Die Welt ist eine Bandscheibe
Von der Fehldiagnose bis zur Therapie: Wie man trotz ständiger Rückenschmerzen und einem Dutzend anderer altersbedingter Verfallserscheinungen das Lachen nicht verlernt!»Hat der Orthopäde keine Zeit, geh ich zum Urologen. Oder Proktologen. Egal, helfen tut...
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Produktinformationen zu „Die Welt ist eine Bandscheibe “
Klappentext zu „Die Welt ist eine Bandscheibe “
Von der Fehldiagnose bis zur Therapie: Wie man trotz ständiger Rückenschmerzen und einem Dutzend anderer altersbedingter Verfallserscheinungen das Lachen nicht verlernt!»Hat der Orthopäde keine Zeit, geh ich zum Urologen. Oder Proktologen. Egal, helfen tut eh nix und niemand, am Ende gewinnt immer die Bandscheibe.« Jetzt kann John Doyle endlich mitreden, wenn es um körperliche Beschwerden geht. Denn er hat jetzt auch »Rücken«, genauer: »Bandscheibe«. Mit viel (Galgen-) Humor erzählt er von seinem Leidensweg, den er mit Millionen von Deutschen teilt: Von der Fehldiagnose (»Was? Das ist ein Tumor?«) über Akupunktursitzungen bis hin zum Handauflegen. John Doyle will seine Rückenschmerzen endlich wieder loswerden - koste es, was es wolle!
Lese-Probe zu „Die Welt ist eine Bandscheibe “
Die Welt ist eine Bandscheibe von John DoyleDie Welt ist eine Scheibe
Klar weiß ich, dass die Welt keine Scheibe ist. Die Welt, also unsere Erde, ist eine Kugel, eine wahnsinnig träge Kugel. Sie braucht einen ganzen Tag, um sich einmal um sich selbst zu drehen. Selbst mit kaputter Bandscheibe und einem Dutzend anderer Beeinträchtigungen bin ich schneller.
Also, die Welt ist eine Kugel. Keine Scheibe.
Aber es gibt nicht nur diese eine Welt. Es gibt auch meine Welt, die John-Doyle-Welt. Und die ist eine Scheibe, eine platte Scheibe. Eine Bandscheibe eben. Dabei wusste ich vor drei Jahren noch nicht einmal, dass ich so etwas besitze, geschweige denn, dass sie Schmerzen verursachen darf. Heute ist meine Bandscheibe und alles, was sich sonst in meinem Körper an Beschwerden versteckt - und bei mir ist verdammt viel Platz, um etwas zu verstecken -, meine Welt geworden.
Meine Bandscheibe und ihre knochigen, nervigen und muskulären Freunde haben mich zum professionellen Patienten gemacht. Inzwischen weiß ich, dass es nicht nur Allgemeinmediziner und Zahnärzte gibt, nein, es gibt unfassbar viele verschiedene Ärzte - für jede Körperregion einen. So wie es nicht nur den 911er und den Carrera gibt, nein, Porsche stellt Dutzende verschiedene Modelle her, bis hin zum Viertürer für meinen Orthopäden. Abgesehen von meinem ganz jungen Knochendoktor. Der fährt Boxter, aber er steht ja auch erst am Anfang seiner Karriere.
Aber das ist nur ein Aspekt der neuen John-Doyle-Welt. Seit ich in so engem Kontakt mit meiner Bandscheibe stehe, hat sich mein Leben in jeder Hinsicht verändert. Zum Beispiel habe ich jetzt viel mehr deutsche Freunde. In der Vor-Bandscheiben- Zeit wurde ich immer nur als Ami wahrgenommen:
... mehr
1. »Also, John, durch das G8er-Abitur ist meine Tochter nur noch gestresst. Was sagst du als Amerikaner dazu?«
2. »Die Griechen machen den Euro kaputt. Was sagst du als Amerikaner dazu?«
3. »John, der Liter Sprit wird von Tag zu Tag teurer. Was sagst du als Amerikaner dazu?«
Ja, was sage ich dazu? Ich weiß genau, was ich als John ohne nationalen Bezug dazu sagen würde:
1. »Scheiße!«
2. »Scheiße!«
3. »Scheiße!«
Aber von mir - als Amerikaner - erwartet man andere Antworten. Man erwartet eine amerikanische Sicht auf die Dinge. Sozusagen die Welt aus der Sicht eines waffentragenden und burgermampfenden Geographie-Legasthenikers:
1. »Hä? Schule?«
2. »Einmarschieren!«
3. »Wir haben keine Liter, wir haben Gallonen!«
Jetzt aber, mit Bandscheiben- und verwandten Schmerzen, habe ich ein Thema, bei dem ich endlich mitreden kann. Denn Schmerzen sind etwas Globales; da fallen alle nationalen Schranken. Gegen die Bandscheibe hilft kein Einmarschieren, kein Handelsembargo und auch keine Predator- Drohne; der Bandscheibe ist es nämlich egal, ob sie über einem deutschen, amerikanischen oder kanadischen Arsch sitzt (Obwohl? Beim kanadischen bin ich mir nicht so sicher ...). Wie gesagt, jetzt red ich mit.
