Die Rose von Jericho
Die Geschichte von Menschen die das Wunder eines Neuanfangs erleben. So wie das Wunder der Rose von Jericho, einer der ältesten Wüstenblumen der Welt, die nach langer Dürre immer wieder zu neuem Leben erwacht.
Michael hat mit vierzig alles erreicht,...
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Die Geschichte von Menschen die das Wunder eines Neuanfangs erleben. So wie das Wunder der Rose von Jericho, einer der ältesten Wüstenblumen der Welt, die nach langer Dürre immer wieder zu neuem Leben erwacht.
Michael hat mit vierzig alles erreicht, was er sich vorgenommen hat. Er ist erfolgreich im Beruf und glücklich verheiratet. Doch er merkt erst spät, dass seine Arbeit immer mehr zur Sucht für ihn wird. Erst in einer Therapiegruppe lernt er, neuen Mut zu fassen und wieder neu anzufangen.
''Meine Erzählung ist indirekt autobiographisch: Auch ich hatte eine persönliche Krise zu meistern - eine schwere Krankheit. Die 12 Schritte haben mir geholfen und mich gelehrt, die Freude am Leben wiederzufinden.''
Sergio Bambaren
Die Rose von Jericho von Sergio Bambaren
LESEPROBE
II Parallele Welten
Alejandra wurde inmitten von Wäldern und Bergen geboren. IhreKindheit war die eines Kindes, das vom Glück begünstigt ist. Sie hatte vieleCousins und Cousinen und einen reizenden Bruder. Aber jeder von uns wird ineine Familie hineingeboren. Seine Freunde kann man sich aussuchen, doch seineFamilie nicht. Die Familie ist ein Teil unseres Schicksals, und selbst wenn manversucht, ihr zu entkommen, lassen die Gene es doch nicht zu. Die biologischeInformation, die in jeder einzelnen Zelle unseres Körpers enthalten ist, kommtvon unseren Eltern und Großeltern und Urgroßeltern her, ja, aus noch fernererVergangenheit, von vor Tausenden von Jahren. Wir sind ein Gemisch aus Millionenvon Erfahrungen, die unsere Ahnen gemacht haben, und jedesmal,wenn diese Mixtur neu gemischt wird, kommt ein noch komplexerer Gen-Cocktailheraus.
Doch wenn man jung ist,scheint das alles keine Rolle zu spielen. Man kann die Enkelin eines sehrerfolgreichen Mannes sein, einen adeligen Namen tragen und liebevolle,fürsorgliche Eltern haben, die hochangeseheneMitglieder der Gesellschaft sind. Als Kind denkt man noch nicht an all das Bösein der Welt und will nichts weiter, als jeden Moment dieses kostbaren Lebensgenießen.
So war es bei Alejandra, einem hübschen kleinen Mädchen mit langembraunem Haar, elfenbeinfarbener Haut und glänzenden schwarzen Augen. In einewohlhabende, adlige Familie hineingeboren, wuchs sie in einer Zeit auf, in deres nur eine Möglichkeit gab, sich gegenüber der Gesellschaft zu benehmen: Manhielt sich an die Regeln, aß an einem Tisch, auf dem links neben dem Tellerdrei Gabeln und rechts drei Messer lagen, und machte von diesen mit größterSorgfalt Gebrauch. So lernen fast alle wohlerzogenen Aristokraten nicht etwaglücklich, sondern vor allem höflich zu sein.
Doch die bestgehütetenGeheimnisse einer Familie sind diejenigen, die die Familie vor anderenverbergen will. Eine Sünde kann man vergeben, nicht jedoch einen Skandal.
Alejandras Vater war Alkoholiker, aber solange der Rest derWelt nichts davon wußte, war das nicht schlimm. Waszählt, ist, wie die Dinge zu sein scheinen, nicht, wie sie wirklich sind. Undschließlich ist man, wenn man Alkoholiker ist, ja nicht krank: Man ist ganzeinfach ein Trinker. Ein elender Säufer, könnte man sagen. Wie anders ist es,wenn man Krebs hat! Auch wenn man dreißig Jahre lang zwei Schachteln Zigarettenam Tag geraucht hat! Die Gesellschaft wird niemanden dafür verurteilen, daß er Krebs hat. Man wird mit diesem Menschen Mitleidhaben. Aber wenn jemand Alkoholiker ist, dann ist er nicht krank. Dann ist ereinfach nur ein elender Säufer, dem es an Willenskraft fehlt.
