Erica Falck & Patrik Hedström Band 8: Die Engelmacherin
Kriminalroman
Im alten Schulhaus auf der Insel Valö wird ein Mordanschlag auf die junge Ebba Stark verübt. Kommissar Patrik Hedström vernimmt die verstörte Frau, die gerade erst nach Fjällbacka zurückgekehrt war, um den tragischen Tod...
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Produktinformationen zu „Erica Falck & Patrik Hedström Band 8: Die Engelmacherin “
Im alten Schulhaus auf der Insel Valö wird ein Mordanschlag auf die junge Ebba Stark verübt. Kommissar Patrik Hedström vernimmt die verstörte Frau, die gerade erst nach Fjällbacka zurückgekehrt war, um den tragischen Tod ihres kleinen Sohnes besser zu verkraften. Schriftstellerin Erica Falck, Patriks Frau, vermutet einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf Ebba und der Geschichte ihrer Eltern. Die Elvanders verschwanden Ostern 1974 ohne jede Spur.
Sollte dieser ungeklärte Fall der Grund für den Mordversuch gewesen sein?
Sollte dieser ungeklärte Fall der Grund für den Mordversuch gewesen sein?
Klappentext zu „Erica Falck & Patrik Hedström Band 8: Die Engelmacherin “
'Im alten Schulhaus auf der Insel Valö wird ein Mordanschlag auf die junge Ebba Stark verübt. Kommissar Patrik Hedström vernimmt die verstörte Frau, die gerade erst nach Fjällbacka zurückgekehrt war, um den tragischen Tod ihres kleinen Sohnes besser zu verkraften. Schriftstellerin Erica Falck, Patriks Frau, vermutet einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf Ebba und der Geschichte ihrer Eltern. Die Elvanders verschwanden Ostern 1974 ohne jede Spur. Sollte dieser ungeklärte Fall der Grund für den Mordversuch gewesen sein?
Lese-Probe zu „Erica Falck & Patrik Hedström Band 8: Die Engelmacherin “
Die Engelmacherin von Camilla Läckberg... mehr
Sie hatten versucht, die Trauer wegzurenovieren. Beide waren sie nicht überzeugt, dass dies ein guter Plan war, aber sie hatten keinen anderen. Die Alternative wäre gewesen, sich hinzulegen und nie wieder aufzustehen.
Ebba schabte die Hauswand mit einem Spachtel ab. Die Farbe löste sich fast von allein. Sie war bereits kräftig abgeblättert, und Ebba brauchte nur noch ein wenig nachzuhelfen. Die Julisonne brannte so heiß, dass ihr die Haare an der schweißnassen Stirn klebten, und ihr Arm tat weh, weil er nun schon den dritten Tag die gleiche monotone Auf- und Abwärtsbewegung machte. Der körperliche Schmerz kam ihr jedoch gelegen. Wenn er heftiger wurde, überlagerte er für eine Weile den Schmerz in ihrem Herzen.
Sie drehte sich um und betrachtete Mårten, der auf dem Rasen vor dem Haus Bretter zusägte. Er schien ihren Blick zu spüren, denn er sah auf und winkte ihr zu, als wäre sie eine Bekannte, die auf der Straße an ihm vorüberging. Ebba bemerkte, wie ihre Hand die gleiche hilflose Geste ausführte.
Obwohl schon mehr als ein halbes Jahr vergangen war, seit sich ihr Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte, wussten sie noch immer nicht, wie sie miteinander umgehen sollten. Jeden Abend drehten sie sich im Doppelbett den Rücken zu und hatten panische Angst, dass eine unabsichtliche Berührung etwas auslösen könnte, was sie überforderte. Die 7Sie hatten versucht, die Trauer wegzurenovieren. Beide waren sie nicht überzeugt, dass dies ein guter Plan war, aber sie hatten keinen anderen. Die Alternative wäre gewesen, sich hinzulegen und nie wieder aufzustehen. Ebba schabte die Hauswand mit einem Spachtel ab. Die Farbe löste sich fast von allein. Sie war bereits kräftig abgeblättert, und Ebba brauchte nur noch ein wenig nachzuhelfen. Die Julisonne brannte so heiß, dass ihr die Haare an der schweißnassen Stirn klebten, und ihr Arm tat weh, weil er nun schon den dritten Tag die gleiche monotone Auf- und Abwärtsbewegung machte. Der körperliche Schmerz kam ihr jedoch gelegen. Wenn er heftiger wurde, überlagerte er für eine Weile den Schmerz in ihrem Herzen. Sie drehte sich um und betrachtete Mårten, der auf dem Rasen vor dem Haus Bretter zusägte. Er schien ihren Blick zu spüren, denn er sah auf und winkte ihr zu, als wäre sie eine Bekannte, die auf der Straße an ihm vorüberging. Ebba bemerkte, wie ihre Hand die gleiche hilflose Geste ausführte. Obwohl schon mehr als ein halbes Jahr vergangen war, seit sich ihr Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte, wussten sie noch immer nicht, wie sie miteinander umgehen sollten. Jeden Abend drehten sie sich im Doppelbett den Rücken zu und hatten panische Angst, dass eine unabsichtliche Berührung etwas auslösen könnte, was sie überforderte. Die Trauer ließ offenbar keinen Platz für andere Gefühle. Weder für Liebe noch für Wärme oder Mitgefühl.
Drückend und unausgesprochen stand die Schuld zwischen ihnen. Es wäre einfacher gewesen, hätte man sie genau definieren und verorten können, aber sie wanderte hin und her, Intensität und Form wechselnd, griff sie ständig aus einer anderen Richtung an.
Ebba wandte sich wieder dem Haus zu und kratzte weiter. Die weiße Farbe fiel in großen weißen Fladen zu Boden, das nackte Holz kam zum Vorschein. Sie strich mit der freien Hand über die Bretter. Das Haus war in einer Weise beseelt, die sie so noch nie erlebt hatte. Das kleine Reihenhaus in Göteborg, das sie und Mårten zusammen gekauft hatten, war fast neu gewesen. Damals hatte sie die vollkommen unberührten, blanken Oberflächen geliebt. Nun erinnerte sie das Neue nur noch an das, was früher gewesen war, und dieses alte Haus mit seinen Schrammen passte viel besser zu ihrem seelischen Zustand. Sie erkannte sich in dem Dach wieder, durch das es hereinregnete, im Heizkessel, der in regelmäßigen Abständen einen Tritt brauchte, und in den undichten Fenstern, durch die es derart zog, dass jede Kerze auf dem Fensterbrett sofort ausging. So war es auch in ihrer Seele, zugig und kalt. Und jedes Licht, das sie anzuzünden versuchte, wurde unbarmherzig ausgepustet.
Vielleicht würde ihre Seele hier auf Valö heilen. Obwohl sie keine Erinnerungen an die Insel hatte, war sie ihr sofort vertraut gewesen. Wenn Ebba zum Steg hinunter ging, sah sie den kleinen Küstenort auf der gegenüberliegenden Seite. Wie Perlen auf einer Schnur reihten sich die weißen Häuschen und die roten Bootsschuppen aneinander. Der malerische Anblick tat beinahe weh.
Schweißtropfen brannten ihr in den Augen. Sie wischte sich das Gesicht mit dem T-Shirt ab und blinzelte in die Sonne. Über ihr kreisten die Möwen. Kreischend riefen sie sich etwas zu, und ihre Schreie vermengten sich mit den Geräuschen der Boote im Sund. Ebba schloss die Augen und ließ sich von den Lauten davontragen. Fort von sich selbst, fort von ...
»Sollen wir eine Pause machen und baden gehen?«
Als Mårtens Stimme die Geräuschkulisse durchdrang, zuckte sie zusammen. Verwirrt schüttelte sie zunächst den Kopf, nickte dann aber.
»Okay.« Sie stieg vom Gerüst herunter.
Die Badesachen hingen zum Trocknen hinter dem Haus. Sie streifte die verschwitzten Arbeitsklamotten ab und zog sich einen Bikini an.
Mårten, der schneller war als sie, wurde ungeduldig. »Können wir jetzt gehen?« Er lief auf dem schmalen Pfad zum Strand voraus. Die Insel war ziemlich groß und nicht so karg wie die kleineren Inseln im Bohusläner Schärengarten. Dichtbelaubte Bäume und hohes Gras säumten den Pfad. Sie trat fest mit dem Fuß auf. Die Angst vor Schlangen war tief verankert und hatte sich noch verstärkt, seit sie vor einigen Tagen eine Kreuzotter gesehen hatten, die wohlig in der Sonne lag.
Der Pfad führte steil zum Wasser hinunter, und sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Frage durch den Kopf ging, wie viele Kinderfüße hier in all den Jahren schon entlanggelaufen waren. Das Gebäude wurde immer noch als Ferienheim bezeichnet, obwohl es schon seit den dreißiger Jahren nicht mehr als solches diente.
»Pass auf!« Mårten zeigte auf ein paar Baumwurzeln auf dem Weg.
Seine Fürsorglichkeit, die sie eigentlich hätte rühren müssen, kam ihr vor allem einengend vor. Demonstrativ trat sie auf die Wurzeln. Nach wenigen Metern fühlte sie groben Sand unter den Füßen. Die Wellen schlugen gegen den langgezogenen Strand. Sie ließ das Handtuch fallen und marschierte geradewegs in das salzige Wasser. Algenbüschel streiften ihre Beine, und die plötzliche Kälte ließ sie nach Luft schnappen, doch bald genoss sie die Abkühlung. Hinter sich hörte sie Mårten rufen. Sie tat, als würde sie ihn nicht hören, und ging weiter hinaus ins Tiefe. Als der Boden unter ihren Füßen verschwand, schwamm sie los und erreichte nach wenigen Zügen das kleine Badefloß, das ein Stück weiter draußen verankert war.
»Ebba!« Mårten rief vom Strand nach ihr, aber sie ignorierte ihn noch immer und griff nach der Leiter. Sie brauchte einen Moment für sich allein. Wenn sie sich hinlegte und die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, sie wäre eine Schiffbrüchige irgendwo auf dem Ozean. Ganz allein. Eine Frau, die auf niemanden Rücksicht nehmen musste.
Sie hörte das gleichmäßige Platschen eines Schwimmers neben sich. Das Floß schaukelte, als Mårten die Leiter hinaufstieg. Sie kniff die Augen noch fester zu, um sich noch eine Weile von ihm abzuschotten. Sie wollte allein einsam sein, doch mittlerweile waren sie und Mårten zusammen einsam. Unwillig schlug sie die Augen auf.
Erica saß am Wohnzimmertisch. Um sie herum schien eine Spielzeugbombe explodiert zu sein. Autos, Puppen, Kuscheltiere und Zeug zum Verkleiden in bunter Mischung. Mit drei Kindern im Haus, die noch keine vier Jahre alt waren, sah es meistens so aus. Wie üblich hatte sie sich lieber dem Schreiben gewidmet, anstatt in einem der kostbaren kinderfreien Momente aufzuräumen.
Als sie hörte, dass die Haustür geöffnet wurde, wandte sie sich vom Computer ab. Es war ihr Mann. »Was machst du denn hier? Wolltest du nicht zu Kristina?«
»Mama war nicht zu Hause. Typisch, ich hätte vorher anrufen sollen.« Patrik kickte seine Gummipantoffeln in die Ecke.
»Musst du die immer anziehen? Und auch noch Auto damit fahren?« Sie zeigte angewidert auf sein Schuhwerk, das zu allem Überfluss neongrün war. Ihre Schwester Anna hatte Patrik die Dinger aus Spaß geschenkt, aber nun wollte er keine anderen Schuhe mehr tragen.
Patrik kam zu ihr und gab ihr einen Kuss. »Die sind doch so bequem.« Er ging in die Küche. »Hat der Verlag dich erreicht? Es muss ja ziemlich dringend gewesen sein, wenn sie sogar bei mir anrufen.«
»Sie wollten wissen, ob ich dieses Jahr wie versprochen zur Buchmesse komme, aber ich weiß es noch nicht genau.«
»Natürlich fährst du hin. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass ich an dem Wochenende nicht arbeiten muss, und kümmere mich um die Kinder.«
»Danke.« Insgeheim jedoch ärgerte sich Erica, dass sie ihrem Mann dankbar war. Was übernahm sie nicht alles, wenn sein Job ihn aus heiterem Himmel forderte oder wenn Wochenenden, Feiertage und freie Abende auf der Strecke blieben, weil die Polizeiarbeit nicht warten konnte? Sie liebte Patrik über alles, aber manchmal hatte sie das Gefühl, dass er gar nicht darüber nachdachte, wie viel Verantwortung für Haus und Kinder auf ihr allein lastete. Sie hatte schließlich auch einen Beruf und war außerdem recht erfolgreich.
Oft musste sie sich anhören, wie großartig es sein müsse, wenn man vom Schreiben leben konnte. Sich die Zeit frei einteilen durfte und sein eigener Chef war. Erica ärgerte sich immer wieder darüber, denn obwohl sie ihre Arbeit unheimlich mochte und wusste, wie gut sie es getroffen hatte, sah die Wirklichkeit anders aus. Freiheit verband sie mit dem Schriftstellerdasein jedenfalls nicht, im Gegenteil. Ein Buchprojekt konnte einen sieben Tage in der Woche rund um die Uhr in Atem halten. Manchmal beneidete sie diejenigen, die einfach zur Arbeit gingen und nach acht Stunden Feierabend hatten. Sie dagegen konnte nie abschalten, und der Erfolg hatte Verpflichtungen und Erwartungen mit sich gebracht, die sich mit dem Leben einer Mutter von kleinen Kindern nur schwer in Einklang bringen ließen.
Zudem war es schwierig zu behaupten, ihre Arbeit sei wichtiger als die von Patrik. Er beschützte Menschen, klärte Verbrechen auf und trug dazu bei, dass die Gesellschaft besser funktionierte. Sie selbst schrieb Bücher, die zur Unterhaltung gelesen wurden. Auch wenn sie manchmal am liebsten vor Wut gebrüllt hätte, war klar und akzeptierte sie auch, dass sie meistens den Kürzeren zog. Seufzend stand sie auf und folgte ihrem Mann in die Küche.
»Sind die drei im Bett?« Patrik nahm die Zutaten für seinen Lieblingssnack aus dem Schrank: Knäckebrot, Butter, Kaviarpaste und Käse. Erica schüttelte sich bei dem Gedanken, dass er das Ganze auch noch in heißen Kakao stippen würde.
»Ja, sie sind ausnahmsweise alle gleichzeitig eingeschlafen. Sie haben am Vormittag wunderbar gespielt und waren daher hundemüde.«
»Schön.« Patrik setzte sich zum Essen an den Küchentisch.
Erica ging zurück ins Wohnzimmer, um noch ein bisschen zu schreiben, bevor die Kinder wieder aufwachten. Gestohlene Augenblicke. Mehr war im Moment nicht drin.
Im Traum brannte es. Voller Entsetzen drückte Vincent sein Gesicht an die Scheibe. Hinter ihm loderten immer größere Flammen auf. Züngelnd kamen sie ganz nah an ihn heran und versengten seine blonden Locken. Er schrie lautlos. Sie wollte sich gegen die Scheibe werfen, das Glas zertrümmern und Vincent aus den Flammen retten, die ihn zu verschlingen drohten, doch sosehr sie sich auch bemühte, ihr Körper gehorchte ihr nicht.
Dann hörte sie Mårtens Stimme. Vorwurfsvoll. Er hasste sie, weil sie Vincent nicht retten konnte und tatenlos zusah, wie er vor ihren Augen lebendig verbrannte.
»Ebba! Ebba!«
Seine Stimme spornte sie an, es noch einmal zu versuchen. Sie musste losrennen und die Scheibe zerschlagen. Sie musste ...
»Ebba, wach auf!«
Jemand packte sie an den Schultern und zwang sie, sich aufzusetzen. Langsam verflüchtigte sich der Traum, doch sie wollte ihn festhalten, sich in die Flammen stürzen und vielleicht für einen kurzen Moment Vincents zarten Körper in ihren Armen halten, bevor sie beide starben.
»Du musst aufwachen! Es brennt!«
Plötzlich war sie hellwach. Der Rauch stach ihr in die Nase, und sie bekam einen schlimmen Hustenanfall. Als sie den Kopf hob, sah sie die Rauchwolke, die sich ins Zimmer wälzte. »Wir müssen raus!«, schrie Mårten. »Kriech unter dem Rauch durch. Ich komme gleich nach. Ich versuche nur noch, den Brand zu löschen.«
Ebba stolperte aus dem Bett und fiel hin. An ihrer Wange spürte sie die heißen Holzdielen. Sie war unfassbar müde, und ihre Lunge schmerzte. Woher sollte sie die Kraft nehmen, sich irgendwohin zu schleppen? Sie wollte liegen bleiben und nur noch schlafen, sie schloss die Augen und fühlte eine lähmende Trägheit in allen Gliedern. Hier würde sie Ruhe finden. Nur für einen Augenblick.
