Die Hexe und der Leichendieb
Historischer Roman
Die Eifel im Dreißigjährigen Krieg: Burgherrin Sophie muss von der Wildenburg fliehen, bevor ihr gewalttätiger Mann sie umbringt. Bei Nacht und Nebel läuft sie davon und versteckt sich in den Wäldern der Eifel. Da begegnet sie...
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Produktinformationen zu „Die Hexe und der Leichendieb “
Die Eifel im Dreißigjährigen Krieg: Burgherrin Sophie muss von der Wildenburg fliehen, bevor ihr gewalttätiger Mann sie umbringt. Bei Nacht und Nebel läuft sie davon und versteckt sich in den Wäldern der Eifel. Da begegnet sie einem Ritter, der selbst auf der Flucht ist. Er ist ein verurteilter Mörder. Die Leute nennen ihn den Leichendieb. Aber ist er wirklich ein kaltblütiger Verbrecher? Fürsorglich kümmert er sich um die verängstigte Frau. Da wird Sophie aufgespürt. Ihr Mann lässt sie in den Kerker werfen und klagt sie als Hexe an. Ausgerechnet der Leichendieb will Sophie retten. Doch damit begibt er sich selbst in die Hände seiner Henker.
Klappentext zu „Die Hexe und der Leichendieb “
Die Eifel im Dreißigjährigen Krieg: Burgherrin Sophie muss von der Wildenburg fliehen, bevor ihr gewalttätiger Mann sie umbringt. Bei Nacht und Nebel läuft sie davon und versteckt sich in den Wäldern der Eifel. Da begegnet sie einem Ritter, der selbst auf der Flucht ist. Er ist ein verurteilter Mörder. Die Leute nennen ihn den Leichendieb. Aber ist er wirklich ein kaltblütiger Verbrecher? Fürsorglich kümmert er sich um die verängstigte Frau. Da wird Sophie aufgespürt. Ihr Mann lässt sie in den Kerker werfen und klagt sie als Hexe an. Ausgerechnet der Leichendieb will Sophie retten. Doch damit begibt er sich selbst in die Hände seiner Henker.Lese-Probe zu „Die Hexe und der Leichendieb “
Die Hexe und der Leichendieb von Helga GlaesenerKapitel 1
Wildenburg in der Eifel, im Januar 1632
Der Mann, den sie hinrichten wollten, war schön. Er hatte safrangelbes, lockiges Haar, das ihm der Wind aus dem Gesicht blies, so zärtlich, als wollte er ihn das Grauen der letzten Tage vergessen machen. Seine Augen spiegelten das gläserne Blau des Winterhimmels wider. Sein Lächeln - er lächelte, trotz der Schmerzen, die er litt - wirkte auf
gekratzt. Natürlich ging er krumm, kaum dass er sich auf den Beinen halten konnte. Langsam schlurfte er über die Steine, mit denen Marsilius den Innenhof beim Palas hatte pflastern lassen. Sein Arm war gebrochen, und die Fetzen, die ihm am Leib hingen, starrten vor Schmutz und Blut. Er wusste, dass er sterben würde. Und er tat, als machte ihm das nichts aus.
Fröstelnd zog Sophie ihren Mantel enger um das Wollkleid. Ihr Blick folgte der grauen Katze, die auf der äußeren Burgmauer stolzierte und nach einer Stelle suchte, von der aus sie über den Hang hinab in die Felder klettern konnte. Sophie wünschte sich von Herzen, dass sie ihr folgen könnte. Rennen und rennen, bis sie nach Hause kam. Aber das ging natürlich nicht. Sie war jetzt verheiratet und musste auf dem Burghof ausharren, wie Marsilius, ihr Ehemann, es angeordnet hatte. Ich weiß, Mutter, dachte sie, ich weiß.
... mehr
Der Morgen war sonnig. Von der Dachrinne des Palas tropften die Eiszapfen, und auf dem Wohnturm quietschte der Wettervogel. Unter dem Wehrgang, der sich vom Hexenturm um den Burghof zog, versuchten einige verwurmte Köter, ein ander einen Knochen abzujagen. Ein alter Mann, der als verrückt galt, pinkelte gegen die windschiefe Wand der Brennholzhütte. Mein Reich, dachte Sophie, und ihr strich eine Gänsehaut über den Rücken. Sie war siebzehn Jahre alt - und fühlte sich wie hundert.