»Hi, John, wie geht's dir?«
»Nicht so gut, meine Bandscheibe ... und der Schmerz strahlt voll in den Nacken!«
»Wem sagst du das? Heute Morgen bin ich kaum aus dem Bett gekommen ... Kennst du das? Das Gefühl, als ob dir einer mit einer Nadel voll in den zweiten Lendenwirbel sticht?«
»Aua, ja, das kenn ich, das kenn ich gut! Gestern ist mir der zweite Wirbel glatt rausgesprungen. Musste sofort zum Chiropraktiker.«
»Oh! Echt? Zu welchem kriechst du denn?«
»Gestern war ich in einer Praxis am Rhein. Heute weiß ich noch nicht. Mal schauen, was weh tut.«
Ja, ich bin perfekt im Schmerzenhaben. Deshalb suchen meine neuen deutschen Freunde stets meine Nähe. Ich kenne jeden Schmerz. Ich will hier ja nicht angeben, aber tatsächlich bin ich der König der Schmerzen, der Meister aller altersbedingten Verfallserscheinungen! Ich bin John Doyle, der PATIENT unter den Patienten! Selbst meine Bandscheibe redet mit mir.
»Hallo, John, schon wach? Wie wäre es mit einem kleinen Spielchen? Du versuchst aufzustehen, und ich hau dir voll eine rein!«
Das tut sie dann auch, die Bandscheibe. Und meine Frau sagt: »Steh endlich auf, John, stell dich nicht so an!«
Und ich sage: »Ich kann nicht, es tut so höllisch weh!«
Und die Arzthelferin am Telefon sagt: »Wenn es sehr weh tut, dann kommen Sie in drei Wochen vorbei.«
Und mein Sohn sagt: »Ich krieg noch Taschengeld!«
Und dann gehe ich zum Arzt. Aber weil der Orthopäde keine Zeit hat, gehe ich zum Urologen. Oder zum Proktologen. Oder zum Gefäßchirurgen. Egal, helfen tut eh nichts. Am Ende gewinnt immer die Bandscheibe.
Denn die ist die Welt.
Am Anfang war ... das Leiden
Bandscheibe - Musik von Band?
Als ich das erste Mal mit dem Begriff »Bandscheibe« konfrontiert wurde, dachte ich das, was Amerikaner in solchen Situationen immer zuerst denken: What the fuck is a ›Bandscheibe‹? Ich weiß, was eine »Band« (Lautschrift: BÄND) ist, und ich kenne »Scheiben«. Aber was ist eine »Bändscheibe«?
Anfangs dachte ich, das hätte was mit Musik zu tun. Band gleich Musikgruppe, Scheibe gleich Platte oder CD. Und offensichtlich hatten die Deutschen eine Kombination aus bei- dem erfunden. Die ›Bändscheibe‹ - ein spezieller Tonträger nur für Musikgruppen.
Aber nein, Bandscheibe ist etwas im Körper, auch in meinem amerikanischen Body.
Die Deutschen kennen sich natürlich mit so etwas aus, so wie meine Comedy-Kollegen etwa: »Weißt du, was eine Bandscheibe ist?«, frage ich, und alle antworten: »Ja klar, wer nicht?«
Dann traue ich mich nicht weiterzufragen. Wenn ich mich mit Taxifahrern unterhalte, wissen auch sie Bescheid. Oder ich frage einen dreijährigen Jungen auf dem Spielplatz:
»Na, Kleiner, magst du Schokolade?«
Nein, das frage ich natürlich nicht, vielmehr frage ich: »Na, junger Mann, weißt du denn schon, was eine Bandscheibe ist?«, und er antwortet wie aus der ›Bushmaster‹ geschossen: »Ja, klar, du nicht, Onkel?«
Und dann erklärt mir der Zwerg, dass der Mensch 23 Bandscheiben hat, als Scharnier für die 24 Wirbel ...
