Eremit in Paris
Autobiographische Blätter
Ein Lesebuch für alle, die Italo Calvino, den Klassiker unter den italienischen Autoren des 20. Jahrhunderts, näher kennenlernen wollen. Dieser Band enthält Texte, die Calvino über seinen eigenen Lebensweg geschrieben hat. Er...
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Produktinformationen zu „Eremit in Paris “
Ein Lesebuch für alle, die Italo Calvino, den Klassiker unter den italienischen Autoren des 20. Jahrhunderts, näher kennenlernen wollen. Dieser Band enthält Texte, die Calvino über seinen eigenen Lebensweg geschrieben hat. Er erzählt von der »Kindheit unterm Faschismus«, beschreibt das Leben in Turin nach dem Krieg und befasst sich mit der politischen Entwicklung in der italienischen Nachkriegszeit. Calvino befragt seine Existenz als Schriftsteller und Kommunist. Mit dem 'Amerikanischen Tagebuch 1959-1960' und Texten über seine Reisen fällt der Fokus auf den Kosmopoliten, der von sich sagt, dass sein Schreibtisch eine Insel sei, die in jedem anderen Land stehen könne.
Klappentext zu „Eremit in Paris “
Ein Lesebuch für alle, die Italo Calvino, den Klassiker unter den italienischen Autoren des 20. Jahrhunderts, näher kennenlernen wollen.Dieser Band enthält Texte, die Calvino über seinen eigenen Lebensweg geschrieben hat. Er erzählt von der »Kindheit unterm Faschismus«, beschreibt das Leben in Turin nach dem Krieg und befasst sich mit der politischen Entwicklung in der italienischen Nachkriegszeit. Calvino befragt seine Existenz als Schriftsteller und Kommunist. Mit dem 'Amerikanischen Tagebuch 1959-1960' und Texten über seine Reisen fällt der Fokus auf den Kosmopoliten, der von sich sagt, dass sein Schreibtisch eine Insel sei, die in jedem anderen Land stehen könne.
Lese-Probe zu „Eremit in Paris “
Eremit in Paris von Italo CalvinoIn diesem Band habe ich zwölf Schriften Calvinos, die bereits an verschiedenen Orten erschienen waren, einen unveröffentlichten Text - das Amerikanische Tagebuch - und einen nur mit kleiner Auflage in Lugano erschienenen Aufsatz - Eremit in Paris - zusammengestellt.
Im August 1985, einen Monat vor der geplanten Abreise an die Harvard-Universität, war Calvino erschöpft und besorgt. Er hatte die sechs Vorträge fertigschreiben wollen, die er in Harvard halten sollte, und schaffte es nicht. Er korrigierte, stellte um, »knetete« und ließ dann doch alles fast so, wie es war. Er kam nicht voran.
Ich dachte, eine mögliche Lösung wäre vielleicht, ihn zu überreden, etwas anderes zu machen, sich auf ein anderes seiner vielen Projekte zu konzentrieren. Auf meine Frage: »Warum läßt du die Vorträge nicht eine Weile liegen und schreibst La strada di San Giovanni* zu Ende?« erwiderte er: »Weil das meine Biographie ist, und meine Biographie ist noch nicht ...« Er ließ den Satz unvollendet. Wollte er sagen: »noch nicht zu Ende«? Oder dachte er vielleicht: »das ist noch nicht meine ganze Biographie«?
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Jahre später fand ich eine Mappe mit der Aufschrift »Autobiographische Blätter«, die eine Reihe von Texten enthielt, begleitet von editorischen Anmerkungen. Es gab also noch ein anderes autobiographisches Projekt, das ganz anders geartet war als das in La strada di San Giovanni umrissene. Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, zu verstehen, in welcher Weise Calvino diese Schriften präsentiert hätte, die er in chronologischer Ordnung hinterlassen hat. Sie beziehen sich zweifellos auf die wichtigsten Aspekte seines Lebens, in der ausdrücklichen Absicht, seine Entscheidungen zu erläutern: die politischen, literarischen, existentiellen, das Wie, das Warum und das Wann. Sehr wichtig ist das Wann: In einer Anmerkung, die der Politischen Autobiographie meiner Jugend aus den Jahren 1960-1962 beilag, schreibt er: »Was die (...) geäußerten Überzeugungen angeht, so sind sie - wie jede andere Schrift dieser Sammlung - nur Zeugnisse dessen, was ich zu jener Zeit dachte.«
Das Material, das Calvino für dieses Buch vorbereitet hatte, geht bis Dezember 1980. Es war sein ausdrücklicher Wunsch, drei dieser Schriften in zwei Versionen nacheinander erscheinen zu lassen. Ich habe die letzten fünf Texte hinzugefügt, weil sie strikt autobiographischer Art sind und mir scheint, daß sie die anderen vervollständigen.