Beklommen sah sie zu, wie der Verurteilte stehen blieb. Er hob das Gesicht zu dem Gerüst, das Marsilius im Schatten des Palas hatte errichten lassen. Auf dem Holzblock, auf den man gleich seinen Kopf drücken würde, lag eine Schicht fl auschiger Schneeflocken. Ein sanftes, kaltes Kissen. Neben dem Block stand der von Eisenringen umfasste alte Holzeimer, in den der Henker seinen Kopf werfen würde, nachdem er ihn triumphierend vor dem Publikum in die Höhe gehalten hatte. Hatte der Mann dieses Bild ebenfalls vor sich? Sophie sah, wie seine Lippen sich kräuselten.
Sie zuckte zusammen, als sich mit wildem Geschrei ein Krähenschwarm vom Dach des Palas hob. Es war, als wüssten die Vögel, dass ihnen eine Mahlzeit bevorstand. Ihr wurde übel. Nicht nur ein bisschen schwummrig, sondern richtig mit einem Würgen. Verkrampft atmete sie in den Bauch hinein. Himmel, das fehlte noch, dass sie sich vor dem versammelten Gesinde übergab! Sie war seit drei Wochen Herrin der Burg, aber niemand gehorchte ihr, und ihr Mann platzte vor Ungeduld, weil sie nichts richtig machte. Sie musste sich zusammenreißen. Marsilius hatte befohlen, dass jeder Burgbewohner bei der Hinrichtung anwesend sein sollte, also würde sie es durchstehen.
Sie sah, wie der Henker dem Verurteilten einen Stoß in den Rücken versetzte. Der Mann gab einen Schmerzenslaut von sich und murmelte, während er sich wieder in Bewegung setzte: »Wozu die Eile, Dreckskerl? Dein Herr ist noch nicht da. Soll er den besten Teil verpassen?« Obwohl er leise sprach, drangen die Worte über den Hof. Einige vom Gesinde lachten.
»Der kommt schon noch, halt uns nicht auf«, brummte der Henker. Es gab in der Wildenburger Herrschaft noch keinen Scharfrichter. Marsilius hatte einen der Söldner, die der Krieg vor sein Burgtor geschwemmt hatte, mit der Hinrichtung beauftragt. Der Mann war jung. Er hinkte stark und schien betrunken zu sein. Sie hörte ihn verdrossen fluchen. Wer einen Menschen hinrichtete, fi el so tief, wie ein Christ nur fallen konnte. Er wurde ehrlos und durfte kein Handwerk mehr ausüben und nicht einmal bei anständigen Männern in der Schenke am selben Tisch sitzen. Vielleicht bekümmerte den Burschen das. Aber vielleicht wurmte ihn auch nur das harte Stück Arbeit, das ihm bevorstand. Es würde Kraft kosten, dem Blonden den Kopf vom kräftigen Hals zu schlagen, und wenn es nicht auf Anhieb gelang, vielleicht nicht einmal beim dritten oder vierten Hieb, richtete sich der Zorn der Menge oft gegen den Henker selbst. Aber hier nicht, dachte Sophie. Dafür hatten die Burgmannen zu viel Angst vor ihrem Herrn. Und Marsilius würde es vielleicht sogar gefallen, wenn die ersten Hiebe nicht gar zu genau saßen.
Die graue Küchenkatze kam über den Hof gelaufen und strich dem Verurteilten um die Beine. Die Berührung reichte aus, ihn ins Stolpern zu bringen. Er stürzte auf die Knie, und während der Henker ihn auf die Beine zurückzerrte, erblickte er die beiden leeren Stühle, die Marsilius neben dem Brunnen hatte aufstellen lassen. »Holt euren Herrn aus dem Bett seiner Hure. Sagt ihm, gefrorenes Fleisch zerlegt sich schlecht!« Seine Stimme klang wie zerbrochen, aber der Blick war voll wilden Hochmuts. Erst Augenblicke später bemerkte Sophie, dass die Leute verstohlen zu ihr hinüberblickten. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Die Hure, natürlich. Der Verurteilte spielte auf Edith an. Nicht, dass er ein Geheimnis verriet. Marsilius gab sich keine Mühe zu verbergen, mit wem er seine Nächte teilte. Aber der Gefesselte war der Erste, der den Namen in ihrer Gegenwart aussprach, und einen Moment lang hasste sie ihn für die Demütigung.
Dirk Wolpmann, der Burgvogt, verschaffte sich Platz und schlug den Kerl zu Boden, wie es einem treuen Gefolgsmann zukam, dessen Herr beleidigt wurde. »Scheißer!«, brüllte der Henker und zerrte ihn wieder auf die Füße.
