Die Sache mit meiner Schwester
Roman
Der neue Roman von Anne Hertz! Für Fans ein absolutes Muss: beste Unterhaltung mit Tiefgang und gleichzeitig Humor.
Nach außen verstehen sich die Schwestern Heike und Nele blendend. Unter dem Pseudonym »Sanne Gold«...
Nach außen verstehen sich die Schwestern Heike und Nele blendend. Unter dem Pseudonym »Sanne Gold«...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Sache mit meiner Schwester “
Der neue Roman von Anne Hertz! Für Fans ein absolutes Muss: beste Unterhaltung mit Tiefgang und gleichzeitig Humor.
Nach außen verstehen sich die Schwestern Heike und Nele blendend. Unter dem Pseudonym »Sanne Gold« schreiben sie Frauenromane. Doch in Wahrheit können sich die Schwestern nicht ausstehen. Nach einer gemeinsamen Talkshow kommt es zur Katastrophe: Heike wird bei einem Unfall schwer verletzt. Voller Schuldgefühle beginnt Nele nachzudenken
Nach außen verstehen sich die Schwestern Heike und Nele blendend. Unter dem Pseudonym »Sanne Gold« schreiben sie Frauenromane. Doch in Wahrheit können sich die Schwestern nicht ausstehen. Nach einer gemeinsamen Talkshow kommt es zur Katastrophe: Heike wird bei einem Unfall schwer verletzt. Voller Schuldgefühle beginnt Nele nachzudenken
Klappentext zu „Die Sache mit meiner Schwester “
Die Schwestern Heike und Nele könnten nicht unterschiedlicher sein. Heike ist glücklich verheiratet, hat drei Kinder und lebt in einem Haus mit Garten im Vorort. Nele ist unsteter Single und genießt das Großstadtleben in vollen Zügen. Kurzum: Sie leben in zwei Welten und gehen sich aus dem Weg. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist ihr Pseudonym "Sanne Gold", unter dem sie erfolgreich Romane veröffentlichen - doch selbst die schreiben sie in Wahrheit nicht mehr selber. Nur noch für öffentliche Auftritte machen sie gute Miene zum bösen Spiel. Nach einer gemeinsamen Talkshow kommt es zur Katastrophe: Heike wird bei einem Unfall schwer verletzt. Voller Schuldgefühle beginnt Nele, ihr bisheriges Geschwisterleben zu rekapitulieren und stellt sich die Frage, wie das alles nur so weit kommen konnte. Bald schon findet sie Antworten, die das Leben der beiden vollkommen auf den Kopf stellen ...
Lese-Probe zu „Die Sache mit meiner Schwester “
Die Sache mit meiner Schwester von Anne Hertz1. Kapitel
»Gibst du mir bitte auch eine?« Niklas liegt im Bett und streckt mir auffordernd eine Hand entgegen. Weil ich keine mehr habe, gebe ich ihm meine halb gerauchte Kippe und setze mich neben ihn. »Das tut gut!«, sagt er und pustet seufzend den Rauch in die Luft.
»Ja«, gebe ich ihm Recht. »Die Zigarette danach ist eben die beste.«
Er grinst mich an. »Und die dazwischen erst! Bleib doch wenigstens noch fünf Minuten!«
Jetzt muss ich lachen. »Mit fünf Minuten bist du doch noch nie hingekommen!«
»Wir könnten ja mal einen Quickie versuchen.«
»Könnten wir«, antworte ich, und sofort tritt ein Grinsen auf Niklas' Gesicht. »Machen wir aber nicht.« Mit diesen Worten weiche ich seiner Hand aus, die mich schon wieder am Arm packen will, und springe auf. »Der Termin ist wirklich wichtig, wenn ich da zu spät komme, macht Heike mir die Hölle heiß.«
»Das macht sie doch sowieso.«
Ich seufze. »Ich hätte dir niemals von den Schwierigkeiten mit meiner Schwester erzählen dürfen.«
»Das hätte ich auch so gewusst, schließlich kenne ich Heike. Solche Menschen ändern sich nicht.«
»Vorsicht!«, sage ich. »Pass auf, was du sagst, du sprichst immerhin von meiner Schwester!« Ich drohe ihm gespielt mit dem Zeigefinger.
»Ach ja, ich vergaß! Nele Krüger und Heike Bachmann, ein Herz und eine Seele, unzertrennlich seit eh und je!«
»Zumindest nach außen.«
Niklas schüttelt grinsend den Kopf. »Mannomann, was für eine verlogene Branche!«
... mehr
»Die Leser lieben es«, sage ich. »Und darum geht's.« Niklas lacht. »Wenn die lieben Leser wüssten, was die Wahrheit hinter Sanne Gold ist - ob sie eure Romane dann immer noch verschlingen würden?« Er lacht noch einmal. »Ich könnte dich voll erpressen!«
Jetzt lasse ich mich doch noch mal aufs Bett plumpsen, stütze mich mit beiden Händen rechts und links neben Nick auf und gebe mir Mühe, ihn so böse wie möglich anzugucken. »Schöne Idee, Herr Mesterkamp«, knurre ich. »Ich rufe im Gegenzug deine Frau an, dann sind wir quitt.«
Niklas grinst. »Annette würde sich freuen! Schließlich liebt die eure Bücher auch und ist ganz beeindruckt, dass ich euch beide kenne.«
Vor Schreck verschlucke ich mich und muss husten.
»Du hast deiner Frau von uns erzählt?«
»Na klar. Muss doch ein bisschen angeben.« Er greift nach meinem Arm und zieht mich zurück aufs Bett. »Aber wie gut du und ich uns kennen, das weiß sie nicht.«
»Das ist ja wohl eher in deinem als in meinem Interesse.«
»Meinst du? Wie würden eure Leserinnen es wohl finden, dass du mit verheirateten Männern ins Bett gehst? Sicher auch nicht so gut.« Wieder lacht er. »Ich sag ja, ich könnte dich erpressen, auf ganzer Linie.« Er fängt an, an einer Hand aufzuzählen: »Erstens: Die Sanne- Gold-Romane werden schon lange nicht mehr von Nele Krüger und Heike Bachmann geschrieben, sondern von einem Ghostwriter. Zweitens: Eine der beiden Schwestern macht auch vor braven Ehemännern nicht halt.«
»Du meinst mit ›braven Ehemännern‹ jetzt wohl nicht dich, oder?«, unterbreche ich ihn.
Er spricht einfach weiter. »Drittens: In Wahrheit reden Nele und Heike so gut wie kein Wort mehr miteinander, weil sie total zerstritten sind. Na?« Er zwinkert mir zu und legt einen Arm um mich. »Was wäre dir mein Schweigen wohl wert?«
Ich mache mich von ihm los und hole drohend mit einer Hand aus.