Als ich die Texte dann in ihrer Gesamtheit durchsah, hatte ich den Eindruck, daß in einigen von ihnen jene Unmittelbarkeit fehlt, die man in Autobiographien erwartet. Nicht nur aus diesem Grund bin ich darauf gekommen, das Amerikanische Tagebuch 1959-1960 in den Band mit aufzunehmen. Über die Bedeutung, die jene Reise in seinem Leben hatte, hat sich Calvino bei verschiedenen Gelegenheiten schriftlich und mündlich geäußert. Dennoch beschloß er, das von dieser Reise angeregte Buch Unottimista in America [Ein Optimist in Amerika] nicht zu veröffentlichen, als es bereits in den Umbruchfahnen vorlag. Die Erklärung für diesen schroffen Sinneswandel findet sich in einem Brief an Luca Baranelli vom 24. Januar 1985: »... Ich hatte beschlossen, das Buch nicht zu veröffentlichen, weil ich es beim Wiederlesen der Fahnen als zu bescheiden für ein literarisches Werk und nicht originell genug für eine journalistische Reportage empfand. Habe ich gut daran getan? Wer weiß? Hätte ich es damals veröffentlicht, wäre es immerhin ein Dokument der Epoche und einer Phase meines Lebens gewesen ...«
Das Amerikanische Tagebuch ist dagegen nichts anderes als eine Reihe von Briefen, die Calvino regelmäßig an seinen Freund und Kollegen Daniele Ponchiroli im Einaudi-Verlag schickte, der sie den anderen Mitarbeitern des Verlages zugänglich machen sollte und darüber hinaus auch jedem, wie Calvino ausdrücklich schreibt, der daran interessiert war, seine Eindrücke und Erfahrungen in Amerika kennenzulernen.
Als autobiographisches Dokument - nicht als literarisches Werk - scheint es mir essentiell; als Selbstporträt ist es sicherlich das spontanste und unmittelbarste.
Dies also könnte der Sinn dieses Buches sein: das Verhältnis des Lesers zum Autor enger zu machen, es durch diese Schriften zu vertiefen. Calvino war der Ansicht: »Was zählt, ist das, was wir sind, ist Vertiefen des eigenen Verhältnisses zur Welt und zum Nächsten, eines Verhältnisses, das zugleich Liebe zum Bestehenden und Wille zur Veränderung sein kann.«
Esther Calvino
Ich danke Luca Baranelli für seine unschätzbare Hilfe bei diesem und anderem und für seine nicht minder kostbare Freundschaft.
E. C.
Als Zugereister in Turin
Wahlturiner - auf dem Gebiet der Literatur - gibt es, glaube ich, nicht so viele. Wahlmailänder kenne ich eine Menge - ich behaupte: fast alle Mailänder Literaten sind es; die Wahlrömer nehmen unentwegt zu; die Wahlflorentiner weniger als früher, aber es gibt noch welche. In Turin dagegen würde man sagen, man muß dort geboren sein oder aus den Tälern des Piemont angeschwemmt mit dem natürlichen Lauf der Flüsse, die in den Po münden. Für mich ist Turin jedoch wirklich Gegenstand einer Wahl gewesen. Ich komme aus einem Land, aus Ligurien, das von einer literarischen Tradition nur Bruchstücke oder Andeutungen hat, so daß jeder - großes Glück! - eine Tradition auf eigene Rechnung für sich entdecken oder erfinden kann; aus einem Land, das keine klar definierte literarische Hauptstadt hat, so daß der ligurische Literat - ein seltener Vogel in Wirklichkeit - auch ein Wandervogel ist.
