Voll Speed / Erdmännchen Ray & Rufus Bd.2
Roman
Die Erdmännchenbrüder Ray und Rufus verfügen seit Kurzem über ein Speedboot, mit dem sie durch die Kanäle unter dem Zoo cruisen - und promt an einer Wasserleiche hängen bleiben. Inzwischen wird der Zoo von merkwürdigen...
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Produktinformationen zu „Voll Speed / Erdmännchen Ray & Rufus Bd.2 “
Die Erdmännchenbrüder Ray und Rufus verfügen seit Kurzem über ein Speedboot, mit dem sie durch die Kanäle unter dem Zoo cruisen - und promt an einer Wasserleiche hängen bleiben. Inzwischen wird der Zoo von merkwürdigen Vorfällen erschüttert. Ray und Rufus nehmen die Ermittlungen auf.
Klappentext zu „Voll Speed / Erdmännchen Ray & Rufus Bd.2 “
»Ich hab mich weggeschmissen!« Christoph Maria HerbstEinfach unterirdisch: Die Erdmännchen-Ermittler Ray und Rufus sind wieder los!
Inzwischen wird der Zoo von seltsamen Vorfällen erschüttert: Die Nashörner zertrümmern ihr Stahlgeländer. Die Antilopen springen übermütig ins Löwengehege. Und Nick, eines der Erdmännchen aus dem vierten Wurf, fällt ins Delirium. Ray & Rufus nehmen mit Detektiv Phil die Ermittlungen auf ...
»Der neue Star unter den tierischen Ermittlern heißt Ray.« Brigitte
»Ebenso ultracool wie komisch.« Freundin
Die Mitwirkenden:
Ray. Er lebt mit seinem Erdmännchenclan im Berliner Zoo. Allerdings ist er etwas aus der Art geschlagen. Mit dem Graben hat er es nämlich nicht so. Dafür hat er einen Wunsch: Privatdetektiv zu sein. Mit seiner Spürnase ist er der perfekte Schnüffler. Und als er mit seinem Bruder im Speedboot an einer Leiche hängenbleibt, kann er dies auch wieder einmal beweisen.
Rufus. Rays Bruder und hat sich mit Hilfe der Zeitungen, die jeden Tag in dem Mülleimer am Gehegezaun landen, das Lesen beigebracht. Außerdem ist er ein genialer Tüftler. Das von ihm aufgemotzte Modell-Speedboot, das er in der Kanalisation gefunden hat, ist seine neueste Errungenschaft. Eine verhängnisvolle, wie sich schnell herausstellt.
Rocky. Der Erstgeborene ist mittlerweile Clanchef und wird demnächst Vater. Mit der künftigen Mutter Roxanne ist er glücklich vereint im geistigen Vakuum. Er hat zwar viele Muskeln, dafür aber null Hirn. Und seit neuestem eine ganze Menge Verantwortung. Kann das auf Dauer für den Clan gut sein?
Lese-Probe zu „Voll Speed / Erdmännchen Ray & Rufus Bd.2 “
Voll Speed von Moritz MatthiesKapitel 1
Es gibt ein altes Erdmännchensprichwort, das geht so: »Wer allzeit gräbt, hat nie gelebt.«
Gut, ich gebe zu, das ist meine persönliche Variante des Sprichworts. Bei Ma würde ich damit nicht durchkommen. In Wirklichkeit geht es nämlich so: »Wer allzeit gräbt, hat brav gelebt. « Aber das »brav« darin hat mich schon immer genervt. Rufus, mein Klugscheißer-Bruder, meint, an dem Sprichwort könne man unsere protestantischen Wurzeln erkennen. Natürlich hab ich keine Ahnung, was protestantisch bedeutet, und natürlich weiß Rufus das. Nachgefragt hab ich trotzdem nicht. Die Genugtuung konnte ich ihm einfach nicht geben. Bei vielen Zoobesuchern ist ja »Prostata« ein großes Thema, aber ob das jetzt irgendwie zusammenhängt ... Außerdem, ich meine, hey, wir kommen ursprünglich aus der Savanne. Keine Ahnung, ob es da Prostata- Wurzeln gibt. Und wenn ja: Wen interessiert's?
Weshalb ich das erzähle? Nun, ich schätze, ich bin etwas aus der Art geschlagen. Mit dem Graben hab ich es nämlich nicht so. Dafür bin ich Frühaufsteher. Die schönste Zeit des Tages in unserem Zoo ist kurz vor Sonnenaufgang: Wenn die meisten Säuger noch dabei sind, den Schlaf abzuschütteln, sich hinten über dem Okapigehege der Himmel rosa färbt und das neue Kupferdach von Elsas Gehege zu glänzen beginnt. Und bevor die Pfleger kommen und die Besucher hereinströmen. Ich war nie in der Savanne, und, realistisch betrachtet, werde ich da wohl auch niemals hinkommen, aber schöner als im Zoo kurz vor Sonnenaufgang kann es da auch nicht sein.
»Morgen, Ray«, begrüßt mich ein Flamingo.