Es würde mich nicht überraschen, wenn das Wort »Bandscheibe « das erste Wort wäre, das deutsche Kleinkinder vor sich hinplappern. Nicht »Mama«, nicht »Papa« oder »Klimakatastrophe «, sondern »Bandscheibe«.
»Hör mal, Schatz! Ich glaube, unser kleiner Hendrik-Markus hat gerade etwas gesagt. Wahnsinn! Sein erstes Wort. Aber ich habe es nicht genau verstanden. Verstehst du, was er da sagt?«
»Ich glaube, er hat ›Bandscheibe‹ gesagt.«
»Bandscheibe? Wie toll!«
Dicke Ami-Kids sagen so etwas nicht. Ihr erstes Wort ist nicht Bandscheibe, sie sagen ganz normale Sachen. So etwas wie »Mom«, »Dad«, »Wii« oder »X-Box«.
Es gibt mindestens zwei Gründe, warum viele Deutsche so ein riesiges Allgemeinwissen haben, warum sie immer auf dem neuesten Wissensstand sind:
1. Sie schauen »Die Sendung mit der Maus«.
2. Menschen wie Dr. med. Eckart von Hirschhausen, die die Nagetiersendungen ins Abendprogramm transferieren.
So etwas gibt es in Amerika nicht. Da gibt es »SpongeBob« und die »Oprah Winfrey Show«. Ami-Kids und das, was aus ihnen später mal wird, kennen sich mit der Unterwasserwelt minderbemittelter Schwämme aus und wissen - Oprah sei Dank -, wer in Amerika arm ist, wer unschuldig angeschossen wurde und deshalb bald ein neues Haus bekommen wird. Während das durchschnittliche amerikanische Kind bei »SpongeBob« sieht, wie ein Schwamm und eine Garnele Fastfood fressen, erklärt »Die Sendung mit der Maus« dem deutschen Kind, wie ein Kühlschrank mittels FCKW gesundes Essen frisch hält. Oder eben auch, wie eine Bandscheibe funktioniert. Sollte das deutsche Kind es über die Jahre vergessen haben, dann kommt eben 30 Jahre später Dr. Eckart und erklärt es noch einmal. Und alle freuen sich, dass sie ihr Wissen über die Funktion der Bandscheibe wieder auffrischen können.
Jedes Mal, wenn ich die »Sendung mit der Maus« sehe - und das tue ich zur Förderung meiner Integration ständig -, denke ich: ›Mensch, John, wie hilfreich wäre es gewesen, wenn du das gewusst hättest, als die Schmerzen anfingen.‹
Die Sendung mit der Maus hätte mir alles genau erklärt:
»Das ist der John. Der John hat Bandscheiben. Dazu hat er auch noch Wirbel. Lenden-, Brust- und Halswirbel. Die Bandscheiben sitzen zwischen den Wirbeln, damit die nicht aneinanderreiben und dann dem John schrecklich weh tun. Aber Johns Bandscheiben sind nicht in Ordnung. Sie drücken gegen die Nerven, die auch im Rücken sind, und deshalb hat John Rückenschmerzen, und dann macht er ein dummes Gesicht. Der John ist nicht glücklich.«
Tatsächlich habe ich sogar einmal von der »Sendung mit der Maus« geträumt und dass meine Rückenprobleme in der Sendung besprochen wurden. Ein Albtraum mit Maus und Elefant: Im Traum sitze ich vor dem Fernseher mit einer kleinen Tüte Chips »Mexican Style«. Zuerst kommt ein Cartoon. In dem liegt der Elefant auf dem Rücken und kann nicht mehr aufstehen. Die Maus holt einen Luftballon, legt ihn unter den Elefanten und pustet ihn auf. Zack, steht der Elefant wieder. Dann kommt der Filmbeitrag: »Das ist John. John ist Amerikaner. John ist dick. Viele Amerikaner sind dick. Und deshalb ist John auch so dick.« Ich werde kurz wach und denke: What the fuck ...?, dann träume ich weiter: »John hat Bandscheibenprobleme. Seine Rückenwirbel sind ganz steif, seine Bandscheiben sind ganz trocken, und das alles nur, weil er so dick ist.«
Jetzt ist es aber mal gut mit dem dauernden »John ist zu dick«, denke ich, aber schon träume ich die Sendung weiter: »Das hier ist eine gesunde Bandscheibe, und das ist Johns Bandscheibe. Seine sieht so aus, weil er immer faul wie eine fette Sau in der Gegend rumliegt und sich mit Chips vollstopft. «
Mir fallen alle frittierten Kartoffelscheiben aus dem Mund. Für einen Augenblick will ich die Tüte beiseitelegen, aber dann geht der Traum von einer Sendung weiter. Nun hat meine Frau ihren großen Auftritt:
»Das ist Johns Frau Marita. Sie ist nicht so dick wie John. Sie ist Deutsche. Eigentlich sogar Ostdeutsche, die hatten nicht so viel zu essen. Deshalb hat Marita auch keine Probleme mit ihrer Bandscheibe. Sie bewegt sich viel, achtet auf ihr Gewicht und macht sich keinen Stress. Das heißt: Sie versucht, möglichst wenig Kontakt zu John zu haben.
