Dschungelkind
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Produktinformationen zu „Dschungelkind “
Mit 5 Jahren kommt Sabine Kuegler als Tochter deutscher Missionare nach West-Papua - zum Stamm der Fayu, der heute noch wie in der Steinzeit lebt. Das Mädchen lebt, denkt und fühlt wie eine Fayu. Doch mit 17 wird sie auf ein Schweizer Internat geschickt und erlebt zum ersten Mal die Zivilisation. Gegensätzlicher können Erfahrungen nicht sein.
''Liest sich wie eine Kombination aus Robinson Crusoe und Pippi Langstrumpf.''
Hamburger Abendblatt
Klappentext zu „Dschungelkind “
Was uns unvorstellbar erscheint - Sabine Kuegler hat es erlebt: Als Tochter deutscher Forscher verbrachte sie ihre Kindheit mitten im Dschungel von West-Papua, bei einem vergessenen Stamm von Kannibalen. Bis sie siebzehn war, kannte sie keine Autos, kein Fernsehen und keine Geschäfte. Sie spielte nicht mit Puppen, sondern schwamm mit Krokodilen im Fluss - und erlebte schon früh die alten Rituale des Tötens. Die Natur war ihr Spielplatz, der Dschungel ihre Heimat, der Himmel ihr Dach. Heute, nach Jahren in Europa, ist ihre Seele gefangen zwischen zwei Kulturen. Sabine Kuegler weiß, dass sie zurückkehren muss - zurück in eine Welt, die für viele nicht mehr existiert.Lese-Probe zu „Dschungelkind “
Dschungelkind von Sabine Kuegler
LESEPROBE
Meine Geschichte
Ich möchte eine Geschichte erzählen, die Geschichte eines Mädchens, das in einem anderen Zeitalter aufwuchs eine Geschichte von Liebe, Hass, Vergebung, Brutalität, und von der Schönheit des Lebens. Es ist eine wahre Geschichte es ist meine Geschichte.
Es muss Anfang Oktober gewesen sein. Ich bin 17 Jahre alt, trage eine dunkle Hose, die mir zu groß ist, einen gestreiften Pullover und Halbschuhe, die überall drücken und mir das Gefühl geben, meine Füße werden zerquetscht. Sie tun weh, weil ich bis zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben ganz selten Schuhe getragen habe. Meine Jacke sieht aus wie aus dem vorigen Jahrhundert (und das ist sie wahrscheinlich auch). Dunkelblau mit einer Kapuze, die mir, als ich sie aufsetze, über die Augen fällt. Es sind Kleider, die ich geschenkt bekommen habe.
Mir ist eiskalt, ich zittere, meine Hände und Ohren kann ich kaum noch spüren. Ich trage weder ein Unterhemd noch Handschuhe, Schal oder eine Mütze. Ich habe mich nicht mehr daran erinnert, wie man sich im Winter anzieht. Ich kenne den Winter kaum.
Ich stehe auf dem Hauptbahnhof in Hamburg. Eisiger Wind pfeift über den Bahnsteig. Es ist kurz nach neun oder zehn, ich weiß es nicht mehr genau. Man hatte mich am Bahnhof abgesetzt und mir erklärt, wie ich den richtigen Zug finde alles mit vielen Zahlen verbunden. Nach einiger Zeit bin ich tatsächlich auf dem richtigen Bahnsteig angekommen; es ist die Nummer 14.
Ich trage eine Tasche bei mir, die ich ganz fest an mich drücke, und einen Koffer, der das Wenige enthält, das ich mitnehmen konnte. In meiner Hand der Fahrschein, auf den ich zum hundertsten Mal schaue, um mir noch einmal die Nummer meines Waggons einzuprägen.
Ich bin nervös, all meine Sinne sind auf Hochtouren. Ich beobachte misstrauisch die Menschen um mich herum und bin bereit zuzuschlagen, sollte mich jemand angreifen. Aber niemand scheint mich zu beachten.