»Lass mich doch meine Witzchen machen! Ich finde es eben lustig, dass ihr als ‚Deutschlands erfolgreichstes Autoren-Duo' einen Liebesroman nach dem nächsten auf den Markt werft und die Leute euch diese ganze Schwesterherz-Nummer auch noch abkaufen.«
»Alles eine Frage der PR«, antworte ich und stehe wieder auf. »Und apropos PR: Ich muss jetzt wirklich los, in einer Stunde muss ich schon im Sender sein.«
»Ich guck's mir an!«
»Wie du willst.« Ich greife nach meinem Morgenmantel und streife ihn über. »Du kannst bei der Sendung sogar anrufen. Die machen da zehn Minuten lang einen ›Call-in‹, bei dem uns die Fans Fragen stellen dürfen.«
»Dann verstell ich besser meine Stimme.« Nik beginnt zu kieksen. »Mesterkamp am Apparat, sagen Sie, Frau Krüger, äh, Gold, wie ist das so, wenn man mit seiner Schwester so eng befreundet ist und auch noch zusammen schreibt?«
Ich muss kichern und kiekse ebenfalls. »Eigentlich ganz entspannt. Während Heike mit ihrem langweiligen Gatten und ihren drei Kindern draußen in Flottbek in ihrer Villa hockt und sich die Eierstöcke schaukelt, genieße ich in meiner Stadtwohnung mein Single-Leben. Und so lange ich meine Schwester nicht zu Gesicht bekomme, ist alles bestens.«
»Klingt gut«, sagt Niklas. »Ich ruf dann nachher an.«
»Mach das.« Ich werfe ihm seine zerknitterte Anzugshose hin. »Und jetzt sieh zu, dass du hier rauskommst. Dein ‚Geschäftstermin' ist in einer halben Stunde vorbei.«
Eine halbe Stunde später rolle ich in meinem Golf in die Einfahrt des Studiogeländes in Lokstedt und erreiche die Schranke neben der Pforte. Ich lasse die Fensterscheibe runter und winke dem älteren Herrn am Empfang freundlich zu.
»Nele Krüger«, erkläre ich. »Ich bin heute Talkgast bei ›Drei um drei.‹« Er tippt auf der Tastatur seines Computers herum. »Sanne Gold, falls Sie Nele Krüger nicht finden«, füge ich hinzu. Er tippt weiter, dann nickt er. Die Schranke geht hoch, ich fahre vor bis zu dem Gebäude, in dem die Sendung produziert wird, parke mein Auto und stelle den Motor ab. Seufzend setze ich meine Sonnenbrille auf, schnappe mir meine Handtasche und steige aus. Na dann: It's Showtime! Mal wieder.
»Frau Gold, Frau Gold!« Noch vor der Drehtür zum Gebäude werde ich von drei jüngeren Frauen abgefangen, jede von ihnen hat einen Rucksack geschultert: Die gesammelte Sanne-Gold-Edition, alle zwölf bisher erschienenen Romane.
»Hallo!«, begrüße ich sie. »Soll ich was signieren?«
»Oh, ja, bitte!«, kommt es wie aus einer Kehle. »Ihre Schwester war auch schon da, jetzt brauchen wir nur noch Ihre Unterschrift!«
»Sicher, gern doch!«
Fünfzehn Minuten später komme ich in die Maske gestolpert. Dort sitzt bereits Heike. Das heißt, sie thront. Im Spiegel wirft sie mir einen vorwurfsvollen Blick zu, während die Visagistin gerade ihren dunklen Pagenkopf mit einer Rundbürste bearbeitet.
»Zu spät«, sagt sie und mustert mich dabei missbilligend. »Wie immer.«
»Ich wünsche dir auch einen schönen Tag, Schwesterherz«, erwidere ich lächelnd und nehme auf dem zweiten Stuhl direkt neben ihr Platz. Blöde Kuh, denke ich. Wegen ein paar Minuten macht die hier ein Drama, als wäre ich zu spät zu einem Staatsempfang erschienen.
»Was hat dich denn mal wieder aufgehalten?«, fragt sie, um die Frage sofort selbst zu beantworten: »Lass mich raten: irgendein nutzloser Kerl.«
»Ja«, gebe ich schnippisch zurück, »vielleicht kannst du dich noch dunkel daran erinnern, wie es ist, ein leidenschaftliches Liebesleben zu haben. Da kann man schon mal ein paar Minuten später dran sein. Aber nach fast zwanzig Jahren Ehe kann das natürlich leicht in Vergessenheit geraten.« Die zweite Visagistin, die mir gerade ein Handtuch um den Kragen legt, zieht erschrocken die Luft ein.
»Denken Sie sich nichts dabei«, sagt Heike zu ihr und lächelt sie über den Spiegel hinweg an. »Das ist nur unser üblich frotzelnder Ton. Ist nicht ernst gemeint.«
»Oh, äh, ja«, stottert sie und sieht immer noch etwas irritiert aus, während sie anfängt, mein Gesicht mit cremefarbener Grundierung zu beschmieren.
»Also, ich finde Ihre Bücher ja toll«, meldet sich nun Heikes Maskenbildnerin zu Wort. »Die gehen echt so richtig zu Herzen!«
»Vielen Dank«, sage ich. »Das freut uns natürlich sehr.«
»Wie kommen Sie eigentlich immer auf Ihre Ideen?«, will die Visagistin dann wissen. »Zum Beispiel dieser Roman über die Trennungsagentur - den fand ich wirklich total lustig und abgedreht, hab mich beim Lesen ständig schlappgelacht.«
»Das war meine Idee«, erwidern Heike und ich wie aus einem Mund. »Neles Idee«, verbessert meine Schwester mich dann und grinst mich süffisant an. Oh, wie großmütig, danke!
Die Wahrheit ist allerdings, dass es weder Heikes noch meine Idee war, sondern die unserer Ghostwriterin, die mal etwas über eine Trennungsagentur in der Zeitung gelesen und uns das Thema dann vorgeschlagen hatte. Aber das können wir ja schlecht sagen. Manchmal geht mir diese Lügerei schon ein bisschen auf die Nerven, aber nachdem Heike und ich uns irgendwann so sehr in den Haaren hatten, dass an gemeinsames Arbeiten nicht mehr zu denken war, schien uns das die beste Lösung.
Der Ghost schreibt das Buch für ein gutes Honorar, meine Schwester und ich gehen beide noch einmal getrennt voneinander über den Text drüber - fertig ist der neue Sanne-Gold-Roman. Ohne Stress, ohne Streit, wunderbar. Wenn nur nicht die gemeinsamen Pressetermine und die Lesungen wären, wäre mein Leben perfekt. Dann würde ich Heike nämlich so gut wie nie zu Gesicht bekommen.
Einmal, vor knapp drei Jahren, haben wir trotzdem noch einmal versucht, zusammen zu schreiben, weil unser Agent das unbedingt wollte. Aber das ging gründlich in die Hose, schon nach ein paar Minuten lagen wir so über Kreuz, dass wir uns fast gegenseitig umgebracht hätten. Wir sind einfach zu verschieden, das passt hinten und vorne nicht mehr. Heike mit ihrer heilen Welt mit drei Kindern und ihrem Mann Oliver, mit dem sie schon seit Anfang zwanzig zusammen ist - das ist, als würde sie auf einem anderen Planeten leben.
Sie kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie es ist, sich ganz allein durch den Alltag schlagen zu müssen und ein totaler Einzelkämpfer zu sein. Na ja, und dann kommt noch hinzu, dass sich unsere gemeinsame Arbeit irgendwann zu einer Art Konkurrenzkampf entwickelt hat, weil eine der anderen beweisen wollte, dass sie die bessere Autorin ist. Nein, so wie es jetzt ist, ist es schon am besten.
»Noch zehn Minuten!« Die Stimme des Aufnahmeleiters, der seinen Kopf durch die Tür steckt, reißt mich aus meinen Gedanken. »Die Damen müssten noch verkabelt werden.«
»In Ordnung«, antwortet meine Visagistin. »Wir sind hier gleich fertig, ich bringe die Schwestern dann runter ins Studio.«
»Okay, prima.« Er zeigt mit einem Daumen nach oben und verschwindet sofort wieder, während er geschäftig in sein Walkie-Talkie spricht.
