Die Nonnen von Sant'Ambrogio
Eine wahre Geschichte
Hochbrisante Akten eines Inquisitionsprozesses sollten in den Archiven des Vatikans verschwinden.
Doch diese werden von Hubert Wolf aufgespürt: Rom, im Juli 1859. In einem Kirchenprozess deckt die Inquisition Unglaubliches auf: Im...
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Produktinformationen zu „Die Nonnen von Sant'Ambrogio “
Hochbrisante Akten eines Inquisitionsprozesses sollten in den Archiven des Vatikans verschwinden.
Doch diese werden von Hubert Wolf aufgespürt: Rom, im Juli 1859. In einem Kirchenprozess deckt die Inquisition Unglaubliches auf: Im Kloster Sant Ambrogio werden Nonnen als Heilige verehrt: Visionen, Dämonenaustreibungen, Initiationsriten und Wunder sind an der Tagesordnung. Und hinter alledem steht ein verschlungenes Netzwerk von Jesuiten mit besten Kontakten zum Papst.
Klappentext zu „Die Nonnen von Sant'Ambrogio “
Die Akten dieses Inquisitionsprozesses sollten für alle Ewigkeit in den Archiven des Vatikans verschwinden. Um ganz sicher zu gehen, legte man sie an der falschen Stelle ab, ohne zu ahnen, dass sie gerade dadurch über hundert Jahre später der Forschung zugänglich werden - und Hubert Wolf sie aufspürt.Rom, im Juli 1859: Eine Nonne ruft um Hilfe, man will sie vergiften, doch sie kann fliehen. Es kommt zu einem Prozess, in dem die Inquisition Unglaubliches aufdeckt: Im Kloster Sant'Ambrogio werden seit Jahrzehnten Nonnen als Heilige verehrt. Visionen, Dämonenaustreibungen, Segnungen per Zungenkuss, lesbische Initiationsriten und Wunder sind an der Tagesordnung. Zweiflerinnen werden beseitigt. Und hinter alledem steht ein Netzwerk von Jesuiten mit besten Kontakten zum Papst.
Bis heute besitzt der Fall Sant'Ambrogio eine gewaltige Sprengkraft: Einer der Beichtväter, der unter falschem Namen bei den Nonnen übernachtete, entpuppt sich als vatikanischer Spitzentheologe und enger Vertrauter des Papstes, der das Unfehlbarkeitsdogma maßgeblich mitformulierte. Die wahre Geschichte von Sant'Ambrogio ist damit auch ein Kapitel aus der wahren Geschichte des modernen Katholizismus.
Mit Lesebändchen
Lese-Probe zu „Die Nonnen von Sant'Ambrogio “
Die Nonnen von Sant'Ambrogio von Hubert WolfProlog
«Rette, rette mich!»
«Schließlich kam zu mir am Montag, dem 25. Juli, kurz nach acht Uhr
- gesandt vom Herrn - der Erzbischof von Edessa. Es gab keine andere Hoffnung mehr; das war die letzte Möglichkeit, mich zu retten. Ihm konnte ich alles enthüllen und ihn anflehen, mir zu helfen, so rasch wie möglich aus dem Kloster zu entkommen. Alles ging gut aus - ich wurde erhört und gerettet. »Mit diesen eindringlichen Formulierungen, niedergelegt in ihrer Klageschrift an den Papst vom Sommer 1859 knapp fünf Wochen nach der dramatischen Flucht aus dem römischen Kloster Sant'Ambrogio oder besser der Befreiung durch ihren Cousin Erzbischof Gustav Adolf zu Hohenlohe-Schillingsfürst, beschreibt Fürstin Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen das Ende ihres Abenteuers hinter römischen Klostermauern, das sie um ein Haar mit dem Leben bezahlt hätte. Man hatte sie gedemütigt, man hatte sie von ihren Mitschwestern isoliert und von der Außenwelt abgeschnitten, man hatte versucht, sie als gefährliche Mitwisserin von Klostergeheimnissen zum Schweigen zu bringen. Schließlich hatte man sogar mehrfach Giftanschläge auf sie verübt. Nach ziemlich genau fünfzehn Monaten, am 26. Juli 1859 nachmittags um halb vier, war ihre Zeit als Schwester Luisa Maria vom heiligen Joseph bei den Nonnen vom regulierten Dritten Orden des heiligen Franziskus in Sant'Ambrogio della Massima in Rom, die so verheißungsvoll begonnen hatte, endgültig abgelaufen. Es war wahrlich eine Rettung aus höchster Not, aus unmittelbarer Todesgefahr.
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Dieses Scheitern als Ordensfrau und die dramatische Flucht aus dem Kloster interpretierte die Fürstin in ihrer Klageschrift zwar in klassisch frommer Weise als Erlösung durch Christus, den Herrn, und machte es dadurch zugleich für sich selbst irgendwie erträglich. Aber dieses dramatische Erlebnis, die mehrere Monate dauernde Todesangst, sollte zur entscheidenden Erfahrung ihres ganzen Lebens werden. Nach dem 26. Juli 1859 war nichts mehr so wie vorher. Wie existenziell ihre Notlage gewesen war, wie sehr sie ihr Leben in Sant'Ambrogio tatsächlich bedroht gesehen hatte, wie traumatisiert sie durch die Vergiftungsanschläge auch noch viele Jahre später war, führen ihre Erlebnisse plastisch vor Augen, die Christiane Gmeiner, eine enge Mitarbeiterin der Fürstin, 1870, über ein Jahrzehnt nach den furchtbaren römischen Ereignissen, niederschrieb. Folgt man dieser autobiographischen Quelle, dann war es Katharina gelungen, in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1859 «im Geheimen» einen Brief aus dem Kloster herausschmuggeln und Erzbischof Hohenlohe im Vatikan übergeben zu lassen. «Mit großer Angst wartete die Fürstin, bis sie morgens um halb acht ins Sprechzimmer gerufen wurde. In großer Angst, fast atemlos eilte die Fürstin hinunter und auf den Erzbischof zu, dem sie in größter Aufregung zurief: ‹Rette, rette mich!› - Erst konnte er sie gar nicht verstehen und fürchtete fast, seine Cousine redete irre, aber nach und nach gelang es ihr, ihn zu überzeugen, dass sie ihrer Sinne mächtig war und dass ihre Furcht nicht unbegründet war. Jetzt wurde ihm ihr Verlangen klar, aus dem Kloster zu scheiden, und er versprach, alles zu tun, damit alles so bald als möglich geschehen könne, konnte aber den kürzesten Termin erst für den anderen Tag anberaumen» - so schrieb Christiane Gmeiner in der dritten Person nieder, was die Fürstin ihr in der ersten Person geschildert hatte.
Was Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen hier berichtet, klingt nach finsterem Mittelalter und bedient zahlreiche Klischees und Vorurteile, die gemeinhin über das katholische Ordensleben kolportiert werden. Doch wir befinden uns nicht im Mittelalter, sondern in der Neuzeit, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, nicht in einer einsam gelegenen Klosterburg auf einem hohen Berg am Rande der Welt, sondern mitten in der Hauptstadt der Christenheit, kaum zwei Kilometer Luftlinie vom Vatikan entfernt, dem Sitz des Stellvertreters Jesu Christi auf Erden.
