Meerjungfrau / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.6
Kriminalroman
Ein Strauß weißer Lilien, ein Drohbrief, ein Unbekannter dringt nachts in sein Haus ein und beschmiert die Kinder mit blutroter Farbe: Christian Thydell, der beliebte Bibliothekar von Fjällbacka, wird erpresst. Die Situation eskaliert,...
lieferbar
versandkostenfrei
Taschenbuch
11.40 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Meerjungfrau / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.6 “
Ein Strauß weißer Lilien, ein Drohbrief, ein Unbekannter dringt nachts in sein Haus ein und beschmiert die Kinder mit blutroter Farbe: Christian Thydell, der beliebte Bibliothekar von Fjällbacka, wird erpresst. Die Situation eskaliert, als Christians Freund Magnus tot im Meer gefunden wird. Kommissar Patrik Hedström vermutet ein Familiendrama. Doch erst seine Frau, die Schriftstellerin Erica Falck, entdeckt das schreckliche Geheimnis der Meerjungfrau.
Klappentext zu „Meerjungfrau / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.6 “
Ein Strauß weißer Lilien, ein Drohbrief, ein Unbekannter dringt nachts in sein Haus ein und beschmiert die Kinder mit blutroter Farbe: Christian Thydell, der beliebte Bibliothekar von Fjällbacka, wird erpresst. Die Situation eskaliert, als Christians Freund Magnus tot im Meer gefunden wird. Kommissar Patrik Hedström vermutet ein Familiendrama. Doch erst seine Frau, die Schriftstellerin Erica Falck, entdeckt das schreckliche Geheimnis der Meerjungfrau.Lese-Probe zu „Meerjungfrau / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.6 “
Meerjungfrau von Camilla LäckbergProlog
Er hatte es gewusst, früher oder später würde alles ans Licht kommen. So etwas ließ sich nicht verbergen. Mit jedem Wort war er dem Unsagbaren, dem Entsetzlichen näher gekommen, das er seit so vielen Jahren zu verdrängen suchte.
Nun konnte er nicht mehr davonlaufen. Er ging, so schnell er konnte. Morgenluft füllte seine Lungen. Sein Herz pochte wie wild. Er wollte nicht dorthin, aber er musste. Jetzt sollte der Zufall entscheiden. War jemand da, würde er reden. Wenn nicht, würde er zur Arbeit gehen, als ob nichts geschehen wäre.
Als er anklopfte, wurde ihm geöffnet. Im dämmrigen Licht musste er die Augen zusammenkneifen. Vor ihm stand nicht die Person, mit der er gerechnet hatte. Es war jemand anderes.
Ihr langes Haar schwang rhythmisch hin und her, als er ihr ins nächste Zimmer folgte. Er machte den Anfang, stellte Fragen. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Nichts war so, wie es schien. Es war falsch und dennoch richtig.
Plötzlich verstummte er. Irgendetwas hatte ihn mit solcher Wucht in die Magengrube getroffen, dass es ihm die Sprache verschlug. Er blickte zu Boden. Sah Blut aus der Wunde sickern und das Messer hinausgleiten. Dann noch ein Stoß, wieder Schmerz. Der scharfe Gegenstand wütete in seinen Eingeweiden.
Er begriff, alles war vorbei. Hier würde es enden. Dabei hatte er noch so viel vorgehabt und wollte noch so viel sehen und erleben. Andererseits war nun eine Art von Gerechtigkeit wiederhergestellt. Sein erfülltes Leben und all die Liebe, die ihm geschenkt worden war, hatte er überhaupt nicht verdient. Nach allem, was er getan hatte.
... mehr
Als seine Sinne vom Schmerz betäubt waren und das Messer endlich Ruhe gab, kam das Wasser. Ein schaukelndes Boot. Die eisigen Wellen spürte er schon nicht mehr.
Zuletzt erinnerte er sich an ihr Haar. Das lange dunkle Haar.
Es sind doch schon drei Monate vergangen! Wieso findet ihr ihn nicht?«
Nachdenklich betrachtete Patrik Hedström die Frau, die vor ihm saß. Von Woche zu Woche sah sie erschöpfter aus. Jeden Mittwoch besuchte sie die Polizeistation Tanum. Seit ihr Mann Anfang November verschwunden war.
