Die Liste
Makaber: Eine Geschichte von Schuld, Mord, zerstörten Leben und Vergeltung, wie nur John Grisham sie schreiben kann!
Ein junger Reporter trägt mit exklusivem Material zur Aufklärung eines grausamen Mordes bei. Doch der Verurteilte beteuert seine...
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Makaber: Eine Geschichte von Schuld, Mord, zerstörten Leben und Vergeltung, wie nur John Grisham sie schreiben kann!
Ein junger Reporter trägt mit exklusivem Material zur Aufklärung eines grausamen Mordes bei. Doch der Verurteilte beteuert seine Unschuld, bedroht in aller Öffentlichkeit das Leben der Geschworenen und schwört Rache.
Neun Jahre später kommt er frei und macht sich daran, seine Drohung in die Tat umzusetzen.
Ein junger Zeitungsreporter trägt mit exklusivem Material zur Aufklärung eines grausamen Mordes bei, woraufhin der Jubel groß ist. Doch als der mächtige Verurteilte in aller Öffentlichkeit das Leben der Geschworenen bedroht und Rache schwört, verstummen die Jubelrufe. Neun Jahre später kommt der Mörder frei und macht sich daran, seine Drohung in die Tat umzusetzen.
Die Listevon John Grisham
LESEPROBE
Nach Jahrzehnten desMissmanagements und der liebevollen Vernachlässigung war die Ford County Times1970 finanziell am Ende. Die Eigentümerin und Herausgeberin der Zeitung, MissEmma Caudle, war dreiundneunzig Jahre alt und in einem Pflegeheim in Tupelo imwahrsten Sinne des Wortes ans Bett gefesselt. Der Chefredakteur, ihr SohnWilson Caudle, hatte die siebzig schon überschritten und als Erinnerung an denErsten Weltkrieg eine Metallplatte im Kopf zurückbehalten. Oben auf seinerhohen, fliehenden Stirn, wo der Chirurg sie eingesetzt hatte, prangte einkreisrundes, dunkleres Stück transplantierter Haut. Diesem Fleck verdankte esMr Caudle, dass er seither den Spitznamen »Spot« ertragen musste: Spot hat diesgetan, Spot hat das getan. Spot hier, Spot da.
In jüngeren Jahren hatteer als Journalist über Gemeindeversammlungen, Footballspiele, Wahlen,Gerichtsverfahren, kirchliche Veranstaltungen und alle möglichen anderenEreignisse in Ford County berichtet. Er war ein guter Reporter, gründlich undbesaß eine schnelle Auffassungsgabe. Offensichtlich hatte die Kopfverletzungsein journalistisches Talent nicht in Mitleidenschaft gezogen. Doch irgendwannnach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Metallplatte in seinem Kopf augenscheinlichetwas gelockert, und Mr Caudle beschloss, sich exklusiv dem Schreiben vonNachrufen zu widmen. Er liebte Nachrufe. Stundenlang beschäftigte er sichdamit, noch das unbedeutendste Mitglied der Gesellschaft von Ford County miteinem ausführlichen, in schwungvoller Prosa abgefassten Nekrolog zu ehren.Starb gar ein wohlhabender oder prominenter Mitbürger, nutzte Mr Caudle dieGunst der Stunde und hievte den Nachruf auf die Titelseite. Nie verpasste ereine Totenwache oder eine Beerdigung, kein einziges Mal ließ er auch nur einschlechtes Wort über den Verblichenen fallen. Auf den posthumen Glorienscheinmusste niemand verzichten - Ford County war ein idealer Platz zum Sterben. UndSpot, wenngleich verrückt, ein äußerst beliebter Mann.
Die einzige wirklicheKrise seiner journalistischen Laufbahn ereignete sich im Jahr 1967, ungefähr zuder Zeit, als sich die Bürgerrechtsbewegung schließlich auch in Ford Countybemerkbar machte. Bisher hätte man der Zeitung nicht einmal ansatzweiseentnehmen können, dass sie um Toleranz in Rassenfragen bemüht gewesen wäre.Schwarze Gesichter, von Verbrecher- oder Fahndungsfotos abgesehen, suchte manauf ihren Seiten vergebens. Heiratsanzeigen von Schwarzen, herausragendeschwarze Studenten, schwarze Baseballteams - Fehlanzeige. Doch im Jahr 1967machte Mr Caudle eine bestürzende Entdeckung. Eines Morgens ging ihm mit demErwachen ein Licht auf: In Ford County starben Schwarze, ohne dass sieangemessen gewürdigt worden wären. Für einen Verfasser von Nachrufen war damitein ganz neues, fruchtbares Feld zu bestellen, und Mr Caudle machte sich auf indie gefährlichen, unbekannten Gewässer. Am Mittwoch, dem 8. März 1967, brachtedie Ford County Times als erste weiße Wochenzeitung in Mississippi die posthumeWürdigung eines Schwarzen, doch der Nachruf blieb weitgehend unbeachtet.