Alejandra war zu klein, um zu verstehen, woran ihr Vater litt.Sie war erst zwei Jahre alt, als ihr Vater starb. Laut ihrer Familie war erallerdings nicht gestorben: Er war von ihnen gegangen. Arme Leute sterben, aberin der High-Society stirbt man nicht. Man gehthinüber und läßt seine Angehörigen zurück. Und dasAlkoholproblem ihres Vaters wurde mit ihm begraben. Aus den Augen, aus demSinn.
So wurde Alejandra im Alter von zwei Jahren vaterlos. Einige Jahredarauf zog sie mit ihrer Familie vom Land in die Stadt. Sie ging auf dreiSchulen und wurde aus jeder hinausgeworfen. Es war kaum möglich, sie zubändigen - das sagten zumindest die Lehrer. Doch im Vergleich zu anderenKindern hatte sie trotzdem Glück. Sie hatte ihre Mutter und Felipe - ihrenälteren Bruder, der sie liebevoll umsorgte - und einen Großvater, der »sichschon um alles kümmern« würde. An ihren Vater konnte sie sich nicht erinnern,darum empfand sie auch niemals Trauer über seinen Verlust. Wie kann man umjemanden trauern, den man überhaupt nicht gekannt hat? Sobald ein Mensch nichtmehr auf der Welt ist, erzählen die Leute den Kindern nur noch Gutes über ihnund nichts von den schlechten Erinnerungen. Eine Familie ist eine Familie, undder schlechte Keim sollte für immer begraben sein. Vor allem aber sollte dieGesellschaft sich nur an die guten Seiten ihrer Mitglieder erinnern. Auf dieseWeise kann sie ihren Dünkel aufrechterhalten, und das Leben geht weiter.
Doch der Keim, den siemit Alejandras Vater begraben hatten, war nicht mitihm gestorben. Die genetische Information war an seine Tochter weitergegebenworden. Der Keim schlummerte in jeder ihrer Zellen und wartete auf denrichtigen Zeitpunkt, um aufzugehen. Es war nur eine Frage der Zeit. Früher oderspäter würde der Augenblick kommen. Aber nicht nur in ihr, auch im Körper ihresBruders würde der Keim eines Tages aufgehen.
Wann?
Das konnte niemand sagen.
Carl war in der Stadtgeboren worden. Er wuchs im Schoße einer wunderbaren Familie auf, zwar keineradeligen, wie der von Alejandra, aber einergebildeten Familie des gehobenen Mittelstands. Carl besuchte die besten Schulenund hatte großartige Freunde. Auch Carl konnte sich seine Familie nichtaussuchen, aber in seinem Fall ging alles gut. Er hatte wundervolle Eltern undeine behütete Kindheit, die reich an Liebe und Zärtlichkeit war.
Carls Jugend war eine unvergeßliche Zeit. Er war groß, dunkelhäutig, attraktivund sportlich. Er hatte bildhübsche Freundinnen, gute Freunde, mit denenzusammen er die Wunder des Erwachsenwerdens erlebte, und natürlich auch solche,mit denen man ab und zu ein Bier trinken konnte. Sich auf Partys mit Freundenzu betrinken war normal, aber nur am Wochenende. Das ist nun einmal das, wasjunge Leute tun: Spaß haben und feiern, auf Teufel komm raus. Und etwas zutrinken gehörte mit zum Erwachsenwerden, gehörte mit dazu, ein Mann zu sein.