Was war wirklich in Sant'Ambrogio passiert? Handelte es sich um bloße Vergiftungsphantasien einer überspannten hochadeligen Dame, oder gab es die Anschläge auf das Leben Katharinas wirklich? Und überhaupt: Wie kam eine Fürstin aus dem Hause Hohenzollern, eine enge Verwandte des späteren preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm I., dazu, als Nonne in einen derart strengen Orden und gerade in Rom einzutreten?
Erstes Kapitel
«Solche Schändlichkeiten»
Katharina von Hohenzollern erstattet Anzeige bei der Inquisition
Rom als himmlisches Jerusalem
Die Italiensehnsucht eines Johann Wolfgang von Goethe oder Johann Joachim Winckelmann, die sich an Rom als dem Hort der klassischen Antike berauschten, war es nicht, die Katharina nach Rom trieb. Es war auch nicht der imperiale Zug, der die großen deutschen Königsgeschlechter von den Karolingern bis zu den Staufern in die Stadt am Tiber geführt hatte, um dort die Kaiserkrone zu empfangen. Da Katharinas Ziel ein Ort frommer Frauen war, müssen es vor allem religiöse Motive gewesen sein, die sie in die Stadt des Papstes zogen.
Dabei hatte Rom als religiöses Zentrum seit der Mitte des 18. Jahrhunderts einen dramatischen Niedergang erlebt. Der Papst war als weltlicher Fürst des Kirchenstaates, der in der Mitte Italiens ein gutes Viertel der Fläche der Apenninenhalbinsel einnahm, immer stärker in politische und militärische Konflikte zur Sicherung seiner Herrschaft hineingezogen worden und hatte sich immer weniger um seine Aufgaben als geistliches Oberhaupt der katholischen Kirche kümmern können. Gegen Ende des Jahrhunderts sank das religiöse Ansehen des Papsttums auf einen absoluten Tiefpunkt. 1773 gelang es den europäischen Mächten sogar, Clemens XIV. zu zwingen, mit dem Jesuitenorden seine wichtigste kirchenpolitische Stütze aufzuheben. Napoleon Bonaparte annektierte den Staat des Papstes und zwang Pius VII. ins französische Exil. Der Wiener Kongress von 1815 stellte zwar nach der Rückkehr des Papstes aus Frankreich den Kirchenstaat als eigenständiges Gebilde wieder her, die Reformen auf den Feldern der Verwaltung, der Rechtsprechung, des Bildungswesens und nicht zuletzt der Wirtschaft, die Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi in Wien versprach, wurden aber nie durchgeführt. Der Staat des Papstes galt deshalb als das rückständigste politische Gebilde Europas überhaupt.
Im Zuge der Restauration, die nach den Befreiungskriegen in Europa zur dominierenden Richtung wurde, konnte das Papsttum sein Ansehen als moralische und religiöse Instanz jedoch deutlich verbessern. Jetzt war der Papst plötzlich der einzige Monarch Europas, der der Bestie Napoleon getrotzt hatte und für seine Überzeugungen ins Exil gegangen war, während alle anderen Fürsten mit dem Kaiser der Franzosen gekungelt hatten. Deshalb galt in der Romantik das Papsttum als Garant ewiger Werte, insbesondere der Monarchie und des Gottesgnadentums, und als Schutz gegen das Chaos und die Unsicherheiten der Französischen Revolution mit ihrem liberalen Staats- und Menschenrechtsverständnis. Besonders geschickt nahm Leo XII. diese Sehnsucht nach Sicherheit auf. Das ewige Rom sollte wieder zum heiligsten Ort der Welt werden.
Gerade in Deutschland orientierten sich infolge der Säkularisation und der damit verbundenen Zerstörung der alten Reichskirche mit ihren Fürstbistümern nicht wenige Katholiken immer mehr nach Rom. Sie waren meist Untertanen protestantischer Fürsten geworden und suchten ihr Heil in einer engen Anbindung an die Päpste. Besonders nach der Julirevolution von 1830 begann eine Phase der zunehmenden Ultramontanisierung der katholischen Kirche. Immer stärker blickten Katholiken «ultra montes», über die Berge nach Rom, immer mehr wurden die römische Frömmigkeit, die römische Liturgie und die römische Theologie als die einzig wahren Verwirklichungen des Katholizismus angesehen, weil sie vom Papst als Vicarius Christi legitimiert waren.
Die katholische Publizistik stilisierte im Zuge dieser Bewegung Rom zur Braut Christi, zur Heiligen Stadt, zum himmlischen Jerusalem auf Erden. Diese religiöse Aufwertung des Papsttums ging bezeichnenderweise nicht von den Päpsten und der Römischen Kurie selbst aus, sondern wurde von außen an den Papst herangetragen. Das Papsttum wurde zur Projektionsfläche aller religiösen Sicherheitsbedürfnisse in einer Zeit voller Umbrüche, Unsicherheiten und revolutionärer Umwälzungen. Genau in dieser Phase entdeckte man die Wallfahrt nach Rom wieder neu: Die persönliche Begegnung mit dem Papst, das Gebet an den Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus und die damit verbundene religiöse Selbstvergewisserung wurden zu Kennzeichen echter Katholizität.
Diese Orientierung an Rom wurde an der Kurie ganz unterschiedlich aufgenommen. Das Kardinalskollegium spaltete sich in «Zelanti» und «Politicanti». Während die einen, die Eiferer, die neue Rombegeisterung dafür nutzen wollten, jede Reform in Kirche und Kirchenstaat zurückzudrängen und den Papst immer mehr zum unfehlbaren Gottkönig zu stilisieren, waren die anderen, die Pragmatiker, eher skeptisch, weil sie ihr Programm einer Versöhnung von Kirche und Welt gefährdet sahen. «Falken» und «Tauben» stießen vor allem bei Papstwahlen heftig aufeinander; abwechselnd setzten sich Hardliner und Gemäßigte beim Konklave durch.
In diesen Zug der Romwallfahrer, der vor allem höhere soziale Schichten erfasste, reihte sich auch Katharina von Hohenzollern mit ihrer Mutter ein, als sie im Pontifikat Gregors XVI., der ein Zelant war, 1834 zum ersten Mal nach Rom kam. Der Papst und seine Umgebung hegten ein prinzipielles Misstrauen gegenüber der modernen Welt mit all ihren fortschrittlichen politischen Ideen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Während seiner Regentschaft baute er die Heilige Stadt zu einer geistigen Trutzburg gegen die teuflischen Mächte des Liberalismus aus, nachdem die Julirevolution auch den theokratischen Staat des Papstes nicht verschont hatte. Dies führte bei Gregor XVI. zu einem ausgesprochenen Revolutionstrauma und einer Verfolgung aller Neuerer in der katholischen Kirche. Alles, was auch nur entfernt nach Freiheit, Reform oder moderner Bildung aussah, roch für den Papst nach Schwefel. Die katholische Kirche sollte auf Rom konzentriert und zu einem «Haus voll Glorie» aufgerüstet werden, das der Moderne erfolgreich Paroli bieten und sie letztlich durch den Triumph des Heiligen Stuhles - wie ein einschlägiger Buchtitel des Papstes lautete - besiegen würde.