Und das ist Johns und Maritas Sohn Quentin. Quentin hat auch keine Probleme mit der Bandscheibe. Warum? Weil er regelmäßig Sport macht und nicht dick ist - im Gegensatz zu seinem fetten Papa.«
Dann wache ich auf, schweißgebadet. Den Tag verbringe ich bei meinen Lieblingsärzten und höre mir die Erwachsenen- Version von »John ist zu dick«, »John bewegt sich zu wenig« und »John ernährt sich falsch« an. Am Nachmittag folgt die Familienversion: Meine Frau Marita und mein Sohn Quentin - die Vorbildbandscheiben - reden auf mich ein:
»Warst du im Fitnessstudio?«, fragt meine Frau. Bevor ich antworten kann, mischt sich der Pubertierende ein.
»Mama, das fragst du den Dicken doch jeden Tag, und jeden Tag kriegst du dieselbe Antwort.«
Der Dicke hat dann die Schnauze voll und setzt sich mit seiner Chipstüte aufs Sofa. Er schaltet mittels Infrarot- Fernbedienung die Glotze an, und da erscheint ER auf dem Full-HD-Screen: Dr. med. Eckart von Hirschhausen, schlank und rank und mit schickem Halstüchlein. Das mit dem »schlank und rank« bezieht sich auf den Anfang seiner TV-Karriere. Inzwischen - und das weiß ich zu schätzen - trainiert er sich mein Gewichtslevel an. Egal, auf jeden Fall legt er sofort los.
»So, nun kommen wir zum Thema Rücken, genauer: zur Bandscheibe. Schaut mal auf den Monitor da. Was seht ihr da? Genau, das ist der fette John ...«
Wie man durch Sitzen zu Rückenschmerzen kommt
Ein neuer Schmerz ist da. Irgendwo hinten ist er. Dauerhaft, mit kleinen Stichen zwischendurch. Inzwischen kenne ich meine Schmerzen. Jeden einzelnen. Manche sind örtlich begrenzt. Ein eingeklemmter Nerv hier, ein verrutschtes Bandscheibchen da. Mal schmerzt die Hüfte rechts, mal links, dann macht sich wieder der Nacken bemerkbar.
Meine Schmerzen sind alles Individuen mit eigenem Charakter. Manche pieksen und stechen spontan, andere wiederum verteilen sich großflächig, sind nicht so stark wie die Piekser und Stecher, dafür aber konstanter in ihrem Wirken.
