Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
Die Geschichte der leidenschaftlichsten und durchtriebensten Großmutter aller Zeiten
Am Anfang tut sie alles, um nicht Großmutter zu werden: Im Jahr 1978 ist Rosalinda wild entschlossen, die Schwangerschaft ihrer viel zu jungen und viel zu dummen Tochter...
Am Anfang tut sie alles, um nicht Großmutter zu werden: Im Jahr 1978 ist Rosalinda wild entschlossen, die Schwangerschaft ihrer viel zu jungen und viel zu dummen Tochter...
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Produktinformationen zu „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche “
Klappentext zu „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche “
Die Geschichte der leidenschaftlichsten und durchtriebensten Großmutter aller ZeitenAm Anfang tut sie alles, um nicht Großmutter zu werden: Im Jahr 1978 ist Rosalinda wild entschlossen, die Schwangerschaft ihrer viel zu jungen und viel zu dummen Tochter zu beenden. Doch das misslingt, und sobald Aminat auf der Welt ist, entbrennt ein rücksichtsloser, grotesk-komischer Kampf um sie.
Jenseits des Urals herrschen klare Verhältnisse: Die Tatarin Rosalinda bestimmt, ihr Gatte Kalganov spurt, und ihre Tochter Sulfia benimmt sich schlecht. Es mangelt an vielem, aber nicht an Ideen, und schon gar nicht an Willenskraft. Es steht also immer etwas Scharfes auf dem Tisch, und alle größeren Malheurs, die Sulfia anrichten könnte, werden verhindert. Nur ihre Schwangerschaft nicht, und auch nicht die Geburt von Aminat, dem genauen Gegenteil ihrer Mutter: schön, schlau, durchsetzungsfähig ganz die Großmutter eben. Rosalinda steht zum ersten Mal einem Geschöpf gegenüber, das ihr ebenbürtig ist, und wird die leidenschaftlichste Großmutter aller Zeiten. Im ungleichen Kampf zwischen der glücklosen Sulfia und der rücksichtslosen Rosalinda wird das Mädchen zur Wandertrophäe und der Leser zum Zeugen haarsträubendster Ereignisse, komischster Szenen, schlagfertigster Dialoge. Alina Bronsky gelingt eine Glanzleistung: Sie lässt ihre radikale, selbstverliebte und komische Hauptfigur die Geschichte dreier Frauen erzählen, die unfreiwillig und unzertrennlich miteinander verbunden sind in einem Ton, der unwiderstehlich ist. Durch drei Jahrzehnte und diverse Schicksalsschläge führt sie die ungleichen Frauen, und der Leser folgt ihr atemlos. Voller Gefühl, Sinnlichkeit, Drastik und Exotik: ein scharfer Frauenroman!
Die Geschichte der leidenschaftlichsten und durchtriebensten Großmutter aller Zeiten Am Anfang tut sie alles, um nicht Großmutter zu werden: Im Jahr 1978 ist Rosalinda wild entschlossen, die Schwangerschaft ihrer viel zu jungen und viel zu dummen Tochter zu beenden. Doch das misslingt, und sobald Aminat auf der Welt ist, entbrennt ein rücksichtsloser, grotesk-komischer Kampf um sie.
Jenseits des Urals herrschen klare Verhältnisse: Die Tatarin Rosalinda bestimmt, ihr Gatte Kalganov spurt, und ihre Tochter Sulfia benimmt sich schlecht. Es mangelt an vielem, aber nicht an Ideen, und schon gar nicht an Willenskraft. Es steht also immer etwas Scharfes auf dem Tisch, und alle größeren Malheurs, die Sulfia anrichten könnte, werden verhindert. Nur ihre Schwangerschaft nicht, und auch nicht die Geburt von Aminat, dem genauen Gegenteil ihrer Mutter: schön, schlau, durchsetzungsfähig - ganz die Großmutter eben.
Rosalinda steht zum ersten Mal einem Geschöpf gegenüber, das ihr ebenbürtig ist, und wird die leidenschaftlichste Großmutter aller Zeiten. Im ungleichen Kampf zwischen der glücklosen Sulfia und der rücksichtslosen Rosalinda wird das Mädchen zur Wandertrophäe - und der Leser zum Zeugen haarsträubendster Ereignisse, komischster Szenen, schlagfertigster Dialoge.
