Die Liebermann-Papiere / Ein Fall für Max Liebermann Bd.1
Wien, Anfang des 20. Jahrhunderts: Der Tod des jungen Mediums Charlotte Löwenstein gibt Rätsel auf. Es gibt keine Spuren von Gewalt, ein Abschiedsbrief...
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Wien, Anfang des 20. Jahrhunderts: Der Tod des jungen Mediums Charlotte Löwenstein gibt Rätsel auf. Es gibt keine Spuren von Gewalt, ein Abschiedsbrief deutet auf Selbstmord hin. Der Polizist Reinhardt glaubt weder daran noch an übersinnliche Kräfte und bittet den jungen Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann um Hilfe. Der ist bekannt für seinen kühlen Verstand. Und für seine unkonventionellen Methoden ...
Premiere eines ungewöhnlichen Detektivs: der Psychoanalytiker Max Liebermann auf der Suche nach dem Mörder.
Wien, Anfang des 20. Jahrhunderts: Der Tod des jungen Mediums Charlotte Löwenstein gibt Rätsel auf. Es gibt keine Spuren von Gewalt, ein Abschiedsbrief deutet auf Selbstmord hin. Der Polizist Reinhardt glaubt weder daran noch an übersinnliche Kräfte und bittet den jungen Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann um Hilfe. Der ist bekannt für seinen kühlen Verstand. Und für seine unkonventionellen Methoden ...
Premiere eines ungewöhnlichen Detektivs: der Psychoanalytiker Max Liebermann auf der Suche nach dem Mörder.
Die Liebermann-Papiere vonFrank Tallis
LESEPROBE
Der Gott der Unwetter
Es war der Tag desgroßen Unwetters. Ich erinnere mich noch gut, weil mein Vater - MendelLiebermann - vorgeschlagen hatte, im Hotel Imperial einen Kaffee zu trinken.Ich hegte den Verdacht, dass er etwas auf dem Herzen hatte|. . .
Einbedrohlicher schwarzer Wolkenberg türmte sich gleich einem Vulkanausbruch ausschwefligem Rauch und Asche hinter der Oper auf. Sein Umfang ließ auf denherannahenden Weltuntergang schließen, auf eine Katastrophe von pompejischem Ausmaß.In dem seltsam bernsteinfarbenen Licht wirkten die Gebäude gelbsüchtig. DieStatuen auf den Simsen des Opernhauses - Figuren der klassischen Mythologie -wirkten wie aus Schwefel gemacht. Ein Blitz ergoss sich über den Wolkenberg wiegeschmolzenes Eisen. Die Erde bebte, und die Luft geriet böig in Bewegung, abernoch immer regnete es nicht. Das kommende Unwetter schien sich aufzusparen und Kräftezu sammeln für einen apokalyptischen Wolkenbruch. Das Bimmeln derStraßenbahnglocke riss Liebermann aus seiner Versunkenheit und verscheuchte einpaar Fiaker von den Schienen. Als die Tram weiterrollte, sann Liebermanndarüber nach, weshalb ihn sein Vater wohl sehen wollte. Nicht dass solch eineVerabredung ungewöhnlich gewesen wäre, aber die Art, und Weise mit der dieEinladung ausgesprochen worden war, hatte ihn stutzig gemacht. Mendels Stimmehatte seltsam angespannt geklungen - dünn und unsicher. Seine Unbekümmertheit hatteaufgesetzt gewirkt und in Liebermann den Verdacht eines - möglicherweiseunbewussten - Hintergedankens hervorgerufen. Was mochte sein Vater auf demHerzen haben? Die Straßenbahn drosselte im starken Verkehr des Kärntner Ringsihr Tempo, und Liebermann sprang ab, bevor sie an der Haltestelle zum Stehenkam. Er schlug den Kragen seines Astrachanmantels gegenden Wind hoch