Ich hab meinen Schmerzen sogar Namen gegeben. Zum Beispiel heißt mein Nackenschmerz, also der spontan stechende, nicht der permanente, Brenda Lee, wie meine ehemalige Geographie-Lehrerin Brenda Lee Jones. Sie hatte die Eigenart, träumende Schüler mit einem kurzen, aber heftigen Griff in den Nacken in die Realität des Schulalltags zurückzuholen. Diesen Karategriff verstärkte sie mit einem markerschütternden Schrei: »WAKE UP, DOYLE!«
Wie jede vernünftige Lehrerin war Brenda Lee Jones eine Sadistin. Ihr machte es sichtlich Freude, den etwas ungelenken rothaarigen Burschen zu kneifen, und ich gab ihr auch immer wieder Anlass, den Nackenkneifer anzuwenden. Ich bin mir sicher, dass ich ihr Lieblingsschüler war, so viel Freude hatte sie mit mir beziehungsweise meinem Nacken. Nachdem sie mich allerdings einige hundert Male auf diese Weise traktiert hatte, bat ich sie, mich beim nächsten Mal doch bitte woanders zu kneifen. Das Angebot nahm Brenda Lee gerne an, und zum »Nackenkneifer« kamen dann noch der »Unterarm-Hautzwirbler«, der »Zweifach-Rippenstoß« und schließlich als Krönung die von »unten nach oben durchgezogene Kopfnuss«. Aber ganz ehrlich: An den spontanen Schmerz des »Nackenkneifers« kamen ihre anderen Foltermethoden nicht heran. Er war in seiner Intensität unvergleichlich. Deshalb trägt mein spontaner Nackenschmerz nun den Namen »Brenda Lee«.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
1. »Also, John, durch das G8er-Abitur ist meine Tochter nur noch gestresst. Was sagst du als Amerikaner dazu?«
2. »Die Griechen machen den Euro kaputt. Was sagst du als Amerikaner dazu?«
3. »John, der Liter Sprit wird von Tag zu Tag teurer. Was sagst du als Amerikaner dazu?«
Ja, was sage ich dazu? Ich weiß genau, was ich als John ohne nationalen Bezug dazu sagen würde:
1. »Scheiße!«
2. »Scheiße!«
3. »Scheiße!«
Aber von mir - als Amerikaner - erwartet man andere Antworten. Man erwartet eine amerikanische Sicht auf die Dinge. Sozusagen die Welt aus der Sicht eines waffentragenden und burgermampfenden Geographie-Legasthenikers:
1. »Hä? Schule?«
2. »Einmarschieren!«
3. »Wir haben keine Liter, wir haben Gallonen!«
Jetzt aber, mit Bandscheiben- und verwandten Schmerzen, habe ich ein Thema, bei dem ich endlich mitreden kann. Denn Schmerzen sind etwas Globales; da fallen alle nationalen Schranken. Gegen die Bandscheibe hilft kein Einmarschieren, kein Handelsembargo und auch keine Predator- Drohne; der Bandscheibe ist es nämlich egal, ob sie über einem deutschen, amerikanischen oder kanadischen Arsch sitzt (Obwohl? Beim kanadischen bin ich mir nicht so sicher ...). Wie gesagt, jetzt red ich mit.
»Hi, John, wie geht's dir?«
»Nicht so gut, meine Bandscheibe ... und der Schmerz strahlt voll in den Nacken!«
»Wem sagst du das? Heute Morgen bin ich kaum aus dem Bett gekommen ... Kennst du das? Das Gefühl, als ob dir einer mit einer Nadel voll in den zweiten Lendenwirbel sticht?«
»Aua, ja, das kenn ich, das kenn ich gut! Gestern ist mir der zweite Wirbel glatt rausgesprungen. Musste sofort zum Chiropraktiker.«
»Oh! Echt? Zu welchem kriechst du denn?«
»Gestern war ich in einer Praxis am Rhein. Heute weiß ich noch nicht. Mal schauen, was weh tut.«
Ja, ich bin perfekt im Schmerzenhaben. Deshalb suchen meine neuen deutschen Freunde stets meine Nähe. Ich kenne jeden Schmerz. Ich will hier ja nicht angeben, aber tatsächlich bin ich der König der Schmerzen, der Meister aller altersbedingten Verfallserscheinungen! Ich bin John Doyle, der PATIENT unter den Patienten! Selbst meine Bandscheibe redet mit mir.
»Hallo, John, schon wach? Wie wäre es mit einem kleinen Spielchen? Du versuchst aufzustehen, und ich hau dir voll eine rein!«
Das tut sie dann auch, die Bandscheibe. Und meine Frau sagt: »Steh endlich auf, John, stell dich nicht so an!«
Und ich sage: »Ich kann nicht, es tut so höllisch weh!«
Und die Arzthelferin am Telefon sagt: »Wenn es sehr weh tut, dann kommen Sie in drei Wochen vorbei.«
Und mein Sohn sagt: »Ich krieg noch Taschengeld!«
Und dann gehe ich zum Arzt. Aber weil der Orthopäde keine Zeit hat, gehe ich zum Urologen. Oder zum Proktologen. Oder zum Gefäßchirurgen. Egal, helfen tut eh nichts. Am Ende gewinnt immer die Bandscheibe.