»Wir tun, was wir können, Cia. Das weißt du doch.«
Sie nickte wortlos. Die Hände in ihrem Schoß zitterten. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Es war nicht das erste Mal, dass Patrik sie so sah.
»Er kommt nicht zurück, oder?« Nun bebte auch ihre Stimme. Patrik musste sich beherrschen, um nicht aufzuspringen und die zerbrechliche Frau in den Arm zu nehmen. Er musste sich professionell verhalten, auch wenn das seinem Beschützerinstinkt widersprach. Nach längerem Überlegen holte er tief Luft.
»Ich glaube nicht.«
Sie stellte keine weiteren Fragen. Seine Worte hatten nur bestätigt, was Cia Kjellner ohnehin wusste. Ihr Mann würde nicht wieder nach Hause kommen. Am 3. November war Magnus Kjellner um halb sieben aufgestanden und unter die Dusche gegangen, hatte sich angezogen und von seiner Frau und den beiden Kindern verabschiedet. Kurz nach acht hatte er laut Augenzeugenberichten das Haus verlassen und sich auf den Weg zu seiner Arbeitsstelle beim Fensterhersteller Tanumsfönster gemacht. Seitdem war er nicht mehr gesehen worden. Bei dem Kollegen, der ihn im Auto mitnehmen wollte, kam er nicht an. Irgendwo zwischen seinem Haus in der Nähe des Sportplatzes und dem des Kollegen, der neben dem Minigolfplatz wohnte, war er verschwunden.
Sie hatten sein gesamtes Leben durchstöbert, hatten nach ihm gefahndet und über fünfzig Personen an seinem Arbeitsplatz und im Familien- und Freundeskreis befragt. Sie hatten überprüft, ob er vor privaten Schulden oder Geliebten auf der Flucht war oder Geld seines Arbeitgebers veruntreut hatte. Es musste doch einen vernünftigen Grund dafür geben, dass ein gestandener Mann von vierzig Jahren, glücklich verheiratet und Vater von zwei Teenagern, eines Tages einfach von der Bildfläche verschwand. Aber sie fanden nichts. Nichts deutete darauf hin, dass er sich ins Ausland abgesetzt hatte, und es war auch kein Geld vom gemeinsamen Konto des Ehepaares abgehoben worden. Magnus Kjellner hatte sich in Luft aufgelöst.
Nachdem er Cia zum Ausgang begleitet hatte, klopfte Patrik vorsichtig an die Tür von Paula Morales, die ihn sofort hereinbat.
»Schon wieder seine Frau?«
»Ja.« Seufzend ließ sich Patrik auf einen Stuhl fallen und legte die Füße auf Paulas Schreibtisch, doch als er die Empörung in ihrem Gesicht sah, nahm er sie schnell wieder herunter.
»Glaubst du, er ist tot?«
»Sieht so aus.« Zum ersten Mal sprach Patrik aus, was er seit den ersten Tagen nach Magnus' Verschwinden befürchtet hatte. »Wir haben doch alles überprüft. Der Mann hatte keinen der üblichen Gründe. Er ist aus dem Haus gegangen und dann ... war er einfach weg!«
»Es gibt aber keine Leiche.«
»Keine Leiche«, wiederholte Patrik. »Wo sollen wir denn suchen? Wir können weder den Meeresboden umpflügen noch die Wälder um Fjällbacka durchkämmen, sondern müssen hier Däumchen drehen und hoffen, dass ihn zufällig jemand entdeckt. Tot oder lebendig. Ich weiß nämlich nicht mehr weiter. Und ich habe keine Ahnung, was ich Cia noch sagen soll. Jede Woche taucht sie hier auf und erwartet, dass wir weitergekommen sind.«
»Das ist ihre Art, damit umzugehen. Sie kann nicht die ganze Zeit zu Hause sitzen und warten, sondern muss irgendetwas tun. Mir würde es genauso gehen.«
»Ich weiß«, seufzte Patrik, »aber es belastet mich trotzdem.«
»Klar.«
Eine Weile herrschte in dem kleinen Raum Stille. Dann erhob sich Patrik.
»Wir müssen eben hoffen, dass er auftaucht. Wie auch immer. «
»Etwas anderes bleibt uns wohl nicht übrig.« Paula klang genauso resigniert wie Patrik.