... mehr
Ist ein kleiner Wermutstropfen, dass ich auf meinem morgendlichen Rundgang durch den Zoo immer als Erstes den Flamingos begegne, aber hinter deren Haus führt nun mal unser Geheimgang nach draußen. Kaum etwas ist ermüdender als das Gespräch mit einem Flamingo - was ich noch wegstecken könnte, wenn sie sich wenigstens vernünftig verarschen ließen. Ist aber nicht, weil sie bis zur nächsten Begegnung unter Garantie vergessen haben, dass sie verarscht worden sind.
Ich demonstriere das mal eben: »Morgen, Heinz«, antworte ich.
»Du kennst meinen Namen?«, fragt der Flamingo.
»Klar«, lüge ich, »du bist Heinz.«
Er wechselt in Zeitlupe von einem Bein auf das andere. Klares Zeichen von erhöhter Gehirnaktivität. »Ist das ein cooler Name?«, fragt er.
»Kommt darauf an.«
»Worauf?«
»Ob du ein Männchen oder ein Weibchen bist. Als Weibchen Heinz zu heißen wär' eher uncool.«
»Und ... Bin ich ein Weibchen?«
»Seh ich aus wie ein Gynäkologe?«, entgegne ich. Was das bedeutet, weiß ich zufällig.
Damit hab ich den Flamingo intellektuell in eine Sackgasse manövriert, aus der er so bald nicht wieder herausfinden wird. Ich will ihn den einsamen Weiten seiner Gehirnwindungen überlassen, als mich ein zweiter Flamingo fragt: »Weißt du auch, wie ich heiße?«
»Logisch. Du bist Wiesel.«
»Wiesel?«
»Brauchst mich gar nicht so schräg anzugucken. Ich hab dir den Namen schließlich nicht verpasst.«
»Aber das ist doch ein Tier?«
»Beschwer dich bei deinen Eltern.«
Auch er wechselt von einem Bein auf das andere: Bssssssssssss - Bein raus - bsssssssssss - Bein rein. Ein Fahrstuhl schafft in der Zeit locker acht Stockwerke. »Aber ich könnte Männchen oder Weibchen sein - würde beides passen, oder?«
»Stimmt. Wär' beides uncool.«
Der Flamingo, den ich Heinz getauft habe, hat zwischenzeitlich mit dem Schnabel im Gefieder zwischen seinen Beinen herumgestöbert. »Ich glaube, ich bin ein Weibchen«, sagt er jetzt.
Der andere sieht eine Chance, von seinem eigenen Dilemma abzulenken: »Dann bist du uncool.«
»Du bist doch selber uncool«, wehrt sich Heinz, »schließlich heißt du ... Ray, wie heißt der noch mal?«
»Wiesel.«
»Genau. Wiesel. Voll der Doofname, echt.«
Wiesel lässt nervös den Kopf um die eigene Achse rotieren. »Wenigstens bin ich kein Weibchen, so wie du.«
An diesem Punkt ziehe ich mich vornehm zurück, überlasse die beiden einander, schlüpfe durch die Hecke und schlendere lässig Richtung Elefantengehege. Wie gesagt: Könnte ganz lustig sein, so eine Flamingoverarsche. Aber zu wissen, dass die beiden beim nächsten Mal unter Garantie alles vergessen haben werden, verdirbt einem echt den Spaß.
Eigentlich könnte dies ein besonders schöner Morgen sein. Die Blätter an den Bäumen haben sich bereits herbstlich verfärbt und baumeln träge in der schweren Luft, leuchten aber noch einmal in einem angeberischen Gelb- und Rot-Finale, sobald sie von den Strahlen der Altweibersonne gestreichelt werden. Und doch traue ich dem Frieden nicht. Ich kann es nicht genau sagen, aber da ist etwas - eine nervöse Anspannung. Wie eine Neuigkeit, die sich im Zoo verbreitet und die du spürst, bevor du weißt, was es eigentlich genau ist.
Am Gehege der Breitmaulnashörner Ursula und Justus wird meine Ahnung zur Gewissheit. Normalerweise läuft das so: Bei den Flamingos schlage ich den Weg nach Norden ein, grüße freundlich die Elefanten, ignoriere die Steinböcke auf ihrem lächerlichen Felsen, auf den sie sich so viel einbilden, und nehme mir bei den Nashörnern etwas Zeit, um Ursula so lange zu ... sagen wir: necken, bis Justus wutschnaubend mit seinem vorderen Horn gegen das Stahlgeländer rennt.
Um das zu erreichen, mache ich Ursula meist Komplimente über ihren Hintern - dass sie mich total heiß macht mit diesem schlanken, geradezu grazilen Dickhäuterpo und dass ich gar nicht verstehen könne, wie Justus das aushalte, den ganzen Tag mit ihr das Gehege zu teilen, ohne sie nicht wenigstens stündlich zu bespringen, obwohl in Justus' Fall springen wohl nicht das richtige Wort sei und so weiter und so fort. Justus versucht dann immer, Ruhe zu bewahren. Das ist der eigentlich lustige Teil - wie er versucht, die Kontrolle zu behalten. Denn er weiß natürlich, dass ihn wirklich hässliche Schmerzen erwarten, sobald er mit dem Horn das Geländer knutscht. Schließlich ist das vordere Horn von Breitmaulnashörnern mit der Nasenwurzel verwachsen. Aua.