Der Delinquent hieß Marx, fiel Sophie plötzlich ein. Marsilius hatte seinen Namen durch den Palas gerufen, als er am vergangenen Abend betrunken aus dem Südturm zurückgekommen war, wo er ihn eigenhändig gefoltert hatte. Die Hände und der wollene Rock ihres Ehemanns waren mit Blut besudelt gewesen, und er hatte gelacht, als hätte er den Verstand verloren. »Der Dickschädel! Er will den Mord nicht gestehen«, hatte er gejohlt, während er die Hände am Rock der alten Märthe abwischte. »Aber ich komme wieder, Marx von Mengersen. Irgendwann wird deine Zunge sich lösen.«
Dass er persönlich die Folterinstrumente in die Hand genommen hatte, sorgte in der Burg für Erstaunen. Auch diese schmutzige Arbeit überließ man normalerweise ehrlosen Leuten. Aber Marsilius war mit dem Opfer entfernt verwandt gewesen, und damit erklärten sie sich seine Wut. Im Übrigen war den Leuten egal, was Marsilius mit dem Gefangenen anstellte. Der Kerl verdiente kein Mitgefühl. Er hatte einen jungen Mann ermordet, seinen eigenen Herrn, um an dessen Geldbörse zu gelangen. Glücklicherweise hatte der Müller von der Bannmühle in Manscheid die Untat beobachtet. Er war zur Wildenburg geeilt, und Marsilius und Dirk hatten den Mörder gestellt und zur Burg hinaufgeschafft.
Man hatte den toten Jüngling in der kleinen Kapelle im Obergeschoss des Wohntrakts aufgebahrt, und Sophie wusste, dass Marsilius Marx an seinen Sarg gezerrt hatte, in der Hoffnung, er würde, mit dem Leichnam konfrontiert, zu seiner Tat aussagen. Aber Marx hatte sich unter gotteslästerlichen Flüchen geweigert. Natürlich half ihm das nicht, weil es ja Zeugen gab. Es war gerecht, dass er starb. Nur wollte sie es nicht mit ansehen müssen.
Der Verurteilte hatte den Podest erreicht. Er blieb davor stehen und hob das Gesicht zur Sonne. Sein Haar glänzte, sogar die bräunlichen Stellen, in denen es mit Blut verklebt war. Wieder kroch Sophie der Mageninhalt die Speiseröhre hinauf, und plötzlich war ihr gleich, was das Gesinde dachte oder Marsilius mit ihr anstellen würde. Der Drang zu fl üchten wurde übermächtig. Sie rannte mit geschürztem Rock aus dem Burghof, taumelte an der Remise und dem geweißten Treppenturm vorbei und lief über die Brücke, die die Hauptburg von der Vorburg trennte.
Aber sie hatte ihren Entschluss zu spät gefasst. Als sie die Pferdetreppe erreichte, die zur unteren Brücke hinabführte, tauchte plötzlich ihr Ehemann auf. Marsilius ritt auf dem Schimmel des Fremden, einem temperamentvollen Schlachtross, unter dessen schneeweißem Fell die Muskeln spielten. Das also hatte ihn aufgehalten. Er war ein Pferdenarr und hatte den sonnigen Wintermorgen für einen Ausritt genutzt.
Und offenbar nicht allein. Ihm folgte, ein wenig langsamer, die Hure, auf die der Mörder im Hof angespielt hatte. Es versetzte Sophie einen Stich zu sehen, wie elegant Edith im Sattel saß. Sophie war selbst eine gute Reiterin. Dass Edith ihr auf ihrem ureigensten Territorium Konkurrenz machte, verletzte sie fast noch mehr als die Dreistigkeit, mit der sie ihr den Gatten stahl.
»Was treibst du hier?«, hallte Marsilius' Stimme über den Weg. Er hatte getrunken. Nicht so viel, dass er lallte oder sich unsicher bewegte, aber er sprach langsamer als gewöhnlich. In seinem jungen Gesicht mit dem Schnauzbart - er war nur wenige Jahre älter als Sophie - löste Ungeduld seinen Übermut ab. Sie sah ihm an, dass er den Ausritt genossen hatte und wie sehr es ihn anödete, jetzt auf seine frischgebackene Ehefrau zu treffen. Gereizt hob er die Gerte.
