Die Rose von Darjeeling
Roman
Zwei Freunde. Ein Schicksal. Eine Liebe, die nie vergeht ...
Darjeeling in den Dreißigern. Kathryn, eine junge Engländerin voller Träume, lebt auf der Teeplantage ihres Vaters. Sie ist begeistert als zwei deutsche Reisende bei ihnen Halt...
Darjeeling in den Dreißigern. Kathryn, eine junge Engländerin voller Träume, lebt auf der Teeplantage ihres Vaters. Sie ist begeistert als zwei deutsche Reisende bei ihnen Halt...
lieferbar
versandkostenfrei
Taschenbuch
10.30 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Rose von Darjeeling “
Zwei Freunde. Ein Schicksal. Eine Liebe, die nie vergeht ...
Darjeeling in den Dreißigern. Kathryn, eine junge Engländerin voller Träume, lebt auf der Teeplantage ihres Vaters. Sie ist begeistert als zwei deutsche Reisende bei ihnen Halt machen: der attraktive Gustav, der Kontakte für seinen Teehandel knüpfen will, und sein bester Freund Carl, der auf der Suche nach einer neuen Rhododendrenart ist. Allem Widerstand zum Trotz folgt sie den jungen Männern auf ihre gefährliche Expedition in den Himalaya - und merkt dabei, wem ihr Herz gehört. Doch die Plantage ihres Vaters steht vor dem Ruin, und in Deutschland bricht der Krieg aus ...
Darjeeling in den Dreißigern. Kathryn, eine junge Engländerin voller Träume, lebt auf der Teeplantage ihres Vaters. Sie ist begeistert als zwei deutsche Reisende bei ihnen Halt machen: der attraktive Gustav, der Kontakte für seinen Teehandel knüpfen will, und sein bester Freund Carl, der auf der Suche nach einer neuen Rhododendrenart ist. Allem Widerstand zum Trotz folgt sie den jungen Männern auf ihre gefährliche Expedition in den Himalaya - und merkt dabei, wem ihr Herz gehört. Doch die Plantage ihres Vaters steht vor dem Ruin, und in Deutschland bricht der Krieg aus ...
Klappentext zu „Die Rose von Darjeeling “
Zwei Freunde. Ein Schicksal. Eine Liebe, die nie vergeht ...Darjeeling in den Dreißigern. Kathryn, eine junge Engländerin voller Träume, lebt auf der Teeplantage ihres Vaters. Sie ist begeistert als zwei deutsche Reisende bei ihnen Halt machen: der attraktive Gustav, der Kontakte für seinen Teehandel knüpfen will, und sein bester Freund Carl, der auf der Suche nach einer neuen Rhododendrenart ist. Allem Widerstand zum Trotz folgt sie den jungen Männern auf ihre gefährliche Expedition in den Himalaya - und merkt dabei, wem ihr Herz gehört. Doch die Plantage ihres Vaters steht vor dem Ruin, und in Deutschland bricht der Krieg aus ...
Lese-Probe zu „Die Rose von Darjeeling “
Die Rose von Darjeeling von Sylvia LottJersey
August 1990
... mehr
Natürlich wollte Lady Kathryn ihr Geheimnis nicht mit ins Grab nehmen. Sie saß vor dem Spiegel ihrer französischen Frisierkommode und bürstete kräftig durch ihr immer widerspenstiger werdendes, kinnlanges weißes Haar. Mit der Morgenluft wehte ein Duft von Rosen und Petunien durch die geöffneten Fenster herein. Nein, die Zeit war reif. Seit sechzig Jahren, seit sie gewusst hatte, dass sie schwanger war, rang Kathryn mit sich, wann und wie sie es ihrer Familie sagen sollte. Bei einem feierlichen Candle-Light-Dinner? Oder bei gedecktem Apfelkuchen zum Nachmittagstee in ihrer Sitzecke neben dem Rhododendronsolitär - am besten noch zur Hauptblütezeit? Manchmal dachte sie mehrmals am Tag darüber nach, stellte sich vor, wie ihr Vater, ihr Mann, und dann, nachdem beide gestorben waren, ihr Sohn Charles, die Schwiegertochter und ihr Enkel darauf reagieren würden.
Am Tag von Charles' Geburt hatte sie sich vorgenommen, es ihm zu sagen, wenn er die Volljährigkeit erreicht hätte. Doch ausgerechnet dann geschah etwas, das für eine kurze Zeit erneut ihre Welt aus den Angeln hob. Als sie sich allmählich wieder in gewohnter Weise zu drehen begann, musste Kathryn ihre Enthüllung erneut verschieben, weil es ihr sonst niemals gelungen wäre, zur Normalität zurückzukehren.
Die Sonne schien jetzt in den Spiegel und blendete sie. Kathryn stand auf, um den alten geblümten Vorhang aus indischer Seide vorzuziehen. Er stammte aus einem der vornehmsten Geschäfte Kalkuttas, immer noch verliehen die verwegenen pinkfarbenen Blumen ihrem ansonsten in Resedagrün und Cremetönen gehaltenen Privatsalon einen Hauch Poesie. Sie stieß mit dem Ellbogen gegen ihre Harfe, die in der Ecke stand. Ein tiefer Ton schwang nach, etwas Staub wirbelte auf. Ach, ja, schade, lange hatte sie nicht gespielt, aber vielleicht könnte sie bald wieder einmal einen Versuch wagen.
Zwei Jahre hatte es damals gedauert, bis sie das Thema wieder an sich heranlassen konnte. In den Wechseljahren schwor sie sich, ihr Geheimnis allerspätestens an ihrem achtzigsten Geburtstag preiszugeben. Das hätte immerhin den Vorteil, dass ihr Vater und ihr Mann Alfred, der selige Lord Taintsworth, es nicht mehr erfahren würden.
Am nächsten Sonntag wurde sie achtzig. Schwer vorstellbar, nun wirklich so alt zu sein. Innerlich fühlte sie sich auch heute noch phasenweise wie eine junge Frau, manchmal auch wie fünf oder wie hundertzwanzig oder zeitlos. Meist musste sie eine Weile überlegen, wenn sie irgendwo ihr Alter angeben sollte.
»Du wirst achtzig, altes Mädchen! «, sagte sie ungläubig zu ihrem Spiegelbild, einer freundlichen Seniorin mit gewelltem Bubikopf, tiefem Seitenscheitel und niedrigem Haaransatz.
Ihre Stimme klang immer noch, wie schon in ihrer Jugend, leicht rauchig. Der helle Teint, übersät mit Sommersprossen und Altersflecken, fältelte sich reichlich, aber fein wie ein Strahlenkranz um die Augen und an den Wangenpartien. Dem gealterten Hals gönnte sie keinen längeren Blick mehr. Die wohlgeformte gerundete Nase war immer noch etwas zu kurz, obwohl ihr Vater ihr als Kind versprochen hatte, ihre Nase würde niemals aufhören zu wachsen. Sie schmunzelte. Der Blick ihrer grünen Augen unter den kräftigen Brauen (die sie beim Friseur dunkelblond nachfärben ließ) konnte blitzschnell von Melancholie zu Belustigung wechseln, doch meist war er gütig und wohlwollend. Kathryn trat einen Schritt zurück. Früher war sie mittelgroß gewesen, heute galt sie eher als klein.
»Bist geschrumpft, musst dich gerader halten! «, mahnte sie die Lady im hellgrauen Hemdblusenkleid mit den bequemen Pumps. »Nimm dir ein Beispiel an Queen Mom.« Ihr Spiegelbild winkte sogleich ab. Man konnte doch froh sein, dass es überhaupt wieder ging mit dem Gehen. Seit den Rheumaschüben im Winter hatte sich ihr Zustand erfreulich gebessert. Gnädig nickte sie sich zu. »Du wirst tatsächlich achtzig. « Punkt. Und keine Ausreden mehr!
In vier Tagen würde die Bombe platzen. Der Skandal würde nicht nur in Adelskreisen und bei Cocktailempfängen der Upperclass von Jersey, sondern bis in die Markthalle von Saint Helier, der Hauptstadt der Insel, für Gesprächsstoff sorgen! Selbst die wortkargen Hummerfänger im Hafen am alten Schlachthof würden beim Ausbessern ihrer Körbe darüber ratschen und sicher glatt vergessen, ihre Zahnlücken zu verbergen.
