Drachen Trilogie Band 1: Die Mächte des Feuers
Roman
Seit Jahrhunderten werden die Geschicke der Welt in Wahrheit von übermächtigen Wesen gelenkt: den Drachen. Sie entfachen politische Konflikte, stürzen Könige und treiben Staaten in den Krieg. Doch nun schlagen die Menschen zurück. Im Jahr 1925 untersucht...
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Produktinformationen zu „Drachen Trilogie Band 1: Die Mächte des Feuers “
Seit Jahrhunderten werden die Geschicke der Welt in Wahrheit von übermächtigen Wesen gelenkt: den Drachen. Sie entfachen politische Konflikte, stürzen Könige und treiben Staaten in den Krieg. Doch nun schlagen die Menschen zurück. Im Jahr 1925 untersucht die Drachentöterin Silena eine Reihe mysteriöser Todesfälle. Immer neue geheimnisvolle Gegenspieler und Verbündete erscheinen. Silena wird in einen uralten magischen Konflikt verstrickt. Stecken Drachen dahinter, oder muss sie sich einem ganz anderen Gegner stellen? Eine unheimliche Rolle scheinen die Gargoyles zu spielen, jene dämonischen Steinfiguren an alten Kirchen und Gemäuern.
"Fantasy und Horror in einem feurig fesselnden Gemisch."
Bild am Sonntag
Klappentext zu „Drachen Trilogie Band 1: Die Mächte des Feuers “
Seit Jahrhunderten werden die Geschicke der Welt in Wahrheit von übermächtigen Wesen gelenkt: den Drachen. Sie entfachen politische Konflikte, stürzen Könige und treiben Staaten in den Krieg. Doch nun schlagen die Menschen zurück ... Im Jahr 1925 untersucht die Drachentöterin Silena eine Reihe mysteriöser Todesfälle. Immer neue geheimnisvolle Gegenspieler und Verbündete erscheinen. Silena wird in einen uralten magischen Konflikt verstrickt. Stecken Drachen dahinter, oder muss sie sich einem ganz anderen Gegner stellen? Eine unheimliche Rolle scheinen die Gargoyles zu spielen, jene dämonischen Stein figuren an alten Kirchen und Gemäuern ...Mehr dazu unter: www.die-maechte-des-feuers.de
Lese-Probe zu „Drachen Trilogie Band 1: Die Mächte des Feuers “
Prolog: Kontinent Ulldart, Königreich Borasgotan, neue Hauptstadt Donbajarsk, Frühling im Jahr 2 Ulldrael des Gerechten (461 n.S.)Da kommt sie, die Usurpatorin aus Tarpol." Hariol, ein Mann von beinahe fünfzig Jahren, spähte durch den schmalen Spalt zwischen den fast geschlossenen Fensterläden. Unter ihm lag der glitzernde Repol, der in Donbajarsk nicht breiter als vier Speerlängen war und erst im Verlauf seiner Reise durch das Land an Breite und Mächtigkeit gewann, bis er zu einem gewaltigen Gewässer anschwoll.
Der warme Wind wehte den Geruch von frischem Backwerk und zarten, knospenden Frühlingsblüten in den Raum; die Gedanken der Versammelten hingegen waren weitaus weniger lebensfroh: Sie kreisten ausschließlich um den Tod.
Hariol sah die vier großen Prunkbarken flussaufwärts zur Anlegestelle am Großmarkt staken; auf den Brücken standen zahllose Bewohner und winkten Kabcara Norina zu. Er hob den rechten Arm und gab den hinter ihm wartenden fünf Männern und der Frau das erste Zeichen.
Sie trugen allesamt leichte Lederharnische und an ihren Schultern das Wappen Borasgotans; auf den Köpfen saßen geschlossene, einfache Helme aus mattiertem Eisen, die sowohl als Schutz in einem möglichen Gefecht als auch dazu dienten, ihre Gesichter unkenntlich zu machen. Sie reichten sich die Hände, schworen der fremden Kabcara noch einmal Verderben.
"Wir sind die Augen des Volkes", besiegelte Pujlka, die einzige Kämpferin unter ihnen, ihre Worte. "Wir wachen über unser Land."
"Seht sie euch an, die Verräter", murmelte Hariol hasserfüllt hinter seinem Visier. Seine Wut richtete sich gegen die jubelnden Menschen. "Man sollte sie ebenfalls umbringen. Wie schnell sie unsere Herrscherin Elenja vergessen haben." Er ließ die Barken nicht aus den Augen. "Haltet euch bereit. Noch geschätzte elf Speerlängen, dann sind sie genau vor uns. Die Kabcara ist auf der zweiten Barke, ihr müsst nicht einmal weit springen, um auf das Boot zu gelangen." Er zog sein Schwert. "Für die
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Freiheit unseres Landes!", rief er, und seine Mitstreiter stimmten ein.
Die Barken näherten sich langsam.
Die Herrscherin aus Tarpol drehte sich um und wandte sich den Jubelnden am Ufer sowie denen zu, die aus den Fenstern heraus winkten, dann grüßte sie die Menschen auf den Brücken.
Hariol gestand ihr zu, dass sie in dem schlichten dunkelbraunen Kleid gut aussah. Sie wirkte freundlich, die langen schwarzen Haare hatte sie hochgesteckt und mit goldenen Ranken geschmückt; es war das einzige Geschmeide an ihr.
Die Usurpatorin gab sich bescheiden, doch Hariol wusste es besser. Auf den borasgotanischen Thron gehörte eine Borasgotanerin, und alle Lügen, die in den letzten Wochen über Elenja verbreitet worden waren, änderten an seiner Ansicht nichts.
Hariol vermutete hinter den sich überschlagenden Ereignissen die Ränke aus Ulldarts Süden. Norina war eine Vertraute des dicken ilfaritischen Königs, der seine feisten Finger in zu vielen Töpfen hatte und sich in Dinge einmischte, die ihn nichts angingen. Wie zum Beispiel die Belange Borasgotans. Hariols Heimat durfte nicht zu einer heimlichen Kolonie von Ilfaris werden.
Die Barken waren noch sieben Speerlängen von ihnen entfernt.
"Gleich ist es so weit. Kommt zu mir", sagte er angespannt und stellte den rechten Fuß auf den Schemel, von dem er sich abdrücken wollte, um zu springen. Er musterte noch einmal die jubelnde Menge. "Armselige Verräter", murmelte er erneut. "Leere Versprechungen und ein hübsches Gesicht genügen, um euch zu täuschen." Hariol schaute zur ersten Barke, und dabei streifte sein Blick das Haus gegenüber: Seine Fensterläden waren ebenfalls bis auf eine winzige Lücke zugezogen.
"Wenigstens einer, der sie ebenso missachtet", bemerkte er, versöhnter mit den Städtern. Dann glaubte er in der Dunkelheit des Raumes gegenüber etwas aufblitzen zu sehen, und im nächsten Augenblick erhielt er einen Schlag gegen die Stirn. Seine Gedanken erloschen, die Welt verschwand in Schwärze.
Pujlka hörte den Einschlag, als der Pfeil mit einem metallischen Laut in den Helm fuhr, durch den Schädel jagte und aus Hariols Hinterkopf austrat. Das Geschoss besaß derart viel Wucht, dass es sich dem hinter Hariol stehenden Mann durchs Visier hindurch ins Gesicht bohrte. Es zertrümmerte Eisen und Knochen und perforierte sogar die Stirn eines dritten Mannes. Das zweite und dritte Opfer wurden durch den blutverschmierten Pfeil verbunden; gemeinsam stürzten sie auf die Dielen.