Drei Minuten später zieht meine Maskenbildnerin mit einem schwungvollen Ruck das Handtuch von meinen Schultern. »Voilà!«, ruft sie, »fertig!«
Ich betrachte mich im Spiegel, aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Heike dasselbe tut. Es lässt sich wirklich nicht leugnen, dass wir Schwestern sind. Beide haben wir dunkle Haare, meine sind schulterlang und damit etwas länger als die von Heike. Wir haben helle Augen - Heike grüne, ich blaue - und ein herzförmiges, eher blasses Gesicht. Den kleinen Mund haben wir von unserem Vater geerbt, die langen Wimpern von unserer Mutter. Früher haben die Leute uns manchmal sogar verwechselt, und am Telefon sind wir bis heute nicht auseinanderzuhalten. Als Jugendliche haben wir uns häufig einen Spaß daraus gemacht, uns für die jeweils andere auszugeben. Tja. Ich seufze. Lange ist das her.
»Was ist?«, kommt es von Heike.
»Was soll sein?«
»Du seufzt.«
Ich lächle sie an. »Nichts ist. Habe gerade nur an meinen sehr netten Vormittag gedacht.«
»Schön für dich«, sagte Heike. »Dann wollen wir mal.« Sie steht auf und überprüft ein letztes Mal im Spiegel, ob sie auch keinen Lippenstift an den Zähnen hat.
»Ja«, sage ich und tue das Gleiche.
Unten im Studio herrscht eine Bullenhitze, die Scheinwerfer geben alles, und ich bin froh, in weiser Voraussicht nur eine dünne Bluse angezogen zu haben. Ich werde verkabelt, danach dirigiert uns der Aufnahmeleiter zu einer Sitzgruppe bestehend aus drei roten Sesseln und zeigt uns unsere Plätze.
»Barbara Koch kommt sofort«, erklärt er uns und spricht eine Sekunde später schon wieder in sein Walkie-Talkie.
Barbara Koch ist die Moderatorin von »Drei um drei«, einer beliebten Talkshow, die täglich bundesweit ausgestrahlt wird. Heikes und mein Agent Wolfgang war ganz aus dem Häuschen, nachdem die Redaktion uns angefragt hatte. »Danach wird euer neuer Roman durch die Decke gehen!«, hatte er uns versichert.
Während meine Schwester und ich nun darauf warten, dass es gleich losgeht, werde ich langsam ein bisschen nervös.
Das kenne ich schon von mir, bei Live-Sendungen geht mir das immer so. Obwohl ich es ja bereits so oft gemacht habe, habe ich noch immer ein bisschen Angst, dass mir vor laufender Kamera irgendwann mal etwas Peinliches passiert. Oder dass ich spontan eine Art Tourette entwickele und mitten in der Sendung auf einmal »Ficken!« brülle. Ist ja live, kann keiner verhindern, und einmal in die Welt gepustet, wäre es raus. Schon wieder muss ich kichern, diesmal vor Anspannung.
»Machst du dir gerade mal wieder in die Hose?«, fragt Heike und zieht spöttisch eine gezupfte Augenbraue hoch. Ich kenne niemanden, der das so gut kann wie meine Schwester, spöttisch eine Augenbraue hochziehen. Und ich kenne auch niemanden, der so cool ist wie sie, noch nie habe ich es bei ihr erlebt, dass sie bei einem Interview oder einer Lesung aufgeregt war. Wie macht sie das nur? Und warum, zum Teufel, weiß sie schon wieder, was gerade in mir vorgeht?
»Nein«, behaupte ich trotzdem, »ich freue mich nur auf die Sendung.«
»Ich bin froh, wenn wir das schnell hinter uns haben, ich muss nachher noch zur Elternversammlung von Emmas Klasse.« Sie verdreht die Augen. »Immer dieser Stress!«
»Na ja, ein bisschen mit anderen Eltern rumsitzen, Kaffee trinken und quatschen - unter Stress stelle ich mir was anderes vor«, gebe ich zurück.
»Da sieht man mal wieder, dass du keine Ahnung hast. Aber wie auch?« Sie zuckt mit den Schultern.
Ich werfe ihr einen bösen Blick zu. »Ich habe durchaus ...«
»Hallo! Wie schön, dass Sie heute bei mir zu Gast sind!« Vor uns steht eine lächelnde Barbara Koch und unterbricht unsere kleine Zankerei, bevor sie überhaupt richtig losgehen kann. »Ich freue mich sehr!«, sagt sie, schüttelt erst mir, dann Heike die Hand und nimmt auf dem einzelnen Sessel gegenüber von uns Platz. »Und, schon aufgeregt?«, will sie wissen.
»Nele schon, ich nicht«, antwortet Heike, bevor ich etwas sagen kann.
»Ach was!«, Barbara Koch sieht mich freundlich an.
»Da gibt es doch keinen Grund, aufgeregt zu sein. Das wird bestimmt ein total netter Talk.«
»Das glaube ich auch«, erwidere ich und gebe mir Mühe, möglichst gelassen zu wirken. Ärgerlicherweise zittert meine Stimme ein bisschen, was meine Souveränität nicht gerade unterstreicht.
»Einfach immer dran denken«, erklärt Barbara Koch, »was auch passiert, ob hier ein Scheinwerfer umfällt oder die Welt untergeht - auf alle Fälle weiter nett lächeln.«
Ich nicke. »Okay, das kriege ich hin.«
Ein paar Minuten lang halten wir noch Smalltalk, dann gibt der Aufnahmeleiter der Moderatorin das Zeichen, dass es jeden Augenblick losgeht. Laut zählt er einen Countdown herunter, dann sehe ich das rote Licht von Studio-Kamera 1 angehen. Und los geht's.
2. Kapitel
Die erste Viertelstunde der Sendung läuft wunderbar. Barbara Koch ist eine routinierte Interviewerin, Heike und ich geben wie immer das lustige Geschwisterpaar, und meine Tourette-Panik hält sich in Grenzen.
Wie immer werden wir als »Deutschlands erfolgreichste Schreibschwestern« tituliert (was lustig ist, denn außer uns gibt es in Deutschland gar keine anderen Schwestern, die zusammen schreiben; das ist in etwa so, als ließe man sich nach einem Wettkampf mit zwei Teilnehmern als Vizelandesmeister bejubeln) und erzählen lustige Anekdoten aus unserer Kindheit (zum Beispiel, dass wir als Kinder selbst Märchenhörspiele aufgenommen haben - und Heike bei »Schneewittchen« sämtliche Rollen übernahm, während ich nur ein einziger der sieben Zwerge sein durfte).
Wir erzählen, dass unsere Eltern sich getrennt haben, als ich dreizehn und Heike fünfzehn waren und wir deshalb natürlich als Schwestern immer besonders zusammengehalten haben, plaudern darüber, wie es ist, so erfolgreich zu sein, und warum Heike irgendwann ihren Job als Rechtsanwältin an den Nagel gehängt hat, um mit mir zusammen zu schreiben (die Wahrheit ist simpel: Sie hatte keinen Bock mehr auf die Juristerei und wollte das Gleiche machen wie ich).
Alles ganz fröhlich und harmlos, Heike und ich spielen uns routiniert die Bälle zu und bringen sowohl die Moderatorin als auch das Studiopublikum immer wieder zum Lachen, und ich bin mir sicher, dass unser Agent Wolfgang Steier, der sich die Sendung natürlich auch ansieht, einen Juchzer nach dem nächsten ausstößt, weil er diese beiden patenten und sympathischen Mädels unter Vertrag hat und sie ihm eine Menge, Menge Geld in die Kasse spülen.
Kurz schweifen meine Gedanken zu Niklas ab, der ja auch angekündigt hatte, er würde sich den Talk anschauen. Ob er wohl gerade wirklich vorm Fernseher sitzt und mir zusieht? Und was er dabei wohl so denkt? Doch bevor ich weiter darüber sinnieren kann, wendet sich Barbara Koch direkt an mich.