Es ist alles so neu für mich, so fremd, dunkel und bedrohlich. Ich schaue die Gleise entlang, als ich eine Durchsage höre. Nur zum Teil verstehe ich, was gesagt wird, so viel Lärm ist um mich herum! Ich beobachte, wie sich das Gefährt nähert, das mich in mein neues Leben bringen soll. Meine Augen
werden immer größer, denn heute, mit 17 Jahren, sehe ich zum ersten Mal einen richtigen Zug.
Er kommt mit so hoher Geschwindigkeit auf mich zu, dass ich vor Schreck ein paar Schritte zurückweiche. Dieser Zug sieht anders aus als die Züge, die ich in Büchern gesehen habe. Er ist nicht mit Blumen geschmückt, es kommt kein Rauch aus einem Schornstein, und die Farbe ist auch anders. Dieser
Zug ist so groß und unheimlich wie ein langer weißer Wurm, der aus einem schwarzen Loch hervorkriecht.
Als er schließlich zum Stehen kommt, beginnen die Menschen wie besessen einzusteigen. Ich verharre noch einige Sekunden unbeweglich, vergesse für einen Moment die Kälte und schaue dieses riesige Fahrzeug vor mir an. Neugier und Angst befallen mich gleichzeitig. Da bemerke ich eine Nummer an
der Seite des Waggons vor mir. Ich vergleiche sie mit der auf meinem Fahrschein und sehe, dass sie nicht übereinstimmen. Ich wende mich nach rechts und nach links, der Zug scheint unendlich lang. Kopflos beginne ich zum hinteren Teil des Zuges zu laufen. Die Nummern der Waggons haben nichts mit denen auf meiner Fahrkarte zu tun. Plötzlich höre ich einen lauten Pfiff. Ich schrecke zusammen und schaue mich um. Ein Mann in Uniform hält einen eigenartigen Stab nach oben. Panik kommt in mir hoch, als ich merke, dass es etwas mit der Abfahrt zu tun hat, und schnell springe ich durch die nächste Tür ins Innere. Gerade rechtzeitig, denn schon beginnt der Zug sich zu bewegen.
Ich stehe einen Augenblick da und weiß nicht, was ich machen soll. Mein Herz klopft so stark, als wolle es zerspringen. Da bemerke ich, dass es Türen gibt, die es ermöglichen, durch die einzelnen Wagen zu gehen. Ich laufe los nach vorn. Ich fange an zu schwitzen und sorge dafür, dass ich bloß keinen Augenkontakt mit Fremden aufnehme. Die Waggons scheinen niemals aufzuhören, es geht weiter und weiter. Plötzlich stehe ich in einem Abteil, das schöner aussieht als die, die ich gerade durchlaufen habe - es ist die Erste Klasse. Es gibt keinen Durchgang mehr. Ratlos bleibe ich stehen. Meine Augen füllen sich mit Tränen.
In diesem Moment taucht ein Mann aus einem Abteil auf und sieht mich. Ich wende mich schnell ab, aber er kommt auf mich zu. Er fragt, ob er mir helfen kann. Ich sehe ihn an, er scheint Ende dreißig zu sein, dunkler Anzug, braune Haare und hellblaue Augen. Ich zeige ihm meine Fahrkarte und frage ihn nach dem Waggon mit dieser Nummer. Gerade kommt auch ein Mann in Uniform den Gang herunter. Nach einem Blick auf meinen Fahrschein teilt er mir gleichgültig mit, dass ich im falschen Zug sei. Mein Herz steht still, ich werde ganz blass im Gesicht. Der Schaffner muss meine Angst gesehen haben, weil er mich schnell beruhigt und mir erklärt, dass es ausnahmsweise zwei Züge gibt, die beide zum selben Zielort
fahren.
Ich frage ihn, was ich jetzt machen soll, während ich mit immer größerer Panik kämpfe. Er erklärt mir, dass wir bald anhalten werden und ich dann in den nächsten Zug auf demselben Gleis einsteigen kann.
