und Terpentin angerührt. Zusammen ergaben diese Inhaltsstoffe eine sehr wirkungsvolle Brandsalbe. Lesen hatte Susannah anhand der lateinischen Beschriftung der Salbentöpfe gelernt, die auf den Wandregalen aufgereiht standen. Und das Schreiben hatte sie sich beigebracht, indem sie mit dem Finger der gestochen scharfen Handschrift ihres Vaters auf den Schildern folgte, mit denen die Vorratsschubfächer im Lager versehen waren.
Susannah seufzte und stellte den Tiegel beiseite. Als Nächstes ging sie daran, aus einem Büschel Rosmarin, Wasser und Honig einen Hustensirup aufzukochen. Genüsslich sog sie den süßen, harzigen Duft ein.
Das kalte Wetter und der stinkende Londoner Nebel waren gut fürs Geschäft, denn viele Menschen litten unter hartnäckigem Husten. Sie leckte sich etwas Honig vom Daumen ab und spähte durch den Spalt im Vorhang: Nebenan lehnte Ned quer über dem Tresen und neckte die Katze mit dem Zipfel eines Putzlappens. Dann glitt er unvermittelt auf den Boden zurück und fing eifrig an, den Staub von den Majolikatiegeln zu wischen. Susannah schlussfolgerte daraus, dass der Junge wohl seinen Lehrherrn erspäht hatte, der soeben zurückkehrte.
Cornelius Leyton kämpfte sich mit einer großen Schachtel unter dem Arm durch die Tür und stellte die seltsame Lieferung zwischen einem Zuckerkegel und dem Glas mit Blutegeln auf dem Tresen ab. Seine Nase war leuchtend rot vor Kälte.
«Was hast du denn gekauft, Vater?»
Gemächlich ging er daran, die Kordel des Pakets zu lösen.
«Lass mich das machen», sagte Susannah, holte ein Messer unter dem Tresen hervor und schnitt den Knoten kurzerhand durch.
«Immer diese Ungeduld!»
Behutsam nahm Cornelius den Deckel von der Schachtel, und Susannah erhaschte einen Blick auf etwas Schwarzes, Pelziges. Aufgeregt schnappte sie nach Luft. War es ein kleiner Hund? Doch als ihr Vater dann das Seidenpapier auseinander-schlug, wurde ihre Hoffnung enttäuscht.
Cornelius nahm eine Perücke heraus und schüttelte die langen, glänzenden Locken frei. «Was hältst du davon?», fragte er.
«Sie ist ... eindrucksvoll», erwiderte Susannah. «Na los, setz sie mal auf!»
Mit vor Freude leuchtenden Augen nahm ihr Vater seine übliche Perücke ab, ein bescheidenes, mittelbraunes Modell, das er schon seit einigen Jahren trug, und brachte sein kurzgeschorenes graues Haar zum Vorschein. Dann stülpte er sich geradezu andächtig die neue Perücke auf den Kopf.
Susannah starrte ihn an.
«Susannah?»
Doch sie brachte noch immer kein Wort heraus. Ihr Vater war ein gutaussehender Mann: groß, mit dunklen Augen und einer Ausstrahlung von natürlicher Autorität, doch dabei war er alles andere als eitel. In der Regel musste sie ihn immer erst mühsam überreden, bis er sich mal einen neuen Gehrock oder neue Kniehosen zulegte. Und sein Hut war so altmodisch, dass es schon fast peinlich war. Das hier aber war eine für ihn ganz und gar untypische Neuanschaffung. Diese Perücke, mit der er sich in einen eleganten Fremden verwandelte, flößte Susannah ein seltsames Unbehagen ein.
«Nun?» Er sah sie gespannt an.
«Erstaunlich», sagte sie endlich und hob eine der seidigen Locken in die Höhe, die ihrem Vater fast bis an die Taille reichten. «Sie sieht sehr gut aus.» Es fiel ihr schwer, die richtigen Worte zu finden. «Ich erkenne dich kaum wieder. Du wirkst damit so ... jung.»
Ein stolzes Lächeln huschte über sein Gesicht.
«Ihr seht aus wie der König, Sir», erklärte Ned aufgeregt.
