Die Siebzigjährige, die man zum Fenster hinauswarf und die einfach nicht verschwand
Martin Buchholz über die deutsche Verfassung. Die Neufassung des Buchholz-Klassikers "Alles in bester Verfassung"
70 Jahre Grundgesetz. 30 Jahre Mauerfall. Wie also steht es um die Verfassung der Deutschen heute, wo so manches Kreuz des Wählers auf einmal einen Haken hat? Hat die "Würde des Menschen" bei uns noch eine Heimat? Zu viele Artikel der Verfassung wurden...
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Produktinformationen zu „Die Siebzigjährige, die man zum Fenster hinauswarf und die einfach nicht verschwand “
Klappentext zu „Die Siebzigjährige, die man zum Fenster hinauswarf und die einfach nicht verschwand “
70 Jahre Grundgesetz. 30 Jahre Mauerfall. Wie also steht es um die Verfassung der Deutschen heute, wo so manches Kreuz des Wählers auf einmal einen Haken hat? Hat die "Würde des Menschen" bei uns noch eine Heimat? Zu viele Artikel der Verfassung wurden schon als vermeintlich veraltete Ramschware verworfen und verschleudert. Dennoch: Diese oft zum Fenster rausgeworfene Verfassung will partout nicht verschwinden. Die Siebzigjährige rappelt sich trotz vieler Niederlagen immer wieder trotzig auf und humpelt zurück in die deutsche Wirklichkeit. Martin Buchholz hilft ihr beim Humpeln. Allzu lange hat man dieses Grundgesetz immer nur verabschiedet. Buchholz meint: Es ist Zeit, es endlich wieder willkommen zu heißen.
Lese-Probe zu „Die Siebzigjährige, die man zum Fenster hinauswarf und die einfach nicht verschwand “
Oh, my beautiful balloon -eine Art VorwortIch war sieben Jahre alt, genau genommen war ich sieben Jahre und elf Tage alt, als ich mit einiger Geburtstags-Verspätung einen traumhaft-schönen Luftballon geschenkt bekam. Es war der 23. Mai 1949, ein traumhaft-schöner Maientag. Nur wegen dieses blauen Luftballons kann ich mich so genau an diesen Tag erinnern. Es war der erste Luftballon meines Lebens, und er war so blau, wie nichts in meinem späteren Leben jemals blauer war. Doch vielleicht ist einer der Gründe für die blaue Unauslöschlichkeit meiner Erinnerung auch die Ohrfeige, die mir dieser Ballon dann einbrachte, und der darauf folgende Blues. Wir gingen an jenem Sonnentag in den Rehbergen im Norden Berlins spazieren. Wir, also meine Mutter und mein Onkel Willy, der mir dieses Wunderding von seinen spärlichen Groschen gekauft hatte, und der Ballon und ich. Der Ballon hatte mich fest an der Strippe. Und als wir am Entengrützenteich entlang flanierten, mitten in dieser Herrlichkeit eines Frühlingstages, ließ der blaue Ballon mich plötzlich los und ich ihn. Und er schwebte davon, höher und höher. Und er wurde immer durchsichtiger und unsichtbarer - bis sich sein Blau dann verlor im Strahlen des wolkenlosen, hohen Frühlingshimmels. Und ich stand da und schwebte mit. Versunken im Blau. Womöglich würde ich noch heute dort stehen, traumaugenblickend in irgendwelche blaue Ewigkeiten, wenn dieser zauberische, endlose Augenblick nicht schlagartig doch geendet hätte. Eine Ohrfeige von Onkel Willy holte mich zurück auf den Boden der einsichtigen Realitäten. "Zwanzig Pfennig hat mich das Ding gekostet. Und du lässt es einfach los."Einschlägig von Onkel Willy belehrt über den Wert der Dinge, stapfte ich niedergeschlagen, aber trotzig weiter. Ein sanft triumphierender Gedanke verband mich mit dem längst entschwebten Ballon. Ich dachte, und ich denke es noch immer: "Aber geplatzt ist er nicht."Warum erzähle ich Ihnen das. Deshalb: Es war, wie gesagt, der 23. Mai 1949. Ein Tag, an
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dem nichts wirklich Weltbewegendes passiert ist, außer zwei Dingen, die mein weiteres Leben beeinflusst haben. Die eine Sache war der blaue Luftballon, der meine frühe Phantasie beflügelt hat. Und die andere Sache war wahrlich keine Nebensache: An jenem 23. Mai 1949 wurde die Bundesrepublik gegründet - und begründet: Die Grundlage ihrer Existenz war eine grundsätzliche Vereinbarung, nämlich das "Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland". Ein Versuchsballon war da losgelassen worden - ein Versuch, wieder ein irgendwie menschliches Deutschland zu schaffen. Ein Ballon allerdings, der nicht ins Blaue hinein davon schweben sollte. Er wollte und sollte sich dennoch deutlich abheben vom damals noch ziemlich braun gedüngten Boden der deutschen Wirklichkeit.Ein gewagtes Luftschiff in jener Zeit, zumal viele meinten, das sei nur eine Aufgeblasenheit voll heißer Luft.Ich will die Metapher jetzt nicht weiter strapazieren, doch während ich dies schreibe, summt in meinem Gedächtnishintergrund ein Song aus späterer Zeit: "Would you like to ride in my beautiful balloon."Und so sehr ich auch in diesem Buch beklage, wie viele gute, demokratisch-frische Luft inzwischen aus diesem beautiful balloon, dem Grundgesetz, entwichen ist und wie so mancher reaktionäre Furz das Ganze ersatzweise aufbläht, so bleibt mir doch meine blauäugige Hoffnung. Egal, wie entschwebt dieser Ballon auch manchmal zu sein scheint, ich weiß allem Anschein zum Trotz: Geplatzt ist er nicht!2019 - 70 Jahre späterViele Jahre sind seit jenem 23. Mai 1949 ins Land gegangen, genau genommen: in die deutschen Länder, die alten und die neuen. (Allerdings sind es gerade die neuen Bundesländer, die zuweilen ziemlich alt aussehen.) Ich hacke gerade die letzten Korrekturen in die elektronische Tastatur, und eine blasse Wintersonne schaut mir durchs Fenster dabei zu. Ende Januar 2019.Das Grundgesetz wird am 23. Mai dieses Jahres 70 Jahre alt. Ich bin dann 77 Jahre und elf Tage lang am deutschen Leben. Dieses