Dickmops!«
»Musst du gerade sagen.« Bedeutungsvoll zeigte Anna auf Ericas nicht vorhandene Taille.
Genau wie Anna stellte Erica Falck sich seitlich vor den Spiegel. Tatsächlich. Himmel, war sie dick. Sie schien nur noch aus einem riesigen Bauch zu bestehen, an dem anstandshalber eine kleine Erica klebte. Was sie mit sich herumschleppte! Verglichen damit war sie in ihrer ersten Schwangerschaft ein Reh gewesen. Aber diesmal hatte sie schließlich zwei Babys im Bauch.
»Ich beneide dich wirklich nicht«, sagte Anna mit der schonungslosen Ehrlichkeit, zu der nur kleine Schwestern fähig sind.
»Danke schön.« Erica stupste sie mit dem Bauch an. Als Anna zum Gegenangriff überging, verloren beide das Gleichgewicht. Hilflos ruderten sie mit den Armen und ließen sich auf den Boden plumpsen.
»Das Ganze muss ein Scherz sein!« Erica wischte sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln. »So kann man doch nicht rumlaufen. Ich bin eine Mischung aus Barbapapa und dem Mann bei Monty Python, der platzt, nachdem er ein Pfefferminzplätzchen gegessen hat.«
»Ich werde dir ewig dankbar sein, dass du Zwillinge bekommst, denn ich fühle mich wie eine Elfe neben dir.«
»Keine Ursache.« Erica wollte wieder aufstehen, aber daraus wurde nichts.
»Warte, ich helfe dir«, bot Anna großzügig an, musste sich jedoch ebenfalls der Schwerkraft beugen und landete auf dem Hintern. In stummem Einverständnis blickten sich die Schwestern an und schrien wie aus einem Munde: »Dan!«
»Was ist denn?«, ertönte es aus dem Erdgeschoss.
»Wir kommen nicht hoch!«, brüllte Anna zurück.
»Was sagst du?«
Gemächlich stieg er die Treppe hinauf und ins Schlafzimmer.
»Was macht ihr denn da?«, grinste er, als er seine Lebensgefährtin und ihre Schwester auf dem Fußboden vor dem großen Spiegel erblickte.
»Wir kommen nicht hoch«, erklärte Erica so würdevoll wie möglich und reichte ihm die Hand.
»Moment, ich hole den Gabelstapler.« Dan machte kehrt.
»Freundchen!« Erica hob drohend den Zeigefi nger, während Anna vor Lachen umkippte.
»Vielleicht geht es auch so.« Ächzend griff Dan nach Ericas Hand. »Eins, zwei ... drei!«
»Die Töne kannst du dir sparen!«
Mühsam rappelte sich Erica auf.
»Mannomann, bist du dick!«
Erica versetzte ihm einen Hieb. »Das hast du schon hundertmal gesagt, und du bist nicht der Einzige, also verschone mich damit und konzentriere dich lieber auf den Dickmops an deiner Seite.«
»Mit dem größten Vergnügen.« Dan half auch Anna auf und gab ihr einen innigen Kuss.
»Macht das gefälligst zu Hause!« Erica boxte Dan in die Seite.
»Wir sind hier zu Hause.« Dan küsste Anna noch einmal.
»Können wir uns denn nun endlich mal dem eigentlichen Grund meines Kommens widmen?«
Erica öffnete den Kleiderschrank ihrer Schwester.
»Woher weißt du, dass ausgerechnet ich dir helfen könnte?«
Anna watschelte hinter Erica her. »Ich habe nichts, was auch nur annähernd geräumig genug für dich ist.«
»Was soll ich denn bloß machen?« Erica schob einen Kleiderbügel nach dem anderen zur Seite. »Heute Abend ist Christians Buchpremiere, und das Einzige, was mir noch passt, ist Majas Indianerzelt.«
»Irgendwas werden wir schon finden. Die Hose, die du anhast, sieht gut aus, und ich habe eine Bluse, die weit genug sein müsste. Mir war sie jedenfalls zu groß.«
Anna hielt ihr eine bestickte Tunika hin. Erica zog das T-Shirt aus und streifte sich mit Annas Hilfe die lilafarbene Tunika über den Kopf. Als sie ihren Leib hineinzwängte, musste sie zwar an das weihnachtliche Stopfen der Fleischwürste denken, aber es ging. Kritisch begutachtete sie das Ergebnis im Spiegel.