"Was..." Pujlka duckte sich rechtzeitig, um dem nächsten Angriff zu entgehen. Dieses Mal durchbrach das Geschoss den hölzernen Laden, traf den vierten Verschwörer am Hals und verletzte ihn schwer; leicht abgebremst setzte der Pfeil seinen Weg fort und tötete einen weiteren Krieger, indem er ihm durch die Rüstung ins Herz fuhr. Rot sprühte das Blut aus der Kehle und benetzte Pujlkas Rücken, während sie hastig zum Ausgang kroch.
"Fort", rief sie dem letzten Verschwörer zu. "Wir sind verraten worden."
Der Mann drehte sich zu ihr, machte zwei Schritte nach vorn und wollte sich ebenfalls auf den Boden werfen, da erwischte es ihn: Der Pfeil kam exakt durch das Loch gesirrt, welches das zweite Geschoss hinterlassen hatte - und schien den Mann verfehlt zu haben.
Er langte sich an den Hals und versuchte, das heraussprudelnde Blut aufzuhalten, doch der Strom intensivierte sich und quoll unaufhörlich durch die Finger. Keuchend und gurgelnd brach er zusammen, die Hand fiel kraftlos herab.
Pujlka sah, dass der Hals zu mehr als zwei Dritteln waagrecht aufgeschlitzt worden war, der Pfeil selbst steckte im Türrahmen, der stählerne Schaft zitterte leicht. Sie erkannte eine sichelmondförmige Spitze.
Hastig robbte sie hinaus und kroch die Stufen hinunter, bis sie sich sicher war, dass sie aufstehen und weglaufen konnte, ohne von einem weiteren tödlichen Geschoss getroffen zu werden. Pujlkas Verstand rang um Fassung, sie sah die toten Freunde auf dem Boden liegen und zwang sich dennoch, weiter an ihrem Vorhaben festzuhalten. Jetzt musste die Kabcara erst recht sterben, schon allein um Rache zu üben.
Wer sie verraten hatte, wusste sie nicht. Sie hätte niemals geglaubt, dass es einen Spitzel unter ihnen geben könnte, daher war sie entsprechend erschrocken und verwirrt durch die Geschehnisse. Nicht zuletzt spürte sie große Angst.
Pujlka zog den Helm ab, sodass ihre kurzen braunen Haare
zum Vorschein kamen, schleuderte die blutige Rüstung von sich und wurde zu einer gewöhnlichen Bewohnerin Donbajarsks. Das Schwert verbarg sie unter ihrem Mantel.
Sie zwang sich zur Ruhe und lenkte ihre Schritte zum Marktplatz, wo sie einen zweiten Anlauf unternehmen wollte, Elenja und ihre Freunde zu rächen. Aber vielleicht durfte sie sich ihren Versuch ja sparen, und die anderen Verschwörer unter Achnovs Leitung besaßen den Beistand der Götter.
Pujlka blieb zuversichtlich, den borasgotanischen Thron verteidigen zu können, während sie sich durch die Menge schlängelte. Ganz wurde sie ihre Angst jedoch nicht los.
Norina freute sich unglaublich über den überschwänglichen Empfang, den sie so nicht erwartet hatte. Donbajarsks Brücken waren geschmückt, die Menschen winkten und jubelten.
Sie lächelte. Wäre Waljakov mitgekommen, hätte er aus Furcht vor Anschlägen jede einzelne Brücke sperren lassen. Doch Perdórs Spione hatten die Bedenken des Leibwächters zerstreut, der auf ihre Anordnung mit Stoiko im fernen Ulsar geblieben war. Donbajarsk galt nicht als Hochburg der Elenja-Anhänger, deren Zahl ohnehin verschwindend gering war. Als Herrscherin durfte sie keine Furcht zeigen, und ein Durcheinander im führungslosen Borasgotan musste vermieden werden, bis sich das Land aus eigener Kraft regieren konnte. Je schneller dies geschah, umso besser.
"Wir haben siebenundneunzig Brücken, hochwohlgeborene Kabcara", sagte Gouverneur Rystin, der neben ihr in seiner schmucken, hellgrauen Uniform stand und den Reiseführer gab. Er war um die fünfzig Jahre und trug einen kurzen, schwarzen Bart; eine alte Narbe über dem linken Auge war das ewige Andenken an eine Schlacht, die vor langer Zeit geschlagen worden war. Perdór hielt ihn für einen ehrlichen Mann, der sich um die Menschen kümmerte anstatt um seine Reichtümer. Und so hatte sich Krutors Empfehlung, Donbajarsk zur neuen Hauptstadt zu machen, als exzellent erwiesen.
Auf ihrer Barke befanden sich die Stadtoberen und jede Menge Gardisten, die zum einen repräsentierten und zum anderen auf sie achtgaben. Norina verzichtete auch nicht auf eigene Leibwächter, die Waljakovs Schule durchlaufen hatten. Rystin seufzte zufrieden und sah zu den geschmückten Brücken. "Dabei sind die kleinen Überwege nicht eingerechnet. Alle sind zu Eurem Eintreffen beflaggt worden."
"Ich danke Euch nochmals, Gouverneur", erwiderte Norina mit einem Lächeln. Er hatte es ihr vor lauter Stolz bereits zum dritten Mal berichtet. Sie winkte den Menschen zu und ließ sich nicht anmerken, dass sie trotz aller Sicherheitsmaßnahmen Sorge in ihrem Herzen trug.
Die Vergangenheit hatte ihr gezeigt, dass es stets Personen gab, die Böses wollten. Stets.
So galten ihre Blicke nicht allein den vielen fröhlichen Menschen, sondern auch der eigenen Sicherheit; lediglich eine Gefahr schloss sie gänzlich aus: Elenja. Sie wurde von Lodrik gehetzt, weit weg von Donbajarsk und auf hoher See zwischen Rundopâl und Rogogard.
Rystin hob den Arm und deutete auf den Hügel, auf dem sich der Palast mit seinen vier Türmchen erhob. Er war nach der Tradition Borasgotans beinahe vollständig aus dunklem Holz erbaut worden; die Schnitzarbeiten hatten die Handwerker sicherlich über Jahre ihres Lebens beschäftigt gehalten. Blattgold und Silberbeschläge blinkten im Sonnenschein, Fahnen flatterten in einer sanften Brise. "Da oben werdet Ihr residieren, hochwohlgeborene Kabcara, über der Quelle des Repol. Wir haben den Palast im Innern umgestalten lassen, damit Ihr Euch mindestens so wohl fühlt wie in Ulsar."
Norina sah zu einem Fenster, dessen Laden vor und zurück pendelte und in dem ein faustgroßes Loch prangte; die Ränder sahen zersplittert aus, als wäre etwas von außen hindurchgeflogen. Sie schauderte. Es wäre der ideale Ort, um einen Anschlag auszuführen. Ohne dass sie sich zu wehren vermochte, klopfte ihr Herz schneller. Die Erinnerung an die Geschehnisse in Amskwa und die Furcht, die Zvatochna ihr eingeflößt hatte, waren noch zu frisch, zu gegenwärtig. Sie lagen wie grau gefärbtes Glas über allem.
Rystin bemerkte ihren Blick. "Sorgt Euch nicht, hochwohlgeborene Kabcara", meinte er. "Es droht keinerlei Gefahr. Das Einzige, was mich ärgert, ist, dass meine Anweisung, sämtliche Häuser für Eure Ankunft instand setzen zu lassen, nicht befolgt wurde. Dieser Bewohner wird noch von mir hören." Er musterte das Loch genauer. "Das sieht freilich merkwürdig aus." Rystin betrachtete die gegenüberliegende Fensterfront und beugte sich nach hinten, um seinen Begleitern Anweisungen zu geben. "Ich lasse das prüfen, hochwohlgeborene Kabcara."