Selbstredend gelingt es Justus nicht, die Kontrolle zu behalten. Unmöglich. Dreieinhalb Tonnen Kampfgewicht, aber eine Steuereinheit von der Größe einer kandierten Mandel. Rufus meint, es liege daran, dass Nashörner keine natürlichen Feinde haben. Es gibt sozusagen keine evolutionäre Notwendigkeit, dass sich da im Kopf etwas entwickelt. Wenn ihnen jemand blöd kommt, gibt's was auf die Glocke, und das war es dann. So weit das Gehirn eines Breitmaulnashorns. Funktioniert leider nur in freier Wildbahn. Hier im Zoo trennt Justus und mich ein Vierkant- Stahlrohr so dick wie ein Laternenpfahl. Und das ist der Grund dafür, weshalb eine Nashornverarsche deutlich mehr Spaß bringt als eine Flamingoverarsche. Denn Justus erinnert sich zwar morgen noch an die Schmerzen von heute, am Ende aber dengelt er doch wieder gegen das Geländer. Er kann nicht nicht dagegen rennen.
Und so zwänge ich mich wie jeden Morgen möglichst unauffällig durch die Hecke, die sie entlang des Stahlgeländers gepflanzt haben, lehne mich lässig gegen einen der Betonpfeiler, betrachtete den felsblockartigen Hintern von Ursula und rufe: »Morgen, Ursula!«
Sie antwortet, ohne sich umzudrehen: »Geh weg, Ray.«
»Ich würde ja gerne«, antworte ich, während ich mit einer Kralle die Ritzen zwischen meinen Zähnen sauberkratze, »aber dein Hintern macht mich einfach derartig heiß ... Wo ist eigentlich Jus...«
In diesem Moment beginnt die Erde zu beben, und Justus kommt um das Haus gestürmt, und - kein Witz - so schnell hab ich ihn noch nie laufen sehen. Wusste gar nicht, dass ein Nashorn überhaupt so rennen kann. Er muss sich richtig auf die Seite legen, um nicht aus der Kurve zu fliegen. Ich tätschele kurz den Betonpfeiler und kreuze das Spielbein über das Standbein. Das wird weh tun, denke ich, doch da galoppiert Justus auch schon heran, hält direkt auf mich zu, grunzt wie ein Posaunenchor, und die Erde vibriert so stark, dass ich immer wieder für Sekundenbruchteile den Bodenkontakt verliere. Jetzt wird mir doch etwas mulmig. Ich sehe den Staub tanzen und habe gerade noch Gelegenheit, zwei Schritte rückwärts zu stolpern, während ich mit aufgerissenen Augen verfolge, wie Justus auf den letzten Metern noch einmal zulegt - Mann, der würde glatt einen Geparden abhängen. Dann kneife ich die Augen zusammen, höre, wie sein Horn in das Geländer kracht und er ein Brüllen ausstößt, das selbst die Kängurus im entlegensten Winkel des Zoos schockiert zusammenfahren lässt.
Das Nächste, was ich wahrnehme, ist ein Luftstoß, der nach vergorenem Gras riecht und mich anbläst wie ein Föhn auf Stufe drei. Ich öffne meine Augen und blicke in die von Justus, blutunterlaufen, hitzig, zu allem entschlossen. Er hat es tatsächlich fertiggebracht, das Geländer zu verbiegen, den Stahl zu knicken wie ein Streichholz, und jetzt schnauft er mir seinen Grasatem ins Gesicht, und die Spitze seines Horns ist ziemlich genau eine Klauenbreite davon entfernt, meine kleinen Erdmänncheneier aufzuspießen. Ich blicke an mir herab und stelle fest, dass ich Justus gerade vor Schreck auf sein Horn pinkele. Für einen Moment steht die Zeit still. Er schnauft, ich pinkele. Dann hab ich keinen Urin mehr und mich wieder unter Kontrolle. Bin schließlich kein Nashorn. Mit einer einzelnen, abgespreizten Kralle tippe ich sehr behutsam die Spitze von Justus' Horn an.
»Wie es scheint«, sage ich, »sind wir heute ein bisschen ... dünnhäutig, hm?«
Statt einer Antwort stößt Justus nur ein weiteres Brüllen aus, das mich tatsächlich in die Hecke hinein- und auf der anderen Seite wieder herausschleudert. Dann sitze ich benommen auf dem Kiesweg und habe ein garstiges Fiepen im Ohr.
Bis ich mich von dem Schock erholt und so weit gesammelt habe, dass ich aufstehen und meinen Weg fortsetzen kann, höre ich von jenseits der Hecke Justus' dröhnende Stimme, die sich mühelos an dem Fiepen in meinen Ohren vorbeiarbeitet.
»Komm schon, Baby«, höre ich ihn gurgeln, und es dauert einen Moment, ehe ich begreife, dass Ursula gemeint ist und nicht ich.