Nachdem er die Fahrkarte des Mannes mit den blauen Augen kontrolliert hat, der noch immer neben uns steht, verabschiedet sich der Schaffner und geht weiter. Ich schaue ihm nach, spüre einen großen Knoten im Hals und fühle mich sofort wieder völlig hilflos und ausgeliefert. Ich stehe allein mit einem fremden weißen Mann in einem halbdunklen Waggon, in einem fremden Land. Der Gedanke, dass er mich vergewaltigen könnte oder sogar töten, um mich zu bestehlen, schießt durch meinen Kopf. All die Geschichten, die ich über die Gefahren der modernen Welt gehört habe, scheinen Realität zu werden. Wie kann ich mich schützen? Ich habe weder Pfeil und Bogen noch ein Messer bei mir.
Der fremde Mann fragt mich mit einem mitleidigen Lächeln, ob ich nicht in sein Abteil kommen möchte, um dort auf meine Haltestelle zu warten. Ich schüttle den Kopf und antworte, dass ich lieber hier im Gang warte. Er versucht es noch einmal mit der Bemerkung, dass es im Abteil aber viel bequemer sei. Jetzt bin ich mir sicher, dass er mir etwas antun will. Ich sage nein, nehme meinen Koffer und fliehe in den kleinen Freiraum zwischen den Waggons. Er folgt mir und fragt, woher ich komme. Aus Hamburg, antworte ich mit zitternder Stimme.
Zu meiner großen Erleichterung verlangsamt der Zug in diesem Moment seine Geschwindigkeit. Ich stehe vor der Tür, der fremde Mann noch immer hinter mir. Ich bete, dass er wieder weggehen möge. Als der Zug zum Stehen kommt, will ich aussteigen, aber die Tür öffnet sich nicht. Was jetzt? Muss ich irgendwo drücken oder schieben? Ich rüttle an den Griffen, aber es passiert nichts. Da drängt sich der Fremde an mir
vorbei, dreht einen roten Hebel, und die Zugtür öffnet sich. Was für eine Erleichterung, als ich endlich den Bahnsteig vor mir sehe! Noch ein Schritt, und ich bin außer Gefahr. Ich bedanke mich schnell und trete ins Freie.
Die Türen schließen sich hinter mir, und ich sehe noch die dunkle Gestalt des Fremden am Fenster des abfahrenden Zuges. Ich schaue mich um, ich bin allein, kein anderer Mensch auf dem Bahnsteig. Es ist dunkel außer ein paar vereinzelten Lichtern über mir. Die Kälte holt mich wieder ein. Ich fange zu zittern an, ein Schmerz, den ich vorher nicht kannte. Meine Zähne klappern, ich sehne mich nach der schwülen Hitze des Tropenwaldes und der heißen Sonne. Ich weiß nicht, wo ich bin oder was ich tun soll, wenn der nächste Zug nicht kommt. Werde ich hier erfrieren?
Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, doch dann hält er vor mir. Zu meiner Erleichterung finde ich diesmal sogar den richtigen Waggon. Ich steige ein, sehe einen freien Platz und vermute, dass ich meinen Koffer in dem großen Fach an der Seite des Ganges abstellen muss, wo auch alle anderen stehen.
Ich lasse mein Hab und Gut zurück in der Gewissheit, dass es gestohlen wird, weil ich von meinem Sitz aus kein Auge darauf haben kann. Doch das ist mir in diesem Moment völlig egal. Meine Beine sind so schwach, meine Füße schmerzen, ich bin müde und verzweifelt.
Als ich endlich sitze, suche ich die Gurte, um mich anzuschnallen. Ich finde nichts und suche auf dem Sitz neben mir, aber auch dort ist nichts. Da bemerke ich, dass keiner der Fahrgäste einen Gurt trägt. Das scheint mir sehr unsicher und gefährlich, aber es muss wohl so sein. Dies hier ist ein fremdes Land ein Land, dem ich nur auf dem Papier angehöre. Die Bewegung des Zuges wirkt beruhigend auf mich. Ich ziehe meine Schuhe aus und setze mich auf meine Füße, um sie zu wärmen. Die Jacke fest um mich geschlungen, schaue ich aus dem Fenster und betrachte den Mond, der hier so dunkel und klein wirkt, so ärmlich, als sei er am Ausblühen. Meine Augen füllen sich mit Tränen, die an meinen kalten Wangen
herunterlaufen. Ich sehne mich nach dem Mond, den ich kenne, einem stolzen Mond voller Kraft und Leben, der mit so großer Helligkeit leuchtet, dass ich nachts meinen eigenen Schatten sehen kann. Ich lehne meinen Kopf zurück und schließe die Augen.