Sophie wich gegen die Mauer zurück. Sie hasste sich für ihre Unterwürfigkeit, besonders als sie sah, wie Ediths schönes, weißes Gesicht sich höhnisch verzog. Die Frau war wenigstens zehn Jahre älter als Marsilius. Und trotzdem war es ihr gelungen, sein Herz zu erobern. Gut, gar so rätselhaft war das nicht. Ihre Haare fluteten wie flüssiger Weizen unter dem Federhut hervor. Ihr Busen wölbte sich schneeweiß aus dem Mieder. Ihre Lippen glänzten. Auf Sophie wirkte sie wie eine Amazone. Kühn und dabei trotzdem weiblich. Kein Wunder, dass Marsilius sie ihr selbst, die nur wenig Busen, schmale Hüften und ein Allerweltsgesicht besaß, vorzog.
»Marsch, in den Hof zurück«, schnauzte Marsilius und trieb sein Pferd auch schon selbst um die Hausecke. Edith folgte ihm mit einem letzten spöttischen Blick auf das Mädchen, das sich eingebildet hatte, ihr den Platz nehmen zu können, den sie bereits seit Jahren innehatte. Wen würde er wohl gleich an seine Seite bitten, wenn es darum ging, über die Hinrichtung zu präsidieren? Die Hure oder die Ehefrau? Edith natürlich, dachte Sophie niedergeschlagen.
Sie hörte Marsilius' Stimme vom Hof. »Hoch aufs Podest mit dem Dreckskerl!« Unter dem Gesinde machte sich eine aufgeräumte Stimmung breit. »Nicht gar zu schnell, das hat er nicht verdient«, stachelten sie den Henker an. »Hackt ihm zuerst die Hand ab, mit der er den Jungen erstochen hat! Auge um Auge, Hand um Hand!«, forderte eine Stimme, vielleicht die von Theiß, dem Koch, oder von Jössele, der zur Wachmannschaft gehört. In Sophies Magen begann es erneut zu rumoren. Sie rannte zum Tor und winkte dem Wächter, der es gerade wieder schließen wollte. Aber er schien sie misszuverstehen, denn er ließ den Riegel fahren und kam ihr entgegen.
Aus dem Hof dröhnte Marsilius' Stimme. »Fang an und bettle um dein Leben, Marx von Mengersen!«
»Wenn du deine Hure küsst, soll sie an der Scheiße ersticken, die aus deinem Mund kommt!«, brüllte der Verurteilte erstaunlich klar.
Sophie wusste nicht, was danach geschah, sie hörte nur einen entsetzlichen Schrei - und dann gar nichts mehr. Entsetzt lief sie weiter. Vierundzwanzig breite Pferdestufen führten zum unteren Tor. Auf halbem Weg, dort wo es links zur Schmiede und zum Brandweiher ging, traf sie mit dem Wächter zusammen. Er blickte sie fragend an. Sie wies zum Hof hinauf. Marsilius wird mich prügeln, dachte sie, aber was tat's. Nur weiter, hinaus ins Freie.
Als sie das äußere Tor fast erreicht hatte, gellte ein vielstimmiger Schrei in ihrem Rücken. Das Schwert des Henkers hatte zugeschlagen. Der Mörder war also tot. Klopfenden Herzens stützte Sophie sich an der Mauer ab. Das Blut dröhnte in ihren Ohren. Durch den Torspalt sah sie die Häuser, die zur Burgfreiheit gehörten und die wegen des Spektakels der Hinrichtung verwaist waren, und dahinter die schneebedeckten sanften Berge der Eifel mit den schwarzen Bäumen, den Feldern und den kleinen Dörfern, die sich in die Täler schmiegten. Alles sah so friedlich aus. Die Sonne ließ den Schnee bis zum Horizont glitzern.
Und wenn sie nun hinausliefe? Und sich zumindest ein paar Stunden Aufschub gönnte? Ihr wurde kalt, als sie an Marsilius dachte.
In diesem Moment vernahm sie Getrappel hinter sich. Schleppend drehte sie sich um. Und hörte auf zu atmen. Es war unmöglich, was sie sah. Es musste eine Einbildung sein. Der Schimmel, das Schlachtross des Fremden, galoppierte den Weg hinab, auf seinem Rücken hing der Mörder. Sophie starrte wie hypnotisiert auf die Gestalt, die sich mit auf den Rücken gefesselten Händen über den gestreckten Hals des weißen Tieres beugte, ums Gleichgewicht rang und jeden Moment zu stürzen drohte.
Und plötzlich war es, als würde alles langsamer. Der Blonde hob den Kopf. Er bemerkte das Tor, er registrierte, dass seine Flucht zu Ende war. Sophie sah das Erkennen und die Enttäuschung in seinem schmerzverzerrten Gesicht. Sie meinte, auch etwas wie Furcht aufblitzen zu sehen, aber da war sie sich nicht sicher.
