Die weiße Jägerin
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Die weiße Jägerin von Rolf Ackermann
LESEPROBE
»Wenn Elefanten kämpfen,leidetdas Gras unter ihnen «
JuliusNyerere (ehem. tansanischer Staatspräsident)
Dieletzten Sonnenstrahlen ließen den Oldoinyo le Engai in wundersamer,erhabener Schönheit erstrahlen und kolorierten Ostafrikas Steppen in denPastellfarben Caspar David Friedrichs. Das Land war weit und schön undwunderbar friedlich. Die sanften goldgelben Grashügel kokettierten mit langenSchatten. Weit ausladende Akazienbäume streckten ihre fingerlangen weißenDornen der untergehenden Sonne entgegen; kleine Bäche schlängelten sich, mattglänzenden Nattern mit blauen Rückenstreifen gleich, durch die Weiten; Bergemit magischen Namen umringten die Ebenen; die Luft war erfüllt vom schweren,süßlichen Duft der Leleshwa-Blätter. Aus den nahen Galeriewäldern desFlusses hallte das dumpfe Echo dahinstampfender Elefanten zu den Hütten;Hunderte, Tausende, nein, Hunderttausende Zebras, Gnus und Antilopen verharrtenin erwartungsvoller Anspannung am Flussufer.
Wieein von mächtiger Hand geformter Naturaltar ragte der vom Volk der Massai als»Berg Gottes« verehrte Vulkan Oldoinyo le Engai in den Abendhimmel. AmHorizont türmten sich mächtige Kumuluswolken wie Berge aus Licht und Schattenzu einem herannahenden Gewitter auf. Als wolle Engai, der Gott derMassai, auf die makellose Schönheit seines Werkes hinweisen, kreierte er amFirmament zaghaft das Kreuz des Südens und ließ einen weiß glühenden Kugelblitzüber das Land hin zu seinem Berg rollen. Der trockene Knall des ihnbegleitenden Donners hallte an den Hängen des Vulkans wider. Die Natur ducktesich erschrocken. Alle Tiere erstarrten in Ehrfurcht. Die Kinder unter derinmitten der schier unendlichen Massai-Steppe stehenden Schirmakazie rücktenzusammen und starrten mit angsterfüllten Augen auf den alten Mann, der ihnengegenüber mit dem Rücken zum Baum saß. »Das sind die Zeichens Engais,unseres Gottes«, sprach Masiani ole Chieni. Der Alte mit dem kahl geschorenenSchädel und dem starren Cape aus dem buschigen, braunen Fell des Baumschliefersblickte Ansehen heischend in die Runde der auf dem Boden sitzenden Kinder, diesich nicht trauten, dem alten Mann in die Augen zu schauen. Denn ihr Laibon,des meistgeachtete, meistgefürchtete Älteste, hatte schon seit Geburt nur einAuge, dessen starrer Blick nicht nur Kinder ängstigte. »Einst, so haben es unsdie Urahnen unseres Volkes unseren Großvätern und Vätern schon erzählt, nannte Engaidrei Söhne sein Eigen. Jeden der drei Söhne bedachte er mit einem Geschenk:Der erste Sohn erhielt einen Speer, um seinen Lebensunterhalt als Jäger zubestreiten; der zweite eine Hacke, um das Land zu bearbeiten; und der dritteeinen Stock zum Hüten des Viehs. Dieser dritte Sohn, Natero Kop genannt,gilt als der Urvater der Massai, die seit jener Zeit stolze Besitzer großerViehherden sind und im Schutze des Berges Lengai unzählige Sonnenaufgänge undfeurige Abenddämmerungen erlebt haben und ihre Rinder hüten, die in denendlosen Savannen grasen. Einem Storch gleich manchmal auf einem Bein stehend,wacht der Hirte über das, was Engai ihm gegeben hat. Und « Diebeschauliche Zusammenkunft unter dem Baum wurde plötzlich unterbrochen voneinem Schrei aus der nahe gelegenen Manyatta. Es war ein Schrei, der denTod in sich trug: gellend, schmerzerfüllt, nur kurz und doch grausam. DieKinder starrten zu den Hütten der nächstliegenden -Manyatta. Jeder imDorf wusste, dass Nasira, die jüngste Frau der sieben Frauen des Kriegers Mojoole Chieni, ein Kind erwartete. Hastig sprangen die Kinder auf und rasten los. Masianiole Chieni war der Älteste des Stammes und ob seiner Alters und der damiteinhergehenden Weisheit zum Laibon, aber auch zum Propheten, geistigenFührer, Wahrsager, Ritualexperten und Heilkundigen des Stammes auserwählt.Trotz des