und eilte auf das Imperial zu. Obwohl die Mittagszeit bereitsvorbei war, ging es im Café des Hotels immer noch recht lebhaft zu. Kellner mithoch erhobenen Serviertabletts schlängelten sich, einander ausweichend, zwischenden gut besetzten Tischen hindurch. Man unterhielt sich angeregt. Hinten imCafé spielte ein Klavierspieler eine Mazurka von Chopin. Liebermann putzteseine beschlagenen Brillengläser mit seinem Taschentuch und hängte seinenMantel an einen Kleiderständer. »Ich begrüße Sie, Herr Doktor.«Liebermann erkannte die Stimme und antwortete, ohne sich umzudrehen: »MeineVerehrung, Bruno. Wie stehts?« »Bestens, gnädigerHerr, bestens.« Als sich Liebermann umdrehte, fuhr der Kellner fort: »Wenn Siemir bitte folgen wollen. Ihr Vater ist bereits da.« Brunogeleitete Liebermann durch den belebten Saal zu einem Tisch, an dem, verborgenhinter den dicht bedruckten Seiten der Wiener Zeitung, Mendel saß. »HerrLiebermann?«, sagte Bruno. Mendel faltete seineZeitung zusammen. Er war untersetzt, trug einen imposanten Vollbart und hattebuschige Brauen. Sein finsterer Gesichtsausdruck wurde von zahlreichenLachfältchen gemildert. Der Kellner meinte: »Ihr Herr Sohn.«»Ah, Maxim!«, sagte der Alte. »Da bist du ja endlich!« Er klang leicht verärgert - als hätte man ihn wartenlassen. Nach kurzem Zögern erwiderte Liebermann: »Ich bin zu früh, Vater.« Mendel konsultierte seine Taschenuhr. »Tatsächlich. NimmPlatz, nimm Platz. Für mich bitte noch einen Pharisäer - und du|. .. Max?« »EinenSchwarzen bitte, Bruno.« Der Kellner deutete eineVerbeugung an und verschwand. »Und«, meinte Mendel, »wie gehts dir, mein Sohn?« »Ausgezeichnet, Vater.« »Duschaust ein wenig magerer aus als sonst.« »Wirklich?« »Ja,etwas mitgenommen.« »Das ist mir noch gar nichtaufgefallen.« »Isst du auch ordentlich?« Liebermann lachte: »Ja, ja, ich esssehr gut. Und wie gehts dir, Vater?« Mendel schnitteine Grimasse. »Na ja! Gute Tage und schlechte Tage, du weißt, wie das ist. Ichhab diesen Spezialisten konsultiert, den du mir empfohlen hast, Pintsch. Und vermutlich gehts jetzt auch etwas besser. Abermit meinem Rücken ist es fast wie vorher.« »Das tutmir Leid.« Mendel machte eine abwehrende Handbewegung.»Willst du was zu essen?« Mendel schob die Speisekarteüber den Tisch. »Du schaust so aus, als könntest du was vertragen. Ich glaube,ich nehme einen Topfenstrudel.« Liebermann studiertedas umfangreiche Angebot an Torten. Apfeltorte, Cremeschnitte, Trüffeltorte,Apfelstrudel. Die Liste umfasste mehrere Seiten. »Deine Mutter lässt grüßen«,sagte Mendel. »Sie würde gerne wissen, wann sie wieder einmal mit deinem Besuchrechnen darf.« Sein Gesichtsausdruck war gleichzeitigmitfühlend und vorwurfsvoll. »Tut mir Leid, Vater«, sagte Liebermann. »Ich warsehr beschäftigt. Zu viele Patienten|. . . Richte Mutter aus, dass ich versuchenwill, sie nächste Woche zu besuchen. Vielleicht Freitag?« »Dann musst du zumAbendessen kommen.