»Hoch mit dir! Du musst hoch!« Mårtens schrille Stimme riss sie aus ihrem Dämmerzustand. Normalerweise hatte er nie Angst. Nun packte er ihren Arm und zerrte sie unsanft auf alle viere.
Widerwillig setzte sie sich in Bewegung. Auch sie bekam es jetzt mit der Angst zu tun. Mit jedem Atemzug drang der Rauch tiefer in ihre Lunge ein, wie ein langsam wirkendes Gift, doch sie starb lieber an den Folgen des Rauchs als in den Flammen. Die Vorstellung, ihre Haut würde brennen, ließ sie aus dem Zimmer kriechen.
Plötzlich war sie verwirrt. Sie hätte doch wissen müssen, wo sich die Treppe befand, aber ihr Gehirn schien nicht zu funktionieren. Sie sah nur dichten dunkelgrauen Nebel vor sich. Panisch krabbelte sie direkt geradeaus, zumindest wollte sie nicht im Rauch stecken bleiben.
In dem Moment, als sie die Treppe erreichte, rannte Mårten mit dem Feuerlöscher an ihr vorbei und in drei großen Sätzen die Treppe hinunter. Ebba folgte ihm mit dem Blick. Genau wie im Traum hatte sie das Gefühl, ihr Körper würde ihr nicht mehr gehorchen. Ihre Glieder verweigerten jegliche Bewegung, und reglos verharrte sie auf allen vieren, während der Rauch immer dichter wurde. Wieder hustete sie, ein Hustenanfall jagte den anderen. Ihre Augen tränten, und ihre Gedanken kreisten um Mårten, aber sie hatte nicht genügend Energie, sich Sorgen um ihn zu machen. Und sie spürte die Verlockung, sich einfach nicht mehr zu bewegen. Zu verschwinden und die Trauer, die Leib und Seele peinigte, hinter sich zu lassen. Ihr wurde schwarz vor Augen. Langsam legte sie sich auf den Boden, den Kopf auf den Armen, schloss sie die Augen. Rings um sie war es warm und weich. Erneut breitete sich diese Trägheit in ihr aus. Sie hieß sie erfreut willkommen, diese Schläfrigkeit wollte ihr ja nichts Böses, sie umfing sie sanft und machte sie wieder zu einem ganzen Menschen.
»Ebba!« Mårten packte sie am Arm. Sie wehrte sich, denn sie wollte sich an diesen schönen, friedlichen Ort treiben lassen, zu dem sie aufgebrochen war. Dann fühlte sie einen Schlag ins Gesicht, eine Ohrfeige, die einen brennenden Abdruck auf ihrer Wange hinterließ. Benommen rappelte sie sich auf und sah Mårten in die Augen. Sein Blick war zornig, doch auch besorgt.
»Das Feuer ist jetzt gelöscht«, sagte er, »aber wir dürfen trotzdem nicht hierbleiben.«
Als er sie hochziehen wollte, wehrte sie sich. Er brachte sie um die einzige Möglichkeit seit langem, sich auszuruhen. Aufgebracht hämmerte sie mit den Fäusten auf seine Brust ein. Es war ein gutes Gefühl, all ihre Wut und Enttäuschung rauszulassen. Sie schlug so fest zu, wie sie konnte, bis er sie an den Handgelenken packte und näher zu sich heranzog. Er drückte ihr Gesicht an seins und hielt sie fest. Sein schneller Herzschlag an ihrem Ohr brachte sie zum Weinen. Dann ließ sie sich hochheben. Er trug sie nach draußen, und als die kalte Nachtluft ihre Lunge füllte, gab sie sich bereitwillig dem Schlaf hin.
Fjällbacka 1908
Sie kamen am frühen Morgen. Mutter war bereits mit den Kleinen aufgestanden, während Dagmar noch gemütlich im warmen Bett liegen blieb. Das war eben der Unterschied zwischen einem richtigen Kind von Mutter und den Hurenbälgern, um die sie sich kümmerte. Dagmar war etwas Besonderes.
»Was ist denn da los?«, rief Vater aus der Kammer. Wie Dagmar war er aufgewacht, weil irgendjemand beharrlich an die Haustür pochte.
»Aufmachen! Hier spricht die Polizei!«
Nun riss dem Beamten offenbar der Geduldsfaden, denn die Tür wurde aufgerissen, und ein Mann in Uniform stürmte herein.
Erschrocken setzte sich Dagmar im Bett auf und zog sich die Decke bis unters Kinn.
»Die Polizei?« Vater kam in die Küche und knöpfte sich ungeschickt die Hose zu. Sein eingesunkener Brustkorb war mit spärlichen grauen Haarbüscheln bedeckt. »Lassen Sie mich wenigstens mein Hemd anziehen, dann klären wir die Sache schon. Das muss ein Missverständnis sein. Hier leben ehrliche Leute.«
»Hier wohnt doch Helga Svensson?«, fragte der Polizist. Dicht hinter ihm standen zwei weitere Männer. Die enge Küche war voller Betten. Zurzeit hatten sie fünf kleine Kinder im Haus.
»Ich heiße Albert Svensson, Helga ist meine Ehefrau«, sagte Vater. Er hatte mittlerweile sein Hemd angezogen und die Arme vor der Brust verschränkt.
»Wo ist Ihre Ehefrau?« Die Stimme klang streng.
Dagmar sah die Falte zwischen den Augenbrauen ihres Vaters. Er mache sich zu schnell Sorgen, sagte Mutter immer. Schwache Nerven.
»Mutter ist hinten im Garten. Mit den Kleinen«, sagte Dagmar. Erst jetzt schienen die Polizisten sie zu bemerken.
»Danke«, erwiderte der Wortführer und machte auf dem Absatz kehrt.
Vater folgte den Polizisten. »Sie können doch nicht einfach bei ehrbaren Leuten reinplatzen. Man erschreckt sich ja zu Tode. Sagen Sie mir endlich, worum es geht.«
Dagmar schlug die Bettdecke zurück, stellte die Füße auf den kalten Küchenfußboden und rannte im Nachthemd hinterher. Im Garten wurde sie plötzlich aufgehalten. Zwei Polizisten packten sie am Arm. Sie versuchte, sich loszureißen, und einer der Polizisten keuchte vor Anstrengung, weil er sie nicht entwischen lassen wollte. Die Kinder schrien, und die Wäschestücke, die Mutter bereits auf die Leine gehängt hatte, wurden in dem Tumult heruntergerissen.
»Mutter!« Dagmar rannte auf sie zu. Sie stürzte sich auf das Bein eines Polizisten und biss ihm, so fest sie konnte, in den Oberschenkel. Brüllend vor Schmerz ließ er Mutter los, drehte sich um und gab Dagmar eine Backpfeife, dass sie zu Boden fiel. Verdutzt blieb sie im Gras sitzen und strich sich über die brennende Wange. Die Achtjährige war in ihrem ganzen Leben noch nicht geschlagen worden. Sie bekam zwar mit, wie ihrer Mutter im Umgang mit den Kleinen die Hand ausrutschte, aber bei Dagmar war ihr das noch nie passiert. Und deshalb wagte Vater es auch nicht.
»Was erlauben Sie sich? Haben Sie sich etwa an meiner Tochter vergriffen?« Rasend vor Wut trat Mutter nach den Männern.
»Das ist nichts, verglichen mit dem, was Sie getan haben.«
Wieder hielt der Polizist Helga fest. »Sie werden des Kindsmords verdächtigt, wir haben die Genehmigung für eine Hausdurchsuchung. Und wir sind gründlich, das können Sie mir glauben.«
Dagmar sah, wie ihre Mutter zusammenbrach. Die Wange brannte immer noch höllisch, und ihr Herz klopfte wie wild. Ringsherum schrien die Kinder, als würde die Welt untergehen. Vielleicht war das ja auch der Fall. Denn obwohl Dagmar nicht begriff, was hier passierte, verriet der Gesichtsausdruck ihrer Mutter, dass soeben deren Leben zerstört worden war.
Könntest du nach Valö rausfahren, Patrik? Wir haben einen Notruf bekommen, Feueralarm. Es wird Brandstiftung vermutet.«
»Wie bitte? Entschuldige, was hast du gesagt?«
Patrik war schon halb aus dem Bett. Er klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und schlüpfte in seine Jeans. Verschlafen sah er auf die Uhr. Viertel nach sieben. Einen Augenblick lang überlegte er, was Annika um diese Uhrzeit in der Dienststelle machte.
»Auf Valö hat es gebrannt«, antwortete Annika geduldig. »Die Feuerwehr ist heute Morgen vor Tau und Tag ausgerückt. Sie vermuten, dass es Brandstiftung war.«
»Wo denn auf Valö?«
Neben ihm drehte sich Erica auf die Seite.
»Was ist los?«, murmelte sie.
»Die Arbeit ruft. Ich muss nach Valö«, flüsterte er. Wenn die Zwillinge ausnahmsweise länger als bis halb sieben schliefen, brauchte man sie nicht unbedingt zu wecken.
»Im Ferienheim«, sagte Annika am anderen Ende der Leitung.
»Okay. Ich fahre mit dem Boot raus. Vorher rufe ich noch bei Martin an, wir haben doch heute zusammen Dienst.«
»Stimmt. Dann sehen wir uns nachher im Büro.«
Patrik legte auf und zog sich ein T-Shirt an.
»Was ist passiert?« Erica setzte sich auf.
»Die Feuerwehr vermutet, dass im alten Ferienheim Feuer gelegt worden ist.«
»Im Ferienheim? Wollte das jemand abfackeln?« Erica schwang die Beine über die Bettkante.
»Später erzähle ich dir mehr, versprochen.« Patrik lächelte. »Ich weiß, dass das ein ganz spezielles Projekt von dir ist.«
»Es ist doch ein merkwürdiger Zufall, dass ausgerechnet dann, wenn Ebba wieder da ist, jemand das Haus abzubrennen versucht.«
Patrik schüttelte den Kopf. Er wusste aus Erfahrung, dass seine Frau sich gern in Dinge einmischte, die sie nichts angingen, und sich leicht zu abwegigen Schlussfolgerungen hinreißen ließ. An und für sich lag sie häufig richtig, das musste er zugeben, aber manchmal stiftete sie auch Verwirrung.
»Annika hat gesagt, vermutlich ist es Brandstiftung. Mehr wissen wir noch nicht, und das heißt ja noch nicht, dass es tatsächlich Brandstiftung war.«
»Nein, aber trotzdem«, wandte Erica ein. »Es ist doch seltsam, dass ausgerechnet jetzt so was passiert. Kann ich nicht mitkommen? Ich wollte sowieso mal bei Ebba vorbeischauen.«
»Und wer kümmert sich um die Kinder? Maja ist wohl noch ein bisschen zu klein, um den Jungs den Brei zu machen.«
Er küsste Erica auf die Wange und raste die Treppe hinunter. Hinter ihm fingen die Zwillinge wie auf Bestellung an zu brüllen.
Auf dem Weg nach Valö wechselten Patrik und Martin nicht viele Worte. Der Gedanke an eine eventuelle Brandstiftung war beängstigend. Als sie sich der idyllischen Insel näherten, kam ihnen das Ganze noch unwirklicher vor.
»Wie schön es hier ist«, sagte Martin. Sie gingen von dem Steg, an dem Patrik das Boot vertäut hatte, zum Haus.
»Du warst doch schon mal hier«, sagte Patrik, ohne sich umzudrehen. »Zumindest damals Weihnachten.«
Anstelle einer Antwort murmelte Martin nur vor sich hin. Er schien nicht gern an diese unheilvollen Weihnachtstage zurückzudenken, als er in ein Familiendrama auf der Insel hineingezogen worden war.
Vor ihnen lag eine große Rasenfläche. Sie blieben stehen und sahen sich um. »Ich habe viele schöne Erinnerungen an diesen Ort«, sagte Patrik. »Wir waren jedes Jahr mit der Schule hier, und einmal war ich hier im Sommer auf einer Segelfreizeit. Da drüben habe ich oft Fußball gespielt. Und Brennball.«
»Tja, wer ist nicht hier im Ferienheim gewesen? Eigentlich seltsam, dass man das Haus immer noch so nennt.«
Patrik zuckte mit den Schultern, als sie zügig zum Haus hinaufgingen.
»Wahrscheinlich hat man die Bezeichnung einfach beibehalten. Als Internat ist das Haus ja nur kurze Zeit genutzt worden, und nach diesem Schlesinger, der vorher dort gewohnt hatte, wollte man es wohl nicht nennen.«
»Von dem verrückten Kerl hat man so einiges gehört.« Martin fluchte, als ihm ein Zweig ins Gesicht schlug. »Wem gehört das Haus denn jetzt?«
»Ich glaube, dem Paar, das dort wohnt. Seit dem Vorfall 1974 wurde das Haus von der Gemeinde verwaltet. Schade, dass es so heruntergekommen ist, aber nun wird es ja renoviert.«
Martin blickte zum Haus hoch. Ein Gerüst bedeckte die Vorderseite. »Das wird bestimmt toll. Hoffentlich hat das Feuer nicht zu großen Schaden angerichtet.«
Sie gingen auf die Steintreppe zu, die zur Eingangstür führte. Die Stimmung war friedlich. Ein paar Männer von der Freiwilligen Feuerwehr packten ihre Geräte ein. Unter ihren dicken Anzügen sind sie bestimmt klitschnass geschwitzt, dachte Patrik. Die Hitze machte ihm jetzt schon zu schaffen, obwohl es noch früh am Morgen war.
»Tag!« Feuerwehrhauptmann Östen Ronander kam auf sie zu und nickte zur Begrüßung. Seine Hände waren voller Ruß.
»Hallo, Östen. Was ist hier passiert? Annika sagte, ihr vermutet, dass es Brandstiftung war?«
»Ja, es sieht zweifellos danach aus, aber rein technisch sind wir ja nicht dafür qualifiziert, das zu beurteilen. Hoffentlich ist Torbjörn schon unterwegs.«
»Ich habe ihn vom Boot aus angerufen. Sie wollen in ungefähr ...«, Patrik warf einen Blick auf seine Armbanduhr, »einer halben Stunde hier sein.«
»Gut. Sehen wir uns inzwischen um? Wir haben versucht, keine Spuren zu verwischen. Als wir eintrafen, hatte der Eigentümer bereits den Feuerlöscher eingesetzt. Wir haben uns also nur noch vergewissert, dass es keinen Schwelbrand gibt. Ansonsten konnten wir nicht viel tun. Guckt euch das mal an.«
Östen deutete in den Hausflur. Auf dem Fußboden hinter der Eingangstür bildeten die Brandspuren ein merkwürdiges, unregelmäßiges Muster.
»Das müsste irgendeine brennbare Flüssigkeit gewesen sein.« Martin sah Östen fragend an, Östen nickte.
»Ich nehme an, jemand hat die Flüssigkeit unter der Tür durchlaufen lassen und dann angezündet. Dem Geruch nach zu urteilen, würde ich auf Benzin tippen, aber Torbjörn und seine Jungs können da sicher Genaueres sagen.«
»Wo sind die Bewohner des Hauses?«
»Die warten hinter dem Haus auf den Notarzt, der sich wegen eines Autounfalls leider verspätet. Sie scheinen unter einem ziemlichen Schock zu stehen, und ich dachte mir, sie könnten Ruhe gebrauchen. Außerdem fand ich, dass hier niemand herumtrampeln sollte, bevor ihr Gelegenheit hattet, Spuren zu sichern.«
»Gute Arbeit.« Patrik klopfte Östen auf die Schuler und wandte sich an Martin. »Sollen wir gleich mit ihnen reden?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er ums Haus herum. In einer gewissen Entfernung davon standen ein paar verwitterte Gartenmöbel. Am Tisch saß ein Paar, das Mitte dreißig war. Es machte einen verwirrten Eindruck. Als der Mann die Polizisten erblickte, kam er auf sie zu und gab ihnen die Hand. Sie fühlte sich hart und schwielig an, als hätte er lange Zeit körperlich gearbeitet.
»Mårten Stark.«
Patrik und Martin stellten sich vor.
»Wir verstehen überhaupt nichts. Die Feuerwehrleute haben was von Brandstiftung gesagt.« Mårtens Frau war ihm gefolgt. Sie wirkte schmal und zerbrechlich und reichte Patrik, der selbst nicht besonders groß war, nur bis zur Schulter. Trotz der Hitze bibberte sie.
»Das muss nicht sein. Noch wissen wir nichts mit Sicherheit «, versuchte Patrik, sie zu beruhigen.
»Das ist Ebba, meine Frau«, erklärte Mårten. Er rieb sich müde das Gesicht.