Cornelius warf seinem Lehrjungen einen scharfen Blick zu. «Hast du nichts zu tun, dass du deine Zeit mit unnützem Geschwätz vertust? Brauchst du Arbeit? Die Kupferteile des Destillierapparats hinten im Hof müssen geputzt werden. Natürlich muss dafür erst das Eis abgekratzt werden ...»
Ned wandte sich eilig ab und wischte eifrig weiter an den Tiegeln herum.
«Ich habe mich mit meinem alten Freund Richard Berry unterhalten», fuhr Cornelius mit einem belustigten Blick auf Susannah fort. «Und er meinte, eine etwas modischere Erscheinung könnte dem Geschäft zuträglich sein. Vielleicht sollte ich mir ja sogar noch einen neuen Hut leisten?»
«Dazu versuche ich dich schon seit Monaten zu überreden.» «Ach ja?»
«Vater!»
«Ich habe einige Besuche zu erledigen», beeilte sich Cornelius, seine Tochter von der Schelte abzuhalten. «Hast du meinen blauen Gehrock gebürstet?»
«Selbstverständlich.»
«Wenn hier also nichts weiter anliegt, worum ich mich kümmern müsste ...»
«Ach! Das habe ich ganz vergessen. Doktor Ambrose war hier, du sollst ihn bitte aufsuchen, es geht um einen seiner Patienten, der einen Blasenstein hat. Ich habe die erforderlichen Arzneien bereits zubereitet.»
«Gut, gut.» Cornelius nahm seine alte Perücke und zog sich dann ins Obergeschoss zurück.
Susannah starrte ihm nach. Merkwürdig. Wieso legte er auf einmal solchen Wert auf sein Äußeres? Kopfschüttelnd kehrte sie ins Hinterzimmer zurück, um die Schwefelsalbe in Tiegel zu füllen.
Wie immer, wenn sie diese spezielle Salbe abfüllte, kam ihr ein Nachmittag elf Jahre zuvor in den Sinn, als sie ihrer Mutter bei ebendieser Tätigkeit zur Hand gegangen war. Die sanfte Stimme ihrer Mutter hatte sich Susannah unauslöschlich eingeprägt, und ganz deutlich, als wäre es erst gestern gewesen, hatte sie vor Augen, wie die Mutter eine Hand sachte auf ihren gewölbten Leib legte. Das war zwei Tage vor ihrem Tod gewesen. Damals hatte genau jener schwefelige Geruch in der Luft gelegen, zusammen mit den üblichen Aromen von Rosenwasser und Bienenwachs, Lakritze und Wermutöl, Terpentin und getrockneten Kräutern, all jenen Gerüchen, die untrennbar mit dem Gewerbe ihres Vaters verbunden waren und Susannah förmlich in Fleisch und Blut übergegangen waren.
Das Klingeln der Ladenglocke holte sie in die Gegenwart zurück, und zu ihrer Freude vernahm sie Marthas Stimme. Bis zu ihrer Heirat hatte Martha im Haus nebenan gewohnt. Seit zwanzig Jahren war sie ihre beste Freundin, trotz ihrer puritanischen Neigungen. Susannah eilte durch den Vorhang in den Ladenraum, um ihre Freundin zu begrüßen.
...
Copyright © 2012 by Rowohlt Verlag GmbH
Susannah stand am Fenster der Apotheke und blickte gedankenverloren hinaus, während sie in einem Mörser Schwefelblumen zu einem übelriechenden Pulver zerstieß. Auf der Fleet Street herrschte wie üblich geschäftiges Treiben. Der über Nacht gefallene Schnee war schon jetzt am Morgen dunkel vom Ruß, der von den Kalköfen in Limehouse in dichten Wolken herüberzog. Es herrschte so strenger Frost, dass das Abwasser im Hauptablaufkanal in seltsamen Eisformationen erstarrt war. Kirchenglocken läuteten, und Hunde bellten, während ein nicht abreißender Strom von Menschen an ihr vorüberzog.
Peng! Ein Schneeball flog gegen die Fensterscheibe und riss Susannah so unsanft aus ihren Gedanken, dass ihr vor Schreck der Stößel aus der Hand fiel. Draußen erblickte sie einen Straßenjungen, der sie schadenfroh auslachte.
