Ein Trottel kommt selten allein
Michael Niavarani wurde 2011 im ORF zum "lustigsten Österreicher" gewählt. Aber der vielseitige und umtriebige Künstler ist noch viel mehr als nur witzig. Michael Niavarani ist außerdem Schauspieler, Kabarettist, Regisseur, Intendant,...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Ein Trottel kommt selten allein “
Klappentext zu „Ein Trottel kommt selten allein “
Michael Niavarani wurde 2011 im ORF zum "lustigsten Österreicher" gewählt. Aber der vielseitige und umtriebige Künstler ist noch viel mehr als nur witzig. Michael Niavarani ist außerdem Schauspieler, Kabarettist, Regisseur, Intendant, Produzent, Autor und zuletzt gemeinsam mit Georg Hoanzl Gründer des seit seiner Eröffnung immer ausverkauften GLOBE WIEN. Und er wurde mit seinen ersten beiden Büchern „Der frühe Wurm hat einen Vogel" und „Vater Morgana" mit einem Schlag zum Bestsellerautor.Nun liegt sein neuestes Werk vor, und der Titel „Ein Trottel kommt selten allein" spricht Bände: Die Kurzgeschichten handeln von Narrheiten des Homo idioticus, biografische Anspielungen wie immer nicht ausgeschlossen. Was die Geschichten verbindet, ist eine schlaflose Nacht, in der Niavarani sie seinem Nachbarn Andreas erzählt, auf der 2 m² großen Terrasse seines 24 m² großen Ferienhauses.
Eine Nacht voller Geschichten. Da wird ein Hofnarr zum Tragöden. Eine Gruppe alter Freunde erlebt eine Katastrophe beim Klassentreffen. Goethe und Schiller inszenieren Shakespeare. Ein südpazifischer Stammesführer will die Klimakatastrophe abwenden. Ein Hosentaschenanruf wird zum Freundschaftskiller. Der Autor versucht mithilfe eines fetten Ritters, Ophelias Selbstmord zu verhindern und wieder aus "Hamlet" herauszufinden. Und über allem schwebt die ewige Frage: Ist das Leben eine Komödie oder eine Tragödie?
Lese-Probe zu „Ein Trottel kommt selten allein “
Michael Niavarani - Ein Trottel kommt selten alleinI
Nächtliche Begegnung,
unter anderem mit einem Igel
Wie so oft fiel es mir schwer, einzuschlafen. Selten kommen
Schafe an mein Bett, die gern wissen würden, wie groß ihre
Zahl ist. Schäfchenzählen. Ich habe es versucht. Davon werde ich
jedoch noch wacher. Es hat auf mich eine ähnliche Wirkung wie ein
doppelter Espresso. Ich möchte unbedingt wissen, wie viele Schäfchen
es insgesamt sind. Ist es eine kleine Herde oder eine wahre
Völkerwanderung von Schäfchen? Außerdem komme ich regelmäßig
durcheinander, weil sie natürlich herumlaufen, wie sie wollen, und
ich manche doppelt zähle. Dann muss ich von vorne beginnen, und
im Handumdrehen ist es sechs Uhr früh.
Schäfchen besuchen mich, wie gesagt, kaum, wohl aber ganze Herden
von Gedanken, die sich damit beschäftigen, was ich tagsüber alles
erledigen hätte sollen. Wo sind diese Gedanken am Nachmittag,
wenn ich sinnlos auf der Couch liege und mich durch die nachmittägliche
Ideenlosigkeit des Fernsehens zappe? In der Nacht aber, da
melden sie sich. Eine eigenartige Form liegender Geschäftigkeit: hellwach
und hundemüde. Was genau steckt hinter einer solchen Eigenart,
worin liegt der evolutionäre Vorteil, wenn man nicht einschlafen
kann und mitten in der Nacht eine ganz klare Liste von zu erledigenden
Dingen vor Augen hat, die einem den ganzen Tag nicht einmal
im Traum eingefallen wären? Leider kann man sich nicht zum Einschlafen
zwingen, wie man sich zum Beispiel zum Fasten oder Sporteln
zwingen kann. Das gelingt zwar auch höchst selten, aber das
Einschlafen unterliegt grundsätzlich nicht unserem Willen. Schade
eigentlich.