Kathryn gluckste unterdrückt in sich hinein. Ihr Sinn für Humor hatte ihr geholfen, viele dramatische Ereignisse im Leben zu überstehen. Und doch schmerzte es auch. Immer noch, nach so vielen Jahren. Gerade jetzt wieder spürte sie den vertrauten Stich in der Brust, dem ein sehnsüchtiges süßes Ziehen folgte. Ihre Kehle schnürte sich zu, Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie atmete tief durch und schloss die Lider. Manchmal spürte sie die Liebe wieder: so jung und unverbraucht, so intensiv, innig, tief und weit und allumspannend wie damals. Eine Träne lief ihre Wange hinunter.
Am stärksten überkam sie dieses Gefühl, wenn sie im Mai ihrem Rhododendron nahe war. Es gab viele Rhododendren in ihrem Park, die meisten wuchsen in Gruppen angeordnet, doch sie meinte immer nur den einen: die »Rose von Darjeeling «. Das Herz ging ihr auf, wenn der inzwischen fast vier Meter breite und drei Meter hohe Prachtbusch seine Knospen austrieb und seine großen scharlachfarbenen Blüten öffnete. Wie aus hauchdünnem Wachs modelliert wirkten sie und schienen, besonders in der Morgensonne, von innen heraus zu leuchten. Dieser Rhododendron hatte eine eigene Aura, Kathryn ließ sich insgeheim von ihr umfangen wie von den Armen eines Geliebten.
Das Außergewöhnlichste aber an der besonderen Züchtung war ihr Duft. Nur wenige Rhododendren verströmten Wohlgerüche, sah man einmal ab von einigen zur Gruppe der Azaleen gehörenden Arten wie dem nasenbetäubend honigsüß riechenden gelben Rhododendron luteum, an dessen Honig sich einst die Soldaten des Xenophon um 400 vor Christus auf dem Rückmarsch von Babylon vergiftet hatten. Ihr Rhodo duftete anders. Nicht aufdringlich. Auch nicht nach Zimt, Jasmin oder Orchidee wie einige der Vireya-Arten, die nur in tropisch-schwülen Regionen Südostasiens oder in den Gewächshäusern von Kew Gardens gedeihen konnten. Den zarten, geheimnisvoll lockenden Duft der Rose von Darjeeling begleitete eine schwer beschreibbare Note, die einmalig war. Deshalb verließ Kathryn während der Blütezeit von Anfang bis Ende Mai nur zu einem alljährlichen Pflichttermin in London für drei Tage ihr Anwesen. Sie hielt sich am liebsten draußen bei ihrem Rhododendron auf. Meist saß sie auf dem Rasen direkt daneben in einem Gartensessel, der zu einer dunkelgrün gepolsterten, silbrig verwitterten Teakholzsitzgruppe gehörte, und las.
Eine gepflegte Grünfläche schwang sich von der Sonnenterrasse des Herrenhauses sanft abwärts bis zu ihrem Lieblingssitzplatz. Sie hatte den Strauch knapp vierzig Jahre zuvor in den lichtdurchbrochenen Schatten alter Eichen und Magnolien gepflanzt. Hier nahm sie, sobald die Witterung es zuließ, mit ihrer Schwiegertochter Alexandra den Nachmittagstee ein. Hier empfing sie die Damen der Hausfrauenvereinigung, um mit ihnen Wohltätigkeitsbasare zu besprechen, oder das Komitee zur Organisation des Blumenfestes. Sofern das Rheuma es ihr erlaubte, buddelte sie auch gern in benachbarten Beeten zwischen Funkien, Bluebells, Primeln und Bambus. Nur um immer, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, für Momente die Augen zu schließen und diesen Duft in sich aufzunehmen, der in ihr alles wieder lebendig machte.
Jeder wusste, dass die Herrin von Greenville Manor diesen Rhododendron besonders liebte. Und normalerweise war sie auch die Großzügigkeit in Person, wenn sie um Ableger aus ihrem viel bewunderten Park gebeten wurde. Zum Beispiel von den zahlreichen pensionierten Offizieren, die im milden Klima der vom Golfstrom verwöhnten Kanalinsel ihren Ruhestand mit der Gärtnerei verbrachten - und von denen mancher wohl auf einen engeren Kontakt zur verwitweten Lady hoffte. Doch sie konnte recht schmallippig werden, sobald sie auf Samen oder gar Reiser ihres Rhodos angesprochen wurde. Später, pflegte sie dann zu sagen, später einmal. Doch »später « kam nie.
Spezialisten fachsimpelten gern, um welche Sorte es sich wohl handeln möge, nur Kathryn blieb stets wortkarg, wenn es um die Herkunft ihres Rhododendrons ging. Man vermutete ganz allgemein, dass ihre Ladyschaft schöne Erinnerungen an Kindheit und Jugend auf der Teeplantage ihres Vaters in Darjeeling mit dem immergrünen Strauch verband. Damit mussten sich die Leute eben begnügen.
»Wer verkaufte den Männern von diesem griechischen Feldherrn denn den giftigen Honig? «, hatte ihr Enkel Maximilian sie einmal gefragt, als sie ihm beim gelben Rhododendron von den armen Soldaten erzählte.
»Niemand. Sie haben ihn in der Natur entdeckt, im fernen Kaukasus, in den Nestern wilder Bienen.«
»Und sind sie daran gestorben?«
»Nein, sie fühlten sich sehr elend, vielleicht glaubten sie, dass sie sterben müssten. Sie lagen dann auch eine Weile wie tot am Boden. Aber sie waren nur betäubt.«
Miles' Augen blitzten. Sie spazierten weiter durch den Garten. Zu vielen Gehölzen konnte Kathryn etwas Spannendes erzählen.
»Gibt's zu deinem Lieblingsrhododendron auch eine Geschichte, Grandma?«
Sie zögerte etwas. »Ja, mein Schatz.«
»Erzählst du sie mir?«
»Jetzt nicht. Später.«
»Wann später? «
»Wenn ich achtzig werde.«
»Versprochen?«
»Ja, versprochen.«
Vier Tage noch. Wieder spürte Kathryn einen Stich in der Brust. Dieses Mal war er eindeutig körperlicher Natur. Es lag an den Medikamenten. Sie halfen zwar gegen das Rheuma, doch dafür bescherten sie ihr andere Zipperlein. Ließ sie die Medikamente weg, verschwanden die Neben wirkungen, aber der Schmerz und die schlechte Beweglichkeit kehrten zurück ... Heute wollte sie viel erledigen, deshalb nahm sie vorsorglich noch eine Tablette.
Lady Kathryn schrak zusammen. Die mächtige urtümliche Türglocke des Herrenhauses hallte bis in den Salon hinauf, sodass die Parfumfläschchen auf der Frisurkommode erzitterten und einen hellen Klang von sich gaben. Das musste ihr Lieblingsenkel Maximilian sein. Der Elfjährige, den sie meist zärtlich Miles nannte, hatte Sommerferien und wollte sie bei ihren Besorgungen für die Geburtstagsfeier begleiten. Rasch holte Kathryn noch eine Strickjacke, die im angrenzenden Schlafzimmer auf ihrem Bett lag, dann eilte sie die Gemäldegalerie entlang, so schnell es die schmerzenden Gelenke erlaubten, und anschließend die geschwungene Freitreppe hinab in die düstere Eingangshalle. Das Anwesen aus grauem Granitstein hatte hier nur wenige Fenster, was sie gut gegen Eindringlinge abschirmte. Aber üppige Blumengestecke setzten heitere Farbtupfer.
Der Butler näherte sich gemessenen Schrittes, um die Tür zu öffnen. Kathryn warf einen Blick durch ein Guckloch, das die Vorfahren derer von Taintsworth schon vor Hunderten von Jahren neben der Eingangstür hatten einbauen lassen. Miles stand davor und machte Faxen.
»Hallo, Grandma! Ich weiß, dass du guckst!«
Sie riss sie Tür auf, bevor der Butler seines Amtes walten konnte und breitete die Arme weit aus. »Miles! Wie schön, dass du da bist!« Sie war die einzige Erwachsene, die den jungen Mann noch in der Öffentlichkeit herzen durfte.
Miles rückte schnell seine Brille zurecht und fuhr sich mit den Händen durch den dunkelblonden Haarschopf. Seine Großmutter sollte es nun auch bitte nicht übertreiben mit dem Geschmuse in der Öffentlichkeit.
