Ein Streuner kehrt heim / Dr. Cyrus Mills Bd.1
Liebe ist die beste Medizin.
Nie wieder wollte Dr. Cyrus Mills in den kleinen Ort Eden Falls in Vermont zurückkehren. Und als er die dortige Tierarztpraxis seines Vaters erbt, möchte er diese so schnell wie möglich...
Nie wieder wollte Dr. Cyrus Mills in den kleinen Ort Eden Falls in Vermont zurückkehren. Und als er die dortige Tierarztpraxis seines Vaters erbt, möchte er diese so schnell wie möglich...
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Produktinformationen zu „Ein Streuner kehrt heim / Dr. Cyrus Mills Bd.1 “
Liebe ist die beste Medizin.
Nie wieder wollte Dr. Cyrus Mills in den kleinen Ort Eden Falls in Vermont zurückkehren. Und als er die dortige Tierarztpraxis seines Vaters erbt, möchte er diese so schnell wie möglich verkaufen. Geldsorgen zwingen ihn jedoch, die Praxis zu übernehmen, bis ein Käufer gefunden ist. Widerwillig tritt Cyrus, der zwar Veterinärmedizin studiert, aber noch nie als Tierarzt praktiziert hat, seinen Dienst an. Doch dann stürmt sein erster Patient, ein Golden Retriever namens Frieda Fuzzypaws, schwanzwedelnd durch die Tür, und um Cyrus ist es geschehen. Dank Frieda, dem schwarzen Labrador Puck, der Perserkatze Chelsea und den anderen liebevollen - zwei- und vierbeinigen - Einwohnern findet Cyrus in Eden Falls bald wieder ein Zuhause.
Und dann ist da noch Amy, die ebenso temperamentvolle wie hübsche Bedienung des einzigen Lokals am Ort ...
Nie wieder wollte Dr. Cyrus Mills in den kleinen Ort Eden Falls in Vermont zurückkehren. Und als er die dortige Tierarztpraxis seines Vaters erbt, möchte er diese so schnell wie möglich verkaufen. Geldsorgen zwingen ihn jedoch, die Praxis zu übernehmen, bis ein Käufer gefunden ist. Widerwillig tritt Cyrus, der zwar Veterinärmedizin studiert, aber noch nie als Tierarzt praktiziert hat, seinen Dienst an. Doch dann stürmt sein erster Patient, ein Golden Retriever namens Frieda Fuzzypaws, schwanzwedelnd durch die Tür, und um Cyrus ist es geschehen. Dank Frieda, dem schwarzen Labrador Puck, der Perserkatze Chelsea und den anderen liebevollen - zwei- und vierbeinigen - Einwohnern findet Cyrus in Eden Falls bald wieder ein Zuhause.
Und dann ist da noch Amy, die ebenso temperamentvolle wie hübsche Bedienung des einzigen Lokals am Ort ...
Klappentext zu „Ein Streuner kehrt heim / Dr. Cyrus Mills Bd.1 “
Liebe ist die beste Medizin.Nie wieder wollte Dr. Cyrus Mills in den kleinen Ort Eden Falls in Vermont zurückkehren. Und als er die dortige Tierarztpraxis seines Vaters erbt, möchte er diese so schnell wie möglich verkaufen. Geldsorgen zwingen ihn jedoch, die Praxis zu übernehmen, bis ein Käufer gefunden ist. Widerwillig tritt Cyrus, der zwar Veterinärmedizin studiert, aber noch nie als Tierarzt praktiziert hat, seinen Dienst an. Doch dann stürmt sein erster Patient, ein Golden Retriever namens Frieda Fuzzypaws, schwanzwedelnd durch die Tür, und um Cyrus ist es geschehen. Dank Frieda, dem schwarzen Labrador Puck, der Perserkatze Chelsea und den anderen liebevollen - zwei- und vierbeinigen - Einwohnern findet Cyrus in Eden Falls bald wieder ein Zuhause. Und dann ist da noch Amy, die ebenso temperamentvolle wie hübsche Bedienung des einzigen Lokals am Ort ...
Lese-Probe zu „Ein Streuner kehrt heim / Dr. Cyrus Mills Bd.1 “
Ein Streuner kehrt heim von Nick TroutEINS
Die alte Türklingel lässt mich zusammenzucken - nicht zuletzt, weil der erste Kunde des Abends zufällig auch noch mein erster Kunde seit vierzehn Jahren ist. »Kann ich Ihnen helfen?«, frage ich und merke zu spät, dass mein Tonfall wahrscheinlich eher genervt als einladend klang. Ich sollte meine Umgangsformen gegenüber Kunden wohl aufpolieren.
Am anderen Ende des Wartezimmers steht ein Mann in einem schwarzen Beerdigungsanzug, an einem Nylonseil einen Golden Retriever. Der Hund scheint unbedingt zu mir zu wollen - der Schwanz wedelt, die Krallen kratzen auf dem Linoleum. Der Mann am anderen Ende der provisorischen Leine hat aber andere Pläne. Kaum hörbare Flüche formen sich auf seinen Lippen, während er am Seil reißt.
»Sind Sie der Doktor?«, fragt er. Ich sehe auf meinen weißen Kittel, der mehr wie ein Kostüm denn wie Berufskleidung aussieht (und sich auch so anfühlt). Er ist an den Achseln etwas eng, am Handgelenk etwas kurz, aber ich habe wenigstens daran gedacht, mir ein Stethoskop wie einen Schal um den Hals zu legen. Und doch fühle ich mich wie ein Betrüger. Vielleicht liegt das daran, dass ich ein bisschen ein Betrüger bin.
»Ja«, sage ich nickend. Die Silbe so langsam zu dehnen verstärkt meine Glaubwürdigkeit auch nicht gerade. »Ich bin der Doktor.« Der Mann späht über meine Schulter auf das Schild, das an die Tür des Behandlungszimmers geschraubt ist
- DR. MED. VET. ROBERT COBB.
»Ich dachte, Doc Cobb ist tot?«
»Das ist er. Ich bin Dr. Mills.«
Der Mann zieht eine Augenbraue hoch. Wenn er glaubt, ich würde das näher erläutern, liegt er falsch.
... mehr
»Egal«, sagt er mit einem übertriebenen Seufzer, der eine Alkoholfahne in meine Richtung bläst. »Ich brauche nur jemanden, der sie einschläfert.« Er hält Daumen und Zeigefinger wie eine Pistole in Richtung des Hundes, dabei sieht er mich an.
Unglaublich. Noch keine vier Stunden wieder in der Stadt, und zum ersten Mal seit vierzehn Jahren arbeite ich mit einem lebendigen, atmenden Wesen, und worum bittet man mich als Erstes? Um Sterbehilfe. Wie passend.
»Okay«, sage ich, allerdings nicht überzeugt. »Kommen Sie am besten ins Behandlungszimmer.«
Ich gehe voran, und zu meinem Entsetzen lässt der Mann das Seil los, und ein aufgedrehter Golden Runner rast auf meine Lenden zu.
»Frieda, verdammt noch mal«, murmelt der Mann, während er hinter ihr herstolpert.
Meine ausgestreckte Hand soll Zähne, Fell und Sabber abhalten oder wenigstens ihren Schwung abbremsen, aber Frieda nimmt meine Abwehr als Willkommensgruß. Sie gräbt ihre graue Schnauze in meine Hand und reibt ihren Körper an meinen Beinen. Eine dunkle Cordhose und ein Golden Retriever sind keine gute Kombination.
Frieda läuft dann an mir vorbei, und ich lenke sie durch den kurzen Flur ins Behandlungszimmer, das sich in fast einem halben Jahrhundert kein bisschen verändert hat - in der Mitte steht ein matter, zerkratzter Untersuchungstisch aus rostfreiem Stahl, Melaninarbeitsflächen mit abgeplatzten Kanten, unmarkierte Schubladen und Schränke, die in grüne Wände eingebaut sind. Es gibt eine Holzbank für die Herrchen, einen Holzhocker für den Doktor. Während der letzten Jahre ist dieser Raum vielleicht geschrumpft, aber im Moment fühlt er sich kahl an, eher klaustrophobisch als gemütlich, und ein deutlicher Geruch von Desinfektionsmitteln liegt in der Luft.
»Frieda ist ... war ... also eine Patientin von Dr. Cobb?«, frage ich.
»Nein.«
»Ich verstehe nicht.«
»Sie war nicht seine Patientin. Das ist wahrscheinlich das erste Mal, dass sie bei einem Tierarzt ist.«
Wahrscheinlich? Was bedeutet wahrscheinlich?
Der Mann blinzelt beim Sprechen. Er hat eine Halbglatze, sodass auf der Stirn viel Platz für Sorgenfalten ist. Seine Krawatte sitzt locker, der oberste Hemdknopf ist geöffnet, und ich erkenne gerötete Haut an seinem Hals - wahrscheinlich ist sie es nicht gewohnt, von einem gestärkten Hemdkragen eingeengt zu werden. Aber in diesem Moment fällt mir am meisten auf, dass ich an seinem dunklen Anzug kein einziges blondes Golden-Retriever-Haar entdecken kann.
»Ist sie krank?«, frage ich und sehe zu Frieda hinunter. Sie hat sich beruhigt, und damit meine ich, dass sie zu einem Anhängsel geworden ist und an meinem rechten Bein klebt, als wären wir verbunden wie Teilnehmer an einem Menschen- Tier-Rennen auf sechs Beinen. Und sie bleibt nur ruhig, wenn ich eine Hand auf ihren Kopf lege. Ich bewege meine Finger leicht in ihrem Fell. Was soll's, wenn mein Kontakt eher wie ein vorsichtiges Segnen als ein freundliches Tätscheln aussieht?
»Sie hat Unfälle.« Der Mann spricht lauter und runzelt die Stirn, als sei das Grund genug, um ihr Leben zu beenden. »Jeden Morgen. An der immer gleichen Stelle. Ich habe gerade erst die Böden richten lassen, und sie sind schon wieder ruiniert. Es ist nicht so, als würde ich das hier gerne machen oder so.«
Sein Gerede geht an mir vorbei. Instinktiv konzentriere ich mich auf die Details.
»Unfälle? Urin oder Stuhlgang?«
»Sie pinkelt in die Küche. Viel.«
»Was heißt viel? Ein normaler erwachsener Hund unter normalen Umständen produziert innerhalb von vierundzwanzig Stunden zwischen zwanzig und vierzig Milliliter Urin pro Kilogramm Körpergewicht. Ich schätze, sie wiegt ... sagen wir ungefähr vierzig Kilo, dann ist ein Volumen von ...«
»Ich weiß nur, dass sie wie ein Rennpferd pisst.«
Ich entferne das raue Nylonseil von Friedas Hals. Sie läuft nicht weg.
»Ist sie sterilisiert?«
»Keine Ahnung.« Er sieht auf das Handy in seiner Hand und fängt an, etwas einzutippen.
»Sie wissen es nicht?«, frage ich.
Er schaut finster auf. Ich beschließe, die Strategie zu ändern.
»Frisst sie gut?«
»Klar.«
»Erbricht sie?«
Er schüttelt den Kopf.