Und da ist sie auch schon, die Frage, die so sicher kommt wie das Amen in der Kirche, wenn Heike und ich interviewt werden. Immer, immer, IMMER kommt sie, von jedem Journalisten, von jedem Buchhändler und von jedem Fan. Und ich HASSE diese Frage!
»Eigentlich«, beginnt die Moderatorin und lächelt mich breit an, »sind Sie beide ja sehr unterschiedlich. Sie, Heike, leben mit Mann und drei Kindern in den Elbvororten und sind seit vielen Jahren verheiratet. Sie, Nele, wohnen allein in Hamburg Eimsbüttel.« Sie legt nachdenklich die Stirn in Falten. »Möchten Sie denn nicht auch irgendwann einmal Kinder und Familie?«
Tadaaa! Wie gesagt, ich wusste, dass diese Frage kommt, alles andere hätte mich auch sehr gewundert! Und ich schätze mal, es gibt auf diesem Planeten kaum eine 39-jährige Frau, die diese Frage nicht unheimlich gern gestellt bekommt. Noch dazu in einer Live-Talkshow, bei der gerade eine Million Menschen zusehen. Mein Tourette meldet sich zurück, und es liegt mir ganz spontan eine wunderbare Antwort auf der Zunge:
»Doch, liebe Barbara, ich hätte sogar sehr, sehr gern Kinder und Familie, und der Umstand, dass ich schon fast vierzig bin und noch keine habe, lässt mich regelmäßig nachts verzweifelt in mein Kissen weinen. Oder auch mal abends zwei Flaschen Wein trinken. Ich war ja sogar schon einmal drei Jahre lang verheiratet, aber die Ehe ist am unerfüllten Kinderwunsch gescheitert. Mein Mann und ich haben uns komplett verrückt gemacht, bis es einfach nicht mehr ging und er sich eine Fünfundzwanzigjährige geschnappt hat, die dann prompt Zwillinge von ihm bekam (nachts in zwei Kissen geheult und drei Flaschen Wein getrunken). Seitdem drücken sich bei mir die Idioten die Klinke in die Hand; im Aufspüren von bindungsunwilligen Neurotikern bin ich spitzenklasse. Der Kerl, mit dem ich mich gerade treffe, kann mich übrigens nicht heiraten, weil er schon mit einer anderen verheiratet ist. Und auch, wenn er sagt, dass er sich von seiner Frau trennen will, weiß ich zum einen nicht, ob ich das überhaupt möchte, und außerdem bleibt es dann ja trotzdem noch mehr als ungewiss, ob es bei mir mit Kindern überhaupt noch klappt, weil es ja bisher schließlich auch noch nie funktioniert hat. Also ist es überhaupt nicht unwahrscheinlich, dass ich eines Tages alt und grau und einsam mit drei Katzen in einer Bude voller Plastiktüten enden werde. Möchten Sie sonst vielleicht noch etwas wissen?«
Nein, das sage ich natürlich NICHT! Denn dieser Vortrag wäre nicht nur etwas unhöflich und würde auch so gar nicht zum Image der fröhlichen Sanne-Gold- Schwestern passen - es geht Barbara Koch und die gesammelte Fernsehnation schlicht nichts an!
Auch nicht, wie es zwischen Heike und mir anfing, so richtig schwierig zu werden, als sie ein Kind nach dem nächsten bekam und ich immer mehr das Gefühl hatte, mit einem »Wir-müssen-leider-draußen-bleiben«-Schild vorm Kopf rumzurennen. Aber so ist es eben, Heike hat alles - und ich habe nichts. »I have nothing«, um es mit Whitney Houston aus dem Film »The Bodyguard« zu sagen. Pathetisch, ich weiß. Aber wenn es um dieses Thema geht, nehme ich mir das Recht, pathetisch zu sein!
Wie gesagt, das alles behalte ich für mich und antworte stattdessen: »Ach, ich überlasse es gern meiner Schwester, im Alleingang das Ruder der demografischen Entwicklung herumzureißen. Mit ihren drei Kindern hat sie die Sache für mich ja quasi gleich miterledigt, dafür behalte ich lieber meine gute Figur.« Dabei lächle ich so breit, als hätte Barbara Koch mir gerade ein riesiges Kompliment gemacht.
Heike verschluckt sich an dem Wasserglas, aus dem sie gerade trinken wollte, und gibt einen japsenden Laut von sich.
»Na, Sie sind mir ja wirklich eine!«, bringt die Moderatorin lachend hervor.
»Ja, so ist sie«, sagt Heike und streicht sich dabei unauffällig über ihr Kleid, als wolle sie überprüfen, ob sich da tatsächlich die eine oder andere Speckrolle findet. Dabei hat sie nicht einmal die! Heike sieht auch nach drei Kindern immer noch so aus, als wäre sie nie in ihrem Leben schwanger gewesen.
Dann schaut meine Schwester mich lachend an. Nur ihre Augen blitzen dabei gefährlich. »Nele fällt es eben schwer, Kompromisse zu machen, Verantwortung zu übernehmen und auch mal zurückzustecken.«
»Das würde ich jetzt so nicht sagen«, erwidere ich und merke, wie das Tourette laut gegen meine Schädeldecke pocht. »Ich habe nur nicht gleich mit Anfang zwanzig den Erstbesten genommen, ihn geheiratet und mich sofort vermehrt, das ist alles.«
Barbara Koch wirft Heike und mir einen leicht irritierten Blick zu, offenbar merkt sie, dass hier gerade ein wenig dicke Luft aufkommt.
»Tja«, sagt sie und macht eine wedelnde Handbewegung, als wolle sie eben diese Luft verscheuchen, »aber
Ihre unterschiedlichen Modelle scheinen ja sogar das Geheimrezept Ihres Erfolges zu sein. Sie können sich eben in die verschiedenen Lebenswelten ihrer Leserinnen einfühlen.«
»Genau so ist es«, gibt Heike ihr Recht. »Wir haben quasi einen 360-Grad-Blick. Ich kenne die Gedankenwelt der Ehefrau und Mutter, Nele die der rastlosen Egomanin.«
Jetzt lache ich auf und überlege, wie ich Heike irgendwie unauffällig treten kann, ohne dass die Kamera es einfängt. »Frau Koch, Sie sehen schon, zwischen uns herrscht oft ein sehr beherzter Ton.«
Die Moderatorin nickt. »Ich kenne das, ich habe auch eine Schwester.«
»Jünger oder älter?«, will ich wissen.
»Älter«, sagt sie.
Ich lächle sie an und drehe mich dann grinsend zu Heike. »Na, dann wissen Sie ja, dass wir es nicht immer leicht haben.«
»Sie sind auch die Jüngere?«, fragt die Moderatorin vorsichtshalber nach, vermutlich für die TV-Zuschauer.
»Das sieht man doch wohl«, antworte ich, »zwischen uns liegen zweieinhalb Jahre.« Jetzt guckt Heike mich an, als würde sie mir am liebsten vors Schienbein treten. Barbara Koch nickt, irgendwie geistesabwesend. Dann legt sie den Kopf leicht schräg, weil sie durch den kleinen Knopf in ihrem Ohr offenbar gerade eine Regieanweisung erhält.
