Die Inselärztin und das Glück / Hiddensee-Roman Bd.3
Ein Hiddensee-Roman
Viola ist glücklich: Ihr Beruf als Ärztin füllt sie aus und mit ihrer kleinen Tochter und Ehemann Florian hat sie die perfekte Familie. Sie freut sich auf den Urlaub, doch Florian muss überraschend nach Brasilien. Fast gleichzeitig kommt ein Brief aus Indien: Zwei Waisenkinder suchen ein Zuhause
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Produktinformationen zu „Die Inselärztin und das Glück / Hiddensee-Roman Bd.3 “
Viola ist glücklich: Ihr Beruf als Ärztin füllt sie aus und mit ihrer kleinen Tochter und Ehemann Florian hat sie die perfekte Familie. Sie freut sich auf den Urlaub, doch Florian muss überraschend nach Brasilien. Fast gleichzeitig kommt ein Brief aus Indien: Zwei Waisenkinder suchen ein Zuhause
Klappentext zu „Die Inselärztin und das Glück / Hiddensee-Roman Bd.3 “
Viola Herz, Inselärztin auf Hiddensee, ist glücklich: Sie hat eine kleine Tochter bekommen. Viola freut sich auf die Taufe und den langersehnten Familienurlaub. Doch dann muss ihr Mann, der Biologe Florian, überraschend ins Amazonasgebiet fliegen. Gleichzeitig kommt ein Brief aus Indien: Zwei Waisenkinder suchen ein neues Zuhause. Viola macht sich auf eine schicksalhafte Reise ...Lese-Probe zu „Die Inselärztin und das Glück / Hiddensee-Roman Bd.3 “
Die Inselärztin und das Glück von Carin Winter1
»Josefine Herz, ich taufe dich auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.«
Pastor Busche benetzte die Stirn der sechs Monate alten Josefine Herz mit dem kühlen Taufwasser, und sie verzog unwillig den Mund. Aber dann blickte sie ihren Vater Florian an, der dieselben braunen Augen hatte wie sie, und sie gluckste leise. Auch die dichten dunklen Haare hatte sie von ihrem Papa. Heute waren seine Locken ordentlich mit einem roten Band zurückgebunden, wie es sich für einen solch feierlichen Anlass gehörte.
Neben Florian stand seine Frau Viola, Ärztin auf Hiddensee, die für die tausend Einwohner der Insel verantwortlich war und im Sommer noch zusätzlich für unzählige Urlauber. Ein Sonnenstrahl fiel durch ein Kirchenfenster auf ihr kastanienbraunes Haar, das so kraus wie die Wellen bei einer Brise aus Nord war, behauptete Florian immer.
Sie blickte zum Taufengel hoch, der von einer hellblauen, mit Hunderten von roten Rosen bemalten Kirchendecke herabhing, und freute sich, dass dieser Tag mit den Freunden und Verwandten heute Morgen genau so begonnen hatte, wie sie es sich gewünscht hatte: sonnig, warm und windstill. Die Mitarbeiter der Wetterstation hatten ihr versprochen, dass dies auch bis zum Abend so bleiben würde.
... mehr
Josefine, genannt Finchen, war auf dem Arm von Florian eingeschlafen, als der Schlusschoral der Tauffeier angestimmt wurde. Es war angenehm kühl in der Kirche. Viola liebte diesen hellen, in Blau und Weiß gehaltenen Raum. Sie schaute sich vorsichtig um. Die Kirche war an diesem Sonntagvormittag Ende August voll besetzt, und fast alle hier Anwesenden kannte sie. Das war auch kein Wunder, denn die meisten hatte sie irgendwann einmal in den dreieinhalb Jahren, in denen sie schon auf der Insel war, in ihrer Praxis behandelt.
Da saß Doris, Krankenschwester und ihre ehemalige Sprechstundenhilfe und inzwischen beste Freundin, mit ihrem Sohn Philipp, der ebenfalls heute getauft worden war. Er war ein ruhiges Kind. Das energische Finchen wird ihn sicher eines Tages ganz schön herumkommandieren, dachte Viola im Stillen. Beide Kinder sahen sich täglich, wenn Viola in der Praxis zu tun hatte und ihre Tochter bei Doris ablieferte.