»Trinkt sie viel? Trinkt sie aus der Kloschüssel?«
»Das ist ekelhaft.«
Jetzt ziehe ich die Augenbrauen hoch.
»Ich habe es jedenfalls nicht gesehen.«
Ich gehe einen Schritt auf den Mann zu, und wieder trifft mich seine Alkoholfahne. Mein goldener Schatten tut es mir nach.
»Es tut mir leid, so direkt zu sein, aber irgendetwas stimmt nicht.«
Der Mann wiegt sich ein bisschen auf den Fußballen, verzieht das Gesicht in ungläubige Falten. Ich habe aufgehört, Frieda zu tätscheln, und so heftig, wie ihre Schnauze sich in meinen Schritt bohrt, scheint ihr das nicht zu gefallen. Sie bellt, und ich gebe nach.
»Schauen wir uns mal die Fakten an«, sage ich und fühle mich selbstbewusster und sicherer. »Zunächst mal: Ihr Hund ist adipös, es gibt keinerlei Anzeichen für Gewichtsverlust, und daher ist es unwahrscheinlich, dass Krebs der Grund für das unangemessene Urinieren ist. Da keine bilaterale, symmetrische Alopezie vorliegt, scheidet das Cushing-Syndrom aus, und Ihre Geschichte passt nicht zu einem Nierenleiden oder zu Diabetes. Von einem rein physiologischen Standpunkt aus kann ein Hund einfach nicht bei normaler Wasserzufuhr exzessiv an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Tageszeit urinieren.«
Sein Gesicht entspannt sich wieder. »Wovon reden Sie?«
Ich hole tief Luft. Ich habe das Pech, dass mich meine komplette berufliche Karriere nicht darauf vorbereitet hat, die Details von Polydipsie und Polyurie mit betrunkenen Laien zu besprechen, um es höflich zu formulieren. Andererseits ist kaum Small Talk und informatives Besprechen angebracht, wenn deine Patienten tot sind und nie mit einem Herrchen auftauchen. Was für mich völlig in Ordnung ist.
»Woher kommen Sie?«, fragt der Mann, bevor ich seine anscheinend rhetorische Frage beantworten kann. »Aus dem Süden?«
Angesichts unseres aktuellen Breitengrades im nördlichsten Teil von Vermont könnte ich ihn darauf hinweisen, dass so ziemlich alles unterhalb des achtundvierzigsten Breitengrades im »Süden« liegt.
»Ja, Sir, Charleston, South Carolina.«
»Weit weg von zu Hause.«
Ich schaffe es, künstlich zu lächeln, und schweige. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.
»Sie sind neu hier, Sie sind ein Fremder, also lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben«, sagt er in einem heftigen, alkoholgeschwängerten Flüsterton und lehnt sich vor. »Ihre tolle Medizinersprache bedeutet den Leuten hier im Ort nichts.« Er lehnt sich zurück. »Ich bin nicht hier, um mir eine Predigt anzuhören. Ich bin hier, um das mit meinem Hund zu erledigen.«
Das mit meinem Hund zu erledigen. Es ist fast anderthalb Jahrzehnte her, dass ich meinen Abschluss in Tiermedizin gemacht habe, entschlossen, in die Fußspuren meiner Mutter zu treten und ein Experte in einer besonderen und von den meisten Tierbesitzern unterbewerteten Disziplin zu werden - Veterinärpathologie. Wenn Sie den Namen der Krankheit Ihres Tieres wissen wollen, dann bin ich Ihr Mann - ein Veterinärpathologe. Wir sind die Ärzte, die den Tag damit verbringen, durch Mikroskope zu starren und sich Präparate, hauchdünne Scheiben von krankem Gewebe, anzusehen, damit Sie eine Diagnose bekommen. Sexy? Vielleicht nicht. Wichtig? Wie William H. Macy in dem Film Fargo sagt: »Verdammt wichtig!«. Wortwörtlich bedeutet Pathologie die Wissenschaft vom Leiden, und wenn ich irgendetwas daraus gelernt habe, dann den Respekt für das Leben. Das mit meinem Hund zu erledigen. Was für ein Idiot. Ich bin vielleicht an die klinischen Aspekte des Todes gewöhnt, aber die lässige Einstellung dieses Typen macht selbst mich sauer.
»Nur damit das klar ist«, sage ich. »Sie haben überhaupt kein Interesse daran, das Problem Ihres Hundes zu lösen?«
Der Mann sieht mich zornig an und drückt seine Fingerspitzen auf die Stirn, als könne er so tatsächlich ein paar der Falten wegbügeln.
»Hören Sie, es tut mir leid.«
Ich mache eine Pause und zwinge mich, die Augen zu schließen, bevor ich »Aber nicht leid genug« sage.
Er erstarrt. »Ihr Tierärzte seid doch alle gleich. Wollt immer auf dieses und jenes testen und Medikamente geben. Wisst nie, wann es genug ist.«
»Ich dachte, Sie hätten gesagt, dass Ihr Hund noch nie einen Tierarzt gesehen hat?«
Er atmet ein, die Luft zischt durch zusammengebissene Zähne. »Es ist eine einfache Rechnung. Ich kann es mir nicht leisten herauszufinden, was mit ihr los ist. Ich kann es mir nicht leisten, sie heilen zu lassen. Und im Moment kann ich es mir nicht leisten, mit ihr zu leben. So ist es eben.«
Ich sehe nach unten zu Frieda. Sie ist unnatürlich anhänglich, offensichtlich promiskuitiv in ihrer Zuneigung, und dank ihr sehen meine verschwitzten Handinnenflächen so aus, als trüge ich goldene Handschuhe. Na wunderbar. Trotzdem scheint sie, soweit ich das beurteilen kann, glücklich zu sein. Ich sehe zu dem Mann hoch, in der Hoffnung, nichts als das Böse in seinen Augen zu erkennen, und doch, trotz seiner distanzierten, pragmatischen Logik, habe ich den Eindruck, dass ihm die Entscheidung schwererfällt, als er vorgibt. Ich will das nicht tun, aber ich bin mir sicher, wenn ich es verweigere, geht er woandershin. Ich habe wohl keine Wahl.
»Nun gut«, sage ich nach einer bedeutsamen Pause. »Es ist Ihre Entscheidung, aber Sie müssen eine Einverständniserklärung unterschreiben.« Wenn ich das Formular finde.
»Ist das wirklich nötig?«, fragt er.
Ich ziehe eine Schublade heraus - Schachteln voller Nadeln unterschiedlicher Stärke und Länge. Die Schublade darunter enthält Spritzen. Die dritte ist voller Papierkram - Einverständniserklärungen für Operationen, Rezeptblöcke, Zertifikate über Tollwutimpfung -, aber keine Einverständniserklärung fürs Einschläfern.
»Wissen Sie, ich möchte bei der ... bei der, äh ... Spritze lieber nicht dabei sein«, sagt er, plötzlich zerknirscht, und geht rückwärts in Richtung Tür. »Ist das in Ordnung, sie bei Ihnen zu lassen?«
»Sir, Sie müssen noch eine Einverständniserklärung unterschreiben. «
Ich blättere weiter durch die Papiere und spüre, wie sich Schweißperlen auf meiner Oberlippe bilden.
»Wissen Sie was, ich komme einfach morgen früh vorbei und unterschreibe dann.«
»Als Erstes?«, frage ich. Er nickt und ist schon fast aus der Tür, als ich mich an den Grund erinnere, warum ich in diesem Schlamassel und einem schlecht sitzenden weißen Kittel stecke, von meinem Zuhause eintausend Meilen entfernt. »Hey, bevor Sie gehen, da ist noch die Rechnung.«
Er bleibt stehen.
»Natürlich«, sagt er, greift in seine Brusttasche und fummelt an einem Geldbeutel herum.
Ich weiß, was Sie denken: Wie kann ich so eiskalt sein und in einem solchen Moment über Geld reden? Na ja, aus zwei Gründen - Mr Kohlschwarzer Anzug ist offensichtlich nicht sentimental, und für meine aktuellen Umstände ist das entscheidend.
»Wie viel?«
Ich habe keine Ahnung, wie viel ich berechnen soll. Ich wähle eine Summe.
»Vierzig.«
»Ich habe nur einen Zwanziger.«
»Soll ich ihr die halbe Dosis geben?«
Das ist mir so herausgerutscht, und der Mann sieht mich an, als könne ich es ernst meinen.
»Kann ich das morgen begleichen, wenn ich für die Unterschrift wiederkomme?«
Meine Schultern rutschen besiegt nach unten. »Ich denke schon«, sage ich, und er drückt mir den Schein in die Hand, als würde er dem Henker ein Trinkgeld geben, dann geht er. Er verabschiedet sich nicht von mir und, viel wichtiger, auch nicht von Frieda.
Ich warte auf das Klingeln der Türglocke, als er durch die Tür geht, und erlaube mir, tief durchzuatmen. Wenn man das, was ich jetzt tun soll, und meine fehlende Erfahrung anschaut, dann ist es vielleicht das Beste, wenn Frieda und ich allein gelassen werden.
Trotz der Anhänglichkeit meines Fellpartners schaffe ich es, eine 12-ml-Spritze, eine zwanziger Nadel, einen Stauschlauch und eine durchsichtige Plastikflasche mit einer kobaltblauen Flüssigkeit und dem verstörenden Etikett BEATHANASIA zu finden. Dämlicher Name. Wo ist die Schönheit bei einer Überdosis Barbiturate?
Ich sehe nach unten auf meine Patientin. Oder vielleicht wäre Opfer das passendere Wort. Sie muss ungefähr zwölf, vielleicht dreizehn Jahre alt sein. Meine Schätzung basiert auf mehreren Beobachtungen. Abgesehen von ihrer offensichtlich grauen Schnauze sind ihre Ellbogen dick und schwielig wie Lederflecken auf einer abgewetzten Jacke und vom zu vielen Liegen abgetragen. Ihr Atem hat ein deutliches und offen gesagt unangenehmes Bouquet - durch massive Zahnkrankheiten -, und außerdem scheint sie ihren Kopf oft zu schütteln, wahrscheinlich das Resultat einer chronischen Liebe für das Schwimmen in Teichen und Seen. Im Moment hechelt sie. Kein Wunder, in dieser fremden Umgebung. Ich nehme an, dass wir beide auf einer Adrenalinwelle surfen, nur dass ihre aus Aufregung und meine aus nervöser Vorahnung besteht.
Reiß dich zusammen. Du musst etwas erledigen. Es ist an der Zeit, das Mitleid mit herzloser Kaltschnäuzigkeit zu vertreiben.
Das Problem ist, um mein Gift zu verabreichen, muss ich an eine Vene, und das bedeutet, ihr richtig nah zu kommen, und das bedeutet, Frieda auf den Behandlungstisch zu heben. Ich fange an, auf die metallene Oberfläche des Behandlungstischs zu klopfen. Was denke ich bloß? Selbst höfliche Zeitgenossen würden ihre Proportionen als, nun ja, Übergröße bezeichnen, vielleicht nicht ganz Zirkuszeltmaße, aber man würde ihr auf jeden Fall von einem Bikini abraten. Sie wird nicht hier heraufspringen. Wie stelle ich es am besten an?