»So, liebe Zuschauer«, sagt sie, »nun haben Sie die Möglichkeit, bei uns im Studio anzurufen und Heike Bachmann und Nele Krüger Ihre Fragen zu stellen. Die Rufnummer wird unten eingeblendet.« Sie macht drei Sekunden Pause. »Und da haben wir auch schon die erste Anruferin in der Leitung. Hallo, hier ist Barbara Koch. Mit wem spreche ich?«
Eine Marianne aus Gütersloh möchte wissen, wie genau das mit dem Zusammenschreiben funktioniert. Wir antworten wie immer routiniert darauf, dass wir uns die Geschichten von Anfang bis Ende zusammen ausdenken, dann auf fünfzehn bis zwanzig Seiten eine Inhaltsangabe schreiben und danach in Kapitel unterteilen.
»Dann schreiben wir abwechselnd die einzelnen Abschnitte«, erklärt Heike, »fügen sie zusammen und gehen am Schluss gemeinsam mehrere Male über den Text, damit er sich wie aus einem Guss liest.«
»Kommen wir zur nächsten Anruferin«, sagt die Moderatorin mit Blick auf die große Digitaluhr über der Studiotür. »Hallo, Barbara Koch hier, wer ist in der Leitung?«
»Hallo! Annette Mesterkamp aus Hamburg.«
Mit einem Schlag rutscht mir das Herz in die Hose. Mesterkamp? Annette Mesterkamp? Doch wohl nicht Niklas' Annette???
»Ich würde gern Nele Krüger eine Frage stellen«, plärrt die Stimme der Anruferin durchs Studio.
»Ja, sehr gern, Frau Mesterkamp«, sagt Barbara Koch,
»nur zu!«
»Frau Krüger, Sie sind jung«, die Frau korrigiert sich lachend, »also, mitteljung, erfolgreich und sehen ganz gut aus. Darf ich fragen, warum Sie sich nicht einen Partner suchen, der Single ist, statt sich an meinen Mann ranzumachen?«
© Pendo Verlag
»Die Leser lieben es«, sage ich. »Und darum geht's.« Niklas lacht. »Wenn die lieben Leser wüssten, was die Wahrheit hinter Sanne Gold ist - ob sie eure Romane dann immer noch verschlingen würden?« Er lacht noch einmal. »Ich könnte dich voll erpressen!«
Jetzt lasse ich mich doch noch mal aufs Bett plumpsen, stütze mich mit beiden Händen rechts und links neben Nick auf und gebe mir Mühe, ihn so böse wie möglich anzugucken. »Schöne Idee, Herr Mesterkamp«, knurre ich. »Ich rufe im Gegenzug deine Frau an, dann sind wir quitt.«
Niklas grinst. »Annette würde sich freuen! Schließlich liebt die eure Bücher auch und ist ganz beeindruckt, dass ich euch beide kenne.«
Vor Schreck verschlucke ich mich und muss husten.
»Du hast deiner Frau von uns erzählt?«
»Na klar. Muss doch ein bisschen angeben.« Er greift nach meinem Arm und zieht mich zurück aufs Bett. »Aber wie gut du und ich uns kennen, das weiß sie nicht.«
»Das ist ja wohl eher in deinem als in meinem Interesse.«
»Meinst du? Wie würden eure Leserinnen es wohl finden, dass du mit verheirateten Männern ins Bett gehst? Sicher auch nicht so gut.« Wieder lacht er. »Ich sag ja, ich könnte dich erpressen, auf ganzer Linie.« Er fängt an, an einer Hand aufzuzählen: »Erstens: Die Sanne- Gold-Romane werden schon lange nicht mehr von Nele Krüger und Heike Bachmann geschrieben, sondern von einem Ghostwriter. Zweitens: Eine der beiden Schwestern macht auch vor braven Ehemännern nicht halt.«
»Du meinst mit ›braven Ehemännern‹ jetzt wohl nicht dich, oder?«, unterbreche ich ihn.
Er spricht einfach weiter. »Drittens: In Wahrheit reden Nele und Heike so gut wie kein Wort mehr miteinander, weil sie total zerstritten sind. Na?« Er zwinkert mir zu und legt einen Arm um mich. »Was wäre dir mein Schweigen wohl wert?«
Ich mache mich von ihm los und hole drohend mit einer Hand aus.
»Lass mich doch meine Witzchen machen! Ich finde es eben lustig, dass ihr als ‚Deutschlands erfolgreichstes Autoren-Duo' einen Liebesroman nach dem nächsten auf den Markt werft und die Leute euch diese ganze Schwesterherz-Nummer auch noch abkaufen.«
»Alles eine Frage der PR«, antworte ich und stehe wieder auf. »Und apropos PR: Ich muss jetzt wirklich los, in einer Stunde muss ich schon im Sender sein.«
»Ich guck's mir an!«
»Wie du willst.« Ich greife nach meinem Morgenmantel und streife ihn über. »Du kannst bei der Sendung sogar anrufen. Die machen da zehn Minuten lang einen ›Call-in‹, bei dem uns die Fans Fragen stellen dürfen.«
»Dann verstell ich besser meine Stimme.« Nik beginnt zu kieksen. »Mesterkamp am Apparat, sagen Sie, Frau Krüger, äh, Gold, wie ist das so, wenn man mit seiner Schwester so eng befreundet ist und auch noch zusammen schreibt?«
Ich muss kichern und kiekse ebenfalls. »Eigentlich ganz entspannt. Während Heike mit ihrem langweiligen Gatten und ihren drei Kindern draußen in Flottbek in ihrer Villa hockt und sich die Eierstöcke schaukelt, genieße ich in meiner Stadtwohnung mein Single-Leben. Und so lange ich meine Schwester nicht zu Gesicht bekomme, ist alles bestens.«
»Klingt gut«, sagt Niklas. »Ich ruf dann nachher an.«
»Mach das.« Ich werfe ihm seine zerknitterte Anzugshose hin. »Und jetzt sieh zu, dass du hier rauskommst. Dein ‚Geschäftstermin' ist in einer halben Stunde vorbei.«
Eine halbe Stunde später rolle ich in meinem Golf in die Einfahrt des Studiogeländes in Lokstedt und erreiche die Schranke neben der Pforte. Ich lasse die Fensterscheibe runter und winke dem älteren Herrn am Empfang freundlich zu.
»Nele Krüger«, erkläre ich. »Ich bin heute Talkgast bei ›Drei um drei.‹« Er tippt auf der Tastatur seines Computers herum. »Sanne Gold, falls Sie Nele Krüger nicht finden«, füge ich hinzu. Er tippt weiter, dann nickt er. Die Schranke geht hoch, ich fahre vor bis zu dem Gebäude, in dem die Sendung produziert wird, parke mein Auto und stelle den Motor ab. Seufzend setze ich meine Sonnenbrille auf, schnappe mir meine Handtasche und steige aus. Na dann: It's Showtime! Mal wieder.
»Frau Gold, Frau Gold!« Noch vor der Drehtür zum Gebäude werde ich von drei jüngeren Frauen abgefangen, jede von ihnen hat einen Rucksack geschultert: Die gesammelte Sanne-Gold-Edition, alle zwölf bisher erschienenen Romane.
»Hallo!«, begrüße ich sie. »Soll ich was signieren?«
»Oh, ja, bitte!«, kommt es wie aus einer Kehle. »Ihre Schwester war auch schon da, jetzt brauchen wir nur noch Ihre Unterschrift!«
»Sicher, gern doch!«
Fünfzehn Minuten später komme ich in die Maske gestolpert. Dort sitzt bereits Heike. Das heißt, sie thront. Im Spiegel wirft sie mir einen vorwurfsvollen Blick zu, während die Visagistin gerade ihren dunklen Pagenkopf mit einer Rundbürste bearbeitet.