«Kleiner Teufel!» Drohend hob sie die Faust und sah ihm nach, bis er in der Menge verschwunden war. Dann fiel ihr ein hochgewachsener Mann mit dunklem Hut und Umhang ins Auge, der sich vorsichtig einen Weg durch den Schnee bahnte.
Etwas an der Art, wie er sich durch die Menschenmenge bewegte, fesselte Susannahs Aufmerksamkeit. Seine Bewegungen waren ein wenig wie die eines Wolfs, der lautlos durch einen Wald huscht. Als er näher herangekommen war, erkannte sie ihn: Es war ein Arzt, ein Kunde ihres Vaters, der aber eher unregelmäßig vorbeikam. Gerade wich er einem dampfenden Haufen Pferdeäpfel aus, stieg über einen alten Kohlkopf hinweg und steuerte dann zielstrebig auf die Apotheke zu.
Susannah öffnete ihm die Tür. «Guten Morgen», sagte sie und fröstelte in der eisigen Luft, die er mit hereinbrachte.
Er tippte sich an den Hut, erwiderte ihr Lächeln jedoch nicht. «Ist Mr. Leyton da?»
«Im Augenblick nicht. Kann ich weiterhelfen?»
«Ich glaube kaum, dass Ihr ...»
«Sagt mir doch einfach, was Ihr braucht, Sir.» Mit einem Seufzen unterdrückte sie ihren Unwillen. Warum hielt er sie automatisch für unfähig, bloß, weil sie Röcke trug?
«Was ich brauche, würde ich gerne mit Eurem Vater besprechen. Deshalb bin ich hergekommen.»
Bei seinem Tonfall fühlte sich Susannah spontan zu einer schnippischen Antwort gereizt, aber sie beherrschte sich und sagte nur: «Er ist gerade beim Pfarrer, um dessen Urin zu beschauen.»
Der Arzt, der gerade die Handschuhe abstreifte, um seine kalten Hände warm zu reiben, zog missvergnügt die dunklen Augenbrauen zusammen. «Die Sache ist sehr dringend. Wenn er zurück ist, richtet ihm bitte aus, dass Doktor Ambrose hier war. Er möchte mich umgehend aufsuchen.»
«Kann ich ihm noch ausrichten, was Ihr mit ihm zu besprechen wünscht?» Susannah war wieder an die Arbeitsplatte getreten.
Nach kurzem Zögern zuckte Doktor Ambrose die Achseln. «Ich habe einen Patienten, der unter einem Blasenstein leidet. Mr. Leyton hat einmal erwähnt, dass er in solchen Fällen mit einem seiner Mittel guten Erfolg erzielt hat. Der Gesundheitszustand des Patienten lässt es leider nicht zu, den Stein herauszuschneiden, er leidet an chronischer Kurzatmigkeit ... Könnt Ihr Euch das alles merken?»
«Oh, ich glaube schon.» Susannah lächelte süß und nahm wieder ihre Instrumente auf. «Bei Blasensteinen empfiehlt Vater in der Regel süßen Salpetergeist, vermischt mit Laudanum und Wacholderöl. Euer Patient sollte einen Teelöffel davon einnehmen, in einer Tasse Leinsamentee, gesüßt mit Honig.» Sie rührte mit dem Stößel so energisch in dem zerstoßenen Schwefel, dass eine faulig riechende Wolke zwischen ihnen aufstäubte.
Doktor Ambrose hustete und presste sich ein Taschentuch an die Nase. «Seid Ihr da sicher?»
«Selbstverständlich. Und gegen das Pfeifen in seiner Brust solltet Ihr es mit einer Milch aus Ammoniakharz versuchen, verrührt mit Blausternsirup.»
Verdutzt zog Doktor Ambrose die Augenbrauen in die Höhe, aber Susannah ließ sich ihre Genugtuung nicht anmerken. «Vielleicht möchtet Ihr Euch ja am Kamin aufwärmen, während ich die Arzneien für Euch zubereite?», sagte sie.
«Kennt Ihr denn die genaue Zusammensetzung?»