Denn die ist die Welt.
Am Anfang war ... das Leiden
Bandscheibe - Musik von Band?
Als ich das erste Mal mit dem Begriff »Bandscheibe« konfrontiert wurde, dachte ich das, was Amerikaner in solchen Situationen immer zuerst denken: What the fuck is a ›Bandscheibe‹? Ich weiß, was eine »Band« (Lautschrift: BÄND) ist, und ich kenne »Scheiben«. Aber was ist eine »Bändscheibe«?
Anfangs dachte ich, das hätte was mit Musik zu tun. Band gleich Musikgruppe, Scheibe gleich Platte oder CD. Und offensichtlich hatten die Deutschen eine Kombination aus bei- dem erfunden. Die ›Bändscheibe‹ - ein spezieller Tonträger nur für Musikgruppen.
Aber nein, Bandscheibe ist etwas im Körper, auch in meinem amerikanischen Body.
Die Deutschen kennen sich natürlich mit so etwas aus, so wie meine Comedy-Kollegen etwa: »Weißt du, was eine Bandscheibe ist?«, frage ich, und alle antworten: »Ja klar, wer nicht?«
Dann traue ich mich nicht weiterzufragen. Wenn ich mich mit Taxifahrern unterhalte, wissen auch sie Bescheid. Oder ich frage einen dreijährigen Jungen auf dem Spielplatz:
»Na, Kleiner, magst du Schokolade?«
Nein, das frage ich natürlich nicht, vielmehr frage ich: »Na, junger Mann, weißt du denn schon, was eine Bandscheibe ist?«, und er antwortet wie aus der ›Bushmaster‹ geschossen: »Ja, klar, du nicht, Onkel?«
Und dann erklärt mir der Zwerg, dass der Mensch 23 Bandscheiben hat, als Scharnier für die 24 Wirbel ...
Es würde mich nicht überraschen, wenn das Wort »Bandscheibe « das erste Wort wäre, das deutsche Kleinkinder vor sich hinplappern. Nicht »Mama«, nicht »Papa« oder »Klimakatastrophe «, sondern »Bandscheibe«.
»Hör mal, Schatz! Ich glaube, unser kleiner Hendrik-Markus hat gerade etwas gesagt. Wahnsinn! Sein erstes Wort. Aber ich habe es nicht genau verstanden. Verstehst du, was er da sagt?«
»Ich glaube, er hat ›Bandscheibe‹ gesagt.«
»Bandscheibe? Wie toll!«
Dicke Ami-Kids sagen so etwas nicht. Ihr erstes Wort ist nicht Bandscheibe, sie sagen ganz normale Sachen. So etwas wie »Mom«, »Dad«, »Wii« oder »X-Box«.
Es gibt mindestens zwei Gründe, warum viele Deutsche so ein riesiges Allgemeinwissen haben, warum sie immer auf dem neuesten Wissensstand sind:
1. Sie schauen »Die Sendung mit der Maus«.
2. Menschen wie Dr. med. Eckart von Hirschhausen, die die Nagetiersendungen ins Abendprogramm transferieren.
So etwas gibt es in Amerika nicht. Da gibt es »SpongeBob« und die »Oprah Winfrey Show«. Ami-Kids und das, was aus ihnen später mal wird, kennen sich mit der Unterwasserwelt minderbemittelter Schwämme aus und wissen - Oprah sei Dank -, wer in Amerika arm ist, wer unschuldig angeschossen wurde und deshalb bald ein neues Haus bekommen wird. Während das durchschnittliche amerikanische Kind bei »SpongeBob« sieht, wie ein Schwamm und eine Garnele Fastfood fressen, erklärt »Die Sendung mit der Maus« dem deutschen Kind, wie ein Kühlschrank mittels FCKW gesundes Essen frisch hält. Oder eben auch, wie eine Bandscheibe funktioniert. Sollte das deutsche Kind es über die Jahre vergessen haben, dann kommt eben 30 Jahre später Dr. Eckart und erklärt es noch einmal. Und alle freuen sich, dass sie ihr Wissen über die Funktion der Bandscheibe wieder auffrischen können.