»Dürfen wir uns setzen?«, fragte Martin. »Wir würden gern etwas mehr über den Vorfall erfahren.«
»Natürlich, da drüben.« Mårten zeigte auf die Gartenmöbel.
»Wer hat das Feuer zuerst bemerkt?« Patrik betrachtete Mårten, der einen schwarzen Fleck auf der Stirn und wie Östen vollkommen verrußte Hände hatte. Mårten bemerkte den Blick und sah sich seine Hände an, als würde er erst jetzt bemerken, wie schmutzig sie waren. Langsam wischte er sie an seiner Jeans ab, bevor er antwortete.
»Das war ich. Ich bin aufgewacht und habe einen merkwürdigen Geruch bemerkt. Ziemlich schnell wurde mir klar, dass es unten brannte, und da habe ich versucht, Ebba zu wecken. Das hat eine Weile gedauert, weil sie sehr fest schlief, aber schließlich bekam ich sie aus dem Bett. Als ich zum Feuerlöscher rannte, hatte ich nur einen Gedanken im Kopf: Ich muss den Brand löschen.« Mårten redete so schnell, dass er völlig außer Atem kam und nach Luft schnappen musste.
»Ich dachte, ich würde sterben. Ich war mir ganz sicher.« Ebba pulte an ihrer Nagelhaut herum. Patrik sah sie mitleidig an.
»Ich habe den Feuerlöscher entsichert und wie ein Wahnsinniger auf die Flammen gesprüht«, fuhr Mårten fort. »Zuerst schien überhaupt nichts zu passieren, aber ich habe immer mehr Schaum verspritzt, und dann ging das Feuer plötzlich aus. Der Rauch hing jedoch immer noch in den Räumen, es war überall Rauch.« Wieder rang er nach Luft.
»Wieso sollte jemand ...? Ich verstehe das nicht.«
Ebba wirkte abwesend. Östen hatte wohl recht, dachte Patrik, sie stand vermutlich unter Schock. Das erklärte dann auch, warum sie so zitterte. Wenn der Notarzt eintraf, würde er sich Ebba ganz genau ansehen und auch untersuchen müssen, ob die beiden nicht eine Rauchvergiftung erlitten hatten. Viele Menschen wussten nicht, dass der Rauch tödlicher war als das Feuer selbst. Die Folgen von tief eingeatmetem Rauch zeigten sich möglicherweise auch erst nach einiger Zeit.
»Wie kommen Sie auf Brandstiftung?« Wieder rieb sich Mårten das Gesicht. Viel Schlaf hatte er wahrscheinlich nicht bekommen, dachte Patrik.
»Noch wissen wir nichts Genaues, wie schon gesagt«, antwortete Patrik zögernd. »Es gibt gewisse Anzeichen dafür, aber bevor die Techniker es bestätigt haben, möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Sie haben heute Nacht nicht zufällig Geräusche gehört?«
»Nein, ich bin ja erst aufgewacht, als es bereits brannte.«
Patrik deutete mit dem Kinn auf ein Haus, das ein Stück entfernt lag. »Sind die Nachbarn zu Hause? Könnten sie vielleicht gesehen haben, ob hier draußen eine fremde Person herumgeschlichen ist?«
»Sie sind im Urlaub. Wir sind ganz allein auf der Insel.«
»Gibt es jemanden, der ein Interesse daran haben könnte, Ihnen Schaden zuzufügen?«, meldete sich Martin zu Wort. Er überließ oft Patrik die Befragungen, aber er hörte immer aufmerksam zu und beobachtete die Reaktionen ihrer Gesprächspartner genau. Das war mindestens genauso wichtig wie die richtigen Fragen.
»Nein, soweit ich weiß, niemand.« Ebba schüttelte langsam den Kopf.
»Wir wohnen noch nicht lange hier. Erst zwei Monate«, sagte Mårten. »Es ist zwar Ebbas Elternhaus, aber es war jahrelang vermietet, und Ebba ist die ganze Zeit nicht hier gewesen. Wir haben beschlossen, den alten Kasten instand zu setzen und etwas daraus zu machen.«
Patrik und Martin wechselten rasch einen Blick. Die Geschichte des Hauses und letztendlich auch die Ebbas war in der Gegend bekannt, aber dies war nicht die passende Gelegenheit, um darüber zu sprechen. Patrik war froh, dass Erica nicht dabei war. Sie hätte sich nicht beherrschen können.
»Wo haben Sie vorher gewohnt?«, fragte Patrik, obwohl er sich die Antwort bei Mårtens ausgeprägtem Dialekt selbst geben konnte.
»Göteborg, hört man das nicht?«
»Haben Sie dort mit jemandem eine Rechnung offen?«
»Wir haben keine offenen Rechnungen, weder in Göteborg noch irgendwo anders«, erwiderte Mårten kurz angebunden.
»Und aus welchem Grund sind Sie hierhergezogen?«, fragte Patrik.
Ebba blickte auf die Tischplatte und fingerte nervös an ihrer Halskette herum. Ein hübscher Engel aus Silber hing daran.
»Unser Sohn ist gestorben.« Sie zog so fest an der Kette, dass sie ihr in den Hals schnitt.
»Wir brauchten einen Tapetenwechsel«, erklärte Mårten. »Dieses Haus hier stand einfach da und verfiel zusehends. Wir haben das als Chance betrachtet, noch mal von vorne anzufangen. Da meine Eltern eine Kneipe hatten, fand ich es naheliegend, ebenfalls etwas in der Art aufzumachen. Wir wollen mit Bed and Breakfast anfangen und nach und nach auch Konferenzbesucher hierherlocken.«
»Sieht nach viel Arbeit aus.« Patrik wandte sich dem großen Gebäude mit der abgeblätterten weißen Fassade zu. Er stellte bewusst keine Fragen mehr nach dem toten Sohn. Der Schmerz in den Gesichtern der beiden war zu groß gewesen.
»Wir sind nicht arbeitsscheu, und wir machen so lange weiter, wie es geht. Falls unsere Kräfte nicht reichen, müssen wir Leute beschäftigen, aber das Geld würden wir lieber sparen. Das Ganze wird finanziell ohnehin schwierig genug.«
»Es gibt also niemanden, der Interesse daran haben könnte, Ihnen oder Ihrem Betrieb Schaden zuzufügen?«, insistierte Martin.
»Betrieb? Welcher Betrieb?«, antwortete Mårten mit einem ironischen Lachen. »Nein, wie gesagt, uns fällt wirklich niemand ein, der uns so etwas antun würde. Ein solches Leben haben wir nicht geführt. Wir sind ganz normale Durchschnittsbürger. «
Patrik dachte einen Augenblick lang an Ebbas Vergangenheit. Nicht viele Durchschnittsbürger trugen ein solches Geheimnis mit sich herum. In Fjällbacka und Umgebung hatte man sich die wildesten Geschichten über das erzählt, was Ebbas Familie zugestoßen war.
»Außer ...« Mårten warf Ebba einen fragenden Blick zu, doch die schien nicht zu wissen, worauf er hinauswollte. Er sah sie durchdringend an. »Das Einzige, was mir dazu einfällt, sind die Glückwunschkarten.«
»Glückwunschkarten?«, fragte Martin. »Seit ihrer Kindheit bekommt Ebba zu jedem Geburtstag eine Karte von jemandem, der nur mit G unterschreibt. Ihre Adoptiveltern haben nie herausbekommen, wer dahintersteckte. Die Glückwunschkarten kamen auch noch, nachdem sie von zu Hause ausgezogen war.«
»Hat Ebba denn auch keine Ahnung, wer ihr die Karten schreibt?«, fragte Patrik. Erst dann fiel ihm auf, dass er über sie redete, als ob sie nicht anwesend wäre. An sie gewandt wiederholte er: »Sie haben nicht die geringste Vermutung, wer Ihnen diese Karten geschickt haben könnte?«
»Nein.«
»Und Ihre Adoptiveltern? Sind Sie sicher, dass die nichts wissen? «
»Die wissen es auch nicht.«
»Hat dieser G denn jemals versucht, auf andere Weise Kontakt zu Ihnen aufzunehmen, oder Sie vielleicht bedroht?«
»Nein, niemals. Oder, Ebba?« Mårten bewegte eine Hand in Ebbas Richtung, als wollte er sie berühren, ließ die Hand jedoch wieder sinken. Sie schüttelte den Kopf.
»Jetzt kommt Torbjörn.« Martin zeigte auf den Pfad.
»Gut, dann machen wir hier Schluss, damit Sie beide sich ausruhen können. Ein Arzt ist unterwegs. Sollte er Sie mit ins Krankenhaus nehmen wollen, würde ich Ihnen raten, auf ihn zu hören. Solche Dinge darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
»Danke.« Mårten stand auf. »Melden Sie sich, wenn Sie mehr wissen.«
»Machen wir.« Patrik warf Ebba einen letzten besorgten Blick zu. Sie wirkte immer noch wie unter einer Glasglocke. Er fragte sich, welche Spuren die Tragödie in ihrer Kindheit hinterlassen hatte, zwang sich dann aber, den Gedanken fallenzulassen. Er musste sich auf die bevorstehende Arbeit konzentrieren und eventuell einen Brandstifter finden.
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Sie hatten versucht, die Trauer wegzurenovieren. Beide waren sie nicht überzeugt, dass dies ein guter Plan war, aber sie hatten keinen anderen. Die Alternative wäre gewesen, sich hinzulegen und nie wieder aufzustehen.
Ebba schabte die Hauswand mit einem Spachtel ab. Die Farbe löste sich fast von allein. Sie war bereits kräftig abgeblättert, und Ebba brauchte nur noch ein wenig nachzuhelfen. Die Julisonne brannte so heiß, dass ihr die Haare an der schweißnassen Stirn klebten, und ihr Arm tat weh, weil er nun schon den dritten Tag die gleiche monotone Auf- und Abwärtsbewegung machte. Der körperliche Schmerz kam ihr jedoch gelegen. Wenn er heftiger wurde, überlagerte er für eine Weile den Schmerz in ihrem Herzen.
Sie drehte sich um und betrachtete Mårten, der auf dem Rasen vor dem Haus Bretter zusägte. Er schien ihren Blick zu spüren, denn er sah auf und winkte ihr zu, als wäre sie eine Bekannte, die auf der Straße an ihm vorüberging. Ebba bemerkte, wie ihre Hand die gleiche hilflose Geste ausführte.
Obwohl schon mehr als ein halbes Jahr vergangen war, seit sich ihr Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte, wussten sie noch immer nicht, wie sie miteinander umgehen sollten. Jeden Abend drehten sie sich im Doppelbett den Rücken zu und hatten panische Angst, dass eine unabsichtliche Berührung etwas auslösen könnte, was sie überforderte. Die 7Sie hatten versucht, die Trauer wegzurenovieren. Beide waren sie nicht überzeugt, dass dies ein guter Plan war, aber sie hatten keinen anderen. Die Alternative wäre gewesen, sich hinzulegen und nie wieder aufzustehen. Ebba schabte die Hauswand mit einem Spachtel ab. Die Farbe löste sich fast von allein. Sie war bereits kräftig abgeblättert, und Ebba brauchte nur noch ein wenig nachzuhelfen. Die Julisonne brannte so heiß, dass ihr die Haare an der schweißnassen Stirn klebten, und ihr Arm tat weh, weil er nun schon den dritten Tag die gleiche monotone Auf- und Abwärtsbewegung machte. Der körperliche Schmerz kam ihr jedoch gelegen. Wenn er heftiger wurde, überlagerte er für eine Weile den Schmerz in ihrem Herzen. Sie drehte sich um und betrachtete Mårten, der auf dem Rasen vor dem Haus Bretter zusägte. Er schien ihren Blick zu spüren, denn er sah auf und winkte ihr zu, als wäre sie eine Bekannte, die auf der Straße an ihm vorüberging. Ebba bemerkte, wie ihre Hand die gleiche hilflose Geste ausführte. Obwohl schon mehr als ein halbes Jahr vergangen war, seit sich ihr Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte, wussten sie noch immer nicht, wie sie miteinander umgehen sollten. Jeden Abend drehten sie sich im Doppelbett den Rücken zu und hatten panische Angst, dass eine unabsichtliche Berührung etwas auslösen könnte, was sie überforderte. Die Trauer ließ offenbar keinen Platz für andere Gefühle. Weder für Liebe noch für Wärme oder Mitgefühl.
Drückend und unausgesprochen stand die Schuld zwischen ihnen. Es wäre einfacher gewesen, hätte man sie genau definieren und verorten können, aber sie wanderte hin und her, Intensität und Form wechselnd, griff sie ständig aus einer anderen Richtung an.
Ebba wandte sich wieder dem Haus zu und kratzte weiter. Die weiße Farbe fiel in großen weißen Fladen zu Boden, das nackte Holz kam zum Vorschein. Sie strich mit der freien Hand über die Bretter. Das Haus war in einer Weise beseelt, die sie so noch nie erlebt hatte. Das kleine Reihenhaus in Göteborg, das sie und Mårten zusammen gekauft hatten, war fast neu gewesen. Damals hatte sie die vollkommen unberührten, blanken Oberflächen geliebt. Nun erinnerte sie das Neue nur noch an das, was früher gewesen war, und dieses alte Haus mit seinen Schrammen passte viel besser zu ihrem seelischen Zustand. Sie erkannte sich in dem Dach wieder, durch das es hereinregnete, im Heizkessel, der in regelmäßigen Abständen einen Tritt brauchte, und in den undichten Fenstern, durch die es derart zog, dass jede Kerze auf dem Fensterbrett sofort ausging. So war es auch in ihrer Seele, zugig und kalt. Und jedes Licht, das sie anzuzünden versuchte, wurde unbarmherzig ausgepustet.
Vielleicht würde ihre Seele hier auf Valö heilen. Obwohl sie keine Erinnerungen an die Insel hatte, war sie ihr sofort vertraut gewesen. Wenn Ebba zum Steg hinunter ging, sah sie den kleinen Küstenort auf der gegenüberliegenden Seite. Wie Perlen auf einer Schnur reihten sich die weißen Häuschen und die roten Bootsschuppen aneinander. Der malerische Anblick tat beinahe weh.
Schweißtropfen brannten ihr in den Augen. Sie wischte sich das Gesicht mit dem T-Shirt ab und blinzelte in die Sonne. Über ihr kreisten die Möwen. Kreischend riefen sie sich etwas zu, und ihre Schreie vermengten sich mit den Geräuschen der Boote im Sund. Ebba schloss die Augen und ließ sich von den Lauten davontragen. Fort von sich selbst, fort von ...
»Sollen wir eine Pause machen und baden gehen?«
Als Mårtens Stimme die Geräuschkulisse durchdrang, zuckte sie zusammen. Verwirrt schüttelte sie zunächst den Kopf, nickte dann aber.
»Okay.« Sie stieg vom Gerüst herunter.
Die Badesachen hingen zum Trocknen hinter dem Haus. Sie streifte die verschwitzten Arbeitsklamotten ab und zog sich einen Bikini an.
Mårten, der schneller war als sie, wurde ungeduldig. »Können wir jetzt gehen?« Er lief auf dem schmalen Pfad zum Strand voraus. Die Insel war ziemlich groß und nicht so karg wie die kleineren Inseln im Bohusläner Schärengarten. Dichtbelaubte Bäume und hohes Gras säumten den Pfad. Sie trat fest mit dem Fuß auf. Die Angst vor Schlangen war tief verankert und hatte sich noch verstärkt, seit sie vor einigen Tagen eine Kreuzotter gesehen hatten, die wohlig in der Sonne lag.
Der Pfad führte steil zum Wasser hinunter, und sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Frage durch den Kopf ging, wie viele Kinderfüße hier in all den Jahren schon entlanggelaufen waren. Das Gebäude wurde immer noch als Ferienheim bezeichnet, obwohl es schon seit den dreißiger Jahren nicht mehr als solches diente.
»Pass auf!« Mårten zeigte auf ein paar Baumwurzeln auf dem Weg.
Seine Fürsorglichkeit, die sie eigentlich hätte rühren müssen, kam ihr vor allem einengend vor. Demonstrativ trat sie auf die Wurzeln. Nach wenigen Metern fühlte sie groben Sand unter den Füßen. Die Wellen schlugen gegen den langgezogenen Strand. Sie ließ das Handtuch fallen und marschierte geradewegs in das salzige Wasser. Algenbüschel streiften ihre Beine, und die plötzliche Kälte ließ sie nach Luft schnappen, doch bald genoss sie die Abkühlung. Hinter sich hörte sie Mårten rufen. Sie tat, als würde sie ihn nicht hören, und ging weiter hinaus ins Tiefe. Als der Boden unter ihren Füßen verschwand, schwamm sie los und erreichte nach wenigen Zügen das kleine Badefloß, das ein Stück weiter draußen verankert war.