Alina Bronsky gelingt eine Glanzleistung: Sie lässt ihre radikale, selbstverliebte und komische Hauptfigur die Geschichte dreier Frauen erzählen, die unfreiwillig und unzertrennlich miteinander verbunden sind - in einem Ton, der unwiderstehlich ist. Durch drei Jahrzehnte und diverse Schicksalsschläge führt sie die ungleichen Frauen, und der Leser folgt ihr atemlos.
Voller Gefühl, Sinnlichkeit, Drastik und Exotik: ein scharfer Frauenroman!
Jenseits des Urals herrschen klare Verhältnisse: Die Tatarin Rosalinda bestimmt, ihr Gatte Kalganov spurt, und ihre Tochter Sulfia benimmt sich schlecht. Es mangelt an vielem, aber nicht an Ideen, und schon gar nicht an Willenskraft. Es steht also immer etwas Scharfes auf dem Tisch, und alle größeren Malheurs, die Sulfia anrichten könnte, werden verhindert. Nur ihre Schwangerschaft nicht, und auch nicht die Geburt von Aminat, dem genauen Gegenteil ihrer Mutter: schön, schlau, durchsetzungsfähig - ganz die Großmutter eben.
Rosalinda steht zum ersten Mal einem Geschöpf gegenüber, das ihr ebenbürtig ist, und wird die leidenschaftlichste Großmutter aller Zeiten. Im ungleichen Kampf zwischen der glücklosen Sulfia und der rücksichtslosen Rosalinda wird das Mädchen zur Wandertrophäe - und der Leser zum Zeugen haarsträubendster Ereignisse, komischster Szenen, schlagfertigster Dialoge.
Alina Bronsky gelingt eine Glanzleistung: Sie lässt ihre radikale, selbstverliebte und komische Hauptfigur die Geschichte dreier Frauen erzählen, die unfreiwillig und unzertrennlich miteinander verbunden sind - in einem Ton, der unwiderstehlich ist. Durch drei Jahrzehnte und diverse Schicksalsschläge führt sie die ungleichen Frauen, und der Leser folgt ihr atemlos.
Voller Gefühl, Sinnlichkeit, Drastik und Exotik: ein scharfer Frauenroman!
Lese-Probe zu „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche “
Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche von Alina BronskyDie Stricknadel
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Als meine Tochter Sulfia mir sagte, sie sei schwanger, wisse aber nicht, von wem, habe ich verstärkt auf meine Haltung geachtet. Ich hielt meinen Rücken sehr gerade und die Hände würdevoll im Schoß gefaltet.
Sulfia saß auf einem Küchenhocker. Ihre Schultern waren hässlich hochgezogen und die Augen rot, weil sie die Tränen nicht einfach laufen ließ, sondern mit dem Handrücken im Gesicht verrieb. Und das, obwohl ich sie von klein auf gelehrt hatte, wie man weint, ohne hässlich zu werden, und wie man lächelt, ohne zu viel zu versprechen.
Aber Sulfia war nicht begabt. Ich muss sogar sagen, sie war ziemlich dumm. Dabei war sie meine Tochter, schlimmer noch, sie war meine einzige Tochter. Aber als ich sie so ansah, wie sie mit krummem Rücken und laufender Nase auf dem Sitz hockte wie ein Wellensittich auf der Stange, da hatte ich gemischte Gefühle. Am liebsten hätte ich sie angeschrien: »Halt den Rücken gerade! Schnief nicht! Guck nicht so blöd! Versuch doch mal, nicht zu schielen! «
Aber sie tat mir auch leid. Sie war ja irgendwie doch meine Tochter. Eine andere habe ich nicht bekommen, auch keinen Sohn, denn mein Leib war seit vielen Jahren innen hohl und unfruchtbar wie der Sand in der Wüste. Und diese Tochter, die ich bekommen hatte, war verunstaltet und passte nicht so recht zu mir. Sie war klein und ging mir bis zur Schulter. Sie hatte überhaupt keine Figur und kleine Augen und einen schiefen Mund. Dumm war sie, wie gesagt, auch. Sie war schon siebzehn Jahre alt, und es bestand keine Hoffnung, dass sie noch mal klüger werden würde.
Ich hoffte nur noch darauf, dass ihre Dummheit irgendeinen Mann derart anzog, dass er ihre krummen Beine so lange übersah, bis er vor dem Standesbeamten stand.
