Erkämpfte Freiheit
Erinnerungen
Hans Küngs großer Lebensbericht: Seine Kindheit und Jugend in der Schweiz, seine Eliteausbildung am päpstlichen "Collegium Germanicum", sein Weg zum jungen Theologen des Konzils. Küng schildert seinen unerbittlichen Kampf um die Freiheit des Denkens ebenso...
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Produktinformationen zu „Erkämpfte Freiheit “
Hans Küngs großer Lebensbericht: Seine Kindheit und Jugend in der Schweiz, seine Eliteausbildung am päpstlichen "Collegium Germanicum", sein Weg zum jungen Theologen des Konzils. Küng schildert seinen unerbittlichen Kampf um die Freiheit des Denkens ebenso wie seine Begegnungen mit Päpsten, Präsidenten und Menschen in allen Erdteilen. Hans Küngs großer Lebensbericht über seine Ausbildung am päpstlichen Eliteinstitut "Collegium Germanicum", seinen Weg zum jungen Theologen des Konzils und seine Begegnungen mit Päpsten, Präsidenten und mit Menschen in allen Erdteilen.
Klappentext zu „Erkämpfte Freiheit “
In Rom kannte sie jeder: Die "cardinaletti", die Studenten des Collegium Germanicum in ihren roten Roben. Unter den Augen des Papstes wurden sie zur künftigen Elite ausgebildet: Sieben Jahre lang Studium, in Latein selbstverständlich, ein streng reglementierter Tagesablauf, genaueste Vorschriften über Benehmen, Auftreten, ja Denken. Der junge Hans Küng erfährt am eigenen Leib das Zwanghafte des römischen Systems: Der Kampf um Freiheit wird sein Lebensthema. Sehr persönlich erzählt er hier über seine Schweizer Jugend und den Entschluß, Priester zu werden, über manche Zweifel und Kämpfe in Rom und Paris und seine Erfahrungen als junger Professor. Zum prägenden Erlebnis wurde das Konzil, bei dem er Einblicke über die Kämpfe hinter den Kulissen gewann. Begegnungen mit Präsidenten wie John F. Kennedy, mit Päpsten wie Johannes XXIII. und Paul VI. und mit Menschen aus allen Erdteilen schildert er zugleich mitreißend und analytisch. Eine ebenso gedankenreiche wie glänzend erzählte Autobiographie über Küngs erste vier Jahrzehnte und seinen Kampf um ein ursprüngliches Christentum.
Lese-Probe zu „Erkämpfte Freiheit “
Zum Gespräch beim GroßinquisitorAuf Donnerstag, 14. Oktober 1965, 12 Uhr hat er mich bestellt - in den Palazzo des Sanctum Officium im ersten Stock. Sein Auftritt hätte nicht theatralischer inszeniert werden können: Beim ersten mächtigen Glockenschlag der Peterskirche werden die beiden Flügeltüren des Saales gleichzeitig mit einem Knall von einem Monsignore aufgestoßen, und im Türrahmen steht er in seiner ganzen purpurnen Pracht: der vielgefürchtete Großinquisitor, der Chef des Sanctum Officium, Kardinal Alfredo Ottaviani. Und schlägt das Kreuz und betet laut: "Angelus Domini nuntiavit Mariae - der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft." Ich antworte mit fester Stimme auf Latein: "Et concepit de Spiritu Sancto - Und empfing vom Heiligen Geist." Und so abwechselnd der ganze "Angelus Domini" mit seinen drei Ave Maria. Ich kann den Gedanken nicht verscheuchen, wie da wohl andere, an solche fromme römische Sitten nicht gewöhnt, verdattert dagestanden hätten.