»Ebba!« Mårten rief vom Strand nach ihr, aber sie ignorierte ihn noch immer und griff nach der Leiter. Sie brauchte einen Moment für sich allein. Wenn sie sich hinlegte und die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, sie wäre eine Schiffbrüchige irgendwo auf dem Ozean. Ganz allein. Eine Frau, die auf niemanden Rücksicht nehmen musste.
Sie hörte das gleichmäßige Platschen eines Schwimmers neben sich. Das Floß schaukelte, als Mårten die Leiter hinaufstieg. Sie kniff die Augen noch fester zu, um sich noch eine Weile von ihm abzuschotten. Sie wollte allein einsam sein, doch mittlerweile waren sie und Mårten zusammen einsam. Unwillig schlug sie die Augen auf.
Erica saß am Wohnzimmertisch. Um sie herum schien eine Spielzeugbombe explodiert zu sein. Autos, Puppen, Kuscheltiere und Zeug zum Verkleiden in bunter Mischung. Mit drei Kindern im Haus, die noch keine vier Jahre alt waren, sah es meistens so aus. Wie üblich hatte sie sich lieber dem Schreiben gewidmet, anstatt in einem der kostbaren kinderfreien Momente aufzuräumen.
Als sie hörte, dass die Haustür geöffnet wurde, wandte sie sich vom Computer ab. Es war ihr Mann. »Was machst du denn hier? Wolltest du nicht zu Kristina?«
»Mama war nicht zu Hause. Typisch, ich hätte vorher anrufen sollen.« Patrik kickte seine Gummipantoffeln in die Ecke.
»Musst du die immer anziehen? Und auch noch Auto damit fahren?« Sie zeigte angewidert auf sein Schuhwerk, das zu allem Überfluss neongrün war. Ihre Schwester Anna hatte Patrik die Dinger aus Spaß geschenkt, aber nun wollte er keine anderen Schuhe mehr tragen.
Patrik kam zu ihr und gab ihr einen Kuss. »Die sind doch so bequem.« Er ging in die Küche. »Hat der Verlag dich erreicht? Es muss ja ziemlich dringend gewesen sein, wenn sie sogar bei mir anrufen.«
»Sie wollten wissen, ob ich dieses Jahr wie versprochen zur Buchmesse komme, aber ich weiß es noch nicht genau.«
»Natürlich fährst du hin. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass ich an dem Wochenende nicht arbeiten muss, und kümmere mich um die Kinder.«
»Danke.« Insgeheim jedoch ärgerte sich Erica, dass sie ihrem Mann dankbar war. Was übernahm sie nicht alles, wenn sein Job ihn aus heiterem Himmel forderte oder wenn Wochenenden, Feiertage und freie Abende auf der Strecke blieben, weil die Polizeiarbeit nicht warten konnte? Sie liebte Patrik über alles, aber manchmal hatte sie das Gefühl, dass er gar nicht darüber nachdachte, wie viel Verantwortung für Haus und Kinder auf ihr allein lastete. Sie hatte schließlich auch einen Beruf und war außerdem recht erfolgreich.
Oft musste sie sich anhören, wie großartig es sein müsse, wenn man vom Schreiben leben konnte. Sich die Zeit frei einteilen durfte und sein eigener Chef war. Erica ärgerte sich immer wieder darüber, denn obwohl sie ihre Arbeit unheimlich mochte und wusste, wie gut sie es getroffen hatte, sah die Wirklichkeit anders aus. Freiheit verband sie mit dem Schriftstellerdasein jedenfalls nicht, im Gegenteil. Ein Buchprojekt konnte einen sieben Tage in der Woche rund um die Uhr in Atem halten. Manchmal beneidete sie diejenigen, die einfach zur Arbeit gingen und nach acht Stunden Feierabend hatten. Sie dagegen konnte nie abschalten, und der Erfolg hatte Verpflichtungen und Erwartungen mit sich gebracht, die sich mit dem Leben einer Mutter von kleinen Kindern nur schwer in Einklang bringen ließen.
Zudem war es schwierig zu behaupten, ihre Arbeit sei wichtiger als die von Patrik. Er beschützte Menschen, klärte Verbrechen auf und trug dazu bei, dass die Gesellschaft besser funktionierte. Sie selbst schrieb Bücher, die zur Unterhaltung gelesen wurden. Auch wenn sie manchmal am liebsten vor Wut gebrüllt hätte, war klar und akzeptierte sie auch, dass sie meistens den Kürzeren zog. Seufzend stand sie auf und folgte ihrem Mann in die Küche.
»Sind die drei im Bett?« Patrik nahm die Zutaten für seinen Lieblingssnack aus dem Schrank: Knäckebrot, Butter, Kaviarpaste und Käse. Erica schüttelte sich bei dem Gedanken, dass er das Ganze auch noch in heißen Kakao stippen würde.
»Ja, sie sind ausnahmsweise alle gleichzeitig eingeschlafen. Sie haben am Vormittag wunderbar gespielt und waren daher hundemüde.«
»Schön.« Patrik setzte sich zum Essen an den Küchentisch.
Erica ging zurück ins Wohnzimmer, um noch ein bisschen zu schreiben, bevor die Kinder wieder aufwachten. Gestohlene Augenblicke. Mehr war im Moment nicht drin.
Im Traum brannte es. Voller Entsetzen drückte Vincent sein Gesicht an die Scheibe. Hinter ihm loderten immer größere Flammen auf. Züngelnd kamen sie ganz nah an ihn heran und versengten seine blonden Locken. Er schrie lautlos. Sie wollte sich gegen die Scheibe werfen, das Glas zertrümmern und Vincent aus den Flammen retten, die ihn zu verschlingen drohten, doch sosehr sie sich auch bemühte, ihr Körper gehorchte ihr nicht.
Dann hörte sie Mårtens Stimme. Vorwurfsvoll. Er hasste sie, weil sie Vincent nicht retten konnte und tatenlos zusah, wie er vor ihren Augen lebendig verbrannte.
»Ebba! Ebba!«
Seine Stimme spornte sie an, es noch einmal zu versuchen. Sie musste losrennen und die Scheibe zerschlagen. Sie musste ...
»Ebba, wach auf!«
Jemand packte sie an den Schultern und zwang sie, sich aufzusetzen. Langsam verflüchtigte sich der Traum, doch sie wollte ihn festhalten, sich in die Flammen stürzen und vielleicht für einen kurzen Moment Vincents zarten Körper in ihren Armen halten, bevor sie beide starben.
»Du musst aufwachen! Es brennt!«
Plötzlich war sie hellwach. Der Rauch stach ihr in die Nase, und sie bekam einen schlimmen Hustenanfall. Als sie den Kopf hob, sah sie die Rauchwolke, die sich ins Zimmer wälzte. »Wir müssen raus!«, schrie Mårten. »Kriech unter dem Rauch durch. Ich komme gleich nach. Ich versuche nur noch, den Brand zu löschen.«
Ebba stolperte aus dem Bett und fiel hin. An ihrer Wange spürte sie die heißen Holzdielen. Sie war unfassbar müde, und ihre Lunge schmerzte. Woher sollte sie die Kraft nehmen, sich irgendwohin zu schleppen? Sie wollte liegen bleiben und nur noch schlafen, sie schloss die Augen und fühlte eine lähmende Trägheit in allen Gliedern. Hier würde sie Ruhe finden. Nur für einen Augenblick.
»Hoch mit dir! Du musst hoch!« Mårtens schrille Stimme riss sie aus ihrem Dämmerzustand. Normalerweise hatte er nie Angst. Nun packte er ihren Arm und zerrte sie unsanft auf alle viere.
Widerwillig setzte sie sich in Bewegung. Auch sie bekam es jetzt mit der Angst zu tun. Mit jedem Atemzug drang der Rauch tiefer in ihre Lunge ein, wie ein langsam wirkendes Gift, doch sie starb lieber an den Folgen des Rauchs als in den Flammen. Die Vorstellung, ihre Haut würde brennen, ließ sie aus dem Zimmer kriechen.
Plötzlich war sie verwirrt. Sie hätte doch wissen müssen, wo sich die Treppe befand, aber ihr Gehirn schien nicht zu funktionieren. Sie sah nur dichten dunkelgrauen Nebel vor sich. Panisch krabbelte sie direkt geradeaus, zumindest wollte sie nicht im Rauch stecken bleiben.
In dem Moment, als sie die Treppe erreichte, rannte Mårten mit dem Feuerlöscher an ihr vorbei und in drei großen Sätzen die Treppe hinunter. Ebba folgte ihm mit dem Blick. Genau wie im Traum hatte sie das Gefühl, ihr Körper würde ihr nicht mehr gehorchen. Ihre Glieder verweigerten jegliche Bewegung, und reglos verharrte sie auf allen vieren, während der Rauch immer dichter wurde. Wieder hustete sie, ein Hustenanfall jagte den anderen. Ihre Augen tränten, und ihre Gedanken kreisten um Mårten, aber sie hatte nicht genügend Energie, sich Sorgen um ihn zu machen. Und sie spürte die Verlockung, sich einfach nicht mehr zu bewegen. Zu verschwinden und die Trauer, die Leib und Seele peinigte, hinter sich zu lassen. Ihr wurde schwarz vor Augen. Langsam legte sie sich auf den Boden, den Kopf auf den Armen, schloss sie die Augen. Rings um sie war es warm und weich. Erneut breitete sich diese Trägheit in ihr aus. Sie hieß sie erfreut willkommen, diese Schläfrigkeit wollte ihr ja nichts Böses, sie umfing sie sanft und machte sie wieder zu einem ganzen Menschen.
»Ebba!« Mårten packte sie am Arm. Sie wehrte sich, denn sie wollte sich an diesen schönen, friedlichen Ort treiben lassen, zu dem sie aufgebrochen war. Dann fühlte sie einen Schlag ins Gesicht, eine Ohrfeige, die einen brennenden Abdruck auf ihrer Wange hinterließ. Benommen rappelte sie sich auf und sah Mårten in die Augen. Sein Blick war zornig, doch auch besorgt.
»Das Feuer ist jetzt gelöscht«, sagte er, »aber wir dürfen trotzdem nicht hierbleiben.«
Als er sie hochziehen wollte, wehrte sie sich. Er brachte sie um die einzige Möglichkeit seit langem, sich auszuruhen. Aufgebracht hämmerte sie mit den Fäusten auf seine Brust ein. Es war ein gutes Gefühl, all ihre Wut und Enttäuschung rauszulassen. Sie schlug so fest zu, wie sie konnte, bis er sie an den Handgelenken packte und näher zu sich heranzog. Er drückte ihr Gesicht an seins und hielt sie fest. Sein schneller Herzschlag an ihrem Ohr brachte sie zum Weinen. Dann ließ sie sich hochheben. Er trug sie nach draußen, und als die kalte Nachtluft ihre Lunge füllte, gab sie sich bereitwillig dem Schlaf hin.
Fjällbacka 1908
Sie kamen am frühen Morgen. Mutter war bereits mit den Kleinen aufgestanden, während Dagmar noch gemütlich im warmen Bett liegen blieb. Das war eben der Unterschied zwischen einem richtigen Kind von Mutter und den Hurenbälgern, um die sie sich kümmerte. Dagmar war etwas Besonderes.
»Was ist denn da los?«, rief Vater aus der Kammer. Wie Dagmar war er aufgewacht, weil irgendjemand beharrlich an die Haustür pochte.
»Aufmachen! Hier spricht die Polizei!«
Nun riss dem Beamten offenbar der Geduldsfaden, denn die Tür wurde aufgerissen, und ein Mann in Uniform stürmte herein.
Erschrocken setzte sich Dagmar im Bett auf und zog sich die Decke bis unters Kinn.
»Die Polizei?« Vater kam in die Küche und knöpfte sich ungeschickt die Hose zu. Sein eingesunkener Brustkorb war mit spärlichen grauen Haarbüscheln bedeckt. »Lassen Sie mich wenigstens mein Hemd anziehen, dann klären wir die Sache schon. Das muss ein Missverständnis sein. Hier leben ehrliche Leute.«
»Hier wohnt doch Helga Svensson?«, fragte der Polizist. Dicht hinter ihm standen zwei weitere Männer. Die enge Küche war voller Betten. Zurzeit hatten sie fünf kleine Kinder im Haus.
»Ich heiße Albert Svensson, Helga ist meine Ehefrau«, sagte Vater. Er hatte mittlerweile sein Hemd angezogen und die Arme vor der Brust verschränkt.
»Wo ist Ihre Ehefrau?« Die Stimme klang streng.
Dagmar sah die Falte zwischen den Augenbrauen ihres Vaters. Er mache sich zu schnell Sorgen, sagte Mutter immer. Schwache Nerven.
»Mutter ist hinten im Garten. Mit den Kleinen«, sagte Dagmar. Erst jetzt schienen die Polizisten sie zu bemerken.
»Danke«, erwiderte der Wortführer und machte auf dem Absatz kehrt.
Vater folgte den Polizisten. »Sie können doch nicht einfach bei ehrbaren Leuten reinplatzen. Man erschreckt sich ja zu Tode. Sagen Sie mir endlich, worum es geht.«
Dagmar schlug die Bettdecke zurück, stellte die Füße auf den kalten Küchenfußboden und rannte im Nachthemd hinterher. Im Garten wurde sie plötzlich aufgehalten. Zwei Polizisten packten sie am Arm. Sie versuchte, sich loszureißen, und einer der Polizisten keuchte vor Anstrengung, weil er sie nicht entwischen lassen wollte. Die Kinder schrien, und die Wäschestücke, die Mutter bereits auf die Leine gehängt hatte, wurden in dem Tumult heruntergerissen.
»Mutter!« Dagmar rannte auf sie zu. Sie stürzte sich auf das Bein eines Polizisten und biss ihm, so fest sie konnte, in den Oberschenkel. Brüllend vor Schmerz ließ er Mutter los, drehte sich um und gab Dagmar eine Backpfeife, dass sie zu Boden fiel. Verdutzt blieb sie im Gras sitzen und strich sich über die brennende Wange. Die Achtjährige war in ihrem ganzen Leben noch nicht geschlagen worden. Sie bekam zwar mit, wie ihrer Mutter im Umgang mit den Kleinen die Hand ausrutschte, aber bei Dagmar war ihr das noch nie passiert. Und deshalb wagte Vater es auch nicht.
»Was erlauben Sie sich? Haben Sie sich etwa an meiner Tochter vergriffen?« Rasend vor Wut trat Mutter nach den Männern.
»Das ist nichts, verglichen mit dem, was Sie getan haben.«
Wieder hielt der Polizist Helga fest. »Sie werden des Kindsmords verdächtigt, wir haben die Genehmigung für eine Hausdurchsuchung. Und wir sind gründlich, das können Sie mir glauben.«
Dagmar sah, wie ihre Mutter zusammenbrach. Die Wange brannte immer noch höllisch, und ihr Herz klopfte wie wild. Ringsherum schrien die Kinder, als würde die Welt untergehen. Vielleicht war das ja auch der Fall. Denn obwohl Dagmar nicht begriff, was hier passierte, verriet der Gesichtsausdruck ihrer Mutter, dass soeben deren Leben zerstört worden war.
Könntest du nach Valö rausfahren, Patrik? Wir haben einen Notruf bekommen, Feueralarm. Es wird Brandstiftung vermutet.«
»Wie bitte? Entschuldige, was hast du gesagt?«
Patrik war schon halb aus dem Bett. Er klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und schlüpfte in seine Jeans. Verschlafen sah er auf die Uhr. Viertel nach sieben. Einen Augenblick lang überlegte er, was Annika um diese Uhrzeit in der Dienststelle machte.
»Auf Valö hat es gebrannt«, antwortete Annika geduldig. »Die Feuerwehr ist heute Morgen vor Tau und Tag ausgerückt. Sie vermuten, dass es Brandstiftung war.«
»Wo denn auf Valö?«
Neben ihm drehte sich Erica auf die Seite.
»Was ist los?«, murmelte sie.
»Die Arbeit ruft. Ich muss nach Valö«, flüsterte er. Wenn die Zwillinge ausnahmsweise länger als bis halb sieben schliefen, brauchte man sie nicht unbedingt zu wecken.
»Im Ferienheim«, sagte Annika am anderen Ende der Leitung.
»Okay. Ich fahre mit dem Boot raus. Vorher rufe ich noch bei Martin an, wir haben doch heute zusammen Dienst.«
»Stimmt. Dann sehen wir uns nachher im Büro.«
Patrik legte auf und zog sich ein T-Shirt an.
»Was ist passiert?« Erica setzte sich auf.
»Die Feuerwehr vermutet, dass im alten Ferienheim Feuer gelegt worden ist.«
»Im Ferienheim? Wollte das jemand abfackeln?« Erica schwang die Beine über die Bettkante.