Nach diesem restaurativen Pontifikat wurde am 16. Juni 1846 Giovanni Maria Mastai-Ferretti zum Papst gewählt. Er galt als gemäßigter Politicant und nannte sich folgerichtig nach seinem Vorvorgänger Pius IX. Tatsächlich führte der persönlich äußerst gewinnende Papst anfangs eine Reihe von Reformen durch. So erließ er eine Amnestie für politische Gefangene, setzte eine Zivilregierung ein und versprach seinen Untertanen die Mitwirkung am politischen Leben des Kirchenstaats durch eine Verfassung. Dieser liberale Impuls stieß bei der römischen Bevölkerung auf breite Zustimmung. Allerdings radikalisierte sich die Situation in Rom: Der Funke der Märzrevolution von 1848 sprang auch auf die Stadt des Papstes über. Pius IX. war gezwungen, ins neapolitanische Gaeta zu fliehen. Erst nachdem französische Truppen den Aufstand niedergeschlagen hatten, konnte der Papst 1850 in den Vatikan zurückkehren.
Das Trauma der Revolution von 1848 bestimmte fortan sein Pontifikat. Alle Reformen wurden zurückgenommen, die Politik im Kirchenstaat und das Lehramt in der Kirche trugen ab sofort strikt reaktionäre Züge. Ähnlich wie sein Vorgänger Gregor XVI. fühlte sich der Papst von allen Seiten verfolgt und bedroht. Daraus resultierte eine geradezu apokalyptische Angst vor der Besetzung des Kirchenstaats und Roms durch italienische Truppen. Nur durch ausländische Truppen konnte Pius' IX. weltliche Herrschaft im Kirchenstaat gegen das Risorgimento, die nationale Einigungsbewegung, gesichert werden, die Rom als natürliche Hauptstadt des neuen italienischen Nationalstaats ansah.
Dies führte auch auf religiösem Gebiet zu einer Art Belagerungsmentalität. Während am Beginn des Pontifikates Pius' IX. liberale Kardinäle und Prälaten beim Papst genauso ein offenes Ohr gefunden hatten wie Hardliner und Intransigente, verschoben sich die Gewichte eindeutig zugunsten der Letzteren. So war Rom in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus eine Stadt des religiösen Pluralismus gewesen. Die Parteiungen und theologischen Richtungen, die es etwa in Deutschland und Frankreich gab, spiegelten sich auch an der Römischen Kurie mit ihren Büros und Kongregationen wider. Den Kurialen, die eine Versöhnung von Kirche und Welt, von moderner Philosophie und katholischem Glauben anstrebten, standen Romantiker und Neuscholastiker gegenüber, die in der Philosophie des heiligen Thomas von Aquin die einzig denkbare Basis für den Katholizismus sahen. Vor allem der Jesuitenorden und das von ihm dominierte Collegio Romano wurden mehr und mehr zum Hort der Neuscholastik und der Hyperorthodoxie in Rom, während sich etwa die Benediktiner der Abtei Sankt Paul vor den Mauern einem off enen, pluraleren Modell von Frömmigkeit und Theologie verschrieben, das neuere philosophische Ansätze einbezog.
Der Papst stellte sich nach 1848 immer eindeutiger auf die Seite der Konservativen und ließ abweichende theologische Meinungen durch die Inquisition und die Indexkongregation verfolgen. Zahlreiche moderne Theologen landeten auf dem Index der verbotenen Bücher, der von einem Instrument zur Kontrolle des gesamten Buchmarktes in der Zeit Pius' IX. immer mehr zum Instrument der Disziplinierung innerkirchlicher Selbstdenker wurde.
Den unterschiedlichen theologischen und kirchenpolitischen Richtungen entsprachen ganz unterschiedliche Frömmigkeitspraktiken und religiöse Mentalitäten. Die restaurative und romantische Richtung setzte auf eine Wiederherstellung der überschwänglichen Andachtsformen des Barockkatholizismus, entdeckte die während der Aufklärung diskreditierte Mystik wieder und rechnete überall mit Wundern. Die liberaleren Kreise an der Kurie bevorzugten eine nüchterne Frömmigkeit, die vor den Ansprüchen der neuzeitlichen Vernunft Bestand haben sollte. Auch hier waren die Vorlieben Pius' IX. sehr eindeutig: Der Papst glaubte an das Eingreifen himmlischer Mächte im Hier und Jetzt. So führte er seine Rettung aus einem reißenden Fluss, in den er als Kind gefallen war, unmittelbar auf die helfende Hand der Gottesmutter zurück.
Auf dieses Milieu traf Katharina von Hohenzollern, als sie sich 1857 entschloss, endgültig nach Rom überzusiedeln. Das Rom dieser Tage war klein und überschaubar. Als der Geschichtsschreiber der Stadt, Ferdinand Gregorovius, 1852 zum ersten Mal an den Tiber kam, notierte er in seinem Tagebuch: «Rom ist so tief still, dass man hier in göttlicher Ruhe empfinden, denken und schaff en kann.»Dieser Eindruck Gregorovius' verwundert nicht, denn die Stadt hatte damals gerade einmal 180000 Einwohner. Davon waren rund 7500 Geistliche und Nonnen. Eine allgemeine Schulpflicht existierte nicht; die Elementarschulen erreichten immerhin, dass ein Drittel der Bevölkerung lesen und schreiben konnte. Von den gut vierzehn Quadratkilometern Stadtfläche, die innerhalb der vierundzwanzig Kilometer langen antiken Stadtmauer lagen, war gerade ein gutes Drittel bebaut. Die übrige Fläche wurde landwirtschaftlich genutzt - so diente etwa das Forum Romanum als Viehweide. Es gab insgesamt 14700 Gebäude, in denen 39000 Familien lebten, die zu vierundfünfzig Pfarreien gehörten. Erst 1854 wurde eine Gasbeleuchtung in den Straßen installiert, ein Eisenbahnanschluss fehlte. Der wirtschaftliche Aufschwung und die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts waren an der Stadt und dem Kirchenstaat, in dem damals auf 42000 Quadratkilometern rund 3,2 Millionen Menschen lebten, vorbeigegangen.
Die Einkommensunterschiede waren immens. So verdiente ein hoher Prälat an der Kurie im Jahr knapp 2000 Scudi, eine bürgerliche Familie mit sechs Personen brauchte zum Leben in der Stadt jährlich etwa 650 Scudi, eine gleich große Bauernfamilie kam mit 250 Scudi aus. Ein Landarbeiter verdiente im Jahr 72 Scudi, ein Hirtenjunge kam auf 32 Scudi.
Ein Damaskuserlebnis und seine Folgen
Bereits die erste Begegnung mit Rom im Jahr 1834 wurde für Katharina zu einem tiefgreifenden Einschnitt. Sie war am 19. Januar 1817 als Tochter des Fürsten Karl Albrecht III. zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst und seiner zweiten Ehefrau Leopoldine zu Fürstenberg in Stuttgart geboren und katholisch getauft worden. Nachdem die Eltern sich bereits wenige Jahre nach ihrer Geburt auseinandergelebt hatten und der Vater sich auf seine hohenlohischen Besitztümer zurückgezogen hatte, wuchs die Prinzessin überwiegend in Donaueschingen bei ihrer Mutter und den fürstenbergischen Verwandten auf. Ihre streng kirchlich orientierten Biographen sprechen mit tiefem Bedauern von einer sehr liberalen Erziehung, die sie im äußerst freisinnigen Baden genossen habe, und beklagen, dass sie ihre ganze Kindheit und Jugend über «ohne eigentlich religiöse Führung» geblieben sei.