Norina winkte zur anderen Uferseite. "Lasst ihn nur in Frieden, werter Gouverneur, ich bitte Euch. So wie es aussieht, ist der Laden noch nicht lange beschädigt. Er wird keine Zeit mehr dazu gehabt haben, ihn herzurichten." Sie sah ihn lächelnd an, die braunen Augen wirkten beschwichtigend. "Sendet ihm lieber ein paar Münzen, damit er das Geld hat, die Reparatur erledigen zu lassen. Richtet ihm meine besten Wünsche aus."
Rystin schaute sie verblüfft an, dann verneigte er sich. "Ihr seid so weise, wie man es mir berichtet hat, hoheitliche Kabcara." Dann wies er seine Leute an, die Umgebung noch genauer zu beobachten.
Norina hob den Arm und grüßte, obwohl ihre Schulter bereits schmerzte. Das Winken gehörte eben zu den Pflichten einer Herrscherin, vor allem wenn sie sich die Herzen ihrer Untertanen erst noch erobern musste. Bei erobern dachte sie ohne zu wollen an Gefechte, und ihre Augen zuckten für einen winzigen Moment zum schwingenden Laden hinauf. Ihr wurde erneut bewusst, wie leicht es ein Attentäter hatte. Waljakovs mahnendes Gesicht erschien vor ihr.
Der Palast wurde größer und größer und versprach ihr sicheren Schutz. Erst wenn sie sich hinter seinen Toren befand, würde sie sich wohler fühlen.
Dennoch überwog die Erleichterung, dass es keine Anzeichen für einen Anschlag gab. Sie wunderte sich, was ein pendelnder, beschädigter Fensterladen bei ihr auslöste. Manches Mal ist ein Fensterladen einfach nur ein Fensterladen, dachte sie und winkte weiter.
Achnov stand auf der Brücke, auf welche die Barken zusteuerten, und blickte hinauf zum Fensterladen, der vor und zurück schwang. Er trug die schlichte Kleidung eines einfachen Bauern: ein langes weißes Hemd, das über die hellbraune Hose hing; an den Füßen steckten flache Schuhe. Im wahren Leben war er Treidler, und das hatte ihm über die Jahre eine kräftige Statur eingebracht. Ein heller Bart bedeckte sein Gesicht, das lange Haar war zum Pferdeschwanz gebunden. Wo steckt er? Hariol zeigte sich nicht, und der passende Zeitpunkt, um in das Schiff der Herrscherin zu springen, verstrich mehr und mehr.
Achnov befand sich nicht allein auf der Brücke, sondern stand umgeben von zahlreichen Männern, Frauen und Kindern, die Norina willkommen heißen wollten. Er beabsichtigte genau das Gegenteil davon, und seine drei Begleiter, die in einfacher Kleidung verteilt um ihn herum warteten, würden ihn dabei unterstützen.
"Ich verstehe das nicht", raunte Lovoc, der neben ihm lauerte, und schaute absichtlich auf den Repol, um die Aufmerksamkeit nicht auf das Fenster zu lenken. Der Blonde war im Gegensatz zu Achnov jung, ein Mann vom Land und ein leidenschaftlicher Nationalist. Die anderen Verschwörer waren Städter, teilweise von untadligem Ruf und hoch angesehen. Lovoc warf einen raschen Blick auf das Haus, wo sich noch immer nichts tat. "Es wäre..."
"Ich weiß", unterbrach Achnov ihn missmutig. "Für so feige hätte ich ihn nicht gehalten. Hat seine Krämerseele letztlich doch über die Liebe zu Borasgotan gesiegt."
Lovoc schnaubte, die Rechte ballte sich zur Faust. "Was nun?"
Er sah zu den Barken, klatschte leidlich begeistert und dachte fieberhaft nach. "Hier ist zu wenig Platz", entschied er. "Sag den anderen, dass wir uns auf der großen Pelzbrücke treffen. Sie sollen die Wappen offen tragen, damit alle sehen, dass wir aufrechte Patrioten sind und keine gedungenen Attentäter." Achnov löste sich vom Geländer. "Beeilt euch. Wir müssen vor den Booten dort sein."
Lovoc nickte und eilte davon, so gut es in der Masse ging. Achnov schlug die andere Richtung ein und zwängte sich durch die Neugierigen. Dabei schaute er mehrmals nach dem Fenster, doch von Hariol fehlte jede Spur. "Feigling", murmelte er erneut. Beim nächsten Treffen würde er den Ausschluss des Kaufmanns fordern, Geld hin oder her.
Entschlossen schob er sich vorwärts. Es durfte nicht sein, dass die Frau Kabcara von Borasgotan wurde. An das Märchen einer vorübergehenden Lösung, bis sich ein borasgotanischer Adliger gefunden hatte, um den Thron einzunehmen, glaubte er nicht, denn wenn sie erst einmal die Macht erlangt hatte, würde sie diese niemals mehr abgeben.
Die Erzählungen über die finsteren Pläne und angeblichen Verbrechen von Elenja betrachtete er als schiere Lügen. Leider befand er sich zusammen mit einer Handvoll Getreuen in der Minderheit, denn etliche fielen auf die Lügen herein.
Seiner Ansicht nach saß Elenja an einem geheimen Ort gefangen oder war bereits ermordet worden, damit die Tarpolerin freie Bahn hatte. Er würde die Augen seiner Landsleute mit Gewalt öffnen, und das begann damit, dass er die Thronbesetzung verhinderte.
Achnov hatte den Aufgang zur Pelzbrücke erreicht.
Sie wurde deswegen so genannt, weil Donbajarsks Kürschner sie gestiftet hatten; die farbigen Steine waren so angeordnet worden, dass sie das hellgrün gefleckte Fellkleid eines Serin-Rens nachempfanden; aus größerer Entfernung entstand der Eindruck, sie bestünde in der Tat aus dem kostbaren Pelz. Heute hingen Fahnen wie lange Vorhänge herab und schmückten sie zusätzlich; auf dem Geländer waren Vorrichtungen für ein Feuerwerk montiert worden.
Allerdings lief das normale Leben an dieser Stelle trotz der Ankunft der fremden Thronräuberin weiter. Fuhrwerke rollten auf beiden Seiten entlang, Vieh wurde vorwärtsgetrieben und machte die Wege auf der Brücke zu einem unfeierlichen Ort. Die Händlergilde hatte darauf gedrängt, das Geschäft nicht zu unterbrechen.
Achnov schlenderte hinauf. Es gab nicht mehr als zwei Dutzend Schaulustiger, die sich gegen die kopfhohe Brüstung drückten. Sie hatten sich Kisten und Schemel mitgebracht, damit sie überhaupt über die Mauer schauen konnten.
Er näherte sich ihnen und stellte sich neben eine Frau, die einen Korb mit losen Blütenblättern in der Armbeuge hielt. Ein sanfter, bunter Regen sollte auf die Fremde niedergehen. Nicht weit von ihnen entfernt standen zwei gerüstete Gardisten, welche mit argwöhnischen Blicken über die Zuschauer wachten. Achnov nickte den Männern zu und sah auf den Repol.
Die Barken befanden sich etwa dreißig Speerlängen von ihm entfernt.
Wenn ihr erstes Vorhaben scheiterte, wartete ein nicht ungefährlicher Sprung von drei Schritt in die Tiefe auf ihn. Hatte er diesen unverletzt überstanden, stand ihm der Kampf gegen die Leibgarde der Besatzerin bevor.