«Ich gehe meinem Vater bei der Zubereitung seiner Rezepturen schon sehr lange zur Hand.»
Sie stellte den Mörser beiseite und verschwand in dem kleinen Hinterzimmer, das durch einen Vorhang von der übrigen Apotheke abgetrennt war. Rasch warf sie noch einen Blick zurück durch den Spalt im Vorhang: Der Arzt, der sich unbeobachtet wähnte, hob gerade vor dem Kamin seinen Umhang in die Höhe, um sich das Hinterteil zu wärmen. Susannah verbiss sich ein Lachen und wandte sich dann zum Tisch, um sich an die Arbeit zu machen. Als sie gerade das Fläschchen mit der zweiten Arznei verkorkte, hörte sie die Ladenglocke klingeln. Sie zog den Vorhang beiseite und sah, wie eine elegant gekleidete Dame die Apotheke betrat.
«Bitte, nehmt kurz Platz am Kamin, ich bin gleich für Euch da», begrüßte Susannah die Frau. Dann händigte sie Doktor Ambrose die beiden Arzneifläschchen aus und war beim Abschied um Höflichkeit bemüht, schließlich sollte er ja wiederkommen. «Ich hoffe, jetzt ist Euch wärmer?» Sie überlegte kurz, ob sie ihn darauf aufmerksam machen sollte, dass ihm Schwefel am Nasenrücken haftete, entschied sich jedoch dagegen. «Es heißt ja, dieser eisige Wind käme direkt aus Russland und dass der Frost deswegen seit Dezember kaum nachgelassen hat.»
«Das hat womöglich auch seine Vorteile», sagte der Arzt. «Durch die Kälte wird immerhin die Plage eingedämmt.»
«Außer natürlich in der Gemeinde St. Giles. Wir müssen darum beten, dass der Frost die Pest völlig ausrottet.»
«In der Tat.» Doktor Ambrose nickte. «Schreibt die Arzneien mit auf mein Konto.» Dann verließ er die Apotheke.
Susannah, die sich mit leisem Befremden fragte, warum der Arzt so kurz angebunden war, sah ihm nach, während er auf der Fleet Street davonging. Schade, dass sein dunkles, gutgeschnittenes Gesicht nicht mit etwas liebenswürdigeren Umgangsformen einherging! Die wartende Kundin, eine blonde Frau ungefähr in Susannahs Alter, angetan mit einem eleganten Umhang mit Pelzbesatz, unter dem ein purpurroter Rock hervorlugte, betrachtete gerade mit zurückgelegtem Kopf das ausgestopfte Krokodil, das an einem der Deckenbalken aufgehängt war. Angewidert rümpfte sie das Stupsnäschen. «Ist das echt?»
«Allerdings! Es ist aus Afrika. Mein Vater hat es von einem Seemann gekauft.» Susannah erinnerte sich lebhaft daran, wie er es vor Jahren mit nach Hause gebracht und welche Mischung aus Angst und Neugierde das Tier ihr eingeflößt hatte. Zaghaft hatte sie mit der Fingerspitze seinen harten, schuppigen Leib berührt und war beim durchdringenden Blick seiner Glasaugen erschauert. Tom, ihr kleiner Bruder, hatte sich hinter dem Tresen versteckt, bis ihre Mutter ihm glaubhaft versichert hatte, dass das Tier nicht lebendig war.
«Gehe ich richtig in der Annahme, dass das hier Mr. Leytons Apotheke ist?», fragte die Besucherin. «Ich habe das Schild erkannt, auf dem ein Einhorn und ein Drache zu sehen sind.» «Wie Ihr seht, hängt dieses Schild draußen über der Tür.» «Ist Mr. Leyton zu sprechen?»
«Im Augenblick nicht. Kann ich Euch helfen?»
Die Frau spitzte die Lippen und musterte Susannah eingehend. «Ich hätte gern ...» Sie ließ den Blick über die Fläschchen und Tiegel auf den Wandregalen ringsherum schweifen und runzelte leicht die Stirn. ja. Ein Fläschchen Rosenwasser hätte ich gern.» Dann fuhr sie mit einem behandschuhten Finger am Tresen entlang. «Erlaubt mir eine Frage: Wie viele Räume habt Ihr hier im Haus?»