Erst dann begrüßt mich der Kardinal, und wir setzen uns auf die barocken rot-goldenen Sessel. Das eine Auge aufgrund einer Altersschwäche halb geschlossen, starrt er mich mit dem anderen umso mehr an - aber wieviel sieht er? Ich möge nicht gleich anschließend auf der Piazza di San Pietro eine Pressekonferenz abhalten, meint er einleitend. Nichts fürchtet man in der Tat bei der Inquisition so sehr wie die Öffentlichkeit. Dann spricht der Kardinal mich mit deutlich lokalrömischer Aussprache des Italienischen ("romanaccio") an auf meinen kritischen Artikel nach der dritten Konzilssession. Besonders regt ihn auf, daß ich behauptet habe, die Glaubwürdigkeit des Papstes sei infolge der Ereignisse der "settimana nera" auf Null abgesunken. Er belehrt mich über die Bedeutung des Papsttums in schwieriger Zeit. Ich sei schließlich in Rom groß geworden, hätte hier sieben Jahre gelebt und studiert und viel empfangen. Da dürfe man doch erwarten, daß ich treu zum Papst stehe, ganz und gar loyal in uneingeschränkter
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Solidarität. Ich höre den Kardinal an, ohne zu unterbrechen. Er gilt als wandelndes Lexikon aller römischen Vorschriften, Dogmen, Prinzipien - ohne jedes Sensorium jedoch für das, was heute so viele Katholiken zutiefst aufwühlt.
Natürlich hätte ich nun im einzelnen erklären können, nicht den Papst lehne ich ab, sondern den Papalismus, nicht das römische Zentrum, sondern dessen - nun auch im Konzil kritisierten - Zentralismus, Juridismus und Triumphalismus. Aber soll ich mich auf eine theologische Diskussion einlassen mit einem Kirchenrechtler und Dogmatiker, der weder von Exegese noch von Dogmengeschichte etwas versteht und der vor dem Konzil kirchlichen Buchzensoren erklärt hatte, die moderne katholische Theologie komme ihm vor "wie ein Kreuzworträtsel"? Der aber trotzdem der Überzeugung ist, er, der oberste Glaubenshüter, sei in jedem Fall - selbst gegenüber dem Konzil - im Recht, weil er für den Papst selber steht? Ottaviani lebt und denkt - so werde ich es freilich erst später analysieren können - in einem anderen "Paradigma", lebt noch ganz in der mittelalterlich-gegenreformatorisch-antimodernen Konstellation von Kirche und Gesellschaft. Und deswegen kann ich mit ihm von meinem modern-postmodernen Paradigma aus so schwierig diskutieren wie ein Vertreter des modernen kopernikanischen Weltbildes mit einem Vertreter des alten ptolemäischen. Sonne, Mond und Sterne, Gott, Christus und die Kirche sind zwar für uns beide dieselben, aber wie wir diese Größen sehen, ist ganz und gar verschieden, verschieden eben je nach der "Konstellation", dem Paradigma. Wir leben in der selben Kirche und doch in einer anderen Welt.
Ich beobachte den Kardinal mit seinem Cäsarenkopf aufmerksam, während er seinen Monolog hält und fühle mit ihm beinahe so etwas wie Mitleid. Er, der den gefährlichen Spruch "Semper idem - immer derselbe" im Wappen trägt, ist im Dienst der Kurie alt geworden, fast erblindet und hoffnungslos hinter der Entwicklung von Theologie und Kirche zurückgeblieben. Doch nicht einmal eine Eiche kann "immer dieselbe" sein, wenn sie sich nicht "immer wieder verändert", Blätter abwirft und neue sprießen läßt und wächst.