Meine Hand liegt auf ihrem Kopf. Langsam reduziere ich den Kontakt, bis nur noch ein Finger liegen bleibt, als wäre sie ein Schachbrett und ich dächte über meinen nächsten Zug nach. Sie bleibt ruhig, also trete ich vorsichtig einen Schritt zurück. Ich gehe meine Möglichkeiten durch. Nutze ich die Überraschung und renne mit weit offenen Armen auf sie zu? Oder sollte ich versuchen, sie zu überzeugen, ihr eine falsche Sicherheit vorgaukeln und dann zuschlagen: ihre Glieder nach unten drücken, ihren Kopf festhalten und auf schnappende Kiefer achten? Neugierige schokoladenbraune Augen schauen auf.
Ich lege los - einen Arm vorn um ihre Schultern, einen Arm um ihren Hintern, und trotz eines unhygienischen Mundvoll goldener Haare schaffe ich es irgendwie, sie auf den Tisch zu ziehen, hieven und schieben.
Während ich den stechenden Schmerz in meinem unteren Rücken verfluche, erschrecke ich über mein Spiegelbild in der Metalloberfläche. Es starrt mich mit gespenstisch weißen Wangen und Kinn an, weil ich mir gestern nach Jahren den Bart abrasiert habe. Es sieht so merkwürdig aus, wie es sich anfühlt. Ich könnte genauso gut einen Fremden ansehen, wären da nicht meine Haare und meine Nase. Vergiss dreckiges Blond, der wilde Mopp ist langweilig braun, aber ich halte meine Nase eher für römisch und nicht für groß. Währenddessen legt sich Frieda, an meinem neuen Aussehen völlig uninteressiert, in einer Hundeversion vom fliegenden Supermann auf den Tisch, die Vorderläufe ausgestreckt, die Hinterläufe ausgestreckt, und dieser fedrige Schwanz hört einfach nicht auf zu wedeln.
»Du musst jetzt so ruhig wie möglich bleiben.« Das Zittern meiner Stimme wird in dem kleinen Raum noch verstärkt, und mein Tonfall ist falsch - zu formell -, als spräche ich mit einer anderen Person und nicht mit einem Hund. Vielleicht ist es besser, wenn ich den Mund halte. Ich weiß schon, dass es besser ist, ihr nicht in die Augen zu sehen.
Sei distanziert, beherrscht und mechanisch. Leider vermute ich, dass das nicht sehr davon abweicht, wie mich manche Personen schon jetzt beschreiben würden.
Ich gehe die gesamte Prozedur noch mal Schritt für Schritt durch. Alles ist bereit. Ich bin vorbereitet, aber mein Atem stockt immer noch nervös.
Ich stecke einen elektrischen Rasierer ein, schalte ihn an und erschrecke bei dem harten Klappern der Messer.
»Es ist okay«, sage ich mehr zu mir als zu Frieda. Ich greife nach einem Vorderlauf, und ohne zu zögern macht Frieda etwas völlig Natürliches, das mich innehalten lässt: Sie gibt mir ihre Pfote. Glauben Sie mir, anthropomorphisches Blabla existiert nicht in meinem Vokabular, aber ich kann diese einfache Geste nicht anders interpretieren, als dass sie »Ich vertraue dir« schreit.
Und was für eine interessante, übergroße Pfote es ist, dicke Fellbüschel stecken zwischen der Haut, als trage sie pelzige goldene Pantoffeln. Wider besseres Wissen und auch nur, weil wir allein sind, ergreife ich sie und schüttele sie zögernd. Meine Hand bewegt sich immer noch auf und ab, als ich bemerke, dass sich bestimmte Muskelgruppen rund um Friedas Lefzen anspannen. Das ergibt keinen Sinn. Lächelt der Hund?
Ich lasse ihre Pfote los. Was bedeutet das? Hunde können nicht lächeln, und »Pfötchen geben« ist eine erlernte Fähigkeit, die mit Essen oder Aufmerksamkeit belohnt wird. Mir diese Tatsachen ins Gedächtnis zu rufen hilft mir, meine Fassung wiederzuerlangen, dann fällt mir etwas Seltsames auf: Ein paar winzige Flecken auf ihrem Nagelbett, es scheint abgeplatzter rosa Nagellack zu sein. Es ist unwahrscheinlich, dass der Mann im kohlschwarzen Anzug das gemacht hat. Offensichtlich steckt noch mehr hinter der Geschichte dieses Hundes.
Frieda hebt zum zweiten Mal die Pfote hoch. Ich stöhne. Diese Nähe zu einer lebenden Kreatur ist so ungewohnt wie verstörend. Genau deswegen habe ich meine gesamte Karriere als Tierarzt damit verbracht, solche unangenehmen Treffen zu vermeiden. Natürlich kann ich alles, all das, was man als Allgemeintierarzt wissen muss (hey, dass ich den besten Abschluss meines Jahrgangs gemacht habe, muss doch für irgendetwas gut sein). Das Problem ist, das letzte Mal, dass ich mit einem Tier mit einem Herzschlag gearbeitet habe, war eine Woche vor meinem Uniabschluss, und im Laufe der Jahre könnte ich unterschätzt haben, dass sich eine gewisse ... ich weiß nicht ... Sentimentalität in alles mischt.
»Lass mich ein bisschen Fell rasieren, los geht's.«
Frieda hechelt nicht mehr, und ihr Schwanz wedelt langsamer. Ich lege den Rasierer wieder auf die Arbeitsfläche, nehme den Gummistauschlauch, fange ihren Vorderlauf ein und ziehe den Schlauch fest. Ich spüre, wie sich ihr Kopf entspannt und wie die warme Luft ihres Seufzers an meiner Wange vorbeiweht, als sie ihr Kinn auf ihren freien Vorderlauf legt.
Ich brauche den Maulkorb wohl doch nicht. Irgendwie bleibt Frieda trotz dieses fremden Aufeinandertreffens zufrieden. Ich dagegen kann das Zittern meiner Hände nicht kontrollieren.
Ich konzentriere mich auf das Stückchen nackter Haut, wische es mit Alkohol ab und sehe zu, wie die Vene hervortritt, dick und gerade.
Golden Retriever gehören immer noch zu den beliebtesten Hunderassen, auf Platz vier hinter Labrador, Schäferhund und Beagle.
Das schnelle Pulsieren von Blut in meinen Ohren wird langsamer. Es ist ein Trick, der nur selten seine Wirkung verfehlt, ein Geheimnis, das mir ein alter Anatomielehrer anvertraut hat, um vor einer Prüfung ruhig zu bleiben: Fakten und Beobachtungen aufzulisten. In Situationen, in denen man sehr unter Druck steht, immer hilfreich.
Wahrscheinlich haben Golden Retriever mehr Hauptrollen in Filmen gehabt als jede andere Rasse.
Okay, manche meiner Informationen und nutzlosen Fakten sind klinisch irrelevant.
Ungefähr sechzig Prozent aller Golden Retriever werden an Krebs sterben, eine Rate, die knapp doppelt so hoch ist wie bei den meisten anderen Rassen.
Vielleicht könnte ich mir einreden, dass Friedas angebliche Inkontinenz von Blasenkrebs herrührt, einem aggressiven Zellkarzinom - inoperabel und schmerzhaft. Wenn es Krebs wäre, wenn ich es sicher wüsste, dann würde ich ihr einen Gefallen tun, ihr Leiden zu beenden. Ich runzele die Stirn und schüttele den Kopf. Die Wahrheit ist, dass ich es nie wissen werde. Ich würde es mir nur einreden, um mich besser zu fühlen. Wenn ich so tun will, als sei ich ein echter Tierarzt, selbst für eine kurze Zeit, dann muss ich etwas erlernen, was für mich ein völlig fremdes Konzept ist: klinische Unklarheit.
Mit Nadel und Spritze in der Hand riskiere ich einen Blick in Friedas Augen. Großer Fehler. Obwohl ihr Kopf ganz ruhig bleibt, wedelt ihr Schwanz schneller.
»Braves Mädchen«, sage ich, tätschele ihren Kopf und verrate alles, was sie in mir sieht, als meine zitternde Hand die Nadel in die Vena cephalica sticht. Sie rührt sich nicht. Sie zuckt nicht zurück. Sie gibt keinen Laut von sich. Ich ziehe am Kolben, wie ich es als Student gelernt habe, und rotes Blut sprudelt in die Spritze. Ich kann es nicht glauben, ich bin beim ersten Versuch drin.
Jetzt gilt's. Ich bin vielleicht nicht der sentimentalste Kerl auf der Welt, aber selbst ich verstehe, dass das ein Augenblick ist, in dem Frieda beruhigende Worte einer bekannten Stimme hören und tröstend von jemandem gestreichelt werden sollte, der sie liebt. Gedanken an den Tod meiner Mutter gehen mir durch den Kopf, unmöglich, den Vergleich zu ignorieren. Ich schüttele die Erinnerungen aus meinem Kopf und versuche, mich zu konzentrieren.
Noch nie hat ein Golden Retriever die Show in Westminster gewonnen.
Ich stehe vor ihr, beuge mich vor, nähere mich, Mittelund Zeigefinger stabilisieren die Plastikspritze, der Daumen ausgestreckt, bereit, den Kolben zu drücken. Und zum ersten Mal, seit wir uns begegnet sind, bewegt sich Friedas Schwanz nicht.
Ich hebe meinen Kopf ein bisschen an, und dieses Mal leckt mich Frieda mit der Zungenspitze direkt über die Nase. Und das war's. Das brauchte ich noch, um endgültig zu akzeptieren, dass ich das nicht tun kann. Ich ziehe die Nadel schnell heraus und drücke meinen Daumen auf die Vene. Ich hatte völlig vergessen, welche Gefühle solche Maßnahmen in mir auslösen. Nein, vergessen ist nicht das richtige Wort. Vergessen klingt nach etwas, das über die Jahre verblasste, und, um ehrlich zu sein, ich habe eine Karriere eingeschlagen, die genau diese Art von emotionaler Konfrontation vermeidet oder sie unterdrückt. Ich nehme an, dass ich nie zu einem Tierarzt getaugt habe, der immer ein tröstendes Wort oder eine hilfreiche Schulter zum Ausweinen bieten kann.
Zehntausend Katzen und Hunde werden jeden Tag in den Vereinigten Staaten eingeschläfert.
Besser gesagt zehntausend minus eins.
»Das verheißt nichts Gutes«, sage ich laut, meine Gedanken schweifen über dieses konkrete Fiasko zu allem anderen, das ich werde ertragen müssen, um aus dem Schlamassel herauszukommen, in dem ich mich befinde. Wie ich mich nach der beruhigenden Stille meines bisherigen Publikums sehne.
Was werde ich jetzt tun? Diese Krise hat sich von schwierig zu katastrophal entwickelt. Es geht um mehr als um den goldfarbenen Hund, der erwartungsvoll zu mir aufsieht. Es ist das größere Problem, das mich zum ersten Mal seit zwanzig Jahren in genau diesen Raum, in genau diese Stadt zurücktrieb.