»Später erzähle ich dir mehr, versprochen.« Patrik lächelte. »Ich weiß, dass das ein ganz spezielles Projekt von dir ist.«
»Es ist doch ein merkwürdiger Zufall, dass ausgerechnet dann, wenn Ebba wieder da ist, jemand das Haus abzubrennen versucht.«
Patrik schüttelte den Kopf. Er wusste aus Erfahrung, dass seine Frau sich gern in Dinge einmischte, die sie nichts angingen, und sich leicht zu abwegigen Schlussfolgerungen hinreißen ließ. An und für sich lag sie häufig richtig, das musste er zugeben, aber manchmal stiftete sie auch Verwirrung.
»Annika hat gesagt, vermutlich ist es Brandstiftung. Mehr wissen wir noch nicht, und das heißt ja noch nicht, dass es tatsächlich Brandstiftung war.«
»Nein, aber trotzdem«, wandte Erica ein. »Es ist doch seltsam, dass ausgerechnet jetzt so was passiert. Kann ich nicht mitkommen? Ich wollte sowieso mal bei Ebba vorbeischauen.«
»Und wer kümmert sich um die Kinder? Maja ist wohl noch ein bisschen zu klein, um den Jungs den Brei zu machen.«
Er küsste Erica auf die Wange und raste die Treppe hinunter. Hinter ihm fingen die Zwillinge wie auf Bestellung an zu brüllen.
Auf dem Weg nach Valö wechselten Patrik und Martin nicht viele Worte. Der Gedanke an eine eventuelle Brandstiftung war beängstigend. Als sie sich der idyllischen Insel näherten, kam ihnen das Ganze noch unwirklicher vor.
»Wie schön es hier ist«, sagte Martin. Sie gingen von dem Steg, an dem Patrik das Boot vertäut hatte, zum Haus.
»Du warst doch schon mal hier«, sagte Patrik, ohne sich umzudrehen. »Zumindest damals Weihnachten.«
Anstelle einer Antwort murmelte Martin nur vor sich hin. Er schien nicht gern an diese unheilvollen Weihnachtstage zurückzudenken, als er in ein Familiendrama auf der Insel hineingezogen worden war.
Vor ihnen lag eine große Rasenfläche. Sie blieben stehen und sahen sich um. »Ich habe viele schöne Erinnerungen an diesen Ort«, sagte Patrik. »Wir waren jedes Jahr mit der Schule hier, und einmal war ich hier im Sommer auf einer Segelfreizeit. Da drüben habe ich oft Fußball gespielt. Und Brennball.«
»Tja, wer ist nicht hier im Ferienheim gewesen? Eigentlich seltsam, dass man das Haus immer noch so nennt.«
Patrik zuckte mit den Schultern, als sie zügig zum Haus hinaufgingen.
»Wahrscheinlich hat man die Bezeichnung einfach beibehalten. Als Internat ist das Haus ja nur kurze Zeit genutzt worden, und nach diesem Schlesinger, der vorher dort gewohnt hatte, wollte man es wohl nicht nennen.«
»Von dem verrückten Kerl hat man so einiges gehört.« Martin fluchte, als ihm ein Zweig ins Gesicht schlug. »Wem gehört das Haus denn jetzt?«
»Ich glaube, dem Paar, das dort wohnt. Seit dem Vorfall 1974 wurde das Haus von der Gemeinde verwaltet. Schade, dass es so heruntergekommen ist, aber nun wird es ja renoviert.«
Martin blickte zum Haus hoch. Ein Gerüst bedeckte die Vorderseite. »Das wird bestimmt toll. Hoffentlich hat das Feuer nicht zu großen Schaden angerichtet.«
Sie gingen auf die Steintreppe zu, die zur Eingangstür führte. Die Stimmung war friedlich. Ein paar Männer von der Freiwilligen Feuerwehr packten ihre Geräte ein. Unter ihren dicken Anzügen sind sie bestimmt klitschnass geschwitzt, dachte Patrik. Die Hitze machte ihm jetzt schon zu schaffen, obwohl es noch früh am Morgen war.
»Tag!« Feuerwehrhauptmann Östen Ronander kam auf sie zu und nickte zur Begrüßung. Seine Hände waren voller Ruß.
»Hallo, Östen. Was ist hier passiert? Annika sagte, ihr vermutet, dass es Brandstiftung war?«
»Ja, es sieht zweifellos danach aus, aber rein technisch sind wir ja nicht dafür qualifiziert, das zu beurteilen. Hoffentlich ist Torbjörn schon unterwegs.«
»Ich habe ihn vom Boot aus angerufen. Sie wollen in ungefähr ...«, Patrik warf einen Blick auf seine Armbanduhr, »einer halben Stunde hier sein.«
»Gut. Sehen wir uns inzwischen um? Wir haben versucht, keine Spuren zu verwischen. Als wir eintrafen, hatte der Eigentümer bereits den Feuerlöscher eingesetzt. Wir haben uns also nur noch vergewissert, dass es keinen Schwelbrand gibt. Ansonsten konnten wir nicht viel tun. Guckt euch das mal an.«
Östen deutete in den Hausflur. Auf dem Fußboden hinter der Eingangstür bildeten die Brandspuren ein merkwürdiges, unregelmäßiges Muster.
»Das müsste irgendeine brennbare Flüssigkeit gewesen sein.« Martin sah Östen fragend an, Östen nickte.
»Ich nehme an, jemand hat die Flüssigkeit unter der Tür durchlaufen lassen und dann angezündet. Dem Geruch nach zu urteilen, würde ich auf Benzin tippen, aber Torbjörn und seine Jungs können da sicher Genaueres sagen.«
»Wo sind die Bewohner des Hauses?«
»Die warten hinter dem Haus auf den Notarzt, der sich wegen eines Autounfalls leider verspätet. Sie scheinen unter einem ziemlichen Schock zu stehen, und ich dachte mir, sie könnten Ruhe gebrauchen. Außerdem fand ich, dass hier niemand herumtrampeln sollte, bevor ihr Gelegenheit hattet, Spuren zu sichern.«
»Gute Arbeit.« Patrik klopfte Östen auf die Schuler und wandte sich an Martin. »Sollen wir gleich mit ihnen reden?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er ums Haus herum. In einer gewissen Entfernung davon standen ein paar verwitterte Gartenmöbel. Am Tisch saß ein Paar, das Mitte dreißig war. Es machte einen verwirrten Eindruck. Als der Mann die Polizisten erblickte, kam er auf sie zu und gab ihnen die Hand. Sie fühlte sich hart und schwielig an, als hätte er lange Zeit körperlich gearbeitet.
»Mårten Stark.«
Patrik und Martin stellten sich vor.
»Wir verstehen überhaupt nichts. Die Feuerwehrleute haben was von Brandstiftung gesagt.« Mårtens Frau war ihm gefolgt. Sie wirkte schmal und zerbrechlich und reichte Patrik, der selbst nicht besonders groß war, nur bis zur Schulter. Trotz der Hitze bibberte sie.
»Das muss nicht sein. Noch wissen wir nichts mit Sicherheit «, versuchte Patrik, sie zu beruhigen.
»Das ist Ebba, meine Frau«, erklärte Mårten. Er rieb sich müde das Gesicht.
»Dürfen wir uns setzen?«, fragte Martin. »Wir würden gern etwas mehr über den Vorfall erfahren.«
»Natürlich, da drüben.« Mårten zeigte auf die Gartenmöbel.
»Wer hat das Feuer zuerst bemerkt?« Patrik betrachtete Mårten, der einen schwarzen Fleck auf der Stirn und wie Östen vollkommen verrußte Hände hatte. Mårten bemerkte den Blick und sah sich seine Hände an, als würde er erst jetzt bemerken, wie schmutzig sie waren. Langsam wischte er sie an seiner Jeans ab, bevor er antwortete.
»Das war ich. Ich bin aufgewacht und habe einen merkwürdigen Geruch bemerkt. Ziemlich schnell wurde mir klar, dass es unten brannte, und da habe ich versucht, Ebba zu wecken. Das hat eine Weile gedauert, weil sie sehr fest schlief, aber schließlich bekam ich sie aus dem Bett. Als ich zum Feuerlöscher rannte, hatte ich nur einen Gedanken im Kopf: Ich muss den Brand löschen.« Mårten redete so schnell, dass er völlig außer Atem kam und nach Luft schnappen musste.
»Ich dachte, ich würde sterben. Ich war mir ganz sicher.« Ebba pulte an ihrer Nagelhaut herum. Patrik sah sie mitleidig an.
»Ich habe den Feuerlöscher entsichert und wie ein Wahnsinniger auf die Flammen gesprüht«, fuhr Mårten fort. »Zuerst schien überhaupt nichts zu passieren, aber ich habe immer mehr Schaum verspritzt, und dann ging das Feuer plötzlich aus. Der Rauch hing jedoch immer noch in den Räumen, es war überall Rauch.« Wieder rang er nach Luft.
»Wieso sollte jemand ...? Ich verstehe das nicht.«
Ebba wirkte abwesend. Östen hatte wohl recht, dachte Patrik, sie stand vermutlich unter Schock. Das erklärte dann auch, warum sie so zitterte. Wenn der Notarzt eintraf, würde er sich Ebba ganz genau ansehen und auch untersuchen müssen, ob die beiden nicht eine Rauchvergiftung erlitten hatten. Viele Menschen wussten nicht, dass der Rauch tödlicher war als das Feuer selbst. Die Folgen von tief eingeatmetem Rauch zeigten sich möglicherweise auch erst nach einiger Zeit.
»Wie kommen Sie auf Brandstiftung?« Wieder rieb sich Mårten das Gesicht. Viel Schlaf hatte er wahrscheinlich nicht bekommen, dachte Patrik.
»Noch wissen wir nichts Genaues, wie schon gesagt«, antwortete Patrik zögernd. »Es gibt gewisse Anzeichen dafür, aber bevor die Techniker es bestätigt haben, möchte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Sie haben heute Nacht nicht zufällig Geräusche gehört?«
»Nein, ich bin ja erst aufgewacht, als es bereits brannte.«
Patrik deutete mit dem Kinn auf ein Haus, das ein Stück entfernt lag. »Sind die Nachbarn zu Hause? Könnten sie vielleicht gesehen haben, ob hier draußen eine fremde Person herumgeschlichen ist?«
»Sie sind im Urlaub. Wir sind ganz allein auf der Insel.«
»Gibt es jemanden, der ein Interesse daran haben könnte, Ihnen Schaden zuzufügen?«, meldete sich Martin zu Wort. Er überließ oft Patrik die Befragungen, aber er hörte immer aufmerksam zu und beobachtete die Reaktionen ihrer Gesprächspartner genau. Das war mindestens genauso wichtig wie die richtigen Fragen.
»Nein, soweit ich weiß, niemand.« Ebba schüttelte langsam den Kopf.
»Wir wohnen noch nicht lange hier. Erst zwei Monate«, sagte Mårten. »Es ist zwar Ebbas Elternhaus, aber es war jahrelang vermietet, und Ebba ist die ganze Zeit nicht hier gewesen. Wir haben beschlossen, den alten Kasten instand zu setzen und etwas daraus zu machen.«
Patrik und Martin wechselten rasch einen Blick. Die Geschichte des Hauses und letztendlich auch die Ebbas war in der Gegend bekannt, aber dies war nicht die passende Gelegenheit, um darüber zu sprechen. Patrik war froh, dass Erica nicht dabei war. Sie hätte sich nicht beherrschen können.
»Wo haben Sie vorher gewohnt?«, fragte Patrik, obwohl er sich die Antwort bei Mårtens ausgeprägtem Dialekt selbst geben konnte.
»Göteborg, hört man das nicht?«
»Haben Sie dort mit jemandem eine Rechnung offen?«
»Wir haben keine offenen Rechnungen, weder in Göteborg noch irgendwo anders«, erwiderte Mårten kurz angebunden.
»Und aus welchem Grund sind Sie hierhergezogen?«, fragte Patrik.
Ebba blickte auf die Tischplatte und fingerte nervös an ihrer Halskette herum. Ein hübscher Engel aus Silber hing daran.
»Unser Sohn ist gestorben.« Sie zog so fest an der Kette, dass sie ihr in den Hals schnitt.
»Wir brauchten einen Tapetenwechsel«, erklärte Mårten. »Dieses Haus hier stand einfach da und verfiel zusehends. Wir haben das als Chance betrachtet, noch mal von vorne anzufangen. Da meine Eltern eine Kneipe hatten, fand ich es naheliegend, ebenfalls etwas in der Art aufzumachen. Wir wollen mit Bed and Breakfast anfangen und nach und nach auch Konferenzbesucher hierherlocken.«
»Sieht nach viel Arbeit aus.« Patrik wandte sich dem großen Gebäude mit der abgeblätterten weißen Fassade zu. Er stellte bewusst keine Fragen mehr nach dem toten Sohn. Der Schmerz in den Gesichtern der beiden war zu groß gewesen.
»Wir sind nicht arbeitsscheu, und wir machen so lange weiter, wie es geht. Falls unsere Kräfte nicht reichen, müssen wir Leute beschäftigen, aber das Geld würden wir lieber sparen. Das Ganze wird finanziell ohnehin schwierig genug.«
»Es gibt also niemanden, der Interesse daran haben könnte, Ihnen oder Ihrem Betrieb Schaden zuzufügen?«, insistierte Martin.
»Betrieb? Welcher Betrieb?«, antwortete Mårten mit einem ironischen Lachen. »Nein, wie gesagt, uns fällt wirklich niemand ein, der uns so etwas antun würde. Ein solches Leben haben wir nicht geführt. Wir sind ganz normale Durchschnittsbürger. «
Patrik dachte einen Augenblick lang an Ebbas Vergangenheit. Nicht viele Durchschnittsbürger trugen ein solches Geheimnis mit sich herum. In Fjällbacka und Umgebung hatte man sich die wildesten Geschichten über das erzählt, was Ebbas Familie zugestoßen war.
»Außer ...« Mårten warf Ebba einen fragenden Blick zu, doch die schien nicht zu wissen, worauf er hinauswollte. Er sah sie durchdringend an. »Das Einzige, was mir dazu einfällt, sind die Glückwunschkarten.«
»Glückwunschkarten?«, fragte Martin. »Seit ihrer Kindheit bekommt Ebba zu jedem Geburtstag eine Karte von jemandem, der nur mit G unterschreibt. Ihre Adoptiveltern haben nie herausbekommen, wer dahintersteckte. Die Glückwunschkarten kamen auch noch, nachdem sie von zu Hause ausgezogen war.«
»Hat Ebba denn auch keine Ahnung, wer ihr die Karten schreibt?«, fragte Patrik. Erst dann fiel ihm auf, dass er über sie redete, als ob sie nicht anwesend wäre. An sie gewandt wiederholte er: »Sie haben nicht die geringste Vermutung, wer Ihnen diese Karten geschickt haben könnte?«
»Nein.«
»Und Ihre Adoptiveltern? Sind Sie sicher, dass die nichts wissen? «
»Die wissen es auch nicht.«
»Hat dieser G denn jemals versucht, auf andere Weise Kontakt zu Ihnen aufzunehmen, oder Sie vielleicht bedroht?«
»Nein, niemals. Oder, Ebba?« Mårten bewegte eine Hand in Ebbas Richtung, als wollte er sie berühren, ließ die Hand jedoch wieder sinken. Sie schüttelte den Kopf.
»Jetzt kommt Torbjörn.« Martin zeigte auf den Pfad.
»Gut, dann machen wir hier Schluss, damit Sie beide sich ausruhen können. Ein Arzt ist unterwegs. Sollte er Sie mit ins Krankenhaus nehmen wollen, würde ich Ihnen raten, auf ihn zu hören. Solche Dinge darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
»Danke.« Mårten stand auf. »Melden Sie sich, wenn Sie mehr wissen.«
»Machen wir.« Patrik warf Ebba einen letzten besorgten Blick zu. Sie wirkte immer noch wie unter einer Glasglocke. Er fragte sich, welche Spuren die Tragödie in ihrer Kindheit hinterlassen hatte, zwang sich dann aber, den Gedanken fallenzulassen. Er musste sich auf die bevorstehende Arbeit konzentrieren und eventuell einen Brandstifter finden.
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Autoren-Porträt von Camilla Läckberg
Camilla Läckberg, geb. 1974, ist verheiratet und hat drei Kinder. Sie stammt aus Fjällbacka der kleine Ort und seine Umgebung sind Schauplatz ihrer Bücher. Ihre Kriminalromane erscheinen in dreißig Ländern und wurden bisher über sechs Millionen mal verkauft. Camilla Läckberg lebt in Stockholm.
Autoren-Interview mit Camilla Läckberg
Woher nehmen Sie die Ideen zu immer neuen Morden? Camilla Läckberg: Meistens fängt es mit einem Motiv an, anhand dessen mir die Idee zu einem neuen Mord kommt. Vor allem interessiert mich das Motiv, und damit geht's dann im Normalfall los - mit einem Grundmotiv, das einen Menschen dazu bringt, so etwas Schreckliches wie einen Mord zu begehen.