Bis jetzt hatte sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Sulfia hatte zwar zwei Freundinnen in unserem Wohnblock, aber mit einem Jungen hatte sie wohl das letzte Mal vor zehn Jahren gesprochen, irgendwann nach der Einschulung. Dann briet ich aber eines Tages Fisch in Öl (es war das Jahr 1978, und aus einem Großlabor in unserer Stadt waren gerade Milzbranderreger entwichen), und Sulfia hielt sich die Hand vor die Nase und übergab sich viermal auf der Toilette.
Das fiel sogar dieser Hexe Klavdia auf, die in unserer kommunalen Wohnung ein Zimmer hatte. Klavdia arbeitete in einer Entbindungsklinik, sie behauptete, als Hebamme, aber ich glaubte es ihr nicht. Sie war dort höchstens Putzfrau. Wir waren zwei Parteien in dieser Wohnung: zwei Zimmer für unsere Familie, eins für Klavdia, Bad und Küche zur gemeinsamen Nutzung, ein schöner Altbau und sehr zentral.
Und als Sulfia dann auf dem Küchenhocker saß, von mir befragt wurde und mir sagte, ihre plötzliche Schwangerschaft könne höchstens davon kommen, dass sie von einem Mann in der Nacht geträumt habe, da glaubte ich ihr sofort. Ein echter Mann würde sich Sulfia auch niemals nähern, außer er wäre sehschwach oder pervers. Die Straßen waren voll von hübschen Mädchen in kurzen Röcken.
Ich blickte Sulfia streng und sorgenvoll an, aber sie sah nur auf ihre kleinen Füße. Ich wusste, dass solche Fälle vorkamen. Eine Jungfrau träumte, und neun Monate später brachte sie ein Kind zur Welt. Ich kannte sogar einen noch schlimmeren Fall, meine Cousine Rafaella: Sie hatte ihre einzige Tochter in der Blüte einer großen, exotischen Zimmerpflanze unbekannter Art gefunden, deren Kern sie aus dem Süden mitgebracht hatte. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie ratlos sie damals gewesen war.
Ich sah meine Tochter an und überlegte, was ich jetzt noch für ihre Zukunft und meinen Ruf tun konnte. Ideen hatte ich schon.
Ich ging in die Apotheke und kaufte Senfpulver. Dann schrubbte ich die Badewanne blitzblank sauber und füllte sie mit sehr heißem Wasser. Wir hatten Glück, dass wir gerade heißes Wasser in den Leitungen hatten, denn in den Wochen davor war es immer wieder abgeschaltet worden.
Ich ließ das Pulver einrieseln und verrührte es mit dem abgebrochenen Stiel einer Schneeschippe. Ich hatte ihn im vergangenen Winter auf der Straße gefunden und mitgenommen, weil er noch gut und robust aussah, und siehe da, schon hatte ich Verwendung für ihn.
Ich rührte, und Sulfia stand daneben, sah zu und zitterte. »Zieh dich aus«, sagte ich.
Sie stieg hastig aus ihrem Kleid und aus der weißen Unterhose und sah mich an. Man musste ihr immer alles mehrmals erklären.
»Steig ein«, sagte ich.
Sie hob vorsichtig eines ihrer krummen dunklen Beine an und hielt sich an mir fest. Sie tunkte den großen Zeh ins Wasser und jammerte, es sei viel zu heiß.
»In der Hölle ist es noch heißer«, sagte ich geduldig. Sie sah mich an, versuchte den Fuß ins Wasser zu tauchen und schreckte zurück.
Ich verlor die Geduld. Das Wasser musste heiß sein, nicht lauwarm, erklärte ich ihr. Sie sah mich mit ihrem waidwunden Blick an, dann ließ sie sich in die Badewanne fallen, dass es spritzte.
»Spinnst du!« schrie ich und ließ neues sehr heißes Wasser nachlaufen.
Während ich mit einem Bettlaken die Pfützen von den Fliesen aufwischte, wimmerte Sulfia in der Badewanne. Es sei viel zu heiß, sie werde sich zu Tode verbrühen.
»Das ist noch keiner passiert«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass das nicht stimmte. Als das Gewimmer abbrach, sah ich nach. Sulfia lag in der Badewanne mit geschlossenen Augen und aufgerissenem Mund. Ich hievte sie hoch und duschte sie kalt ab. Besser eine schwangere Tochter als eine tote, dachte ich, und Sulfia kam sofort wieder zu sich. Ihre Haut war rot, und sie begann prompt wieder zu jammern.