»Willst du etwas essen oder trinken?«
»Nö, Granny, lass uns gleich losfahren.« Ungeduldig wippte Miles auf und ab. Er trug ein grün-weiß gestreiftes Polohemd über seinen Blue Jeans und genoss es sichtlich, nicht in der Schuluniform seines Internats herumlaufen zu müssen. »Können wir den Minor nehmen?«
»Eigentlich sollte uns Singh im Jaguar chauffieren, Darling. Ich bin nicht mehr die Jüngste.«
»Ach, was. Du musst in Übung bleiben!« Er verlegte sich aufs Schmeicheln, sein Lächeln offenbarte bereits ein beachtliches Charmepotenzial. »Du bist doch noch fit, Granny, komm schon ... Der Minor muss auch ab und zu bewegt werden, sonst rostet er ein.«
»Wie ich, meinst du?«, neckte sie ihn. Vielleicht ist es heute das letzte Mal, dass ich mit meinem Enkel in ungetrübter Stimmung zusammen sein kann, schoss es ihr durch den Kopf. Sicher würde es nach der Preisgabe ihres Geheimnisses am Sonntag eine Weile dauern, bis sich die Wogen geglättet hätten. Der Junge würde zumindest befangen sein. Das Medikament begann zu wirken, sie spürte es daran, dass die Schmerzen nachließen und durch ein Engegefühl in ihrer Brust ersetzt wurden, aber sie scherte sich nicht darum. »Na gut!«, willigte sie ein. Kathryn nahm sich vor, Miles und sich einen wunderbaren Großmutter- Enkel- Tag zu schenken, an den er sich noch als Erwachsener gerne erinnern würde. »Nehmen wir den Oldtimer.«
Alfred hatte ihr das ebenso niedliche wie praktische Fahrzeug zu ihrem fünfzigsten Geburtstag geschenkt, damit sie unkompliziert durch die sehr engen, von Steinwällen begrenzten Wege über die Insel fahren und Blumen oder größere Einkäufe transportieren konnte. Sie hing an dem Auto, einem Morris Minor Traveller, Baujahr 1959. Eine Art englischer Volkswagen mit Holzfachwerk, ein Vorbild an Zuverlässigkeit, das nicht nur ihr immer gute Laune machte. Lady Kathryn liebte diesen Nebeneffekt, wenn sie mit dem Minor durch die Landschaft fuhr oder in ein Dorf kam, lächelten die Leute unwillkürlich.
»Singh, bitte fahren Sie den Minor Morris vor. Ich setze mich heute selbst hinters Steuer. «
»Sehr wohl, Mylady. «
Singh war Butler und gleichzeitig auch der Chauffeur. Seine Miene verriet nicht, was er gerade dachte. Seine Haltung war britisch durch und durch. Die dunkle Haut, die lackschwarzen Haare mit ersten grauen Strähnen an den Schläfen, die für einen Mann zarte Gestalt und das feingeschnittene Gesicht verrieten seine indische Herkunft. Mohandas Singh war in Jersey geboren und aufgewachsen. Seine Eltern waren 1930 mit Kathryn, der jungen Braut, von Darjeeling nach Greenville Manor gekommen.
»Und würden Sie dann bitte mit Marie zusammen die Sitzgruppe neben dem Rhododendron erweitern? Einige Gäste werden nach dem Brunch auf der Terrasse am Sonntag sicher noch zum Tee bleiben. «
Kathryn hatte sich zwar ausdrücklich gewünscht, dass ihre Geburtstagsfeier in kleinem Rahmen stattfinden sollte, ohne Auftrieb und Presse, ohne redenschwingende Würdenträger, doch mit fünfzig bis sechzig Gästen am späten Vormittag rechnete sie trotzdem.
»Was, wenn es hundert werden, Mylady? «, fragte Marie in diesem Moment besorgt. Sie stand mit ihrer gestärkten weißen Schürze in der Tür des Salons und polierte eine Kristallkaraffe. Die dralle Fünfzigjährige stammte aus dem nächsten Dorf, eine einfache Frau mit einem groben, aber ehrlichen Gesicht. Marie hatte sich durch unermüdlichen Einsatz und Zuverlässigkeit vom Hausmädchen zur leitenden Haushälterin und Köchin hochgearbeitet. »Soll ich nicht doch lieber mehr vorbereiten? «
»Das tun Sie doch sowieso, egal, was ich sage.« Kathryn lächelte. »Miles und ich unternehmen jetzt eine kleine Gourmettour über die Insel und werden mal schauen, was wir zusätzlich an Köstlichkeiten ordern können, um Ihnen die Arbeit zu erleichtern. «
Marie sah nicht wirklich erleichtert aus. Schließlich kannte sie die impulsiven Entscheidungen ihrer Arbeitgeberin.
»Aber bitte, Mylady, würden Sie mir anschließend wohl mitteilen, was Sie bestellt haben, damit die Speisen für das Buffet auch zusammenpassen? «
Lady Kathryn überhörte den leicht verzweifelten Unterton. »Sicher, Marie, und ich bestelle reichlich. Was übrig bleibt, können Sie dann einfrieren. «
Maries Leib vibrierte von einem unterdrückten Seufzer. Der Gefrierschrank war schon so voll, dass man die Schubkästen kaum noch aufziehen konnte.
»Sehr wohl, Mylady «, sagte sie dennoch.
»Wir kehren erst gegen Nachmittag zurück. Es kann sein, dass die Nachbarmädchen mit ihren Freundinnen zum Krocketspielen vorbeikommen. Das ist in Ordnung, ich hab's ihnen angeboten. « Die alte Dame lächelte fein. »Bereiten Sie ihnen bitte etwas aus dem übervollen Eisschrank zu essen. «
Marie nickte grimmig. Sie sagte gern von sich selbst, sie sei wie die Kanalinsel Jersey - ein Mix aus England und Frankreich. Und wirklich vereinte die Haushälterin Tugenden beider Nationalitäten: französische Kochkunst mit britischem Planungsgeschick. So liefen seit Tagen die Vorbereitungen für das Fest auf Hochtouren. Von Myladys Sohn Charles wusste sie, dass doch mindestens hun dert, wenn nicht mehr Gäste zum runden Geburtstag ihre Aufwartung machen wollten. Marie hatte ein buntes Buffet im Sinn und bereitete auch ihre Kuchen generalstabsmäßig vor. Heute machte sie das Früchtebrot, morgen war der Pastetenteig an der Reihe, übermorgen die Obstfüllungen, und einen Tag vorher sowie am Sonntagmorgen würde sie alles in den Ofen schieben. Natürlich auch die Jersey Wonders, nach denen die Kinder so verrückt waren: raffiniert verschlungenes Schmalzgebäck, das unbedingt bei Ebbe in einer Pfanne ausgebacken werden musste. Bei Flut, besagte eine alte Jersey- Regel, liefe das Fett über. Aber von diesen Dingen wollte Ihre Ladyschaft nie etwas hören. Sie machen das schon, Marie, pflegte sie zu sagen.
Der elfenbeinfarbene Minor Morris stand bereit. Kathryn setzte ihren kleinen Strohhut auf, während Miles schon erwartungsvoll auf dem Beifahrersitz saß und das Fenster herunterkurbelte. Sie lächelte die Haushälterin zum Abschied freundlich an.
»Sie machen das schon, Marie! «
Copyright © 2013 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Natürlich wollte Lady Kathryn ihr Geheimnis nicht mit ins Grab nehmen. Sie saß vor dem Spiegel ihrer französischen Frisierkommode und bürstete kräftig durch ihr immer widerspenstiger werdendes, kinnlanges weißes Haar. Mit der Morgenluft wehte ein Duft von Rosen und Petunien durch die geöffneten Fenster herein. Nein, die Zeit war reif. Seit sechzig Jahren, seit sie gewusst hatte, dass sie schwanger war, rang Kathryn mit sich, wann und wie sie es ihrer Familie sagen sollte. Bei einem feierlichen Candle-Light-Dinner? Oder bei gedecktem Apfelkuchen zum Nachmittagstee in ihrer Sitzecke neben dem Rhododendronsolitär - am besten noch zur Hauptblütezeit? Manchmal dachte sie mehrmals am Tag darüber nach, stellte sich vor, wie ihr Vater, ihr Mann, und dann, nachdem beide gestorben waren, ihr Sohn Charles, die Schwiegertochter und ihr Enkel darauf reagieren würden.
Am Tag von Charles' Geburt hatte sie sich vorgenommen, es ihm zu sagen, wenn er die Volljährigkeit erreicht hätte. Doch ausgerechnet dann geschah etwas, das für eine kurze Zeit erneut ihre Welt aus den Angeln hob. Als sie sich allmählich wieder in gewohnter Weise zu drehen begann, musste Kathryn ihre Enthüllung erneut verschieben, weil es ihr sonst niemals gelungen wäre, zur Normalität zurückzukehren.