In der folgenden Wochelegte Mr Caudle mit drei Abgesängen auf verstorbene Schwarze nach. Die Leutebegannen zu reden, und in der vierten Woche sah er sich einem regelrechtenBoykott ausgesetzt. Abonnenten kündigten, Anzeigenkunden zahlten nicht. MrCaudle schätzte die Situation zwar richtig ein, war aber schon zu sehr in seineRolle als Vorkämpfer der Gleichberechtigung Schwarzer vernarrt, um sich nochüber Bagatellen wie Auflage und Gewinne Gedanken zu machen. Sechs Wochen nachdem historischen Nekrolog erklärte er der Öffentlichkeit seine neue Strategie,auf der Titelseite und in Fettdruck: Er werde nur noch veröffentlichen, was ihmgefalle, und falls das irgendwelchen Weißen nicht in den Kram passe, werde erkurzerhand die Zahl der ihnen gewidmeten Nachrufe zurückfahren.
Ein würdiger Abgang istein wichtiger Bestandteil des Lebens in Mississippi, für Schwarze und Weiße,und der bloße Gedanke, ohne einen von Spots ruhmreichen Nekrologen zur letztenRuhe gebettet zu werden, war für die meisten Weißen unerträglich. Sie wussten,dass er verrückt genug war, seine Drohung wahr werden zu lassen.
In der nächsten Ausgabefanden sich, unter Aufhebung der Rassentrennung, ordentlich alphabetischgeordnet, Nachrufe auf Schwarze und Weiße. Die Auflage war bald ausverkauft,und für die Ford County Times folgte eine kurze Phase der Prosperität.
Der Bankrott wurde»unfreiwilliger Konkurs« genannt, als gäbe es andere Formen der Pleite, die manbevorzugte. Die Meute der Gläubiger wurde von einem Geschäft fürDruckereibedarf aus Memphis angeführt, das Außenstände von sechzigtausendDollar geltend machen konnte. Andere hatten seit einem halben Jahr kein Geldmehr gesehen. Die gute alte Security Bank forderte einen Kredit zurück.
Obwohl ich noch nichtlange bei der Zeitung arbeitete, hatte ich schon Gerüchte gehört. Ich saß imvorderen Büro der Redaktion und las gerade eine Illustrierte, als ein Zwerg mitspitzen Schuhen hereinspaziert kam und nach Wilson Caudle fragte.
»Ist imBestattungsinstitut«, erwiderte ich.
Er war ein großspurigerWicht. Unter seinem zerknitterten marineblauen Blazer konnte man eine Waffeerkennen, die offenbar auch gesehen werden sollte. Wahrscheinlich hatte ersogar einen Waffenschein. Doch eigentlich brauchte man den in Ford Countynicht, zumindest nicht im Jahr 1970. Tatsächlich lösten Waffenscheine eher einStirnrunzeln aus. »Ich muss ihm diese Papiere zustellen«, sagte der Zwerg undfuchtelte mit einem Umschlag herum.
Eigentlich hatte ich nichtvor, mich hilfsbereit zu zeigen, aber es ist schwierig, einem Zwerg gegenüberruppig zu werden. Selbst wenn er bewaffnet ist. »Er ist imBestattungsinstitut«, wiederholte ich.
»Dann lasse ich sie Ihnenhier.«
Obwohl ich an einemCollege im Norden studiert hatte und noch keine zwei Monate bei der Times war,hatte ich doch schon ein paar Dinge gelernt. So etwa, dass gute Nachrichten niepersönlich zugestellt, sondern in der Regel mit der Post befördert wurden.Diese Papiere bedeuteten Ärger, und ich wollte nichts damit zu tun haben.