Schreis verharrte er regungslos unter der Akazie. Nasira, die Frau,die soeben geschrien hatte, war seine Schwiegertochter, Ehefrau seines SohnesMojo. Und doch blieb der Alte sitzen, schenkte der hörbaren Aufregung keinerleiAufmerksamkeit. Mit seinem einzigen Auge fixierte er stattdessen einen fernenPunkt am Himmel, wo sich die Wolken unheilvoll zu einem Unwetter zusammenzogen.Sein Auge glänzte eigentümlich. »Es ist Olasera ingumok, derFarbenreiche, der dort in der Ferne zu mir spricht«, murmelte der Greis,verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor dem, was er dort am Firmament in einersonderbaren Wolken- und Farbkonstellation zu sehen glaubte, und sprach in dieFerne: »Engai tajapaki tooinaipuko inono - Gott, nimm mich unter deineObhut!« Dann stand er schwerfällig auf und ging zu den Hütten. Mojo, sein Sohn,kam ihm auf halbem Wege entgegen. »Vater, Nasira, die schönste undehrfurchtsvollste meiner sieben Frauen, hat mir einen Sohn geboren, bevor sieden friedlichen Weg zu Engai beschritt.« »Ich weiß, mein Sohn. Ich weiß!Der Farbenreiche hat zu mir gesprochen. Er zeigte sich soeben am Himmel ineinem dahin gehauchten Zartrosa, gleich dem eines jungen Flamingos, und ließeinen Weißkopfadler aus dem Himmel herniedersausen, um uns eine Nachricht zuüberbringen. Geh, Mojo, und rufe die Ältesten zusammen. Auch du, der nach mirals Laibon die Menschen unseres Stammes mit Weisheit und Rat begleitenwirst, komme zu uns. Wir müssen eine Engidong halten. Denn Engai hatuns Zeichen gesandt, die wir mit unserem Verstand, der so klein ist wie dereiner Siafu-Ameise, nicht verstehen und daher deuten müssen.« Eine halbeStunde später trafen sich die ältesten Männer des Massai-Stammes auf einemHügel nahe dem Fluss. Das Kreuz des Südens stand sehr klar und scheinbar zumGreifen nahe über den ostafrikanischen Weiten. Der Mond versteckte sichängstlich hinter einer furchterregend großen Regenwolke über dem Berg Oldoinyole Engai. Myriaden von Sternen erhellten die Nacht. Irgendwo ganz in derNähe tat ein Löwe seinen Unmut über das hoch lodernde Feuer, um das herum sich dieMassai zusammengesetzt hatten, durch ein dumpf-bronchiales Grollen kund. StarkeWindböen zerrten an den togaähnlichen, ockerfarbenen Umhängen der Männer. »DieserSturm trägt das Böse in seinem Bauch«, orakelte einer der Ältesten undresümierte: »Der Wind ist in Aufruhr, die Wolken des Himmels verzerren sich zuFratzen und die Tiere unten am Fluss in den Ebenen blöken und brüllen seiteiner halben Stunde so laut und ängstlich, wie sie es zu tun pflegen, bevor siesich sammeln, um auf die Große Wanderung zu den saftigen Weiden im Norden desLandes zu gehen. Aber es ist noch nicht die Zeit gekommen, dass siedavonziehen. Und daher weiß ich, dass Großes, vielleicht Gutes, vielleicht auchUnheilvolles geschehen wird. Lasst uns eine Engidong durchführen, auf dassuns Mbatian und Nelion, unsere großen Ahnen, den Geist geben,ihre Prophezeiung zu verstehen.«
DieMänner rollten eine trockene Kuhhaut auf dem Boden aus und kramten aus kleinenLedertäschchen mehrere farbenprächtige, daumengroße, von der Zeit glatt geschliffeneFlusssteine hervor. Der Laibon Masiani ole Chieni murmelte mystischeWorte vor sich hin, als er die Steine wieder und wieder über die Kuhhautrollte, sie zählte, ihre Farbnuancen interpretierte und sie schließlich nachmehr als einer Stunde in einer ihm bedeutungsvoll erscheinenden Konstellationliegen ließ, um seine Prophezeiung zu machen. Die anderen Männer schauten ihnerwartungsvoll an. Angst, aber auch grenzenlose Hochachtung lag in ihrenBlicken, als der einäugige Alte zu sprechen begann: »Der heutige Tod vonNasira, der Frau meines Sohnes Mojo, und das aus ihrem Tode zu Leben erwachteKind werden einen neuen Laibon für den Stamm der Matapato-Massaihervorbringen.«
»Sosoll es sein«, kommentierten die Männer die Worte des Alten einstimmig.