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Inhaltsverzeichnis zu „Die Siebzigjährige, die man zum Fenster hinauswarf und die einfach nicht verschwand “
Über die VerfassungOh my beautiful balloon - eine Art Vorwort 52019 - 70 Jahre später 6Die Quellen, aus denen ich schöpfte 8Eine Erinnerung an Iwan und Adolf 9Brehms Tierleben und das Grundgesetz 11Das Volk: Ein Potentat mit Potenzschwäche 14Passierscheine und Persilscheine 17Die 131er und die Re-Nazifierung per Grundgesetz 18Wenn die Menschenwürde in einer Stammzelle einsitzt 21Die Leiden des jungen Wertes 23Gutdeutschtum im Walser-Takt 27Wie die Würde zu einer singulären Erscheinung wird 29Noch mehr Merk-Würdiges über die deutsche Würde 31Deutsche Innereien und ihre Minister 33Empfängnisverhütung mit Gehirn-Kondomen 36Wenn sich der Staat in Staatssicherheit bringt 40Der Pawlowsche Köter und das demokratische Schappi 43Geständnisse eines Hobby-Wählers 44Die Qualen der Wahlen: Eine deutsche Sado-Maso-Show 47Die neuen Heimatvertriebenen 48Die Überfremdung und die Unterfremdung 52Gedankenfreiheit ohne Gedanken 54Die Vermeintlichkeit der Meinungsfreiheit 57Die Ausländer sind an allem schuld, und die Erde ist eine Scheibe 59Ein Volk, das nicht lernen will, sich zu beherrschen 61Das Volk als so'nes und solches 63Sind wir alle Reichsbürger? 65Das Volk: eine poplige Angelegenheit 68Die Drohung nach der Wende: "Wir sind, was volkt!" 71Eins und eins macht ...: eins 74Eine Verfassung - gab es die? 77Wie aus einem Grundrecht ein Grundrechtlein wird 82Politisch Verfolgte und was sie genießen 84Wie man die Willensbildung des Volkes anheizt 87Wie eine Berechtigung unters Frauenvolk kam 90Als ein weibliches "Stürmlein" zum männlichen Muffensausen wurde 92Wie uns die Erde zum ersten Mal abhanden kam 94Wie sich der Herrgott zum Gott der Räuber machte 97Raum ist in der kleinsten Hütte: Wie die Frau verhüttet wurde 99Wenn Männer ihre Tage haben 102Wie eine Erbkrankheit gewährleistet wird 104Das Grundgesetz des Eigentums: Sterben und erben 106Das Kapital als genetische Notwendigkeit 108Europa - eine Wehrpflicht für uns alle 112Die Ballade von einer Asylbewerberin aus dem Nahen Osten
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119Die Vertrauensfrage: Wer traut sich - und wenn ja, mit wem? 124Frieden oder Krieg? Afghanitverstan! 126Exekutive im Einsatz: Legt an! Feuer! 128Geh!Wissen - eine Abschiebung ins Ungewisse 129Wenn die Polizei mit dem Volk Gassi geht 133Ausschreitungen und Einschreitungen 136Ein Volk und sein Wille: eine notwendige Inspektion 138Lobby, wem Lobby gebührt 140Ein paar letzte Sätze zur notwendigen Aufhebung des Grundgesetzes 143
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Autoren-Porträt von Martin Buchholz
Martin Buchholz, Journalist, Kabarettist und Schriftsteller, geboren im Jahr des deutschen Heils 1942 zu Berlin-Wedding.Seit 1961 Reporter und Redakteur, unter anderem bei Augsteins unselig entschlafenem "Heute"-Experiment, zwischendurch bei "Spiegel" und "Stern", danach Mitherausgeber des "Berliner Extra-Dienst" (die Zeitung der außerparlamentarischen Opposition), dann Ressortleiter Kultur bei der "Neuen" und Text-Chef bei "Pardon", zuletzt Ökologie- und Wissenschaftsredakteur bei "konkret".Seit Herbst 1982, nach 20 Jahren am Redakteurs-Schreibtisch, veröffentlicht er sich auf der Bühne. Sein Stammhaus ist das Berliner Kabarett-Theater "Die Wühlmäuse". Er wurde mit allen wichtigen Kabarett- und Kleinkunstpreisen in Deutschland und in der Schweiz ausgezeichnet. Außerdem publiziert er auch in gedruckter Form, als satirischer Schriftsteller - mit inzwischen zehn Büchern. Er ist Mitglied im Deutschen PEN-Zentrum. Sporadisch erscheint eine aktuelle Buchholz-Satire im Internet: www.martin-buchholz.de Martin Buchholz lebt und liebt zusammen mit der Filmemacherin und Produzentin Harriet Eder, die zugleich die Regisseurin seiner Programme ist.
Bibliographische Angaben
- Autor: Martin Buchholz
- 2019, 144 Seiten, Maße: 13,4 x 21,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Wostok
- ISBN-10: 3932916735
- ISBN-13: 9783932916731
- Erscheinungsdatum: 23.04.2019
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