Neben ihm erschien Lovoc, er hielt ebenfalls einen Korb in der Hand, in dem Blüten lagen; sie dufteten herrlich. In seinem Mundwinkel klemmte eine rauchende Pfeife. "Die anderen stehen links von uns", wisperte er dem Anführer zu und schob die Blätter ein wenig zur Seite. Darunter kamen faustgroße, eiserne Handbomben zum Vorschein. Sicherlich waren sie ebenso verboten wie der Einsatz von Feuerwaffen; aber es war auch verboten, eine Kabcara zu töten. Von daher spielte der Einsatz von höchst ungesetzlichen Mitteln keine Rolle.
"Sie sind sicher?", vergewisserte sich Achnov und zog seine eigene Pfeife aus einem kleinen Beutel an seinem Gürtel. Sodann stopfte er sie und entzündete sie, indem er sich mit der Messerspitze glimmenden Tabak aus Lovocs Pfeife nahm.
"Ja. Wir haben eine davon gezündet, und sie ging hoch, wie sie sollte. Von den Barken und den Menschen darauf wird nichts bleiben." Der Verschwörer paffte schneller, um die Glut am Leben zu erhalten. Sie wurde benötigt, um die Lunten der Handbomben zu zünden. Achnov und Lovoc rauchten und warteten. "Schujew und Chosopov kümmern sich um die Stadtwachen."
"Hervorragend." Achnov genoss die anregende Wirkung des Tabaks und beobachtete die Barken durch den weißlich-blauen Dunst. Seine Aufregung stieg, er wippte mit dem Fuß.
Keine elf Speerlängen mehr, und ihr Anschlag würde seinen Lauf nehmen.
"Bereithalten", raunte er und langte in den Korb, warf eine Ladung Blütenblätter und hieß die Kabcara zum Schein mit lautem Rufen willkommen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich Schujew und Chosopov den Wächtern näherten. Kurz darauf sanken die Gerüsteten erstochen zu Boden; mit einer heimtückischen Attacke gegen sich hatten sie nicht gerechnet. Kurzerhand wurden sie auf einen vorbeifahrenden Wagen geworfen.
Achnov atmete erleichtert auf: Keiner der Jubelnden bemerkte etwas, sie starrten johlend auf den Fluss und die Boote.
Etwas zischte knapp an seinem Gesicht vorbei, er spürte den Luftzug und eine leichte Berührung an seiner Wange. Es krachte und splitterte neben ihm, Lovoc ächzte auf.
"Was hast du getan?" Achnov sah zu seinem Begleiter und erschrak. Ein langer Pfeilschaft ragte aus dessen Mund, die Pfeife lag in viele Teile zersprengt auf den Steinen; einzelne glimmende Tabakfäden hatten sich auf dem Mantel des Mannes verfangen und versengten den Stoff.
Lovoc packte noch den Pfeilschaft, als wolle er ihn aus dem Fleisch ziehen - und brach tot zusammen. Der Korb fiel zu Boden, und unter den Blütenblättern rollten die Handbomben heraus.
Noch immer merkten die Neugierigen neben ihm nichts. Sie hielten ihre Aufmerksamkeit vollends auf die Kabcara gerichtet und gerieten beim ungewohnten Anblick eines gekrönten Hauptes in Verzückung. Das wiederum brachte den Verschwörern genügend Ablenkung.
"Verflucht!" Achnov bückte sich nach den Sprengkörpern und raffte sie an sich; währenddessen erklangen von der anderen Seite der Brücke laute Schreie, und er erkannte die Stimmen seiner Freunde. Der für ihn unsichtbare Bogenschütze hatte anscheinend seine Mitverschwörer unter Beschuss genommen.
Achnov lehnte sich mit eingezogenem Kopf an die Mauer, paffte hektisch und versuchte, die erste Lunte im Pfeifenkopf
zu entzünden. Ein Fuhrwerk ratterte an ihm vorbei, und er erbleichte: Daran hing Schujew! Pfeile in Kopf, Brust und Schultern hatten ihn an die Seitenwand genagelt. Das Blut rann aus den Wunden an den Schuhen hinab und malte eine rote Linie auf die Straße.
Zischend zündete die Lunte. Achnov musste aus seiner Deckung gelangen, um nach den Barken zu sehen.
Die erste befand sich unmittelbar unter ihm, die zweite konnte er mit einem halbwegs guten Wurf erreichen.
Er holte aus und schleuderte die Handbombe - als sie eine Haarlänge von seinen Fingern entfernt von einem entgegenkommenden Geschoss getroffen wurde. Es durchbohrte den Sprengkörper, flog weiter und perforierte seinen Handteller. Ein heißer Schmerz fuhr durch seinen Arm.
Der schwere Pfeil besaß so viel Wucht, dass es Achnov nach hinten riss und er auf die Brücke fiel. Sein Kopf traf auf die Steine, er war für einige Lidschläge benommen.
Er vernahm, wie das Feuerwerk in Gang gesetzt wurde, als wäre nichts geschehen. Die Folter in seiner Hand war immens, und als er endlich wieder klar sah, blickte er auf die Handbombe, die durch den Pfeil mit seinem Fleisch verbunden war.
Die kurze Lunte sprühte noch immer.
"Nein!", schrie er entsetzt. Während er den Pfeil herausreißen wollte, wanderte der entscheidende Funke in die Zündkammer und brachte sie zur Explosion.
Pujlka eilte am Aufgang der Pelzbrücke vorbei, als das Feuerwerk begann.
Es rumpelte und krachte, bunte Explosionen verzierten den klaren Himmel mit Leuchten und Qualmwolken; dann erklang eine lautere Detonation, die ihrem Empfinden nach nicht recht in die bisherigen Geräusche passte, und gleich darauf prasselten kleine, blutige Fleischstückchen um Pujlka nieder.
Sie wusste, was es bedeutete.
"Hat denn keiner der Götter ein Einsehen mit uns?", klagte
sie, als ihr Blick auf den vorbeiholpernden Wagen fiel, an dem
der Leichnam Schujews hing, eines ihrer Mitverschwörer. Die schwarzen Pfeilschäfte, die als Nägel dienten, kannte sie zu gut.
"Bei Ulldrael", keuchte sie und duckte sich, bog in eine Seitengasse ab und torkelte mehr als sie lief. Der Schreck und die Fassungslosigkeit fuhren ihr in die Beine. Die Spione des ilfaritischen Fettsacks hatten ganze Arbeit geleistet und sie auffliegen lassen. Anscheinend gab es keinerlei Geheimnisse mehr.
Pujlka verharrte und kümmerte sich nicht darum, dass sie mit beiden Füßen in der stinkenden Gosse stand. In ihr wuchs die Überzeugung, nicht mehr lebend aus Donbajarsk herauszukommen. Ja, sie würde nicht einmal den Fuß auf den Großmarkt setzen können, ohne von den Bogenschützen erkannt und erledigt zu werden! Ihr Leben war verwirkt...
Ihr Herz pochte rasend, sie sank voller Verzweiflung an der Hauswand herab, während die Menschen lachend vorübereilten, um die Kabcara zu sehen, Hochrufe für eine Besatzerin auf den Lippen. Pjulka senkte den Blick und starrte auf die Hosenbeine und Rocksäume. Spritzwasser traf sie.
Irgendwann wurden es weniger Menschen, bis sie den Eindruck hatte, ganz allein in der Gasse zu sein.
"Reiß dich zusammen, Pujlka", sagte sie zu sich selbst und zwang sich auf die Beine. Sie atmete tief ein und aus, lauschte. Den Rufen nach befand sich die Usurpatorin auf dem Großmarkt.