Als 1848 dieses Gemälde entstand, heiratete Katharina im Alter von einunddreißig Jahren den Fürsten Carl von Hohenzollern-Sigmaringen.
Als die Siebzehnjährige 1834 mit ihrer Mutter nach Rom reiste, kam es zu einem Damaskuserlebnis. In der Stadt des Papstes bekehrte sich Katharina zum katholischen Glauben in seiner strengkirchlichen Spielart, aus der freisinnigen jungen Dame wurde eine fromme katholische Adelige. Entscheidenden Anteil an dieser Wende hatte Karl August Graf von Reisach. Reisach, geboren am 6. Juli 1800, stammte wie Katharina von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst aus dem schwäbisch-fränkischen Adel und hatte eine schwierige Kindheit und Jugend hinter sich. Sein Vater, von ständiger finanzieller Not bedrängt und wegen Veruntreuung von Geldern angeklagt, hatte sich 1820 durch Selbstmord der Verantwortung entzogen. Dies muss eine einschneidende Erfahrung im Leben des jungen Grafen gewesen sein. Als sich nach dem Studium der Rechte seine Hoffnungen auf eine Professur in Landshut zerschlugen und Heiratspläne im Sande verliefen, suchte Reisach nach Orientierung und Halt. Er geriet unter den Einfluss von Clemens Maria Hofbauer, einem vom Protestantismus zum Katholizismus konvertierten Redemptoristen pater, und des Göttinger Staatsrechtsprofessors Adam Müller, der ein romantisches ständisches Gesellschaftsmodell mit dem Papst an der Spitze vertrat. Rom wurde für Reisach zum Ziel und Haltepunkt in den Unsicherheiten seines Lebens. Er entschloss sich, Priester zu werden und Theologie an dem einzigen Ort zu studieren, an dem aus seiner Sicht rechtgläubig gelehrt wurde. Deshalb besuchte er im Oktober 1824 als erster Deutscher nach der Säkularisation das gerade von Leo XII. wiedereröffnete Collegio Romano, die spätere päpstliche Universität Gregoriana, und bezog das Collegium Germanicum, das Studienkonvikt für deutsche Priesteramtskandidaten in Rom. Unter dem Einfluss der Jesuiten entwickelte sich Reisach zu einem Eiferer für Papst und Kirche. 1828 zum Priester geweiht und zum Doktor der Theologie promoviert, wurde er Rektor des Kollegs der Propaganda Fide, der Kongregation zur Verbreitung des Glaubens. Mit deren Präfekten, Kardinal Mauro Cappellari, verband ihn eine besonders enge und vertrauensvolle Beziehung. Beide waren sich in einer strikt restaurativen Ausrichtung der Kirche und einer Ablehnung aller Reformen einig, die Reisach als «fein gesponnenes Komplott der freizügigen Theologen mit den Philosophen zum Zweck der Abschaffung der katholischen Kirche» ansah. Nachdem Cappellari als Gregor XVI. 1831 den Stuhl Petri bestiegen hatte, wurde Reisach sein engster Mitarbeiter bei der Bekämpfung aller Kirchenreformer, insbesondere im deutschen Südwesten, aus dem Katharina kam.
Katharina muss von dem jungen Geistlichen fasziniert gewesen sein. Jedenfalls wurde Reisach umgehend ihr Beichtvater und Seelenführer. Damit gewann er einen entscheidenden Einfluss auf ihr künftiges Leben. Denn die Prinzessin verpflichtete sich nicht nur, ihm im Sakrament der Beichte ihr Innerstes zu offenbaren, sondern sollte sich fürderhin in allen Lebensfragen mit der Bitte um Rat und Weisung an ihn wenden. Tatsächlich entwickelte sich zwischen dem Seelenführer und seinem Beichtkind ein intensiver Briefwechsel. In ihrem jugendlichen Überschwang wollte Katharina Reisach im Kampf für die Kirche nachfolgen und äußerte den Wunsch, in ein römisches Dominikanerinnenkloster einzutreten. Dem scheint sich Reisach jedoch entgegengestellt zu haben. Er sah darin wohl eher die jugendliche Schwärmerei einer Siebzehnjährigen denn eine reife religiöse Entscheidung. Sie sollte - wie es sich für eine junge Adelige ihres Standes gehörte - erst einmal ihre Pflicht als Ehefrau und Mutter tun.
Und tatsächlich legte Katharina von Hohenlohe statt des Ordenskleides zunächst das Brautkleid an. Sie hatte sich, wie ihre Nichte Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe schreibt, «leidenschaftlich in einen Grafen Ingelheim verliebt, von dem meine Großeltern nichts wissen wollten, denn man hielt den übrigens sehr liebenswürdigen jungen Mann für schwindsüchtig. Tante Katharine setzte sich darüber hinweg und heiratete ihn trotz aller Widerstände. »Das war 1838. Graf Erwin von Ingelheim verstarb dann wirklich bereits 1845. Die Ehe blieb kinderlos. Drei Jahre später trat Katharina noch einmal in den heiligen Stand der Ehe; diesmal war es vermutlich eine Vernunftehe. Sie heiratete nämlich 1848 den vierunddreißig Jahre älteren Fürsten Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, der in erster Ehe mit Antoinette Murat, einer Nichte des Schwagers von Napoleon Bonaparte, liiert gewesen war. Fürst Karl brachte mehrere Stiefkinder in die Ehe, die fast alle älter waren als seine zweite Frau. Doch auch diese Ehe währte nicht lange. Auf einer Reise durch Norditalien erkrankte der Fürst an Typhus und starb am 11. März 1853 in Bologna. Nach nur fünf Ehejahren war die inzwischen sechsunddreißigjährige Katharina zum zweiten Mal Witwe. Sie erhielt von der Familie ihres Mannes das Gut im böhmischen Bistritz als Witwensitz und eine jährliche Pension von zunächst 12 000 und dann 15000 Rheinischen Gulden, ferner eine Einmalzahlung von 100 000 Gulden, die sie zum Aufbau eines Kapitalstockes für eine Stiftung verwendete, aus der sie später die Gründung eines Klosters finanzieren wollte.
Zunächst erfüllte sie sich jedoch ihren bereits 1834 in Rom geäußerten Herzenswunsch und wurde Ordensfrau. Katharina trat am 18. Dezember 1853 im elsässischen Kintzheim in ein Haus der Gesellschaft der «Dames du Sacré-Coeur» ein. Die Frauen des Herzens Jesu erinnern in Vielem an die Englischen Fräulein. Auch bei ihnen handelte es sich um eine Kongregation, die sich vor allem der Mädchenbildung verschrieben hatte und dabei von einem jesuitischen Konzept der Pädagogik inspiriert war. Mitunter wurden sie deshalb sogar als «Jesuitinnen» bezeichnet. Am 11. März des folgenden Jahres wurde Katharina dort als Novizin eingekleidet. Allerdings zeigte sich bald, dass die Fürstin den Strapazen des Schuldienstes weder körperlich noch psychisch gewachsen war. Auf diese Überforderung und das Scheitern ihres Traums vom Klosterleben reagierte sie mit Krankheit; medizinische Anwendungen und Kuraufenthalte brachten keine Linderung. War diese Reaktion ein für die Fürstin typisches Verhaltensmuster im Angesicht des Scheiterns? Spräche dann nicht Vieles dafür, dass sie wenige Jahre später die Giftanschläge in dem römischen Kloster ebenfalls vortäuschte, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie als Ordensfrau erneut gescheitert und deswegen wieder schwer erkrankt war?