Der Zug fährt immer schneller, meine Gedanken rasen mit ihm. Im Geiste verlasse ich diesen dunklen, kalten Ort. Ich fliege zurück in die Vergangenheit. Blaue, weiße und grüne Farben ziehen vor meinem inneren Auge vorüber. Ich fliege in die Wärme, die Sonne lacht, ihre Strahlen fliegen mit mir, fangen mich ein, tanzen um mich herum und umhüllen meinen Körper mit wohliger Glut. Ich sehe grüne Felder,
bunte Städte voller Menschen, tiefe, dunkle Täler, durchschnitten von schmalen Flüssen, und gewaltige, dichte Wälder.
Dann das große Meer, das sich in seiner Unendlichkeit bis zum Horizont erstreckt. Jetzt sehe ich meinen über alles geliebten Urwald vor mir: grüne, stolze Bäume, so weit das Auge reicht; ein wunderschön ausgebreiteter smaragdfarbener Teppich, sanft und doch mächtig, grün und doch voll von Farben jeder Art. Ein Anblick, der sich mir schon Hunderte Male bot, der mich aber jedes Mal wieder mit Bewunderung und Staunen erfüllt. Der mächtige Dschungel von Irian Jaya mein Zuhause, das Verlorene Tal.
© DroemerKnaur
Autoren-Interview mit Sabine Kuegler
Interview mit Sabine Kuegler
Als ihre Eltern, zwei Missionare und Sprachforscher, sie mit nach West-Papua (Indonesien) nahmen, war Sabine Kuegler gerade sieben Jahre alt. Zusammen mit dem Stamm der Fayu, Giftspinnen und Krokodilen verbrachte Sie ihre Kindheit mitten im Dschungel. Jetzt hat sie ihr Leben als „Dschungelkind“ zum Bestseller gemacht.
Sie haben sehr lange nicht über Ihre Kindheit gesprochen. Warum nicht?
Wenn jemand mich gefragt hat: „Woher kommen Sie?“, habe ich immer gesagt: „Aus Hamburg.“ Ich habe das gemacht, weil ich nicht anders sein wollte, weil ich immer versucht habe, mich hier zu integrieren. Ich habe mich nicht geschämt für meine Kindheit, aber wenn ich gesagt habe, ich komme aus dem Dschungel, dann war sofort die Stimmung anders. Ich habe gedacht, ich könnte mich so besser anpassen, aber das Gegenteil war der Fall. Das habe ich in den letzten zwei Jahren erst gemerkt, als ich anfing, meine Geschichte zu erzählen. OK, ich habe eine andere Kindheit gehabt, eine Kindheit, die ich niemals tauschen würde, weil sie für mich persönlich sehr schön war. Und jetzt gucken mich die Leute auch nicht mehr komisch an, denn sie wissen ja, ich bin erst seit 2 oder 3 Jahren in Deutschland und da kann man eben nicht alles wissen.
Der Stamm der Fayu, bei dem Sie lebten, ist angeblich bekannt für Kannibalismus und Brutalität. Wie haben Sie das erlebt und wie wurde Ihre Familie aufgenommen?
Ich habe Brutalität gesehen, aber ich empfand es nicht als brutal. Ich persönlich empfand die Menschen hier in der westlichen Welt als viel brutaler. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ich damals noch ein Kind war. Die Fayu haben Krieg geführt, und ich habe gemerkt, dass sie sehr viel Angst hatten und sehr in Angst lebten. Mir und meiner Familie gegenüber waren sie jedoch sehr, sehr nett, denn wir standen nicht unter dem Blutrachesystem. Untereinander haben sich die einzelnen Gruppen auch geschützt. Der Verbund innerhalb der Familie war sehr stark, nur das Verhalten gegenüber den Feinden war brutal.