»Du siehst super aus«, sagte Anna. Erica grunzte nur.
Angesichts ihres derzeitigen Umfangs war »super« utopisch, aber sie sah ganz anständig, wenn nicht sogar schick aus.
»Das ist völlig okay.« Sie unternahm einen Versuch, sich selbst aus der Tunika zu winden, war aber auf Annas Hilfe angewiesen.
»Wo findet das Fest eigentlich statt?« Anna strich die Bluse glatt und hängte sie wieder auf einen Kleiderbügel.
»Im Stora Hotel.«
»Wie nett vom Verlag, das Erscheinen eines ersten Buchs zu feiern.« Anna ging in Richtung Treppe.
»Die sind total aus dem Häuschen. Wenn der Vorverkauf so toll anläuft, sind sie großzügig. Unsere Verlegerin hat mir erzählt, dass auch die Kritiken erfreulich sind.«
»Und wie findest du das Buch? Wenn es dir gar nicht gefi ele, hättest du es dem Verlag wohl kaum empfohlen, aber wie gut ist es wirklich?«
»Es ist ...« Vorsichtig tastete sich Erica dicht hinter ihrer Schwester die Treppenstufen hinunter. »Es ist geheimnisvoll. Dunkel und schön, beunruhigend und stark und ... ja, irgendwie geheimnisvoll, ein besseres Wort fällt mir nicht ein.«
»Christian muss überglücklich sein.«
»Ja, doch.« Erica zog das Wort in die Länge und wandte sich gedankenverloren der Kaffeemaschine zu. Sie bewegte sich bei Anna wie zu Hause. »Wahrscheinlich schon, andererseits ...« Während sie das Kaffeepulver in den Filter löffelte, musste sie sich aufs Zählen konzentrieren. »Er war unheimlich froh, als er einen Verlag gefunden hatte, aber die Arbeit an dem Buch scheint etwas in ihm aufgewühlt zu haben. So genau kenne ich ihn gar nicht. Keine Ahnung, warum er ausgerechnet mich gefragt hat, aber ich habe ihm natürlich geholfen. Ich schreibe zwar keine hochliterarischen Romane, aber ich habe Erfahrung mit der Überarbeitung meiner eigenen Manuskripte. Am Anfang lief es wunderbar und Christian war für jede Anregung offen. Gegen Ende reagierte er jedoch ziemlich zugeknöpft, wenn ich gewisse Dinge ansprach. Ich kann es nicht genau erklären. Er ist ein bisschen exzentrisch. Vielleicht ist das alles.«
»Dann hat er ja genau den richtigen Beruf ergriffen«, sagte Anna todernst. Erica drehte sich zu ihr um.
»Du fi ndest mich also nicht nur dick, sondern auch exzentrisch? «
»Und zerstreut.« Anna deutete auf die Kaffeemaschine, die Erica gerade eingeschaltet hatte. »Es empfiehlt sich, Wasser einzufüllen.«
Die Maschine zischte, als wollte sie Anna beipfl ichten. Mit finsterem Blick schaltete Erica sie wieder ab.
Copyright © List TB Verlag
Als seine Sinne vom Schmerz betäubt waren und das Messer endlich Ruhe gab, kam das Wasser. Ein schaukelndes Boot. Die eisigen Wellen spürte er schon nicht mehr.
Zuletzt erinnerte er sich an ihr Haar. Das lange dunkle Haar.
Es sind doch schon drei Monate vergangen! Wieso findet ihr ihn nicht?«
Nachdenklich betrachtete Patrik Hedström die Frau, die vor ihm saß. Von Woche zu Woche sah sie erschöpfter aus. Jeden Mittwoch besuchte sie die Polizeistation Tanum. Seit ihr Mann Anfang November verschwunden war.
»Wir tun, was wir können, Cia. Das weißt du doch.«
Sie nickte wortlos. Die Hände in ihrem Schoß zitterten. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Es war nicht das erste Mal, dass Patrik sie so sah.
»Er kommt nicht zurück, oder?« Nun bebte auch ihre Stimme. Patrik musste sich beherrschen, um nicht aufzuspringen und die zerbrechliche Frau in den Arm zu nehmen. Er musste sich professionell verhalten, auch wenn das seinem Beschützerinstinkt widersprach. Nach längerem Überlegen holte er tief Luft.