Wie kommen Sie auf die Namen für Ihre Protagonisten?
Camilla Läckberg: Namen sind tatsächlich etwas knifflig. Oft gibt es da schon einige Namen, die ständig im Kopf herumschwirren und immer wieder auftauchen. Aber manchmal blättere ich auf der Suche nach Namen, die mir gefallen könnten, einfach durch das Telefonbuch.
Was halten die Ortsansässigen in Fjällbacka davon, dass Sie sie, einen nach dem anderen, umbringen...?
Camilla Läckberg: Ich glaube, sie gehen ganz locker damit um. Zunächst war ich etwas nervös, was sie davon halten würden, aber bis jetzt gab es immer nur sehr positive Reaktionen auf die Bücher. 2004 wurde ich sogar zur „Ehrenbürgerin des Jahres" gekürt, was eine große Ehre war! Ich werde oft gefragt, wie viele Bewohner eines so kleinen Dorfes ich eigentlich umbringen kann, ohne dass ich an Glaubwürdigkeit einbüße, und im Allgemeinen antworte ich: „Wenn man auf tausend Bewohner durchschnittlich zwei Morde pro Buch rechnet, kann ich circa fünfhundert Bücher schreiben, bevor mir die Menschen ausgehen."
Patriks Ehefrau Erica spielt in all Ihren Büchern eine große Rolle. Sie ist Autorin und schreibt Kriminalromane. Ist sie vielleicht Ihr Alter Ego?
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Camilla Läckberg: Ich habe Erica bewusst fünf Jahre älter gemacht als mich, damit wir uns nicht zu sehr ähneln. Aber es stimmt schon, dass sie viele meiner Eigenschaften verkörpert, daran gibt es keinen Zweifel. Vor allem meine persönlichen Erfahrungen spiegeln sich in ihr wider, zum Beispiel die postnatale Depression.
Hat jemand Ihr erstes Manuskript, Die Eisprinzessin schläft, gelesen, bevor Sie es an Verlage geschickt haben?
Camilla Läckberg: Ich habe in den sauren Apfel der potentiellen Erniedrigung gebissen und mich entschlossen, es einigen Personen zum Lesen gegeben: Familienmitgliedern, guten Freunden, auf deren Urteilsvermögen ich vertraue, und Gunilla, der Tante meiner Freundin Bella, die einige Jahre für die Buchmesse gearbeitet hat und die Verlagsbranche gut kennt. Ich habe viele Anregungen bekommen und mich gründlich mit allen Vorschlägen auseinandergesetzt.
Ich habe mein Manuskript sieben oder acht Mal gelesen und überarbeitet. Meiner Meinung nach ist es unglaublich wichtig, ein sauber überarbeitetes Manuskript einzureichen. Da sollte man penibel sein, wenn man verlegt werden möchte.
Ich bekam die Manuskripte nicht nur mit markierten Tippfehlern, Grammatikfehlern etc. zurück. Das Feedback bestand zum Beispiel auch aus Ungereimtheiten, die im Manuskript aufgefallen waren, wie zum Beispiel: „Auf S. 78 verstehe ich nicht, wie Patrik auf einmal erkennen kann, dass ..." - Sie verstehen, worauf ich hinauswill.
Alles in allem lautet mein Rat: Es geht nichts über ein sorgfältig redigiertes Manuskript!
Und wenn es dir unangenehm ist, andere dein Manuskript lesen zu lassen, dann erinnere dich immer daran, dass du das in der Hoffnung machst, einen Verleger zu finden sowie eine nicht unerhebliche Leserschaft zu erreichen!
Was war Ihre Motivation, Die Eisprinzessin schläft zu schreiben?
Camilla Läckberg: Über die Idee des Romans habe ich, nachdem ich einen Bericht in den Nachrichten gesehen hatte, mehrere Jahre nachgedacht. Es ging um die Verjährungsfrist für Mord in Schweden (25 Jahre). Ich fragte mich, was wohl geschieht, wenn die Verjährung immer näher rückt, ob dadurch noch mal Prozesse in Gang gesetzt werden - sowohl bei Familie und Freunden des Opfers als auch beim Mörder, der immer noch auf freiem Fuß ist. Auf diesen Überlegungen basierend entstand schließlich der Roman Die Eisprinzessin schläft.
Später, im Laufe meines Krimiautoren- Seminars, entschloss ich mich dann, über Fjällbacka zu schreiben, nachdem mein Dozent Peter Gissy mir den Rat gegeben hatte, „über das Umfeld zu schreiben, das mir am meisten vertraut ist". Es war mir sofort klar, dass die Handlung im Winter stattfinden würde, da die meisten Menschen Fjällbacka nur im Sommer kennen. Es hat Spaß gemacht, den Menschen die andere Seite des Städtchens zu zeigen. Die Jahreszeit passte auch zur Stimmung, die ich schaff en wollte: Von Menschen, die zugemacht und sich zurückgezogen hatten, die wie eingefroren waren, wegen etwas, das vor langer Zeit passiert war. Seitdem gab es für mich immer eine Verbindung zwischen der Jahreszeit und der Stimmung, die das Buch vermitteln sollte.
Erica war meine erste Romanfigur. Auf gar keinen Fall wollte ich einen weiteren Polizeiroman schreiben (nun ja, zumindest dachte ich das am Anfang!), und es war klar, dass meine Hauptfigur eine Frau und Schriftstellerin sein würde. Aber nachdem ich mit dem Buch schon etwas weiter fortgeschritten war, musste ich einsehen, dass es gar nicht so einfach war, eine Privatperson auf eigene Faust Mordfälle lösen zu lassen. Daraufhin erschien - voilà - Patrik auf der Bildfläche. Und um ihn herum gruppierte ich die restlichen Figuren der Polizeiwache.
Die erste der Nebenfiguren war Alex, das Opfer. Sie ist der eigentliche Mittelpunkt der Geschichte, um sie herum breiten sich alle anderen wie ein Fächer aus. Um ehrlich zu sein, kann ich mich, wenn ich zurückblicke, kaum daran erinnern, wie bestimmte Figuren in meinen Büchern entstehen.
Und ich wollte aus Erica und Patrik so gut es geht ein „normales" Paar machen. Keine Superhelden, nur nette Menschen mit Hüftgold und alltäglichen Sorgen, die wie wir das Bedürfnis haben, Arbeit und Zuhause miteinander in Einklang zu bringen. Und dann lässt sich natürlich kaum vermeiden, dass ich aus meinem eigenen Erfahrungsschatz schöpfe.
Wann haben Sie beschlossen, Ihren Job an den Nagel zu hängen?
Camilla Läckberg: Ich arbeitete beim Energiekonzern Fortum als Produktmanagerin in der Telekommunikationssparte, als ich nach der Geburt meines ersten Sohnes Wille Mutterschaftsurlaub nahm. Als er drei Monate alt war, hat Fortum viele Mitarbeiter entlassen, und ich war eine von ihnen. Für mich war das der Auslöser, meiner Bestimmung als Schriftstellerin nachzugehen. Zunächst nahm ich jedoch eine neue Festanstellung an, meine Tochter Meja wurde geboren, und ich nahm wieder Mutterschaftsurlaub. In der Zeit habe ich nur geschrieben. Als dann mein Mutterschaftsurlaub zu Ende war, hatte ich mir schon eine Basis aufgebaut, die es mir erlaubte, von meiner Arbeit als Schriftstellerin zu leben.
Was für Bücher lieben Sie?
Camilla Läckberg: Ich bin ein totaler Krimi-Junkie. Achtzig Prozent der Bücher, die ich lese, sind Kriminalromane. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Peter Robinson, Reginald Hill, Andrew Taylor, Mari Jungstedt, Håkan Nesser und Åsa Larsson.
Waren Sie jemals Mitglied in einem Buchclub?
Camilla Läckberg: Ich war in einem Buchclub für Kinder und im Disneyclub. Ich habe eine riesengroße Kinderbuchsammlung, an der sich jetzt meine eigenen Kinder erfreuen. Es macht Spaß, diese Bücher heute mit „erwachsenen" Augen zu lesen. Barbapapa ist die reinste kommunistische Propaganda! :-)
Sie erzählen in Interviews immer sehr viel von sich. Wo ziehen Sie da die Grenze?
Camilla Läckberg: Das bleibt wohl jedem selbst überlassen, wie viel Privates man preisgibt. Ich selbst bin ziemlich redefreudig und ein offenherziger Mensch, und es würde sich für mich einfach falsch anfühlen, mich Journalisten gegenüber anders zu verhalten. Außerdem bin ich viel zu langweilig, und ich biete zu wenig Stoff, in dem man herumwühlen könnte. Was mich persönlich betrifft, mache ich mir darüber also nicht allzu viele Sorgen. Aber hinsichtlich der Kinder haben mein Mann und ich viele Regeln. Mein Blog, zum Beispiel, enthält niemals Bilder von ihnen, und ich zeige nur Fotos, die schon mal an anderer Stelle veröffentlicht wurden. Vor allem respektiere ich, wenn die Kinder nicht fotografiert werden möchten. Irgendwann wird eine Zeit kommen, wenn sie gar keine Lust mehr darauf haben werden - aber bis jetzt sehen sie es als Spaß an, und wir beziehen sie mit ein, wenn sie es möchten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie meine Tochter einen Wutanfall bekam, als ein Fotograf einige Fotos von mir ohne sie für ein Interview machen wollte. Sie hat dagesessen und geheult: „Meja will auch mitmachen!" Ich finde nichts dabei.
Gibt es Bücher, die Sie nach einigen Seiten nicht mehr weiterlesen konnten?
Camilla Läckberg: Pferdebücher! Ich habe versucht, Pferdebücher und -magazine zu lesen, aber ich bekam davon Kopfschmerzen ... Ich gehöre zu den Leuten, die Pferde am liebsten zwischen Burgerbrötchen sehen. Nein, ich mache Spaß! Liebe Tierliebhaber, bitte verschont mich mit bösen Briefen!
Wie schaffen Sie es, sich an all Ihre Ideen zu erinnern?
Camilla Läckberg: Ich habe mir noch nie Einfälle auf Zettelchen oder so was notiert. Ich gehöre noch zur Schule derer, die folgender Meinung sind: Wenn man einen Einfall am nächsten Tag schon vergessen hat, dann kann er nicht gut gewesen sein. Aber wenn man sich Einfälle aufschreiben will, sollte man immer Notizblock und Kugelschreiber bei sich haben, damit man sich nicht merken muss, wo man diese vertrackten Zettelchen schon wieder hingepackt hat.
Was war Ihr erstes prägendes Leseerlebnis?
Camilla Läckberg: Einfach alles! Ich war der reinste Bücherwurm, als ich klein war. Es war alles dabei. Ich entdeckte schnell die Agatha-Christie- Sammlung meines Vaters, und die habe ich verschlungen. Bis ich elf oder zwölf war, hatte ich fast alle ihre Bücher gelesen. Am liebsten las ich die Krimis mit Miss Marple. Auch Sagas hatten es mir angetan - Sie wissen schon, zum Beispiel diese schweren Bände über Wikingergeschichten. Ich hatte auch viele Comics. Ich gab mein ganzes Taschengeld dafür aus, vor allem für Agent X9 und auch für Korak - Tarzans Sohn, Das Phantom etc. Und wenn ich mich recht erinnere, lieh ich mir viele Comics aus der Bücherei aus - Li'l Abner und Daisy May, Prinz Eisenherz, um nur einige zu nennen. Ich mochte auch Elfquest sehr. Davon habe ich eine schöne Sammlung, die sogar einiges wert ist; leider fehlt mir der wertvollste und zwar der erste Band.
Auch die Nancy-Drew-Bücher gehörten natürlich dazu, obwohl mir die Mary- Lou-Reihe noch besser gefiel. Ich hatte auch eine Fantasyphase, in der ich natürlich alle Narnia-Bände und Der Herr der Ringe las, aber auch alle Bücher von Ursula K. Le Guin über einen Zauberer namens Ged usw. Als ich älter wurde, las ich Ayla und das Tal der Pferde, Bücher von Jackie Collins, Das Tal der Puppen und Ähnliches ... Ich mochte auch Sparres historische Romane.
Einige der Bücher aus meiner Kindheit begleiten mich immer noch, wie Der Junge aus London und A Solitary Blue (aus der Tillermann-Saga). Und dann muss ich noch die Bücher von Stephen King und Dean R. Koontz erwähnen, meine Güte, wie ich die verschlungen habe!
Woher wissen Sie so viel über Polizeiarbeit?
Camilla Läckberg: Ich hatte glücklicherweise immer schon ein ausgeprägtes Interesse an Polizeiarbeit und habe also viel Belletristik, aber auch Sachbücher zu diesem Thema gelesen. Auf dieses Basiswissen konnte ich aufbauen. Natürlich bin ich keine Expertin dafür, wie diese Dinge wirklich vonstattengehen, aber Fiktion muss nicht immer total realistisch sein. Wenn man polizeiliche Untersuchungen in einem Kriminalroman zu hundert Prozent realistisch beschreiben würde, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Leser das Buch nach spätestens zehn Seiten zur Seite legen.
Aber ich habe einige Kontakte, mit denen ich Einzelheiten abklären kann, und kenne echte Polizeibeamte in der Polizeiwache von Tanumshede, denen ich mein Manuskript zum Gegenlesen vorlege, wenn es fertig ist, damit sie eventuelle Fehler anstreichen können.
Wann haben Sie ernsthaft mit dem Schreiben angefangen?
Camilla Läckberg: Da ich zunächst davon ausgegangen war, dass ich niemals Schriftstellerin werden könnte, habe ich BWL studiert. Aber ich hasste es. Bei der Arbeit habe ich immer mein Bestes gegeben, aber sonntagabends saß ich in Erwartung der nächsten Arbeitswoche oft mit Bauchschmerzen da.
Schließlich, nachdem ein Freund genug davon hatte, dass ich ständig alle damit nervte, wie gern ich doch Schriftstellerin werden wollte, fand er einen Kurs für mich, den ich dann von meinem Mann, meiner Mutter und meinem Bruder zu Weihnachten geschenkt bekam. Es war ein Krimiautoren-Kurs, der von der Schriftstellervereinigung Ordfront organisiert wurde.
Der Kurs war großartig. Wir waren zwölf Teilnehmerinnen - ausschließlich Frauen. Sie hatten ihn nur für Frauen ausgeschrieben, um die Zahl der Kriminalautorinnen anzukurbeln! Natürlich können heute auch Männer den Kurs besuchen...
An drei Wochenenden wurden wir in Göteborg von Kriminalautor Peter Gissy in der edlen Kunst des Krimischreibens unterwiesen. Der Kurs deckte einen Großteil der Techniken ab, die ich bis heute verwende, aber das Wichtigste, was mir der Kurs vermittelte, war das Gefühl, dass es tatsächlich möglich ist, ein Buch zu schreiben - einen Kriminalroman. Dass es sich nicht um eine Art geheimnisvollen Hokuspokus handelt, sondern dass man es mit einem hart erarbeiteten Text zu tun hat. Ich habe Die Eisprinzessin schläft tatsächlich während dieses Kurses angefangen zu schreiben. Zwei der Teilnehmerinnen des Kurses sind seitdem verlegt worden.
Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um Die Eisprinzessin schläft fertig zu schreiben. Ich hatte zwischen fünfzig und sechzig Seiten geschrieben, als auf einmal mein Selbstvertrauen in sich zusammenfiel und ich dachte, dass dies „nur ein Haufen Scheiße war, den niemand niemals lesen würde", und legte es für einige Monate beiseite. Dann kehrte meine Lust am Schreiben zurück, ich schrieb weitere sechzig Seiten, und wieder war ich mit den Nerven am Ende. Als ich dann mit meinem Sohn schwanger wurde, erkannte ich, dass wenn mein Buch jemals fertig geschrieben werde sollte, dies vor der Geburt meines Sohnes geschehen musste. Den kompletten Sommer 2002 über klebte meine Nase an der Tastatur, und im August war das Manuskript fertig!
Wie haben Sie davon geträumt, Schriftstellerin zu werden?
Camilla Läckberg: Mein ganzes Leben lang! Zumindest so lange, wie ich denken kann. Schon mit vier oder fünf Jahren zeichnete ich kleine Geschichten, aus denen ich dann Bücher bastelte. Ein Mal stellte ich in Massenanfertigung einen ganzen Korb voller kleiner Bücher her, den ich zum Seniorenheim in Fjällbacka trug, wo ich die Bücher dann an die Bewohner verteilte.
Sie haben einen Agenten. Worin besteht eigentlich die Arbeit einer Literaturagentur?