Jedes Mal, wenn ich die »Sendung mit der Maus« sehe - und das tue ich zur Förderung meiner Integration ständig -, denke ich: ›Mensch, John, wie hilfreich wäre es gewesen, wenn du das gewusst hättest, als die Schmerzen anfingen.‹
Die Sendung mit der Maus hätte mir alles genau erklärt:
»Das ist der John. Der John hat Bandscheiben. Dazu hat er auch noch Wirbel. Lenden-, Brust- und Halswirbel. Die Bandscheiben sitzen zwischen den Wirbeln, damit die nicht aneinanderreiben und dann dem John schrecklich weh tun. Aber Johns Bandscheiben sind nicht in Ordnung. Sie drücken gegen die Nerven, die auch im Rücken sind, und deshalb hat John Rückenschmerzen, und dann macht er ein dummes Gesicht. Der John ist nicht glücklich.«
Tatsächlich habe ich sogar einmal von der »Sendung mit der Maus« geträumt und dass meine Rückenprobleme in der Sendung besprochen wurden. Ein Albtraum mit Maus und Elefant: Im Traum sitze ich vor dem Fernseher mit einer kleinen Tüte Chips »Mexican Style«. Zuerst kommt ein Cartoon. In dem liegt der Elefant auf dem Rücken und kann nicht mehr aufstehen. Die Maus holt einen Luftballon, legt ihn unter den Elefanten und pustet ihn auf. Zack, steht der Elefant wieder. Dann kommt der Filmbeitrag: »Das ist John. John ist Amerikaner. John ist dick. Viele Amerikaner sind dick. Und deshalb ist John auch so dick.« Ich werde kurz wach und denke: What the fuck ...?, dann träume ich weiter: »John hat Bandscheibenprobleme. Seine Rückenwirbel sind ganz steif, seine Bandscheiben sind ganz trocken, und das alles nur, weil er so dick ist.«
Jetzt ist es aber mal gut mit dem dauernden »John ist zu dick«, denke ich, aber schon träume ich die Sendung weiter: »Das hier ist eine gesunde Bandscheibe, und das ist Johns Bandscheibe. Seine sieht so aus, weil er immer faul wie eine fette Sau in der Gegend rumliegt und sich mit Chips vollstopft. «
Mir fallen alle frittierten Kartoffelscheiben aus dem Mund. Für einen Augenblick will ich die Tüte beiseitelegen, aber dann geht der Traum von einer Sendung weiter. Nun hat meine Frau ihren großen Auftritt:
»Das ist Johns Frau Marita. Sie ist nicht so dick wie John. Sie ist Deutsche. Eigentlich sogar Ostdeutsche, die hatten nicht so viel zu essen. Deshalb hat Marita auch keine Probleme mit ihrer Bandscheibe. Sie bewegt sich viel, achtet auf ihr Gewicht und macht sich keinen Stress. Das heißt: Sie versucht, möglichst wenig Kontakt zu John zu haben.
Und das ist Johns und Maritas Sohn Quentin. Quentin hat auch keine Probleme mit der Bandscheibe. Warum? Weil er regelmäßig Sport macht und nicht dick ist - im Gegensatz zu seinem fetten Papa.«
Dann wache ich auf, schweißgebadet. Den Tag verbringe ich bei meinen Lieblingsärzten und höre mir die Erwachsenen- Version von »John ist zu dick«, »John bewegt sich zu wenig« und »John ernährt sich falsch« an. Am Nachmittag folgt die Familienversion: Meine Frau Marita und mein Sohn Quentin - die Vorbildbandscheiben - reden auf mich ein:
»Warst du im Fitnessstudio?«, fragt meine Frau. Bevor ich antworten kann, mischt sich der Pubertierende ein.
»Mama, das fragst du den Dicken doch jeden Tag, und jeden Tag kriegst du dieselbe Antwort.«
Der Dicke hat dann die Schnauze voll und setzt sich mit seiner Chipstüte aufs Sofa. Er schaltet mittels Infrarot- Fernbedienung die Glotze an, und da erscheint ER auf dem Full-HD-Screen: Dr. med. Eckart von Hirschhausen, schlank und rank und mit schickem Halstüchlein. Das mit dem »schlank und rank« bezieht sich auf den Anfang seiner TV-Karriere. Inzwischen - und das weiß ich zu schätzen - trainiert er sich mein Gewichtslevel an. Egal, auf jeden Fall legt er sofort los.