»Zu spät«, sagt sie und mustert mich dabei missbilligend. »Wie immer.«
»Ich wünsche dir auch einen schönen Tag, Schwesterherz«, erwidere ich lächelnd und nehme auf dem zweiten Stuhl direkt neben ihr Platz. Blöde Kuh, denke ich. Wegen ein paar Minuten macht die hier ein Drama, als wäre ich zu spät zu einem Staatsempfang erschienen.
»Was hat dich denn mal wieder aufgehalten?«, fragt sie, um die Frage sofort selbst zu beantworten: »Lass mich raten: irgendein nutzloser Kerl.«
»Ja«, gebe ich schnippisch zurück, »vielleicht kannst du dich noch dunkel daran erinnern, wie es ist, ein leidenschaftliches Liebesleben zu haben. Da kann man schon mal ein paar Minuten später dran sein. Aber nach fast zwanzig Jahren Ehe kann das natürlich leicht in Vergessenheit geraten.« Die zweite Visagistin, die mir gerade ein Handtuch um den Kragen legt, zieht erschrocken die Luft ein.
»Denken Sie sich nichts dabei«, sagt Heike zu ihr und lächelt sie über den Spiegel hinweg an. »Das ist nur unser üblich frotzelnder Ton. Ist nicht ernst gemeint.«
»Oh, äh, ja«, stottert sie und sieht immer noch etwas irritiert aus, während sie anfängt, mein Gesicht mit cremefarbener Grundierung zu beschmieren.
»Also, ich finde Ihre Bücher ja toll«, meldet sich nun Heikes Maskenbildnerin zu Wort. »Die gehen echt so richtig zu Herzen!«
»Vielen Dank«, sage ich. »Das freut uns natürlich sehr.«
»Wie kommen Sie eigentlich immer auf Ihre Ideen?«, will die Visagistin dann wissen. »Zum Beispiel dieser Roman über die Trennungsagentur - den fand ich wirklich total lustig und abgedreht, hab mich beim Lesen ständig schlappgelacht.«
»Das war meine Idee«, erwidern Heike und ich wie aus einem Mund. »Neles Idee«, verbessert meine Schwester mich dann und grinst mich süffisant an. Oh, wie großmütig, danke!
Die Wahrheit ist allerdings, dass es weder Heikes noch meine Idee war, sondern die unserer Ghostwriterin, die mal etwas über eine Trennungsagentur in der Zeitung gelesen und uns das Thema dann vorgeschlagen hatte. Aber das können wir ja schlecht sagen. Manchmal geht mir diese Lügerei schon ein bisschen auf die Nerven, aber nachdem Heike und ich uns irgendwann so sehr in den Haaren hatten, dass an gemeinsames Arbeiten nicht mehr zu denken war, schien uns das die beste Lösung.
Der Ghost schreibt das Buch für ein gutes Honorar, meine Schwester und ich gehen beide noch einmal getrennt voneinander über den Text drüber - fertig ist der neue Sanne-Gold-Roman. Ohne Stress, ohne Streit, wunderbar. Wenn nur nicht die gemeinsamen Pressetermine und die Lesungen wären, wäre mein Leben perfekt. Dann würde ich Heike nämlich so gut wie nie zu Gesicht bekommen.
Einmal, vor knapp drei Jahren, haben wir trotzdem noch einmal versucht, zusammen zu schreiben, weil unser Agent das unbedingt wollte. Aber das ging gründlich in die Hose, schon nach ein paar Minuten lagen wir so über Kreuz, dass wir uns fast gegenseitig umgebracht hätten. Wir sind einfach zu verschieden, das passt hinten und vorne nicht mehr. Heike mit ihrer heilen Welt mit drei Kindern und ihrem Mann Oliver, mit dem sie schon seit Anfang zwanzig zusammen ist - das ist, als würde sie auf einem anderen Planeten leben.
Sie kann überhaupt nicht nachvollziehen, wie es ist, sich ganz allein durch den Alltag schlagen zu müssen und ein totaler Einzelkämpfer zu sein. Na ja, und dann kommt noch hinzu, dass sich unsere gemeinsame Arbeit irgendwann zu einer Art Konkurrenzkampf entwickelt hat, weil eine der anderen beweisen wollte, dass sie die bessere Autorin ist. Nein, so wie es jetzt ist, ist es schon am besten.
»Noch zehn Minuten!« Die Stimme des Aufnahmeleiters, der seinen Kopf durch die Tür steckt, reißt mich aus meinen Gedanken. »Die Damen müssten noch verkabelt werden.«
»In Ordnung«, antwortet meine Visagistin. »Wir sind hier gleich fertig, ich bringe die Schwestern dann runter ins Studio.«
»Okay, prima.« Er zeigt mit einem Daumen nach oben und verschwindet sofort wieder, während er geschäftig in sein Walkie-Talkie spricht.
Drei Minuten später zieht meine Maskenbildnerin mit einem schwungvollen Ruck das Handtuch von meinen Schultern. »Voilà!«, ruft sie, »fertig!«
Ich betrachte mich im Spiegel, aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Heike dasselbe tut. Es lässt sich wirklich nicht leugnen, dass wir Schwestern sind. Beide haben wir dunkle Haare, meine sind schulterlang und damit etwas länger als die von Heike. Wir haben helle Augen - Heike grüne, ich blaue - und ein herzförmiges, eher blasses Gesicht. Den kleinen Mund haben wir von unserem Vater geerbt, die langen Wimpern von unserer Mutter. Früher haben die Leute uns manchmal sogar verwechselt, und am Telefon sind wir bis heute nicht auseinanderzuhalten. Als Jugendliche haben wir uns häufig einen Spaß daraus gemacht, uns für die jeweils andere auszugeben. Tja. Ich seufze. Lange ist das her.
»Was ist?«, kommt es von Heike.
»Was soll sein?«
»Du seufzt.«
Ich lächle sie an. »Nichts ist. Habe gerade nur an meinen sehr netten Vormittag gedacht.«
»Schön für dich«, sagte Heike. »Dann wollen wir mal.« Sie steht auf und überprüft ein letztes Mal im Spiegel, ob sie auch keinen Lippenstift an den Zähnen hat.
»Ja«, sage ich und tue das Gleiche.
Unten im Studio herrscht eine Bullenhitze, die Scheinwerfer geben alles, und ich bin froh, in weiser Voraussicht nur eine dünne Bluse angezogen zu haben. Ich werde verkabelt, danach dirigiert uns der Aufnahmeleiter zu einer Sitzgruppe bestehend aus drei roten Sesseln und zeigt uns unsere Plätze.
»Barbara Koch kommt sofort«, erklärt er uns und spricht eine Sekunde später schon wieder in sein Walkie-Talkie.
Barbara Koch ist die Moderatorin von »Drei um drei«, einer beliebten Talkshow, die täglich bundesweit ausgestrahlt wird. Heikes und mein Agent Wolfgang war ganz aus dem Häuschen, nachdem die Redaktion uns angefragt hatte. »Danach wird euer neuer Roman durch die Decke gehen!«, hatte er uns versichert.
Während meine Schwester und ich nun darauf warten, dass es gleich losgeht, werde ich langsam ein bisschen nervös.
Das kenne ich schon von mir, bei Live-Sendungen geht mir das immer so. Obwohl ich es ja bereits so oft gemacht habe, habe ich noch immer ein bisschen Angst, dass mir vor laufender Kamera irgendwann mal etwas Peinliches passiert. Oder dass ich spontan eine Art Tourette entwickele und mitten in der Sendung auf einmal »Ficken!« brülle. Ist ja live, kann keiner verhindern, und einmal in die Welt gepustet, wäre es raus. Schon wieder muss ich kichern, diesmal vor Anspannung.