Dann drehte sich das Tor in den Angeln. Sie selbst musste es sein, die die schweren Bohlen beiseitedrückte, um den Spalt zu erweitern. Warum tue ich das?, dachte sie entsetzt, aber gleichzeitig spürte sie einen wilden Funken Triumph.
Der Mörder donnerte heran. Der Atem des Schimmels streifte Sophies Hals. Der Flüchtling war so frech, die Lippen zu einem Kuss zu formen, als er an ihr vorüber stob. Und schon war er draußen. Die Hufe hämmerten über die Brücke, der Schimmel galoppierte durch die Vorburg der Freiheit entgegen.
Benommen schaute Sophie die Pferdetreppe hinauf. Das Gesinde, das eben noch im Hof gestanden hatte, rannte auf sie zu, allen voran Dirk, und als Nächste merkwürdigerweise Edith. Ich bin verloren, dachte sie. Marsilius prügelte das Gesinde bei jeder Gelegenheit, ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit oder sein eigenes Wohl, das ja von ihrer Arbeitskraft abhing, einfach weil er jähzornig war. Er würde auch seine Ehefrau nicht verschonen, die ihn im Angesicht des gesamten Hausstandes gedemütigt hatte. Er schlägt mich tot, dachte sie.
Im nächsten Moment sackte sie in sich zusammen. Über ihr stand die weiße Sonne und blendete sie.
Copyright © List TB (Verlag)
Der Morgen war sonnig. Von der Dachrinne des Palas tropften die Eiszapfen, und auf dem Wohnturm quietschte der Wettervogel. Unter dem Wehrgang, der sich vom Hexenturm um den Burghof zog, versuchten einige verwurmte Köter, ein ander einen Knochen abzujagen. Ein alter Mann, der als verrückt galt, pinkelte gegen die windschiefe Wand der Brennholzhütte. Mein Reich, dachte Sophie, und ihr strich eine Gänsehaut über den Rücken. Sie war siebzehn Jahre alt - und fühlte sich wie hundert.
Beklommen sah sie zu, wie der Verurteilte stehen blieb. Er hob das Gesicht zu dem Gerüst, das Marsilius im Schatten des Palas hatte errichten lassen. Auf dem Holzblock, auf den man gleich seinen Kopf drücken würde, lag eine Schicht fl auschiger Schneeflocken. Ein sanftes, kaltes Kissen. Neben dem Block stand der von Eisenringen umfasste alte Holzeimer, in den der Henker seinen Kopf werfen würde, nachdem er ihn triumphierend vor dem Publikum in die Höhe gehalten hatte. Hatte der Mann dieses Bild ebenfalls vor sich? Sophie sah, wie seine Lippen sich kräuselten.
Sie zuckte zusammen, als sich mit wildem Geschrei ein Krähenschwarm vom Dach des Palas hob. Es war, als wüssten die Vögel, dass ihnen eine Mahlzeit bevorstand. Ihr wurde übel. Nicht nur ein bisschen schwummrig, sondern richtig mit einem Würgen. Verkrampft atmete sie in den Bauch hinein. Himmel, das fehlte noch, dass sie sich vor dem versammelten Gesinde übergab! Sie war seit drei Wochen Herrin der Burg, aber niemand gehorchte ihr, und ihr Mann platzte vor Ungeduld, weil sie nichts richtig machte. Sie musste sich zusammenreißen. Marsilius hatte befohlen, dass jeder Burgbewohner bei der Hinrichtung anwesend sein sollte, also würde sie es durchstehen.
Sie sah, wie der Henker dem Verurteilten einen Stoß in den Rücken versetzte. Der Mann gab einen Schmerzenslaut von sich und murmelte, während er sich wieder in Bewegung setzte: »Wozu die Eile, Dreckskerl? Dein Herr ist noch nicht da. Soll er den besten Teil verpassen?« Obwohl er leise sprach, drangen die Worte über den Hof. Einige vom Gesinde lachten.