Carl war davon überzeugt,daß es einen Gott gab. Er sprach zu ihm, wenn erallein war. Als Kind hatte er mit seinen Eltern jeden Sonntag die Messebesucht. Er hatte bemerkt, daß viele Leute nicht ausGläubigkeit zur Messe gingen, sondern nur aus Gewohnheit. Ihm war aufgefallen, daß sich viele Leute in der Kirche, die er mit seinenEltern besuchte, nicht wirklich anhörten, was der Pfarrer zu sagen hatte. Siekamen vor allem, um sich zu zeigen. Wahrscheinlich machte sie das zu »bravenBürgern«. Natürlich gingen manche auch zur Messe, weil sie ernsthaft an Gottund ihre Kirche glaubten. Aber nicht alle - die meisten mußtenam Sonntag um halb elf nur deshalb zur Messe gehen, um von den richtigen Leutenin ihren Kreisen gesehen zu werden. Sie grüßten die richtigen Leute mitgespieltem Erstaunen, tauschten Küsse und den neuesten Klatsch aus. Ebendas fiel Carl auf: daß derKirchenbesuch für viele ein gesellschaftliches Ereignis war. Kaum war die Messevorbei, ließen die Leute Gott in der Kirche, anstatt ihn mit nach Hause zunehmen und ihm einen Platz einzuräumen in ihrem Leben.
Das alles machte Carlsehr traurig. Er glaubte wirklich an Gott, seinen großen Beschützer, der ihmeine wunderbare Kindheit geschenkt hatte. Er dankte Gott immer dafür, daß ihm ein so glückliches Leben beschieden war. Und erhatte das Gefühl, solange Gott auf seiner Seite war, konnte ihm nichtspassieren.
Als Alejandrazwölf Jahre alt war, hielt das Leben eine weitere böse Überraschung für siebereit. Ihre Mutter begann, sich merkwürdig zu benehmen. Anfangs beunruhigtesie das nicht. Die Mutter wirkte irgendwie entrückt, fast unwirklich. Sie hörteauf einmal auf, Alejandra und ihrem Bruder zu sagen,was sie zu tun hätten. So ohne Vater und mit einer in sich selbstzurückgezogenen Mutter aufwachsend, nahmen Alejandraund ihr Bruder Felipe, die doch noch Kinder waren, ihr Leben selbst in dieHand. Sie merkten wohl, daß der Rest der Familiebesorgt war, aber ihnen selbst war das Ausmaß des Problems nicht bewußt. Mit zwölf kann man mit dem Wort Schizophrenie nichtviel anfangen. Man kann es kaum aussprechen. Es klingt viel zu kompliziert.
Doch in Wirklichkeithatte Alejandras Mutter das entwickelt, was manschizophrenes Verhalten nennt, eine schleichende Krankheit, die, wenn man sienicht behandelt, zum Wahnsinn führt - eine chronische, schwere Erkrankung desGehirns, die für den Betroffenen mit starken Beeinträchtigungen verbunden ist.Menschen mit Schizophrenie leiden häufig unter erschreckenden Symptomen: Siehören innere Stimmen, oder sie glauben, daß andereMenschen ihre Gedanken lesen könnten, diese kontrollieren oder einen Anschlagauf sie planen würden. Darum sind sie oft ängstlich und zurückgezogen. IhreSprache und ihr Verhalten können so unzusammenhängendsein, daß andere Menschen sie als völligunverständlich empfinden oder sie ihnen sogar Angst einjagen. Jemand, der anSchizophrenie leidet, nimmt die Wirklichkeit auf eine Weise wahr, dieverblüffend anders ist als das, was die Menschen um ihn her sehen und erleben.Da an Schizophrenie Erkrankte in einer Welt leben, die durch Halluzinationenund Wahnvorstellungen verzerrt ist, leiden sie oft unter Angst, Unruhe undVerwirrung.
Die ersten Symptome einerschizophrenen Erkrankung treten meist im Alter um die Dreißig auf. So war esauch bei Alejandras Mutter. Sie begann plötzlich,Stimmen zu hören, das Gefühl für die Realität zu verlieren. Ihr Geist begann anDinge zu glauben, die nicht existierten.
Von allen Ketten befreit,selbst für ihr Leben verantwortlich und so aufsässig, wie Zwölfjährige es ebensind, trank Alejandra schließlich ihr erstes Bier.Und so wurde das unheilvolle Gen, das ihr bei ihrer Zeugung eingepflanzt wordenwar, nicht mit Wasser, sondern mit Alkohol gegossen, und der Keim begann, seineverheerenden Wurzeln zu schlagen.
© Piper Verlag
Übersetzung: Clara Lind
- Autor: Sergio Bambaren
- 2007, Aufl., 185 Seiten, Maße: 12 x 19,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Lind, Clara
- Übersetzer: Clara Lind
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492048811
- ISBN-13: 9783492048811
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