Die ältere grauhaarige Frau mit den vielen Lachfältchen um die Augen und dem warmen Blick hieß Ottilie und betrieb in Vitte eine kleine gemütliche Kneipe. Dort waren schon viele Diskussionen über Gott und die Welt geführt worden. Und zu ihr konnte man immer mit allen Problemen kommen. Sie schenkte einem dann einen golden leuchtenden Sanddornlikör ein und hörte geduldig zu. Beides hatte sich stets als hilfreich erwiesen.
Lisa, Generation fünfzig plus, warf gerade Jan, ihrem Mann, einen hinweisenden Blick zu, weil er versäumt hatte, das Gesangbuch aufzuschlagen. Von Anfang an war sie im Vorzimmer bei Viola unentbehrlich gewesen. Sie war laut, gutmütig und allwissend, was die Inselbewohner betraf. Bei Violas Vorgänger Dr. Roth hatte sie viele Jahre mitgearbeitet. Und nie zögerte sie, ihre Erfahrung mit den Patienten an Viola weiterzugeben, auch ohne ausdrückliche Nachfrage der jungen Ärztin.
Bürgermeister Lükke saß mit seiner schicken Frau auf seinem Stammplatz und neben ihm Henning, der neue Lehrer, mit dem Florian oft am Wochenende zusammensteckte. Er hatte die Augen geschlossen. Schlief er, oder dachte er über ein neues Gedicht nach? Er hatte nämlich einen Hang zur Lyrik.
Und dann waren natürlich auch Florians und Violas Eltern gekommen und ein Teil der Geschwister mit den Kindern. Du lieber Himmel, wenn man alle zusammenzählte, war das ja eine richtige Großfamilie.
Nur einer fehlt, dachte Viola. Ihr Bruder Dirk, der Künstler und Vater von Philipp. Er war im letzten Sommer zum Malen auf die Insel gekommen. Und die ruhige und bisher immer vernünftige Doris hatte sich heftig in ihn verliebt. Dirk war kein schlechter Mensch, aber auch kein Mann, der sein Leben in einem Eigenheim verbringen wollte. Im Moment war er auf den Cook-Inseln, um dort Inspirationen für neue, farbgewaltige Bilder zu suchen, mit denen er inzwischen in der Kunstszene gut bekannt war.
Seinen Sohn hatte er einige Male besucht. Und jedes Mal hatte er Doris überreden wollen, mit ihm in die weite Welt zu reisen. Aber sie war ein Inselkind, wie sie immer wieder beteuerte. Und was sollte sie mit einem kleinen Kind in dauernd wechselnder Umgebung? Sie war hier geboren und liebte die Insel, und Philipp sollte genauso wie sie mit Meer, Sand und Wind aufwachsen.
Viola sah zu ihr hinüber und begegnete ihrem offenen Blick. Sie lächelten sich zu. Beide waren ziemlich schnell richtig gute Freundinnen geworden. Für sie war es etwas Neues und Wunderbares, weil sie bisher nie eine beste Freundin gehabt hatte. Und diese Freundschaft hatte sich durch die beiden fast gleichaltrigen Kinder noch vertieft. Im Frühling und in den vergangenen Sommerwochen hatten sie ihre Kinderwagen zusammen über die Insel geschoben, so oft es ging. Hoch zum Dornbusch und oben durch den Kiefernwald oder runter bis zum Naturschutzgebiet Gellen waren sie gegangen. Und immer in dieser klaren frischen Meeresluft, die Viola nicht mehr missen wollte.
Und oft hatte Doris beide Kinder auch am Wochenende einige Stunden betreut, während Viola mit Florian zum alten und neuen Bessin, dem Vogelschutzgebiet im Norden, geradelt war. Dort war eine wilde Landschaft aus hohem hartem Gras, Heckenrosen, Sanddorn und vielen anderen Büschen entstanden. Unzählige Vögel machten dort Rast auf ihren Reisen in den Norden oder Süden. Florian kannte sie alle und wäre manchmal am liebsten ein Kormoran oder ein Kranich gewesen.