Was mich an Turin gereizt hat, waren bestimmte Tugenden, die denen meiner Leute nicht unähnlich waren und die mir die liebsten sind: das Fehlen romantischer Wallungen, das Vertrauen vor allem auf die eigene Arbeit, ein angeborenes sprödes Mißtrauen, dazu das sichere Gefühl, an der weiten, sich regenden Welt teilzuhaben und nicht an der abgeschlossenen Provinz, die Lust an einem durch Ironie gezügelten Leben, die klärende und rationale Intelligenz. Es war also ein moralisches und »ziviles« Bild von Turin, nicht ein literarisches, das mich anzog. Es war der Reiz jener Stadt dreißig Jahre zuvor, den ein anderer »Wahlturiner«, der Sarde Gramsci, entdeckt und ausgelöst hatte und den ein alteingesessener Turiner wie Gobetti in einigen seiner noch heute so anregenden Schriften definiert hat. Das Turin der revolutionären Arbeiter, die sich schon in der ersten Nachkriegszeit als führende Klasse organisierten, das Turin der antifaschistischen Intellektuellen, die sich auf keinen Kompromiß einließen. Gibt es dieses Turin noch? Macht es sich in der italienischen Realität von heute bemerkbar? Ich glaube, daß es die Fähigkeit hat, seine Kraft wie ein Feuer unter der Asche zu bewahren, und daß es lebendig bleibt, auch wenn es nicht so scheint. Mein literarisches Turin bestand vor allem aus einer Person, der nahe zu sein ich einige Jahre das Glück hatte und die mir dann zu bald fehlte: ein Mann, über den zur Zeit viel geschrieben wird, und oftmals so, daß man Mühe hat, ihn wiederzuerkennen. Wahr ist, daß seine Bücher nicht ausreichen, um ein vollständiges Bild von ihm zu geben. Denn von grundlegender Bedeutung war bei ihm das Beispiel, das er mit seiner Arbeit gab, die Tatsache, daß man bei ihm sehen konnte, wie die Kultur des Literaten und die Sensibilität des Dichters sich in produktive Arbeit umsetzten, in Werte, die dem Nächsten zur Verfügung gestellt werden, in Organisation und Ideenaustausch, in Praxis und Lehre all jener Techniken, aus denen eine moderne kulturelle Zivilisation besteht.
Ich spreche von Cesare Pavese. Und ich kann sagen, daß für mich wie auch für andere, die ihn kannten und mit ihm verkehrten, die Lehre Turins in weiten Teilen mit seiner Lehre zusammenfiel. Mein Turiner Leben war ganz von ihm geprägt; jede Seite, die ich schrieb, las er als erster; er war es, der mir einen Beruf verschaffte, indem er mich in jene Verlagstätigkeit einführte, durch die Turin noch heute ein kulturelles Zentrum von mehr als bloß nationaler Bedeutung ist; er war es schließlich auch, der mich lehrte, seine Stadt zu sehen, ihre subtilen Schönheiten zu genießen beim Spaziergang durch die Corsi und durch die Hügel.
Hier müßte ich das Thema wechseln und erklären, wie es einem Zugereisten wie mir gelingt, mit dieser Landschaft zu harmonieren; wie ich mich darin wiederfinde, ein Fisch der Klippen und ein Vogel des Waldes, verpflanzt unter diese Arkaden, um die Nebel und Fröste am Fuße der Alpen zu spüren. Aber das würde viel Zeit erfordern. Ich müßte zu definieren versuchen, was für ein heimliches Spiel von Motiven das geometrische Raster der rechtwinklig angelegten Straßen mit dem geometrischen Raster der Trockenmauern in meiner ländlichen Heimat verbindet. Und welches besondere Verhältnis von Kultur und Natur in Turin herrscht: eines nämlich, bei dem ein erneutes Grünen der Blätter an den Corsi, ein Glitzern auf dem Po oder die freundliche Nähe der Hügel genügt, um unversehens das Herz wieder aufzuschließen für nicht vergessene Landschaften, um den Menschen wieder mit der viel weiteren natürlichen Welt zu konfrontieren - kurz: um wieder spüren zu lassen, daß man lebt.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Jahre später fand ich eine Mappe mit der Aufschrift »Autobiographische Blätter«, die eine Reihe von Texten enthielt, begleitet von editorischen Anmerkungen. Es gab also noch ein anderes autobiographisches Projekt, das ganz anders geartet war als das in La strada di San Giovanni umrissene. Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, zu verstehen, in welcher Weise Calvino diese Schriften präsentiert hätte, die er in chronologischer Ordnung hinterlassen hat. Sie beziehen sich zweifellos auf die wichtigsten Aspekte seines Lebens, in der ausdrücklichen Absicht, seine Entscheidungen zu erläutern: die politischen, literarischen, existentiellen, das Wie, das Warum und das Wann. Sehr wichtig ist das Wann: In einer Anmerkung, die der Politischen Autobiographie meiner Jugend aus den Jahren 1960-1962 beilag, schreibt er: »Was die (...) geäußerten Überzeugungen angeht, so sind sie - wie jede andere Schrift dieser Sammlung - nur Zeugnisse dessen, was ich zu jener Zeit dachte.«
Das Material, das Calvino für dieses Buch vorbereitet hatte, geht bis Dezember 1980. Es war sein ausdrücklicher Wunsch, drei dieser Schriften in zwei Versionen nacheinander erscheinen zu lassen. Ich habe die letzten fünf Texte hinzugefügt, weil sie strikt autobiographischer Art sind und mir scheint, daß sie die anderen vervollständigen.
