Die Zeit der Sternschnuppen
Der Himmel kennt viele Geheimnisse: die wahre Liebesgeschichte von Sonne und Mond, das Rätsel um das Kreuz des Südens oder die mutige Mission einer Sternschnuppe.
Sergio Bambaren, der Millionen Leser mit seinen Büchern berührt, erzählt in diesem...
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Der Himmel kennt viele Geheimnisse: die wahre Liebesgeschichte von Sonne und Mond, das Rätsel um das Kreuz des Südens oder die mutige Mission einer Sternschnuppe.
Sergio Bambaren, der Millionen Leser mit seinen Büchern berührt, erzählt in diesem stimmungsvoll illustrierten Buch, wie eine Nacht im Himalaya sein Leben veränderte.
Ein alter Sherpa weihte ihn in sein Wissen ein - mit den einfachsten Worten, aber der Weisheit des Herzens, die uns lehrt, an Wunder zu glauben.
Der peruanische Autor Sergio Bambaren ist Spezialist für Lebensweisheiten. Er gibt sie in seinen Büchern ("Das weiße Segel", "Der träumende Delphin") weiter und berührt damit die Herzen seiner Leser.
Die Zeit der Sternschnuppen von Sergio Bambaren
LESEPROBE
Prolog
Zu den schönsten Dingen im Leben zählt für mich, nach einemherrlichen abendlichen Ritt auf den Wellen am Strand zu bleiben, zuzusehen,wie die Sonne im Meer versinkt, und dann allein in ehrfürchtigem Schweigen Zeugezu werden, wie eine neue, sternenklare Nacht geboren wird. Wenn die letztengoldenen Strahlen der Sonne den Einbruch der Nacht verkündet haben, sehe ichstaunend zu, wie am Himmel Dutzende, Hunderte, Tausende von funkelndenLichtern erscheinen. Es ist, als bräuchte ich nur die Hand auszustrecken, umsie zu berühren.
Dabei haben wir in unserer wunderbaren Welt derTechnik und des Wissens gelernt, daß all diese blitzenden Lichter, die dieNacht so festlich beleuchten, das Ergebnis gewaltiger thermonuklearerExplosionen sind, schrecklicher Kollisionen, die Millionen von Lichtjahrenentfernt stattfinden, mit einer Energie, die größer ist als die Wirkungsämtlicher Atombomben zusammen.
Seltsame Namen hat die Naturwissenschaft ihnengegeben: Weißer Zwerg, Roter Riese, Schwarze Löcher ...
Was sollen wir nun glauben? Haben die nacktenTatsachen den romantischen Zauber zerstört, der einst von den funkelndenSternen und Sternbildern ausging? Ist es uns jetzt für immer verboten, zumHimmel hinaufzusehen und zu träumen?
Ich glaube nicht. Denn was immer ich auch inwissenschaftlichen Zeitschriften oder Berichten über neue Entdeckungen lese, indenen die Wunder des Firmaments auf sachliche Weise erklärt werden - mein Herzsagt mir, daß sie aus einem bestimmten Grund dort hingesetzt wurden: damit wirvon Zauberwelten träumen, von den Wundern, die jeden Tag überall um uns herumgeschehen.
Und nicht zuletzt, damit wir aus Geschichten lernen,die unser Leben verändern können, Geschichten von Menschen und anderen Wesenaus weit entfernten Regionen ...
Kapitel 1
Vor einigen Jahren habe ich ein Kloster besucht, hoch in denBergen des Himalaya. Es war ein schwieriger Aufstieg gewesen. Er hatte dreisengend heiße Tage mit eiskalten Nächten gedauert, und wir hatten all unsereKräfte aufbieten müssen, um auf den Berggipfel zu gelangen, auf dem das Klosterlag. Und jetzt waren wir da, jetzt standen wir vor den Toren des Tempels.
»Wir haben den Berg bezwungen!« sagte ich zu Chandra,dem alten Sherpa.
»Den Berg bezwingt man nie. Man bezwingt nur sichselbst«, erwiderte er.
Chandra sagte, es sei eine gute Nacht, um vor denToren der Stadt zu kampieren, und so beschlossen wir, unser Lager vor demKloster aufzuschlagen und am nächsten Tag zu den Mönchen zu gehen. Wir stelltenunsere Zelte auf, und als die Luft sich sehr schnell abkühlte, machten wir einFeuer und setzten uns darum herum. Ich kochte mir Kaffee, während die Sherpasin ihren Umhängen aus Yakleder an ihrem heißen Tee nippten, bevor sie sich zurRuhe begaben.
In jener Nacht strahlte ein Vollmond am Himmel undwarf sein schimmerndes Licht auf den Tempel, der auf rätselhafte Weise in derLuft zu schweben schien, zwischen Himmel und Erde.
»Was für ein herrlicher Mond!« sagte ich. »Schau nur,wie golden er leuchtet. Als ob er aus Feuer wäre.«
»Er sieht heute sehr verführerisch aus«, antworteteChandra. »Er wartet auf den Moment, in dem er die Sonne trifft und ihr seineLiebe zeigen kann.«
»Wie meinst du das?« fragte ich.