Jedenfalls legte ihr nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzten ihr Seelenführer Reisach, der 1836 Bischof von Eichstätt und 1846 Erzbischof von München und Freising geworden war, nahe, umgehend aus dem Kloster im Elsass auszutreten. Viele Frauen waren im 19. Jahrhundert, im sogenannten weiblichen Ordensfrühling, Kongregationen und religiösen Orden beigetreten, um als Lehrerinnen oder Krankenschwestern Berufe zu ergreifen, die ihnen sonst verwehrt waren. Für Katharina war dies offenbar nicht der richtige Weg. Der Erzbischof hielt sie «nicht für das Erziehungsfach veranlagt und vorgebildet»; für eine «kränkliche und von schweren Lebensprüfungen doppelt gebeugte Witwe» war dieser Schulorden nach seiner Ansicht schlicht ungeeignet. Worin die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Fürstin genau bestanden, wird aus den Quellen nicht ganz deutlich. Ihr Biograph Karl Theodor Zingeler spricht in seinem 1912 erschienenen Lebensbild von «Wassersucht», einer abnormen Ansammlung von Körperflüssigkeit, unter der die korpulente Katharina Zeit ihres Lebens zu leiden hatte.
© Verlag C.H.Beck oHG, München
Dieses Scheitern als Ordensfrau und die dramatische Flucht aus dem Kloster interpretierte die Fürstin in ihrer Klageschrift zwar in klassisch frommer Weise als Erlösung durch Christus, den Herrn, und machte es dadurch zugleich für sich selbst irgendwie erträglich. Aber dieses dramatische Erlebnis, die mehrere Monate dauernde Todesangst, sollte zur entscheidenden Erfahrung ihres ganzen Lebens werden. Nach dem 26. Juli 1859 war nichts mehr so wie vorher. Wie existenziell ihre Notlage gewesen war, wie sehr sie ihr Leben in Sant'Ambrogio tatsächlich bedroht gesehen hatte, wie traumatisiert sie durch die Vergiftungsanschläge auch noch viele Jahre später war, führen ihre Erlebnisse plastisch vor Augen, die Christiane Gmeiner, eine enge Mitarbeiterin der Fürstin, 1870, über ein Jahrzehnt nach den furchtbaren römischen Ereignissen, niederschrieb. Folgt man dieser autobiographischen Quelle, dann war es Katharina gelungen, in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1859 «im Geheimen» einen Brief aus dem Kloster herausschmuggeln und Erzbischof Hohenlohe im Vatikan übergeben zu lassen. «Mit großer Angst wartete die Fürstin, bis sie morgens um halb acht ins Sprechzimmer gerufen wurde. In großer Angst, fast atemlos eilte die Fürstin hinunter und auf den Erzbischof zu, dem sie in größter Aufregung zurief: ‹Rette, rette mich!› - Erst konnte er sie gar nicht verstehen und fürchtete fast, seine Cousine redete irre, aber nach und nach gelang es ihr, ihn zu überzeugen, dass sie ihrer Sinne mächtig war und dass ihre Furcht nicht unbegründet war. Jetzt wurde ihm ihr Verlangen klar, aus dem Kloster zu scheiden, und er versprach, alles zu tun, damit alles so bald als möglich geschehen könne, konnte aber den kürzesten Termin erst für den anderen Tag anberaumen» - so schrieb Christiane Gmeiner in der dritten Person nieder, was die Fürstin ihr in der ersten Person geschildert hatte.
Was Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen hier berichtet, klingt nach finsterem Mittelalter und bedient zahlreiche Klischees und Vorurteile, die gemeinhin über das katholische Ordensleben kolportiert werden. Doch wir befinden uns nicht im Mittelalter, sondern in der Neuzeit, in der Mitte des 19. Jahrhunderts, nicht in einer einsam gelegenen Klosterburg auf einem hohen Berg am Rande der Welt, sondern mitten in der Hauptstadt der Christenheit, kaum zwei Kilometer Luftlinie vom Vatikan entfernt, dem Sitz des Stellvertreters Jesu Christi auf Erden.
Was war wirklich in Sant'Ambrogio passiert? Handelte es sich um bloße Vergiftungsphantasien einer überspannten hochadeligen Dame, oder gab es die Anschläge auf das Leben Katharinas wirklich? Und überhaupt: Wie kam eine Fürstin aus dem Hause Hohenzollern, eine enge Verwandte des späteren preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm I., dazu, als Nonne in einen derart strengen Orden und gerade in Rom einzutreten?
Erstes Kapitel
«Solche Schändlichkeiten»
Katharina von Hohenzollern erstattet Anzeige bei der Inquisition
Rom als himmlisches Jerusalem
Die Italiensehnsucht eines Johann Wolfgang von Goethe oder Johann Joachim Winckelmann, die sich an Rom als dem Hort der klassischen Antike berauschten, war es nicht, die Katharina nach Rom trieb. Es war auch nicht der imperiale Zug, der die großen deutschen Königsgeschlechter von den Karolingern bis zu den Staufern in die Stadt am Tiber geführt hatte, um dort die Kaiserkrone zu empfangen. Da Katharinas Ziel ein Ort frommer Frauen war, müssen es vor allem religiöse Motive gewesen sein, die sie in die Stadt des Papstes zogen.
Dabei hatte Rom als religiöses Zentrum seit der Mitte des 18. Jahrhunderts einen dramatischen Niedergang erlebt. Der Papst war als weltlicher Fürst des Kirchenstaates, der in der Mitte Italiens ein gutes Viertel der Fläche der Apenninenhalbinsel einnahm, immer stärker in politische und militärische Konflikte zur Sicherung seiner Herrschaft hineingezogen worden und hatte sich immer weniger um seine Aufgaben als geistliches Oberhaupt der katholischen Kirche kümmern können. Gegen Ende des Jahrhunderts sank das religiöse Ansehen des Papsttums auf einen absoluten Tiefpunkt. 1773 gelang es den europäischen Mächten sogar, Clemens XIV. zu zwingen, mit dem Jesuitenorden seine wichtigste kirchenpolitische Stütze aufzuheben. Napoleon Bonaparte annektierte den Staat des Papstes und zwang Pius VII. ins französische Exil. Der Wiener Kongress von 1815 stellte zwar nach der Rückkehr des Papstes aus Frankreich den Kirchenstaat als eigenständiges Gebilde wieder her, die Reformen auf den Feldern der Verwaltung, der Rechtsprechung, des Bildungswesens und nicht zuletzt der Wirtschaft, die Kardinalstaatssekretär Ercole Consalvi in Wien versprach, wurden aber nie durchgeführt. Der Staat des Papstes galt deshalb als das rückständigste politische Gebilde Europas überhaupt.