»Ich glaube nicht.«
Sie stellte keine weiteren Fragen. Seine Worte hatten nur bestätigt, was Cia Kjellner ohnehin wusste. Ihr Mann würde nicht wieder nach Hause kommen. Am 3. November war Magnus Kjellner um halb sieben aufgestanden und unter die Dusche gegangen, hatte sich angezogen und von seiner Frau und den beiden Kindern verabschiedet. Kurz nach acht hatte er laut Augenzeugenberichten das Haus verlassen und sich auf den Weg zu seiner Arbeitsstelle beim Fensterhersteller Tanumsfönster gemacht. Seitdem war er nicht mehr gesehen worden. Bei dem Kollegen, der ihn im Auto mitnehmen wollte, kam er nicht an. Irgendwo zwischen seinem Haus in der Nähe des Sportplatzes und dem des Kollegen, der neben dem Minigolfplatz wohnte, war er verschwunden.
Sie hatten sein gesamtes Leben durchstöbert, hatten nach ihm gefahndet und über fünfzig Personen an seinem Arbeitsplatz und im Familien- und Freundeskreis befragt. Sie hatten überprüft, ob er vor privaten Schulden oder Geliebten auf der Flucht war oder Geld seines Arbeitgebers veruntreut hatte. Es musste doch einen vernünftigen Grund dafür geben, dass ein gestandener Mann von vierzig Jahren, glücklich verheiratet und Vater von zwei Teenagern, eines Tages einfach von der Bildfläche verschwand. Aber sie fanden nichts. Nichts deutete darauf hin, dass er sich ins Ausland abgesetzt hatte, und es war auch kein Geld vom gemeinsamen Konto des Ehepaares abgehoben worden. Magnus Kjellner hatte sich in Luft aufgelöst.
Nachdem er Cia zum Ausgang begleitet hatte, klopfte Patrik vorsichtig an die Tür von Paula Morales, die ihn sofort hereinbat.
»Schon wieder seine Frau?«
»Ja.« Seufzend ließ sich Patrik auf einen Stuhl fallen und legte die Füße auf Paulas Schreibtisch, doch als er die Empörung in ihrem Gesicht sah, nahm er sie schnell wieder herunter.
»Glaubst du, er ist tot?«
»Sieht so aus.« Zum ersten Mal sprach Patrik aus, was er seit den ersten Tagen nach Magnus' Verschwinden befürchtet hatte. »Wir haben doch alles überprüft. Der Mann hatte keinen der üblichen Gründe. Er ist aus dem Haus gegangen und dann ... war er einfach weg!«
»Es gibt aber keine Leiche.«
»Keine Leiche«, wiederholte Patrik. »Wo sollen wir denn suchen? Wir können weder den Meeresboden umpflügen noch die Wälder um Fjällbacka durchkämmen, sondern müssen hier Däumchen drehen und hoffen, dass ihn zufällig jemand entdeckt. Tot oder lebendig. Ich weiß nämlich nicht mehr weiter. Und ich habe keine Ahnung, was ich Cia noch sagen soll. Jede Woche taucht sie hier auf und erwartet, dass wir weitergekommen sind.«
»Das ist ihre Art, damit umzugehen. Sie kann nicht die ganze Zeit zu Hause sitzen und warten, sondern muss irgendetwas tun. Mir würde es genauso gehen.«
»Ich weiß«, seufzte Patrik, »aber es belastet mich trotzdem.«
»Klar.«
Eine Weile herrschte in dem kleinen Raum Stille. Dann erhob sich Patrik.
»Wir müssen eben hoffen, dass er auftaucht. Wie auch immer. «
»Etwas anderes bleibt uns wohl nicht übrig.« Paula klang genauso resigniert wie Patrik.
Dickmops!«
»Musst du gerade sagen.« Bedeutungsvoll zeigte Anna auf Ericas nicht vorhandene Taille.
Genau wie Anna stellte Erica Falck sich seitlich vor den Spiegel. Tatsächlich. Himmel, war sie dick. Sie schien nur noch aus einem riesigen Bauch zu bestehen, an dem anstandshalber eine kleine Erica klebte. Was sie mit sich herumschleppte! Verglichen damit war sie in ihrer ersten Schwangerschaft ein Reh gewesen. Aber diesmal hatte sie schließlich zwei Babys im Bauch.