... mehr
Diesmal waren es jedoch keine unerledigten Aufgaben, die mich
heimsuchten, sondern erste Sätze. Dummerweise hatte ich ein Buch
mit Interviews großer Schriftsteller neben meinem Bett liegen. Ich
wollte noch ein wenig darin lesen, war jedoch viel zu müde. Ich
schlug das Buch auf, und die Augen fielen mir zu. Sehr verschwommen
konnte ich nur noch einen einzigen Satz lesen: »Das Wichtigste
für ein gutes Buch ist der perfekte erste Satz.«
Ich war einfach zu müde. Schon im Dahindämmern klappte ich das
Buch wieder zu, legte es neben mein Bett, knipste die Lampe aus,
drehte mich zur Seite - und war hellwach. Ich brauche für mein neues
Buch den perfekten ersten Satz. Alles hängt davon ab. Der grandiose
Einstieg! Und plötzlich tauchten aus meinem Unterbewusstsein
oder
wer weiß woher erste Sätze auf:
Von Alkohol und Kokain gezeichnet, griff der Oppositionsführer zur
Waffe und schoss mit einer Spritzpistole auf den Bundeskanzler.
Aufgeregt öffnete er der Prostituierten die Wohnungstür und konnte es
nicht fassen: Er stand seiner Tochter gegenüber.
Nach dreiundzwanzig Jahren Reise durch unsere Galaxie landete die amerikanische
Raumkapsel Hope endlich auf dem Planeten XCFN377; nach
wenigen Stunden sandte sie das erste Bild zur Erde: Unter einem roten
Stein sah man ganz deutlich ein iPhone hervorlugen.
Von der Kugel getroffen, sank sie zu Boden, es wurde dunkel um sie, und
plötzlich ging sie durch einen Tunnel auf das weiße Licht zu, von wo sie
eine Stimme hörte: »Ich kann schon das Kopferl sehen!«
Es war sein erster One-Night-Stand. Er lag gefesselt auf dem Bett, und als
er sah, wie die feste, sportliche Blondine mit dem großen Adamsapfel im
Bad ihre Perücke abnahm und nach dem Messer griff, war ihm klar, dass
es auch sein letzter war.
Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, zog sie ihr Hochzeitskleid
hastig wieder an und stieg aus dem Auto, nicht ohne Robert vorher zu
sagen: »Ich hab die Pille abgesetzt. Ich liebe dich, wir sehen uns nach den
Flitterwochen!«
Von Satz zu Satz wurde es mir unmöglicher, an Schlaf zu denken.
Also schlich ich vorsichtig aus dem Schlafzimmer unserer kleinen
Badehütte, ohne das Licht anzumachen, um meine Frau nicht zu
wecken. Mein rechtes Schienbein und das Abstelltischchen hielten
so viel Rücksicht für übertrieben. Sie stießen gegeneinander. Meine
Frau schreckte auf. Ich hielt kurz den Atem an. Sie schlug ihre Augen
auf, ich flüsterte eine Entschuldigung, sie drehte sich murrend zur
Seite und schlief gleich wieder ein.
Schuldbewusst nach allen Richtungen arbeitete ich mich bis auf die
Terrasse vor, setzte mich an den Gartentisch und zündete mir eine
Zigarette an - noch immer in völliger Dunkelheit, um nicht auch
noch die Nachbarn zu wecken. Kein leichtes Unterfangen, denn burgenländische
Badehütten sind sehr soziale Wesen. Sie stehen gerne
eng beieinander und treten vorwiegend in Kolonien auf. Vermutlich
damit ihnen im Winter nicht so kalt ist, wenn sie verlassen in der
Gegend herumstehen. Sie sind auch alle miteinander verwandt.