Im Zuge der Restauration, die nach den Befreiungskriegen in Europa zur dominierenden Richtung wurde, konnte das Papsttum sein Ansehen als moralische und religiöse Instanz jedoch deutlich verbessern. Jetzt war der Papst plötzlich der einzige Monarch Europas, der der Bestie Napoleon getrotzt hatte und für seine Überzeugungen ins Exil gegangen war, während alle anderen Fürsten mit dem Kaiser der Franzosen gekungelt hatten. Deshalb galt in der Romantik das Papsttum als Garant ewiger Werte, insbesondere der Monarchie und des Gottesgnadentums, und als Schutz gegen das Chaos und die Unsicherheiten der Französischen Revolution mit ihrem liberalen Staats- und Menschenrechtsverständnis. Besonders geschickt nahm Leo XII. diese Sehnsucht nach Sicherheit auf. Das ewige Rom sollte wieder zum heiligsten Ort der Welt werden.
Gerade in Deutschland orientierten sich infolge der Säkularisation und der damit verbundenen Zerstörung der alten Reichskirche mit ihren Fürstbistümern nicht wenige Katholiken immer mehr nach Rom. Sie waren meist Untertanen protestantischer Fürsten geworden und suchten ihr Heil in einer engen Anbindung an die Päpste. Besonders nach der Julirevolution von 1830 begann eine Phase der zunehmenden Ultramontanisierung der katholischen Kirche. Immer stärker blickten Katholiken «ultra montes», über die Berge nach Rom, immer mehr wurden die römische Frömmigkeit, die römische Liturgie und die römische Theologie als die einzig wahren Verwirklichungen des Katholizismus angesehen, weil sie vom Papst als Vicarius Christi legitimiert waren.
Die katholische Publizistik stilisierte im Zuge dieser Bewegung Rom zur Braut Christi, zur Heiligen Stadt, zum himmlischen Jerusalem auf Erden. Diese religiöse Aufwertung des Papsttums ging bezeichnenderweise nicht von den Päpsten und der Römischen Kurie selbst aus, sondern wurde von außen an den Papst herangetragen. Das Papsttum wurde zur Projektionsfläche aller religiösen Sicherheitsbedürfnisse in einer Zeit voller Umbrüche, Unsicherheiten und revolutionärer Umwälzungen. Genau in dieser Phase entdeckte man die Wallfahrt nach Rom wieder neu: Die persönliche Begegnung mit dem Papst, das Gebet an den Gräbern der Apostelfürsten Petrus und Paulus und die damit verbundene religiöse Selbstvergewisserung wurden zu Kennzeichen echter Katholizität.
Diese Orientierung an Rom wurde an der Kurie ganz unterschiedlich aufgenommen. Das Kardinalskollegium spaltete sich in «Zelanti» und «Politicanti». Während die einen, die Eiferer, die neue Rombegeisterung dafür nutzen wollten, jede Reform in Kirche und Kirchenstaat zurückzudrängen und den Papst immer mehr zum unfehlbaren Gottkönig zu stilisieren, waren die anderen, die Pragmatiker, eher skeptisch, weil sie ihr Programm einer Versöhnung von Kirche und Welt gefährdet sahen. «Falken» und «Tauben» stießen vor allem bei Papstwahlen heftig aufeinander; abwechselnd setzten sich Hardliner und Gemäßigte beim Konklave durch.
In diesen Zug der Romwallfahrer, der vor allem höhere soziale Schichten erfasste, reihte sich auch Katharina von Hohenzollern mit ihrer Mutter ein, als sie im Pontifikat Gregors XVI., der ein Zelant war, 1834 zum ersten Mal nach Rom kam. Der Papst und seine Umgebung hegten ein prinzipielles Misstrauen gegenüber der modernen Welt mit all ihren fortschrittlichen politischen Ideen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und wirtschaftlichen Entwicklungen. Während seiner Regentschaft baute er die Heilige Stadt zu einer geistigen Trutzburg gegen die teuflischen Mächte des Liberalismus aus, nachdem die Julirevolution auch den theokratischen Staat des Papstes nicht verschont hatte. Dies führte bei Gregor XVI. zu einem ausgesprochenen Revolutionstrauma und einer Verfolgung aller Neuerer in der katholischen Kirche. Alles, was auch nur entfernt nach Freiheit, Reform oder moderner Bildung aussah, roch für den Papst nach Schwefel. Die katholische Kirche sollte auf Rom konzentriert und zu einem «Haus voll Glorie» aufgerüstet werden, das der Moderne erfolgreich Paroli bieten und sie letztlich durch den Triumph des Heiligen Stuhles - wie ein einschlägiger Buchtitel des Papstes lautete - besiegen würde.
Nach diesem restaurativen Pontifikat wurde am 16. Juni 1846 Giovanni Maria Mastai-Ferretti zum Papst gewählt. Er galt als gemäßigter Politicant und nannte sich folgerichtig nach seinem Vorvorgänger Pius IX. Tatsächlich führte der persönlich äußerst gewinnende Papst anfangs eine Reihe von Reformen durch. So erließ er eine Amnestie für politische Gefangene, setzte eine Zivilregierung ein und versprach seinen Untertanen die Mitwirkung am politischen Leben des Kirchenstaats durch eine Verfassung. Dieser liberale Impuls stieß bei der römischen Bevölkerung auf breite Zustimmung. Allerdings radikalisierte sich die Situation in Rom: Der Funke der Märzrevolution von 1848 sprang auch auf die Stadt des Papstes über. Pius IX. war gezwungen, ins neapolitanische Gaeta zu fliehen. Erst nachdem französische Truppen den Aufstand niedergeschlagen hatten, konnte der Papst 1850 in den Vatikan zurückkehren.
Das Trauma der Revolution von 1848 bestimmte fortan sein Pontifikat. Alle Reformen wurden zurückgenommen, die Politik im Kirchenstaat und das Lehramt in der Kirche trugen ab sofort strikt reaktionäre Züge. Ähnlich wie sein Vorgänger Gregor XVI. fühlte sich der Papst von allen Seiten verfolgt und bedroht. Daraus resultierte eine geradezu apokalyptische Angst vor der Besetzung des Kirchenstaats und Roms durch italienische Truppen. Nur durch ausländische Truppen konnte Pius' IX. weltliche Herrschaft im Kirchenstaat gegen das Risorgimento, die nationale Einigungsbewegung, gesichert werden, die Rom als natürliche Hauptstadt des neuen italienischen Nationalstaats ansah.