Ich zog Sulfia an Klavdias neugierigem Gesicht vorbei in unser Zimmer, steckte sie ins Bett und gab ihr Preiselbeertee zu trinken. Sie schlief ein. Sie verschlief 22 Stunden, während derer sie sich immer wieder im Bett herumwarf und stöhnte. Ich überprüfte das Laken unter ihr, es war weiß.
Ich ging zum Markt, kaufte bei meinen Landsleuten einen großen Sack Lorbeerblätter und kochte daraus einen Sud. Den gab ich Sulfia zu trinken. Sulfias Haut begann sich nach dem Senfbad am ganzen Körper zu schälen, aber sonst passierte gar nichts. Sie trank den Sud gehorsam, wie eine gute Tochter. Dann schaffte sie es aber nicht bis zur Toilette und übergab sich vor Klavdias neugierigem Blick mehrmals hintereinander ins Waschbecken. Da sie nichts bei sich behielt, konnte auch nichts wirken.
Ich wurde langsam nervös. Ich wollte meine Tochter nicht zum Arzt schicken, ich wollte kein dummes Gerede an ihrer Berufsschule, wo sie seit diesem Jahr Krankenschwester lernte. Ich wollte keine Nachteile für Sulfia, sie war auch so schon nicht gerade beliebt. Und ich wusste, dass man in Krankenhäusern dumme junge Mädchen in ihrer Situation wie ein Stück Fleisch behandelte. Das wollte ich ihr ersparen.
Ich hätte nie gedacht, dass Gott mir ausgerechnet durch Klavdia, diese dumme Pute, Hilfe schicken würde. Aber nachdem Klavdia meine immer verzweifelter werdenden Versuche beobachtet hatte, zeigte sie Eigeninitiative. Sie legte in der gemeinsamen Küche ihre Hand auf meinen Ellbogen und flüsterte, sie habe schon einigen geholfen und wisse genau, wie das geht.
Ich hörte ihr zu, dann nickte ich. Ich hatte keine Wahl. Einen Tag später gingen wir in Klavdias Zimmer und schoben einen großen Tisch in die Mitte des Raums. Klavdia holte eine abwaschbare Tischdecke mit einem Muster aus Vergissmeinnicht und Kornblumen, und ich holte Sulfia, deren schwarze Augen panisch in die Gegend schielten.
Ich erklärte Sulfia erneut, dass man Probleme lösen muss. Sie lösen sich nicht von alleine. Von alleine entstehen sie nur. Sie zitterte in meinem Arm. Dann kletterte sie gehorsam auf den Tisch.
Klavdia sagte, so könne sie nicht arbeiten. Wenn Sulfia so zittere, finde sie die richtige Stelle nicht. Und ich müsse Sulfia jetzt festhalten, denn wenn sie sich mittendrin ruckartig bewege, würde Klavdia mit der Nadel noch den Darm treffen. Ich warf mich über den Bauch meiner Tochter.
»Halt ihr den Mund zu«, sagte Klavdia, und während ich Sulfias plötzlichen gellenden Schrei gerade noch rechtzeitig erstickte, zog Klavdia mit einer schnellen Bewegung eine blutige Stricknadel zwischen Sulfias Beinen hervor.
Vielleicht ist sie doch mehr als eine Putzfrau, dachte ich, beeindruckt von Klavdias sicherer Handführung. Dann nahm ich meine Hand von Sulfias zusammengebissenen Zähnen. Ihr Kopf fiel zur Seite. Das schwächliche Kind war schon wieder ohnmächtig geworden.
Ich trug Sulfia auf meinem Rücken in unser Zimmer. Ich legte eine wasserdichte Unterlage unter ihren blassen Po und deckte sie warm zu.
Sie kam wieder zu sich. Ihre Augen, dunkel und rund wie Rosinen, wanderten das Zimmer ab. Sie gab einen leisen, wimmernden Ton von sich.
Ihr Gesicht wurde langsam weißer. Mein Mann Kalganow kam von der Arbeit nach Hause. »Was hat die Sonja?« fragte er. Er nannte unsere Tochter nicht bei ihrem tatarischen Namen. Er nannte sie so, wie die Russen sie nannten, weil es außerhalb ihrer Möglichkeiten lag, sich einen tatarischen Namen zu merken, geschweige denn auszusprechen.