»So, nun kommen wir zum Thema Rücken, genauer: zur Bandscheibe. Schaut mal auf den Monitor da. Was seht ihr da? Genau, das ist der fette John ...«
Wie man durch Sitzen zu Rückenschmerzen kommt
Ein neuer Schmerz ist da. Irgendwo hinten ist er. Dauerhaft, mit kleinen Stichen zwischendurch. Inzwischen kenne ich meine Schmerzen. Jeden einzelnen. Manche sind örtlich begrenzt. Ein eingeklemmter Nerv hier, ein verrutschtes Bandscheibchen da. Mal schmerzt die Hüfte rechts, mal links, dann macht sich wieder der Nacken bemerkbar.
Meine Schmerzen sind alles Individuen mit eigenem Charakter. Manche pieksen und stechen spontan, andere wiederum verteilen sich großflächig, sind nicht so stark wie die Piekser und Stecher, dafür aber konstanter in ihrem Wirken.
Ich hab meinen Schmerzen sogar Namen gegeben. Zum Beispiel heißt mein Nackenschmerz, also der spontan stechende, nicht der permanente, Brenda Lee, wie meine ehemalige Geographie-Lehrerin Brenda Lee Jones. Sie hatte die Eigenart, träumende Schüler mit einem kurzen, aber heftigen Griff in den Nacken in die Realität des Schulalltags zurückzuholen. Diesen Karategriff verstärkte sie mit einem markerschütternden Schrei: »WAKE UP, DOYLE!«
Wie jede vernünftige Lehrerin war Brenda Lee Jones eine Sadistin. Ihr machte es sichtlich Freude, den etwas ungelenken rothaarigen Burschen zu kneifen, und ich gab ihr auch immer wieder Anlass, den Nackenkneifer anzuwenden. Ich bin mir sicher, dass ich ihr Lieblingsschüler war, so viel Freude hatte sie mit mir beziehungsweise meinem Nacken. Nachdem sie mich allerdings einige hundert Male auf diese Weise traktiert hatte, bat ich sie, mich beim nächsten Mal doch bitte woanders zu kneifen. Das Angebot nahm Brenda Lee gerne an, und zum »Nackenkneifer« kamen dann noch der »Unterarm-Hautzwirbler«, der »Zweifach-Rippenstoß« und schließlich als Krönung die von »unten nach oben durchgezogene Kopfnuss«. Aber ganz ehrlich: An den spontanen Schmerz des »Nackenkneifers« kamen ihre anderen Foltermethoden nicht heran. Er war in seiner Intensität unvergleichlich. Deshalb trägt mein spontaner Nackenschmerz nun den Namen »Brenda Lee«.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.
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Autoren-Porträt von John Doyle, Heiko Schäfer
John Doyle, geboren 1963 in New Jersey/USA, tourt mit seinen Bühnenshows seit Jahren erfolgreich durch Deutschland. Doyle ist u.a. häufiger Gast bei »Nightwash«, »TV Total« und »Quatsch Comedy Club«. Die mehrteilige TV-Sendung »I love Deutschland«, die der WDR 2006 ausstrahlte, zeigt Doyles Spurensuche nach dem »echten Deutschen«. Sein erstes Buch »Don´t worry, be German« erschien 2010. Er lebt mit seiner Familie in Köln. John Doyle, geboren 1963 in New Jersey/USA, tourt mit seinen Bühnenshows seit Jahren erfolgreich durch Deutschland. Doyle ist u.a. häufiger Gast bei »Nightwash«, »TV Total« und »Quatsch Comedy Club«. Die mehrteilige TV-Sendung »I love Deutschland«, die der WDR 2006 ausstrahlte, zeigt Doyles Spurensuche nach dem »echten Deutschen«. Sein erstes Buch »Don´t worry, be German« erschien 2010. Er lebt mit seiner Familie in Köln.
Bibliographische Angaben
- Autoren: John Doyle , Heiko Schäfer
- 2013, 3. Aufl., 252 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596196469
- ISBN-13: 9783596196463
- Erscheinungsdatum: 22.10.2013
Rezension zu „Die Welt ist eine Bandscheibe “
Zur schnellen Lektüre mit allerhand Informationen gut geeignet. Martine Freier EKZ Bibliotheksservice 20131216
Pressezitat
Zur schnellen Lektüre mit allerhand Informationen gut geeignet. EKZ Bibliotheksservice 201312
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