Die Zigarette
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Die Zigarettevon CristinaPeri Rossi
LESEPROBE
ANYBODYGOT A MATCH?
Kurioserweise wurde im neunzehntenJahrhundert vor Erfindung des Kinos das Zigarettenrauchen als weibischangesehen. Echte Männer rauchten Zigarren; die Dandys, die Schönlinge und die HomosexuellenZigaretten. Aber das Kino wurde zu ihrem größten Werbemedium: Alleamerikanischen und europäischen Schauspieler rauchten auf der Leinwand. DasKino verbreitete in aller Welt die Bilder von blonden, Tabak rauchendenCowboys, Verführern, Gangstern, Polizisten, Politikern, Geschäftsleuten,Gouverneuren, Sträflingen, Familienvätern, Bettlern und der einen oder anderenFrau. Den Anfang machte Rodolfo Valentino, unter den Seufzern seinerzahlreichen Bewunderinnen, und es folgten Humphrey Bogart in Der versteinerte Wald und Haben und nicht Haben nebeneiner sehr verführerischen Lauren Bacall, die mit rauchiger, sinnlicher Stimmefragte: »Anybody got a match?« Es rauchten Orson Welles in CitizanKane, Tony Curtis und Jack Lemmon in Manchemögen's heiß, Louis Jourdan in Gigi, Dustin Hoffman in Reifeprüfung, Marlon Brando in Endstation Sehnsucht oder in Der Pate, James Dean und Rock Hudson in Giants, VittorioGassmann in Diebe haben's schwer, Marcello Mastroianni in DolceVita, Jean Gabin in Hafen im Nebel,Paul Newman und Robert Redford in Der Clou, Jean-Paul Belmondo in Atemlos, John Waynein Hatari,Alain Delon in Der Samurai von Paris, Dirk Bogarde in Der Nachtportier, Sean Connery in der JamesBond Saga und viele mehr.
Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sichdie gesellschaftliche Haltung zu dem Verhältnis Frau und Zigarette, ebenfallsdurch das Kino. 1918 spielte eine für ihre Schönheit und Sinnlichkeit berühmteSchauspielerin, Pola Negri, die Rolle der Carmen. Sie schaute nach unten, dieHaarsträhne im Gesicht, die Augenbrauen tiefschwarz, ein Kreuz auf der Brust,die Fäuste in die Hüfte gestützt und eine Zigarette im rechten Mundwinkel.Sie vermittelte das Bild der sinnlichen Zigeunerin, die nach Nietzsche dentragischen Geist verkörpert, der die romantische Essenz der Liebe ist.
»Das Rauchen und das Küssen - schreibtdie Schriftstellerin Carmen Posadas in einem Artikel in der Zeitschrift Fotogramas - haben wir alle durch die Kinofilmegelernt, denn lange bevor wir unsere erste richtige Lucky Strike ä la JamesDean oder eine Sobrani á la Audrey Hepburn anzündeten, hatten wir schon hinterverschlossenen Türen vor dem Spiegel geübt. >Willst du Feuer, Puppe?< Undeine unsichtbare Hand führte ein unsichtbares Streichholz an unsereimprovisierte aus einem Papierröhrchen bestehende Zigarette. >Danke, Süßer,wie heißt du?< Ich heiße James Dean, Cary Grant oder am besten (meinrauchender Lieblingsheld): Ich heiße Clint Eastwood und kaue mitzusammengepreßten Kiefern auf Mecarillos herum, die Lider fast geschlossen,damit mich die Helligkeit der Wüste von Arizona nicht blendet. >Und wieheißt du, Puppe?< Ich heiße Marlene, Ingrid oder wahrscheinlich LaurenBacall, denn niemand verstand so zu rauchen wie sie, und so wollte ich sein,wenn ich größer war. Aus dieser Anfangszeit habe ich noch einen leichtwiderwilligen Ausdruck beim Abschütteln der Asche bewahrt und die verrückteIdee, roten Lippenstift zu benutzen, um auf den Filtern meiner Zigaretten dieSpur des Vamps zu hinterlassen, der ich nie war.«
Die Tabakindustrie wußte, daß das KinoLeitbilder schuf, die die jungen Leute imitierten, so daß sie einem Bericht derAmerican Lung Association inSacramento, Kalifornien, zufolge jahrelang Hunderte unter HollywoodsSchauspielern und Schauspielerinnen »köderten«. Eine kürzlich veröffentlichteStudie zeigt, daß die Tabakunternehmen jahrelang zweihundert Stars gratis mitTabak versorgten, darunter Liv Ullmann, Shelley Winters und Randolph Scott.Wenn man die Schauspieler köderte, konnte man sichergehen, daß der Tabak inden Filmen auftauchte. Sie hüllten die härtesten und zynischsten Kerle und dieschönsten und verführerischsten Schauspielerinnen der Leinwand in einen Nebelaus Zigarettenrauch. Ein Schauspieler, der 1987 an einem Lungentumor starb, YulBrunner, widmete die letzte Zeit seines Lebens dem Kampf gegen die Zigarette.»Die Mehrzahl der starken positiven Bilder der Zigarette und des Rauchenswurden durch das Kino und das Fernsehen geschaffen«, erklärt Kurt McKennson, Autorder zitierten Studie. Die Szenen, in denen die Schauspieler rauchten,verstärkten die Gewohnheit bei den Zuschauern und verbreiteten dieVorstellung, das Rauchen sei ein Symbol für Rebellion, sexuelle Anziehungskraftund Reichtum.