« »Ja«, erwiderte Liebermann undhatte plötzlich das Gefühl, bereits mehr Verpflichtungen eingegangen zu sein,als ihm lieb war. Er betrachtete erneut die Speisekarte: Dobostorte,Gugelhupf, Linzertorte. Die Chopin-Mazurka endete mit einem lauten Mollakkord,und im Café wurde vereinzelt applaudiert. Ermutigt spielte der Pianist in denoberen Oktaven ein paar schnelle Akkorde, die er mit der Melodie einesbeliebten Walzers unterlegte. Eine Gruppe von Leuten, die in der Nähe des Fensterssaßen, begann anerkennend zu klatschen. Bruno kehrte mit den beiden Kaffeeszurück und stand dann mit Block und Bleistift bereit, die Bestellungentgegenzunehmen. »Einmal den Topfenstrudel«, sagte Mendel. »Den Rehrücken,bitte«, meinte Liebermann. Mendel rührte die Sahne in seinen Pharisäer, einenKaffee mit einem Schuss Rum, und begann sofort über das Kleiderunternehmen derFamilie zu sprechen. Das war inzwischen schon so etwas wie eine Tradition. DieGewinne waren gestiegen, und Mendel erwog, das Unternehmen zu vergrößern: eine weitereFabrik, vielleicht sogar ein Geschäft. Da die Bürokraten, die sich in alleseinmischten, das Verbot von Warenhäusern aufgehoben hatten, konnte er sich eineZukunft im Einzelhandel vorstellen - neue Möglichkeiten. Sein alter Freund Blomberghatte bereits ein erfolgreiches Warenhaus eröffnet und ihm vorgeschlagen, beiihm als Kompagnon einzusteigen. Mendels Gesichtsausdruck war die ganze Zeitgespannt. Aufmerksam betrachtete er die Reaktion seines Sohnes. Liebermann warklar, warum ihn sein Vater auf dem Laufenden hielt. Obwohl er stolz auf dieakademischen Errungenschaften seines Sohnes war, hoffte er immer noch, dass derjunge Max eines Tages in seine Fußstapfen treten würde. Mendel sprachlangsamer, als sein Blick auf die Hand seines Sohnes fiel. Die Finger schienender Melodie des Pianisten zu folgen und benutzten die Tischkante als Klaviatur.»Hörst du mir zu?«, fragte Mendel. »Ja. Natürlich hörich dir zu«, erwiderte Liebermann. Er war diese Frage gewohnt und ließ sichnicht mehr - wie früher - ertappen. »Du hast vor, dich mit Herrn Blomberg zu soziieren.« Liebermann nahm einefür ihn typische Pose ein, indem er seine Finger in Pistolenform spreizte undan die Wange legte, wobei sein Zeigefinger zart auf seiner Schläfe zu liegenkam. Es war dies eine Zuhörerhaltung, deren sich viele Psychiater mit Vorliebebedienten. »Also, was meinst du? Ist das eine gute Idee?«,fragte Mendel. »Wenn das Warenhaus Gewinn einbringt, dann klingt es rechtvernünftig.« »Es handelt sich um eine beträchtlicheInvestition.« »Daran zweifle ich nicht.« Der Ältere strich sich über seinen Bart. »Du scheinst vonder Idee nicht sonderlich begeistert zu sein.« »Vater,spielt es denn überhaupt eine Rolle, was ich davon halte?«»Nein, vermutlich nicht.« Seine Enttäuschung war spürbar. Liebermann wandteseinen Blick ab. Es bereitete ihm keine Freude, seinen Vater zu enttäuschen,und er hatte ein schlechtes Gewissen. Die Motive des Alten waren überauslöblich, und Liebermann war klar, dass sein angenehmes Leben - zumindest teilweise- von Mendels exzellenter Führung der Familiengeschäfte aufrechterhalten wurde.Er konnte es sich jedoch beim besten Willen nicht vorstellen, einer Fabrik odereinem Warenhaus vorzustehen. Die Idee war lächerlich. Während ihm dieseGedanken durch den Kopf gingen, sah er, wie ein Mann mittleren Alters das Cafébetrat, seinen Hut abnahm und sich umsah. Sein breiter Scheitel war sehr weit seitlich,und