"Jetzt oder nie", sagte sie leise und machte sich auf den Weg. "Ich muss meinen Auftrag erfüllen."
Ein Mann in einem dunkelbraunen Umhang zeigte sich ihr am Ende der Gasse; der Kopf wurde von einer Kapuze verborgen. In der Linken hielt er einen übergroßen Bogen, in der Rechten einen langschaftigen Pfeil mit schwarzen Federn daran.
Pujlka blieb nicht stehen, sondern rannte auf den Unbekannten zu und zog ihr Schwert. Es war Wahnsinn, doch eine andere Möglichkeit hatte sie nicht. Ihr Schicksal war der Tod, der sie lieber durch einen Pfeil als durch den Strang ereilen sollte.
Der Schütze legte den Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen mit einer ruckartigen, kraftvollen Bewegung; enorm muskulöse, lederbandgeschützte Unterarme kamen zum Vorschein. Die Kapuze bewegte sich leicht, und goldene Ohrringe leuchteten in der Dunkelheit auf. Das Gesicht jedoch blieb noch immer durch die Schatten verborgen.
Ein Blinzeln später ging das Geschoss mit der merkwürdigen Spitze auf seine kurze Reise.
Pujlka wurde an der Stirn getroffen, und ihre Kraft wich auf der Stelle. Die Finger ließen das Schwert los, es landete klirrend auf dem Pflaster. Sie brach zusammen und überschlug sich mehrmals, rollte um die eigene Achse und kam in der Gosse zum Erliegen.
Als die Stadtwache herbeieilte, fanden sie eine bewusstlose, gefesselte Frau, um deren Hals ein Band mit einem Brief befestigt war; einen Fingerbreit über der Nasenwurzel zeichnete sich ein münzgroßer, dunkelroter Fleck ab.
Auf dem Umschlag standen in geschwungener, klarer Schrift die Worte An die hochwohlgeborene Kabcara Norina zu lesen.
Darunter hatte der Absender notiert: Ergebenst, Hetrál.
Die Barken näherten sich langsam.
Die Herrscherin aus Tarpol drehte sich um und wandte sich den Jubelnden am Ufer sowie denen zu, die aus den Fenstern heraus winkten, dann grüßte sie die Menschen auf den Brücken.
Hariol gestand ihr zu, dass sie in dem schlichten dunkelbraunen Kleid gut aussah. Sie wirkte freundlich, die langen schwarzen Haare hatte sie hochgesteckt und mit goldenen Ranken geschmückt; es war das einzige Geschmeide an ihr.
Die Usurpatorin gab sich bescheiden, doch Hariol wusste es besser. Auf den borasgotanischen Thron gehörte eine Borasgotanerin, und alle Lügen, die in den letzten Wochen über Elenja verbreitet worden waren, änderten an seiner Ansicht nichts.
Hariol vermutete hinter den sich überschlagenden Ereignissen die Ränke aus Ulldarts Süden. Norina war eine Vertraute des dicken ilfaritischen Königs, der seine feisten Finger in zu vielen Töpfen hatte und sich in Dinge einmischte, die ihn nichts angingen. Wie zum Beispiel die Belange Borasgotans. Hariols Heimat durfte nicht zu einer heimlichen Kolonie von Ilfaris werden.
Die Barken waren noch sieben Speerlängen von ihnen entfernt.
"Gleich ist es so weit. Kommt zu mir", sagte er angespannt und stellte den rechten Fuß auf den Schemel, von dem er sich abdrücken wollte, um zu springen. Er musterte noch einmal die jubelnde Menge. "Armselige Verräter", murmelte er erneut. "Leere Versprechungen und ein hübsches Gesicht genügen, um euch zu täuschen." Hariol schaute zur ersten Barke, und dabei streifte sein Blick das Haus gegenüber: Seine Fensterläden waren ebenfalls bis auf eine winzige Lücke zugezogen.
"Wenigstens einer, der sie ebenso missachtet", bemerkte er, versöhnter mit den Städtern. Dann glaubte er in der Dunkelheit des Raumes gegenüber etwas aufblitzen zu sehen, und im nächsten Augenblick erhielt er einen Schlag gegen die Stirn. Seine Gedanken erloschen, die Welt verschwand in Schwärze.
Pujlka hörte den Einschlag, als der Pfeil mit einem metallischen Laut in den Helm fuhr, durch den Schädel jagte und aus Hariols Hinterkopf austrat. Das Geschoss besaß derart viel Wucht, dass es sich dem hinter Hariol stehenden Mann durchs Visier hindurch ins Gesicht bohrte. Es zertrümmerte Eisen und Knochen und perforierte sogar die Stirn eines dritten Mannes. Das zweite und dritte Opfer wurden durch den blutverschmierten Pfeil verbunden; gemeinsam stürzten sie auf die Dielen.
"Was..." Pujlka duckte sich rechtzeitig, um dem nächsten Angriff zu entgehen. Dieses Mal durchbrach das Geschoss den hölzernen Laden, traf den vierten Verschwörer am Hals und verletzte ihn schwer; leicht abgebremst setzte der Pfeil seinen Weg fort und tötete einen weiteren Krieger, indem er ihm durch die Rüstung ins Herz fuhr. Rot sprühte das Blut aus der Kehle und benetzte Pujlkas Rücken, während sie hastig zum Ausgang kroch.
"Fort", rief sie dem letzten Verschwörer zu. "Wir sind verraten worden."
Der Mann drehte sich zu ihr, machte zwei Schritte nach vorn und wollte sich ebenfalls auf den Boden werfen, da erwischte es ihn: Der Pfeil kam exakt durch das Loch gesirrt, welches das zweite Geschoss hinterlassen hatte - und schien den Mann verfehlt zu haben.
Er langte sich an den Hals und versuchte, das heraussprudelnde Blut aufzuhalten, doch der Strom intensivierte sich und quoll unaufhörlich durch die Finger. Keuchend und gurgelnd brach er zusammen, die Hand fiel kraftlos herab.
Pujlka sah, dass der Hals zu mehr als zwei Dritteln waagrecht aufgeschlitzt worden war, der Pfeil selbst steckte im Türrahmen, der stählerne Schaft zitterte leicht. Sie erkannte eine sichelmondförmige Spitze.
Hastig robbte sie hinaus und kroch die Stufen hinunter, bis sie sich sicher war, dass sie aufstehen und weglaufen konnte, ohne von einem weiteren tödlichen Geschoss getroffen zu werden. Pujlkas Verstand rang um Fassung, sie sah die toten Freunde auf dem Boden liegen und zwang sich dennoch, weiter an ihrem Vorhaben festzuhalten. Jetzt musste die Kabcara erst recht sterben, schon allein um Rache zu üben.
Wer sie verraten hatte, wusste sie nicht. Sie hätte niemals geglaubt, dass es einen Spitzel unter ihnen geben könnte, daher war sie entsprechend erschrocken und verwirrt durch die Geschehnisse. Nicht zuletzt spürte sie große Angst.
Pujlka zog den Helm ab, sodass ihre kurzen braunen Haare
zum Vorschein kamen, schleuderte die blutige Rüstung von sich und wurde zu einer gewöhnlichen Bewohnerin Donbajarsks. Das Schwert verbarg sie unter ihrem Mantel.
Sie zwang sich zur Ruhe und lenkte ihre Schritte zum Marktplatz, wo sie einen zweiten Anlauf unternehmen wollte, Elenja und ihre Freunde zu rächen. Aber vielleicht durfte sie sich ihren Versuch ja sparen, und die anderen Verschwörer unter Achnovs Leitung besaßen den Beistand der Götter.