»Machst du dir gerade mal wieder in die Hose?«, fragt Heike und zieht spöttisch eine gezupfte Augenbraue hoch. Ich kenne niemanden, der das so gut kann wie meine Schwester, spöttisch eine Augenbraue hochziehen. Und ich kenne auch niemanden, der so cool ist wie sie, noch nie habe ich es bei ihr erlebt, dass sie bei einem Interview oder einer Lesung aufgeregt war. Wie macht sie das nur? Und warum, zum Teufel, weiß sie schon wieder, was gerade in mir vorgeht?
»Nein«, behaupte ich trotzdem, »ich freue mich nur auf die Sendung.«
»Ich bin froh, wenn wir das schnell hinter uns haben, ich muss nachher noch zur Elternversammlung von Emmas Klasse.« Sie verdreht die Augen. »Immer dieser Stress!«
»Na ja, ein bisschen mit anderen Eltern rumsitzen, Kaffee trinken und quatschen - unter Stress stelle ich mir was anderes vor«, gebe ich zurück.
»Da sieht man mal wieder, dass du keine Ahnung hast. Aber wie auch?« Sie zuckt mit den Schultern.
Ich werfe ihr einen bösen Blick zu. »Ich habe durchaus ...«
»Hallo! Wie schön, dass Sie heute bei mir zu Gast sind!« Vor uns steht eine lächelnde Barbara Koch und unterbricht unsere kleine Zankerei, bevor sie überhaupt richtig losgehen kann. »Ich freue mich sehr!«, sagt sie, schüttelt erst mir, dann Heike die Hand und nimmt auf dem einzelnen Sessel gegenüber von uns Platz. »Und, schon aufgeregt?«, will sie wissen.
»Nele schon, ich nicht«, antwortet Heike, bevor ich etwas sagen kann.
»Ach was!«, Barbara Koch sieht mich freundlich an.
»Da gibt es doch keinen Grund, aufgeregt zu sein. Das wird bestimmt ein total netter Talk.«
»Das glaube ich auch«, erwidere ich und gebe mir Mühe, möglichst gelassen zu wirken. Ärgerlicherweise zittert meine Stimme ein bisschen, was meine Souveränität nicht gerade unterstreicht.
»Einfach immer dran denken«, erklärt Barbara Koch, »was auch passiert, ob hier ein Scheinwerfer umfällt oder die Welt untergeht - auf alle Fälle weiter nett lächeln.«
Ich nicke. »Okay, das kriege ich hin.«
Ein paar Minuten lang halten wir noch Smalltalk, dann gibt der Aufnahmeleiter der Moderatorin das Zeichen, dass es jeden Augenblick losgeht. Laut zählt er einen Countdown herunter, dann sehe ich das rote Licht von Studio-Kamera 1 angehen. Und los geht's.
2. Kapitel
Die erste Viertelstunde der Sendung läuft wunderbar. Barbara Koch ist eine routinierte Interviewerin, Heike und ich geben wie immer das lustige Geschwisterpaar, und meine Tourette-Panik hält sich in Grenzen.
Wie immer werden wir als »Deutschlands erfolgreichste Schreibschwestern« tituliert (was lustig ist, denn außer uns gibt es in Deutschland gar keine anderen Schwestern, die zusammen schreiben; das ist in etwa so, als ließe man sich nach einem Wettkampf mit zwei Teilnehmern als Vizelandesmeister bejubeln) und erzählen lustige Anekdoten aus unserer Kindheit (zum Beispiel, dass wir als Kinder selbst Märchenhörspiele aufgenommen haben - und Heike bei »Schneewittchen« sämtliche Rollen übernahm, während ich nur ein einziger der sieben Zwerge sein durfte).
Wir erzählen, dass unsere Eltern sich getrennt haben, als ich dreizehn und Heike fünfzehn waren und wir deshalb natürlich als Schwestern immer besonders zusammengehalten haben, plaudern darüber, wie es ist, so erfolgreich zu sein, und warum Heike irgendwann ihren Job als Rechtsanwältin an den Nagel gehängt hat, um mit mir zusammen zu schreiben (die Wahrheit ist simpel: Sie hatte keinen Bock mehr auf die Juristerei und wollte das Gleiche machen wie ich).
Alles ganz fröhlich und harmlos, Heike und ich spielen uns routiniert die Bälle zu und bringen sowohl die Moderatorin als auch das Studiopublikum immer wieder zum Lachen, und ich bin mir sicher, dass unser Agent Wolfgang Steier, der sich die Sendung natürlich auch ansieht, einen Juchzer nach dem nächsten ausstößt, weil er diese beiden patenten und sympathischen Mädels unter Vertrag hat und sie ihm eine Menge, Menge Geld in die Kasse spülen.
Kurz schweifen meine Gedanken zu Niklas ab, der ja auch angekündigt hatte, er würde sich den Talk anschauen. Ob er wohl gerade wirklich vorm Fernseher sitzt und mir zusieht? Und was er dabei wohl so denkt? Doch bevor ich weiter darüber sinnieren kann, wendet sich Barbara Koch direkt an mich.
Und da ist sie auch schon, die Frage, die so sicher kommt wie das Amen in der Kirche, wenn Heike und ich interviewt werden. Immer, immer, IMMER kommt sie, von jedem Journalisten, von jedem Buchhändler und von jedem Fan. Und ich HASSE diese Frage!
»Eigentlich«, beginnt die Moderatorin und lächelt mich breit an, »sind Sie beide ja sehr unterschiedlich. Sie, Heike, leben mit Mann und drei Kindern in den Elbvororten und sind seit vielen Jahren verheiratet. Sie, Nele, wohnen allein in Hamburg Eimsbüttel.« Sie legt nachdenklich die Stirn in Falten. »Möchten Sie denn nicht auch irgendwann einmal Kinder und Familie?«
Tadaaa! Wie gesagt, ich wusste, dass diese Frage kommt, alles andere hätte mich auch sehr gewundert! Und ich schätze mal, es gibt auf diesem Planeten kaum eine 39-jährige Frau, die diese Frage nicht unheimlich gern gestellt bekommt. Noch dazu in einer Live-Talkshow, bei der gerade eine Million Menschen zusehen. Mein Tourette meldet sich zurück, und es liegt mir ganz spontan eine wunderbare Antwort auf der Zunge:
»Doch, liebe Barbara, ich hätte sogar sehr, sehr gern Kinder und Familie, und der Umstand, dass ich schon fast vierzig bin und noch keine habe, lässt mich regelmäßig nachts verzweifelt in mein Kissen weinen. Oder auch mal abends zwei Flaschen Wein trinken. Ich war ja sogar schon einmal drei Jahre lang verheiratet, aber die Ehe ist am unerfüllten Kinderwunsch gescheitert. Mein Mann und ich haben uns komplett verrückt gemacht, bis es einfach nicht mehr ging und er sich eine Fünfundzwanzigjährige geschnappt hat, die dann prompt Zwillinge von ihm bekam (nachts in zwei Kissen geheult und drei Flaschen Wein getrunken). Seitdem drücken sich bei mir die Idioten die Klinke in die Hand; im Aufspüren von bindungsunwilligen Neurotikern bin ich spitzenklasse. Der Kerl, mit dem ich mich gerade treffe, kann mich übrigens nicht heiraten, weil er schon mit einer anderen verheiratet ist. Und auch, wenn er sagt, dass er sich von seiner Frau trennen will, weiß ich zum einen nicht, ob ich das überhaupt möchte, und außerdem bleibt es dann ja trotzdem noch mehr als ungewiss, ob es bei mir mit Kindern überhaupt noch klappt, weil es ja bisher schließlich auch noch nie funktioniert hat. Also ist es überhaupt nicht unwahrscheinlich, dass ich eines Tages alt und grau und einsam mit drei Katzen in einer Bude voller Plastiktüten enden werde. Möchten Sie sonst vielleicht noch etwas wissen?«
Nein, das sage ich natürlich NICHT! Denn dieser Vortrag wäre nicht nur etwas unhöflich und würde auch so gar nicht zum Image der fröhlichen Sanne-Gold- Schwestern passen - es geht Barbara Koch und die gesammelte Fernsehnation schlicht nichts an!