»Ich beneide dich wirklich nicht«, sagte Anna mit der schonungslosen Ehrlichkeit, zu der nur kleine Schwestern fähig sind.
»Danke schön.« Erica stupste sie mit dem Bauch an. Als Anna zum Gegenangriff überging, verloren beide das Gleichgewicht. Hilflos ruderten sie mit den Armen und ließen sich auf den Boden plumpsen.
»Das Ganze muss ein Scherz sein!« Erica wischte sich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln. »So kann man doch nicht rumlaufen. Ich bin eine Mischung aus Barbapapa und dem Mann bei Monty Python, der platzt, nachdem er ein Pfefferminzplätzchen gegessen hat.«
»Ich werde dir ewig dankbar sein, dass du Zwillinge bekommst, denn ich fühle mich wie eine Elfe neben dir.«
»Keine Ursache.« Erica wollte wieder aufstehen, aber daraus wurde nichts.
»Warte, ich helfe dir«, bot Anna großzügig an, musste sich jedoch ebenfalls der Schwerkraft beugen und landete auf dem Hintern. In stummem Einverständnis blickten sich die Schwestern an und schrien wie aus einem Munde: »Dan!«
»Was ist denn?«, ertönte es aus dem Erdgeschoss.
»Wir kommen nicht hoch!«, brüllte Anna zurück.
»Was sagst du?«
Gemächlich stieg er die Treppe hinauf und ins Schlafzimmer.
»Was macht ihr denn da?«, grinste er, als er seine Lebensgefährtin und ihre Schwester auf dem Fußboden vor dem großen Spiegel erblickte.
»Wir kommen nicht hoch«, erklärte Erica so würdevoll wie möglich und reichte ihm die Hand.
»Moment, ich hole den Gabelstapler.« Dan machte kehrt.
»Freundchen!« Erica hob drohend den Zeigefi nger, während Anna vor Lachen umkippte.
»Vielleicht geht es auch so.« Ächzend griff Dan nach Ericas Hand. »Eins, zwei ... drei!«
»Die Töne kannst du dir sparen!«
Mühsam rappelte sich Erica auf.
»Mannomann, bist du dick!«
Erica versetzte ihm einen Hieb. »Das hast du schon hundertmal gesagt, und du bist nicht der Einzige, also verschone mich damit und konzentriere dich lieber auf den Dickmops an deiner Seite.«
»Mit dem größten Vergnügen.« Dan half auch Anna auf und gab ihr einen innigen Kuss.
»Macht das gefälligst zu Hause!« Erica boxte Dan in die Seite.
»Wir sind hier zu Hause.« Dan küsste Anna noch einmal.
»Können wir uns denn nun endlich mal dem eigentlichen Grund meines Kommens widmen?«
Erica öffnete den Kleiderschrank ihrer Schwester.
»Woher weißt du, dass ausgerechnet ich dir helfen könnte?«
Anna watschelte hinter Erica her. »Ich habe nichts, was auch nur annähernd geräumig genug für dich ist.«
»Was soll ich denn bloß machen?« Erica schob einen Kleiderbügel nach dem anderen zur Seite. »Heute Abend ist Christians Buchpremiere, und das Einzige, was mir noch passt, ist Majas Indianerzelt.«
»Irgendwas werden wir schon finden. Die Hose, die du anhast, sieht gut aus, und ich habe eine Bluse, die weit genug sein müsste. Mir war sie jedenfalls zu groß.«
Anna hielt ihr eine bestickte Tunika hin. Erica zog das T-Shirt aus und streifte sich mit Annas Hilfe die lilafarbene Tunika über den Kopf. Als sie ihren Leib hineinzwängte, musste sie zwar an das weihnachtliche Stopfen der Fleischwürste denken, aber es ging. Kritisch begutachtete sie das Ergebnis im Spiegel.
»Du siehst super aus«, sagte Anna. Erica grunzte nur.
Angesichts ihres derzeitigen Umfangs war »super« utopisch, aber sie sah ganz anständig, wenn nicht sogar schick aus.
»Das ist völlig okay.« Sie unternahm einen Versuch, sich selbst aus der Tunika zu winden, war aber auf Annas Hilfe angewiesen.