Pujlka blieb zuversichtlich, den borasgotanischen Thron verteidigen zu können, während sie sich durch die Menge schlängelte. Ganz wurde sie ihre Angst jedoch nicht los.
Norina freute sich unglaublich über den überschwänglichen Empfang, den sie so nicht erwartet hatte. Donbajarsks Brücken waren geschmückt, die Menschen winkten und jubelten.
Sie lächelte. Wäre Waljakov mitgekommen, hätte er aus Furcht vor Anschlägen jede einzelne Brücke sperren lassen. Doch Perdórs Spione hatten die Bedenken des Leibwächters zerstreut, der auf ihre Anordnung mit Stoiko im fernen Ulsar geblieben war. Donbajarsk galt nicht als Hochburg der Elenja-Anhänger, deren Zahl ohnehin verschwindend gering war. Als Herrscherin durfte sie keine Furcht zeigen, und ein Durcheinander im führungslosen Borasgotan musste vermieden werden, bis sich das Land aus eigener Kraft regieren konnte. Je schneller dies geschah, umso besser.
"Wir haben siebenundneunzig Brücken, hochwohlgeborene Kabcara", sagte Gouverneur Rystin, der neben ihr in seiner schmucken, hellgrauen Uniform stand und den Reiseführer gab. Er war um die fünfzig Jahre und trug einen kurzen, schwarzen Bart; eine alte Narbe über dem linken Auge war das ewige Andenken an eine Schlacht, die vor langer Zeit geschlagen worden war. Perdór hielt ihn für einen ehrlichen Mann, der sich um die Menschen kümmerte anstatt um seine Reichtümer. Und so hatte sich Krutors Empfehlung, Donbajarsk zur neuen Hauptstadt zu machen, als exzellent erwiesen.
Auf ihrer Barke befanden sich die Stadtoberen und jede Menge Gardisten, die zum einen repräsentierten und zum anderen auf sie achtgaben. Norina verzichtete auch nicht auf eigene Leibwächter, die Waljakovs Schule durchlaufen hatten. Rystin seufzte zufrieden und sah zu den geschmückten Brücken. "Dabei sind die kleinen Überwege nicht eingerechnet. Alle sind zu Eurem Eintreffen beflaggt worden."
"Ich danke Euch nochmals, Gouverneur", erwiderte Norina mit einem Lächeln. Er hatte es ihr vor lauter Stolz bereits zum dritten Mal berichtet. Sie winkte den Menschen zu und ließ sich nicht anmerken, dass sie trotz aller Sicherheitsmaßnahmen Sorge in ihrem Herzen trug.
Die Vergangenheit hatte ihr gezeigt, dass es stets Personen gab, die Böses wollten. Stets.
So galten ihre Blicke nicht allein den vielen fröhlichen Menschen, sondern auch der eigenen Sicherheit; lediglich eine Gefahr schloss sie gänzlich aus: Elenja. Sie wurde von Lodrik gehetzt, weit weg von Donbajarsk und auf hoher See zwischen Rundopâl und Rogogard.
Rystin hob den Arm und deutete auf den Hügel, auf dem sich der Palast mit seinen vier Türmchen erhob. Er war nach der Tradition Borasgotans beinahe vollständig aus dunklem Holz erbaut worden; die Schnitzarbeiten hatten die Handwerker sicherlich über Jahre ihres Lebens beschäftigt gehalten. Blattgold und Silberbeschläge blinkten im Sonnenschein, Fahnen flatterten in einer sanften Brise. "Da oben werdet Ihr residieren, hochwohlgeborene Kabcara, über der Quelle des Repol. Wir haben den Palast im Innern umgestalten lassen, damit Ihr Euch mindestens so wohl fühlt wie in Ulsar."
Norina sah zu einem Fenster, dessen Laden vor und zurück pendelte und in dem ein faustgroßes Loch prangte; die Ränder sahen zersplittert aus, als wäre etwas von außen hindurchgeflogen. Sie schauderte. Es wäre der ideale Ort, um einen Anschlag auszuführen. Ohne dass sie sich zu wehren vermochte, klopfte ihr Herz schneller. Die Erinnerung an die Geschehnisse in Amskwa und die Furcht, die Zvatochna ihr eingeflößt hatte, waren noch zu frisch, zu gegenwärtig. Sie lagen wie grau gefärbtes Glas über allem.
Rystin bemerkte ihren Blick. "Sorgt Euch nicht, hochwohlgeborene Kabcara", meinte er. "Es droht keinerlei Gefahr. Das Einzige, was mich ärgert, ist, dass meine Anweisung, sämtliche Häuser für Eure Ankunft instand setzen zu lassen, nicht befolgt wurde. Dieser Bewohner wird noch von mir hören." Er musterte das Loch genauer. "Das sieht freilich merkwürdig aus." Rystin betrachtete die gegenüberliegende Fensterfront und beugte sich nach hinten, um seinen Begleitern Anweisungen zu geben. "Ich lasse das prüfen, hochwohlgeborene Kabcara."
Norina winkte zur anderen Uferseite. "Lasst ihn nur in Frieden, werter Gouverneur, ich bitte Euch. So wie es aussieht, ist der Laden noch nicht lange beschädigt. Er wird keine Zeit mehr dazu gehabt haben, ihn herzurichten." Sie sah ihn lächelnd an, die braunen Augen wirkten beschwichtigend. "Sendet ihm lieber ein paar Münzen, damit er das Geld hat, die Reparatur erledigen zu lassen. Richtet ihm meine besten Wünsche aus."
Rystin schaute sie verblüfft an, dann verneigte er sich. "Ihr seid so weise, wie man es mir berichtet hat, hoheitliche Kabcara." Dann wies er seine Leute an, die Umgebung noch genauer zu beobachten.
Norina hob den Arm und grüßte, obwohl ihre Schulter bereits schmerzte. Das Winken gehörte eben zu den Pflichten einer Herrscherin, vor allem wenn sie sich die Herzen ihrer Untertanen erst noch erobern musste. Bei erobern dachte sie ohne zu wollen an Gefechte, und ihre Augen zuckten für einen winzigen Moment zum schwingenden Laden hinauf. Ihr wurde erneut bewusst, wie leicht es ein Attentäter hatte. Waljakovs mahnendes Gesicht erschien vor ihr.
Der Palast wurde größer und größer und versprach ihr sicheren Schutz. Erst wenn sie sich hinter seinen Toren befand, würde sie sich wohler fühlen.
Dennoch überwog die Erleichterung, dass es keine Anzeichen für einen Anschlag gab. Sie wunderte sich, was ein pendelnder, beschädigter Fensterladen bei ihr auslöste. Manches Mal ist ein Fensterladen einfach nur ein Fensterladen, dachte sie und winkte weiter.
Achnov stand auf der Brücke, auf welche die Barken zusteuerten, und blickte hinauf zum Fensterladen, der vor und zurück schwang. Er trug die schlichte Kleidung eines einfachen Bauern: ein langes weißes Hemd, das über die hellbraune Hose hing; an den Füßen steckten flache Schuhe. Im wahren Leben war er Treidler, und das hatte ihm über die Jahre eine kräftige Statur eingebracht. Ein heller Bart bedeckte sein Gesicht, das lange Haar war zum Pferdeschwanz gebunden. Wo steckt er? Hariol zeigte sich nicht, und der passende Zeitpunkt, um in das Schiff der Herrscherin zu springen, verstrich mehr und mehr.
Achnov befand sich nicht allein auf der Brücke, sondern stand umgeben von zahlreichen Männern, Frauen und Kindern, die Norina willkommen heißen wollten. Er beabsichtigte genau das Gegenteil davon, und seine drei Begleiter, die in einfacher Kleidung verteilt um ihn herum warteten, würden ihn dabei unterstützen.