2
Violas Gedanken kehrten wieder zurück in die Kirche. Sie nahm Florian Finchen aus dem Arm, um ihr einen kleinen Sonnenhut aufzusetzen. Die Schlussakkorde auf der Orgel erklangen, und die Kirchentüren wurden geöffnet.
Die helle Sonne empfing die ganze Gesellschaft, als sie nach draußen traten. Der wunderschöne Augustsommertag breitete sich über die ganze Insel und weit übers Meer aus.
»Dän'n Kalänner moag'n dei Lüü, öwer dat Wärer moagtt dei leiwe Gott«, sagte Ottilie mit einem Augenzwinkern zu Viola, »und anscheinend ist der leiwe Gott heute ganz zufrieden mit der Taufgesellschaft. Nach so viel Kälte und Regen in diesem Sommer. So was hab ich kaum einmal auf dieser Insel erlebt. Und ich lebe schon neunundfünfzig Jahre hier.«
»Ja«, stimmte Viola ihr zu und krauste die Nase. »Und mich hat vor allem der Gedanke hierhergelockt, dass es auf Hiddensee die meisten Sonnenstunden des Jahres in ganz Deutschland gibt. Na, immerhin hatte ich bisher drei wunderschöne Sommer, was das Wetter angeht. Und mir ist ein verregneter Sommer, in dem es keine Aufregung bei Florian und mir gibt, allemal lieber als ein Bilderbuchwetter wie letztes Jahr, als Florian seinen schweren Unfall hatte.«
»Und er ist wieder vollkommen gesund«, warf seine Mutter Margarete ein, die den Kinderwagen mit Finchen schob und glücklich ihren Sohn anblickte. Margarete, klein und rundlich, war immer da, wenn es galt zu helfen. Sie hatte sich mehrere Wochen lang um Viola und den Haushalt gekümmert, als Florian im Krankenhaus lag. Viola war ihr dafür zutiefst dankbar gewesen. So hatte sie stundenlang an seinem Bett sitzen und bei ihm sein können, als er wieder aus seiner langen Bewusstlosigkeit aufgewacht war. Ihre Kollegin Anita Taylor hatte die Sprechstunden und dringende Hausbesuche übernommen. Auch das war eine große Hilfe gewesen.
Das ist das berühmte soziale Netz, dachte sie, das hier auf der Insel genauso gut funktioniert wie bei einer großen Familie, die zusammenhält. Die tausend Einwohner der Insel konnte man fast als Familie bezeichnen. Die meisten kannten sich, und wenn Not am Mann war, dann gab es immer Hilfe.
Sie sah Florian vor sich über den Sandweg durch Kloster gehen, unter den riesigen schattenspendenden Bäumen, die hier die gepflegten Häuser überragten. Nirgend wo auf der Insel gab es so viele uralte Linden, Weiden, Kastanien und Erlen wie in Kloster, dem kulturellen Zentrum von Hiddensee. Florian sprach eifrig mit seinem Vater Paolo. Von hinten sahen sich beide so ähnlich mit den schwarzen Locken und der Art, sich unbekümmert und lebhaft zu bewegen, dass niemand an ihrem Vater-Sohn-Status zweifeln konnte.
»Wir gehen über den Dünenweg«, rief sie ihnen zu.
Beide drehten sich um, nickten und winkten lachend zurück.
Der Dünenweg führte nach Vitte, wo Viola und Flo seit eineinhalb Jahren in einem kleinen reetgedeckten Häuschen wohnten. Der Weg verlief oberhalb vom Weststrand von Nord nach Süd, auf dem Kamm des Dünenwalls, eingebettet in hohe Sanddornhecken und blühende Rosenbüsche. Man konnte rechts den Strand und dann das Meer bis zum Horizont sehen, links weite Wiesen, die bis zum Damm auf der Ostseite reichten. Dahinter schimmerte das Wasser vom Bodden. Und nicht weit entfernt auf seiner anderen Seite befand sich die flache Küste von Rügen.
Man ging auf diesem Weg sozusagen am Nacken des Seepferdchens - die Kontur der Insel ähnelte diesem possierlichen Tierchen - entlang und war in einer halben Stunde in Vitte, dem größten Ort der Insel mit sechshundert Einwohnern. Hier hatte Viola auch ihre Arztpraxis.