Als ich die Texte dann in ihrer Gesamtheit durchsah, hatte ich den Eindruck, daß in einigen von ihnen jene Unmittelbarkeit fehlt, die man in Autobiographien erwartet. Nicht nur aus diesem Grund bin ich darauf gekommen, das Amerikanische Tagebuch 1959-1960 in den Band mit aufzunehmen. Über die Bedeutung, die jene Reise in seinem Leben hatte, hat sich Calvino bei verschiedenen Gelegenheiten schriftlich und mündlich geäußert. Dennoch beschloß er, das von dieser Reise angeregte Buch Unottimista in America [Ein Optimist in Amerika] nicht zu veröffentlichen, als es bereits in den Umbruchfahnen vorlag. Die Erklärung für diesen schroffen Sinneswandel findet sich in einem Brief an Luca Baranelli vom 24. Januar 1985: »... Ich hatte beschlossen, das Buch nicht zu veröffentlichen, weil ich es beim Wiederlesen der Fahnen als zu bescheiden für ein literarisches Werk und nicht originell genug für eine journalistische Reportage empfand. Habe ich gut daran getan? Wer weiß? Hätte ich es damals veröffentlicht, wäre es immerhin ein Dokument der Epoche und einer Phase meines Lebens gewesen ...«
Das Amerikanische Tagebuch ist dagegen nichts anderes als eine Reihe von Briefen, die Calvino regelmäßig an seinen Freund und Kollegen Daniele Ponchiroli im Einaudi-Verlag schickte, der sie den anderen Mitarbeitern des Verlages zugänglich machen sollte und darüber hinaus auch jedem, wie Calvino ausdrücklich schreibt, der daran interessiert war, seine Eindrücke und Erfahrungen in Amerika kennenzulernen.
Als autobiographisches Dokument - nicht als literarisches Werk - scheint es mir essentiell; als Selbstporträt ist es sicherlich das spontanste und unmittelbarste.
Dies also könnte der Sinn dieses Buches sein: das Verhältnis des Lesers zum Autor enger zu machen, es durch diese Schriften zu vertiefen. Calvino war der Ansicht: »Was zählt, ist das, was wir sind, ist Vertiefen des eigenen Verhältnisses zur Welt und zum Nächsten, eines Verhältnisses, das zugleich Liebe zum Bestehenden und Wille zur Veränderung sein kann.«
Esther Calvino
Ich danke Luca Baranelli für seine unschätzbare Hilfe bei diesem und anderem und für seine nicht minder kostbare Freundschaft.
E. C.
Als Zugereister in Turin
Wahlturiner - auf dem Gebiet der Literatur - gibt es, glaube ich, nicht so viele. Wahlmailänder kenne ich eine Menge - ich behaupte: fast alle Mailänder Literaten sind es; die Wahlrömer nehmen unentwegt zu; die Wahlflorentiner weniger als früher, aber es gibt noch welche. In Turin dagegen würde man sagen, man muß dort geboren sein oder aus den Tälern des Piemont angeschwemmt mit dem natürlichen Lauf der Flüsse, die in den Po münden. Für mich ist Turin jedoch wirklich Gegenstand einer Wahl gewesen. Ich komme aus einem Land, aus Ligurien, das von einer literarischen Tradition nur Bruchstücke oder Andeutungen hat, so daß jeder - großes Glück! - eine Tradition auf eigene Rechnung für sich entdecken oder erfinden kann; aus einem Land, das keine klar definierte literarische Hauptstadt hat, so daß der ligurische Literat - ein seltener Vogel in Wirklichkeit - auch ein Wandervogel ist.