Zumindest sehen sie einander sehr ähnlich. Nein, sie sehen einander
nicht ähnlich, sie gleichen einander wie ein Ei dem anderen. Es kann
bereits in leicht angetrunkenem Zustand vorkommen, dass man erst
im Bett im Schlafzimmer draufkommt, man hat die falsche Hütte
betreten. Aber auch nur, weil man der eigenen Frau zärtlich über die
Wange streicht und feststellt, sie trägt den gleichen Vollbart wie der
Nachbar.
Unsere Kolonie jedenfalls steht am Neusiedler See. Es war ein Uhr
nachts, und ich versuchte, leise zu atmen. Plötzlich ein lautes Rascheln
im Gebüsch. Das musste unser befreundeter Igel sein. Er kommt
gelegentlich, um an den Küchenabfällen zu naschen. »Auch nachtaktiv
«, murmelte ich halb anerkennend, halb ängstlich. Ob er wohl
zu mir kriechen und sich mit seinen Stacheln an meinen Beinen
reiben würde? Da fiel mir noch ein guter erster Satz ein.
Irren ist menschlich, dachte der Igel und sprang von der Bürste.
Nur in Unterhose und T-Shirt, hatte ich nicht wirklich Angst vor
dem Igel, aber ein Gefühl des Unbehagens hatte sich breitgemacht.
Licht kam nicht infrage, ich wollte kein Gespräch mit einem geweckten
Nachbarn riskieren. Der Igel machte zunehmend seltsame Geräusche.
Ein leises, pfeifendes Krachen war zu hören. War das ein Furz?
Mein Gott, warum muss denn der Igel so furzen? Noch einer. Und
ein dritter! Schon hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich hätte heute
Nachmittag den angeschimmelten Karfiol nicht einfach so ins
Gebüsch werfen dürfen. Jetzt hat er davon gefressen und muss furzen.
Armes Tier!
Wenige Sekunden später zündete sich der Igel eine Zigarette an. Ich
wusste nicht recht, wie man auf einen furzenden, rauchenden Igel in
dunkler Nacht am besten reagiert, darüber hatte ich noch nichts in
einer Universum-Sendung gesehen. Also räusperte ich mich, ganz
leise.
Da kam der Igel ungeniert mit seiner Zigarette in der Hand hinter
der Gartenhecke hervor und entpuppte sich als mein Nachbar
Andreas. Mir fiel kein Stein vom Herzen.
Andreas (A) Kannst du auch nicht schlafen?
Ich (I) Nein. Ich rauche noch eine!
A Ich hab mich schon gewundert. Ich dachte, es ist der Igel.
I Ja, ich auch.
Kein Wort über den Furz. So gut kannten wir einander noch nicht.
Es reichte gerade zum Du.
A Hast du das öfter?
I Ja. Ich weiß auch nicht, warum. Ich bin den ganzen Tag hundemüde
und dann in der Nacht hellwach.
A Kenn ich. Geht mir genauso.
I Woran das wohl liegen mag? Ich denke, bei mir ist es der Lebensrhythmus
des Theatermenschen. Die höchste Konzentration des
Tages habe ich um zwanzig Uhr, wenn die Vorstellung beginnt.
Und ich mach das seit meinem siebzehnten Lebensjahr.
A Vielleicht bin ich auch Theatermensch und weiß es gar nicht.
Nach einem bemühten Lachen von uns beiden geriet die Konversation
ein wenig ins Stocken. Und was machen zwei Männer, wenn sie
nicht wissen, worüber sie reden sollen? Sie trinken.
A Soll ich dir ein Bier holen?
I Nein danke, ich ... Oder ja, ich schau einmal, ob wir noch eines
im Kühlschrank haben. Soll ich auch ein bisschen Käse und
Salami mitbringen?