»Ich nehme sie nicht an«,sagte ich.
Der Natur gehorchend,verhalten sich Zwerge als gelehrige, friedliebende Wesen, und dieser Winzlingmachte keine Ausnahme. Die Waffe diente nur dekorativen Zwecken. Er blicktesich mit einem affektierten Grinsen im Büro um, wusste aber, dass die Situationhoffnungslos war. Also ließ er den Umschlag mit einer übertrieben schwungvollenBewegung in der Tasche seines Jacketts verschwinden. »Wo ist dasBestattungsinstitut?«
Ich beschrieb ihm denWeg, und der Zwerg verschwand. Eine Stunde später stolperte Spot durch die Tür,hysterisch schreiend und mit den Papieren herumfuchtelnd. »Es ist vorbei! Daswars!« Während er weiterjammerte, nahm ich ihm die Dokumente aus der Hand - eswar ein Konkursantrag der Gläubiger. Margaret Wright, die Sekretärin, undHardy, der Drucker, kamen nach vorn und versuchten, Spot zu trösten. Er setztesich auf einen Stuhl, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in denHänden, und schluchzte mitleiderregend. Ich las den Konkursantrag laut vor.
Darin stand, Mr Caudlehabe in einer Woche in Oxford vor Gericht zu erscheinen, um sich mit demRichter und seinen Gläubigern zu treffen. Dort solle entschieden werden, ob dieZeitung weiter erscheinen könne, während ein Treuhänder die Lage zu klärenversuche. Ich hatte den Eindruck, dass Margaret und Hardy sich eher um ihreJobs als um Mr Caudle und seinen Nervenzusammenbruch Sorgen machten, aber sieklopften ihm trotzdem tapfer auf die Schulter.
Als der Weinkrampf vorbeiwar, stand Spot abrupt auf und biss sich auf die Unterlippe. »Ich muss esmeiner Mutter sagen«, meinte er.
Wir anderen drei blicktenuns an. Miss Emma Caudle hatte dieses Leben schon seit Jahren hinter sichgelassen, und ihr schwaches Herz funktionierte gerade noch gut genug, um dieBeerdigung ein bisschen hinauszuschieben. Sie wusste nicht mehr, welche Farbeder Wackelpudding hatte, mit dem man sie fütterte, und es war ihr auch egal,und das Schicksal von Ford County und seiner Zeitung war ihr mit Sicherheitgenauso egal. Sie war blind und taub, wog deutlich unter vierzig Kilogramm, undjetzt kam Spot auf die Idee, mit ihr über einen unfreiwilligen Konkurs zusprechen. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass auch er schon nicht mehr inunserer Welt lebte.
Er begann erneut zuweinen und verließ das Büro. Wenige Monate später sollte ich seinen Nachrufschreiben.
Weil ich das Collegebesucht und die Papiere an mich genommen hatte, erhofften Margaret und Hardy vonmir guten Rat. Ich war Journalist, kein Jurist, sagte aber zu, mit denUnterlagen den Familienanwalt der Caudles aufzusuchen. Seinen Rat würden wirdann beherzigen. Sie bedachten mich mit einem matten Lächeln und machten sichwieder an die Arbeit.
Mittags fuhr ich nachLowtown - das schwarze Viertel von Clanton - und kaufte bei Quincys One Stopein Six-pack. Anschließend machte ich mit meinem Spitfire einen Ausflug. Es warEnde Februar und für die Jahreszeit ungewöhnlich warm. Ich zog das Verdeck auf undfuhr zum See. Unterwegs fragte ich mich, nicht zum ersten Mal, was ich inMississippi und Ford County eigentlich verloren hatte.
Ich war in Memphisaufgewachsen und hatte fünf Jahre lang in Syracuse im Staat New YorkPublizistik studiert, bevor meine Großmutter es satt hatte, für eine Ausbildungzu zahlen, die für ihren Geschmack zu lange dauerte. Meine Noten waren allesanderes als spektakulär, und von einem Examen trennten mich noch zwölf Monate,vielleicht auch achtzehn. Meine Großmutter BeeBee hatte jede Menge Geld, gab esaber nur äußerst ungern aus, und nach fünf Jahren kam sie zu der Ansicht, ichhätte meine Chance gehabt und sie mich ausreichend gefördert. Als sie mir dieUnterstützung strich, war ich sehr enttäuscht, beklagte mich aber nicht. Ichwar ihr einziger Enkel und sah meinem Erbe voller Vorfreude entgegen.