Dies führte auch auf religiösem Gebiet zu einer Art Belagerungsmentalität. Während am Beginn des Pontifikates Pius' IX. liberale Kardinäle und Prälaten beim Papst genauso ein offenes Ohr gefunden hatten wie Hardliner und Intransigente, verschoben sich die Gewichte eindeutig zugunsten der Letzteren. So war Rom in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus eine Stadt des religiösen Pluralismus gewesen. Die Parteiungen und theologischen Richtungen, die es etwa in Deutschland und Frankreich gab, spiegelten sich auch an der Römischen Kurie mit ihren Büros und Kongregationen wider. Den Kurialen, die eine Versöhnung von Kirche und Welt, von moderner Philosophie und katholischem Glauben anstrebten, standen Romantiker und Neuscholastiker gegenüber, die in der Philosophie des heiligen Thomas von Aquin die einzig denkbare Basis für den Katholizismus sahen. Vor allem der Jesuitenorden und das von ihm dominierte Collegio Romano wurden mehr und mehr zum Hort der Neuscholastik und der Hyperorthodoxie in Rom, während sich etwa die Benediktiner der Abtei Sankt Paul vor den Mauern einem off enen, pluraleren Modell von Frömmigkeit und Theologie verschrieben, das neuere philosophische Ansätze einbezog.
Der Papst stellte sich nach 1848 immer eindeutiger auf die Seite der Konservativen und ließ abweichende theologische Meinungen durch die Inquisition und die Indexkongregation verfolgen. Zahlreiche moderne Theologen landeten auf dem Index der verbotenen Bücher, der von einem Instrument zur Kontrolle des gesamten Buchmarktes in der Zeit Pius' IX. immer mehr zum Instrument der Disziplinierung innerkirchlicher Selbstdenker wurde.
Den unterschiedlichen theologischen und kirchenpolitischen Richtungen entsprachen ganz unterschiedliche Frömmigkeitspraktiken und religiöse Mentalitäten. Die restaurative und romantische Richtung setzte auf eine Wiederherstellung der überschwänglichen Andachtsformen des Barockkatholizismus, entdeckte die während der Aufklärung diskreditierte Mystik wieder und rechnete überall mit Wundern. Die liberaleren Kreise an der Kurie bevorzugten eine nüchterne Frömmigkeit, die vor den Ansprüchen der neuzeitlichen Vernunft Bestand haben sollte. Auch hier waren die Vorlieben Pius' IX. sehr eindeutig: Der Papst glaubte an das Eingreifen himmlischer Mächte im Hier und Jetzt. So führte er seine Rettung aus einem reißenden Fluss, in den er als Kind gefallen war, unmittelbar auf die helfende Hand der Gottesmutter zurück.
Auf dieses Milieu traf Katharina von Hohenzollern, als sie sich 1857 entschloss, endgültig nach Rom überzusiedeln. Das Rom dieser Tage war klein und überschaubar. Als der Geschichtsschreiber der Stadt, Ferdinand Gregorovius, 1852 zum ersten Mal an den Tiber kam, notierte er in seinem Tagebuch: «Rom ist so tief still, dass man hier in göttlicher Ruhe empfinden, denken und schaff en kann.»Dieser Eindruck Gregorovius' verwundert nicht, denn die Stadt hatte damals gerade einmal 180000 Einwohner. Davon waren rund 7500 Geistliche und Nonnen. Eine allgemeine Schulpflicht existierte nicht; die Elementarschulen erreichten immerhin, dass ein Drittel der Bevölkerung lesen und schreiben konnte. Von den gut vierzehn Quadratkilometern Stadtfläche, die innerhalb der vierundzwanzig Kilometer langen antiken Stadtmauer lagen, war gerade ein gutes Drittel bebaut. Die übrige Fläche wurde landwirtschaftlich genutzt - so diente etwa das Forum Romanum als Viehweide. Es gab insgesamt 14700 Gebäude, in denen 39000 Familien lebten, die zu vierundfünfzig Pfarreien gehörten. Erst 1854 wurde eine Gasbeleuchtung in den Straßen installiert, ein Eisenbahnanschluss fehlte. Der wirtschaftliche Aufschwung und die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts waren an der Stadt und dem Kirchenstaat, in dem damals auf 42000 Quadratkilometern rund 3,2 Millionen Menschen lebten, vorbeigegangen.
Die Einkommensunterschiede waren immens. So verdiente ein hoher Prälat an der Kurie im Jahr knapp 2000 Scudi, eine bürgerliche Familie mit sechs Personen brauchte zum Leben in der Stadt jährlich etwa 650 Scudi, eine gleich große Bauernfamilie kam mit 250 Scudi aus. Ein Landarbeiter verdiente im Jahr 72 Scudi, ein Hirtenjunge kam auf 32 Scudi.
Ein Damaskuserlebnis und seine Folgen
Bereits die erste Begegnung mit Rom im Jahr 1834 wurde für Katharina zu einem tiefgreifenden Einschnitt. Sie war am 19. Januar 1817 als Tochter des Fürsten Karl Albrecht III. zu Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst und seiner zweiten Ehefrau Leopoldine zu Fürstenberg in Stuttgart geboren und katholisch getauft worden. Nachdem die Eltern sich bereits wenige Jahre nach ihrer Geburt auseinandergelebt hatten und der Vater sich auf seine hohenlohischen Besitztümer zurückgezogen hatte, wuchs die Prinzessin überwiegend in Donaueschingen bei ihrer Mutter und den fürstenbergischen Verwandten auf. Ihre streng kirchlich orientierten Biographen sprechen mit tiefem Bedauern von einer sehr liberalen Erziehung, die sie im äußerst freisinnigen Baden genossen habe, und beklagen, dass sie ihre ganze Kindheit und Jugend über «ohne eigentlich religiöse Führung» geblieben sei.
Als 1848 dieses Gemälde entstand, heiratete Katharina im Alter von einunddreißig Jahren den Fürsten Carl von Hohenzollern-Sigmaringen.
Als die Siebzehnjährige 1834 mit ihrer Mutter nach Rom reiste, kam es zu einem Damaskuserlebnis. In der Stadt des Papstes bekehrte sich Katharina zum katholischen Glauben in seiner strengkirchlichen Spielart, aus der freisinnigen jungen Dame wurde eine fromme katholische Adelige. Entscheidenden Anteil an dieser Wende hatte Karl August Graf von Reisach. Reisach, geboren am 6. Juli 1800, stammte wie Katharina von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst aus dem schwäbisch-fränkischen Adel und hatte eine schwierige Kindheit und Jugend hinter sich. Sein Vater, von ständiger finanzieller Not bedrängt und wegen Veruntreuung von Geldern angeklagt, hatte sich 1820 durch Selbstmord der Verantwortung entzogen. Dies muss eine einschneidende Erfahrung im Leben des jungen Grafen gewesen sein. Als sich nach dem Studium der Rechte seine Hoffnungen auf eine Professur in Landshut zerschlugen und Heiratspläne im Sande verliefen, suchte Reisach nach Orientierung und Halt. Er geriet unter den Einfluss von Clemens Maria Hofbauer, einem vom Protestantismus zum Katholizismus konvertierten Redemptoristen pater, und des Göttinger Staatsrechtsprofessors Adam Müller, der ein romantisches ständisches Gesellschaftsmodell mit dem Papst an der Spitze vertrat. Rom wurde für Reisach zum Ziel und Haltepunkt in den Unsicherheiten seines Lebens. Er entschloss sich, Priester zu werden und Theologie an dem einzigen Ort zu studieren, an dem aus seiner Sicht rechtgläubig gelehrt wurde. Deshalb besuchte er im Oktober 1824 als erster Deutscher nach der Säkularisation das gerade von Leo XII. wiedereröffnete Collegio Romano, die spätere päpstliche Universität Gregoriana, und bezog das Collegium Germanicum, das Studienkonvikt für deutsche Priesteramtskandidaten in Rom. Unter dem Einfluss der Jesuiten entwickelte sich Reisach zu einem Eiferer für Papst und Kirche. 1828 zum Priester geweiht und zum Doktor der Theologie promoviert, wurde er Rektor des Kollegs der Propaganda Fide, der Kongregation zur Verbreitung des Glaubens. Mit deren Präfekten, Kardinal Mauro Cappellari, verband ihn eine besonders enge und vertrauensvolle Beziehung. Beide waren sich in einer strikt restaurativen Ausrichtung der Kirche und einer Ablehnung aller Reformen einig, die Reisach als «fein gesponnenes Komplott der freizügigen Theologen mit den Philosophen zum Zweck der Abschaffung der katholischen Kirche» ansah. Nachdem Cappellari als Gregor XVI. 1831 den Stuhl Petri bestiegen hatte, wurde Reisach sein engster Mitarbeiter bei der Bekämpfung aller Kirchenreformer, insbesondere im deutschen Südwesten, aus dem Katharina kam.