Auch nicht, wie es zwischen Heike und mir anfing, so richtig schwierig zu werden, als sie ein Kind nach dem nächsten bekam und ich immer mehr das Gefühl hatte, mit einem »Wir-müssen-leider-draußen-bleiben«-Schild vorm Kopf rumzurennen. Aber so ist es eben, Heike hat alles - und ich habe nichts. »I have nothing«, um es mit Whitney Houston aus dem Film »The Bodyguard« zu sagen. Pathetisch, ich weiß. Aber wenn es um dieses Thema geht, nehme ich mir das Recht, pathetisch zu sein!
Wie gesagt, das alles behalte ich für mich und antworte stattdessen: »Ach, ich überlasse es gern meiner Schwester, im Alleingang das Ruder der demografischen Entwicklung herumzureißen. Mit ihren drei Kindern hat sie die Sache für mich ja quasi gleich miterledigt, dafür behalte ich lieber meine gute Figur.« Dabei lächle ich so breit, als hätte Barbara Koch mir gerade ein riesiges Kompliment gemacht.
Heike verschluckt sich an dem Wasserglas, aus dem sie gerade trinken wollte, und gibt einen japsenden Laut von sich.
»Na, Sie sind mir ja wirklich eine!«, bringt die Moderatorin lachend hervor.
»Ja, so ist sie«, sagt Heike und streicht sich dabei unauffällig über ihr Kleid, als wolle sie überprüfen, ob sich da tatsächlich die eine oder andere Speckrolle findet. Dabei hat sie nicht einmal die! Heike sieht auch nach drei Kindern immer noch so aus, als wäre sie nie in ihrem Leben schwanger gewesen.
Dann schaut meine Schwester mich lachend an. Nur ihre Augen blitzen dabei gefährlich. »Nele fällt es eben schwer, Kompromisse zu machen, Verantwortung zu übernehmen und auch mal zurückzustecken.«
»Das würde ich jetzt so nicht sagen«, erwidere ich und merke, wie das Tourette laut gegen meine Schädeldecke pocht. »Ich habe nur nicht gleich mit Anfang zwanzig den Erstbesten genommen, ihn geheiratet und mich sofort vermehrt, das ist alles.«
Barbara Koch wirft Heike und mir einen leicht irritierten Blick zu, offenbar merkt sie, dass hier gerade ein wenig dicke Luft aufkommt.
»Tja«, sagt sie und macht eine wedelnde Handbewegung, als wolle sie eben diese Luft verscheuchen, »aber
Ihre unterschiedlichen Modelle scheinen ja sogar das Geheimrezept Ihres Erfolges zu sein. Sie können sich eben in die verschiedenen Lebenswelten ihrer Leserinnen einfühlen.«
»Genau so ist es«, gibt Heike ihr Recht. »Wir haben quasi einen 360-Grad-Blick. Ich kenne die Gedankenwelt der Ehefrau und Mutter, Nele die der rastlosen Egomanin.«
Jetzt lache ich auf und überlege, wie ich Heike irgendwie unauffällig treten kann, ohne dass die Kamera es einfängt. »Frau Koch, Sie sehen schon, zwischen uns herrscht oft ein sehr beherzter Ton.«
Die Moderatorin nickt. »Ich kenne das, ich habe auch eine Schwester.«
»Jünger oder älter?«, will ich wissen.
»Älter«, sagt sie.
Ich lächle sie an und drehe mich dann grinsend zu Heike. »Na, dann wissen Sie ja, dass wir es nicht immer leicht haben.«
»Sie sind auch die Jüngere?«, fragt die Moderatorin vorsichtshalber nach, vermutlich für die TV-Zuschauer.
»Das sieht man doch wohl«, antworte ich, »zwischen uns liegen zweieinhalb Jahre.« Jetzt guckt Heike mich an, als würde sie mir am liebsten vors Schienbein treten. Barbara Koch nickt, irgendwie geistesabwesend. Dann legt sie den Kopf leicht schräg, weil sie durch den kleinen Knopf in ihrem Ohr offenbar gerade eine Regieanweisung erhält.
»So, liebe Zuschauer«, sagt sie, »nun haben Sie die Möglichkeit, bei uns im Studio anzurufen und Heike Bachmann und Nele Krüger Ihre Fragen zu stellen. Die Rufnummer wird unten eingeblendet.« Sie macht drei Sekunden Pause. »Und da haben wir auch schon die erste Anruferin in der Leitung. Hallo, hier ist Barbara Koch. Mit wem spreche ich?«
Eine Marianne aus Gütersloh möchte wissen, wie genau das mit dem Zusammenschreiben funktioniert. Wir antworten wie immer routiniert darauf, dass wir uns die Geschichten von Anfang bis Ende zusammen ausdenken, dann auf fünfzehn bis zwanzig Seiten eine Inhaltsangabe schreiben und danach in Kapitel unterteilen.
»Dann schreiben wir abwechselnd die einzelnen Abschnitte«, erklärt Heike, »fügen sie zusammen und gehen am Schluss gemeinsam mehrere Male über den Text, damit er sich wie aus einem Guss liest.«
»Kommen wir zur nächsten Anruferin«, sagt die Moderatorin mit Blick auf die große Digitaluhr über der Studiotür. »Hallo, Barbara Koch hier, wer ist in der Leitung?«
»Hallo! Annette Mesterkamp aus Hamburg.«
Mit einem Schlag rutscht mir das Herz in die Hose. Mesterkamp? Annette Mesterkamp? Doch wohl nicht Niklas' Annette???
»Ich würde gern Nele Krüger eine Frage stellen«, plärrt die Stimme der Anruferin durchs Studio.
»Ja, sehr gern, Frau Mesterkamp«, sagt Barbara Koch,
»nur zu!«
»Frau Krüger, Sie sind jung«, die Frau korrigiert sich lachend, »also, mitteljung, erfolgreich und sehen ganz gut aus. Darf ich fragen, warum Sie sich nicht einen Partner suchen, der Single ist, statt sich an meinen Mann ranzumachen?«
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Autoren-Porträt von Anne Hertz
Anne Hertz ist das Pseudonym der Hamburger Autorinnen Frauke Scheunemann und Wiebke Lorenz, die nicht nur gemeinsam schreiben, sondern als Schwestern auch einen Großteil ihres Lebens miteinander verbringen. Bevor Anne Hertz 2006 in Hamburg zur Welt kam, wurde sie 1969 und 1972 in Düsseldorf geboren. 50 Prozent von ihr studierten Jura, während die andere Hälfte sich der Anglistik widmete. Anschließend arbeiteten 100 Prozent als Journalistin. Anne Hertz hat im Schnitt 2 Kinder und mindestens 0,5 Männer.
Bibliographische Angaben
- Autor: Anne Hertz
- 2014, 336 Seiten, Maße: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Pendo
- ISBN-10: 3866123639
- ISBN-13: 9783866123632
- Erscheinungsdatum: 10.03.2014
Rezension zu „Die Sache mit meiner Schwester “
"Herzerwärmende Familiengeschichte.", Donau-Kurier, 11.06.2014 20151120
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