»Justus, mein Großer«, antwortet Ursula, und ich bilde mir tatsächlich ein, ein laszives Raspeln aus ihrer Stimme herauszuhören. »Schon wieder?«
Ich klopfe mir den Staub ab, spucke ein Blatt aus und sehe zu, dass ich weiterkomme. Seit Jahren wartet der Zoodirektor darauf, dass Justus sich endlich mal wieder aufschwingt und Ursula begattet, und jetzt haben die beiden nicht nur Sex, sondern sie sagt zu ihm: »Schon wieder?«
Gedankenversunken setze ich meine Runde fort, vorbei an den Wölfen und Bibern, an den Pinguinen und Sumpfbüffeln. »Alles in Ordnung, Ray?«, höre ich eine Stimme durch das Fiepen in meinen Ohren, achte aber nicht darauf. Ist garantiert sowieso nur wieder Bernhard, das Okapimännchen, das am liebsten für alle im Zoo die Mutti wäre - ausgenommen die Leoparden, versteht sich -, und das jede sich bietende Gelegenheit nutzt, dir ein mehrtägiges Verständnisgespräch aufs Ohr zu drücken. Er meint es doch nur gut, sagt Ma immer, und damit hat sie natürlich recht. Aber genau das ist ja das Schlimme: Diejenigen, die ihre Tyrannei in einen Deckmantel wohlmeinender Anteilnahme wickeln, sind echt die Gefährlichsten. Gegen die ist schwer anzukommen.
Ich tapse also durch den Zoo, warte darauf, dass das Fiepen nachlässt, frage mich, was wohl in Justus gefahren sein mag, und merke erst wieder, wo ich bin, als sich mein Herzschlag beschleunigt. Das passiert automatisch, sobald ich am unteren Waldschenkenteich abbiege, auf die Affengehege zusteuere und dahinter Elsas Käfig in Sicht kommt. Und offenbar geschieht es sogar, wenn ich völlig in Gedanken bin. Kann man mal sehen, wie so ein Organismus funktioniert - ganz von selbst nämlich. Echt krass, Wunder der Natur und so weiter.
Wenn ich sage, dass ich etwas aus der Art geschlagen bin, dann bezieht sich das übrigens nicht nur auf meine Grabungsinstinkte, sondern ebenso auf Elsa. Meine Elsa. Die flauschigste Versuchung auf diesem Planeten. Und außerdem ein Chinchilla. Rufus meint ja, das sei pervers - als Erdmännchen auf ein Chinchilla steil zu gehen. Aber, mal ehrlich: Der Typ liest Konfuzius und Dieter Bohlen und all son Zeug. Neulich wollte er sogar einen Antrag zur Einführung einer neuen Gesprächs- und Reflexionskultur im Clan einbringen. Da frag ich mich doch, wer von uns beiden der Perversere ist. Glücklicherweise wusste Rocky nicht, was eine Kultur ist, also hat er die Idee sofort abgeschmettert.
Zurück zu Elsa: Besonders schlimm erwischt es mich, wenn ein lauer Südwestwind weht. Dann streift mich, sobald ich die Gorillas passiert habe, dieser unwiderstehliche Duft aus Pfirsich und Urin, der ihrem in langen Mußestunden geputzten Fell entsteigt, und ich muss echt den Hintern zusammenkneifen, um nicht automatisch in die Knie zu gehen. Elsa. Ich könnte viel erzählen über Elsa, könnte Rufus' frisch angelegte Bibliothek mit Geschichten über meine ewige Sehnsucht füllen ...
Hier nur so viel: Sie ist meine Elsa. Aber ich bin nicht ihr Ray. Sie hat mir das Herz gebrochen, mehrfach. Es zu Staub zerrieben und sich darin gesuhlt wie ein Dickhäuter. Spätestens seit der Geschichte mit Giacomo hätte ich allen Grund, sie mit Nichtachtung zu strafen, sie zu verachten, zu meiden, zu hassen. Das Problem dabei ist: Ich bin ein Erdmann, und in Liebesdingen, das weiß ich seit letztem Sommer, sind wir Erdmännchen den Menschen kein Stück voraus. Soll heißen: Mein Verlangen ist größer als jede Selbstachtung. Was Elsa angeht, bin ich also - harte Erkenntnis - nicht reifer als Justus: Während der jeden Morgen gegen das Geländer rennt, schiebe ich willig mein Herz durch die Schreddermaschine.
Alles, was ich tun kann, ist, mir nichts anmerken zu lassen. So zu tun, als ob. Was nicht funktioniert, kein Stück, nie funktioniert hat und nie funktionieren wird. Elsa kann mein Herz schlagen hören, wenn ich noch am Waldschenkenteich bin. Manchmal glaube ich sogar, ich muss nur in meiner Kammer liegen und an sie denken, damit sie es hören kann.
»Morgen, Elsa«, rufe ich. Ich rufe es tatsächlich. Und schicke hinterher: »Wie läuft's denn so?« Mann, muss ich bescheuert sein.
Von ihrem Hügel aus lässt Elsa einen beiläufigen Blick zu mir herabrollen, schwer wie ein Felsbrocken. »Lass stecken, Ray.« Danach wendet sie sich ab.
Das war's. Ein Satz, ein Meteorit und ein Herz so groß wie ein Pfirsichkern. Wumm! Matsch.