sein sorgsam gestutzter Bart fast ganz ergraut. Der Oberkellner begrüßteihn herzlich und half ihm aus dem Mantel. Er war tadellos gekleidet und truggestreifte Hosen, ein Jackett mit breitem Revers und eine auffällige Weste.Offenbar machte er eine geistreiche Bemerkung, denn der Oberkellner begannplötzlich lauthals zu lachen. Der Mann schien es nicht eilig zu haben, einenPlatz zu finden, und blieb neben der Tür stehen. Aufmerksam hörte er einemKellner zu, der ihm - wie es Liebermann schien - eine Geschichte erzählte. AlsMendel sah, dass sein Sohn abgelenkt war, fragte er: »Kennst du ihn?« Liebermann wandte sich ihm zu. »Wie bitte?« »DoktorFreud«, meinte Mendel mit ausdrucksloser Stimme. Es erstaunte Liebermann, dasssein Vater wusste, wer der Mann war. »Ja, ich kenne ihn. Außerdem ist erProfessor Freud.« »Na, dann eben Professor Freud«,meinte Mendel, »aber Professor ist er noch nicht sehr lange, oder?« »Seit ein paar Monaten«, sagte Liebermann und zog die Brauenhoch. »Woher weißt du das?« »Er ist in der Loge.« »Welcher Loge?« Mendels Miene verfinsterte sich. »Bnai Brith.«»O ja, natürlich.« »Der Himmel weiß, warum. Ich bin mir nicht sicher, was für eineArt Jude er überhaupt sein soll. Er scheint an nichts zu glauben. Und was seineIdeen angeht|. . .« Mendel schüttelteden Kopf. »Er hat bei uns letztes Jahr einen Vortrag gehalten. Skandalös. Wiegut kennst du ihn?« »Recht gut|. .. Wir treffen unsgelegentlich und sprechen über seine Arbeit.« »Achwirklich? Findest du etwa, dass da was dran ist?« »DasBuch, das er zusammen mit Breuer über die Hysterie geschrieben hat, istausgezeichnet, und die Traumdeutung ist|. . . nun, einMeisterwerk. Natürlich bin ich nicht mit allem, was er sagt, einverstanden,aber trotzdem finde ich seine Therapievorschläge sehr nützlich.« »Diese Meinung werden nicht sehr viele teilen.« »Sicherlich nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dasssein System, das er selbst Psychoanalyse nennt, große Anerkennung finden wird.« »In Wien bestimmt nicht.« »Ichweiß nicht. Ein paar meiner Kollegen, ebenfalls Assistenzärzte in derPsychiatrie, interessieren sich sehr für die Ideen von Freud.«Mendel runzelte die Stirn: »Einige Dinge, die er letztes Jahr gesagt hat, warenregelrecht obszön. Mir tun alle die Leid, die sich bei ihm in Behandlungbegeben.« »Ich muss zugeben«, meinte Liebermann, »dasser sich in letzter Zeit ungemein für das erotische Leben seiner Patienten interessiert.Seine Idee von der menschlichen Psyche reicht aber weit über die bloßeAnsammlung von animalischen Instinkten hinaus.« Der Professorstand immer noch mit dem Oberkellner neben der Tür. Plötzlich lachte er lautund klopfte seinem Nebenmann auf die Schulter. Es war offensichtlich, dass ihmder Oberkellner gerade einen Witz erzählt hatte. ()
©btb Verlag
Übersetzung: Lotta Rüegger und Holger Wolandt
- Autor: Frank Tallis
- 2006, Deutsche Erstausgabe, 506 Seiten, Maße: 13,6 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Holger Wolandt, Lotta Rüegger
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442734630
- ISBN-13: 9783442734634
- Erscheinungsdatum: 10.05.2006
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