Plötzlich hebt Frieda den Kopf, als wittere sie etwas. Und dann hören wir es beide: das Klingeln der Türglocke.
Ist Mr Kohlschwarzer Anzug zurückgekommen, um nachzusehen, ob die Tat vollbracht wurde?
ZWEI
Wir hören Schritte näher kommen. Ich kann mich nirgendwo verstecken, und eine gute Erklärung fällt mir auch nicht ein. Ein rasches, doppeltes Klopfen, die Tür zum Behandlungszimmer geht auf, und Frieda und ich starren wie Diebe, die mit den Fingern (und Pfoten) in der Kasse erwischt werden.
»Guten Abend, Dr. Mills. Sie sind noch hier? Wie war Ihr erster Abend? Wer ist denn der Golden Oldie?«
Frieda will nicht auf eine formelle Vorstellung warten und geht sofort zu einer hemmungslosen, körperlichen Begrüßung über, ähnlich wie bei mir.
»Lewis, das ist Frieda. Mein einziger Fall heute Abend.« Dr. Fielding Lewis ist ein seltsamer, kleiner Mann, sehr überschwänglich, der einem beim Sprechen immer zu nahkommt und für einen Dreiundsiebzigjährigen lächerlich volle graue Haare hat und der, trotz der späten Stunde, offensichtlich gerne bunte Seidenfliegen trägt. Laut Lewis waren er und der verstorbene Dr. Robert Cobb über die letzten fünfzehn Jahre die besten Freunde und berufliche Rivalen. Und obwohl er nur Teilzeit arbeitet, ist Lewis die Seele der Tierarztpraxis, einer Praxis, die mit dem absurden Namen The Bedside Manor for Sick Animals geschlagen ist.
Was von dem Unternehmen noch übrig ist, hängt am Tropf, aber ohne die selbstlose Begeisterung von Dr. Fielding Lewis wäre die Praxis, da bin ich mir sicher, schon längst geschlossen.
Lewis versucht, sich aus Friedas Umarmung zu befreien. »Warum ist sie hier?«
Ich kratze mich an meinem Hinterkopf.
»Na ja, ich hatte Schwierigkeiten, das auszuführen, worum ich gebeten wurde.«
Lewis hört auf, Frieda zu streicheln, und betrachtet mich. »Worum wurden Sie denn gebeten?«
Frieda toleriert diese Pflichtverletzung keine zwei Sekunden. Sie bellt, und er muss nachgeben.
Ich zucke zusammen. »Sie einzuschläfern.«
Er hört wieder auf, Frieda zu streicheln. Ich kann nicht sagen, ob der Hund ungläubig oder beleidigt reagiert. Auf jeden Fall kommt sie wieder zu mir und stellt sich unter meine rechte Hand.
»Es kann schwierig sein, allein mit einem ungestümen Tier zu arbeiten«, sagt Lewis. »Ich halte sie gerne, während Sie ihr die Spritze geben.«
»Das ist nicht das Problem.«
Ich zögere und sehe zu, wie Lewis seinen Kopf ein wenig schräg legt und seine Lippen nachdenklich schürzt.
»Was dann?«
Er wartet auf eine Antwort, aber gleichzeitig spüre ich, dass er nicht erwartet, eine zu bekommen. Wie soll ich das Gefühl in Worte fassen? Antwort: Versuch es gar nicht erst. Bleib bei dem, was du am besten kannst.
»Das Problem ist, einen Hund zu töten, dem vermehrtes Urinieren vorgeworfen wird, was ich nur vom Hörensagen und Indizien weiß.«
Lewis grinst trocken. »Aber, Cyrus, ich dachte, gerade Sie wären an Tod und Distanz gewöhnt.«
»Das bin ich«, sage ich, obwohl diese Zusammenfassung meiner Karriere als Pathologe ein bisschen hart klingt.
»Unser Beruf bedeutet eine enorme Verantwortung, wenn es um das Einschläfern geht. Wir gehören zur Dienstleistungsindustrie, und leider gelten Tiere vor dem Gesetz immer noch als Eigentum. Natürlich wünschte ich mir manchmal, ich könnte einen Besitzer davon überzeugen, ein Tier nicht einschläfern zu lassen, aber wenn die Entscheidung einmal steht und wir die Aufgabe angenommen haben, ist es unsere Pflicht, sie auszuführen. Wir sind kein Tierrettungsdienst. Wir können uns das einfach nicht leisten.«
Lewis macht eine Pause und betrachtet mich. »Gibt's da irgendetwas, das Sie mir nicht erzählen?«
Ich spüre, dass er Knöpfe drückt, etwas ausprobiert, versucht, mich zu öffnen. Vielleicht komme ich mit etwas Ausweichendem, aber doch Wahrem durch.
»Wissen Sie, Fielding, die Sache ist die ... äh ... ich war noch nie persönlich dafür verantwortlich, ein Leben zu beenden. «
Lewis lehnt sich zurück. »Sie haben noch nie ein Tier eingeschläfert? «
Ich schüttele den Kopf.
»Möchten Sie, dass ich es tue?«
Der Hund ist ruhig unter meiner Hand, atmet leicht mit geschlossenen Augen. »Sicher nicht.«
»Was wollen Sie dann, verdammt noch mal, tun?« Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich höre, wie Lewis lauter wird. »Ich meine, das ist ja nicht gerade beispielhaftes berufliches Verhalten, und bei einem Mann in Ihrer, wie soll ich sagen, heiklen Lage ist eine Andeutung von Fehlverhalten oder Betrug das Letzte, was wir brauchen.«
Ich wische mit der flachen Hand über mein Gesicht und lege die Fingerspitzen auf meine Lippen. Er hat absolut recht. Das Wort heikel ist eine Untertreibung. Denn sehen Sie, um als Tierarzt im Bedside Manor arbeiten zu dürfen, brauche ich eine Lizenz vom Staat Vermont, was für einen regulär approbierten Arzt mit gutem Leumund nur eine Formalität darstellt. Für einen Arzt jedoch, dessen Lizenz in einem anderen Staat eingezogen wurde und der auf eine Anhörung wartet, ist es ein Riesenproblem. Lewis ist der Einzige, der Bescheid weiß. Es ist egal, dass die Vorwürfe erstunken und erlogen sind, eine Vendetta eines früheren Arbeitgebers, weil ich einen Prozess wegen falscher Einschläferung angestrengt habe. Es ist egal, dass das nichts mit klinischer Nachlässigkeit oder Kunstfehlern zu tun hat. Was zählt (und mehr, als ich es ihm sagen kann), ist, dass Lewis mir zu hundert Prozent glaubt und mich unterstützt. Deswegen habe ich ihm gesagt, dass ich mich unauffällig verhalten und sicherstellen würde, dass mein Ruf unbefleckt und jenseits jeglichen Vorwurfs bliebe, dann würde auch niemand etwas erfahren. Jedenfalls so lange, bis ich das erreicht hätte, was ich mit Bedside Manor vorhabe. Was könnte schon schiefgehen?
»Die Sache ist die, irgendwas stimmt nicht mit diesem Hund.«
Lewis macht sich lustig, dann wird ihm bewusst, dass ich es ernst meine, und er kommt zu mir, um meine Schulter zu drücken. Er ist für meinen Geschmack viel zu gefühlvoll und sucht zu schnell Körperkontakt.
»Cyrus, ich will Sie nicht kritisieren, aber Sie haben selbst gesagt, dass Sie noch keinen Tag als echter Tierarzt gearbeitet haben. ›Echt‹ war Ihr Wort, nicht meines. Plötzlich, bei Ihrem allerersten Fall, sagen Sie mir, dass Sie bei einem armen Golden Retriever einen sechsten Sinn entwickelt haben. «
Ich zwinge mich zu lächeln. »Seien Sie nachsichtig mit mir. Ich habe bei dem Hund Zweifel.«
»Welche Zweifel?«
»Zweifel an den Motiven des Besitzers.«
Lewis lockert seinen Griff. »Wer ist der Besitzer?«
Als dem alten Mann mein Anfängerfehler klar wird, werden seine Gesichtsmuskeln hart.
»Es tut mir leid«, sage ich, genervt vom weinerlichen, hohen Tonfall meiner Stimme. »Er kam einfach herein und wollte, dass ich sie einschläfere. Ich bin erst seit gestern in der Stadt und habe keine Ahnung, was ich tue, und mein erster Kunde will, dass ich seinen Hund töte. Ich konnte nicht mehr klar denken.«
Lewis schaut sich den Retriever an. »Ich erkenne sie nicht. Sind wir sicher, dass das Frieda ist? Ich kann kein Halsband oder Namensschild entdecken.«
»Frieda«, rufe ich. Frieda bewegt die Ohren und schaut mich an. »Quod erat demonstrandum.«
Lewis verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. »Brandy «, ruft er. Der Hund, der bisher als Frieda bekannt war, bewegt die Ohren und schaut Lewis direkt an.
»Verstanden«, sage ich, »aber ich glaube nicht, dass er sich einen Namen wie Frieda ausgedacht hat.«
Lewis scheint nicht überzeugt zu sein. Er fängt an, hin und her zu laufen. Plötzlich bleibt er stehen. »Wo ist das Formular zur Einverständniserklärung?«
Mein Zögern, ein erhobener Finger und langsames Einatmen sagen ihm alles.
»Ich nehme also an, dass Sie gar nicht über die Beerdigung gesprochen haben, allgemeine oder private Kremation, welche Urne benötigt wird et cetera.«
»Ich konnte die Papiere nicht finden. Ich habe Ihnen gesagt, dass es sehr, sehr lange her ist, seit mir irgendetwas dieser Art durch den Kopf gegangen ist.«
»Cyrus, das ist schlimm. Es sind genau solche Sachen, die uns untergehen lassen, bevor wir überhaupt loslegen. Ich meine, was, wenn der Hund gestohlen wurde? Was, wenn er gar nicht dem Mann gehört, der ihn gebracht hat? Was, wenn er ein griesgrämiger Nachbar ist, der Hunde hasst? Was, wenn der Hund Teil eines Sorgerechtsstreits ist und er seine Exfrau damit bestrafen will, ihren geliebten Retriever zu töten? Sie müssen aufwachen und die echte Welt der Tiermedizin sehen. Die Tierbesitzer können Ihre Verbindung zur Wahrheit sein. Wenn Sie diese Praxis am Leben erhalten wollen, dann müssen Sie lernen, mit ihnen umzugehen, Sie müssen lernen zu verstehen, was sie wollen, und Sie müssen lernen, dass die Leute nicht immer die Wahrheit sagen.«
Ich schaue zur Seite, um das schreckliche Geheimnis, das ich in mir trage, nicht zu verraten. »Wer hat irgendetwas davon gesagt, diese Praxis am Leben erhalten zu wollen?«
Völlig diskreditiert schnappe ich eine Dose Diäthundefutter von einem Regal im Wartezimmer und lasse mich von Frieda an ihrem Seil durch die Arbeitsräume, eine Hintertür und die Treppe hinauf zu den Wohnungen im ersten Stock ziehen. In den richtigen Händen könnte dieses Haus eine hübsche viktorianische Villa sein, aber soweit ich das sehe, ist es ein baufälliger Schatten seiner selbst - verrottende Verkleidung, lose Rohre, fehlende Dachziegel. Die Liste geht endlos weiter. Hausarbeit und Instandhaltung waren offensichtlich keine Prioritäten des verstorbenen Doc Cobb. Bedside Manor ist zwar nicht gerade das Haus, vor dem alle Kinder an Halloween Angst haben, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass seine Restaurierung das Budget der meisten Fernsehsendungen zum schöneren Wohnen übersteigt.