«Nun», stammelte Susannah, völlig überrumpelt. «Wir haben drei Schlafkammern, die Wohnstube und das Speisezimmer, und dann noch den Laden, das Hinterzimmer und die Küche.»
«Das Haus ist sehr schmal, und krumm vor Alter.»
«Aber dafür ist es tief.» Susannah spürte, wie ihr vor Empörung das Blut ins Gesicht schoss. Instinktiv richtete sie sich sehr gerade auf. «Außerdem ist die Wohnstube mit Holz getäfelt, und wir haben noch einen schönen Hof mit Garten.»
Die Frau seufzte. «Na, es wird wohl gut genug sein, nehme ich an.» Sie legte einige Münzen auf den Tresen, nahm das Rosenwasser an sich und wartete dann an der Tür, bis Susannah herbeigeeilt kam, um sie zu öffnen.
Erleichtert, die Frau mit ihren zudringlichen Fragen los zu sein, blieb Susannah kurz fröstelnd in der offenen Tür stehen und spähte an der wartenden Kutsche vorbei die verschneite Straße hinauf. Dort erblickte sie Ned. Der Lehrjunge ihres Vaters hatte den ältlichen Misses Lane ein Päckchen Leberpillen vorbeigebracht und hatte es nun sichtlich eilig, in die warme Apotheke zurückzukehren. Im Laufschritt kam er angetrabt, das Gesicht zum Schutz gegen den schneidenden Wind gesenkt. Susannah konnte sehen, dass er auf dem besten Wege war, mit der blonden Kundin zusammenzustoßen, die gerade die Kutsche bestieg.
«Ned, Vorsicht!», rief sie ihm zu.
Erst im letzten Moment wich er zur Seite aus.
Die Frau warf Susannah einen vorwurfsvollen Blick zu, reckte hochmütig die Nase und gab dem Kutscher Zeichen, sich in Bewegung zu setzen.
«Pass doch besser auf, Ned!», schimpfte Susannah, als der Junge an ihr vorbei in die Apotheke stürmte.
Er knallte die Tür hinter sich zu und stürzte an den Kamin, um seine Hände am Feuer zu wärmen und mit den vor Kälte erstarrten Füßen aufzustampfen.
«Meine Güte, Ned!» Der Ärger über die letzten beiden Kunden, der sich in Susannah aufgestaut hatte, brach sich nun Bahn. «Sieh dir nur all das Eis an, das du an deinen Stiefeln hereingeschleppt hast. Hol den Besen und kehre es rasch auf, ehe es schmilzt.» «Entschuldigung, Miss.»
«Danach kannst du die Salbentiegel abstauben.»
ja, Miss.» Sofort holte er den Besen aus dem Hinterzimmer und fing an, den Boden zu kehren.
Susannahs Ärger legte sich wieder. Bisweilen erinnerte Ned sie an ihren Bruder Tom, der mittlerweile weit weg von ihnen im fernen Virginia lebte. Sie nahm einen großen Tiegel vom Regal, schöpfte einen Löffel der klebrigen Substanz heraus und schmierte sie auf ein Stück Packpapier. «Da!» Sie reichte ihm die Salbe. «Reib dir damit die Frostbeulen ein, dann platzt die Haut nicht auf. Und vergiss nicht, danach die Salbentiegel abzustauben!» Sie nahm den Mörser mit dem Schwefelpulver vom Tresen und ging ins Hinterzimmer, um damit eine Salbe gegen Hautunreinheiten anzurühren.