»Kennst du denn die Geschichte von Sonne und Mondnicht?« fragte er.
»Na ja, da, wo ich herkomme, hat man mich gelehrt,daß die Sonne nach dem Urknall durch eine große thermonukleare Explosionentstanden ist und daß der gewaltige Feuerball anfangs kosmischen Staub ins Allgeschleudert hat, aus dem sich dann die Planeten gebildet haben.«
»Und der Mond?« fragte Chandra.
»Hm, wenn ich mich richtig erinnere, ist der Mondentstanden, nachdem ein riesiger Asteroid auf die Erde geprallt ist und ein großesStück herausgeschlagen hat, und aus dieser durchs All fliegenden Materie wurdeschließlich der Mond.«
»Das ist es, was sie dir erzählt haben? ThermonukleareExplosionen, Asteroiden, der Urknall?«
»Ja«, sagte ich.
Chandra trank einen Schluck grünen Tee und sah dannzum Vollmond hinauf.
»Als ich klein war, hat mir der Priester des Tempelseine andere Geschichte über die Erschaffung von Sonne und Mond erzählt. EineGeschichte von wahrer und ewiger Liebe.«
»Aber daran glaubst du doch nicht, oder?« fragteich.
»Doch«, sagte er. »Und nachdem ich dich von Urknall,Asteroiden und kosmischer Materie habe reden hören, erst recht. Aber ichrespektiere deinen Glauben. Gute Nacht.« Er trank seinen Tee aus und decktesich mit dem Leder zu, um sich gegen die Kälte der Nacht zu schützen.
Ich starrte lange ins Feuer. Es war genauso goldenwie der Mond.
Ich konnte nicht schlafen. Ich mußte Chandra wecken.
»Chandra? Chandra?«
»Was ist denn, mein Freund?«
»Bist du noch wach?«
»Na ja, jetzt bin ich es«, sagte er.
»Chandra ...?«
»Ja?«
»Kannst du mir die Geschichte von Sonne und Monderzählen, die du als Kind gehört hast?«
Er lächelte. »Ich wußte, du würdest mich das früheroder später fragen, aber ich hätte nicht gedacht, daß es schon so bald sein würde.«Er setzte sich hin und starrte in den Himmel.
»Das liegt am Ort«, sagte er schließlich.
»Am Ort?«
»Ja«, sagte er. »Wenn man hier draußen in den Bergenschläft, unter all den Sternen und dem Mond, hat man das Gefühl, daß allesmöglich ist. Weit weg von der Gesellschaft öffnet unsere Seele sich für diewahren Wunder der Welt, und vieles, was zu sein scheint, ist nicht mehr.«
Er nahm den heißen Kessel vom Feuer, schenkte sichTee ein und trank einen Schluck. Dann füllte er eine zweite Tasse und gab siemir.
»Bist du bereit, die wahre Geschichte von Sonne undMond und ihrer Erschaffung zu hören?«
»Ja.«
»Gut«, sagte er. »Dann schließ die Augen, und hör gutzu.« Er kam herüber und setzte sich neben mich.
Die wahre Geschichte von Sonne und Mond
Vor vielen tausend Jahren, lange bevor die Großeltern meinerGroßeltern geboren wurden, lange bevor die Fische und die Vögel unbehelligt durchdie Meere und die Lüfte zogen, lange bevor es die Meere gab, ja bevor die Erdeerschaffen wurde, war die Sonne das einzige, was existierte. Vor ihr hatte esnichts gegeben, zumindest nicht in diesem Teil des Alls.
Die Sonne war stark und kam sich sehr weise vor. Siehielt sich für sehr mächtig und glaubte, nichts könne mit ihrer Machtkonkurrieren. Aber zugleich war der Sonne klar, daß sie ewig leben würde, undbei all ihrer Stärke und all ihrem Stolz merkte sie doch, sie würde bis in alleEwigkeit allein sein. Anfangs machte ihr das nichts weiter aus, doch währendTausende und Abertausende von Jahren vergingen, schwand ihr Stolz allmählichdahin. Sie wußte immer noch, daß sie das mächtigste Wesen am Himmel war, dochsie begann etwas zu empfinden, was sie noch nie empfunden hatte. Zum erstenmalseit dem Beginn aller Zeiten fühlte die Sonne sich einsam. Und diese Einsamkeitbereitete ihr einen Schmerz, den sie noch nie verspürt hatte. Es war das ersteMal, daß die Sonne begriff, wie wenig ihre Kraft, ihre Wärme und ihre Energiewert waren, wenn sie diese nur dazu benutzen konnte, ihren Stolz zu nähren.
Anfangs versuchte die Sonne das Gefühl von Einsamkeitzu überwinden, doch je mehr sie dagegen ankämpfte, desto stärker wurde es. DieSonne wußte nicht, daß sie auch ein Herz hatte und daß sie früher oder späterbegreifen würde, daß dieses Herz sie auf die wunderbarste Reise schicken würde,die es gab: die Reise der Liebe.