Kannibalismus habe ich in meinem Buch übrigens nur in einem einzigen Satz erwähnt, der von Medien sofort aufgebauscht wurde. Persönlich habe ich nie Kannibalismus miterlebt. Ich bezweifle auch, dass die Fayu so etwas während unserer Zeit im Dschungel gemacht haben. Was viele Leute auch nicht wissen: Im Urwald wurde man nicht ohne Grund umgebracht. Man hat niemanden umgebracht, noch nicht mal Tiere, ohne Grund. Nur wenn jemand ein Tabu gebrochen hatte, dann hat man ihn umgebracht.
Wie sah Ihr Alltag im Dschungel aus?
Wir sind aufgestanden, wenn die Sonne aufgegangen ist. Wir hatten ja keine Elektrizität, das war so zwischen sechs und sieben Uhr morgens. Zuerst haben wir gefrühstückt, dann mussten wir Schularbeiten machen bis mittags. Wir hatten englischen Unterricht, haben aber mit unseren Eltern deutsch gesprochen und mit den Eingeborenen die Fayu-Sprache. Man mischt auch schon mal zwei Sprachen. Wenn die zum Beispiel etwas hatten, wofür kein Wort da war, haben wir auch schon mal das indonesische Wort benutzt, das sie dann auch benutzt haben.
Nachmittags sind wir nach draußen gegangen und haben bis abends gespielt. Wenn die Sonne unterging, sind wir heimgegangen und haben noch was gegessen, wenn wir Hunger hatten. Wir hatten zwei Kerosinlampen in der Hütte und haben zum Beispiel noch Spiele gespielt oder Geschichten erzählt und dann sind wir schätzungsweise so gegen acht ins Bett gegangen. Und das jeden Tag. Außer wenn es geregnet hat, dann konnten wir nicht nach draußen und haben uns sehr, sehr gelangweilt.
Ihre Eltern sind Missionare. Wie muss man sich diese Missionarsarbeit konkret vorstellen?
Die Welt der Missionare hat sich in den letzten 50 Jahren sehr verändert. Es ist nicht mehr so wie es früher war, als Missionare die Bibel hochhielten und sagten, ihr seid alle Sünder. Wer sich nicht bekehren lässt, kommt in die Hölle. Die heutigen Missionare sind sehr gebildete Menschen, Sprachwissenschaftler, Anthropologen, Ärzte, Entwicklungshelfer, die zusätzlich noch einen Glauben haben. Sie sind am Schutz der Menschen und des Urwaldes interessiert und setzen sich mit der Kultur auseinander. Meine Eltern haben immer gesagt, dass man Glauben nicht predigen kann. Man kann einem Menschen nichts aufzwingen, denn Glaube muss von Herzen kommen. Man muss das leben, woran man glaubt, und den Menschen ein Beispiel geben.
Es gab aber sicher doch auch Gelegenheiten, bei denen zwei ganz verschiedene Kulturen und Glauben aufeinander gestoßen sind. Zum Beispiel bei der Bestattung der Toten in den Hütten.
Mein Vater hat sich niemals in die Kultur der Fayu eingemischt, weil er der Meinung war, wenn sie etwas ändern wollen, müssen sie das von selbst tun. Dass die Fayu ihre Toten in ihren Hütten bestatten, empfand ich nie als eigenartig und ich habe auch nie gesehen, dass meine Eltern das Gesicht dabei verzogen haben. Mein Vater hat sich natürlich beim ersten Mal ein bisschen erschrocken, aber er hat nie was gesagt. Bis heute ist es so, dass einem erst einmal die Knochen vorgestellt werden, wenn man eine Hütte betritt. Das ist mein Onkel, das ist mein Großvater usw. Das ist Teil der Kultur und hat nichts mit Religion zu tun. Jahre später, als jemand gestorben war, bauten die Fayu plötzlich eine sehr hohe Plattform und legten den Körper drauf. Und mein Vater fragte: „Was macht ihr denn, tut ihr das nicht in eure Hütte?“ „Aber nein“, sagten sie ,“das stinkt doch zu sehr“. Das Ritual änderte sich von ganz allein, auch ohne Einmischung von außen.
Warum sind Sie mit 17 nach Europa zurückgekehrt?