Viola liebte den Weg. Als sie stehen blieb und sich umsah, einen sanften Südwind auf der Haut spürte und den Duft der Rosen in der Nase, da war ihr wieder klar, dass es keinen anderen Ort auf der Welt gab, an dem sie sich so wohl fühlte.
Natürlich bekam sie auch ab und zu den »Inselkoller«, wenn in der Hochsaison die Urlauber über die gepfl asterten Wege strömten oder mit den Fahrrädern nach Neuendorf strampelten oder zum Leuchtturm. Dann wünschte sie sich weit weg, auf die Malediven zum Beispiel, an eine einsame Bucht mit Palmen. Auch im Winter gab es Zeiten, in denen sie unleidlich wurde: Der Ostwind pfiff, so dass an einen langen Spaziergang nicht zu denken war. In der Arztpraxis war nicht viel zu tun, und Florian sah auf Rügen im Naturpark nach dem Rechten oder saß in seiner Zentrale am Computer und kam erst abends nach Hause.
Aber nun war ja Finchen da, lachte, weinte, fing an, von der Decke auf dem Boden herunterzurollen, und hielt Viola auf Trab.
Der nächste Winter konnte getrost kommen, und vielleicht klappte es ja doch noch einmal mit den Malediven.
© Ullstein TB Verlag
Josefine, genannt Finchen, war auf dem Arm von Florian eingeschlafen, als der Schlusschoral der Tauffeier angestimmt wurde. Es war angenehm kühl in der Kirche. Viola liebte diesen hellen, in Blau und Weiß gehaltenen Raum. Sie schaute sich vorsichtig um. Die Kirche war an diesem Sonntagvormittag Ende August voll besetzt, und fast alle hier Anwesenden kannte sie. Das war auch kein Wunder, denn die meisten hatte sie irgendwann einmal in den dreieinhalb Jahren, in denen sie schon auf der Insel war, in ihrer Praxis behandelt.
Da saß Doris, Krankenschwester und ihre ehemalige Sprechstundenhilfe und inzwischen beste Freundin, mit ihrem Sohn Philipp, der ebenfalls heute getauft worden war. Er war ein ruhiges Kind. Das energische Finchen wird ihn sicher eines Tages ganz schön herumkommandieren, dachte Viola im Stillen. Beide Kinder sahen sich täglich, wenn Viola in der Praxis zu tun hatte und ihre Tochter bei Doris ablieferte.
Die ältere grauhaarige Frau mit den vielen Lachfältchen um die Augen und dem warmen Blick hieß Ottilie und betrieb in Vitte eine kleine gemütliche Kneipe. Dort waren schon viele Diskussionen über Gott und die Welt geführt worden. Und zu ihr konnte man immer mit allen Problemen kommen. Sie schenkte einem dann einen golden leuchtenden Sanddornlikör ein und hörte geduldig zu. Beides hatte sich stets als hilfreich erwiesen.
Lisa, Generation fünfzig plus, warf gerade Jan, ihrem Mann, einen hinweisenden Blick zu, weil er versäumt hatte, das Gesangbuch aufzuschlagen. Von Anfang an war sie im Vorzimmer bei Viola unentbehrlich gewesen. Sie war laut, gutmütig und allwissend, was die Inselbewohner betraf. Bei Violas Vorgänger Dr. Roth hatte sie viele Jahre mitgearbeitet. Und nie zögerte sie, ihre Erfahrung mit den Patienten an Viola weiterzugeben, auch ohne ausdrückliche Nachfrage der jungen Ärztin.
Bürgermeister Lükke saß mit seiner schicken Frau auf seinem Stammplatz und neben ihm Henning, der neue Lehrer, mit dem Florian oft am Wochenende zusammensteckte. Er hatte die Augen geschlossen. Schlief er, oder dachte er über ein neues Gedicht nach? Er hatte nämlich einen Hang zur Lyrik.
Und dann waren natürlich auch Florians und Violas Eltern gekommen und ein Teil der Geschwister mit den Kindern. Du lieber Himmel, wenn man alle zusammenzählte, war das ja eine richtige Großfamilie.