"Ich verstehe das nicht", raunte Lovoc, der neben ihm lauerte, und schaute absichtlich auf den Repol, um die Aufmerksamkeit nicht auf das Fenster zu lenken. Der Blonde war im Gegensatz zu Achnov jung, ein Mann vom Land und ein leidenschaftlicher Nationalist. Die anderen Verschwörer waren Städter, teilweise von untadligem Ruf und hoch angesehen. Lovoc warf einen raschen Blick auf das Haus, wo sich noch immer nichts tat. "Es wäre..."
"Ich weiß", unterbrach Achnov ihn missmutig. "Für so feige hätte ich ihn nicht gehalten. Hat seine Krämerseele letztlich doch über die Liebe zu Borasgotan gesiegt."
Lovoc schnaubte, die Rechte ballte sich zur Faust. "Was nun?"
Er sah zu den Barken, klatschte leidlich begeistert und dachte fieberhaft nach. "Hier ist zu wenig Platz", entschied er. "Sag den anderen, dass wir uns auf der großen Pelzbrücke treffen. Sie sollen die Wappen offen tragen, damit alle sehen, dass wir aufrechte Patrioten sind und keine gedungenen Attentäter." Achnov löste sich vom Geländer. "Beeilt euch. Wir müssen vor den Booten dort sein."
Lovoc nickte und eilte davon, so gut es in der Masse ging. Achnov schlug die andere Richtung ein und zwängte sich durch die Neugierigen. Dabei schaute er mehrmals nach dem Fenster, doch von Hariol fehlte jede Spur. "Feigling", murmelte er erneut. Beim nächsten Treffen würde er den Ausschluss des Kaufmanns fordern, Geld hin oder her.
Entschlossen schob er sich vorwärts. Es durfte nicht sein, dass die Frau Kabcara von Borasgotan wurde. An das Märchen einer vorübergehenden Lösung, bis sich ein borasgotanischer Adliger gefunden hatte, um den Thron einzunehmen, glaubte er nicht, denn wenn sie erst einmal die Macht erlangt hatte, würde sie diese niemals mehr abgeben.
Die Erzählungen über die finsteren Pläne und angeblichen Verbrechen von Elenja betrachtete er als schiere Lügen. Leider befand er sich zusammen mit einer Handvoll Getreuen in der Minderheit, denn etliche fielen auf die Lügen herein.
Seiner Ansicht nach saß Elenja an einem geheimen Ort gefangen oder war bereits ermordet worden, damit die Tarpolerin freie Bahn hatte. Er würde die Augen seiner Landsleute mit Gewalt öffnen, und das begann damit, dass er die Thronbesetzung verhinderte.
Achnov hatte den Aufgang zur Pelzbrücke erreicht.
Sie wurde deswegen so genannt, weil Donbajarsks Kürschner sie gestiftet hatten; die farbigen Steine waren so angeordnet worden, dass sie das hellgrün gefleckte Fellkleid eines Serin-Rens nachempfanden; aus größerer Entfernung entstand der Eindruck, sie bestünde in der Tat aus dem kostbaren Pelz. Heute hingen Fahnen wie lange Vorhänge herab und schmückten sie zusätzlich; auf dem Geländer waren Vorrichtungen für ein Feuerwerk montiert worden.
Allerdings lief das normale Leben an dieser Stelle trotz der Ankunft der fremden Thronräuberin weiter. Fuhrwerke rollten auf beiden Seiten entlang, Vieh wurde vorwärtsgetrieben und machte die Wege auf der Brücke zu einem unfeierlichen Ort. Die Händlergilde hatte darauf gedrängt, das Geschäft nicht zu unterbrechen.
Achnov schlenderte hinauf. Es gab nicht mehr als zwei Dutzend Schaulustiger, die sich gegen die kopfhohe Brüstung drückten. Sie hatten sich Kisten und Schemel mitgebracht, damit sie überhaupt über die Mauer schauen konnten.
Er näherte sich ihnen und stellte sich neben eine Frau, die einen Korb mit losen Blütenblättern in der Armbeuge hielt. Ein sanfter, bunter Regen sollte auf die Fremde niedergehen. Nicht weit von ihnen entfernt standen zwei gerüstete Gardisten, welche mit argwöhnischen Blicken über die Zuschauer wachten. Achnov nickte den Männern zu und sah auf den Repol.
Die Barken befanden sich etwa dreißig Speerlängen von ihm entfernt.
Wenn ihr erstes Vorhaben scheiterte, wartete ein nicht ungefährlicher Sprung von drei Schritt in die Tiefe auf ihn. Hatte er diesen unverletzt überstanden, stand ihm der Kampf gegen die Leibgarde der Besatzerin bevor.
Neben ihm erschien Lovoc, er hielt ebenfalls einen Korb in der Hand, in dem Blüten lagen; sie dufteten herrlich. In seinem Mundwinkel klemmte eine rauchende Pfeife. "Die anderen stehen links von uns", wisperte er dem Anführer zu und schob die Blätter ein wenig zur Seite. Darunter kamen faustgroße, eiserne Handbomben zum Vorschein. Sicherlich waren sie ebenso verboten wie der Einsatz von Feuerwaffen; aber es war auch verboten, eine Kabcara zu töten. Von daher spielte der Einsatz von höchst ungesetzlichen Mitteln keine Rolle.
"Sie sind sicher?", vergewisserte sich Achnov und zog seine eigene Pfeife aus einem kleinen Beutel an seinem Gürtel. Sodann stopfte er sie und entzündete sie, indem er sich mit der Messerspitze glimmenden Tabak aus Lovocs Pfeife nahm.
"Ja. Wir haben eine davon gezündet, und sie ging hoch, wie sie sollte. Von den Barken und den Menschen darauf wird nichts bleiben." Der Verschwörer paffte schneller, um die Glut am Leben zu erhalten. Sie wurde benötigt, um die Lunten der Handbomben zu zünden. Achnov und Lovoc rauchten und warteten. "Schujew und Chosopov kümmern sich um die Stadtwachen."
"Hervorragend." Achnov genoss die anregende Wirkung des Tabaks und beobachtete die Barken durch den weißlich-blauen Dunst. Seine Aufregung stieg, er wippte mit dem Fuß.
Keine elf Speerlängen mehr, und ihr Anschlag würde seinen Lauf nehmen.
"Bereithalten", raunte er und langte in den Korb, warf eine Ladung Blütenblätter und hieß die Kabcara zum Schein mit lautem Rufen willkommen. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich Schujew und Chosopov den Wächtern näherten. Kurz darauf sanken die Gerüsteten erstochen zu Boden; mit einer heimtückischen Attacke gegen sich hatten sie nicht gerechnet. Kurzerhand wurden sie auf einen vorbeifahrenden Wagen geworfen.
Achnov atmete erleichtert auf: Keiner der Jubelnden bemerkte etwas, sie starrten johlend auf den Fluss und die Boote.
Etwas zischte knapp an seinem Gesicht vorbei, er spürte den Luftzug und eine leichte Berührung an seiner Wange. Es krachte und splitterte neben ihm, Lovoc ächzte auf.
"Was hast du getan?" Achnov sah zu seinem Begleiter und erschrak. Ein langer Pfeilschaft ragte aus dessen Mund, die Pfeife lag in viele Teile zersprengt auf den Steinen; einzelne glimmende Tabakfäden hatten sich auf dem Mantel des Mannes verfangen und versengten den Stoff.