Aus verschiedenen Gründen. Ein Grund war, dass ich plötzlich merkte, dass ich weiß war. Obwohl ich vom Herzen her sehr angenommen war vom Stamm, wurde mir plötzlich bewusst, dass ein Teil von mir doch nicht dazu gehörte. Und dann kam ich auch in ein Alter, wo man anfängt darüber nachzudenken, wer man ist und wohin man gehört. Ich wollte sozusagen den Stamm meiner Eltern kennen lernen. Ich war auch in einem Alter, wo ich anfing, über Beziehungen nachzudenken. Die fayu waren alle wie Brüder für mich und ich konnte mir nicht vorstellen, einen Fayu zu heiraten. Heute könnte ich das, aber damals mit 17 noch nicht. Und dann wurde ich immer unglücklicher. Und ich fing einfach an, mir Gedanken zu machen, was ich mit meinem Leben anfangen sollte.
Wie schwer war die Eingewöhnung in die Zivilisation?
Di ersten eineinhalb Jahre im Internat waren sehr schön, die habe ich sehr genossen, das hat mir viel Spaß gemacht und mein Plan war ja eigentlich, danach wieder zurückzukehren, doch ich wurde schwanger. Und als ich aus dem Internat herauskam, da habe ich einen richtigen Schock bekommen. Ich war nicht mehr in einer geschützten Umgebung, ich war nicht mehr mit Mädchen aus aller Welt zusammen, die Kulturen verstanden, die tolerant waren. Ich wurde mit einer Welt konfrontiert, die meiner Ansicht nach kein Erbarmen, keine Toleranz kannte. Schwarze Menschen wurden schlecht behandelt, Frauen mit Kopftuch wurden ausgeschlossen. Das war für mich einfach so schockierend. Und ich war in einer Situation, wo ich nicht mehr wusste, wer ist mein Feind, wer ist mein Freund.
Sie haben schließlich eine Karriere gestartet, haben sich nicht unterkriegen lassen von der Zivilisation. Hat das Leben im Dschungel Sie besonders stark gemacht?
Ich frage mich das selbst manchmal. Ich glaube, was mich stark gemacht hat, war mein Elternhaus, mein Familienleben. Und ich glaube, dass ich im Urwald gelernt habe, dankbar zu sein. Ich weiß nicht, ob die Deutschen realisieren, wie gut sie es eigentlich hier haben. Viele kritisieren an der Zivilisation, dass wir zu viel Technologie haben, aber nicht die Technologie ist das Problem, sondern die Mentalität der Menschen, die Intoleranz und die Kritik. Ich kannte zum Beispiel keinen Neid, bis ich hierher kam.
Ich habe gehört, dass Sie zurückkehren wollen, um einen Dokumentarfilm zu drehen...
Ich möchte erstmal zurückkehren, um die Leute zu sehen und habe dann überlegt, ob ich eine Kamera mitnehme, um das live aufzunehmen. Nicht als herkömmlicher Dokumentarfilm, sondern um aufzunehmen, wie das ist, wenn man nach so vielen Jahren in den Urwald zurückkehrt.
Ist es vielleicht eine Gefahr, wenn man die Menschen dort der Öffentlichkeit so zugänglich macht?
Erstens lebt der Stamm in einem Gebiet, wo kein Tourist hinkommt. Zweitens glaube ich nicht, dass Wissen etwas kaputt macht. Ich glaube, es ist das Unwissen, das Dinge zerstört. Wer die Menschen hier sieht und die Natur, der wird alles besser verstehen und sorgfältiger damit umgehen. Jährlich reisen tausende von Touristen in Ländern ohne sich über die Kultur zu erkundigen und darüber, was man machen darf und was nicht. Ohne nachzudenken legen sie sich nackt an die Strände und behandeln die Menschen wie zweiter Klasse. Und ich glaube nicht, dass sie das absichtlich tun, ich glaube, es wird einfach aus Unwissen gemacht.
Sie beschreiben, dass Sie in einer Art Identitätskrise stecken und nicht wirklich hier und auch nicht dorthin gehören. Hat Ihnen das Schreiben des Buchs geholfen diese Krise zu überwinden? Wie wird es sein in den Dschungel zurückzukehren?