Mein Mann war sehr kategorisch. Er glaubte nicht an Gott, er glaubte nur daran, dass alle Menschen gleich waren, und dass jeder, der das Gegenteil behauptete, noch im Mittelalter lebte. Mein Mann mochte es nicht, wenn wir uns von anderen unterschieden.
Ich sagte ihm einfach, unsere dumme kleine Sulfia hätte die Grippe. Er kam an ihr Bett und legte ihr die Hand auf die Stirn. »Die ist aber kalt«, sagte er. »Kalt und feucht.«
Ich konnte es eben nicht allen recht machen. Sulfia stöhnte und warf sich herum.
© 2010 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Als meine Tochter Sulfia mir sagte, sie sei schwanger, wisse aber nicht, von wem, habe ich verstärkt auf meine Haltung geachtet. Ich hielt meinen Rücken sehr gerade und die Hände würdevoll im Schoß gefaltet.
Sulfia saß auf einem Küchenhocker. Ihre Schultern waren hässlich hochgezogen und die Augen rot, weil sie die Tränen nicht einfach laufen ließ, sondern mit dem Handrücken im Gesicht verrieb. Und das, obwohl ich sie von klein auf gelehrt hatte, wie man weint, ohne hässlich zu werden, und wie man lächelt, ohne zu viel zu versprechen.
Aber Sulfia war nicht begabt. Ich muss sogar sagen, sie war ziemlich dumm. Dabei war sie meine Tochter, schlimmer noch, sie war meine einzige Tochter. Aber als ich sie so ansah, wie sie mit krummem Rücken und laufender Nase auf dem Sitz hockte wie ein Wellensittich auf der Stange, da hatte ich gemischte Gefühle. Am liebsten hätte ich sie angeschrien: »Halt den Rücken gerade! Schnief nicht! Guck nicht so blöd! Versuch doch mal, nicht zu schielen! «
Aber sie tat mir auch leid. Sie war ja irgendwie doch meine Tochter. Eine andere habe ich nicht bekommen, auch keinen Sohn, denn mein Leib war seit vielen Jahren innen hohl und unfruchtbar wie der Sand in der Wüste. Und diese Tochter, die ich bekommen hatte, war verunstaltet und passte nicht so recht zu mir. Sie war klein und ging mir bis zur Schulter. Sie hatte überhaupt keine Figur und kleine Augen und einen schiefen Mund. Dumm war sie, wie gesagt, auch. Sie war schon siebzehn Jahre alt, und es bestand keine Hoffnung, dass sie noch mal klüger werden würde.
Ich hoffte nur noch darauf, dass ihre Dummheit irgendeinen Mann derart anzog, dass er ihre krummen Beine so lange übersah, bis er vor dem Standesbeamten stand.
Bis jetzt hatte sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Sulfia hatte zwar zwei Freundinnen in unserem Wohnblock, aber mit einem Jungen hatte sie wohl das letzte Mal vor zehn Jahren gesprochen, irgendwann nach der Einschulung. Dann briet ich aber eines Tages Fisch in Öl (es war das Jahr 1978, und aus einem Großlabor in unserer Stadt waren gerade Milzbranderreger entwichen), und Sulfia hielt sich die Hand vor die Nase und übergab sich viermal auf der Toilette.
Das fiel sogar dieser Hexe Klavdia auf, die in unserer kommunalen Wohnung ein Zimmer hatte. Klavdia arbeitete in einer Entbindungsklinik, sie behauptete, als Hebamme, aber ich glaubte es ihr nicht. Sie war dort höchstens Putzfrau. Wir waren zwei Parteien in dieser Wohnung: zwei Zimmer für unsere Familie, eins für Klavdia, Bad und Küche zur gemeinsamen Nutzung, ein schöner Altbau und sehr zentral.
Und als Sulfia dann auf dem Küchenhocker saß, von mir befragt wurde und mir sagte, ihre plötzliche Schwangerschaft könne höchstens davon kommen, dass sie von einem Mann in der Nacht geträumt habe, da glaubte ich ihr sofort. Ein echter Mann würde sich Sulfia auch niemals nähern, außer er wäre sehschwach oder pervers. Die Straßen waren voll von hübschen Mädchen in kurzen Röcken.