A Kein Problem, ich hab mir ein zweites mit heraus genommen.
So spät soll man ja nichts mehr essen.
Er hatte wohl damit gerechnet, noch länger nicht schlafen zu können.
Er reichte mir seine zweite Flasche Bier. Ich fuchtelte damit
etwas seltsam durch die Dunkelheit, im verzweifelten Versuch, anzustoßen,
ohne anzustoßen. Wir wollten ja keinen Anstoß erregen.
Andreas prostete unbestimmt in die Gegend ...
A Friede den Hütten!
I Und Krieg den Gelsen!
Der Weg zum Mund war dann kein Problem. Während wir das kalte
Bier genüsslich die Kehle runterlaufen ließen, dachten wir wohl
beide daran, dass unser Trinkspruch dem vermeintlichen Furz des
Igels an Peinlichkeit um nichts nachstand.
A Woran arbeitest du gerade? Wieder ein neuer Shakespeare?
Er wusste offenbar mehr über mich als ich über ihn. Ein Gefühl, das
mir grundsätzlich nicht fremd, aber dennoch nicht immer angenehm
ist. Ich versuche stets, im Kontakt mit Menschen, die mich von der
Bühne oder vom Fernsehen kennen, normales, antiprominentes Verhalten
an den Tag zu legen. Ich stelle mich auch neuen Menschen
immer vor. Manchmal führt das zu einem Missverständnis. Sie denken
dann, ich glaube, sie wüssten nicht, wer ich bin, und mein Versuch,
wie ein normaler Mensch zu wirken, macht mich erst recht zu
einem arroganten Promi.
I Nein, nein - momentan kein Shakespeare. Ich hab vor Kurzem
mit meinem neuen Buch begonnen.
A Ah! Worum geht's?
I Alles Mögliche. Kurzgeschichten.
A Und wovon handeln die?
I Breit gefächert.
Ich hatte gerade keine Lust, ihm meine Ideen zu erläutern. Es war
noch etwas Zeit bis zum Abgabetermin, und ich hatte sehr viele Einfälle,
wusste aber noch nicht, wie mein neues Buch tatsächlich aussehen
würde. In Wahrheit wusste ich über mein neues Buch noch gar
nichts. Außer, dass ich zu viele Einfälle hatte. Vielleicht konnte ich
deswegen nicht schlafen, Theatermensch hin oder her. Zahlreiche
Geschichten und Figuren rumorten in meinem Kopf, wollten irgendwie
hinaus, wollten frei sein. Nur um gleich wieder zwischen zwei
Buchdeckeln begraben zu werden.
Ohne Frage, die Nacht würde schlaflos werden. Also wäre es vielleicht
gar keine so schlechte Idee, die eine oder andere Geschichte
meinem Nachbarn zu erzählen, zu schauen, wie weit sie tragen, ob sie
überhaupt was taugen. Zu meiner Frau könnte ich sagen, ich hätte
die ganze Nacht gearbeitet, und sogar ich selber würde mir das abnehmen.
Aber irgendwie war mir nicht danach. Mein Nachbar nahm
mir jedoch die Entscheidung ab.
A Soll ich dir einen Witz erzählen?
I Nein. Um Gottes willen. Bitte nicht.
A Wieso, du bist doch Komiker.
I Eben. Das ist schrecklich. Das ist, wie wenn man einem Koch
ein Rezept vorliest. Oder einem Astronauten erzählt, dass man
sich so schwerelos fühlt, wenn man einen Joint geraucht hat. Ich
kenne einen Gehirnchirurgen, der ist bei dem Film Hannibal
während der Szene, in der der Kannibale dem Opfer den Kopf
aufsägt und das Hirn isst, vor Langeweile eingeschlafen.
A Wie traurig. Ich meine, worüber lacht dann ein Komiker? Wie
kann man einen Komiker erheitern?