Die Sonne schien jetzt in den Spiegel und blendete sie. Kathryn stand auf, um den alten geblümten Vorhang aus indischer Seide vorzuziehen. Er stammte aus einem der vornehmsten Geschäfte Kalkuttas, immer noch verliehen die verwegenen pinkfarbenen Blumen ihrem ansonsten in Resedagrün und Cremetönen gehaltenen Privatsalon einen Hauch Poesie. Sie stieß mit dem Ellbogen gegen ihre Harfe, die in der Ecke stand. Ein tiefer Ton schwang nach, etwas Staub wirbelte auf. Ach, ja, schade, lange hatte sie nicht gespielt, aber vielleicht könnte sie bald wieder einmal einen Versuch wagen.
Zwei Jahre hatte es damals gedauert, bis sie das Thema wieder an sich heranlassen konnte. In den Wechseljahren schwor sie sich, ihr Geheimnis allerspätestens an ihrem achtzigsten Geburtstag preiszugeben. Das hätte immerhin den Vorteil, dass ihr Vater und ihr Mann Alfred, der selige Lord Taintsworth, es nicht mehr erfahren würden.
Am nächsten Sonntag wurde sie achtzig. Schwer vorstellbar, nun wirklich so alt zu sein. Innerlich fühlte sie sich auch heute noch phasenweise wie eine junge Frau, manchmal auch wie fünf oder wie hundertzwanzig oder zeitlos. Meist musste sie eine Weile überlegen, wenn sie irgendwo ihr Alter angeben sollte.
»Du wirst achtzig, altes Mädchen! «, sagte sie ungläubig zu ihrem Spiegelbild, einer freundlichen Seniorin mit gewelltem Bubikopf, tiefem Seitenscheitel und niedrigem Haaransatz.
Ihre Stimme klang immer noch, wie schon in ihrer Jugend, leicht rauchig. Der helle Teint, übersät mit Sommersprossen und Altersflecken, fältelte sich reichlich, aber fein wie ein Strahlenkranz um die Augen und an den Wangenpartien. Dem gealterten Hals gönnte sie keinen längeren Blick mehr. Die wohlgeformte gerundete Nase war immer noch etwas zu kurz, obwohl ihr Vater ihr als Kind versprochen hatte, ihre Nase würde niemals aufhören zu wachsen. Sie schmunzelte. Der Blick ihrer grünen Augen unter den kräftigen Brauen (die sie beim Friseur dunkelblond nachfärben ließ) konnte blitzschnell von Melancholie zu Belustigung wechseln, doch meist war er gütig und wohlwollend. Kathryn trat einen Schritt zurück. Früher war sie mittelgroß gewesen, heute galt sie eher als klein.
»Bist geschrumpft, musst dich gerader halten! «, mahnte sie die Lady im hellgrauen Hemdblusenkleid mit den bequemen Pumps. »Nimm dir ein Beispiel an Queen Mom.« Ihr Spiegelbild winkte sogleich ab. Man konnte doch froh sein, dass es überhaupt wieder ging mit dem Gehen. Seit den Rheumaschüben im Winter hatte sich ihr Zustand erfreulich gebessert. Gnädig nickte sie sich zu. »Du wirst tatsächlich achtzig. « Punkt. Und keine Ausreden mehr!
In vier Tagen würde die Bombe platzen. Der Skandal würde nicht nur in Adelskreisen und bei Cocktailempfängen der Upperclass von Jersey, sondern bis in die Markthalle von Saint Helier, der Hauptstadt der Insel, für Gesprächsstoff sorgen! Selbst die wortkargen Hummerfänger im Hafen am alten Schlachthof würden beim Ausbessern ihrer Körbe darüber ratschen und sicher glatt vergessen, ihre Zahnlücken zu verbergen.
Kathryn gluckste unterdrückt in sich hinein. Ihr Sinn für Humor hatte ihr geholfen, viele dramatische Ereignisse im Leben zu überstehen. Und doch schmerzte es auch. Immer noch, nach so vielen Jahren. Gerade jetzt wieder spürte sie den vertrauten Stich in der Brust, dem ein sehnsüchtiges süßes Ziehen folgte. Ihre Kehle schnürte sich zu, Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie atmete tief durch und schloss die Lider. Manchmal spürte sie die Liebe wieder: so jung und unverbraucht, so intensiv, innig, tief und weit und allumspannend wie damals. Eine Träne lief ihre Wange hinunter.
Am stärksten überkam sie dieses Gefühl, wenn sie im Mai ihrem Rhododendron nahe war. Es gab viele Rhododendren in ihrem Park, die meisten wuchsen in Gruppen angeordnet, doch sie meinte immer nur den einen: die »Rose von Darjeeling «. Das Herz ging ihr auf, wenn der inzwischen fast vier Meter breite und drei Meter hohe Prachtbusch seine Knospen austrieb und seine großen scharlachfarbenen Blüten öffnete. Wie aus hauchdünnem Wachs modelliert wirkten sie und schienen, besonders in der Morgensonne, von innen heraus zu leuchten. Dieser Rhododendron hatte eine eigene Aura, Kathryn ließ sich insgeheim von ihr umfangen wie von den Armen eines Geliebten.
Das Außergewöhnlichste aber an der besonderen Züchtung war ihr Duft. Nur wenige Rhododendren verströmten Wohlgerüche, sah man einmal ab von einigen zur Gruppe der Azaleen gehörenden Arten wie dem nasenbetäubend honigsüß riechenden gelben Rhododendron luteum, an dessen Honig sich einst die Soldaten des Xenophon um 400 vor Christus auf dem Rückmarsch von Babylon vergiftet hatten. Ihr Rhodo duftete anders. Nicht aufdringlich. Auch nicht nach Zimt, Jasmin oder Orchidee wie einige der Vireya-Arten, die nur in tropisch-schwülen Regionen Südostasiens oder in den Gewächshäusern von Kew Gardens gedeihen konnten. Den zarten, geheimnisvoll lockenden Duft der Rose von Darjeeling begleitete eine schwer beschreibbare Note, die einmalig war. Deshalb verließ Kathryn während der Blütezeit von Anfang bis Ende Mai nur zu einem alljährlichen Pflichttermin in London für drei Tage ihr Anwesen. Sie hielt sich am liebsten draußen bei ihrem Rhododendron auf. Meist saß sie auf dem Rasen direkt daneben in einem Gartensessel, der zu einer dunkelgrün gepolsterten, silbrig verwitterten Teakholzsitzgruppe gehörte, und las.
Eine gepflegte Grünfläche schwang sich von der Sonnenterrasse des Herrenhauses sanft abwärts bis zu ihrem Lieblingssitzplatz. Sie hatte den Strauch knapp vierzig Jahre zuvor in den lichtdurchbrochenen Schatten alter Eichen und Magnolien gepflanzt. Hier nahm sie, sobald die Witterung es zuließ, mit ihrer Schwiegertochter Alexandra den Nachmittagstee ein. Hier empfing sie die Damen der Hausfrauenvereinigung, um mit ihnen Wohltätigkeitsbasare zu besprechen, oder das Komitee zur Organisation des Blumenfestes. Sofern das Rheuma es ihr erlaubte, buddelte sie auch gern in benachbarten Beeten zwischen Funkien, Bluebells, Primeln und Bambus. Nur um immer, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, für Momente die Augen zu schließen und diesen Duft in sich aufzunehmen, der in ihr alles wieder lebendig machte.
Jeder wusste, dass die Herrin von Greenville Manor diesen Rhododendron besonders liebte. Und normalerweise war sie auch die Großzügigkeit in Person, wenn sie um Ableger aus ihrem viel bewunderten Park gebeten wurde. Zum Beispiel von den zahlreichen pensionierten Offizieren, die im milden Klima der vom Golfstrom verwöhnten Kanalinsel ihren Ruhestand mit der Gärtnerei verbrachten - und von denen mancher wohl auf einen engeren Kontakt zur verwitweten Lady hoffte. Doch sie konnte recht schmallippig werden, sobald sie auf Samen oder gar Reiser ihres Rhodos angesprochen wurde. Später, pflegte sie dann zu sagen, später einmal. Doch »später « kam nie.