Von den Idealen, mitdenen ich mein Studium in Syracuse begonnen hatte, war nicht viel übriggeblieben. In den unteren Semestern bewunderte ich den investigativenJournalismus und sah mich schon als Reporter der New York Times oder derWashington Post. Ich wollte die Welt retten, Korruptionsskandale, Umweltsündenund Steuerverschwendung aufdecken. Die Ungerechtigkeit anklagen, unter der dieSchwachen und Unterdrückten zu leiden hatten. Pulitzerpreise waren nur eineFrage der Zeit. Nachdem ich mich ungefähr ein Jahr lang diesen abgehobenenTräumereien hingegeben hatte, sah ich einen Film über einenAuslandskorrespondenten, der als Kriegsberichterstatter um die Welt jettete,wunderschöne Frauen verführte und trotzdem irgendwie noch Zeit fand,preisgekrönte Artikel zu Papier zu bringen. Er beherrschte acht Sprachen, hatteeinen Bart, trug Kampfstiefel und gestärkte Khakihosen, die offenbarknitterfrei waren. Ich beschloss, sein Kollege zu werden, ließ mir einen Bartstehen, kaufte mir Kampfstiefel und Khakihosen und versuchte, mir Deutschbeizubringen und bei hübschen Frauen zu punkten. Im vorletzten Studienjahr, alsmeine Noten ständig schlechter wurden, begann ich mich für die Idee zu begeistern,Journalist bei einer Kleinstadtzeitung zu werden. Die Faszination, die dieserJob auf mich ausübte, kann ich nur so erklären, dass ich mich ungefähr zudieser Zeit mit Nick Diener anfreundete. Er stammte aus dem ländlichen Indiana,wo seine Familie seit Jahrzehnten eine einigermaßen gut florierende Zeitungbesaß. Nick fuhr einen coolen kleinen Alfa Romeo und hatte immer reichlichBargeld. Bald waren wir enge Freunde.
Nick war einintelligenter Student und hätte genauso gut Arzt, Jurist oder Ingenieur werdenkönnen. Trotzdem kannte er nur ein Ziel. Er wollte nach Indiana zurückkehrenund den Familienbetrieb übernehmen. Ich war verblüfft. Zumindest so lange, biswir uns eines Abends gemeinsam betranken und er mir erzählte, wie viel Profitdie kleine Wochenzeitung mit einer Auflage von sechstausend Exemplaren jährlichfür seinen Vater abwarf. Laut Nick war das Geschäft eine Goldgrube. NurLokalnachrichten, Heiratsannoncen, kirchliche Veranstaltungen, Jubiläen,Sportberichte, Fotos von Basketballteams, ein paar Rezepte, ein paar Nachrufeund ein Anzeigenteil. Vielleicht auch ein bisschen Politik, aber bloß nicht zukontrovers. Man brauchte nur noch das Geld zu zählen. Sein Vater war Millionär.Schenkte man Nick Glauben, dann war dies die gemütliche Variante desJournalismus, bei der man keinem nennenswerten Druck ausgesetzt war, einem dasGeld aber in den Schoß fiel.
Das hörte ich gern. Nachmeinem vierten Studienjahr, das eigentlich mein letztes hätte sein sollen, esaber nicht wurde, machte ich im Sommer ein Praktikum bei einer kleinenWochenzeitung in den Ozark Mountains in Arkansas. Die Entlohnung war kaumerwähnenswert, aber BeeBee war beeindruckt, weil ich einen Job hatte. JedeWoche schickte ich ihr die Zeitung, deren Beiträge ich mindestens zur Hälfteselbst verfasst hatte. Eigentümer, Herausgeber und Chefredakteur des Blatts warin Personalunion ein wunderbarer alter Gentleman, der hocherfreut war, einenReporter zu haben, der gern schrieb. Außerdem war er ziemlich wohlhabend.
Nach fünf Jahren inSyracuse ließen meine Noten keine Hoffnung mehr auf einen Abschluss desStudiums zu, und die Geldquelle versiegte. Ich kehrte nach Memphis zurück,stattete BeeBee einen Besuch ab, bedankte mich für die finanzielleUnterstützung und versicherte ihr, dass ich sie liebte. Sie sagte, ich sollemir einen Job suchen.