Ihr ganzes Leben, sechsundzwanzig Jahre inzwischen, hatte sie in der Apotheke verbracht, und ihre liebsten Erinnerungen waren mit diesem Ort verbunden. Während sie weitere Ingredienzien abwog und die Salbe zusammenmischte, summte sie vor sich hin und dachte daran zurück, wie sie und Tom als Kinder durch das Abzählen von Pillen Rechnen gelernt hatten. Auch ihre Experimente mit der Waage waren ihr lebhaft in Erinnerung: ihr Staunen darüber, dass ein großer Strauch getrockneter Salbei ebenso viel wog wie ein winziges Stück Blei. Mit dem großen Steinmörser, den sie auch jetzt gerade benutzte, hatte sie bereits herrlich klebrige Mixturen aus Schweineschmalz, Bleiweiß und Terpentin angerührt. Zusammen ergaben diese Inhaltsstoffe eine sehr wirkungsvolle Brandsalbe. Lesen hatte Susannah anhand der lateinischen Beschriftung der Salbentöpfe gelernt, die auf den Wandregalen aufgereiht standen. Und das Schreiben hatte sie sich beigebracht, indem sie mit dem Finger der gestochen scharfen Handschrift ihres Vaters auf den Schildern folgte, mit denen die Vorratsschubfächer im Lager versehen waren.
Susannah seufzte und stellte den Tiegel beiseite. Als Nächstes ging sie daran, aus einem Büschel Rosmarin, Wasser und Honig einen Hustensirup aufzukochen. Genüsslich sog sie den süßen, harzigen Duft ein.
Das kalte Wetter und der stinkende Londoner Nebel waren gut fürs Geschäft, denn viele Menschen litten unter hartnäckigem Husten. Sie leckte sich etwas Honig vom Daumen ab und spähte durch den Spalt im Vorhang: Nebenan lehnte Ned quer über dem Tresen und neckte die Katze mit dem Zipfel eines Putzlappens. Dann glitt er unvermittelt auf den Boden zurück und fing eifrig an, den Staub von den Majolikatiegeln zu wischen. Susannah schlussfolgerte daraus, dass der Junge wohl seinen Lehrherrn erspäht hatte, der soeben zurückkehrte.
Cornelius Leyton kämpfte sich mit einer großen Schachtel unter dem Arm durch die Tür und stellte die seltsame Lieferung zwischen einem Zuckerkegel und dem Glas mit Blutegeln auf dem Tresen ab. Seine Nase war leuchtend rot vor Kälte.
«Was hast du denn gekauft, Vater?»
Gemächlich ging er daran, die Kordel des Pakets zu lösen.
«Lass mich das machen», sagte Susannah, holte ein Messer unter dem Tresen hervor und schnitt den Knoten kurzerhand durch.
«Immer diese Ungeduld!»
Behutsam nahm Cornelius den Deckel von der Schachtel, und Susannah erhaschte einen Blick auf etwas Schwarzes, Pelziges. Aufgeregt schnappte sie nach Luft. War es ein kleiner Hund? Doch als ihr Vater dann das Seidenpapier auseinander-schlug, wurde ihre Hoffnung enttäuscht.
Cornelius nahm eine Perücke heraus und schüttelte die langen, glänzenden Locken frei. «Was hältst du davon?», fragte er.
«Sie ist ... eindrucksvoll», erwiderte Susannah. «Na los, setz sie mal auf!»
Mit vor Freude leuchtenden Augen nahm ihr Vater seine übliche Perücke ab, ein bescheidenes, mittelbraunes Modell, das er schon seit einigen Jahren trug, und brachte sein kurzgeschorenes graues Haar zum Vorschein. Dann stülpte er sich geradezu andächtig die neue Perücke auf den Kopf.
Susannah starrte ihn an.
«Susannah?»
Doch sie brachte noch immer kein Wort heraus. Ihr Vater war ein gutaussehender Mann: groß, mit dunklen Augen und einer Ausstrahlung von natürlicher Autorität, doch dabei war er alles andere als eitel. In der Regel musste sie ihn immer erst mühsam überreden, bis er sich mal einen neuen Gehrock oder neue Kniehosen zulegte. Und sein Hut war so altmodisch, dass es schon fast peinlich war. Das hier aber war eine für ihn ganz und gar untypische Neuanschaffung. Diese Perücke, mit der er sich in einen eleganten Fremden verwandelte, flößte Susannah ein seltsames Unbehagen ein.
«Nun?» Er sah sie gespannt an.
«Erstaunlich», sagte sie endlich und hob eine der seidigen Locken in die Höhe, die ihrem Vater fast bis an die Taille reichten. «Sie sieht sehr gut aus.» Es fiel ihr schwer, die richtigen Worte zu finden. «Ich erkenne dich kaum wieder. Du wirkst damit so ... jung.»