Was mich an Turin gereizt hat, waren bestimmte Tugenden, die denen meiner Leute nicht unähnlich waren und die mir die liebsten sind: das Fehlen romantischer Wallungen, das Vertrauen vor allem auf die eigene Arbeit, ein angeborenes sprödes Mißtrauen, dazu das sichere Gefühl, an der weiten, sich regenden Welt teilzuhaben und nicht an der abgeschlossenen Provinz, die Lust an einem durch Ironie gezügelten Leben, die klärende und rationale Intelligenz. Es war also ein moralisches und »ziviles« Bild von Turin, nicht ein literarisches, das mich anzog. Es war der Reiz jener Stadt dreißig Jahre zuvor, den ein anderer »Wahlturiner«, der Sarde Gramsci, entdeckt und ausgelöst hatte und den ein alteingesessener Turiner wie Gobetti in einigen seiner noch heute so anregenden Schriften definiert hat. Das Turin der revolutionären Arbeiter, die sich schon in der ersten Nachkriegszeit als führende Klasse organisierten, das Turin der antifaschistischen Intellektuellen, die sich auf keinen Kompromiß einließen. Gibt es dieses Turin noch? Macht es sich in der italienischen Realität von heute bemerkbar? Ich glaube, daß es die Fähigkeit hat, seine Kraft wie ein Feuer unter der Asche zu bewahren, und daß es lebendig bleibt, auch wenn es nicht so scheint. Mein literarisches Turin bestand vor allem aus einer Person, der nahe zu sein ich einige Jahre das Glück hatte und die mir dann zu bald fehlte: ein Mann, über den zur Zeit viel geschrieben wird, und oftmals so, daß man Mühe hat, ihn wiederzuerkennen. Wahr ist, daß seine Bücher nicht ausreichen, um ein vollständiges Bild von ihm zu geben. Denn von grundlegender Bedeutung war bei ihm das Beispiel, das er mit seiner Arbeit gab, die Tatsache, daß man bei ihm sehen konnte, wie die Kultur des Literaten und die Sensibilität des Dichters sich in produktive Arbeit umsetzten, in Werte, die dem Nächsten zur Verfügung gestellt werden, in Organisation und Ideenaustausch, in Praxis und Lehre all jener Techniken, aus denen eine moderne kulturelle Zivilisation besteht.
Ich spreche von Cesare Pavese. Und ich kann sagen, daß für mich wie auch für andere, die ihn kannten und mit ihm verkehrten, die Lehre Turins in weiten Teilen mit seiner Lehre zusammenfiel. Mein Turiner Leben war ganz von ihm geprägt; jede Seite, die ich schrieb, las er als erster; er war es, der mir einen Beruf verschaffte, indem er mich in jene Verlagstätigkeit einführte, durch die Turin noch heute ein kulturelles Zentrum von mehr als bloß nationaler Bedeutung ist; er war es schließlich auch, der mich lehrte, seine Stadt zu sehen, ihre subtilen Schönheiten zu genießen beim Spaziergang durch die Corsi und durch die Hügel.
Hier müßte ich das Thema wechseln und erklären, wie es einem Zugereisten wie mir gelingt, mit dieser Landschaft zu harmonieren; wie ich mich darin wiederfinde, ein Fisch der Klippen und ein Vogel des Waldes, verpflanzt unter diese Arkaden, um die Nebel und Fröste am Fuße der Alpen zu spüren. Aber das würde viel Zeit erfordern. Ich müßte zu definieren versuchen, was für ein heimliches Spiel von Motiven das geometrische Raster der rechtwinklig angelegten Straßen mit dem geometrischen Raster der Trockenmauern in meiner ländlichen Heimat verbindet. Und welches besondere Verhältnis von Kultur und Natur in Turin herrscht: eines nämlich, bei dem ein erneutes Grünen der Blätter an den Corsi, ein Glitzern auf dem Po oder die freundliche Nähe der Hügel genügt, um unversehens das Herz wieder aufzuschließen für nicht vergessene Landschaften, um den Menschen wieder mit der viel weiteren natürlichen Welt zu konfrontieren - kurz: um wieder spüren zu lassen, daß man lebt.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Italo Calvino
Calvino, ItaloItalo Calvino, am 15. Oktober 1923 in Santiago de las Vegas auf Kuba geboren, wuchs in San Remo auf. Er arbeitete mehrere Jahre als Lektor des Verlages Einaudi und als Redakteur bei verschiedenen Zeitschriften. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und in alle Weltsprachen übersetzt. Italo Calvino starb am 19. September 1985 in Siena. Seine Romane, Erzählungen und Essays sind im Carl Hanser Verlag und im Fischer Taschenbuch erschienen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Italo Calvino
- 2012, 272 Seiten, Maße: 12,4 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Kroeber, Burkhart; Martens, Ina
- Übersetzer: Burkhart Kroeber, Ina Martens
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596905052
- ISBN-13: 9783596905058
- Erscheinungsdatum: 13.12.2012
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