Schwer atmend krabbele ich aus dem Meteoritenkrater meines Elends und schleppe mich zu unserem Gehege hinüber. Wo nehme ich nur immer wieder diese Kraft her? Jeden Morgen dasselbe bittersüße Spiel. Eines Tages, überlege ich, bleibe ich einfach liegen. Aber nicht heute und nicht morgen. Wahnsinn, so ein Organismus. Lebt, ob man will oder nicht. Wunder der Natur.
Am Zaun erwartet mich Rufus mit seinem Schlaumeiergesicht und einem Grinsen, als hätte er eine Pommesgabel quer im Maul stecken. Vor lauter Aufregung haut er sich mal wieder die Klaue aufs Ohr. Klassische Übersprungshandlung. Im üblichen Nörgelmodus kann mein Bruder einem bereits mächtig auf den Zeiger gehen, aber gutgelaunt ist er einigermaßen unerträglich. Und mein endzeitlicher Seelenzustand macht es kein Stück besser.
»Ich will's nicht wissen«, komme ich ihm zuvor, während ich mit gesenktem Kopf am Gehege vorbeischleiche.
Er tut so, als habe er mich nicht gehört. Ein sicheres Indiz dafür, dass er bester Stimmung ist. »Du wirst nicht glauben, was ...«
»Ich will's nicht wissen!«, wiederhole ich.
Damit verschwindet zwar das Pommesgabelgrinsen, aber dieser Ich-weiß-etwas-was-du-nicht-weißt-Blick will einfach nicht aus seinem Gesicht weichen. »Verstehe«, spielt er den Beleidigten. »Dann werde ich die Jungfernfahrt wohl ohne meinen Bruder unternehmen müssen.«
Ich bleibe stehen und richte mich auf. Das glaube ich nicht. Korrektur: Ich glaube es doch. Rufus' Grinsen sagt alles. Er ist ein nervtötender Besserwisser. Aber er ist auch ein Genie. Momente wie dieser sind es, die einem immer wieder klarmachen, dass das Leben am Ende doch seinen Preis wert ist.
»Du hast das Boot klargemacht«, sage ich ungläubig.
Und schon ist es wieder da: dieses dämliche Pommesgabelgrinsen.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Ist ein kleiner Wermutstropfen, dass ich auf meinem morgendlichen Rundgang durch den Zoo immer als Erstes den Flamingos begegne, aber hinter deren Haus führt nun mal unser Geheimgang nach draußen. Kaum etwas ist ermüdender als das Gespräch mit einem Flamingo - was ich noch wegstecken könnte, wenn sie sich wenigstens vernünftig verarschen ließen. Ist aber nicht, weil sie bis zur nächsten Begegnung unter Garantie vergessen haben, dass sie verarscht worden sind.
Ich demonstriere das mal eben: »Morgen, Heinz«, antworte ich.
»Du kennst meinen Namen?«, fragt der Flamingo.
»Klar«, lüge ich, »du bist Heinz.«
Er wechselt in Zeitlupe von einem Bein auf das andere. Klares Zeichen von erhöhter Gehirnaktivität. »Ist das ein cooler Name?«, fragt er.
»Kommt darauf an.«
»Worauf?«
»Ob du ein Männchen oder ein Weibchen bist. Als Weibchen Heinz zu heißen wär' eher uncool.«
»Und ... Bin ich ein Weibchen?«
»Seh ich aus wie ein Gynäkologe?«, entgegne ich. Was das bedeutet, weiß ich zufällig.
Damit hab ich den Flamingo intellektuell in eine Sackgasse manövriert, aus der er so bald nicht wieder herausfinden wird. Ich will ihn den einsamen Weiten seiner Gehirnwindungen überlassen, als mich ein zweiter Flamingo fragt: »Weißt du auch, wie ich heiße?«
»Logisch. Du bist Wiesel.«
»Wiesel?«
»Brauchst mich gar nicht so schräg anzugucken. Ich hab dir den Namen schließlich nicht verpasst.«
»Aber das ist doch ein Tier?«
»Beschwer dich bei deinen Eltern.«
Auch er wechselt von einem Bein auf das andere: Bssssssssssss - Bein raus - bsssssssssss - Bein rein. Ein Fahrstuhl schafft in der Zeit locker acht Stockwerke. »Aber ich könnte Männchen oder Weibchen sein - würde beides passen, oder?«
»Stimmt. Wär' beides uncool.«
Der Flamingo, den ich Heinz getauft habe, hat zwischenzeitlich mit dem Schnabel im Gefieder zwischen seinen Beinen herumgestöbert. »Ich glaube, ich bin ein Weibchen«, sagt er jetzt.
Der andere sieht eine Chance, von seinem eigenen Dilemma abzulenken: »Dann bist du uncool.«
»Du bist doch selber uncool«, wehrt sich Heinz, »schließlich heißt du ... Ray, wie heißt der noch mal?«
»Wiesel.«
»Genau. Wiesel. Voll der Doofname, echt.«
Wiesel lässt nervös den Kopf um die eigene Achse rotieren. »Wenigstens bin ich kein Weibchen, so wie du.«
An diesem Punkt ziehe ich mich vornehm zurück, überlasse die beiden einander, schlüpfe durch die Hecke und schlendere lässig Richtung Elefantengehege. Wie gesagt: Könnte ganz lustig sein, so eine Flamingoverarsche. Aber zu wissen, dass die beiden beim nächsten Mal unter Garantie alles vergessen haben werden, verdirbt einem echt den Spaß.
