Die Vollendung des Königs Henri Quatre
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Das GerÜcht
Der König hat gesiegt. Das eine Mal hat er den Feind zurückgeworfen und gedemütigt.Er hat die Übermacht weder vernichtet noch entscheidend aufgehalten. Nach wievor ist sein Königreich in Lebensgefahr, gehört auch noch gar nicht ihm. Esgehört bis jetzt der «Liga», da die Zuchtlosigkeit der vorhandenen Menschen,ihr Widerstand gegen die Ordnung und Vernunft seit den Jahrzehnten der innerenKämpfe schon bis zum Wahnsinn gediehen sind. Oder, noch schlimmer als deroffene Wahnsinn, die platte Gewöhnung an den vernunft- und zuchtlosen Zustandhat die Menschen ergriffen, die traurige Ergebung in ihre Schande hat sich beiihnen festgesetzt. Der einmalige Sieg des Königs kann das keineswegs ändern.Ein vereiteltes vereinzeltes Gelingen - wieviel ist daran Zufall und wievielist Bestimmung? Es überzeugt noch keine Mehrheit von ihrem Unrecht. Wie denn?Dieser Protestant aus dem Süden wäre kein Räuberhauptmann, er wäre derwahrhaftige König! Was müßten dann alle großen Führer der Liga sein: sie, vondenen jeder eine Provinz beherrscht oder einen Gau leitet, und zwar mit wirklicherGegenwart und voller Gewalt. Der König gebietet beinahe nur dort, wo sein Heersteht. Der König hat für sich den Gedanken des Königreiches: soviel erkennenmanche, und nicht ohne Unruhe oder Wehmut. Ein Gedanke ist weniger als diewirkliche Gewalt, und ist auch mehr. Das Königreich, das ist mehr als ein Raumund Gebiet, es ist dasselbe wie die Freiheit und ist eins mit dem Recht.
Wenn dieewige Gerechtigkeit auf uns herabblickt, muß sie sehen, daß wir furchtbarerniedrigt, und schlimmer noch, daß wir ein Moder und getünchtes Grab sind. Wirhaben uns um der täglichen Notdurft willen den ärgsten Verrätern unterworfenund sollen durch sie an die Weltmacht Spanien kommen. Aus bloßerMenschenfurcht dulden wir im Lande die Knechtschaft, geistige Verwahrlosung undverzichten auf das erhabenste
Höchstmerkwürdig, die Weitentfernten machen sich von den Ereignissen meistens einengrößeren Begriff als die nahe Wohnenden. Der Sieg des Königs geschah an derKüste der Nordsee: im Umfang von zwei oder drei Tagesreisen hätte man staunensollen. Besonders in Paris hätten sie sich prüfen und ihre hartnäckigenIrrtümer endlich berichtigen müssen. Durchaus nicht. Dort im Norden sahen wohlviele mit Augen, wie das geschlagene Riesenheer der Liga durch zersprengteBanden das Land unsicher machte - was ihnen aber nicht in den Kopf ging. DieLiga blieb für sie unbesiegt; der König hatte vermöge des dichten Nebels, dendas Meer verbreitete, und dank anderen Umständen des Kriegsglücks ein unbedeutendesStück Landes behauptet, das war alles.
Für deninnersten Teil des Königreiches hatten dagegen die erhofften Entscheidungensich wirklich angekündigt. Am Flusse La Loire und in der Stadt Tours glaubtensie nach alten Erfahrungen, daß zuletzt doch immer der König in Person beiihnen einkehrte. Manchmal als armen Flüchtling, aber endlich als den Herrn, so hattensie ihn seit Jahrhunderten empfangen. Wie nun erst die entlegenen Provinzen desWestens und des Südens! Dort sahen sie diese Schlacht bei Arques, als ob sievor ihren Blicken nochmals geschlagen würde und wäre ein Machtwort des Himmelsselbst. Die stürmischen Protestanten der Festung La Rochelle am Ozean sangen:«0 Gott, so zeige Dich doch nur» - denselben Psalm, mit dem ihr König gesiegthatte. Von Bordeaux schräg abwärts, der ganze Süden nahm aus ungemessenerBegeisterung vieles als geschehen vorweg, was in weitem Felde stand, die Unterwerfungder Hauptstadt, die Bestrafung mächtiger Verräter und ruhmvolle Einigung desKönigreiches durch ihren Henri, geboren bei ihnen, ausgezogen von hier, undjetzt so groß!
Gingenseine Landsleute wirklich weiter als alle anderen? Groß - nennt man amleichtesten den Mann, den man nicht einmal von Angesicht kennt. SeineLandsleute im Süden wissen aus eigenen Begegnungen, daß er nur gerademittleren Wuchses ist, den Filzhut zum abgewetzten Wams trägt und niemals Geldhat. Sie erinnern sich seiner sanften Augen: sprechen diese eigentlich vomheiteren Gemüt oder von manch erlebter Trauer? Jedenfalls ist er schlagfertigund versteht sich auf den Ton des gemeinen Mannes - versteht sich noch besserauf die Art der Frauen. Von ihnen könnten viele, niemand ermißt die Zahl, seineGeheimnisse verraten. Aber sonst so plauderhaft, auf einmal schweigen sie.Genug, hier kennt man ihn von Angesicht und war nur nicht bei seiner vorigenArbeit mit, dort oben, wo Nebel lag, wo die Unseren den Psalm sangen, als sieangriffen und das gewaltige Heer schlugen. Das war eine sehr große Arbeit, undwährend sie getan wurde, haben Himmel und Erde den Atem angehalten.
Jetzt habenauch ganz ferne Länder den Ausgang erfahren. Über seine Person wurde ihnenbisher nichts berichtet. Ein so neuer Ruhm ist auf große Entfernungen unirdischund fleckenlos. Um so größer steht einer da, auf den Schlag. Die Welt hat ihnerwartet, sie hatte es gründlich satt, als einzigen Herrn und Meister ihrenPhilipp von Spanien zu ertragen, immer und ewig den trostlosen Philipp. Diebedrückte Welt hatte längst um den Befreier gefleht: nun sieh, hier ist er!Sein Sieg: eine kleine Schlacht, nichts von jähem Umsturz der Lage, und dennochbedeutender als vorher der Untergang der Flotte Armada. Hier hat einer ganzdurch seine Kraft den Thron des Weltherrschers erbeben gemacht. Wenn noch soleise, das Beben wird verspürt über den Grenzen, über den Bergen und bis andas andere Ufer des Meeres. Sie sollen in einer berühmten Stadt hinter dem Meer- sie sollen ein Bild der Prozession durch die Straßen getragen haben. Stelltedas Bild ihn auch nur vor? Es war schon nachgedunkelt, sie haben es beimTrödler ans Licht gezogen, es abgewaschen. «Der König von Frankreich !» riefdas Volk und veranstaltete den Umzug, sogar die Pfaffen sind mitgegangen. DasGerücht weiß alles und es fliegt.
© S.Fischer Verlag GmbH
- Autor: Heinrich Mann
- 1994, 27. Aufl., 912 Seiten, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Helmut Bartuschek
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499134888
- ISBN-13: 9783499134883
- Erscheinungsdatum: 14.02.2001
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