Das Buch hat mir sehr, sehr geholfen. Ich würde auch jedem, der eine Krise durchmacht, vorschlagen, einfach mal über sein Leben zu schreiben. Es ist erstaunlich, man bekommt mehr Distanz dazu und dann fallen einem auch noch so viele Sachen ein, über die man sonst nie nachgedacht hätte.
Ich hoffe, dass ich durch die Rückkehr endlich einen Abschluss finden kann, wenn ich das alles noch einmal sehe. Es ist wichtig für mich zur Ruhe zu kommen und irgendwie zwischen den beiden Welten zu leben und dort auch glücklich zu sein.
Die Fragen stellte Nicole Brunner / lorenzspringer medien
Autoren-Porträt von Sabine Kuegler
Geboren 1972 in Nepal, kam Sabine Kuegler mit fünf Jahren in den Dschungel von West Papua, wo ihre Eltern, deutsche Sprachwissenschaftler und Missionare, einen neuen Wirkungskreis gefunden hatten. Zusammen mit ihren beiden Geschwistern verlebte sie dort ihre Kindheit und Jugend fernab der Zivilisation. Mit 17 Jahren kehrte Sabine Kuegler nach Europa zurück. Die Sehnsucht nach dem Dschungel und seinen Menschen lässt sie seither nicht mehr los.Produktdetails
2006, 345 Seiten, 24 farbige Abbildungen, mit zahlreichen Abbildungen, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch, Verlag: Droemer/Knaur, ISBN-10: 3426778734, ISBN-13: 9783426778739, Erscheinungsdatum: 01.05.2006
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Julia K., 06.05.2010
Die erste Biographie, die ich je gelesen habe und sie hat mich in ihren Bann geschlagen.
Sabine Kuegler hat so viel im Dschungel erlebt, dass ich mein Leben damit kaum vergleichen kann. Trauer, Liebe, Freundschaft, Krankheit - und all das in ein paar Seiten zusammengefasst.
Man könnte eigentlich meinen, das geht nicht, aber liest man dieses Buch, dann öffnet sich die Welt einer Frau.
Ihre Gefühle, ihre Gedanken, ihre Erfahrungen. So toll geschildert, als wäre man selbst dabei.
Trotz ihrer Probleme, sich nachher in unserer Welt einzufinden, wünschte ich, ich hätte als Kind ebenfalls im Dschungel gelebt.
Es erscheint einem mehr als ein Traum, als die Realität und wenn man wieder daraus aufwacht, dann ist man auf der letzten Seite angelangt und wünscht sich einfach nur weiterzulesen.
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janein11 von 17 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
B.H., 10.01.2010
Ich finde dieses Buch spannend.Sie erzählt von einer ganz anderen Welt, als wir sie kennen.. Sie hat das in dem Buch schön beschrieben ,aber ein bischen durcheinander Einmal erzählt sie von jetzt und im darauffolgenden Satz von West Papua, wo sie lebte. Man sollte sich daher etwas Zeit zum lesen nehmen. Es sind sehr schöne farbige Fotos von ihr, der Familie und den Fayu im Buch zu sehen. Das Buch ist auf jeden Fall zu empfehlen.
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janein11 von 17 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Theresa, 06.05.2010
Ich bin zwar erst 14 Jahre alt, aber ich liebe dieses Buch. Es ist sehr schön erzählt und man kann sich durch die Bilder noch einen besseren Eindruck verschaffen. Ich würde es empfehlen auch für Kinder in meinem Alter, weil man so merkt, wie gut es uns geht und dass es noch eine andere Welt gibt.
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janein7 von 12 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Judith, 11.07.2012
Sicherlich träumt jeder davon, einmal in einer völlig anderen Welt zu leben. Als Aussteiger, einfach einmal den Alltag hinter sich lassen. Aber wie geht es Sabine, deren Alltag im Dschungel ein völlig anderer war, in der Zivilisation? Da beginnt ein Alptraum.Obwohl die Fayu in West Papua sehr brutal leben (Kanibalen), vermisst Sabine sie in Europa. Sehr einfühlsam und nachvollziehbar geschrieben. Gerade Jugendliche, die unsere Wohlstandsgesellschaft nicht schätzen, sollten dieses Buch lesen.
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janein