Eigentlich könnte dies ein besonders schöner Morgen sein. Die Blätter an den Bäumen haben sich bereits herbstlich verfärbt und baumeln träge in der schweren Luft, leuchten aber noch einmal in einem angeberischen Gelb- und Rot-Finale, sobald sie von den Strahlen der Altweibersonne gestreichelt werden. Und doch traue ich dem Frieden nicht. Ich kann es nicht genau sagen, aber da ist etwas - eine nervöse Anspannung. Wie eine Neuigkeit, die sich im Zoo verbreitet und die du spürst, bevor du weißt, was es eigentlich genau ist.
Am Gehege der Breitmaulnashörner Ursula und Justus wird meine Ahnung zur Gewissheit. Normalerweise läuft das so: Bei den Flamingos schlage ich den Weg nach Norden ein, grüße freundlich die Elefanten, ignoriere die Steinböcke auf ihrem lächerlichen Felsen, auf den sie sich so viel einbilden, und nehme mir bei den Nashörnern etwas Zeit, um Ursula so lange zu ... sagen wir: necken, bis Justus wutschnaubend mit seinem vorderen Horn gegen das Stahlgeländer rennt.
Um das zu erreichen, mache ich Ursula meist Komplimente über ihren Hintern - dass sie mich total heiß macht mit diesem schlanken, geradezu grazilen Dickhäuterpo und dass ich gar nicht verstehen könne, wie Justus das aushalte, den ganzen Tag mit ihr das Gehege zu teilen, ohne sie nicht wenigstens stündlich zu bespringen, obwohl in Justus' Fall springen wohl nicht das richtige Wort sei und so weiter und so fort. Justus versucht dann immer, Ruhe zu bewahren. Das ist der eigentlich lustige Teil - wie er versucht, die Kontrolle zu behalten. Denn er weiß natürlich, dass ihn wirklich hässliche Schmerzen erwarten, sobald er mit dem Horn das Geländer knutscht. Schließlich ist das vordere Horn von Breitmaulnashörnern mit der Nasenwurzel verwachsen. Aua.
Selbstredend gelingt es Justus nicht, die Kontrolle zu behalten. Unmöglich. Dreieinhalb Tonnen Kampfgewicht, aber eine Steuereinheit von der Größe einer kandierten Mandel. Rufus meint, es liege daran, dass Nashörner keine natürlichen Feinde haben. Es gibt sozusagen keine evolutionäre Notwendigkeit, dass sich da im Kopf etwas entwickelt. Wenn ihnen jemand blöd kommt, gibt's was auf die Glocke, und das war es dann. So weit das Gehirn eines Breitmaulnashorns. Funktioniert leider nur in freier Wildbahn. Hier im Zoo trennt Justus und mich ein Vierkant- Stahlrohr so dick wie ein Laternenpfahl. Und das ist der Grund dafür, weshalb eine Nashornverarsche deutlich mehr Spaß bringt als eine Flamingoverarsche. Denn Justus erinnert sich zwar morgen noch an die Schmerzen von heute, am Ende aber dengelt er doch wieder gegen das Geländer. Er kann nicht nicht dagegen rennen.
Und so zwänge ich mich wie jeden Morgen möglichst unauffällig durch die Hecke, die sie entlang des Stahlgeländers gepflanzt haben, lehne mich lässig gegen einen der Betonpfeiler, betrachtete den felsblockartigen Hintern von Ursula und rufe: »Morgen, Ursula!«
Sie antwortet, ohne sich umzudrehen: »Geh weg, Ray.«
»Ich würde ja gerne«, antworte ich, während ich mit einer Kralle die Ritzen zwischen meinen Zähnen sauberkratze, »aber dein Hintern macht mich einfach derartig heiß ... Wo ist eigentlich Jus...«
In diesem Moment beginnt die Erde zu beben, und Justus kommt um das Haus gestürmt, und - kein Witz - so schnell hab ich ihn noch nie laufen sehen. Wusste gar nicht, dass ein Nashorn überhaupt so rennen kann. Er muss sich richtig auf die Seite legen, um nicht aus der Kurve zu fliegen. Ich tätschele kurz den Betonpfeiler und kreuze das Spielbein über das Standbein. Das wird weh tun, denke ich, doch da galoppiert Justus auch schon heran, hält direkt auf mich zu, grunzt wie ein Posaunenchor, und die Erde vibriert so stark, dass ich immer wieder für Sekundenbruchteile den Bodenkontakt verliere. Jetzt wird mir doch etwas mulmig. Ich sehe den Staub tanzen und habe gerade noch Gelegenheit, zwei Schritte rückwärts zu stolpern, während ich mit aufgerissenen Augen verfolge, wie Justus auf den letzten Metern noch einmal zulegt - Mann, der würde glatt einen Geparden abhängen. Dann kneife ich die Augen zusammen, höre, wie sein Horn in das Geländer kracht und er ein Brüllen ausstößt, das selbst die Kängurus im entlegensten Winkel des Zoos schockiert zusammenfahren lässt.