Ihm gegenübersitzend, erinnere ich mich an die geradezu tragische Szene, wie Ottaviani schon am Ende der ersten Session das letzte seiner vier Schemata mit dem bezeichnenden Titel "De ecclesiae militantis natura - über die Natur der streitenden Kirche" vorgetragen hatte mit einem scharfen Kapitel über Autorität und die absolute Notwendigkeit der römischen Kirche für das Heil. Während er jedoch bei seiner ersten Konzilsrede am 14. Oktober selbstbewußt und selbstsicher geredet hatte, so jetzt eher gedämpft und traurig, wohl wissend, daß er die Zielscheibe der meisten, auch grausamen Konzilswitze ist ("o Gott, schließe seine Augen in deiner Allmacht auf ewig"). Doch mit seinem völlig aussichtslosen Schema wollte er zumindest mit Würde untergehen und sagte: "Ich erwarte die üblichen Litaneien von euch allen zu hören: es ist nicht ökumenisch und ist zu scholastisch, es ist nicht pastoral und zu negativ und ähnliche Klagen. Dieses Mal will ich euch ein Geständnis machen: diejenigen, die schon gewöhnt sind zu sagen 'tolle, tolle, substitue illud - nimm es weg und ersetze es', sind schon bereit zur Schlacht. Und ich will auch etwas anderes offenbaren: Schon bevor dieses Schema verteilt wurde, war ein alternatives Schema vorbereitet. So ist alles, was mir bleibt, zu verstummen. Denn wie die Schrift sagt: 'wo niemand hört, ist es sinnlos zu reden' (Acta I,4 p.9)." Der Kardinal hatte das Mikrophon eingeschaltet gelassen und sich aus der Aula unter allgemeiner Heiterkeit entfernt. Er wußte, im Konzil hatte er verloren. Nicht aber in der Kurie.
Was soll ich dem Chef des Offiziums nun sagen? Nachdem ich ihm sehr lange zugehört habe, unterbreche ich ihn freundlich: "Eminenza, darf ich nun auch etwas sagen?" Er: "Sì, sì, si capisce." Ich: "Eminenza, Lei sa: sono ancora giovane. - Sie wissen, ich bin noch jung." Da geht plötzlich ein Leuchten über das zerfurchte Gesicht des halbblinden 75jährigen Bäckersohnes aus Trastevere, der sich durch all die Jahre um ein dortiges Waisenhaus kümmerte: "Sì, sì, questo è vero, Sie sind noch jung, und als ich noch jung war, da hab ich auch viele Dinge gemacht, die ich später nicht mehr machte ..." Und so redet er weiter - offenkundig war er doch nicht so ganz "immer derselbe". Ich hatte zu seinem Herzen gesprochen, und er hat es mir ein wenig geöffnet. Dann versuche ich ihm einiges verständlich zu machen, wie ich zu Rom und dem Papst stehe.
Schließlich sagt er: Ich hätte doch an der Gregoriana studiert, deshalb solle ich dort mit zwei meiner Professoren reden, mit P. Bertrams, dem Kirchenrechtler, und mit P. Hentrich, früher zweiter Privatsekretär Pius XII. So werde ich denn in Gnaden ungestraft entlassen. Acht Tage später gehe ich an die Gregoriana und spreche mit den beiden Jesuiten, die mir ins Gewissen reden, aber - von einem kleinen Zornanfall des sonst so ruhigen P. Bertrams abgesehen - mich in keiner Weise bedrohen. Eines habe ich dabei eingesehen: Ich habe in meiner scharfen Kritik am Papst unterlassen zu erwähnen, daß er von seinem Standpunkt aus durchaus in guter Absicht gehandelt habe. Das hatte man mir vorgehalten: Was ich den Protestanten immer ausdrücklich zugestehe, hätte ich ja doch auch dem Papst zugestehen können. Das sehe ich ein. Aber daß ich es nicht getan hatte, geschah nicht, weil ich des Papstes gute Absichten bezweifelte, sondern weil ich sie als selbstverständlich voraussetzte. Giovanni Battista Montini ist für mich der Gefangene des römischen Systems!