Ich blickte Sulfia streng und sorgenvoll an, aber sie sah nur auf ihre kleinen Füße. Ich wusste, dass solche Fälle vorkamen. Eine Jungfrau träumte, und neun Monate später brachte sie ein Kind zur Welt. Ich kannte sogar einen noch schlimmeren Fall, meine Cousine Rafaella: Sie hatte ihre einzige Tochter in der Blüte einer großen, exotischen Zimmerpflanze unbekannter Art gefunden, deren Kern sie aus dem Süden mitgebracht hatte. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie ratlos sie damals gewesen war.
Ich sah meine Tochter an und überlegte, was ich jetzt noch für ihre Zukunft und meinen Ruf tun konnte. Ideen hatte ich schon.
Ich ging in die Apotheke und kaufte Senfpulver. Dann schrubbte ich die Badewanne blitzblank sauber und füllte sie mit sehr heißem Wasser. Wir hatten Glück, dass wir gerade heißes Wasser in den Leitungen hatten, denn in den Wochen davor war es immer wieder abgeschaltet worden.
Ich ließ das Pulver einrieseln und verrührte es mit dem abgebrochenen Stiel einer Schneeschippe. Ich hatte ihn im vergangenen Winter auf der Straße gefunden und mitgenommen, weil er noch gut und robust aussah, und siehe da, schon hatte ich Verwendung für ihn.
Ich rührte, und Sulfia stand daneben, sah zu und zitterte. »Zieh dich aus«, sagte ich.
Sie stieg hastig aus ihrem Kleid und aus der weißen Unterhose und sah mich an. Man musste ihr immer alles mehrmals erklären.
»Steig ein«, sagte ich.
Sie hob vorsichtig eines ihrer krummen dunklen Beine an und hielt sich an mir fest. Sie tunkte den großen Zeh ins Wasser und jammerte, es sei viel zu heiß.
»In der Hölle ist es noch heißer«, sagte ich geduldig. Sie sah mich an, versuchte den Fuß ins Wasser zu tauchen und schreckte zurück.
Ich verlor die Geduld. Das Wasser musste heiß sein, nicht lauwarm, erklärte ich ihr. Sie sah mich mit ihrem waidwunden Blick an, dann ließ sie sich in die Badewanne fallen, dass es spritzte.
»Spinnst du!« schrie ich und ließ neues sehr heißes Wasser nachlaufen.
Während ich mit einem Bettlaken die Pfützen von den Fliesen aufwischte, wimmerte Sulfia in der Badewanne. Es sei viel zu heiß, sie werde sich zu Tode verbrühen.
»Das ist noch keiner passiert«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass das nicht stimmte. Als das Gewimmer abbrach, sah ich nach. Sulfia lag in der Badewanne mit geschlossenen Augen und aufgerissenem Mund. Ich hievte sie hoch und duschte sie kalt ab. Besser eine schwangere Tochter als eine tote, dachte ich, und Sulfia kam sofort wieder zu sich. Ihre Haut war rot, und sie begann prompt wieder zu jammern.
Ich zog Sulfia an Klavdias neugierigem Gesicht vorbei in unser Zimmer, steckte sie ins Bett und gab ihr Preiselbeertee zu trinken. Sie schlief ein. Sie verschlief 22 Stunden, während derer sie sich immer wieder im Bett herumwarf und stöhnte. Ich überprüfte das Laken unter ihr, es war weiß.
Ich ging zum Markt, kaufte bei meinen Landsleuten einen großen Sack Lorbeerblätter und kochte daraus einen Sud. Den gab ich Sulfia zu trinken. Sulfias Haut begann sich nach dem Senfbad am ganzen Körper zu schälen, aber sonst passierte gar nichts. Sie trank den Sud gehorsam, wie eine gute Tochter. Dann schaffte sie es aber nicht bis zur Toilette und übergab sich vor Klavdias neugierigem Blick mehrmals hintereinander ins Waschbecken. Da sie nichts bei sich behielt, konnte auch nichts wirken.
Ich wurde langsam nervös. Ich wollte meine Tochter nicht zum Arzt schicken, ich wollte kein dummes Gerede an ihrer Berufsschule, wo sie seit diesem Jahr Krankenschwester lernte. Ich wollte keine Nachteile für Sulfia, sie war auch so schon nicht gerade beliebt. Und ich wusste, dass man in Krankenhäusern dumme junge Mädchen in ihrer Situation wie ein Stück Fleisch behandelte. Das wollte ich ihr ersparen.