Das Nächste, was ich wahrnehme, ist ein Luftstoß, der nach vergorenem Gras riecht und mich anbläst wie ein Föhn auf Stufe drei. Ich öffne meine Augen und blicke in die von Justus, blutunterlaufen, hitzig, zu allem entschlossen. Er hat es tatsächlich fertiggebracht, das Geländer zu verbiegen, den Stahl zu knicken wie ein Streichholz, und jetzt schnauft er mir seinen Grasatem ins Gesicht, und die Spitze seines Horns ist ziemlich genau eine Klauenbreite davon entfernt, meine kleinen Erdmänncheneier aufzuspießen. Ich blicke an mir herab und stelle fest, dass ich Justus gerade vor Schreck auf sein Horn pinkele. Für einen Moment steht die Zeit still. Er schnauft, ich pinkele. Dann hab ich keinen Urin mehr und mich wieder unter Kontrolle. Bin schließlich kein Nashorn. Mit einer einzelnen, abgespreizten Kralle tippe ich sehr behutsam die Spitze von Justus' Horn an.
»Wie es scheint«, sage ich, »sind wir heute ein bisschen ... dünnhäutig, hm?«
Statt einer Antwort stößt Justus nur ein weiteres Brüllen aus, das mich tatsächlich in die Hecke hinein- und auf der anderen Seite wieder herausschleudert. Dann sitze ich benommen auf dem Kiesweg und habe ein garstiges Fiepen im Ohr.
Bis ich mich von dem Schock erholt und so weit gesammelt habe, dass ich aufstehen und meinen Weg fortsetzen kann, höre ich von jenseits der Hecke Justus' dröhnende Stimme, die sich mühelos an dem Fiepen in meinen Ohren vorbeiarbeitet.
»Komm schon, Baby«, höre ich ihn gurgeln, und es dauert einen Moment, ehe ich begreife, dass Ursula gemeint ist und nicht ich.
»Justus, mein Großer«, antwortet Ursula, und ich bilde mir tatsächlich ein, ein laszives Raspeln aus ihrer Stimme herauszuhören. »Schon wieder?«
Ich klopfe mir den Staub ab, spucke ein Blatt aus und sehe zu, dass ich weiterkomme. Seit Jahren wartet der Zoodirektor darauf, dass Justus sich endlich mal wieder aufschwingt und Ursula begattet, und jetzt haben die beiden nicht nur Sex, sondern sie sagt zu ihm: »Schon wieder?«
Gedankenversunken setze ich meine Runde fort, vorbei an den Wölfen und Bibern, an den Pinguinen und Sumpfbüffeln. »Alles in Ordnung, Ray?«, höre ich eine Stimme durch das Fiepen in meinen Ohren, achte aber nicht darauf. Ist garantiert sowieso nur wieder Bernhard, das Okapimännchen, das am liebsten für alle im Zoo die Mutti wäre - ausgenommen die Leoparden, versteht sich -, und das jede sich bietende Gelegenheit nutzt, dir ein mehrtägiges Verständnisgespräch aufs Ohr zu drücken. Er meint es doch nur gut, sagt Ma immer, und damit hat sie natürlich recht. Aber genau das ist ja das Schlimme: Diejenigen, die ihre Tyrannei in einen Deckmantel wohlmeinender Anteilnahme wickeln, sind echt die Gefährlichsten. Gegen die ist schwer anzukommen.
Ich tapse also durch den Zoo, warte darauf, dass das Fiepen nachlässt, frage mich, was wohl in Justus gefahren sein mag, und merke erst wieder, wo ich bin, als sich mein Herzschlag beschleunigt. Das passiert automatisch, sobald ich am unteren Waldschenkenteich abbiege, auf die Affengehege zusteuere und dahinter Elsas Käfig in Sicht kommt. Und offenbar geschieht es sogar, wenn ich völlig in Gedanken bin. Kann man mal sehen, wie so ein Organismus funktioniert - ganz von selbst nämlich. Echt krass, Wunder der Natur und so weiter.
Wenn ich sage, dass ich etwas aus der Art geschlagen bin, dann bezieht sich das übrigens nicht nur auf meine Grabungsinstinkte, sondern ebenso auf Elsa. Meine Elsa. Die flauschigste Versuchung auf diesem Planeten. Und außerdem ein Chinchilla. Rufus meint ja, das sei pervers - als Erdmännchen auf ein Chinchilla steil zu gehen. Aber, mal ehrlich: Der Typ liest Konfuzius und Dieter Bohlen und all son Zeug. Neulich wollte er sogar einen Antrag zur Einführung einer neuen Gesprächs- und Reflexionskultur im Clan einbringen. Da frag ich mich doch, wer von uns beiden der Perversere ist. Glücklicherweise wusste Rocky nicht, was eine Kultur ist, also hat er die Idee sofort abgeschmettert.