Oben am Ende der Treppe befindet sich eine schwere Tür, die die Privatsphäre sichern und Hundegebell draußen halten soll. Frieda stürmt hindurch, streift ihre Leine ab und saust durch den Flur. Sie scheint genau zu wissen, wonach sie sucht - der Küche. Ich folge ihr, ignoriere dabei die Blumentapete, die Blasen wirft und abblättert, und eile an dem leeren Raum vorbei, der Dr. Robert Cobbs Büro war. Die Tür ist geschlossen, und ich habe kein Interesse hineinzugehen. In diesem Teil des Gebäudes ist es schon unangenehm genug. Es fühlt sich an, als wäre ich in einem fremden Zuhause allein gelassen worden, und obwohl die Gerüche, das Knacken und Knarzen, die Kälte und die Schatten viele Erinnerungen wecken, fühle ich mich wie ein Eindringling.
Der Retriever sitzt auf den zersprungenen Bodenfliesen vor einem lila Haftzettel, der an der Kühlschranktür klebt. Er ist von Mrs Lewis. Sie ist zu nett. Da sie wusste, dass ich heute ankomme, hat diese Frau, die ich noch nie getroffen habe, das Haus geheizt, mein Bett gemacht und den Kühlschrank mit ein paar Basislebensmitteln gefüllt. Ein paar? Ich öffne die Tür und stelle fest, dass der Kühlschrank voll ist, vollgepackt mit genug beschrifteten Tupperwaredosen voller vorgekochter Mahlzeiten für eine Woche.
»Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob du ein letztes Abendmahl brauchst, aber sehen wir mal, ob ich etwas finde ...«
Rede ich mit dem Hund? Natürlich nicht. Ich denke nur laut, während ich nach einem Dosenöffner und einer leeren Schüssel suche. Frieda frisst, wie zu erwarten, als stünde sie kurz vor dem Tod durch den elektrischen Stuhl.
© der deutschsprachigen Ausgabe Oktober 2014 by Page &Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München
»Egal«, sagt er mit einem übertriebenen Seufzer, der eine Alkoholfahne in meine Richtung bläst. »Ich brauche nur jemanden, der sie einschläfert.« Er hält Daumen und Zeigefinger wie eine Pistole in Richtung des Hundes, dabei sieht er mich an.
Unglaublich. Noch keine vier Stunden wieder in der Stadt, und zum ersten Mal seit vierzehn Jahren arbeite ich mit einem lebendigen, atmenden Wesen, und worum bittet man mich als Erstes? Um Sterbehilfe. Wie passend.
»Okay«, sage ich, allerdings nicht überzeugt. »Kommen Sie am besten ins Behandlungszimmer.«
Ich gehe voran, und zu meinem Entsetzen lässt der Mann das Seil los, und ein aufgedrehter Golden Runner rast auf meine Lenden zu.
»Frieda, verdammt noch mal«, murmelt der Mann, während er hinter ihr herstolpert.
Meine ausgestreckte Hand soll Zähne, Fell und Sabber abhalten oder wenigstens ihren Schwung abbremsen, aber Frieda nimmt meine Abwehr als Willkommensgruß. Sie gräbt ihre graue Schnauze in meine Hand und reibt ihren Körper an meinen Beinen. Eine dunkle Cordhose und ein Golden Retriever sind keine gute Kombination.
Frieda läuft dann an mir vorbei, und ich lenke sie durch den kurzen Flur ins Behandlungszimmer, das sich in fast einem halben Jahrhundert kein bisschen verändert hat - in der Mitte steht ein matter, zerkratzter Untersuchungstisch aus rostfreiem Stahl, Melaninarbeitsflächen mit abgeplatzten Kanten, unmarkierte Schubladen und Schränke, die in grüne Wände eingebaut sind. Es gibt eine Holzbank für die Herrchen, einen Holzhocker für den Doktor. Während der letzten Jahre ist dieser Raum vielleicht geschrumpft, aber im Moment fühlt er sich kahl an, eher klaustrophobisch als gemütlich, und ein deutlicher Geruch von Desinfektionsmitteln liegt in der Luft.
»Frieda ist ... war ... also eine Patientin von Dr. Cobb?«, frage ich.
»Nein.«
»Ich verstehe nicht.«
»Sie war nicht seine Patientin. Das ist wahrscheinlich das erste Mal, dass sie bei einem Tierarzt ist.«
Wahrscheinlich? Was bedeutet wahrscheinlich?
Der Mann blinzelt beim Sprechen. Er hat eine Halbglatze, sodass auf der Stirn viel Platz für Sorgenfalten ist. Seine Krawatte sitzt locker, der oberste Hemdknopf ist geöffnet, und ich erkenne gerötete Haut an seinem Hals - wahrscheinlich ist sie es nicht gewohnt, von einem gestärkten Hemdkragen eingeengt zu werden. Aber in diesem Moment fällt mir am meisten auf, dass ich an seinem dunklen Anzug kein einziges blondes Golden-Retriever-Haar entdecken kann.
»Ist sie krank?«, frage ich und sehe zu Frieda hinunter. Sie hat sich beruhigt, und damit meine ich, dass sie zu einem Anhängsel geworden ist und an meinem rechten Bein klebt, als wären wir verbunden wie Teilnehmer an einem Menschen- Tier-Rennen auf sechs Beinen. Und sie bleibt nur ruhig, wenn ich eine Hand auf ihren Kopf lege. Ich bewege meine Finger leicht in ihrem Fell. Was soll's, wenn mein Kontakt eher wie ein vorsichtiges Segnen als ein freundliches Tätscheln aussieht?
»Sie hat Unfälle.« Der Mann spricht lauter und runzelt die Stirn, als sei das Grund genug, um ihr Leben zu beenden. »Jeden Morgen. An der immer gleichen Stelle. Ich habe gerade erst die Böden richten lassen, und sie sind schon wieder ruiniert. Es ist nicht so, als würde ich das hier gerne machen oder so.«
Sein Gerede geht an mir vorbei. Instinktiv konzentriere ich mich auf die Details.
»Unfälle? Urin oder Stuhlgang?«
»Sie pinkelt in die Küche. Viel.«
»Was heißt viel? Ein normaler erwachsener Hund unter normalen Umständen produziert innerhalb von vierundzwanzig Stunden zwischen zwanzig und vierzig Milliliter Urin pro Kilogramm Körpergewicht. Ich schätze, sie wiegt ... sagen wir ungefähr vierzig Kilo, dann ist ein Volumen von ...«
»Ich weiß nur, dass sie wie ein Rennpferd pisst.«
Ich entferne das raue Nylonseil von Friedas Hals. Sie läuft nicht weg.
»Ist sie sterilisiert?«
»Keine Ahnung.« Er sieht auf das Handy in seiner Hand und fängt an, etwas einzutippen.
»Sie wissen es nicht?«, frage ich.
Er schaut finster auf. Ich beschließe, die Strategie zu ändern.
»Frisst sie gut?«
»Klar.«
»Erbricht sie?«
Er schüttelt den Kopf.
»Trinkt sie viel? Trinkt sie aus der Kloschüssel?«
»Das ist ekelhaft.«
Jetzt ziehe ich die Augenbrauen hoch.
»Ich habe es jedenfalls nicht gesehen.«
Ich gehe einen Schritt auf den Mann zu, und wieder trifft mich seine Alkoholfahne. Mein goldener Schatten tut es mir nach.
»Es tut mir leid, so direkt zu sein, aber irgendetwas stimmt nicht.«
Der Mann wiegt sich ein bisschen auf den Fußballen, verzieht das Gesicht in ungläubige Falten. Ich habe aufgehört, Frieda zu tätscheln, und so heftig, wie ihre Schnauze sich in meinen Schritt bohrt, scheint ihr das nicht zu gefallen. Sie bellt, und ich gebe nach.
»Schauen wir uns mal die Fakten an«, sage ich und fühle mich selbstbewusster und sicherer. »Zunächst mal: Ihr Hund ist adipös, es gibt keinerlei Anzeichen für Gewichtsverlust, und daher ist es unwahrscheinlich, dass Krebs der Grund für das unangemessene Urinieren ist. Da keine bilaterale, symmetrische Alopezie vorliegt, scheidet das Cushing-Syndrom aus, und Ihre Geschichte passt nicht zu einem Nierenleiden oder zu Diabetes. Von einem rein physiologischen Standpunkt aus kann ein Hund einfach nicht bei normaler Wasserzufuhr exzessiv an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Tageszeit urinieren.«
Sein Gesicht entspannt sich wieder. »Wovon reden Sie?«
Ich hole tief Luft. Ich habe das Pech, dass mich meine komplette berufliche Karriere nicht darauf vorbereitet hat, die Details von Polydipsie und Polyurie mit betrunkenen Laien zu besprechen, um es höflich zu formulieren. Andererseits ist kaum Small Talk und informatives Besprechen angebracht, wenn deine Patienten tot sind und nie mit einem Herrchen auftauchen. Was für mich völlig in Ordnung ist.
»Woher kommen Sie?«, fragt der Mann, bevor ich seine anscheinend rhetorische Frage beantworten kann. »Aus dem Süden?«
Angesichts unseres aktuellen Breitengrades im nördlichsten Teil von Vermont könnte ich ihn darauf hinweisen, dass so ziemlich alles unterhalb des achtundvierzigsten Breitengrades im »Süden« liegt.
»Ja, Sir, Charleston, South Carolina.«
»Weit weg von zu Hause.«
Ich schaffe es, künstlich zu lächeln, und schweige. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.
»Sie sind neu hier, Sie sind ein Fremder, also lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben«, sagt er in einem heftigen, alkoholgeschwängerten Flüsterton und lehnt sich vor. »Ihre tolle Medizinersprache bedeutet den Leuten hier im Ort nichts.« Er lehnt sich zurück. »Ich bin nicht hier, um mir eine Predigt anzuhören. Ich bin hier, um das mit meinem Hund zu erledigen.«
Das mit meinem Hund zu erledigen. Es ist fast anderthalb Jahrzehnte her, dass ich meinen Abschluss in Tiermedizin gemacht habe, entschlossen, in die Fußspuren meiner Mutter zu treten und ein Experte in einer besonderen und von den meisten Tierbesitzern unterbewerteten Disziplin zu werden - Veterinärpathologie. Wenn Sie den Namen der Krankheit Ihres Tieres wissen wollen, dann bin ich Ihr Mann - ein Veterinärpathologe. Wir sind die Ärzte, die den Tag damit verbringen, durch Mikroskope zu starren und sich Präparate, hauchdünne Scheiben von krankem Gewebe, anzusehen, damit Sie eine Diagnose bekommen. Sexy? Vielleicht nicht. Wichtig? Wie William H. Macy in dem Film Fargo sagt: »Verdammt wichtig!«. Wortwörtlich bedeutet Pathologie die Wissenschaft vom Leiden, und wenn ich irgendetwas daraus gelernt habe, dann den Respekt für das Leben. Das mit meinem Hund zu erledigen. Was für ein Idiot. Ich bin vielleicht an die klinischen Aspekte des Todes gewöhnt, aber die lässige Einstellung dieses Typen macht selbst mich sauer.