Zu jener Zeit lebteWilson Caudles Schwester in Memphis, und es ergab sich, dass diese Lady BeeBeebei einer jener aufregenden Teepartys für Senioren traf. Nach ein paarTelefonaten zwischen den beiden alten Damen packte ich meine Sachen und machtemich nach Clanton in Mississippi auf, wo Spot mich bereits ungeduldigerwartete. Im Anschluss an einen nur einstündigen Einführungskurs ließ er michauf die Bevölkerung von Ford County los.
In der nächsten Ausgabeveröffentlichte er einen netten kleinen Artikel samt Foto über mich, in dem erdie Öffentlichkeit über mein »Praktikum« bei der Times unterrichtete. Er setzteihn auf die Titelseite. In jenen Tagen war die Nachrichtenlage etwas flau.
© Heyne Verlag
Übersetzer: Bernhard Liesen, Bea Reiter und Imke Walsh-Araya
Autoren-Porträt von John Grisham
JohnGrisham wird 1955 in Jonesboro, Arkansas, als Sohneines kleinen Bauunternehmers geboren. Er studiert Jura an der Universität vonMississippi und wird Anwalt und Strafverteidiger. 1983 wird er ins Parlamentdes Staates Mississippi gewählt. Aus Spaß beginnt er seinen ersten Roman undschreibt ihn jeden Morgen vor der Arbeit in seiner Kanzlei. 1988 erscheint seinerster Gerichstthriller Die Jury mit einer Auflage von 5000 Exemplaren. Mit seinem zweitenRoman Die Firma wird Grishamendgültig zum Bestsellerautor und hängt im Frühjahr 1991 seinen Beruf alsAnwalt und seine politischen Ämter an den Nagel, um nur noch als Schriftstellerzu arbeiten. Ihm gelingt, was noch keinem Autor bisher geglückt ist: er ist mitvier Titeln gleichzeitig in den Bestseller-Listen der New York Times Book Review vertreten, wobei ersowohl die Hardcover- als auch die Paperback-Liste anführte.
Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern lebt der strenggläubige Baptist inOxford, einer Kleinstadt in Tennessee (wo schon William Faulkner lebte).
Interview mitJohn Grisham - Das Gespräch führteChristiane Korff
Ihr neuer Roman spielt in den Siebziger Jahren. SindIhnen die aktuellen Themen ausgegangen?
"Die Liste" ist15 Jahre alt. Ich hatte schon einhundert Seiten - damals schrieb ich noch mitder Hand -, da wurde mein zweiter Roman "Die Firma" plötzlich einRiesenerfolg. Deshalb habe ich gedacht, bleib bei dem Konzept Gerichtsthriller,leg "Die Liste" beiseite. Denn dieses Buch ist kein Anwaltsthriller,sondern es dreht sich um politische Korruption in Ford County,Mississippi.
Dort herrschen mafiöseVerhältnisse: Der Sheriff und andere Politiker werden von einem Familienclangekauft, damit dieser ungehindert seinen dunklen Geschäften wie Prostitution,Waffenschieberei und Drogenhandel nachgehen kann. Ist solch' ein Fall in derRealität vorstellbar?
Absolut. Bestechung hateine lange Tradition in Mississippi. Aber nicht nur dort. Ob in New York oderChicago, überall in unserem Land sieht es nicht anders aus. Reiche Gängster bestechen Politiker, um das zu kriegen, was siewollen.
Stimmen Sie Ihrem amerikanischen Kollegen MichaelMoore zu, dass der Präsident von der amerikanischen Ölindustrie gekauft wurde?
Diese Behauptung scheintmir zu weit zu gehen. Allerdings ist es offensichtlich, dass grosse Ölfirmen Bush unterstützen. Was den Umweltschutzbetrifft hat der Präsident ein schlechtes Ansehen. Ich bin, wie die meistenLeute, die sich für die Umwelt engagieren, angewidert von seiner Politik, weiler Gesetze vernachlässigt zugunsten der Energiekonzerneund Ölfirmen.