»Wo findet das Fest eigentlich statt?« Anna strich die Bluse glatt und hängte sie wieder auf einen Kleiderbügel.
»Im Stora Hotel.«
»Wie nett vom Verlag, das Erscheinen eines ersten Buchs zu feiern.« Anna ging in Richtung Treppe.
»Die sind total aus dem Häuschen. Wenn der Vorverkauf so toll anläuft, sind sie großzügig. Unsere Verlegerin hat mir erzählt, dass auch die Kritiken erfreulich sind.«
»Und wie findest du das Buch? Wenn es dir gar nicht gefi ele, hättest du es dem Verlag wohl kaum empfohlen, aber wie gut ist es wirklich?«
»Es ist ...« Vorsichtig tastete sich Erica dicht hinter ihrer Schwester die Treppenstufen hinunter. »Es ist geheimnisvoll. Dunkel und schön, beunruhigend und stark und ... ja, irgendwie geheimnisvoll, ein besseres Wort fällt mir nicht ein.«
»Christian muss überglücklich sein.«
»Ja, doch.« Erica zog das Wort in die Länge und wandte sich gedankenverloren der Kaffeemaschine zu. Sie bewegte sich bei Anna wie zu Hause. »Wahrscheinlich schon, andererseits ...« Während sie das Kaffeepulver in den Filter löffelte, musste sie sich aufs Zählen konzentrieren. »Er war unheimlich froh, als er einen Verlag gefunden hatte, aber die Arbeit an dem Buch scheint etwas in ihm aufgewühlt zu haben. So genau kenne ich ihn gar nicht. Keine Ahnung, warum er ausgerechnet mich gefragt hat, aber ich habe ihm natürlich geholfen. Ich schreibe zwar keine hochliterarischen Romane, aber ich habe Erfahrung mit der Überarbeitung meiner eigenen Manuskripte. Am Anfang lief es wunderbar und Christian war für jede Anregung offen. Gegen Ende reagierte er jedoch ziemlich zugeknöpft, wenn ich gewisse Dinge ansprach. Ich kann es nicht genau erklären. Er ist ein bisschen exzentrisch. Vielleicht ist das alles.«
»Dann hat er ja genau den richtigen Beruf ergriffen«, sagte Anna todernst. Erica drehte sich zu ihr um.
»Du fi ndest mich also nicht nur dick, sondern auch exzentrisch? «
»Und zerstreut.« Anna deutete auf die Kaffeemaschine, die Erica gerade eingeschaltet hatte. »Es empfiehlt sich, Wasser einzufüllen.«
Die Maschine zischte, als wollte sie Anna beipfl ichten. Mit finsterem Blick schaltete Erica sie wieder ab.
Copyright © List TB Verlag
... weniger
Autoren-Porträt von Camilla Läckberg
Camilla Läckberg, Jahrgang 1974, stammt aus Fjällbacka. Sie hat weltweit über 35 Millionen Krimis und Thriller verkauft und ist Schwedens erfolgreichste Autorin. Mit ihrem Unternehmen »Invest In Her« fördert sie Projekte junger Frauen. Camilla Läckberg lebt mit ihrer Familie in Stockholm.Katrin Frey, geboren 1972, hat in Würzburg, Freiburg, Tromsø und Berlin Literaturwissenschaft studiert und arbeitet seit 2000 als Literaturübersetzerin. Sie hat drei Kinder und lebt mit ihrer Familie in Schleswig und Berlin. Neben Stefan Ahnhem und Camilla Läckberg hat sie u. a. Karin Alvtegen, Elsie Johansson und Håkan Östlundh übersetzt und 2011 die Junge Weltlesebühne mitgegründet. Ihre Übersetzungen von "Kerstin ist goldrichtig" und "Einfach Kerstin" von Helena Hedlund wurden 2021 und 2022 mit Stipendien des Deutschen Übersetzerfonds ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Camilla Läckberg
- 2012, 12. Aufl., 480 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Katrin Frey
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548611265
- ISBN-13: 9783548611266
- Erscheinungsdatum: 04.10.2012
Kommentare zu "Meerjungfrau / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.6"
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Meerjungfrau / Erica Falck & Patrik Hedström Bd.6".
Kommentar verfassen