»Nur damit das klar ist«, sage ich. »Sie haben überhaupt kein Interesse daran, das Problem Ihres Hundes zu lösen?«
Der Mann sieht mich zornig an und drückt seine Fingerspitzen auf die Stirn, als könne er so tatsächlich ein paar der Falten wegbügeln.
»Hören Sie, es tut mir leid.«
Ich mache eine Pause und zwinge mich, die Augen zu schließen, bevor ich »Aber nicht leid genug« sage.
Er erstarrt. »Ihr Tierärzte seid doch alle gleich. Wollt immer auf dieses und jenes testen und Medikamente geben. Wisst nie, wann es genug ist.«
»Ich dachte, Sie hätten gesagt, dass Ihr Hund noch nie einen Tierarzt gesehen hat?«
Er atmet ein, die Luft zischt durch zusammengebissene Zähne. »Es ist eine einfache Rechnung. Ich kann es mir nicht leisten herauszufinden, was mit ihr los ist. Ich kann es mir nicht leisten, sie heilen zu lassen. Und im Moment kann ich es mir nicht leisten, mit ihr zu leben. So ist es eben.«
Ich sehe nach unten zu Frieda. Sie ist unnatürlich anhänglich, offensichtlich promiskuitiv in ihrer Zuneigung, und dank ihr sehen meine verschwitzten Handinnenflächen so aus, als trüge ich goldene Handschuhe. Na wunderbar. Trotzdem scheint sie, soweit ich das beurteilen kann, glücklich zu sein. Ich sehe zu dem Mann hoch, in der Hoffnung, nichts als das Böse in seinen Augen zu erkennen, und doch, trotz seiner distanzierten, pragmatischen Logik, habe ich den Eindruck, dass ihm die Entscheidung schwererfällt, als er vorgibt. Ich will das nicht tun, aber ich bin mir sicher, wenn ich es verweigere, geht er woandershin. Ich habe wohl keine Wahl.
»Nun gut«, sage ich nach einer bedeutsamen Pause. »Es ist Ihre Entscheidung, aber Sie müssen eine Einverständniserklärung unterschreiben.« Wenn ich das Formular finde.
»Ist das wirklich nötig?«, fragt er.
Ich ziehe eine Schublade heraus - Schachteln voller Nadeln unterschiedlicher Stärke und Länge. Die Schublade darunter enthält Spritzen. Die dritte ist voller Papierkram - Einverständniserklärungen für Operationen, Rezeptblöcke, Zertifikate über Tollwutimpfung -, aber keine Einverständniserklärung fürs Einschläfern.
»Wissen Sie, ich möchte bei der ... bei der, äh ... Spritze lieber nicht dabei sein«, sagt er, plötzlich zerknirscht, und geht rückwärts in Richtung Tür. »Ist das in Ordnung, sie bei Ihnen zu lassen?«
»Sir, Sie müssen noch eine Einverständniserklärung unterschreiben. «
Ich blättere weiter durch die Papiere und spüre, wie sich Schweißperlen auf meiner Oberlippe bilden.
»Wissen Sie was, ich komme einfach morgen früh vorbei und unterschreibe dann.«
»Als Erstes?«, frage ich. Er nickt und ist schon fast aus der Tür, als ich mich an den Grund erinnere, warum ich in diesem Schlamassel und einem schlecht sitzenden weißen Kittel stecke, von meinem Zuhause eintausend Meilen entfernt. »Hey, bevor Sie gehen, da ist noch die Rechnung.«
Er bleibt stehen.
»Natürlich«, sagt er, greift in seine Brusttasche und fummelt an einem Geldbeutel herum.
Ich weiß, was Sie denken: Wie kann ich so eiskalt sein und in einem solchen Moment über Geld reden? Na ja, aus zwei Gründen - Mr Kohlschwarzer Anzug ist offensichtlich nicht sentimental, und für meine aktuellen Umstände ist das entscheidend.
»Wie viel?«
Ich habe keine Ahnung, wie viel ich berechnen soll. Ich wähle eine Summe.
»Vierzig.«
»Ich habe nur einen Zwanziger.«
»Soll ich ihr die halbe Dosis geben?«
Das ist mir so herausgerutscht, und der Mann sieht mich an, als könne ich es ernst meinen.
»Kann ich das morgen begleichen, wenn ich für die Unterschrift wiederkomme?«
Meine Schultern rutschen besiegt nach unten. »Ich denke schon«, sage ich, und er drückt mir den Schein in die Hand, als würde er dem Henker ein Trinkgeld geben, dann geht er. Er verabschiedet sich nicht von mir und, viel wichtiger, auch nicht von Frieda.
Ich warte auf das Klingeln der Türglocke, als er durch die Tür geht, und erlaube mir, tief durchzuatmen. Wenn man das, was ich jetzt tun soll, und meine fehlende Erfahrung anschaut, dann ist es vielleicht das Beste, wenn Frieda und ich allein gelassen werden.
Trotz der Anhänglichkeit meines Fellpartners schaffe ich es, eine 12-ml-Spritze, eine zwanziger Nadel, einen Stauschlauch und eine durchsichtige Plastikflasche mit einer kobaltblauen Flüssigkeit und dem verstörenden Etikett BEATHANASIA zu finden. Dämlicher Name. Wo ist die Schönheit bei einer Überdosis Barbiturate?
Ich sehe nach unten auf meine Patientin. Oder vielleicht wäre Opfer das passendere Wort. Sie muss ungefähr zwölf, vielleicht dreizehn Jahre alt sein. Meine Schätzung basiert auf mehreren Beobachtungen. Abgesehen von ihrer offensichtlich grauen Schnauze sind ihre Ellbogen dick und schwielig wie Lederflecken auf einer abgewetzten Jacke und vom zu vielen Liegen abgetragen. Ihr Atem hat ein deutliches und offen gesagt unangenehmes Bouquet - durch massive Zahnkrankheiten -, und außerdem scheint sie ihren Kopf oft zu schütteln, wahrscheinlich das Resultat einer chronischen Liebe für das Schwimmen in Teichen und Seen. Im Moment hechelt sie. Kein Wunder, in dieser fremden Umgebung. Ich nehme an, dass wir beide auf einer Adrenalinwelle surfen, nur dass ihre aus Aufregung und meine aus nervöser Vorahnung besteht.
Reiß dich zusammen. Du musst etwas erledigen. Es ist an der Zeit, das Mitleid mit herzloser Kaltschnäuzigkeit zu vertreiben.
Das Problem ist, um mein Gift zu verabreichen, muss ich an eine Vene, und das bedeutet, ihr richtig nah zu kommen, und das bedeutet, Frieda auf den Behandlungstisch zu heben. Ich fange an, auf die metallene Oberfläche des Behandlungstischs zu klopfen. Was denke ich bloß? Selbst höfliche Zeitgenossen würden ihre Proportionen als, nun ja, Übergröße bezeichnen, vielleicht nicht ganz Zirkuszeltmaße, aber man würde ihr auf jeden Fall von einem Bikini abraten. Sie wird nicht hier heraufspringen. Wie stelle ich es am besten an?
Meine Hand liegt auf ihrem Kopf. Langsam reduziere ich den Kontakt, bis nur noch ein Finger liegen bleibt, als wäre sie ein Schachbrett und ich dächte über meinen nächsten Zug nach. Sie bleibt ruhig, also trete ich vorsichtig einen Schritt zurück. Ich gehe meine Möglichkeiten durch. Nutze ich die Überraschung und renne mit weit offenen Armen auf sie zu? Oder sollte ich versuchen, sie zu überzeugen, ihr eine falsche Sicherheit vorgaukeln und dann zuschlagen: ihre Glieder nach unten drücken, ihren Kopf festhalten und auf schnappende Kiefer achten? Neugierige schokoladenbraune Augen schauen auf.
Ich lege los - einen Arm vorn um ihre Schultern, einen Arm um ihren Hintern, und trotz eines unhygienischen Mundvoll goldener Haare schaffe ich es irgendwie, sie auf den Tisch zu ziehen, hieven und schieben.
Während ich den stechenden Schmerz in meinem unteren Rücken verfluche, erschrecke ich über mein Spiegelbild in der Metalloberfläche. Es starrt mich mit gespenstisch weißen Wangen und Kinn an, weil ich mir gestern nach Jahren den Bart abrasiert habe. Es sieht so merkwürdig aus, wie es sich anfühlt. Ich könnte genauso gut einen Fremden ansehen, wären da nicht meine Haare und meine Nase. Vergiss dreckiges Blond, der wilde Mopp ist langweilig braun, aber ich halte meine Nase eher für römisch und nicht für groß. Währenddessen legt sich Frieda, an meinem neuen Aussehen völlig uninteressiert, in einer Hundeversion vom fliegenden Supermann auf den Tisch, die Vorderläufe ausgestreckt, die Hinterläufe ausgestreckt, und dieser fedrige Schwanz hört einfach nicht auf zu wedeln.
»Du musst jetzt so ruhig wie möglich bleiben.« Das Zittern meiner Stimme wird in dem kleinen Raum noch verstärkt, und mein Tonfall ist falsch - zu formell -, als spräche ich mit einer anderen Person und nicht mit einem Hund. Vielleicht ist es besser, wenn ich den Mund halte. Ich weiß schon, dass es besser ist, ihr nicht in die Augen zu sehen.
Sei distanziert, beherrscht und mechanisch. Leider vermute ich, dass das nicht sehr davon abweicht, wie mich manche Personen schon jetzt beschreiben würden.
Ich gehe die gesamte Prozedur noch mal Schritt für Schritt durch. Alles ist bereit. Ich bin vorbereitet, aber mein Atem stockt immer noch nervös.
Ich stecke einen elektrischen Rasierer ein, schalte ihn an und erschrecke bei dem harten Klappern der Messer.
»Es ist okay«, sage ich mehr zu mir als zu Frieda. Ich greife nach einem Vorderlauf, und ohne zu zögern macht Frieda etwas völlig Natürliches, das mich innehalten lässt: Sie gibt mir ihre Pfote. Glauben Sie mir, anthropomorphisches Blabla existiert nicht in meinem Vokabular, aber ich kann diese einfache Geste nicht anders interpretieren, als dass sie »Ich vertraue dir« schreit.