I Schwer, sehr schwer. Da gibt es eine Geschichte von einem italienischen
Harlekin, einem Clown aus dem 18. Jahrhundert:
Carlino - ein großer Star in Paris, 1783 gestorben. Er war ein
hypochondrischer Melancholiker, dessen einziger Grund, sich
nicht umzubringen, seine Angst vor dem Sterben war. Er hat
über vierzig Jahre lang die Menschen zum Lachen gebracht.
Eines Tages hörte Carlino, in Paris sei ein neuer Arzt angekommen.
Er suchte ihn unverzüglich auf, in der Hoffnung, dieser
könne ihn von seiner Not befreien. Der Arzt erkannte den großen
Spaßmacher nicht, und weißt du, welchen Rat er ihm gegeben
hat? Ihm sei nur eine Methode gegen die schwarze Galle
bekannt, mit der schon Erfolge erzielt worden seien: ausgiebiges
Lachen. Er solle doch zu Carlino in die Vorstellung gehen, und
zwar so oft wie möglich. Darauf sagte der todtraurig: »Das würde
ich ja gerne machen, aber ich selbst bin ja dieser Carlino.«
A Mein Gott, das ist ja rührend.
I Rührend? Das ist herzzerreißend!
A Also pass auf: Der Witz. Ein Mann kommt nach der ...
I Ich erzähl dir lieber etwas über mein Buch!
A Also schön - aber danach der Witz ...
I Schauen wir einmal. Wir müssen ja irgendwann auch schlafen
gehen ... Also, der Titel wird lauten: Ein Trottel kommt selten
allein.
Mein Freund musste lachen.
©Amalthea
Diesmal waren es jedoch keine unerledigten Aufgaben, die mich
heimsuchten, sondern erste Sätze. Dummerweise hatte ich ein Buch
mit Interviews großer Schriftsteller neben meinem Bett liegen. Ich
wollte noch ein wenig darin lesen, war jedoch viel zu müde. Ich
schlug das Buch auf, und die Augen fielen mir zu. Sehr verschwommen
konnte ich nur noch einen einzigen Satz lesen: »Das Wichtigste
für ein gutes Buch ist der perfekte erste Satz.«
Ich war einfach zu müde. Schon im Dahindämmern klappte ich das
Buch wieder zu, legte es neben mein Bett, knipste die Lampe aus,
drehte mich zur Seite - und war hellwach. Ich brauche für mein neues
Buch den perfekten ersten Satz. Alles hängt davon ab. Der grandiose
Einstieg! Und plötzlich tauchten aus meinem Unterbewusstsein
oder
wer weiß woher erste Sätze auf:
Von Alkohol und Kokain gezeichnet, griff der Oppositionsführer zur
Waffe und schoss mit einer Spritzpistole auf den Bundeskanzler.
Aufgeregt öffnete er der Prostituierten die Wohnungstür und konnte es
nicht fassen: Er stand seiner Tochter gegenüber.
Nach dreiundzwanzig Jahren Reise durch unsere Galaxie landete die amerikanische
Raumkapsel Hope endlich auf dem Planeten XCFN377; nach
wenigen Stunden sandte sie das erste Bild zur Erde: Unter einem roten
Stein sah man ganz deutlich ein iPhone hervorlugen.
Von der Kugel getroffen, sank sie zu Boden, es wurde dunkel um sie, und
plötzlich ging sie durch einen Tunnel auf das weiße Licht zu, von wo sie
eine Stimme hörte: »Ich kann schon das Kopferl sehen!«
Es war sein erster One-Night-Stand. Er lag gefesselt auf dem Bett, und als
er sah, wie die feste, sportliche Blondine mit dem großen Adamsapfel im
Bad ihre Perücke abnahm und nach dem Messer griff, war ihm klar, dass
es auch sein letzter war.
Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, zog sie ihr Hochzeitskleid
hastig wieder an und stieg aus dem Auto, nicht ohne Robert vorher zu
sagen: »Ich hab die Pille abgesetzt. Ich liebe dich, wir sehen uns nach den
Flitterwochen!«
Von Satz zu Satz wurde es mir unmöglicher, an Schlaf zu denken.
Also schlich ich vorsichtig aus dem Schlafzimmer unserer kleinen
Badehütte, ohne das Licht anzumachen, um meine Frau nicht zu
wecken. Mein rechtes Schienbein und das Abstelltischchen hielten
so viel Rücksicht für übertrieben. Sie stießen gegeneinander. Meine
Frau schreckte auf. Ich hielt kurz den Atem an. Sie schlug ihre Augen
auf, ich flüsterte eine Entschuldigung, sie drehte sich murrend zur
Seite und schlief gleich wieder ein.
Schuldbewusst nach allen Richtungen arbeitete ich mich bis auf die
Terrasse vor, setzte mich an den Gartentisch und zündete mir eine
Zigarette an - noch immer in völliger Dunkelheit, um nicht auch
noch die Nachbarn zu wecken. Kein leichtes Unterfangen, denn burgenländische
Badehütten sind sehr soziale Wesen. Sie stehen gerne
eng beieinander und treten vorwiegend in Kolonien auf. Vermutlich
damit ihnen im Winter nicht so kalt ist, wenn sie verlassen in der
Gegend herumstehen. Sie sind auch alle miteinander verwandt.
Zumindest sehen sie einander sehr ähnlich. Nein, sie sehen einander
nicht ähnlich, sie gleichen einander wie ein Ei dem anderen. Es kann
bereits in leicht angetrunkenem Zustand vorkommen, dass man erst
im Bett im Schlafzimmer draufkommt, man hat die falsche Hütte
betreten. Aber auch nur, weil man der eigenen Frau zärtlich über die
Wange streicht und feststellt, sie trägt den gleichen Vollbart wie der
Nachbar.
Unsere Kolonie jedenfalls steht am Neusiedler See. Es war ein Uhr
nachts, und ich versuchte, leise zu atmen. Plötzlich ein lautes Rascheln
im Gebüsch. Das musste unser befreundeter Igel sein. Er kommt
gelegentlich, um an den Küchenabfällen zu naschen. »Auch nachtaktiv
«, murmelte ich halb anerkennend, halb ängstlich. Ob er wohl
zu mir kriechen und sich mit seinen Stacheln an meinen Beinen
reiben würde? Da fiel mir noch ein guter erster Satz ein.
Irren ist menschlich, dachte der Igel und sprang von der Bürste.
Nur in Unterhose und T-Shirt, hatte ich nicht wirklich Angst vor
dem Igel, aber ein Gefühl des Unbehagens hatte sich breitgemacht.
Licht kam nicht infrage, ich wollte kein Gespräch mit einem geweckten
Nachbarn riskieren. Der Igel machte zunehmend seltsame Geräusche.
Ein leises, pfeifendes Krachen war zu hören. War das ein Furz?
Mein Gott, warum muss denn der Igel so furzen? Noch einer. Und
ein dritter! Schon hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich hätte heute
Nachmittag den angeschimmelten Karfiol nicht einfach so ins
Gebüsch werfen dürfen. Jetzt hat er davon gefressen und muss furzen.
Armes Tier!
Wenige Sekunden später zündete sich der Igel eine Zigarette an. Ich
wusste nicht recht, wie man auf einen furzenden, rauchenden Igel in
dunkler Nacht am besten reagiert, darüber hatte ich noch nichts in
einer Universum-Sendung gesehen. Also räusperte ich mich, ganz
leise.
Da kam der Igel ungeniert mit seiner Zigarette in der Hand hinter
der Gartenhecke hervor und entpuppte sich als mein Nachbar
Andreas. Mir fiel kein Stein vom Herzen.
Andreas (A) Kannst du auch nicht schlafen?