Spezialisten fachsimpelten gern, um welche Sorte es sich wohl handeln möge, nur Kathryn blieb stets wortkarg, wenn es um die Herkunft ihres Rhododendrons ging. Man vermutete ganz allgemein, dass ihre Ladyschaft schöne Erinnerungen an Kindheit und Jugend auf der Teeplantage ihres Vaters in Darjeeling mit dem immergrünen Strauch verband. Damit mussten sich die Leute eben begnügen.
»Wer verkaufte den Männern von diesem griechischen Feldherrn denn den giftigen Honig? «, hatte ihr Enkel Maximilian sie einmal gefragt, als sie ihm beim gelben Rhododendron von den armen Soldaten erzählte.
»Niemand. Sie haben ihn in der Natur entdeckt, im fernen Kaukasus, in den Nestern wilder Bienen.«
»Und sind sie daran gestorben?«
»Nein, sie fühlten sich sehr elend, vielleicht glaubten sie, dass sie sterben müssten. Sie lagen dann auch eine Weile wie tot am Boden. Aber sie waren nur betäubt.«
Miles' Augen blitzten. Sie spazierten weiter durch den Garten. Zu vielen Gehölzen konnte Kathryn etwas Spannendes erzählen.
»Gibt's zu deinem Lieblingsrhododendron auch eine Geschichte, Grandma?«
Sie zögerte etwas. »Ja, mein Schatz.«
»Erzählst du sie mir?«
»Jetzt nicht. Später.«
»Wann später? «
»Wenn ich achtzig werde.«
»Versprochen?«
»Ja, versprochen.«
Vier Tage noch. Wieder spürte Kathryn einen Stich in der Brust. Dieses Mal war er eindeutig körperlicher Natur. Es lag an den Medikamenten. Sie halfen zwar gegen das Rheuma, doch dafür bescherten sie ihr andere Zipperlein. Ließ sie die Medikamente weg, verschwanden die Neben wirkungen, aber der Schmerz und die schlechte Beweglichkeit kehrten zurück ... Heute wollte sie viel erledigen, deshalb nahm sie vorsorglich noch eine Tablette.
Lady Kathryn schrak zusammen. Die mächtige urtümliche Türglocke des Herrenhauses hallte bis in den Salon hinauf, sodass die Parfumfläschchen auf der Frisurkommode erzitterten und einen hellen Klang von sich gaben. Das musste ihr Lieblingsenkel Maximilian sein. Der Elfjährige, den sie meist zärtlich Miles nannte, hatte Sommerferien und wollte sie bei ihren Besorgungen für die Geburtstagsfeier begleiten. Rasch holte Kathryn noch eine Strickjacke, die im angrenzenden Schlafzimmer auf ihrem Bett lag, dann eilte sie die Gemäldegalerie entlang, so schnell es die schmerzenden Gelenke erlaubten, und anschließend die geschwungene Freitreppe hinab in die düstere Eingangshalle. Das Anwesen aus grauem Granitstein hatte hier nur wenige Fenster, was sie gut gegen Eindringlinge abschirmte. Aber üppige Blumengestecke setzten heitere Farbtupfer.
Der Butler näherte sich gemessenen Schrittes, um die Tür zu öffnen. Kathryn warf einen Blick durch ein Guckloch, das die Vorfahren derer von Taintsworth schon vor Hunderten von Jahren neben der Eingangstür hatten einbauen lassen. Miles stand davor und machte Faxen.
»Hallo, Grandma! Ich weiß, dass du guckst!«
Sie riss sie Tür auf, bevor der Butler seines Amtes walten konnte und breitete die Arme weit aus. »Miles! Wie schön, dass du da bist!« Sie war die einzige Erwachsene, die den jungen Mann noch in der Öffentlichkeit herzen durfte.
Miles rückte schnell seine Brille zurecht und fuhr sich mit den Händen durch den dunkelblonden Haarschopf. Seine Großmutter sollte es nun auch bitte nicht übertreiben mit dem Geschmuse in der Öffentlichkeit.
»Willst du etwas essen oder trinken?«
»Nö, Granny, lass uns gleich losfahren.« Ungeduldig wippte Miles auf und ab. Er trug ein grün-weiß gestreiftes Polohemd über seinen Blue Jeans und genoss es sichtlich, nicht in der Schuluniform seines Internats herumlaufen zu müssen. »Können wir den Minor nehmen?«
»Eigentlich sollte uns Singh im Jaguar chauffieren, Darling. Ich bin nicht mehr die Jüngste.«
»Ach, was. Du musst in Übung bleiben!« Er verlegte sich aufs Schmeicheln, sein Lächeln offenbarte bereits ein beachtliches Charmepotenzial. »Du bist doch noch fit, Granny, komm schon ... Der Minor muss auch ab und zu bewegt werden, sonst rostet er ein.«
»Wie ich, meinst du?«, neckte sie ihn. Vielleicht ist es heute das letzte Mal, dass ich mit meinem Enkel in ungetrübter Stimmung zusammen sein kann, schoss es ihr durch den Kopf. Sicher würde es nach der Preisgabe ihres Geheimnisses am Sonntag eine Weile dauern, bis sich die Wogen geglättet hätten. Der Junge würde zumindest befangen sein. Das Medikament begann zu wirken, sie spürte es daran, dass die Schmerzen nachließen und durch ein Engegefühl in ihrer Brust ersetzt wurden, aber sie scherte sich nicht darum. »Na gut!«, willigte sie ein. Kathryn nahm sich vor, Miles und sich einen wunderbaren Großmutter- Enkel- Tag zu schenken, an den er sich noch als Erwachsener gerne erinnern würde. »Nehmen wir den Oldtimer.«
Alfred hatte ihr das ebenso niedliche wie praktische Fahrzeug zu ihrem fünfzigsten Geburtstag geschenkt, damit sie unkompliziert durch die sehr engen, von Steinwällen begrenzten Wege über die Insel fahren und Blumen oder größere Einkäufe transportieren konnte. Sie hing an dem Auto, einem Morris Minor Traveller, Baujahr 1959. Eine Art englischer Volkswagen mit Holzfachwerk, ein Vorbild an Zuverlässigkeit, das nicht nur ihr immer gute Laune machte. Lady Kathryn liebte diesen Nebeneffekt, wenn sie mit dem Minor durch die Landschaft fuhr oder in ein Dorf kam, lächelten die Leute unwillkürlich.
»Singh, bitte fahren Sie den Minor Morris vor. Ich setze mich heute selbst hinters Steuer. «
»Sehr wohl, Mylady. «
Singh war Butler und gleichzeitig auch der Chauffeur. Seine Miene verriet nicht, was er gerade dachte. Seine Haltung war britisch durch und durch. Die dunkle Haut, die lackschwarzen Haare mit ersten grauen Strähnen an den Schläfen, die für einen Mann zarte Gestalt und das feingeschnittene Gesicht verrieten seine indische Herkunft. Mohandas Singh war in Jersey geboren und aufgewachsen. Seine Eltern waren 1930 mit Kathryn, der jungen Braut, von Darjeeling nach Greenville Manor gekommen.
»Und würden Sie dann bitte mit Marie zusammen die Sitzgruppe neben dem Rhododendron erweitern? Einige Gäste werden nach dem Brunch auf der Terrasse am Sonntag sicher noch zum Tee bleiben. «
Kathryn hatte sich zwar ausdrücklich gewünscht, dass ihre Geburtstagsfeier in kleinem Rahmen stattfinden sollte, ohne Auftrieb und Presse, ohne redenschwingende Würdenträger, doch mit fünfzig bis sechzig Gästen am späten Vormittag rechnete sie trotzdem.
»Was, wenn es hundert werden, Mylady? «, fragte Marie in diesem Moment besorgt. Sie stand mit ihrer gestärkten weißen Schürze in der Tür des Salons und polierte eine Kristallkaraffe. Die dralle Fünfzigjährige stammte aus dem nächsten Dorf, eine einfache Frau mit einem groben, aber ehrlichen Gesicht. Marie hatte sich durch unermüdlichen Einsatz und Zuverlässigkeit vom Hausmädchen zur leitenden Haushälterin und Köchin hochgearbeitet. »Soll ich nicht doch lieber mehr vorbereiten? «
»Das tun Sie doch sowieso, egal, was ich sage.« Kathryn lächelte. »Miles und ich unternehmen jetzt eine kleine Gourmettour über die Insel und werden mal schauen, was wir zusätzlich an Köstlichkeiten ordern können, um Ihnen die Arbeit zu erleichtern. «
Marie sah nicht wirklich erleichtert aus. Schließlich kannte sie die impulsiven Entscheidungen ihrer Arbeitgeberin.