Die Zigarettenmarken tauchten auch invielen Kinderfilmen auf wie Falsches Spiel mit Roger Rabbit ausdem Jahr 1988, wo man ein Werbeplakat von Lucky Strikesehen kann, oder Superman aus dem Jahr 1978, wo Louise Lane, gespielt vonMargot Kidder, Marlboro raucht; in Superman II, 1980, taucht die Marke zwanzigmal auf.
In dem Zeitraum von 1990 bis 1995 sahman laut einem Bericht der US-amerikanischen Antitabak-Gesellschaft in derHälfte der in den USA gezeigten Filme einen Schauspieler oder eineSchauspielerin rauchen. Später verpflichteten sich die Unternehmen in einem1998 von zwanzig Bundesstaaten und der Tabakindustrie unterzeichneten Vertrag,den Schauspielern kein Geld mehr dafür zu zahlen, daß sie die Produkte in ihrenFilmen verwendeten. Eine Studie der Universität Chicago belegt, daß in densiebziger und achtzigerJahren besonders viel in die Kino-Promotion investiert wurde. Der UnternehmerKori Titu hat zugegeben, daß die Leinwandkampagnen zur Förderung des Rauchensbereits in den vierziger Jahren anfingen.
Dieses Phänomen kann man auch in derLiteratur beobachten. Auch die Helden und Heldinnen in den Romanen rauchenschon seit langem. Für die Romanciers, die das Konzept der Neuen Frau imviktorianischen England propagierten, waren rauchen und schreiben untrennbarmiteinander verbunden. Ich bin weder Engländerin noch Viktorianerin, aber dieseVerbindung kam auch zu mir, denn als ich davon träumte, Schriftstellerin zuwerden, sah ich mich selbst auch immer rauchen und schreiben. Raymond Chandlersagte, man könne einen Mann daran erkennen, wie er die Zigaretten anzündet oderausdrückt, wie er sie zwischen den Lippen hält oder an der Art, wie er sie imAschenbecher malträtiert. Albert Camus, Hemingway, William Faulkner, Jean-PaulSartre, Julio Cortäzar ließen sich nicht nur mit Zigarette fotografieren,sondern auch die Protagonisten ihrer Romane und Erzählungen rauchen andauernd.
Die Frauen der amerikanischen undeuropäischen Mittelschicht waren die letzten, die in der Öffentlichkeitrauchten, deswegen hatte ich vor 1951 keine gesehen. Für diese Frauen warRauchen etwas vage Erotisches, mit Sexualität Verbundenes. Im europäischen undamerikanischen Kino rauchten als erstes die Verdorbenenund die Vamps. So wie Humphrey Bogart einunwiderstehlicher Raucher in fast all seinen Filmen war, so wurde Marlene Dietrich zur femme fatale mit der Zigarette in derHand. Marlene schien mit dem ganzen Körper zurauchen, die Zigarette war eine Verlängerung ihrerHand. In Shanghai Express kam der Rauch ungestüm und sinnlich ausihren bebenden Nasenflügeln und entzündete die Leidenschaft der an ihrer Seite seltsam schwach wirkendenMänner, Opfer einer tödlichen Faszination. In DerTeufel ist eine Frau von ihremLehrmeister und Freund Josef von Sternberg spielt Marlene eine Spanierinnamens Conchita Perez - hätte man einen besseren Namen finden können? - einekokette femme fatale, die in einer Zigarettenfabrik in Sevillaarbeitet. Am Ende des Films, auf einem Bahnhof, der die Endstation ihresVerfalls repräsentiert, bittet sie den Vorsteher um eine Zigarette, und dieserweiß, daß es die berühmte letzte ist. Marlene schaut ihn entrückt an und sagt:»Weißt du, ich habe mal in einer Zigarettenfabrik gearbeitet.« Ihre Art zurauchen war eines der verführerischen erotischen Attribute, ebenso wie ihreWimpern oder ihre endlos langen Beine. Wenn sie um eine Zigarette bat oder sieanzündete, waren die Männer völlig durcheinander: Bei Marlene schien dasZigarettenanzünden immer für etwas anderes zu stehen.
© Berenberg
Übersetzung: Sabine Giersberg
- Autor: Cristina Peri-Rossi
- 2004, 2. Aufl., 168 Seiten, Maße: 16,7 x 23,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Sabine Giersberg
- Verlag: Berenberg Verlag GmbH
- ISBN-10: 393783401X
- ISBN-13: 9783937834016
- Erscheinungsdatum: 04.09.2004
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