Ich (I) Nein. Ich rauche noch eine!
A Ich hab mich schon gewundert. Ich dachte, es ist der Igel.
I Ja, ich auch.
Kein Wort über den Furz. So gut kannten wir einander noch nicht.
Es reichte gerade zum Du.
A Hast du das öfter?
I Ja. Ich weiß auch nicht, warum. Ich bin den ganzen Tag hundemüde
und dann in der Nacht hellwach.
A Kenn ich. Geht mir genauso.
I Woran das wohl liegen mag? Ich denke, bei mir ist es der Lebensrhythmus
des Theatermenschen. Die höchste Konzentration des
Tages habe ich um zwanzig Uhr, wenn die Vorstellung beginnt.
Und ich mach das seit meinem siebzehnten Lebensjahr.
A Vielleicht bin ich auch Theatermensch und weiß es gar nicht.
Nach einem bemühten Lachen von uns beiden geriet die Konversation
ein wenig ins Stocken. Und was machen zwei Männer, wenn sie
nicht wissen, worüber sie reden sollen? Sie trinken.
A Soll ich dir ein Bier holen?
I Nein danke, ich ... Oder ja, ich schau einmal, ob wir noch eines
im Kühlschrank haben. Soll ich auch ein bisschen Käse und
Salami mitbringen?
A Kein Problem, ich hab mir ein zweites mit heraus genommen.
So spät soll man ja nichts mehr essen.
Er hatte wohl damit gerechnet, noch länger nicht schlafen zu können.
Er reichte mir seine zweite Flasche Bier. Ich fuchtelte damit
etwas seltsam durch die Dunkelheit, im verzweifelten Versuch, anzustoßen,
ohne anzustoßen. Wir wollten ja keinen Anstoß erregen.
Andreas prostete unbestimmt in die Gegend ...
A Friede den Hütten!
I Und Krieg den Gelsen!
Der Weg zum Mund war dann kein Problem. Während wir das kalte
Bier genüsslich die Kehle runterlaufen ließen, dachten wir wohl
beide daran, dass unser Trinkspruch dem vermeintlichen Furz des
Igels an Peinlichkeit um nichts nachstand.
A Woran arbeitest du gerade? Wieder ein neuer Shakespeare?
Er wusste offenbar mehr über mich als ich über ihn. Ein Gefühl, das
mir grundsätzlich nicht fremd, aber dennoch nicht immer angenehm
ist. Ich versuche stets, im Kontakt mit Menschen, die mich von der
Bühne oder vom Fernsehen kennen, normales, antiprominentes Verhalten
an den Tag zu legen. Ich stelle mich auch neuen Menschen
immer vor. Manchmal führt das zu einem Missverständnis. Sie denken
dann, ich glaube, sie wüssten nicht, wer ich bin, und mein Versuch,
wie ein normaler Mensch zu wirken, macht mich erst recht zu
einem arroganten Promi.
I Nein, nein - momentan kein Shakespeare. Ich hab vor Kurzem
mit meinem neuen Buch begonnen.
A Ah! Worum geht's?
I Alles Mögliche. Kurzgeschichten.
A Und wovon handeln die?
I Breit gefächert.
Ich hatte gerade keine Lust, ihm meine Ideen zu erläutern. Es war
noch etwas Zeit bis zum Abgabetermin, und ich hatte sehr viele Einfälle,
wusste aber noch nicht, wie mein neues Buch tatsächlich aussehen
würde. In Wahrheit wusste ich über mein neues Buch noch gar
nichts. Außer, dass ich zu viele Einfälle hatte. Vielleicht konnte ich
deswegen nicht schlafen, Theatermensch hin oder her. Zahlreiche
Geschichten und Figuren rumorten in meinem Kopf, wollten irgendwie
hinaus, wollten frei sein. Nur um gleich wieder zwischen zwei
Buchdeckeln begraben zu werden.