»Aber bitte, Mylady, würden Sie mir anschließend wohl mitteilen, was Sie bestellt haben, damit die Speisen für das Buffet auch zusammenpassen? «
Lady Kathryn überhörte den leicht verzweifelten Unterton. »Sicher, Marie, und ich bestelle reichlich. Was übrig bleibt, können Sie dann einfrieren. «
Maries Leib vibrierte von einem unterdrückten Seufzer. Der Gefrierschrank war schon so voll, dass man die Schubkästen kaum noch aufziehen konnte.
»Sehr wohl, Mylady «, sagte sie dennoch.
»Wir kehren erst gegen Nachmittag zurück. Es kann sein, dass die Nachbarmädchen mit ihren Freundinnen zum Krocketspielen vorbeikommen. Das ist in Ordnung, ich hab's ihnen angeboten. « Die alte Dame lächelte fein. »Bereiten Sie ihnen bitte etwas aus dem übervollen Eisschrank zu essen. «
Marie nickte grimmig. Sie sagte gern von sich selbst, sie sei wie die Kanalinsel Jersey - ein Mix aus England und Frankreich. Und wirklich vereinte die Haushälterin Tugenden beider Nationalitäten: französische Kochkunst mit britischem Planungsgeschick. So liefen seit Tagen die Vorbereitungen für das Fest auf Hochtouren. Von Myladys Sohn Charles wusste sie, dass doch mindestens hun dert, wenn nicht mehr Gäste zum runden Geburtstag ihre Aufwartung machen wollten. Marie hatte ein buntes Buffet im Sinn und bereitete auch ihre Kuchen generalstabsmäßig vor. Heute machte sie das Früchtebrot, morgen war der Pastetenteig an der Reihe, übermorgen die Obstfüllungen, und einen Tag vorher sowie am Sonntagmorgen würde sie alles in den Ofen schieben. Natürlich auch die Jersey Wonders, nach denen die Kinder so verrückt waren: raffiniert verschlungenes Schmalzgebäck, das unbedingt bei Ebbe in einer Pfanne ausgebacken werden musste. Bei Flut, besagte eine alte Jersey- Regel, liefe das Fett über. Aber von diesen Dingen wollte Ihre Ladyschaft nie etwas hören. Sie machen das schon, Marie, pflegte sie zu sagen.
Der elfenbeinfarbene Minor Morris stand bereit. Kathryn setzte ihren kleinen Strohhut auf, während Miles schon erwartungsvoll auf dem Beifahrersitz saß und das Fenster herunterkurbelte. Sie lächelte die Haushälterin zum Abschied freundlich an.
»Sie machen das schon, Marie! «
Copyright © 2013 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Sylvia Lott
Die freie Journalistin und Autorin Sylvia Lott ist gebürtige Ostfriesin und wuchs im Ammerland auf. Sie ist für verschiedene Frauen-, Lifestyle- und Reisemagazine tätig. Ihre Reisereportagen führten sie unter anderem nach Darjeeling und auf die Kanalinsel Jersey. Sylvia Lott lebt in Hamburg-Winterhude.
Autoren-Interview mit Sylvia Lott
Würden Sie uns ein wenig über sich erzählen - Ihre Hobbys, Lebenssituation, Ihren Traum vom Glück, was Sie ärgert, welche Gabe Sie gerne besäßen ...?Sylvia Lott: Ich liebe Screwball-Comedies der 30er und 40er Jahre , würde gerne Hebräisch sprechen, Klavierspielen und morgens ganz leicht aufstehen können, ich möchte tanzen, tanzen, tanzen können - äußerlich so wie manchmal innerlich, Tango Argentino und Salsa, Foxtrott und Bossa Nova, Wiener Walzer, Bollywood-Choreografien und feenhaftes Schweben. Ich träume von Leserinnen mit Herz, Verstand und Esprit, die mir zugetan sind und mein Glück wäre perfekt, wenn es (abgesehen von der Abschaffung des Elends und dem Beginn des ewigen Weltfriedens) gelänge, vor dem entspannten lustvollen Schreiben künftiger Bestseller jeden Morgen mit meinem Liebsten im Meer zu schwimmen (na ja, Pool wäre auch noch okay).
Wie kamen Sie zum Schreiben?
Sylvia Lott: Durch die Volksschule, wie die meisten Menschen.
Nein, im Ernst: Ich hab immer gerne Aufsätze geschrieben und erinnere mich, dass ich ungefähr in der dritten Klasse einmal elf Seiten über die Reise eines Regentropfens fantasiert habe, und nur aufhörte zu schreiben, weil es schon zur nächsten Stunde klingelte. Dann kamen Tagebuch, Schülerzeitung („Der Trompeter" des Gymnasiums Westerstede, der übrigens genau zu jener Zeit die Ostfriesen-Witze erfand!), Lokalzeitung („Der Ammerländer"), Volontariat Regionalzeitung („Nordwest-Zeitung, Oldenburg) und während des Studiums erste Kurzromane für eine Illustrierte.
... mehr
Gleich nach der Phase, in der ich Weltmeisterin im Eiskunstlauf oder wahlweise im Rollschuhlaufen werden wollte, war mir klar, dass ich später Bücher schreiben würde - das fand ich ganz normal und selbstverständlich. Aber ich dachte auch, dass ich wohl vorher noch einiges erleben und ein bisschen was vom Leben begreifen müsste. Deshalb wollte ich zum Üben erstmal Journalistin werden; das mit dem Schreiben hab ich ungefähr ab neun oder zehn Jahren gewusst.
Wie finden Sie Ihre Themen?
Sylvia Lott: Eigentlich kommen die Themen zu mir. Ich lasse sie abhängen, manche schicke ich sogar erst wieder weg, weil ich weiß, oh je, das gibt viel Arbeit und vielleicht sogar Ärger. Dann klopfe ich auf den übrig gebliebenen Ideen herum, überlege einen Plot dazu und warte auf das Echo.
Bei „Die Rose von Darjeeling" war es so, dass ich länger schon etwas über Rhododendren und das Ammerland machen wollte. Der zündende Funke für die Geschichte stammt aus einem Buch, das der Rhodo-Experte Walter Schmalscheidt im Selbstverlag veröffentlicht hat. Dort steht nämlich ein Satz, der monatelang meine Fantasie beschäftigte:
„Heute existiert von diesen alten Züchtungen vermutlich nichts mehr, es sei denn, dass in irgendeinem alten Ammerländer Bauerngarten unbekannterweise vielleicht noch einzelne Exemplare bis in unsere Zeit überdauert haben."
Haben Sie eine Lieblingsszene?
Sylvia Lott: Meine Lieblingsszene in „Die Rose von Darjeeling" ist ganz klar jene im Mai 1950, als der Norddeutsche Carl Jonas seinen scharlachroten Rhododendron Die Rose von Darjeeling endlich nach 20 Jahren Züchterarbeit in London auf der Chelsea Flower Show präsentiert - und dort seine große Liebe Kathryn wieder sieht, die immer noch sehr schön, inzwischen eine ver-
heiratete Lady ist und beinahe in Ohnmacht fällt, als sie ihn erkennt.
Haben Sie eine Lieblingsfigur?
Sylvia Lott: In „Die Rose von Darjeeling" natürlich Kathryn und Carl. Aber ich liebe sie alle. Auch die nicht so guten, die feigen, die verwöhnten und enttäuschten. Schließlich sind sie alle ein Teil von mir ;-)
Gibt es bestimmte geographische Orte, zu denen Sie oder Ihr Buch einen besonderen Bezug haben?
„Die Rose von Darjeeling" spielt in den 30er Jahren in Darjeeling (Indien), die Rhododendron-Expedition geht durch Sikkim, was damals noch ein unabhängiges Königreich war, heute aber auch zu Indien gehört. Andere wichtige Schauplätze sind die Kanalinsel Jersey, in Nord-
deutschland vor allem das Ammerland (ein Landkreis zwischen Oldenburg und Ostfriesland, rund um das Zwischenahner Meer herum, Westerstede etc. - das Zentrum der deutschen Rhodozüchtung und -vermehrung), in Ostfriesland (Leer), in London und Cornwall.
Was lesen Sie selber gerne?