Nur einer fehlt, dachte Viola. Ihr Bruder Dirk, der Künstler und Vater von Philipp. Er war im letzten Sommer zum Malen auf die Insel gekommen. Und die ruhige und bisher immer vernünftige Doris hatte sich heftig in ihn verliebt. Dirk war kein schlechter Mensch, aber auch kein Mann, der sein Leben in einem Eigenheim verbringen wollte. Im Moment war er auf den Cook-Inseln, um dort Inspirationen für neue, farbgewaltige Bilder zu suchen, mit denen er inzwischen in der Kunstszene gut bekannt war.
Seinen Sohn hatte er einige Male besucht. Und jedes Mal hatte er Doris überreden wollen, mit ihm in die weite Welt zu reisen. Aber sie war ein Inselkind, wie sie immer wieder beteuerte. Und was sollte sie mit einem kleinen Kind in dauernd wechselnder Umgebung? Sie war hier geboren und liebte die Insel, und Philipp sollte genauso wie sie mit Meer, Sand und Wind aufwachsen.
Viola sah zu ihr hinüber und begegnete ihrem offenen Blick. Sie lächelten sich zu. Beide waren ziemlich schnell richtig gute Freundinnen geworden. Für sie war es etwas Neues und Wunderbares, weil sie bisher nie eine beste Freundin gehabt hatte. Und diese Freundschaft hatte sich durch die beiden fast gleichaltrigen Kinder noch vertieft. Im Frühling und in den vergangenen Sommerwochen hatten sie ihre Kinderwagen zusammen über die Insel geschoben, so oft es ging. Hoch zum Dornbusch und oben durch den Kiefernwald oder runter bis zum Naturschutzgebiet Gellen waren sie gegangen. Und immer in dieser klaren frischen Meeresluft, die Viola nicht mehr missen wollte.
Und oft hatte Doris beide Kinder auch am Wochenende einige Stunden betreut, während Viola mit Florian zum alten und neuen Bessin, dem Vogelschutzgebiet im Norden, geradelt war. Dort war eine wilde Landschaft aus hohem hartem Gras, Heckenrosen, Sanddorn und vielen anderen Büschen entstanden. Unzählige Vögel machten dort Rast auf ihren Reisen in den Norden oder Süden. Florian kannte sie alle und wäre manchmal am liebsten ein Kormoran oder ein Kranich gewesen.
2
Violas Gedanken kehrten wieder zurück in die Kirche. Sie nahm Florian Finchen aus dem Arm, um ihr einen kleinen Sonnenhut aufzusetzen. Die Schlussakkorde auf der Orgel erklangen, und die Kirchentüren wurden geöffnet.
Die helle Sonne empfing die ganze Gesellschaft, als sie nach draußen traten. Der wunderschöne Augustsommertag breitete sich über die ganze Insel und weit übers Meer aus.
»Dän'n Kalänner moag'n dei Lüü, öwer dat Wärer moagtt dei leiwe Gott«, sagte Ottilie mit einem Augenzwinkern zu Viola, »und anscheinend ist der leiwe Gott heute ganz zufrieden mit der Taufgesellschaft. Nach so viel Kälte und Regen in diesem Sommer. So was hab ich kaum einmal auf dieser Insel erlebt. Und ich lebe schon neunundfünfzig Jahre hier.«
»Ja«, stimmte Viola ihr zu und krauste die Nase. »Und mich hat vor allem der Gedanke hierhergelockt, dass es auf Hiddensee die meisten Sonnenstunden des Jahres in ganz Deutschland gibt. Na, immerhin hatte ich bisher drei wunderschöne Sommer, was das Wetter angeht. Und mir ist ein verregneter Sommer, in dem es keine Aufregung bei Florian und mir gibt, allemal lieber als ein Bilderbuchwetter wie letztes Jahr, als Florian seinen schweren Unfall hatte.«
»Und er ist wieder vollkommen gesund«, warf seine Mutter Margarete ein, die den Kinderwagen mit Finchen schob und glücklich ihren Sohn anblickte. Margarete, klein und rundlich, war immer da, wenn es galt zu helfen. Sie hatte sich mehrere Wochen lang um Viola und den Haushalt gekümmert, als Florian im Krankenhaus lag. Viola war ihr dafür zutiefst dankbar gewesen. So hatte sie stundenlang an seinem Bett sitzen und bei ihm sein können, als er wieder aus seiner langen Bewusstlosigkeit aufgewacht war. Ihre Kollegin Anita Taylor hatte die Sprechstunden und dringende Hausbesuche übernommen. Auch das war eine große Hilfe gewesen.