Camilla Läckberg: Ich kann natürlich nichts dazu sagen, wie andere Agenten arbeiten, aber in Schweden ist die Nordin Agentur eine der wenigen, die ihre Autoren sowohl im Ausland als auch zu Hause vertritt. Sie handeln Verträge mit ausländischen Verlagen aus, ich werde von ihnen in Schweden vertreten, und über sie laufen alle Gespräche mit meinem Verleger, wenn es zum Beispiel um Verträge und Marketing geht.
Wie haben Sie es geschafft, mit zwei Kindern Zeit zum Bücherschreiben zu finden?
Camilla Läckberg: Ich habe keine Ahnung. Rückblickend ist es mir ein Rätsel, wie ich in der Lage war, meine Bücher zu schreiben. Die Erinnerungen der letzten Jahre sind irgendwie verschwommen. Und meine postnatale Depression hat mein Leben bestimmt nicht einfacher gemacht. Manchmal habe ich dagesessen, gleichzeitig geweint und geschrieben und versucht, mir immer wieder vor Augen zu halten, dass ich mir meinen Traum erfülle und dass es die harte Arbeit wert ist.
Wie schreiben Sie ein Buch?
Camilla Läckberg: Es fängt immer mit einer klitzekleinen Idee an. Zum Beispiel im Falle meines fünften Buches, Engel aus Eis, gab es einen Grabstein auf dem Friedhof von Fjällbacka, der mich immer fasziniert hat - es handelt sich um den Grabstein, der auf dem schwedischen Cover abgebildet ist. Der Anblick dieses Grabsteins reichte aus, dass ich mir Opfer, Motiv und Mörder gut vorstellen konnte - ohne diese drei Faktoren bringe ich nichts zu Papier.
Was ich habe, schreibe ich als eine Art Abriss in ein Word-Dokument. Am Anfang habe ich wenig mehr als einige Zeilen mit Gedanken und Ideen. Der Abriss fungiert dann als eine Art dynamisches Dokument. Ich fange an zu schreiben, und während ich schreibe, fällt mir immer mehr zu den Figuren und zur Entwicklung der Handlung ein. Sobald ich einen neuen Gedanken habe, füge ich ihn in den Abriss ein.
Die ersten fünfzig bis siebzig Seiten sind für mich am schwierigsten zu schreiben. Da muss ich nämlich eine Handlung „finden" und den Figuren Eigenschaften geben - also, zumindest den meisten; manche können auch später hinzukommen. Aber ich muss die Hauptfiguren charakterisieren. Und dann geht's erst so richtig los, wenn ich ungefähr hundert Seiten geschrieben habe. Vorher gelingt es mir, maximal fünf Seiten pro Tag zu schreiben, aber ab dem Punkt werden es nach und nach immer mehr. Wenn ich um die hundertfünfzig Seiten geschrieben habe, ist meine Vorstellung von der Handlung konkret genug, dass ich schneller werde und durchschnittlich zehn Seiten pro Tag schreibe, an guten Tagen sogar mehr, bis zu fünfzehn oder zwanzig Seiten. Das ist ein tolles Gefühl. Als würden sich meine Finger von selbst bewegen. Aber das ist selten.
Viele Einzelheiten der Geschichten entstehen während des Schreibens. Wenn ich anfange zu schreiben, habe ich das Buch nie klar vor Augen, und immer, wenn ich den ersten Buchstaben tippe, sitze ich da, raufe mir die Haare und frage mich: „Wie zum Teufel soll es mir gelingen, anhand dieses einen klitzekleinen Gedankens um die vierhundert Seiten zu füllen?" Aber irgendwie gelingt es mir immer. Die Geschichte und die Figuren entwickeln während des Schreibens ein Eigenleben.
Wie redigieren Sie Ihre Bücher?
Camilla Läckberg: Zunächst einmal verschwende ich keinen Gedanken daran, bis ich das Buch zu Ende geschrieben habe. Während des Schreibens fange ich nie mit dem Redigieren an.
Dann drucke ich alles aus, setze mich hin und lese es von Anfang bis Ende, während ich im Text Stellen markiere, die korrigiert werden müssen: Wörter, Grammatik, Wiederholungen, doppelte Leerzeichen, krumme Syntax, falsche Namen etc. Neben mir liegt auch immer ein Notizblock, auf dem ich Einzelheiten notiere, die ich nachschlagen muss.
Wie finden Sie zum Schreiben die nötige Ruhe?
Camilla Läckberg: Da kann ich keinen guten Rat geben. Wie Sie wissen, schrieb ich mein erstes Buch, als ich noch in Vollzeit als Projektmanagerin arbeitete, und das zweite, während ich schwanger und in Mutterschutz war. Aber um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, wie ... In dem allgemeinen Chaos fand ich scheinbar die Zeit zum Schreiben. Ich war damals nicht besonders organisiert, aber ich habe mich immer an den Roman gesetzt, wenn sich die Gelegenheit bot. Das ist dann auch eine Frage der Prioritäten. Das Schreiben stand für mich immer an erster Stelle, da blieben Treff en mit Freunden, Putzen etc. meistens auf der Strecke.
Aber es nützt nichts, einfach darauf zu warten, dass es ruhig um dich herum wird, um mit dem Schreiben loszulegen; genauso wenig nützt es, darauf zu warten, dass dich die Muse küsst. Ich habe es schon mal gesagt, und ich sage es wieder: Alles, was du machen kannst, ist dich mit deinem Hintern auf einen Stuhl zu setzen! Anders geht es nicht. Es ist ja nicht so, als wenn dich auf einmal eine buddhistische, Zen-artige Ruhe überkommt, bis die Worte aus dir heraussprudeln. Eine derartige innere Ruhe hatte ich noch nie, ganz im Gegenteil, oft setzen mir Stress, Ängste und allgemeiner Leistungsdruck zu, wenn ich mich zum Schreiben hinsetze. Freude kommt erst hinzu, wenn ich einmal im Fluss bin. Aber so läuft das nicht immer. Ehrlich gesagt ist es natürlich auch viel einfacher, wenn man einen Partner hat, der hinter einem steht. Als ich Die Eisprinzessin schläft schrieb, sagte mein Exmann immer zu mir: „Schreib du nur, und überlass mir das Geschirr und die Wäsche." Er hat mich immer darin unterstützt, eine Karriere als Schriftstellerin zu machen. Und das ist unglaublich wichtig!
Zusammengefasst heißt das: Vergeude deine Zeit nicht damit, darauf zu warten, dass alle äußeren Faktoren stimmig sind, bevor du anfangen kannst zu schreiben. Das wird nie geschehen, und du wirst nie etwas zu Papier bringen. So ist das halt. Du musst dich einfach hinsetzen und es tun. Jetzt. Heute. Nicht Montag. Nicht, wenn du erst alles sauber gemacht hast. Nicht, wenn die Kinder groß sind. Nicht, wenn erst das Unmögliche möglich geworden ist. JETZT!
Haben Sie kleine Rituale, wenn Sie arbeiten?
Camilla Läckberg: Mein Ritual besteht hauptsächlich darin, wie eine aufgescheuchte Glucke um den Computer herumzustapfen und immer alle möglichen Ausreden zu finden, mich nicht hinzusetzen und zu arbeiten. Aber ich sorge immer dafür, dass eine Kanne mit frischem Kaffee und eine volle Tasse neben mir stehen, wenn ich anfange. Und meistens sitze ich im Wohnzimmer vor dem Fernseher oder in der Küche mit Kopfhörern auf, um Musik zu hören. Ich arbeite nicht gern in der Stille. Außerdem lege ich eine Decke auf den Tisch vor den Computer, um den Kontakt zwischen der Oberfläche und meinen Handgelenken weicher zu machen. Während des Schreibens beginnen meine Handgelenke immer mehr zu schmerzen, und zum Ende hin ziehe ich die Liza-Marklund-Lösung in Betracht - die Kollegin schient während des Schreibens ihre Unterarme. Aber damit komme ich nicht gut zurecht, also beiße ich die Zähne zusammen und mache in der Hoffnung weiter, dass meine Handgelenke nicht aufgeben, bevor ich die letzte Zeile geschrieben habe.
Während des Schreibens vernachlässige ich auch meine Nägel. Ich, die ich mir sonst so viel auf meine Nägel einbilde! Ich verliere keinen Gedanken an sie, wenn ich mich in einer Schreibphase befinde. Dadurch, dass ich den ganzen Tag auf der Tastatur des Computers herumtippe, trocknen meine Nägel aus, sie reißen dann oft ein, brechen ab und werden immer schlimmer. (Natürlich könnte ich sie ölen, aber bitte, wer kann sich am Abend schon die Zeit dafür nehmen?)
Abgesehen davon, fällt mir wirklich nichts Besonderes ein das ich mache, wenn ich schreibe. Ich habe keine außergewöhnlichen Eigenheiten. Ich schreibe nur.
Aber vielleicht sollte ich es wie Dan Brown machen. Mich kopfüber in meine Hängeschuhe hängen. Und jede halbe Stunde Sit-ups machen.
Camilla Läckberg: Ich habe Erica bewusst fünf Jahre älter gemacht als mich, damit wir uns nicht zu sehr ähneln. Aber es stimmt schon, dass sie viele meiner Eigenschaften verkörpert, daran gibt es keinen Zweifel. Vor allem meine persönlichen Erfahrungen spiegeln sich in ihr wider, zum Beispiel die postnatale Depression.
Hat jemand Ihr erstes Manuskript, Die Eisprinzessin schläft, gelesen, bevor Sie es an Verlage geschickt haben?
Camilla Läckberg: Ich habe in den sauren Apfel der potentiellen Erniedrigung gebissen und mich entschlossen, es einigen Personen zum Lesen gegeben: Familienmitgliedern, guten Freunden, auf deren Urteilsvermögen ich vertraue, und Gunilla, der Tante meiner Freundin Bella, die einige Jahre für die Buchmesse gearbeitet hat und die Verlagsbranche gut kennt. Ich habe viele Anregungen bekommen und mich gründlich mit allen Vorschlägen auseinandergesetzt.
Ich habe mein Manuskript sieben oder acht Mal gelesen und überarbeitet. Meiner Meinung nach ist es unglaublich wichtig, ein sauber überarbeitetes Manuskript einzureichen. Da sollte man penibel sein, wenn man verlegt werden möchte.
Ich bekam die Manuskripte nicht nur mit markierten Tippfehlern, Grammatikfehlern etc. zurück. Das Feedback bestand zum Beispiel auch aus Ungereimtheiten, die im Manuskript aufgefallen waren, wie zum Beispiel: „Auf S. 78 verstehe ich nicht, wie Patrik auf einmal erkennen kann, dass ..." - Sie verstehen, worauf ich hinauswill.
Alles in allem lautet mein Rat: Es geht nichts über ein sorgfältig redigiertes Manuskript!
Und wenn es dir unangenehm ist, andere dein Manuskript lesen zu lassen, dann erinnere dich immer daran, dass du das in der Hoffnung machst, einen Verleger zu finden sowie eine nicht unerhebliche Leserschaft zu erreichen!
Was war Ihre Motivation, Die Eisprinzessin schläft zu schreiben?
Camilla Läckberg: Über die Idee des Romans habe ich, nachdem ich einen Bericht in den Nachrichten gesehen hatte, mehrere Jahre nachgedacht. Es ging um die Verjährungsfrist für Mord in Schweden (25 Jahre). Ich fragte mich, was wohl geschieht, wenn die Verjährung immer näher rückt, ob dadurch noch mal Prozesse in Gang gesetzt werden - sowohl bei Familie und Freunden des Opfers als auch beim Mörder, der immer noch auf freiem Fuß ist. Auf diesen Überlegungen basierend entstand schließlich der Roman Die Eisprinzessin schläft.
Später, im Laufe meines Krimiautoren- Seminars, entschloss ich mich dann, über Fjällbacka zu schreiben, nachdem mein Dozent Peter Gissy mir den Rat gegeben hatte, „über das Umfeld zu schreiben, das mir am meisten vertraut ist". Es war mir sofort klar, dass die Handlung im Winter stattfinden würde, da die meisten Menschen Fjällbacka nur im Sommer kennen. Es hat Spaß gemacht, den Menschen die andere Seite des Städtchens zu zeigen. Die Jahreszeit passte auch zur Stimmung, die ich schaff en wollte: Von Menschen, die zugemacht und sich zurückgezogen hatten, die wie eingefroren waren, wegen etwas, das vor langer Zeit passiert war. Seitdem gab es für mich immer eine Verbindung zwischen der Jahreszeit und der Stimmung, die das Buch vermitteln sollte.
Erica war meine erste Romanfigur. Auf gar keinen Fall wollte ich einen weiteren Polizeiroman schreiben (nun ja, zumindest dachte ich das am Anfang!), und es war klar, dass meine Hauptfigur eine Frau und Schriftstellerin sein würde. Aber nachdem ich mit dem Buch schon etwas weiter fortgeschritten war, musste ich einsehen, dass es gar nicht so einfach war, eine Privatperson auf eigene Faust Mordfälle lösen zu lassen. Daraufhin erschien - voilà - Patrik auf der Bildfläche. Und um ihn herum gruppierte ich die restlichen Figuren der Polizeiwache.
Die erste der Nebenfiguren war Alex, das Opfer. Sie ist der eigentliche Mittelpunkt der Geschichte, um sie herum breiten sich alle anderen wie ein Fächer aus. Um ehrlich zu sein, kann ich mich, wenn ich zurückblicke, kaum daran erinnern, wie bestimmte Figuren in meinen Büchern entstehen.
Und ich wollte aus Erica und Patrik so gut es geht ein „normales" Paar machen. Keine Superhelden, nur nette Menschen mit Hüftgold und alltäglichen Sorgen, die wie wir das Bedürfnis haben, Arbeit und Zuhause miteinander in Einklang zu bringen. Und dann lässt sich natürlich kaum vermeiden, dass ich aus meinem eigenen Erfahrungsschatz schöpfe.
Wann haben Sie beschlossen, Ihren Job an den Nagel zu hängen?
Camilla Läckberg: Ich arbeitete beim Energiekonzern Fortum als Produktmanagerin in der Telekommunikationssparte, als ich nach der Geburt meines ersten Sohnes Wille Mutterschaftsurlaub nahm. Als er drei Monate alt war, hat Fortum viele Mitarbeiter entlassen, und ich war eine von ihnen. Für mich war das der Auslöser, meiner Bestimmung als Schriftstellerin nachzugehen. Zunächst nahm ich jedoch eine neue Festanstellung an, meine Tochter Meja wurde geboren, und ich nahm wieder Mutterschaftsurlaub. In der Zeit habe ich nur geschrieben. Als dann mein Mutterschaftsurlaub zu Ende war, hatte ich mir schon eine Basis aufgebaut, die es mir erlaubte, von meiner Arbeit als Schriftstellerin zu leben.
Was für Bücher lieben Sie?
Camilla Läckberg: Ich bin ein totaler Krimi-Junkie. Achtzig Prozent der Bücher, die ich lese, sind Kriminalromane. Zu meinen Lieblingsautoren gehören Peter Robinson, Reginald Hill, Andrew Taylor, Mari Jungstedt, Håkan Nesser und Åsa Larsson.
Waren Sie jemals Mitglied in einem Buchclub?
Camilla Läckberg: Ich war in einem Buchclub für Kinder und im Disneyclub. Ich habe eine riesengroße Kinderbuchsammlung, an der sich jetzt meine eigenen Kinder erfreuen. Es macht Spaß, diese Bücher heute mit „erwachsenen" Augen zu lesen. Barbapapa ist die reinste kommunistische Propaganda! :-)
Sie erzählen in Interviews immer sehr viel von sich. Wo ziehen Sie da die Grenze?
Camilla Läckberg: Das bleibt wohl jedem selbst überlassen, wie viel Privates man preisgibt. Ich selbst bin ziemlich redefreudig und ein offenherziger Mensch, und es würde sich für mich einfach falsch anfühlen, mich Journalisten gegenüber anders zu verhalten. Außerdem bin ich viel zu langweilig, und ich biete zu wenig Stoff, in dem man herumwühlen könnte. Was mich persönlich betrifft, mache ich mir darüber also nicht allzu viele Sorgen. Aber hinsichtlich der Kinder haben mein Mann und ich viele Regeln. Mein Blog, zum Beispiel, enthält niemals Bilder von ihnen, und ich zeige nur Fotos, die schon mal an anderer Stelle veröffentlicht wurden. Vor allem respektiere ich, wenn die Kinder nicht fotografiert werden möchten. Irgendwann wird eine Zeit kommen, wenn sie gar keine Lust mehr darauf haben werden - aber bis jetzt sehen sie es als Spaß an, und wir beziehen sie mit ein, wenn sie es möchten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie meine Tochter einen Wutanfall bekam, als ein Fotograf einige Fotos von mir ohne sie für ein Interview machen wollte. Sie hat dagesessen und geheult: „Meja will auch mitmachen!" Ich finde nichts dabei.