Katharina muss von dem jungen Geistlichen fasziniert gewesen sein. Jedenfalls wurde Reisach umgehend ihr Beichtvater und Seelenführer. Damit gewann er einen entscheidenden Einfluss auf ihr künftiges Leben. Denn die Prinzessin verpflichtete sich nicht nur, ihm im Sakrament der Beichte ihr Innerstes zu offenbaren, sondern sollte sich fürderhin in allen Lebensfragen mit der Bitte um Rat und Weisung an ihn wenden. Tatsächlich entwickelte sich zwischen dem Seelenführer und seinem Beichtkind ein intensiver Briefwechsel. In ihrem jugendlichen Überschwang wollte Katharina Reisach im Kampf für die Kirche nachfolgen und äußerte den Wunsch, in ein römisches Dominikanerinnenkloster einzutreten. Dem scheint sich Reisach jedoch entgegengestellt zu haben. Er sah darin wohl eher die jugendliche Schwärmerei einer Siebzehnjährigen denn eine reife religiöse Entscheidung. Sie sollte - wie es sich für eine junge Adelige ihres Standes gehörte - erst einmal ihre Pflicht als Ehefrau und Mutter tun.
Und tatsächlich legte Katharina von Hohenlohe statt des Ordenskleides zunächst das Brautkleid an. Sie hatte sich, wie ihre Nichte Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe schreibt, «leidenschaftlich in einen Grafen Ingelheim verliebt, von dem meine Großeltern nichts wissen wollten, denn man hielt den übrigens sehr liebenswürdigen jungen Mann für schwindsüchtig. Tante Katharine setzte sich darüber hinweg und heiratete ihn trotz aller Widerstände. »Das war 1838. Graf Erwin von Ingelheim verstarb dann wirklich bereits 1845. Die Ehe blieb kinderlos. Drei Jahre später trat Katharina noch einmal in den heiligen Stand der Ehe; diesmal war es vermutlich eine Vernunftehe. Sie heiratete nämlich 1848 den vierunddreißig Jahre älteren Fürsten Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, der in erster Ehe mit Antoinette Murat, einer Nichte des Schwagers von Napoleon Bonaparte, liiert gewesen war. Fürst Karl brachte mehrere Stiefkinder in die Ehe, die fast alle älter waren als seine zweite Frau. Doch auch diese Ehe währte nicht lange. Auf einer Reise durch Norditalien erkrankte der Fürst an Typhus und starb am 11. März 1853 in Bologna. Nach nur fünf Ehejahren war die inzwischen sechsunddreißigjährige Katharina zum zweiten Mal Witwe. Sie erhielt von der Familie ihres Mannes das Gut im böhmischen Bistritz als Witwensitz und eine jährliche Pension von zunächst 12 000 und dann 15000 Rheinischen Gulden, ferner eine Einmalzahlung von 100 000 Gulden, die sie zum Aufbau eines Kapitalstockes für eine Stiftung verwendete, aus der sie später die Gründung eines Klosters finanzieren wollte.
Zunächst erfüllte sie sich jedoch ihren bereits 1834 in Rom geäußerten Herzenswunsch und wurde Ordensfrau. Katharina trat am 18. Dezember 1853 im elsässischen Kintzheim in ein Haus der Gesellschaft der «Dames du Sacré-Coeur» ein. Die Frauen des Herzens Jesu erinnern in Vielem an die Englischen Fräulein. Auch bei ihnen handelte es sich um eine Kongregation, die sich vor allem der Mädchenbildung verschrieben hatte und dabei von einem jesuitischen Konzept der Pädagogik inspiriert war. Mitunter wurden sie deshalb sogar als «Jesuitinnen» bezeichnet. Am 11. März des folgenden Jahres wurde Katharina dort als Novizin eingekleidet. Allerdings zeigte sich bald, dass die Fürstin den Strapazen des Schuldienstes weder körperlich noch psychisch gewachsen war. Auf diese Überforderung und das Scheitern ihres Traums vom Klosterleben reagierte sie mit Krankheit; medizinische Anwendungen und Kuraufenthalte brachten keine Linderung. War diese Reaktion ein für die Fürstin typisches Verhaltensmuster im Angesicht des Scheiterns? Spräche dann nicht Vieles dafür, dass sie wenige Jahre später die Giftanschläge in dem römischen Kloster ebenfalls vortäuschte, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass sie als Ordensfrau erneut gescheitert und deswegen wieder schwer erkrankt war?
Jedenfalls legte ihr nach Rücksprache mit den behandelnden Ärzten ihr Seelenführer Reisach, der 1836 Bischof von Eichstätt und 1846 Erzbischof von München und Freising geworden war, nahe, umgehend aus dem Kloster im Elsass auszutreten. Viele Frauen waren im 19. Jahrhundert, im sogenannten weiblichen Ordensfrühling, Kongregationen und religiösen Orden beigetreten, um als Lehrerinnen oder Krankenschwestern Berufe zu ergreifen, die ihnen sonst verwehrt waren. Für Katharina war dies offenbar nicht der richtige Weg. Der Erzbischof hielt sie «nicht für das Erziehungsfach veranlagt und vorgebildet»; für eine «kränkliche und von schweren Lebensprüfungen doppelt gebeugte Witwe» war dieser Schulorden nach seiner Ansicht schlicht ungeeignet. Worin die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Fürstin genau bestanden, wird aus den Quellen nicht ganz deutlich. Ihr Biograph Karl Theodor Zingeler spricht in seinem 1912 erschienenen Lebensbild von «Wassersucht», einer abnormen Ansammlung von Körperflüssigkeit, unter der die korpulente Katharina Zeit ihres Lebens zu leiden hatte.
© Verlag C.H.Beck oHG, München
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Autoren-Porträt von Hubert Wolf
Hubert Wolf, geboren 1959, ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er wurde u. a. mit dem "Leibnizpreis" der DFG, dem "Communicator- Preis" und dem "Gutenberg-Preis" ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Hubert Wolf
- 2013, 4. Aufl., 544 Seiten, 10 Abbildungen, Maße: 14,7 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Beck
- ISBN-10: 3406645224
- ISBN-13: 9783406645228
- Erscheinungsdatum: 14.02.2013
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