Lovoc packte noch den Pfeilschaft, als wolle er ihn aus dem Fleisch ziehen - und brach tot zusammen. Der Korb fiel zu Boden, und unter den Blütenblättern rollten die Handbomben heraus.
Noch immer merkten die Neugierigen neben ihm nichts. Sie hielten ihre Aufmerksamkeit vollends auf die Kabcara gerichtet und gerieten beim ungewohnten Anblick eines gekrönten Hauptes in Verzückung. Das wiederum brachte den Verschwörern genügend Ablenkung.
"Verflucht!" Achnov bückte sich nach den Sprengkörpern und raffte sie an sich; währenddessen erklangen von der anderen Seite der Brücke laute Schreie, und er erkannte die Stimmen seiner Freunde. Der für ihn unsichtbare Bogenschütze hatte anscheinend seine Mitverschwörer unter Beschuss genommen.
Achnov lehnte sich mit eingezogenem Kopf an die Mauer, paffte hektisch und versuchte, die erste Lunte im Pfeifenkopf
zu entzünden. Ein Fuhrwerk ratterte an ihm vorbei, und er erbleichte: Daran hing Schujew! Pfeile in Kopf, Brust und Schultern hatten ihn an die Seitenwand genagelt. Das Blut rann aus den Wunden an den Schuhen hinab und malte eine rote Linie auf die Straße.
Zischend zündete die Lunte. Achnov musste aus seiner Deckung gelangen, um nach den Barken zu sehen.
Die erste befand sich unmittelbar unter ihm, die zweite konnte er mit einem halbwegs guten Wurf erreichen.
Er holte aus und schleuderte die Handbombe - als sie eine Haarlänge von seinen Fingern entfernt von einem entgegenkommenden Geschoss getroffen wurde. Es durchbohrte den Sprengkörper, flog weiter und perforierte seinen Handteller. Ein heißer Schmerz fuhr durch seinen Arm.
Der schwere Pfeil besaß so viel Wucht, dass es Achnov nach hinten riss und er auf die Brücke fiel. Sein Kopf traf auf die Steine, er war für einige Lidschläge benommen.
Er vernahm, wie das Feuerwerk in Gang gesetzt wurde, als wäre nichts geschehen. Die Folter in seiner Hand war immens, und als er endlich wieder klar sah, blickte er auf die Handbombe, die durch den Pfeil mit seinem Fleisch verbunden war.
Die kurze Lunte sprühte noch immer.
"Nein!", schrie er entsetzt. Während er den Pfeil herausreißen wollte, wanderte der entscheidende Funke in die Zündkammer und brachte sie zur Explosion.
Pujlka eilte am Aufgang der Pelzbrücke vorbei, als das Feuerwerk begann.
Es rumpelte und krachte, bunte Explosionen verzierten den klaren Himmel mit Leuchten und Qualmwolken; dann erklang eine lautere Detonation, die ihrem Empfinden nach nicht recht in die bisherigen Geräusche passte, und gleich darauf prasselten kleine, blutige Fleischstückchen um Pujlka nieder.
Sie wusste, was es bedeutete.
"Hat denn keiner der Götter ein Einsehen mit uns?", klagte
sie, als ihr Blick auf den vorbeiholpernden Wagen fiel, an dem
der Leichnam Schujews hing, eines ihrer Mitverschwörer. Die schwarzen Pfeilschäfte, die als Nägel dienten, kannte sie zu gut.
"Bei Ulldrael", keuchte sie und duckte sich, bog in eine Seitengasse ab und torkelte mehr als sie lief. Der Schreck und die Fassungslosigkeit fuhren ihr in die Beine. Die Spione des ilfaritischen Fettsacks hatten ganze Arbeit geleistet und sie auffliegen lassen. Anscheinend gab es keinerlei Geheimnisse mehr.
Pujlka verharrte und kümmerte sich nicht darum, dass sie mit beiden Füßen in der stinkenden Gosse stand. In ihr wuchs die Überzeugung, nicht mehr lebend aus Donbajarsk herauszukommen. Ja, sie würde nicht einmal den Fuß auf den Großmarkt setzen können, ohne von den Bogenschützen erkannt und erledigt zu werden! Ihr Leben war verwirkt...
Ihr Herz pochte rasend, sie sank voller Verzweiflung an der Hauswand herab, während die Menschen lachend vorübereilten, um die Kabcara zu sehen, Hochrufe für eine Besatzerin auf den Lippen. Pjulka senkte den Blick und starrte auf die Hosenbeine und Rocksäume. Spritzwasser traf sie.
Irgendwann wurden es weniger Menschen, bis sie den Eindruck hatte, ganz allein in der Gasse zu sein.
"Reiß dich zusammen, Pujlka", sagte sie zu sich selbst und zwang sich auf die Beine. Sie atmete tief ein und aus, lauschte. Den Rufen nach befand sich die Usurpatorin auf dem Großmarkt.
"Jetzt oder nie", sagte sie leise und machte sich auf den Weg. "Ich muss meinen Auftrag erfüllen."
Ein Mann in einem dunkelbraunen Umhang zeigte sich ihr am Ende der Gasse; der Kopf wurde von einer Kapuze verborgen. In der Linken hielt er einen übergroßen Bogen, in der Rechten einen langschaftigen Pfeil mit schwarzen Federn daran.
Pujlka blieb nicht stehen, sondern rannte auf den Unbekannten zu und zog ihr Schwert. Es war Wahnsinn, doch eine andere Möglichkeit hatte sie nicht. Ihr Schicksal war der Tod, der sie lieber durch einen Pfeil als durch den Strang ereilen sollte.
Der Schütze legte den Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen mit einer ruckartigen, kraftvollen Bewegung; enorm muskulöse, lederbandgeschützte Unterarme kamen zum Vorschein. Die Kapuze bewegte sich leicht, und goldene Ohrringe leuchteten in der Dunkelheit auf. Das Gesicht jedoch blieb noch immer durch die Schatten verborgen.
Ein Blinzeln später ging das Geschoss mit der merkwürdigen Spitze auf seine kurze Reise.
Pujlka wurde an der Stirn getroffen, und ihre Kraft wich auf der Stelle. Die Finger ließen das Schwert los, es landete klirrend auf dem Pflaster. Sie brach zusammen und überschlug sich mehrmals, rollte um die eigene Achse und kam in der Gosse zum Erliegen.
Als die Stadtwache herbeieilte, fanden sie eine bewusstlose, gefesselte Frau, um deren Hals ein Band mit einem Brief befestigt war; einen Fingerbreit über der Nasenwurzel zeichnete sich ein münzgroßer, dunkelroter Fleck ab.
Auf dem Umschlag standen in geschwungener, klarer Schrift die Worte An die hochwohlgeborene Kabcara Norina zu lesen.
Darunter hatte der Absender notiert: Ergebenst, Hetrál.
... weniger
Autoren-Porträt von Markus Heitz
Markus Heitz, geb. 1971, gehört seit den sensationellen Romanen um die 'Zwerge' und seinem 'Ulldart-Zyklus' zu den erfolgreichsten deutschen Fantasy-Autoren. Er gewann bereits siebenmal den Deutschen Phantastik-Preis, dreifach allein im Jahr 2007.
Bibliographische Angaben
- Autor: Markus Heitz
- 2008, 569 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Piper Taschenbuch
- ISBN-10: 3492266541
- ISBN-13: 9783492266543
Rezension zu „Drachen Trilogie Band 1: Die Mächte des Feuers “
"'Drachenkaiser' ist unumstritten ein kleines Highlight im Piper-Hardcoverprogramm.", Nautilus - Abenteuer & Phantastik, 15.09.2009 20151120
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