»Dochich sehe auch einen furchterregenden weißen Schatten über das Land und über dasVolk der Massai huschen, mit Augen aus Glas und mit seidigem, dunklem Haar. DerSchatten wird diesen unseren neu geborenen Laibon auf immer und ewigbegleiten, so wie der Tag der Nacht für immer folgt, und in einer Sprache zuihm sprechen, deren Worte mir fremd klingen!«
»Sosoll es sein!«, murmelten die Männer erneut.
»Aberdie Angst wohnt fortan in meinem alten Herzen! Denn ich sehe auch eine riesige,eiserne Schlange, deren schwarze Zunge Feuer und Rauch speit und die Schmerz,Not und Unfrieden über die Ebenen, Hügel und Berge, über das Rinder züchtendeVolk der Massai, aber auch über die niedrigen, den Boden bestellenden Völker imNorden und Süden dieses Landes bringen wird.«
Wiedergrummelten die Männer am Feuer ihr »So soll es sein« in die Nacht. Ihre Wortewaren von Entsetzen bestimmt. Die Prophezeiung ihres Laibon erfüllte siemit Angst. Sie wussten nicht, was diese Prophezeiung bedeutete, aber siespürten, dass es nichts Gutes für die Zukunft ihres Volkes heraufbeschwor.
Plötzlichzerfurchten taghelle Blitze die Nacht. Donnergrollen rollte zwischen den Hügelnund Bergen hin und her und erfüllte die Ebenen mit ohrenbetäubendem Lärm. Unddann, ausgelöst durch eine mächtige Windböe, geschah es: Überall auf denGrasebenen unten am Fluss erhoben sich die dort seit Tagen lagernden Tiere.Hunderttausende Weißbartgnus und ebenso viele Zebras und Antilopen blökten ihreFurcht vor dieser Nacht, vor dem tosenden Gewitter und den Blitzstakkatos überdas Land. Die Erde begann zu beben, Staubwolken verhüllten die Sterne, undAfrika erzitterte, als die riesigen Herden um Mitternacht plötzlich losrasten,obwohl sie nicht wussten, wohin sie in der Dunkelheit rennen sollten, undwieder abrupt stehen blieben und dann doch wieder panisch losgaloppierten undAngst vor der Nacht und vor den Raubtieren hatten und daher noch schneller überdie Steppe hetzten.
»Diegroße Wanderung der Tiere hat begonnen«, schrie einer der Massai-Ältesten inden Sturm. Masiani ole Chieni, ihr Laibon, blieb neben einem Felsenstehen und starrte hinaus in die Nacht zu den in alle Himmelsrichtungendahinrennenden Tieren. Er konnte nichts erkennen, alles nur hören. Aber erahnte, was er sehen würde. »Nein«, brüllte er in den Wind.
»Siewandern nicht. Sie fliehen! Sie verlassen dieses Land, weil sie spüren, dassUnheilvolles geschehen wird «
© Droemer-KnaurVerlag
- Autor: Rolf Ackermann
- 2005, 1, 458 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426196816
- ISBN-13: 9783426196816
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