»Der kommt schon noch, halt uns nicht auf«, brummte der Henker. Es gab in der Wildenburger Herrschaft noch keinen Scharfrichter. Marsilius hatte einen der Söldner, die der Krieg vor sein Burgtor geschwemmt hatte, mit der Hinrichtung beauftragt. Der Mann war jung. Er hinkte stark und schien betrunken zu sein. Sie hörte ihn verdrossen fluchen. Wer einen Menschen hinrichtete, fi el so tief, wie ein Christ nur fallen konnte. Er wurde ehrlos und durfte kein Handwerk mehr ausüben und nicht einmal bei anständigen Männern in der Schenke am selben Tisch sitzen. Vielleicht bekümmerte den Burschen das. Aber vielleicht wurmte ihn auch nur das harte Stück Arbeit, das ihm bevorstand. Es würde Kraft kosten, dem Blonden den Kopf vom kräftigen Hals zu schlagen, und wenn es nicht auf Anhieb gelang, vielleicht nicht einmal beim dritten oder vierten Hieb, richtete sich der Zorn der Menge oft gegen den Henker selbst. Aber hier nicht, dachte Sophie. Dafür hatten die Burgmannen zu viel Angst vor ihrem Herrn. Und Marsilius würde es vielleicht sogar gefallen, wenn die ersten Hiebe nicht gar zu genau saßen.
Die graue Küchenkatze kam über den Hof gelaufen und strich dem Verurteilten um die Beine. Die Berührung reichte aus, ihn ins Stolpern zu bringen. Er stürzte auf die Knie, und während der Henker ihn auf die Beine zurückzerrte, erblickte er die beiden leeren Stühle, die Marsilius neben dem Brunnen hatte aufstellen lassen. »Holt euren Herrn aus dem Bett seiner Hure. Sagt ihm, gefrorenes Fleisch zerlegt sich schlecht!« Seine Stimme klang wie zerbrochen, aber der Blick war voll wilden Hochmuts. Erst Augenblicke später bemerkte Sophie, dass die Leute verstohlen zu ihr hinüberblickten. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Die Hure, natürlich. Der Verurteilte spielte auf Edith an. Nicht, dass er ein Geheimnis verriet. Marsilius gab sich keine Mühe zu verbergen, mit wem er seine Nächte teilte. Aber der Gefesselte war der Erste, der den Namen in ihrer Gegenwart aussprach, und einen Moment lang hasste sie ihn für die Demütigung.
Dirk Wolpmann, der Burgvogt, verschaffte sich Platz und schlug den Kerl zu Boden, wie es einem treuen Gefolgsmann zukam, dessen Herr beleidigt wurde. »Scheißer!«, brüllte der Henker und zerrte ihn wieder auf die Füße.
Der Delinquent hieß Marx, fiel Sophie plötzlich ein. Marsilius hatte seinen Namen durch den Palas gerufen, als er am vergangenen Abend betrunken aus dem Südturm zurückgekommen war, wo er ihn eigenhändig gefoltert hatte. Die Hände und der wollene Rock ihres Ehemanns waren mit Blut besudelt gewesen, und er hatte gelacht, als hätte er den Verstand verloren. »Der Dickschädel! Er will den Mord nicht gestehen«, hatte er gejohlt, während er die Hände am Rock der alten Märthe abwischte. »Aber ich komme wieder, Marx von Mengersen. Irgendwann wird deine Zunge sich lösen.«
Dass er persönlich die Folterinstrumente in die Hand genommen hatte, sorgte in der Burg für Erstaunen. Auch diese schmutzige Arbeit überließ man normalerweise ehrlosen Leuten. Aber Marsilius war mit dem Opfer entfernt verwandt gewesen, und damit erklärten sie sich seine Wut. Im Übrigen war den Leuten egal, was Marsilius mit dem Gefangenen anstellte. Der Kerl verdiente kein Mitgefühl. Er hatte einen jungen Mann ermordet, seinen eigenen Herrn, um an dessen Geldbörse zu gelangen. Glücklicherweise hatte der Müller von der Bannmühle in Manscheid die Untat beobachtet. Er war zur Wildenburg geeilt, und Marsilius und Dirk hatten den Mörder gestellt und zur Burg hinaufgeschafft.
Man hatte den toten Jüngling in der kleinen Kapelle im Obergeschoss des Wohntrakts aufgebahrt, und Sophie wusste, dass Marsilius Marx an seinen Sarg gezerrt hatte, in der Hoffnung, er würde, mit dem Leichnam konfrontiert, zu seiner Tat aussagen. Aber Marx hatte sich unter gotteslästerlichen Flüchen geweigert. Natürlich half ihm das nicht, weil es ja Zeugen gab. Es war gerecht, dass er starb. Nur wollte sie es nicht mit ansehen müssen.