Ohne Frage, die Nacht würde schlaflos werden. Also wäre es vielleicht
gar keine so schlechte Idee, die eine oder andere Geschichte
meinem Nachbarn zu erzählen, zu schauen, wie weit sie tragen, ob sie
überhaupt was taugen. Zu meiner Frau könnte ich sagen, ich hätte
die ganze Nacht gearbeitet, und sogar ich selber würde mir das abnehmen.
Aber irgendwie war mir nicht danach. Mein Nachbar nahm
mir jedoch die Entscheidung ab.
A Soll ich dir einen Witz erzählen?
I Nein. Um Gottes willen. Bitte nicht.
A Wieso, du bist doch Komiker.
I Eben. Das ist schrecklich. Das ist, wie wenn man einem Koch
ein Rezept vorliest. Oder einem Astronauten erzählt, dass man
sich so schwerelos fühlt, wenn man einen Joint geraucht hat. Ich
kenne einen Gehirnchirurgen, der ist bei dem Film Hannibal
während der Szene, in der der Kannibale dem Opfer den Kopf
aufsägt und das Hirn isst, vor Langeweile eingeschlafen.
A Wie traurig. Ich meine, worüber lacht dann ein Komiker? Wie
kann man einen Komiker erheitern?
I Schwer, sehr schwer. Da gibt es eine Geschichte von einem italienischen
Harlekin, einem Clown aus dem 18. Jahrhundert:
Carlino - ein großer Star in Paris, 1783 gestorben. Er war ein
hypochondrischer Melancholiker, dessen einziger Grund, sich
nicht umzubringen, seine Angst vor dem Sterben war. Er hat
über vierzig Jahre lang die Menschen zum Lachen gebracht.
Eines Tages hörte Carlino, in Paris sei ein neuer Arzt angekommen.
Er suchte ihn unverzüglich auf, in der Hoffnung, dieser
könne ihn von seiner Not befreien. Der Arzt erkannte den großen
Spaßmacher nicht, und weißt du, welchen Rat er ihm gegeben
hat? Ihm sei nur eine Methode gegen die schwarze Galle
bekannt, mit der schon Erfolge erzielt worden seien: ausgiebiges
Lachen. Er solle doch zu Carlino in die Vorstellung gehen, und
zwar so oft wie möglich. Darauf sagte der todtraurig: »Das würde
ich ja gerne machen, aber ich selbst bin ja dieser Carlino.«
A Mein Gott, das ist ja rührend.
I Rührend? Das ist herzzerreißend!
A Also pass auf: Der Witz. Ein Mann kommt nach der ...
I Ich erzähl dir lieber etwas über mein Buch!
A Also schön - aber danach der Witz ...
I Schauen wir einmal. Wir müssen ja irgendwann auch schlafen
gehen ... Also, der Titel wird lauten: Ein Trottel kommt selten
allein.
Mein Freund musste lachen.
©Amalthea
... weniger
Autoren-Porträt von Michael Niavarani
Michael Niavarani, geboren 1968 in Wien, begann 1986 eine Schauspielausbildung bei Michael Mohapp und Dany Sigel. Nach vielen Auftritten im Graumann Theater wechselte er 1989 ins Kabarett Simpl, wo er 1993 die künst lerische Leitung übernahm. Michael Niavarani ist in zahlreichen Fernsehserien wie »Was gibt es Neues?«, »Dolce Vita & Co« und »Ex - Eine romantische Komödie«, in Kinofi lmen wie »I love Vienna«, »Salami Aleikum« und »Die Mamba« und natürlich in seinen Kabarettprogrammen zu sehen. Zuletzt bei Amalthea erschienen: »Vater Morgana« (2009) und »Der frühe Wurm hat einen Vogel« (2011).
Bibliographische Angaben
- Autor: Michael Niavarani
- 2017, 448 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14,8 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Amalthea
- ISBN-10: 399050066X
- ISBN-13: 9783990500668
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