Sylvia Lott: Momentan lese ich gerne Biografisches über außergewöhnliche Frauen wie die scharfzüngige US-Autorin Dorothy Parker oder die geheimnisumwitterte erste Weltumseglerin und Botanikerin Jeanne Baret. Ansonsten komme ich leider kaum zum Lesen. Natürlich versuche ich, mich über die Bestseller auf dem Laufenden zu halten. Love & Landscape und Witziges ziehe ich Krimis und Thrillern vor. Wenn historische Romane gut recherchiert und nicht völlig humorfrei sind, mag ich sie auch.
Ein großes Wochenendvergnügen besteht für mich darin, ausgiebig die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zu lesen.
Wer sind Ihre Lieblingsautoren?
Sylvia Lott: Bücher sind in bestimmten Lebensphasen Lieblingsbücher geworden, weil man gerade reif für sie war. In verschiedenen Phasen sehr beeindruckt haben mich: Hanni und Nanni, E. T. A. Hoffmann: Kater Murr, Gottfried Keller: Der grüne Heinrich, Kleists Erdbeben von Chili, die Tagebücher von Paula Modersohn-Becker, Marilyn French: Frauen; Marquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera; Johannes Bobrowski: Litauische Claviere; Serge Kahili King: Der Stadtschamane. Ich mag auch John Irving sehr. Im Urlaub fresse ich Romane, die zum Reiseziel passen. Aber wenn ich nur einen Titel nennen dürfte: dann Kater Murr von E. T. A. Hoffmann.
Wer sind Ihre liebsten Romanhelden?
Sylvia Lott: Seufz, etwas peinlich, aber wahr: Rhett Butler und Scarlett O'Hara
Möchten Sie uns 3 Bücher für die einsame Insel empfehlen?
Ein Tagebuch mit leeren Seiten, das Survival-Handbuch von Rüdiger Nehberg und die Kulturgeschichte der Neuzeit von Egon Friedell
Was ist für Sie die größte Versuchung?
Sylvia Lott: Schwer zu entscheiden. Vielleicht in dieser Reihenfolge: gut temperierter Schichtnougat, der Karottensalat von Schlachter Hafenbrack aus der Maria-Louisen-Straße (Hamburg) und ein spannendes Buch. Da werde ich zur anonymen Lesesüchtigen und kann nicht aufhören, bis ich durch bin - egal, wie spät es wird und was am nächsten Tag auf dem Plan steht.
Verraten Sie uns Ihr Lieblingsrezept?
Sylvia Lott: Ostfriesische Krabbensuppe. (Soll ich das hier wirklich alles aufschreiben? Auf jeden Fall nehme ich etwas weniger Weisswein und dafür mehr flüssige Sahne und natürlich viele Krabben, die erst ganz zum Schluss reinkommen)
Das vollständige Rezept wird auf Wunsch nachgeliefert.
Was ist für Sie die optimale Entspannung?
Sylvia Lott: Die zweitbeste Methode: Schwimmen im Meer oder in einem natürlichen Gewässer
Haben Sie ein Lebensmotto?
Sylvia Lott: Eines? Bedienen Sie sich: Es geht gerade erst richtig los. Ich will doch dazu lernen. Wer nie auf die Schnauze gefallen ist, war in seinem Leben nicht mutig genug. Wenn nichts mehr geht - guck mal, ob Humor hilft.
Gibt es eine Person, die Sie persönlich fasziniert?
Sylvia Lott: Aktuell Dorothy Parker (hab gerade die großartige Biografie von Michaela Karl gelesen: Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber)
Welche menschliche Leistung des letzten Jahrhunderts bewundern Sie am meisten?
Jede, für die jemand persönliche Nachteile in Kauf genommen hat, um seiner inneren Stimme zu folgen und/oder laut zu sagen, dass eine verbreitete „Wahrheit" nicht wirklich die Wahrheit und/oder dass Unrecht Unrecht ist. Noch mehr jede Leistung, mit der ein Mensch sein Leben riskiert hat, um anderen zu helfen.
Welche Organisation oder welches Projekt würden Sie gerne unterstützen - oder tun dies bereits?
Leseleo e. V. in Hamburg (Leseförderung von Kindern), Hospitz-Bewegung, Deutsche Alzheimer-Stiftung
Fünf Dinge, die wir noch nicht über Sie wissen:
Sylvia Lott: Verrate ich zum nächsten Roman für Blanvalet (der ja schon in Arbeit ist). Oder doch, ein Ding namens running gag: Seit Jahren baue ich heimlich in (fast) jedes Buch irgendwo einen Hinweis auf die Ostfriesische Fehnroute ein - quasi im Such die Maus-Stil von Sepp Arnemann, mit dessen Witz-Zeichnungen ich aufgewachsen bin.
Wollen Sie Ihren LeserInnen einen kurzen Gruß schreiben - wir würden uns freuen!
Liebe Leserin,
zur Vorbereitung dieses Romans habe ich mich an meine Reisen nach Darjeeling und Jersey erinnert (von jeder Reise hatte ich noch einen großen Karton voller Unterlagen unterm Gästebett lagern), ich war in diversen Bibliotheken, hab mir Fachliteratur aus Sikkim schicken lassen, unter anderem alte Expeditionsberichte studiert und mich in Botanischen Gärten herumgetrieben, was übrigens meine Wahrnehmung von Rhododendren ziemlich stark veränderte.
Auch die anderen Schauplätze von „Die Rose von Darjeeling" sind mir vertraut: Schließlich bin ich in Ostfriesland geboren und im Ammerland aufgewachsen ;-) Ich hoffe, dass die selbst erlebten Stimmungen und Atmosphären dieser Orte in meinem Roman rüberkommen und es würde mich sehr glücklich machen, wenn Sie, liebe Leserin, nach der Lektüre das Gefühl hätten, sie wären auch dort gewesen.
Es gab eine Frage, die mich besonders beschäftigte: Wie mag es wohl sein, wenn man tatsächlich seine große Liebe gefunden hat und weiß, sie (oder er) lebt jetzt, in diesem Augenblick, verheiratet in einem anderen Land? Wie verändert es das Denken, Fühlen und Handeln... Tag für Tag, Jahr um Jahr... Wie würden Sie sich verhalten?
Von drei Menschen, denen dieses Schicksal widerfuhr, und die ganz unterschiedlich damit umgingen, handelt mein Roman „Die Rose von Darjeeling".
Ich freue mich schon riesig und bin besonders gespannt auf die Lesungen und darauf, zu sehen, wie sich die Geschichte der Rose von Darjeeling auf Ihren Gesichtern fortsetzt! Vielleicht trinken wir ja mal eine Tasse Tee zusammen ;-)
Herzliche Grüße,
Ihre
Sylvia Lott
Gleich nach der Phase, in der ich Weltmeisterin im Eiskunstlauf oder wahlweise im Rollschuhlaufen werden wollte, war mir klar, dass ich später Bücher schreiben würde - das fand ich ganz normal und selbstverständlich. Aber ich dachte auch, dass ich wohl vorher noch einiges erleben und ein bisschen was vom Leben begreifen müsste. Deshalb wollte ich zum Üben erstmal Journalistin werden; das mit dem Schreiben hab ich ungefähr ab neun oder zehn Jahren gewusst.
Wie finden Sie Ihre Themen?
Sylvia Lott: Eigentlich kommen die Themen zu mir. Ich lasse sie abhängen, manche schicke ich sogar erst wieder weg, weil ich weiß, oh je, das gibt viel Arbeit und vielleicht sogar Ärger. Dann klopfe ich auf den übrig gebliebenen Ideen herum, überlege einen Plot dazu und warte auf das Echo.
Bei „Die Rose von Darjeeling" war es so, dass ich länger schon etwas über Rhododendren und das Ammerland machen wollte. Der zündende Funke für die Geschichte stammt aus einem Buch, das der Rhodo-Experte Walter Schmalscheidt im Selbstverlag veröffentlicht hat. Dort steht nämlich ein Satz, der monatelang meine Fantasie beschäftigte:
„Heute existiert von diesen alten Züchtungen vermutlich nichts mehr, es sei denn, dass in irgendeinem alten Ammerländer Bauerngarten unbekannterweise vielleicht noch einzelne Exemplare bis in unsere Zeit überdauert haben."
Haben Sie eine Lieblingsszene?
Sylvia Lott: Meine Lieblingsszene in „Die Rose von Darjeeling" ist ganz klar jene im Mai 1950, als der Norddeutsche Carl Jonas seinen scharlachroten Rhododendron Die Rose von Darjeeling endlich nach 20 Jahren Züchterarbeit in London auf der Chelsea Flower Show präsentiert - und dort seine große Liebe Kathryn wieder sieht, die immer noch sehr schön, inzwischen eine ver-
heiratete Lady ist und beinahe in Ohnmacht fällt, als sie ihn erkennt.