Und was für eine interessante, übergroße Pfote es ist, dicke Fellbüschel stecken zwischen der Haut, als trage sie pelzige goldene Pantoffeln. Wider besseres Wissen und auch nur, weil wir allein sind, ergreife ich sie und schüttele sie zögernd. Meine Hand bewegt sich immer noch auf und ab, als ich bemerke, dass sich bestimmte Muskelgruppen rund um Friedas Lefzen anspannen. Das ergibt keinen Sinn. Lächelt der Hund?
Ich lasse ihre Pfote los. Was bedeutet das? Hunde können nicht lächeln, und »Pfötchen geben« ist eine erlernte Fähigkeit, die mit Essen oder Aufmerksamkeit belohnt wird. Mir diese Tatsachen ins Gedächtnis zu rufen hilft mir, meine Fassung wiederzuerlangen, dann fällt mir etwas Seltsames auf: Ein paar winzige Flecken auf ihrem Nagelbett, es scheint abgeplatzter rosa Nagellack zu sein. Es ist unwahrscheinlich, dass der Mann im kohlschwarzen Anzug das gemacht hat. Offensichtlich steckt noch mehr hinter der Geschichte dieses Hundes.
Frieda hebt zum zweiten Mal die Pfote hoch. Ich stöhne. Diese Nähe zu einer lebenden Kreatur ist so ungewohnt wie verstörend. Genau deswegen habe ich meine gesamte Karriere als Tierarzt damit verbracht, solche unangenehmen Treffen zu vermeiden. Natürlich kann ich alles, all das, was man als Allgemeintierarzt wissen muss (hey, dass ich den besten Abschluss meines Jahrgangs gemacht habe, muss doch für irgendetwas gut sein). Das Problem ist, das letzte Mal, dass ich mit einem Tier mit einem Herzschlag gearbeitet habe, war eine Woche vor meinem Uniabschluss, und im Laufe der Jahre könnte ich unterschätzt haben, dass sich eine gewisse ... ich weiß nicht ... Sentimentalität in alles mischt.
»Lass mich ein bisschen Fell rasieren, los geht's.«
Frieda hechelt nicht mehr, und ihr Schwanz wedelt langsamer. Ich lege den Rasierer wieder auf die Arbeitsfläche, nehme den Gummistauschlauch, fange ihren Vorderlauf ein und ziehe den Schlauch fest. Ich spüre, wie sich ihr Kopf entspannt und wie die warme Luft ihres Seufzers an meiner Wange vorbeiweht, als sie ihr Kinn auf ihren freien Vorderlauf legt.
Ich brauche den Maulkorb wohl doch nicht. Irgendwie bleibt Frieda trotz dieses fremden Aufeinandertreffens zufrieden. Ich dagegen kann das Zittern meiner Hände nicht kontrollieren.
Ich konzentriere mich auf das Stückchen nackter Haut, wische es mit Alkohol ab und sehe zu, wie die Vene hervortritt, dick und gerade.
Golden Retriever gehören immer noch zu den beliebtesten Hunderassen, auf Platz vier hinter Labrador, Schäferhund und Beagle.
Das schnelle Pulsieren von Blut in meinen Ohren wird langsamer. Es ist ein Trick, der nur selten seine Wirkung verfehlt, ein Geheimnis, das mir ein alter Anatomielehrer anvertraut hat, um vor einer Prüfung ruhig zu bleiben: Fakten und Beobachtungen aufzulisten. In Situationen, in denen man sehr unter Druck steht, immer hilfreich.
Wahrscheinlich haben Golden Retriever mehr Hauptrollen in Filmen gehabt als jede andere Rasse.
Okay, manche meiner Informationen und nutzlosen Fakten sind klinisch irrelevant.
Ungefähr sechzig Prozent aller Golden Retriever werden an Krebs sterben, eine Rate, die knapp doppelt so hoch ist wie bei den meisten anderen Rassen.
Vielleicht könnte ich mir einreden, dass Friedas angebliche Inkontinenz von Blasenkrebs herrührt, einem aggressiven Zellkarzinom - inoperabel und schmerzhaft. Wenn es Krebs wäre, wenn ich es sicher wüsste, dann würde ich ihr einen Gefallen tun, ihr Leiden zu beenden. Ich runzele die Stirn und schüttele den Kopf. Die Wahrheit ist, dass ich es nie wissen werde. Ich würde es mir nur einreden, um mich besser zu fühlen. Wenn ich so tun will, als sei ich ein echter Tierarzt, selbst für eine kurze Zeit, dann muss ich etwas erlernen, was für mich ein völlig fremdes Konzept ist: klinische Unklarheit.
Mit Nadel und Spritze in der Hand riskiere ich einen Blick in Friedas Augen. Großer Fehler. Obwohl ihr Kopf ganz ruhig bleibt, wedelt ihr Schwanz schneller.
»Braves Mädchen«, sage ich, tätschele ihren Kopf und verrate alles, was sie in mir sieht, als meine zitternde Hand die Nadel in die Vena cephalica sticht. Sie rührt sich nicht. Sie zuckt nicht zurück. Sie gibt keinen Laut von sich. Ich ziehe am Kolben, wie ich es als Student gelernt habe, und rotes Blut sprudelt in die Spritze. Ich kann es nicht glauben, ich bin beim ersten Versuch drin.
Jetzt gilt's. Ich bin vielleicht nicht der sentimentalste Kerl auf der Welt, aber selbst ich verstehe, dass das ein Augenblick ist, in dem Frieda beruhigende Worte einer bekannten Stimme hören und tröstend von jemandem gestreichelt werden sollte, der sie liebt. Gedanken an den Tod meiner Mutter gehen mir durch den Kopf, unmöglich, den Vergleich zu ignorieren. Ich schüttele die Erinnerungen aus meinem Kopf und versuche, mich zu konzentrieren.
Noch nie hat ein Golden Retriever die Show in Westminster gewonnen.
Ich stehe vor ihr, beuge mich vor, nähere mich, Mittelund Zeigefinger stabilisieren die Plastikspritze, der Daumen ausgestreckt, bereit, den Kolben zu drücken. Und zum ersten Mal, seit wir uns begegnet sind, bewegt sich Friedas Schwanz nicht.
Ich hebe meinen Kopf ein bisschen an, und dieses Mal leckt mich Frieda mit der Zungenspitze direkt über die Nase. Und das war's. Das brauchte ich noch, um endgültig zu akzeptieren, dass ich das nicht tun kann. Ich ziehe die Nadel schnell heraus und drücke meinen Daumen auf die Vene. Ich hatte völlig vergessen, welche Gefühle solche Maßnahmen in mir auslösen. Nein, vergessen ist nicht das richtige Wort. Vergessen klingt nach etwas, das über die Jahre verblasste, und, um ehrlich zu sein, ich habe eine Karriere eingeschlagen, die genau diese Art von emotionaler Konfrontation vermeidet oder sie unterdrückt. Ich nehme an, dass ich nie zu einem Tierarzt getaugt habe, der immer ein tröstendes Wort oder eine hilfreiche Schulter zum Ausweinen bieten kann.
Zehntausend Katzen und Hunde werden jeden Tag in den Vereinigten Staaten eingeschläfert.
Besser gesagt zehntausend minus eins.
»Das verheißt nichts Gutes«, sage ich laut, meine Gedanken schweifen über dieses konkrete Fiasko zu allem anderen, das ich werde ertragen müssen, um aus dem Schlamassel herauszukommen, in dem ich mich befinde. Wie ich mich nach der beruhigenden Stille meines bisherigen Publikums sehne.
Was werde ich jetzt tun? Diese Krise hat sich von schwierig zu katastrophal entwickelt. Es geht um mehr als um den goldfarbenen Hund, der erwartungsvoll zu mir aufsieht. Es ist das größere Problem, das mich zum ersten Mal seit zwanzig Jahren in genau diesen Raum, in genau diese Stadt zurücktrieb.
Plötzlich hebt Frieda den Kopf, als wittere sie etwas. Und dann hören wir es beide: das Klingeln der Türglocke.
Ist Mr Kohlschwarzer Anzug zurückgekommen, um nachzusehen, ob die Tat vollbracht wurde?
ZWEI
Wir hören Schritte näher kommen. Ich kann mich nirgendwo verstecken, und eine gute Erklärung fällt mir auch nicht ein. Ein rasches, doppeltes Klopfen, die Tür zum Behandlungszimmer geht auf, und Frieda und ich starren wie Diebe, die mit den Fingern (und Pfoten) in der Kasse erwischt werden.
»Guten Abend, Dr. Mills. Sie sind noch hier? Wie war Ihr erster Abend? Wer ist denn der Golden Oldie?«
Frieda will nicht auf eine formelle Vorstellung warten und geht sofort zu einer hemmungslosen, körperlichen Begrüßung über, ähnlich wie bei mir.
»Lewis, das ist Frieda. Mein einziger Fall heute Abend.« Dr. Fielding Lewis ist ein seltsamer, kleiner Mann, sehr überschwänglich, der einem beim Sprechen immer zu nahkommt und für einen Dreiundsiebzigjährigen lächerlich volle graue Haare hat und der, trotz der späten Stunde, offensichtlich gerne bunte Seidenfliegen trägt. Laut Lewis waren er und der verstorbene Dr. Robert Cobb über die letzten fünfzehn Jahre die besten Freunde und berufliche Rivalen. Und obwohl er nur Teilzeit arbeitet, ist Lewis die Seele der Tierarztpraxis, einer Praxis, die mit dem absurden Namen The Bedside Manor for Sick Animals geschlagen ist.
Was von dem Unternehmen noch übrig ist, hängt am Tropf, aber ohne die selbstlose Begeisterung von Dr. Fielding Lewis wäre die Praxis, da bin ich mir sicher, schon längst geschlossen.
Lewis versucht, sich aus Friedas Umarmung zu befreien. »Warum ist sie hier?«
Ich kratze mich an meinem Hinterkopf.
»Na ja, ich hatte Schwierigkeiten, das auszuführen, worum ich gebeten wurde.«
Lewis hört auf, Frieda zu streicheln, und betrachtet mich. »Worum wurden Sie denn gebeten?«
Frieda toleriert diese Pflichtverletzung keine zwei Sekunden. Sie bellt, und er muss nachgeben.
Ich zucke zusammen. »Sie einzuschläfern.«
Er hört wieder auf, Frieda zu streicheln. Ich kann nicht sagen, ob der Hund ungläubig oder beleidigt reagiert. Auf jeden Fall kommt sie wieder zu mir und stellt sich unter meine rechte Hand.
»Es kann schwierig sein, allein mit einem ungestümen Tier zu arbeiten«, sagt Lewis. »Ich halte sie gerne, während Sie ihr die Spritze geben.«
»Das ist nicht das Problem.«
Ich zögere und sehe zu, wie Lewis seinen Kopf ein wenig schräg legt und seine Lippen nachdenklich schürzt.
»Was dann?«
Er wartet auf eine Antwort, aber gleichzeitig spüre ich, dass er nicht erwartet, eine zu bekommen. Wie soll ich das Gefühl in Worte fassen? Antwort: Versuch es gar nicht erst. Bleib bei dem, was du am besten kannst.