Zurück zu Elsa: Besonders schlimm erwischt es mich, wenn ein lauer Südwestwind weht. Dann streift mich, sobald ich die Gorillas passiert habe, dieser unwiderstehliche Duft aus Pfirsich und Urin, der ihrem in langen Mußestunden geputzten Fell entsteigt, und ich muss echt den Hintern zusammenkneifen, um nicht automatisch in die Knie zu gehen. Elsa. Ich könnte viel erzählen über Elsa, könnte Rufus' frisch angelegte Bibliothek mit Geschichten über meine ewige Sehnsucht füllen ...
Hier nur so viel: Sie ist meine Elsa. Aber ich bin nicht ihr Ray. Sie hat mir das Herz gebrochen, mehrfach. Es zu Staub zerrieben und sich darin gesuhlt wie ein Dickhäuter. Spätestens seit der Geschichte mit Giacomo hätte ich allen Grund, sie mit Nichtachtung zu strafen, sie zu verachten, zu meiden, zu hassen. Das Problem dabei ist: Ich bin ein Erdmann, und in Liebesdingen, das weiß ich seit letztem Sommer, sind wir Erdmännchen den Menschen kein Stück voraus. Soll heißen: Mein Verlangen ist größer als jede Selbstachtung. Was Elsa angeht, bin ich also - harte Erkenntnis - nicht reifer als Justus: Während der jeden Morgen gegen das Geländer rennt, schiebe ich willig mein Herz durch die Schreddermaschine.
Alles, was ich tun kann, ist, mir nichts anmerken zu lassen. So zu tun, als ob. Was nicht funktioniert, kein Stück, nie funktioniert hat und nie funktionieren wird. Elsa kann mein Herz schlagen hören, wenn ich noch am Waldschenkenteich bin. Manchmal glaube ich sogar, ich muss nur in meiner Kammer liegen und an sie denken, damit sie es hören kann.
»Morgen, Elsa«, rufe ich. Ich rufe es tatsächlich. Und schicke hinterher: »Wie läuft's denn so?« Mann, muss ich bescheuert sein.
Von ihrem Hügel aus lässt Elsa einen beiläufigen Blick zu mir herabrollen, schwer wie ein Felsbrocken. »Lass stecken, Ray.« Danach wendet sie sich ab.
Das war's. Ein Satz, ein Meteorit und ein Herz so groß wie ein Pfirsichkern. Wumm! Matsch.
Schwer atmend krabbele ich aus dem Meteoritenkrater meines Elends und schleppe mich zu unserem Gehege hinüber. Wo nehme ich nur immer wieder diese Kraft her? Jeden Morgen dasselbe bittersüße Spiel. Eines Tages, überlege ich, bleibe ich einfach liegen. Aber nicht heute und nicht morgen. Wahnsinn, so ein Organismus. Lebt, ob man will oder nicht. Wunder der Natur.
Am Zaun erwartet mich Rufus mit seinem Schlaumeiergesicht und einem Grinsen, als hätte er eine Pommesgabel quer im Maul stecken. Vor lauter Aufregung haut er sich mal wieder die Klaue aufs Ohr. Klassische Übersprungshandlung. Im üblichen Nörgelmodus kann mein Bruder einem bereits mächtig auf den Zeiger gehen, aber gutgelaunt ist er einigermaßen unerträglich. Und mein endzeitlicher Seelenzustand macht es kein Stück besser.
»Ich will's nicht wissen«, komme ich ihm zuvor, während ich mit gesenktem Kopf am Gehege vorbeischleiche.
Er tut so, als habe er mich nicht gehört. Ein sicheres Indiz dafür, dass er bester Stimmung ist. »Du wirst nicht glauben, was ...«
»Ich will's nicht wissen!«, wiederhole ich.
Damit verschwindet zwar das Pommesgabelgrinsen, aber dieser Ich-weiß-etwas-was-du-nicht-weißt-Blick will einfach nicht aus seinem Gesicht weichen. »Verstehe«, spielt er den Beleidigten. »Dann werde ich die Jungfernfahrt wohl ohne meinen Bruder unternehmen müssen.«
Ich bleibe stehen und richte mich auf. Das glaube ich nicht. Korrektur: Ich glaube es doch. Rufus' Grinsen sagt alles. Er ist ein nervtötender Besserwisser. Aber er ist auch ein Genie. Momente wie dieser sind es, die einem immer wieder klarmachen, dass das Leben am Ende doch seinen Preis wert ist.
»Du hast das Boot klargemacht«, sage ich ungläubig.
Und schon ist es wieder da: dieses dämliche Pommesgabelgrinsen.
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Autoren-Porträt von Moritz Matthies
Moritz Matthies ist ein Pseudonym. Bei FISCHER sind von ihm die Romane 'Ausgefressen', 'Voll Speed', 'Dumm gelaufen', 'Dickes Fell' und 'Letzte Runde' lieferbar. Die Hörbücher sind bei Argon erschienen und werden von Christoph Maria Herbst gelesen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Moritz Matthies
- 2014, 4. Aufl., 336 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596196450
- ISBN-13: 9783596196456
- Erscheinungsdatum: 19.02.2014
Pressezitat
Eine witzige, spannende und temporeiche Geschichte, die Einblicke in das Clanleben der Erdmännchen bietet und zeigt, wie Erdmännchen mit menschlichen Partnern zusammen einen Mord aufklären. Kriminetz.de 20150304
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