Noch viele Jahre lang kämpfte die Sonne gegen diesesGefühl an, das sie so traurig machte, so einsam. Aber es kam die Zeit, da siedie furchtbare Last der Gewißheit, ewig so einsam weiterzuleben, nicht mehrertragen konnte.
Eines Nachts flog ein Komet dicht an der Sonnevorbei. Als er näher kam, grüßte er die Sonne.
»Hallo, Sonne«, sagte er.
»Wer bist du?«
»Ich bin ein Komet.«
»Ein Komet?« fragte die Sonne.
»Ja. Ich reise nun schon lange durch das ganze Allund bestaune voller Ehrfurcht all die wunderbaren Werke, die überall im Kosmosverstreut sind.«
»Aber sicher hast du noch nie etwas gesehen, das sostark und mächtig ist wie ich!« sagte die Sonne.
Der Komet lächelte. Er wollte die Sonne nichtverletzen, darum sagte er nicht, daß er andere Sonnen gesehen hatte, dietausendmal größer und stärker waren als sie.
»Nein, so etwas habe ich noch nie gesehen«,bestätigte er.
»Natürlich nicht«, sagte die Sonne. »Denn niemand istso mächtig wie ich.«
»Und so einsam ...«
Die Sonne sah den Kometen an. »Wie meinst du das?«
»Du weißt genau, was ich meine«, sagte er. »An der Farbedeiner Glut kann ich sehen, daß du nur aus Stolz die Leere leugnest, dielangsam, aber sicher dein Herz auffrißt. Du solltest etwas dagegen tun.«
»Ich brauche nichts! Nicht einmal dich!« sagte dieSonne. »Ich habe alles, was ich brauche.« Die Farbe der Sonne ging von blaßgelbin ein leuchtendes Rot über.
»Natürlich, Sonne«, antwortete der Komet. »Tja, dannwerde ich dich nicht weiter stören und meine Reise fortsetzen. War nett, dichkennenzulernen. Ich hoffe, wir sehen uns wieder, wenn ich in ein paar MillionenJahren erneut vorbeikomme. Bis dann.«
»Bis dann«, sagte die Sonne. Aber plötzlich wurdeihr klar, was das bedeutete: wieder ein paar Millionen Jahre allein! Was würdesie in dieser Zeit tun? Sie wußte, sie war die mächtigste von allen, aber würdesie die Einsamkeit nochmals so lange ertragen?
»Halt, warte mal!« rief sie dem Kometen nach.
Der Komet hielt an. »Was ist denn, Sonne?« fragte er.
»Ich weiß nicht, warum«, sagte sie, »aber mir istgerade klargeworden, daß es unerträglich wäre, so lange allein zu sein. Waskann ich dagegen tun?«
»Du fühlst dich einsam?«
»Na ja, manchmal schon.«
Der Komet starrte die Sonne an, und trotz der großenHitze und all dem Licht spürte der Komet die Traurigkeit, die das Gestirnumgab.
»Sonne?«
»Ja?«
»Auf meinen Reisen durch das All habe ich schonandere Sonnen gesehen, so wie du, die von Planeten umgeben sind. Sie sind soetwas wie ihre Kinder.«
»Planeten? Was ist ein Planet?«
»Nun, es scheint, daß diese Sonnen an einembestimmten Punkt in ihrem ewigen Leben - manche waren jünger, manche schonälter als du - zu dem Schluß gekommen sind, daß die Einsamkeit und die Stille,in der sie bis dahin gelebt haben, unerträglich sind und sie lieber etwas vonihrer Stärke und Macht abgeben, um Planeten zu erschaffen und nie mehr einsamzu sein. Aber das hat seinen Preis.«
»Was für einen Preis?«
»Nun, um Planeten zu erschaffen, brauchst du so vielKraft, daß du nicht mehr ewig leben kannst. Nur noch ein paar Milliarden Jahre.Mehr nicht.«
Die Sonne schwieg. Sie dachte nach. »Was hat meineKraft für einen Sinn, wenn ich sie nicht mit anderen teilen kann?«
Der Komet lächelte. »Genau«, sagte er.
»Aber wie mache ich das?« fragte die Sonne.
»Was?«
»Planeten erschaffen.«
»Das wirst du schon wissen, wenn es soweit ist«,sagte der Komet. »Jetzt muß ich weiter.« Und er schoß davon. Dabei zog ereinen silbernen Schweif hinter sich her, der Tausende von Kilometern lang warund so strahlend hell und schön, daß die Sonne nur voll Ehrfurcht staunenkonnte, was der kleine Komet hinterließ.
© Piper Verlag
Übersetzung: Clara Lind
- Autor: Sergio Bambaren
- 2016, 11. Aufl., 152 Seiten, 10 farbige Abbildungen, Maße: 18,4 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Clara Lind
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 349224825X
- ISBN-13: 9783492248259
- Erscheinungsdatum: 23.10.2006
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