Haben Sie eine Lieblingsfigur?
Sylvia Lott: In „Die Rose von Darjeeling" natürlich Kathryn und Carl. Aber ich liebe sie alle. Auch die nicht so guten, die feigen, die verwöhnten und enttäuschten. Schließlich sind sie alle ein Teil von mir ;-)
Gibt es bestimmte geographische Orte, zu denen Sie oder Ihr Buch einen besonderen Bezug haben?
„Die Rose von Darjeeling" spielt in den 30er Jahren in Darjeeling (Indien), die Rhododendron-Expedition geht durch Sikkim, was damals noch ein unabhängiges Königreich war, heute aber auch zu Indien gehört. Andere wichtige Schauplätze sind die Kanalinsel Jersey, in Nord-
deutschland vor allem das Ammerland (ein Landkreis zwischen Oldenburg und Ostfriesland, rund um das Zwischenahner Meer herum, Westerstede etc. - das Zentrum der deutschen Rhodozüchtung und -vermehrung), in Ostfriesland (Leer), in London und Cornwall.
Was lesen Sie selber gerne?
Sylvia Lott: Momentan lese ich gerne Biografisches über außergewöhnliche Frauen wie die scharfzüngige US-Autorin Dorothy Parker oder die geheimnisumwitterte erste Weltumseglerin und Botanikerin Jeanne Baret. Ansonsten komme ich leider kaum zum Lesen. Natürlich versuche ich, mich über die Bestseller auf dem Laufenden zu halten. Love & Landscape und Witziges ziehe ich Krimis und Thrillern vor. Wenn historische Romane gut recherchiert und nicht völlig humorfrei sind, mag ich sie auch.
Ein großes Wochenendvergnügen besteht für mich darin, ausgiebig die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zu lesen.
Wer sind Ihre Lieblingsautoren?
Sylvia Lott: Bücher sind in bestimmten Lebensphasen Lieblingsbücher geworden, weil man gerade reif für sie war. In verschiedenen Phasen sehr beeindruckt haben mich: Hanni und Nanni, E. T. A. Hoffmann: Kater Murr, Gottfried Keller: Der grüne Heinrich, Kleists Erdbeben von Chili, die Tagebücher von Paula Modersohn-Becker, Marilyn French: Frauen; Marquez: Die Liebe in den Zeiten der Cholera; Johannes Bobrowski: Litauische Claviere; Serge Kahili King: Der Stadtschamane. Ich mag auch John Irving sehr. Im Urlaub fresse ich Romane, die zum Reiseziel passen. Aber wenn ich nur einen Titel nennen dürfte: dann Kater Murr von E. T. A. Hoffmann.
Wer sind Ihre liebsten Romanhelden?
Sylvia Lott: Seufz, etwas peinlich, aber wahr: Rhett Butler und Scarlett O'Hara
Möchten Sie uns 3 Bücher für die einsame Insel empfehlen?
Ein Tagebuch mit leeren Seiten, das Survival-Handbuch von Rüdiger Nehberg und die Kulturgeschichte der Neuzeit von Egon Friedell
Was ist für Sie die größte Versuchung?
Sylvia Lott: Schwer zu entscheiden. Vielleicht in dieser Reihenfolge: gut temperierter Schichtnougat, der Karottensalat von Schlachter Hafenbrack aus der Maria-Louisen-Straße (Hamburg) und ein spannendes Buch. Da werde ich zur anonymen Lesesüchtigen und kann nicht aufhören, bis ich durch bin - egal, wie spät es wird und was am nächsten Tag auf dem Plan steht.
Verraten Sie uns Ihr Lieblingsrezept?
Sylvia Lott: Ostfriesische Krabbensuppe. (Soll ich das hier wirklich alles aufschreiben? Auf jeden Fall nehme ich etwas weniger Weisswein und dafür mehr flüssige Sahne und natürlich viele Krabben, die erst ganz zum Schluss reinkommen)
Das vollständige Rezept wird auf Wunsch nachgeliefert.
Was ist für Sie die optimale Entspannung?
Sylvia Lott: Die zweitbeste Methode: Schwimmen im Meer oder in einem natürlichen Gewässer
Haben Sie ein Lebensmotto?
Sylvia Lott: Eines? Bedienen Sie sich: Es geht gerade erst richtig los. Ich will doch dazu lernen. Wer nie auf die Schnauze gefallen ist, war in seinem Leben nicht mutig genug. Wenn nichts mehr geht - guck mal, ob Humor hilft.
Gibt es eine Person, die Sie persönlich fasziniert?
Sylvia Lott: Aktuell Dorothy Parker (hab gerade die großartige Biografie von Michaela Karl gelesen: Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber)
Welche menschliche Leistung des letzten Jahrhunderts bewundern Sie am meisten?
Jede, für die jemand persönliche Nachteile in Kauf genommen hat, um seiner inneren Stimme zu folgen und/oder laut zu sagen, dass eine verbreitete „Wahrheit" nicht wirklich die Wahrheit und/oder dass Unrecht Unrecht ist. Noch mehr jede Leistung, mit der ein Mensch sein Leben riskiert hat, um anderen zu helfen.
Welche Organisation oder welches Projekt würden Sie gerne unterstützen - oder tun dies bereits?
Leseleo e. V. in Hamburg (Leseförderung von Kindern), Hospitz-Bewegung, Deutsche Alzheimer-Stiftung
Fünf Dinge, die wir noch nicht über Sie wissen:
Sylvia Lott: Verrate ich zum nächsten Roman für Blanvalet (der ja schon in Arbeit ist). Oder doch, ein Ding namens running gag: Seit Jahren baue ich heimlich in (fast) jedes Buch irgendwo einen Hinweis auf die Ostfriesische Fehnroute ein - quasi im Such die Maus-Stil von Sepp Arnemann, mit dessen Witz-Zeichnungen ich aufgewachsen bin.
Wollen Sie Ihren LeserInnen einen kurzen Gruß schreiben - wir würden uns freuen!
Liebe Leserin,
zur Vorbereitung dieses Romans habe ich mich an meine Reisen nach Darjeeling und Jersey erinnert (von jeder Reise hatte ich noch einen großen Karton voller Unterlagen unterm Gästebett lagern), ich war in diversen Bibliotheken, hab mir Fachliteratur aus Sikkim schicken lassen, unter anderem alte Expeditionsberichte studiert und mich in Botanischen Gärten herumgetrieben, was übrigens meine Wahrnehmung von Rhododendren ziemlich stark veränderte.
Auch die anderen Schauplätze von „Die Rose von Darjeeling" sind mir vertraut: Schließlich bin ich in Ostfriesland geboren und im Ammerland aufgewachsen ;-) Ich hoffe, dass die selbst erlebten Stimmungen und Atmosphären dieser Orte in meinem Roman rüberkommen und es würde mich sehr glücklich machen, wenn Sie, liebe Leserin, nach der Lektüre das Gefühl hätten, sie wären auch dort gewesen.
Es gab eine Frage, die mich besonders beschäftigte: Wie mag es wohl sein, wenn man tatsächlich seine große Liebe gefunden hat und weiß, sie (oder er) lebt jetzt, in diesem Augenblick, verheiratet in einem anderen Land? Wie verändert es das Denken, Fühlen und Handeln... Tag für Tag, Jahr um Jahr... Wie würden Sie sich verhalten?
Von drei Menschen, denen dieses Schicksal widerfuhr, und die ganz unterschiedlich damit umgingen, handelt mein Roman „Die Rose von Darjeeling".
Ich freue mich schon riesig und bin besonders gespannt auf die Lesungen und darauf, zu sehen, wie sich die Geschichte der Rose von Darjeeling auf Ihren Gesichtern fortsetzt! Vielleicht trinken wir ja mal eine Tasse Tee zusammen ;-)
Herzliche Grüße,
Ihre
Sylvia Lott
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Sylvia Lott
- 2013, Originalausgabe, 640 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442378893
- ISBN-13: 9783442378890
- Erscheinungsdatum: 15.03.2013
Rezension zu „Die Rose von Darjeeling “
"Ein Schmöker für entspannte Sonntage."
Pressezitat
"Ein Schmöker für entspannte Sonntage." Laura
Kommentare zu "Die Rose von Darjeeling"
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 4Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Rose von Darjeeling".
Kommentar verfassen