Gibt es Bücher, die Sie nach einigen Seiten nicht mehr weiterlesen konnten?
Camilla Läckberg: Pferdebücher! Ich habe versucht, Pferdebücher und -magazine zu lesen, aber ich bekam davon Kopfschmerzen ... Ich gehöre zu den Leuten, die Pferde am liebsten zwischen Burgerbrötchen sehen. Nein, ich mache Spaß! Liebe Tierliebhaber, bitte verschont mich mit bösen Briefen!
Wie schaffen Sie es, sich an all Ihre Ideen zu erinnern?
Camilla Läckberg: Ich habe mir noch nie Einfälle auf Zettelchen oder so was notiert. Ich gehöre noch zur Schule derer, die folgender Meinung sind: Wenn man einen Einfall am nächsten Tag schon vergessen hat, dann kann er nicht gut gewesen sein. Aber wenn man sich Einfälle aufschreiben will, sollte man immer Notizblock und Kugelschreiber bei sich haben, damit man sich nicht merken muss, wo man diese vertrackten Zettelchen schon wieder hingepackt hat.
Was war Ihr erstes prägendes Leseerlebnis?
Camilla Läckberg: Einfach alles! Ich war der reinste Bücherwurm, als ich klein war. Es war alles dabei. Ich entdeckte schnell die Agatha-Christie- Sammlung meines Vaters, und die habe ich verschlungen. Bis ich elf oder zwölf war, hatte ich fast alle ihre Bücher gelesen. Am liebsten las ich die Krimis mit Miss Marple. Auch Sagas hatten es mir angetan - Sie wissen schon, zum Beispiel diese schweren Bände über Wikingergeschichten. Ich hatte auch viele Comics. Ich gab mein ganzes Taschengeld dafür aus, vor allem für Agent X9 und auch für Korak - Tarzans Sohn, Das Phantom etc. Und wenn ich mich recht erinnere, lieh ich mir viele Comics aus der Bücherei aus - Li'l Abner und Daisy May, Prinz Eisenherz, um nur einige zu nennen. Ich mochte auch Elfquest sehr. Davon habe ich eine schöne Sammlung, die sogar einiges wert ist; leider fehlt mir der wertvollste und zwar der erste Band.
Auch die Nancy-Drew-Bücher gehörten natürlich dazu, obwohl mir die Mary- Lou-Reihe noch besser gefiel. Ich hatte auch eine Fantasyphase, in der ich natürlich alle Narnia-Bände und Der Herr der Ringe las, aber auch alle Bücher von Ursula K. Le Guin über einen Zauberer namens Ged usw. Als ich älter wurde, las ich Ayla und das Tal der Pferde, Bücher von Jackie Collins, Das Tal der Puppen und Ähnliches ... Ich mochte auch Sparres historische Romane.
Einige der Bücher aus meiner Kindheit begleiten mich immer noch, wie Der Junge aus London und A Solitary Blue (aus der Tillermann-Saga). Und dann muss ich noch die Bücher von Stephen King und Dean R. Koontz erwähnen, meine Güte, wie ich die verschlungen habe!
Woher wissen Sie so viel über Polizeiarbeit?
Camilla Läckberg: Ich hatte glücklicherweise immer schon ein ausgeprägtes Interesse an Polizeiarbeit und habe also viel Belletristik, aber auch Sachbücher zu diesem Thema gelesen. Auf dieses Basiswissen konnte ich aufbauen. Natürlich bin ich keine Expertin dafür, wie diese Dinge wirklich vonstattengehen, aber Fiktion muss nicht immer total realistisch sein. Wenn man polizeiliche Untersuchungen in einem Kriminalroman zu hundert Prozent realistisch beschreiben würde, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Leser das Buch nach spätestens zehn Seiten zur Seite legen.
Aber ich habe einige Kontakte, mit denen ich Einzelheiten abklären kann, und kenne echte Polizeibeamte in der Polizeiwache von Tanumshede, denen ich mein Manuskript zum Gegenlesen vorlege, wenn es fertig ist, damit sie eventuelle Fehler anstreichen können.
Wann haben Sie ernsthaft mit dem Schreiben angefangen?
Camilla Läckberg: Da ich zunächst davon ausgegangen war, dass ich niemals Schriftstellerin werden könnte, habe ich BWL studiert. Aber ich hasste es. Bei der Arbeit habe ich immer mein Bestes gegeben, aber sonntagabends saß ich in Erwartung der nächsten Arbeitswoche oft mit Bauchschmerzen da.
Schließlich, nachdem ein Freund genug davon hatte, dass ich ständig alle damit nervte, wie gern ich doch Schriftstellerin werden wollte, fand er einen Kurs für mich, den ich dann von meinem Mann, meiner Mutter und meinem Bruder zu Weihnachten geschenkt bekam. Es war ein Krimiautoren-Kurs, der von der Schriftstellervereinigung Ordfront organisiert wurde.
Der Kurs war großartig. Wir waren zwölf Teilnehmerinnen - ausschließlich Frauen. Sie hatten ihn nur für Frauen ausgeschrieben, um die Zahl der Kriminalautorinnen anzukurbeln! Natürlich können heute auch Männer den Kurs besuchen...
An drei Wochenenden wurden wir in Göteborg von Kriminalautor Peter Gissy in der edlen Kunst des Krimischreibens unterwiesen. Der Kurs deckte einen Großteil der Techniken ab, die ich bis heute verwende, aber das Wichtigste, was mir der Kurs vermittelte, war das Gefühl, dass es tatsächlich möglich ist, ein Buch zu schreiben - einen Kriminalroman. Dass es sich nicht um eine Art geheimnisvollen Hokuspokus handelt, sondern dass man es mit einem hart erarbeiteten Text zu tun hat. Ich habe Die Eisprinzessin schläft tatsächlich während dieses Kurses angefangen zu schreiben. Zwei der Teilnehmerinnen des Kurses sind seitdem verlegt worden.
Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um Die Eisprinzessin schläft fertig zu schreiben. Ich hatte zwischen fünfzig und sechzig Seiten geschrieben, als auf einmal mein Selbstvertrauen in sich zusammenfiel und ich dachte, dass dies „nur ein Haufen Scheiße war, den niemand niemals lesen würde", und legte es für einige Monate beiseite. Dann kehrte meine Lust am Schreiben zurück, ich schrieb weitere sechzig Seiten, und wieder war ich mit den Nerven am Ende. Als ich dann mit meinem Sohn schwanger wurde, erkannte ich, dass wenn mein Buch jemals fertig geschrieben werde sollte, dies vor der Geburt meines Sohnes geschehen musste. Den kompletten Sommer 2002 über klebte meine Nase an der Tastatur, und im August war das Manuskript fertig!
Wie haben Sie davon geträumt, Schriftstellerin zu werden?
Camilla Läckberg: Mein ganzes Leben lang! Zumindest so lange, wie ich denken kann. Schon mit vier oder fünf Jahren zeichnete ich kleine Geschichten, aus denen ich dann Bücher bastelte. Ein Mal stellte ich in Massenanfertigung einen ganzen Korb voller kleiner Bücher her, den ich zum Seniorenheim in Fjällbacka trug, wo ich die Bücher dann an die Bewohner verteilte.
Sie haben einen Agenten. Worin besteht eigentlich die Arbeit einer Literaturagentur?
Camilla Läckberg: Ich kann natürlich nichts dazu sagen, wie andere Agenten arbeiten, aber in Schweden ist die Nordin Agentur eine der wenigen, die ihre Autoren sowohl im Ausland als auch zu Hause vertritt. Sie handeln Verträge mit ausländischen Verlagen aus, ich werde von ihnen in Schweden vertreten, und über sie laufen alle Gespräche mit meinem Verleger, wenn es zum Beispiel um Verträge und Marketing geht.
Wie haben Sie es geschafft, mit zwei Kindern Zeit zum Bücherschreiben zu finden?
Camilla Läckberg: Ich habe keine Ahnung. Rückblickend ist es mir ein Rätsel, wie ich in der Lage war, meine Bücher zu schreiben. Die Erinnerungen der letzten Jahre sind irgendwie verschwommen. Und meine postnatale Depression hat mein Leben bestimmt nicht einfacher gemacht. Manchmal habe ich dagesessen, gleichzeitig geweint und geschrieben und versucht, mir immer wieder vor Augen zu halten, dass ich mir meinen Traum erfülle und dass es die harte Arbeit wert ist.
Wie schreiben Sie ein Buch?
Camilla Läckberg: Es fängt immer mit einer klitzekleinen Idee an. Zum Beispiel im Falle meines fünften Buches, Engel aus Eis, gab es einen Grabstein auf dem Friedhof von Fjällbacka, der mich immer fasziniert hat - es handelt sich um den Grabstein, der auf dem schwedischen Cover abgebildet ist. Der Anblick dieses Grabsteins reichte aus, dass ich mir Opfer, Motiv und Mörder gut vorstellen konnte - ohne diese drei Faktoren bringe ich nichts zu Papier.
Was ich habe, schreibe ich als eine Art Abriss in ein Word-Dokument. Am Anfang habe ich wenig mehr als einige Zeilen mit Gedanken und Ideen. Der Abriss fungiert dann als eine Art dynamisches Dokument. Ich fange an zu schreiben, und während ich schreibe, fällt mir immer mehr zu den Figuren und zur Entwicklung der Handlung ein. Sobald ich einen neuen Gedanken habe, füge ich ihn in den Abriss ein.
Die ersten fünfzig bis siebzig Seiten sind für mich am schwierigsten zu schreiben. Da muss ich nämlich eine Handlung „finden" und den Figuren Eigenschaften geben - also, zumindest den meisten; manche können auch später hinzukommen. Aber ich muss die Hauptfiguren charakterisieren. Und dann geht's erst so richtig los, wenn ich ungefähr hundert Seiten geschrieben habe. Vorher gelingt es mir, maximal fünf Seiten pro Tag zu schreiben, aber ab dem Punkt werden es nach und nach immer mehr. Wenn ich um die hundertfünfzig Seiten geschrieben habe, ist meine Vorstellung von der Handlung konkret genug, dass ich schneller werde und durchschnittlich zehn Seiten pro Tag schreibe, an guten Tagen sogar mehr, bis zu fünfzehn oder zwanzig Seiten. Das ist ein tolles Gefühl. Als würden sich meine Finger von selbst bewegen. Aber das ist selten.
Viele Einzelheiten der Geschichten entstehen während des Schreibens. Wenn ich anfange zu schreiben, habe ich das Buch nie klar vor Augen, und immer, wenn ich den ersten Buchstaben tippe, sitze ich da, raufe mir die Haare und frage mich: „Wie zum Teufel soll es mir gelingen, anhand dieses einen klitzekleinen Gedankens um die vierhundert Seiten zu füllen?" Aber irgendwie gelingt es mir immer. Die Geschichte und die Figuren entwickeln während des Schreibens ein Eigenleben.
Wie redigieren Sie Ihre Bücher?
Camilla Läckberg: Zunächst einmal verschwende ich keinen Gedanken daran, bis ich das Buch zu Ende geschrieben habe. Während des Schreibens fange ich nie mit dem Redigieren an.
Dann drucke ich alles aus, setze mich hin und lese es von Anfang bis Ende, während ich im Text Stellen markiere, die korrigiert werden müssen: Wörter, Grammatik, Wiederholungen, doppelte Leerzeichen, krumme Syntax, falsche Namen etc. Neben mir liegt auch immer ein Notizblock, auf dem ich Einzelheiten notiere, die ich nachschlagen muss.
Wie finden Sie zum Schreiben die nötige Ruhe?
Camilla Läckberg: Da kann ich keinen guten Rat geben. Wie Sie wissen, schrieb ich mein erstes Buch, als ich noch in Vollzeit als Projektmanagerin arbeitete, und das zweite, während ich schwanger und in Mutterschutz war. Aber um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, wie ... In dem allgemeinen Chaos fand ich scheinbar die Zeit zum Schreiben. Ich war damals nicht besonders organisiert, aber ich habe mich immer an den Roman gesetzt, wenn sich die Gelegenheit bot. Das ist dann auch eine Frage der Prioritäten. Das Schreiben stand für mich immer an erster Stelle, da blieben Treff en mit Freunden, Putzen etc. meistens auf der Strecke.
Aber es nützt nichts, einfach darauf zu warten, dass es ruhig um dich herum wird, um mit dem Schreiben loszulegen; genauso wenig nützt es, darauf zu warten, dass dich die Muse küsst. Ich habe es schon mal gesagt, und ich sage es wieder: Alles, was du machen kannst, ist dich mit deinem Hintern auf einen Stuhl zu setzen! Anders geht es nicht. Es ist ja nicht so, als wenn dich auf einmal eine buddhistische, Zen-artige Ruhe überkommt, bis die Worte aus dir heraussprudeln. Eine derartige innere Ruhe hatte ich noch nie, ganz im Gegenteil, oft setzen mir Stress, Ängste und allgemeiner Leistungsdruck zu, wenn ich mich zum Schreiben hinsetze. Freude kommt erst hinzu, wenn ich einmal im Fluss bin. Aber so läuft das nicht immer. Ehrlich gesagt ist es natürlich auch viel einfacher, wenn man einen Partner hat, der hinter einem steht. Als ich Die Eisprinzessin schläft schrieb, sagte mein Exmann immer zu mir: „Schreib du nur, und überlass mir das Geschirr und die Wäsche." Er hat mich immer darin unterstützt, eine Karriere als Schriftstellerin zu machen. Und das ist unglaublich wichtig!
Zusammengefasst heißt das: Vergeude deine Zeit nicht damit, darauf zu warten, dass alle äußeren Faktoren stimmig sind, bevor du anfangen kannst zu schreiben. Das wird nie geschehen, und du wirst nie etwas zu Papier bringen. So ist das halt. Du musst dich einfach hinsetzen und es tun. Jetzt. Heute. Nicht Montag. Nicht, wenn du erst alles sauber gemacht hast. Nicht, wenn die Kinder groß sind. Nicht, wenn erst das Unmögliche möglich geworden ist. JETZT!
Haben Sie kleine Rituale, wenn Sie arbeiten?
Camilla Läckberg: Mein Ritual besteht hauptsächlich darin, wie eine aufgescheuchte Glucke um den Computer herumzustapfen und immer alle möglichen Ausreden zu finden, mich nicht hinzusetzen und zu arbeiten. Aber ich sorge immer dafür, dass eine Kanne mit frischem Kaffee und eine volle Tasse neben mir stehen, wenn ich anfange. Und meistens sitze ich im Wohnzimmer vor dem Fernseher oder in der Küche mit Kopfhörern auf, um Musik zu hören. Ich arbeite nicht gern in der Stille. Außerdem lege ich eine Decke auf den Tisch vor den Computer, um den Kontakt zwischen der Oberfläche und meinen Handgelenken weicher zu machen. Während des Schreibens beginnen meine Handgelenke immer mehr zu schmerzen, und zum Ende hin ziehe ich die Liza-Marklund-Lösung in Betracht - die Kollegin schient während des Schreibens ihre Unterarme. Aber damit komme ich nicht gut zurecht, also beiße ich die Zähne zusammen und mache in der Hoffnung weiter, dass meine Handgelenke nicht aufgeben, bevor ich die letzte Zeile geschrieben habe.
Während des Schreibens vernachlässige ich auch meine Nägel. Ich, die ich mir sonst so viel auf meine Nägel einbilde! Ich verliere keinen Gedanken an sie, wenn ich mich in einer Schreibphase befinde. Dadurch, dass ich den ganzen Tag auf der Tastatur des Computers herumtippe, trocknen meine Nägel aus, sie reißen dann oft ein, brechen ab und werden immer schlimmer. (Natürlich könnte ich sie ölen, aber bitte, wer kann sich am Abend schon die Zeit dafür nehmen?)
Abgesehen davon, fällt mir wirklich nichts Besonderes ein das ich mache, wenn ich schreibe. Ich habe keine außergewöhnlichen Eigenheiten. Ich schreibe nur.
Aber vielleicht sollte ich es wie Dan Brown machen. Mich kopfüber in meine Hängeschuhe hängen. Und jede halbe Stunde Sit-ups machen.
... weniger
Bibliographische Angaben
- Autor: Camilla Läckberg
- 2013, 2. Aufl., 454 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Frey, Katrin
- Übersetzer: Katrin Frey
- Verlag: BLANK
- ISBN-10: 3471350845
- ISBN-13: 9783471350843
- Erscheinungsdatum: 04.01.2014
Rezension zu „Erica Falck & Patrik Hedström Band 8: Die Engelmacherin “
"Schwedens 'Königin des Kriminalromans' wird ihrem Titel einmal mehr gerecht.", Hörzu, 10.01.2014
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