Ein stolzes Lächeln huschte über sein Gesicht.
«Ihr seht aus wie der König, Sir», erklärte Ned aufgeregt.
Cornelius warf seinem Lehrjungen einen scharfen Blick zu. «Hast du nichts zu tun, dass du deine Zeit mit unnützem Geschwätz vertust? Brauchst du Arbeit? Die Kupferteile des Destillierapparats hinten im Hof müssen geputzt werden. Natürlich muss dafür erst das Eis abgekratzt werden ...»
Ned wandte sich eilig ab und wischte eifrig weiter an den Tiegeln herum.
«Ich habe mich mit meinem alten Freund Richard Berry unterhalten», fuhr Cornelius mit einem belustigten Blick auf Susannah fort. «Und er meinte, eine etwas modischere Erscheinung könnte dem Geschäft zuträglich sein. Vielleicht sollte ich mir ja sogar noch einen neuen Hut leisten?»
«Dazu versuche ich dich schon seit Monaten zu überreden.» «Ach ja?»
«Vater!»
«Ich habe einige Besuche zu erledigen», beeilte sich Cornelius, seine Tochter von der Schelte abzuhalten. «Hast du meinen blauen Gehrock gebürstet?»
«Selbstverständlich.»
«Wenn hier also nichts weiter anliegt, worum ich mich kümmern müsste ...»
«Ach! Das habe ich ganz vergessen. Doktor Ambrose war hier, du sollst ihn bitte aufsuchen, es geht um einen seiner Patienten, der einen Blasenstein hat. Ich habe die erforderlichen Arzneien bereits zubereitet.»
«Gut, gut.» Cornelius nahm seine alte Perücke und zog sich dann ins Obergeschoss zurück.
Susannah starrte ihm nach. Merkwürdig. Wieso legte er auf einmal solchen Wert auf sein Äußeres? Kopfschüttelnd kehrte sie ins Hinterzimmer zurück, um die Schwefelsalbe in Tiegel zu füllen.
Wie immer, wenn sie diese spezielle Salbe abfüllte, kam ihr ein Nachmittag elf Jahre zuvor in den Sinn, als sie ihrer Mutter bei ebendieser Tätigkeit zur Hand gegangen war. Die sanfte Stimme ihrer Mutter hatte sich Susannah unauslöschlich eingeprägt, und ganz deutlich, als wäre es erst gestern gewesen, hatte sie vor Augen, wie die Mutter eine Hand sachte auf ihren gewölbten Leib legte. Das war zwei Tage vor ihrem Tod gewesen. Damals hatte genau jener schwefelige Geruch in der Luft gelegen, zusammen mit den üblichen Aromen von Rosenwasser und Bienenwachs, Lakritze und Wermutöl, Terpentin und getrockneten Kräutern, all jenen Gerüchen, die untrennbar mit dem Gewerbe ihres Vaters verbunden waren und Susannah förmlich in Fleisch und Blut übergegangen waren.
Das Klingeln der Ladenglocke holte sie in die Gegenwart zurück, und zu ihrer Freude vernahm sie Marthas Stimme. Bis zu ihrer Heirat hatte Martha im Haus nebenan gewohnt. Seit zwanzig Jahren war sie ihre beste Freundin, trotz ihrer puritanischen Neigungen. Susannah eilte durch den Vorhang in den Ladenraum, um ihre Freundin zu begrüßen.
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Autoren-Porträt von Charlotte Betts
Betts, CharlotteCharlotte Betts hat als Modedesignerin und Innenarchitektin gearbeitet, bevor sie mit dem Schreiben begann. Zusammen mit ihren drei Kindern, zwei Stiefkindern und ihrem zweiten Mann lebt sie zwischen Hampshire und Berkshire. «Die Heilerin von London» ist ihr Debüt, das in England bereits zwei Publikumspreise gewonnen hat.
Bibliographische Angaben
- Autor: Charlotte Betts
- 2012, 2. Aufl., 522 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Aus d. Engl. v. Thiesmeyer, Ulrike
- Übersetzer: Ulrike Thiesmeyer
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499257645
- ISBN-13: 9783499257643
- Erscheinungsdatum: 02.04.2012
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