Das ist das berühmte soziale Netz, dachte sie, das hier auf der Insel genauso gut funktioniert wie bei einer großen Familie, die zusammenhält. Die tausend Einwohner der Insel konnte man fast als Familie bezeichnen. Die meisten kannten sich, und wenn Not am Mann war, dann gab es immer Hilfe.
Sie sah Florian vor sich über den Sandweg durch Kloster gehen, unter den riesigen schattenspendenden Bäumen, die hier die gepflegten Häuser überragten. Nirgend wo auf der Insel gab es so viele uralte Linden, Weiden, Kastanien und Erlen wie in Kloster, dem kulturellen Zentrum von Hiddensee. Florian sprach eifrig mit seinem Vater Paolo. Von hinten sahen sich beide so ähnlich mit den schwarzen Locken und der Art, sich unbekümmert und lebhaft zu bewegen, dass niemand an ihrem Vater-Sohn-Status zweifeln konnte.
»Wir gehen über den Dünenweg«, rief sie ihnen zu.
Beide drehten sich um, nickten und winkten lachend zurück.
Der Dünenweg führte nach Vitte, wo Viola und Flo seit eineinhalb Jahren in einem kleinen reetgedeckten Häuschen wohnten. Der Weg verlief oberhalb vom Weststrand von Nord nach Süd, auf dem Kamm des Dünenwalls, eingebettet in hohe Sanddornhecken und blühende Rosenbüsche. Man konnte rechts den Strand und dann das Meer bis zum Horizont sehen, links weite Wiesen, die bis zum Damm auf der Ostseite reichten. Dahinter schimmerte das Wasser vom Bodden. Und nicht weit entfernt auf seiner anderen Seite befand sich die flache Küste von Rügen.
Man ging auf diesem Weg sozusagen am Nacken des Seepferdchens - die Kontur der Insel ähnelte diesem possierlichen Tierchen - entlang und war in einer halben Stunde in Vitte, dem größten Ort der Insel mit sechshundert Einwohnern. Hier hatte Viola auch ihre Arztpraxis.
Viola liebte den Weg. Als sie stehen blieb und sich umsah, einen sanften Südwind auf der Haut spürte und den Duft der Rosen in der Nase, da war ihr wieder klar, dass es keinen anderen Ort auf der Welt gab, an dem sie sich so wohl fühlte.
Natürlich bekam sie auch ab und zu den »Inselkoller«, wenn in der Hochsaison die Urlauber über die gepfl asterten Wege strömten oder mit den Fahrrädern nach Neuendorf strampelten oder zum Leuchtturm. Dann wünschte sie sich weit weg, auf die Malediven zum Beispiel, an eine einsame Bucht mit Palmen. Auch im Winter gab es Zeiten, in denen sie unleidlich wurde: Der Ostwind pfiff, so dass an einen langen Spaziergang nicht zu denken war. In der Arztpraxis war nicht viel zu tun, und Florian sah auf Rügen im Naturpark nach dem Rechten oder saß in seiner Zentrale am Computer und kam erst abends nach Hause.
Aber nun war ja Finchen da, lachte, weinte, fing an, von der Decke auf dem Boden herunterzurollen, und hielt Viola auf Trab.
Der nächste Winter konnte getrost kommen, und vielleicht klappte es ja doch noch einmal mit den Malediven.
© Ullstein TB Verlag
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Autoren-Porträt von Carin Winter
Carin Winter hat Medizin studiert und mehrere Jahre als Ärztin in einem Dorf gearbeitet; später entdeckte sie die Lust am Schreiben. Teile ihrer Familie stammen von Rügen, ein Großonkel war dort auch Arzt. Carin Winter lebt in Weil der Stadt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Carin Winter
- 2014, 4. Aufl., 368 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 354828289X
- ISBN-13: 9783548282893
- Erscheinungsdatum: 05.03.2014
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