Es gibt keinen Zweifeldaran, dass Wal Mart tausende von kleinen Städten inden USA verwüstet hat. Auf der anderen Seite scheint diese Discountkette denLeuten das zu geben, was sie wollen. Mich persönlich stört die zunehmende Zersiedlung des Landes, deshalbversuche ich dies zu verhindern. Wir wollen Autobahnen verhindern, Fastfoodketten, Kraftwerke oder Disney World. Immerhinhaben wir es geschafft, Disney aus Virginia rauszuhalten.
Sie scheinen ja einiges gemein zu haben mit IhrenHelden, die bisweilen wie David gegen Goliath erfolgreich gegen übermächtigeKonzerne kämpfen.
(Grisham lacht): Ich binder David. Schon als junger Anwalt vertrat ich kleine Leute: Arme Leute,Menschen, die von Versicherungsfirmen übers Ohr gehauen wurden. In meinenFällen habe ich gegen riesige Kanzleien gekämpft, die diese Firmen vor Gerichtvertraten. Das habe ich zehn Jahre lang gemacht. In meinen Thrillern lasse ichDavid gegen Goliath kämpfen, weil die Leser einen jungen Mann, der gegenmächtige Konzerne antritt, grundsätzlich symphatischfinden. Solche Helden garantiereneinfachen eine gute Geschichte.
Sie selbst waren demokratischer Abgeordneter inMississippi, von 1983 - 90, warum haben Sie dieses Amt aufgegeben?
Ich bin zweimal gewähltworden. Nach sieben Jahren hatte ich genug von der Politik. Es ist ein frustierender Beruf. Bei jedem Thema musste an meineWiederwahl denken. Als Politiker ist man einfach zu abhängig von deröffentlichen Meinung.
Unterstützen Sie John Kerry?
Sicher. Ich macheWahlkampf für ihn. Ich halte auf Veranstaltungen Reden, um Spendengeldereinzusammeln.
Glauben Sie, dass Kerryeine reelle Chance hat, die Wahlen zu gewinnen?
Er wird gewinnen!
Wie kommen Sie zu dieser felsenfesten Überzeugung?
Zunächst ist Kerry ein stärkerer Kandidat als Al Gore es im Wahlkampf2000 war. Ausserdem ist Bush auf vielen Gebietenangreifbar: wegen steigender Arbeitslosigkeit, der Steuererleichterungen fürWohlhabende und auch wegen seiner Aussenpolitik. Ich wette, Bush wird im November eineNiederlage einkassieren.
In ihrem Thriller "Die Liste" schreibt derProtagonist Willie einen wütenden Kommentar gegen denVietnamkrieg, Motto, "an wie viele Orte der Welt wollen wir unsere Truppennoch schicken, um den Kommunismus zu bekämpfen?" Heute steht der Irakkriegzur Diskussion. War es richtig, dass die Amerikaner in dieses Landeinmarschiert sind?
Auf keinen Fall. Saddamwar eine regionale Plage, doch er stellte keine direkte Bedrohung für dieVereinigten Staaten dar. Es gibt keinen Beweis für eine Verbindung zwischen demIrak und Al-Quaida. Bushs Doktrin der Intervention,alle böse Buben zu eliminieren, ist idiotisch, weil dieser Prozess niemalsenden wird. Wollen wir als Nächstes in Nordkorea oder Afrika einmarschieren?Die Strategie der Achse des Bösen ist vollkommen lächerlich. Man zieht nur inden Krieg wenn man das klare, moralische Mandat hat, sein eigenes Land zuverteidigen. Doch Bush junior war besessen von der Idee, Saddam Hussein zubeseitigen, er wollte die unvollendete Arbeit seines Vaters erledigen. Nach dem11. September standen alle Verbündeten auf unserer Seite. Doch mit dem IrakFeldzug hat der Präsident eine Menge Symphatienverspielt. Die Mehrzahl der Verbündeten denkt, da sind ein Haufen von Idiotenam Werk.
Die islamistischenTerroristen sind keine Armee, die gegen Soldaten kämpfen. Sie führen einenKrieg mit Selbstmordattentätern gegen Zivilisten. Fühlen Sie sich dadurch alsAmerikaner persönlich bedroht?
Nach dem 11. Septemberwar ich in Italien und Frankreich auf einer Promotion Tour, um Bücher zusignieren. Meine europäischen Verlegerhaben mir Bodyguards zur Verfügung gestellt.
Wie bitte?