Ich hätte nie gedacht, dass Gott mir ausgerechnet durch Klavdia, diese dumme Pute, Hilfe schicken würde. Aber nachdem Klavdia meine immer verzweifelter werdenden Versuche beobachtet hatte, zeigte sie Eigeninitiative. Sie legte in der gemeinsamen Küche ihre Hand auf meinen Ellbogen und flüsterte, sie habe schon einigen geholfen und wisse genau, wie das geht.
Ich hörte ihr zu, dann nickte ich. Ich hatte keine Wahl. Einen Tag später gingen wir in Klavdias Zimmer und schoben einen großen Tisch in die Mitte des Raums. Klavdia holte eine abwaschbare Tischdecke mit einem Muster aus Vergissmeinnicht und Kornblumen, und ich holte Sulfia, deren schwarze Augen panisch in die Gegend schielten.
Ich erklärte Sulfia erneut, dass man Probleme lösen muss. Sie lösen sich nicht von alleine. Von alleine entstehen sie nur. Sie zitterte in meinem Arm. Dann kletterte sie gehorsam auf den Tisch.
Klavdia sagte, so könne sie nicht arbeiten. Wenn Sulfia so zittere, finde sie die richtige Stelle nicht. Und ich müsse Sulfia jetzt festhalten, denn wenn sie sich mittendrin ruckartig bewege, würde Klavdia mit der Nadel noch den Darm treffen. Ich warf mich über den Bauch meiner Tochter.
»Halt ihr den Mund zu«, sagte Klavdia, und während ich Sulfias plötzlichen gellenden Schrei gerade noch rechtzeitig erstickte, zog Klavdia mit einer schnellen Bewegung eine blutige Stricknadel zwischen Sulfias Beinen hervor.
Vielleicht ist sie doch mehr als eine Putzfrau, dachte ich, beeindruckt von Klavdias sicherer Handführung. Dann nahm ich meine Hand von Sulfias zusammengebissenen Zähnen. Ihr Kopf fiel zur Seite. Das schwächliche Kind war schon wieder ohnmächtig geworden.
Ich trug Sulfia auf meinem Rücken in unser Zimmer. Ich legte eine wasserdichte Unterlage unter ihren blassen Po und deckte sie warm zu.
Sie kam wieder zu sich. Ihre Augen, dunkel und rund wie Rosinen, wanderten das Zimmer ab. Sie gab einen leisen, wimmernden Ton von sich.
Ihr Gesicht wurde langsam weißer. Mein Mann Kalganow kam von der Arbeit nach Hause. »Was hat die Sonja?« fragte er. Er nannte unsere Tochter nicht bei ihrem tatarischen Namen. Er nannte sie so, wie die Russen sie nannten, weil es außerhalb ihrer Möglichkeiten lag, sich einen tatarischen Namen zu merken, geschweige denn auszusprechen.
Mein Mann war sehr kategorisch. Er glaubte nicht an Gott, er glaubte nur daran, dass alle Menschen gleich waren, und dass jeder, der das Gegenteil behauptete, noch im Mittelalter lebte. Mein Mann mochte es nicht, wenn wir uns von anderen unterschieden.
Ich sagte ihm einfach, unsere dumme kleine Sulfia hätte die Grippe. Er kam an ihr Bett und legte ihr die Hand auf die Stirn. »Die ist aber kalt«, sagte er. »Kalt und feucht.«
Ich konnte es eben nicht allen recht machen. Sulfia stöhnte und warf sich herum.
© 2010 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
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Autoren-Porträt von Alina Bronsky
Alina Bronsky, geb. 1978 in Jekaterinburg/Russland, verbrachte ihre Kindheit auf der asiatischen Seite des Ural-Gebirges und ihre Jugend in Marburg und Darmstadt. Nach abgebrochenem Medizinstudium arbeitete sie als Texterin in einer Werbeagentur und als Redakteurin bei einer Tageszeitung. Sie lebt in Frankfurt und telefoniert bis heute fast täglich mit ihren Großeltern in Sibirien
Bibliographische Angaben
- Autor: Alina Bronsky
- 2010, 1, 317 Seiten, Maße: 13,4 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462042351
- ISBN-13: 9783462042351
Rezension zu „Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche “
"Alina Bronsky ist eine starke, atemlose Schreiberin, die Sätze wie ansatzlose Aufwärtshaken austeilen kann. Sie zählt zu einer Reihe heranwachsender junger Schriftstellerinnen, die sehr geradlinig, erdverbunden und grundsympathisch sich einen Namen machen werden." Welt am Sonntag
Kommentar zu "Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche"
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