»Das Problem ist, einen Hund zu töten, dem vermehrtes Urinieren vorgeworfen wird, was ich nur vom Hörensagen und Indizien weiß.«
Lewis grinst trocken. »Aber, Cyrus, ich dachte, gerade Sie wären an Tod und Distanz gewöhnt.«
»Das bin ich«, sage ich, obwohl diese Zusammenfassung meiner Karriere als Pathologe ein bisschen hart klingt.
»Unser Beruf bedeutet eine enorme Verantwortung, wenn es um das Einschläfern geht. Wir gehören zur Dienstleistungsindustrie, und leider gelten Tiere vor dem Gesetz immer noch als Eigentum. Natürlich wünschte ich mir manchmal, ich könnte einen Besitzer davon überzeugen, ein Tier nicht einschläfern zu lassen, aber wenn die Entscheidung einmal steht und wir die Aufgabe angenommen haben, ist es unsere Pflicht, sie auszuführen. Wir sind kein Tierrettungsdienst. Wir können uns das einfach nicht leisten.«
Lewis macht eine Pause und betrachtet mich. »Gibt's da irgendetwas, das Sie mir nicht erzählen?«
Ich spüre, dass er Knöpfe drückt, etwas ausprobiert, versucht, mich zu öffnen. Vielleicht komme ich mit etwas Ausweichendem, aber doch Wahrem durch.
»Wissen Sie, Fielding, die Sache ist die ... äh ... ich war noch nie persönlich dafür verantwortlich, ein Leben zu beenden. «
Lewis lehnt sich zurück. »Sie haben noch nie ein Tier eingeschläfert? «
Ich schüttele den Kopf.
»Möchten Sie, dass ich es tue?«
Der Hund ist ruhig unter meiner Hand, atmet leicht mit geschlossenen Augen. »Sicher nicht.«
»Was wollen Sie dann, verdammt noch mal, tun?« Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich höre, wie Lewis lauter wird. »Ich meine, das ist ja nicht gerade beispielhaftes berufliches Verhalten, und bei einem Mann in Ihrer, wie soll ich sagen, heiklen Lage ist eine Andeutung von Fehlverhalten oder Betrug das Letzte, was wir brauchen.«
Ich wische mit der flachen Hand über mein Gesicht und lege die Fingerspitzen auf meine Lippen. Er hat absolut recht. Das Wort heikel ist eine Untertreibung. Denn sehen Sie, um als Tierarzt im Bedside Manor arbeiten zu dürfen, brauche ich eine Lizenz vom Staat Vermont, was für einen regulär approbierten Arzt mit gutem Leumund nur eine Formalität darstellt. Für einen Arzt jedoch, dessen Lizenz in einem anderen Staat eingezogen wurde und der auf eine Anhörung wartet, ist es ein Riesenproblem. Lewis ist der Einzige, der Bescheid weiß. Es ist egal, dass die Vorwürfe erstunken und erlogen sind, eine Vendetta eines früheren Arbeitgebers, weil ich einen Prozess wegen falscher Einschläferung angestrengt habe. Es ist egal, dass das nichts mit klinischer Nachlässigkeit oder Kunstfehlern zu tun hat. Was zählt (und mehr, als ich es ihm sagen kann), ist, dass Lewis mir zu hundert Prozent glaubt und mich unterstützt. Deswegen habe ich ihm gesagt, dass ich mich unauffällig verhalten und sicherstellen würde, dass mein Ruf unbefleckt und jenseits jeglichen Vorwurfs bliebe, dann würde auch niemand etwas erfahren. Jedenfalls so lange, bis ich das erreicht hätte, was ich mit Bedside Manor vorhabe. Was könnte schon schiefgehen?
»Die Sache ist die, irgendwas stimmt nicht mit diesem Hund.«
Lewis macht sich lustig, dann wird ihm bewusst, dass ich es ernst meine, und er kommt zu mir, um meine Schulter zu drücken. Er ist für meinen Geschmack viel zu gefühlvoll und sucht zu schnell Körperkontakt.
»Cyrus, ich will Sie nicht kritisieren, aber Sie haben selbst gesagt, dass Sie noch keinen Tag als echter Tierarzt gearbeitet haben. ›Echt‹ war Ihr Wort, nicht meines. Plötzlich, bei Ihrem allerersten Fall, sagen Sie mir, dass Sie bei einem armen Golden Retriever einen sechsten Sinn entwickelt haben. «
Ich zwinge mich zu lächeln. »Seien Sie nachsichtig mit mir. Ich habe bei dem Hund Zweifel.«
»Welche Zweifel?«
»Zweifel an den Motiven des Besitzers.«
Lewis lockert seinen Griff. »Wer ist der Besitzer?«
Als dem alten Mann mein Anfängerfehler klar wird, werden seine Gesichtsmuskeln hart.
»Es tut mir leid«, sage ich, genervt vom weinerlichen, hohen Tonfall meiner Stimme. »Er kam einfach herein und wollte, dass ich sie einschläfere. Ich bin erst seit gestern in der Stadt und habe keine Ahnung, was ich tue, und mein erster Kunde will, dass ich seinen Hund töte. Ich konnte nicht mehr klar denken.«
Lewis schaut sich den Retriever an. »Ich erkenne sie nicht. Sind wir sicher, dass das Frieda ist? Ich kann kein Halsband oder Namensschild entdecken.«
»Frieda«, rufe ich. Frieda bewegt die Ohren und schaut mich an. »Quod erat demonstrandum.«
Lewis verdreht die Augen und schüttelt den Kopf. »Brandy «, ruft er. Der Hund, der bisher als Frieda bekannt war, bewegt die Ohren und schaut Lewis direkt an.
»Verstanden«, sage ich, »aber ich glaube nicht, dass er sich einen Namen wie Frieda ausgedacht hat.«
Lewis scheint nicht überzeugt zu sein. Er fängt an, hin und her zu laufen. Plötzlich bleibt er stehen. »Wo ist das Formular zur Einverständniserklärung?«
Mein Zögern, ein erhobener Finger und langsames Einatmen sagen ihm alles.
»Ich nehme also an, dass Sie gar nicht über die Beerdigung gesprochen haben, allgemeine oder private Kremation, welche Urne benötigt wird et cetera.«
»Ich konnte die Papiere nicht finden. Ich habe Ihnen gesagt, dass es sehr, sehr lange her ist, seit mir irgendetwas dieser Art durch den Kopf gegangen ist.«
»Cyrus, das ist schlimm. Es sind genau solche Sachen, die uns untergehen lassen, bevor wir überhaupt loslegen. Ich meine, was, wenn der Hund gestohlen wurde? Was, wenn er gar nicht dem Mann gehört, der ihn gebracht hat? Was, wenn er ein griesgrämiger Nachbar ist, der Hunde hasst? Was, wenn der Hund Teil eines Sorgerechtsstreits ist und er seine Exfrau damit bestrafen will, ihren geliebten Retriever zu töten? Sie müssen aufwachen und die echte Welt der Tiermedizin sehen. Die Tierbesitzer können Ihre Verbindung zur Wahrheit sein. Wenn Sie diese Praxis am Leben erhalten wollen, dann müssen Sie lernen, mit ihnen umzugehen, Sie müssen lernen zu verstehen, was sie wollen, und Sie müssen lernen, dass die Leute nicht immer die Wahrheit sagen.«
Ich schaue zur Seite, um das schreckliche Geheimnis, das ich in mir trage, nicht zu verraten. »Wer hat irgendetwas davon gesagt, diese Praxis am Leben erhalten zu wollen?«
Völlig diskreditiert schnappe ich eine Dose Diäthundefutter von einem Regal im Wartezimmer und lasse mich von Frieda an ihrem Seil durch die Arbeitsräume, eine Hintertür und die Treppe hinauf zu den Wohnungen im ersten Stock ziehen. In den richtigen Händen könnte dieses Haus eine hübsche viktorianische Villa sein, aber soweit ich das sehe, ist es ein baufälliger Schatten seiner selbst - verrottende Verkleidung, lose Rohre, fehlende Dachziegel. Die Liste geht endlos weiter. Hausarbeit und Instandhaltung waren offensichtlich keine Prioritäten des verstorbenen Doc Cobb. Bedside Manor ist zwar nicht gerade das Haus, vor dem alle Kinder an Halloween Angst haben, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass seine Restaurierung das Budget der meisten Fernsehsendungen zum schöneren Wohnen übersteigt.
Oben am Ende der Treppe befindet sich eine schwere Tür, die die Privatsphäre sichern und Hundegebell draußen halten soll. Frieda stürmt hindurch, streift ihre Leine ab und saust durch den Flur. Sie scheint genau zu wissen, wonach sie sucht - der Küche. Ich folge ihr, ignoriere dabei die Blumentapete, die Blasen wirft und abblättert, und eile an dem leeren Raum vorbei, der Dr. Robert Cobbs Büro war. Die Tür ist geschlossen, und ich habe kein Interesse hineinzugehen. In diesem Teil des Gebäudes ist es schon unangenehm genug. Es fühlt sich an, als wäre ich in einem fremden Zuhause allein gelassen worden, und obwohl die Gerüche, das Knacken und Knarzen, die Kälte und die Schatten viele Erinnerungen wecken, fühle ich mich wie ein Eindringling.
Der Retriever sitzt auf den zersprungenen Bodenfliesen vor einem lila Haftzettel, der an der Kühlschranktür klebt. Er ist von Mrs Lewis. Sie ist zu nett. Da sie wusste, dass ich heute ankomme, hat diese Frau, die ich noch nie getroffen habe, das Haus geheizt, mein Bett gemacht und den Kühlschrank mit ein paar Basislebensmitteln gefüllt. Ein paar? Ich öffne die Tür und stelle fest, dass der Kühlschrank voll ist, vollgepackt mit genug beschrifteten Tupperwaredosen voller vorgekochter Mahlzeiten für eine Woche.
»Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob du ein letztes Abendmahl brauchst, aber sehen wir mal, ob ich etwas finde ...«
Rede ich mit dem Hund? Natürlich nicht. Ich denke nur laut, während ich nach einem Dosenöffner und einer leeren Schüssel suche. Frieda frisst, wie zu erwarten, als stünde sie kurz vor dem Tod durch den elektrischen Stuhl.
© der deutschsprachigen Ausgabe Oktober 2014 by Page &Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München
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Autoren-Porträt von Nick Trout
Nick Trout hat an der University of Cambridge Tiermedizin studiert und arbeitet als Chirurg am berühmten Angell Animal Medical Center in Boston; er hat mehrere Bücher über seine Arbeit und sein Leben mit Tieren geschrieben, die alle New Yor Times Bestseller wurden. Nick Trout lebt mit seiner Frau Kathy in Massachusetts.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nick Trout
- 2014, 1, 381 Seiten, 7 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Christine Heinzius
- Übersetzer: Christine Heinzius
- Verlag: Page & Turner
- ISBN-10: 3442204305
- ISBN-13: 9783442204304
- Erscheinungsdatum: 21.04.2014
Kommentar zu "Ein Streuner kehrt heim / Dr. Cyrus Mills Bd.1"
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