Sie befürchteten, dassich zum Ziel eines Anschlags werden könnte. Deshalb würde ich zur Zeit auchnicht gern mit Verkehrsmaschinen fliegen.
Zum Glück haben Sie ja einen Privatjet. Sie selbst,das beschreiben Sie in ihrem autobigraphischgefärbten Roman "Die Farm" sind in eher ärmlichen Verhältnissenaufgewachsen. Inzwischen sind Sie Multimillionär. Was bedeutet es für Sie,reich zu sein?
Ich muss mir keine Sorgenmehr über die Zukunft machen und kann meinen Kindern eine gute Ausbildungfinanzieren. Doch auch mit Geld bin ich derselbe geblieben, der ich vor zwanzigJahren war. Ich behandle Menschen nicht anders. Meine grundsätzlichenAuffassungen über Werte haben sich nicht geändert.
Liegt das daran, dass Sie ein gläubiger Baptist sind?
Das hat viel damit zutun. Ich bin ein überzeugter Gläubiger.
Wie Mel Gibson. Wie beurteilen Sie seinen Film"Die Passion Christi"?
Ich habe eine Menge überseinen Film gelesen. Mein Sohn Ty, er ist 22, hat ihnsich angesehen. Der Film muss sehr bewegend sein, manchmal vielleicht zugewalttätig. Aber ich werde ihn mir auf jeden Fall ansehen.
Dieses blutrünstige Machwerk, eine Mischung ausHorror und Splatter ist ziemlich umstritten. Seriösekatholische und evangelische Theologen werfen Gibson vor, er habe die Faktengefälscht. Jüdische Kritiker behaupten, der Film sei antisemitisch. Was sagenSie dazu?
Stellen Sie mir dieseFrage noch einmal, wenn ich den Film gesehen habe. Doch grundsätzlich bewundereich Mel Gibson für seine Überzeugungen, dass er 25 Millionen Dollar in"die Passion Christi" investiert hat und sich dem Druck der Kritiker,auch der jüdischen, widersetzt.
Mel Gibson ist orthodoxer Gläubiger, in Los Angeles hat er eine Kirche errichtenlassen, weil ihm die baptistische Gemeinde vor Ort zu liberal ist. Was heisst es für Sie, Baptist zu sein?
Es bedeutet, dass ich einLeben führe, dass auf moralischen Werten und Glauben basiert. Ich glaube anJesus Christus. Ich glaube an Mitgefühl und Vergebung. Familie und Ehe sind sehr wichtig für mich.
Kommen in Ihren Büchern deshalb keine Sexszenen vor?
(Grisham lacht):Vielleicht gäbe es Sex in meinen Büchern, wenn ich in der Lage wäre, darüber zuschreiben. Aber ernsthaft, sicherlich setzt mir mein Glaube Grenzen in Bezugauf Sex und Gewalt. Ich walze die Vergewaltigungsszene in "Die Liste"nicht aus, dazu besteht auch kein Anlass, jeder weissja was passiert.
Was halten Sie in dem Zusammenhang von Bushs Vorhaben, die Verfassung zu ändern unddie homosexuelle Ehe zu verbieten?
Ich bin der Ansicht, dassdie Rechte eines schwulen Paares geschützt werden sollten. Ich trete für die"Civil Union", die Gleichstellung der homosexuellen Ehe imzivilrechtlichen Sinn, ein. Ich denke eine zivilrechtliche Gemeinschaft bieteteine Menge Schutz für ein schwules Paar, was die Gleichstellung in Bezug aufdas Erbrecht, die Lebensversicherung oder die Haftpflicht betrifft. Doch ichbin gegen die gleichgeschlechtliche Ehe.
Warum? Ist das etwa ihrer Meinung nach "widerdie Natur" - so wie es die Kirche jahrhundertelanggepredigt hat?
Sie stellen mir eineFrage, über die ich bisher noch nicht nachgedacht habe. Nein, ich glaube nicht,dass die Religion die gleichgeschlechtliche Liebe verbietet. Ich hänge einfachder Idee an, dass nur Mann und Frau heiraten sollten und das dieses Konzeptnicht verletzt werden sollte - altmodisch nicht wahr?
Die Fragen stellte Christiane Korff.
- Autor: John Grisham
- 2005, 496 Seiten, Maße: 12 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453430980
- ISBN-13: 9783453430983
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