Der Verurteilte hatte den Podest erreicht. Er blieb davor stehen und hob das Gesicht zur Sonne. Sein Haar glänzte, sogar die bräunlichen Stellen, in denen es mit Blut verklebt war. Wieder kroch Sophie der Mageninhalt die Speiseröhre hinauf, und plötzlich war ihr gleich, was das Gesinde dachte oder Marsilius mit ihr anstellen würde. Der Drang zu fl üchten wurde übermächtig. Sie rannte mit geschürztem Rock aus dem Burghof, taumelte an der Remise und dem geweißten Treppenturm vorbei und lief über die Brücke, die die Hauptburg von der Vorburg trennte.
Aber sie hatte ihren Entschluss zu spät gefasst. Als sie die Pferdetreppe erreichte, die zur unteren Brücke hinabführte, tauchte plötzlich ihr Ehemann auf. Marsilius ritt auf dem Schimmel des Fremden, einem temperamentvollen Schlachtross, unter dessen schneeweißem Fell die Muskeln spielten. Das also hatte ihn aufgehalten. Er war ein Pferdenarr und hatte den sonnigen Wintermorgen für einen Ausritt genutzt.
Und offenbar nicht allein. Ihm folgte, ein wenig langsamer, die Hure, auf die der Mörder im Hof angespielt hatte. Es versetzte Sophie einen Stich zu sehen, wie elegant Edith im Sattel saß. Sophie war selbst eine gute Reiterin. Dass Edith ihr auf ihrem ureigensten Territorium Konkurrenz machte, verletzte sie fast noch mehr als die Dreistigkeit, mit der sie ihr den Gatten stahl.
»Was treibst du hier?«, hallte Marsilius' Stimme über den Weg. Er hatte getrunken. Nicht so viel, dass er lallte oder sich unsicher bewegte, aber er sprach langsamer als gewöhnlich. In seinem jungen Gesicht mit dem Schnauzbart - er war nur wenige Jahre älter als Sophie - löste Ungeduld seinen Übermut ab. Sie sah ihm an, dass er den Ausritt genossen hatte und wie sehr es ihn anödete, jetzt auf seine frischgebackene Ehefrau zu treffen. Gereizt hob er die Gerte.
Sophie wich gegen die Mauer zurück. Sie hasste sich für ihre Unterwürfigkeit, besonders als sie sah, wie Ediths schönes, weißes Gesicht sich höhnisch verzog. Die Frau war wenigstens zehn Jahre älter als Marsilius. Und trotzdem war es ihr gelungen, sein Herz zu erobern. Gut, gar so rätselhaft war das nicht. Ihre Haare fluteten wie flüssiger Weizen unter dem Federhut hervor. Ihr Busen wölbte sich schneeweiß aus dem Mieder. Ihre Lippen glänzten. Auf Sophie wirkte sie wie eine Amazone. Kühn und dabei trotzdem weiblich. Kein Wunder, dass Marsilius sie ihr selbst, die nur wenig Busen, schmale Hüften und ein Allerweltsgesicht besaß, vorzog.
»Marsch, in den Hof zurück«, schnauzte Marsilius und trieb sein Pferd auch schon selbst um die Hausecke. Edith folgte ihm mit einem letzten spöttischen Blick auf das Mädchen, das sich eingebildet hatte, ihr den Platz nehmen zu können, den sie bereits seit Jahren innehatte. Wen würde er wohl gleich an seine Seite bitten, wenn es darum ging, über die Hinrichtung zu präsidieren? Die Hure oder die Ehefrau? Edith natürlich, dachte Sophie niedergeschlagen.
Sie hörte Marsilius' Stimme vom Hof. »Hoch aufs Podest mit dem Dreckskerl!« Unter dem Gesinde machte sich eine aufgeräumte Stimmung breit. »Nicht gar zu schnell, das hat er nicht verdient«, stachelten sie den Henker an. »Hackt ihm zuerst die Hand ab, mit der er den Jungen erstochen hat! Auge um Auge, Hand um Hand!«, forderte eine Stimme, vielleicht die von Theiß, dem Koch, oder von Jössele, der zur Wachmannschaft gehört. In Sophies Magen begann es erneut zu rumoren. Sie rannte zum Tor und winkte dem Wächter, der es gerade wieder schließen wollte. Aber er schien sie misszuverstehen, denn er ließ den Riegel fahren und kam ihr entgegen.
Aus dem Hof dröhnte Marsilius' Stimme. »Fang an und bettle um dein Leben, Marx von Mengersen!«
»Wenn du deine Hure küsst, soll sie an der Scheiße ersticken, die aus deinem Mund kommt!«, brüllte der Verurteilte erstaunlich klar.
Sophie wusste nicht, was danach geschah, sie hörte nur einen entsetzlichen Schrei - und dann gar nichts mehr. Entsetzt lief sie weiter. Vierundzwanzig breite Pferdestufen führten zum unteren Tor. Auf halbem Weg, dort wo es links zur Schmiede und zum Brandweiher ging, traf sie mit dem Wächter zusammen. Er blickte sie fragend an. Sie wies zum Hof hinauf. Marsilius wird mich prügeln, dachte sie, aber was tat's. Nur weiter, hinaus ins Freie.
Als sie das äußere Tor fast erreicht hatte, gellte ein vielstimmiger Schrei in ihrem Rücken. Das Schwert des Henkers hatte zugeschlagen. Der Mörder war also tot. Klopfenden Herzens stützte Sophie sich an der Mauer ab. Das Blut dröhnte in ihren Ohren. Durch den Torspalt sah sie die Häuser, die zur Burgfreiheit gehörten und die wegen des Spektakels der Hinrichtung verwaist waren, und dahinter die schneebedeckten sanften Berge der Eifel mit den schwarzen Bäumen, den Feldern und den kleinen Dörfern, die sich in die Täler schmiegten. Alles sah so friedlich aus. Die Sonne ließ den Schnee bis zum Horizont glitzern.
Und wenn sie nun hinausliefe? Und sich zumindest ein paar Stunden Aufschub gönnte? Ihr wurde kalt, als sie an Marsilius dachte.
In diesem Moment vernahm sie Getrappel hinter sich. Schleppend drehte sie sich um. Und hörte auf zu atmen. Es war unmöglich, was sie sah. Es musste eine Einbildung sein. Der Schimmel, das Schlachtross des Fremden, galoppierte den Weg hinab, auf seinem Rücken hing der Mörder. Sophie starrte wie hypnotisiert auf die Gestalt, die sich mit auf den Rücken gefesselten Händen über den gestreckten Hals des weißen Tieres beugte, ums Gleichgewicht rang und jeden Moment zu stürzen drohte.
Und plötzlich war es, als würde alles langsamer. Der Blonde hob den Kopf. Er bemerkte das Tor, er registrierte, dass seine Flucht zu Ende war. Sophie sah das Erkennen und die Enttäuschung in seinem schmerzverzerrten Gesicht. Sie meinte, auch etwas wie Furcht aufblitzen zu sehen, aber da war sie sich nicht sicher.
Dann drehte sich das Tor in den Angeln. Sie selbst musste es sein, die die schweren Bohlen beiseitedrückte, um den Spalt zu erweitern. Warum tue ich das?, dachte sie entsetzt, aber gleichzeitig spürte sie einen wilden Funken Triumph.
Der Mörder donnerte heran. Der Atem des Schimmels streifte Sophies Hals. Der Flüchtling war so frech, die Lippen zu einem Kuss zu formen, als er an ihr vorüber stob. Und schon war er draußen. Die Hufe hämmerten über die Brücke, der Schimmel galoppierte durch die Vorburg der Freiheit entgegen.
Benommen schaute Sophie die Pferdetreppe hinauf. Das Gesinde, das eben noch im Hof gestanden hatte, rannte auf sie zu, allen voran Dirk, und als Nächste merkwürdigerweise Edith. Ich bin verloren, dachte sie. Marsilius prügelte das Gesinde bei jeder Gelegenheit, ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit oder sein eigenes Wohl, das ja von ihrer Arbeitskraft abhing, einfach weil er jähzornig war. Er würde auch seine Ehefrau nicht verschonen, die ihn im Angesicht des gesamten Hausstandes gedemütigt hatte. Er schlägt mich tot, dachte sie.
Im nächsten Moment sackte sie in sich zusammen. Über ihr stand die weiße Sonne und blendete sie.
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Autoren-Porträt von Helga Glaesener
Helga Glaesener wurde in Niedersachsen geboren und studierte in Hannover Mathematik. 1990 begann die Mutter von fünf Kindern mit dem Schreiben historischer Romane, von denen gleich das Debüt, Die Safranhändlerin, zum Besteller avancierte. Sie lebt in Oldenburg. Neben dem Schreiben bringt sie angehenden Autoren die Kniffe des Handwerks bei. Seit 2010 lebt sie in Oldenburg. Weitere Informationen unter www.helga-glaesener.de
Bibliographische Angaben
- Autor: Helga Glaesener
- 2014, 2. Aufl., 416 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548611907
- ISBN-13: 9783548611907
- Erscheinungsdatum: 07.01.2014
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