Schon nach Veröffentlichung meiner kritischen Analyse der "settimana nera" in der dritten Konzilsperiode hatte ich am 17. Februar 1965 an den persönlichen Theologen des Papstes, jetzt als Bischof Sua Eccellenza Carlo Colombo, geschrieben: "Was ich über den Papst und seine Haltung geschrieben habe, tat ich, um gerade den Papst in seinen ursprünglichen Intentionen zu stützen. Niemand bezweifelt seine guten Absichten und sein ehrliches Wollen zum Heil von Kirche, Christenheit und Menschheit. Viele fürchten nur und immer mehr, daß manche Leute um ihn sich den entschiedenen Aktionen, welche man entsprechend diesen Intentionen in der ganzen Welt erwartet, entgegenstellen. Dem Mißtrauen, welchem der Papst heute in sehr weiten und sehr wichtigen Kreisen von Kirche und Welt begegnet, muss mit allen Mitteln entgegengearbeitet werden. - So hoffe ich, daß mein Beitrag als zwar kritische, aber in seiner ganzen Zielsetzung konstruktive Hilfe erkannt wird. Nichts würde mich mehr freuen, als wenn ich für den Papst im Dienst an der Kirche noch mehr tun könnte. Ich möchte es Ihnen überlassen, diesen Artikel - falls Ihnen dies richtig erscheint - Seiner Heiligkeit weiterzugeben. Es wäre mir außerordentlich daran gelegen, nicht nur daß mir eine bona fides zugebilligt wird, sondern auch, daß die in diesem Artikel ausgedrückten Anliegen so vieler Menschen in ihrer positiven Ausrichtung verstanden werden. Ich kann gar nicht sagen, wie viel die Kirche, die Christenheit, die Welt gerade von Papst Paul VI. erwarten."
Aber ich kann nicht leugnen, daß ich es in meinem - ohnehin schon überlangen - publizierten Artikel versäumt habe, die guten Intentionen Pauls VI. hervorzuheben. Und so nehme ich mir vor, diese in Zukunft stets zu erwähnen. Jedenfalls ist dies mit ein Grund, weswegen ich nun dem Papst selber Ende November 1965 einen erklärenden Brief schreibe. Ich möchte, wenn möglich, noch einmal mit ihm persönlich Kontakt haben und über die noch immer nicht entschiedene Frage der Geburtenregelung reden, bevor das Konzil am 8. Dezember zu Ende geht und ich nach Tübingen zurückkehre. Eine Audienz zu erreichen, dürfte freilich außerordentlich schwer sein. Denn in diesen letzten Tagen des Konzils ist er, da er unter anderem alle Bischofskonferenzen einzeln verabschiedet, überbeschäftigt. Ich lasse meinen Brief über seinen Privatsekretär Don Pasquale Macchi an den Papst gehen, und zu meinem Erstaunen erhalte ich innerhalb dreier Tage die Antwort. Sie ist positiv. Papst Paul VI. - ganz anders als später sein polnischer Nachfolger - ist sofort bereit, mich zu empfangen und nicht wie so oft in einer kleinen Gruppe (Spezialaudienz), sondern unter vier Augen (Privataudienz).
Natürlich hätte ich nun im einzelnen erklären können, nicht den Papst lehne ich ab, sondern den Papalismus, nicht das römische Zentrum, sondern dessen - nun auch im Konzil kritisierten - Zentralismus, Juridismus und Triumphalismus. Aber soll ich mich auf eine theologische Diskussion einlassen mit einem Kirchenrechtler und Dogmatiker, der weder von Exegese noch von Dogmengeschichte etwas versteht und der vor dem Konzil kirchlichen Buchzensoren erklärt hatte, die moderne katholische Theologie komme ihm vor "wie ein Kreuzworträtsel"? Der aber trotzdem der Überzeugung ist, er, der oberste Glaubenshüter, sei in jedem Fall - selbst gegenüber dem Konzil - im Recht, weil er für den Papst selber steht? Ottaviani lebt und denkt - so werde ich es freilich erst später analysieren können - in einem anderen "Paradigma", lebt noch ganz in der mittelalterlich-gegenreformatorisch-antimodernen Konstellation von Kirche und Gesellschaft. Und deswegen kann ich mit ihm von meinem modern-postmodernen Paradigma aus so schwierig diskutieren wie ein Vertreter des modernen kopernikanischen Weltbildes mit einem Vertreter des alten ptolemäischen. Sonne, Mond und Sterne, Gott, Christus und die Kirche sind zwar für uns beide dieselben, aber wie wir diese Größen sehen, ist ganz und gar verschieden, verschieden eben je nach der "Konstellation", dem Paradigma. Wir leben in der selben Kirche und doch in einer anderen Welt.
Ich beobachte den Kardinal mit seinem Cäsarenkopf aufmerksam, während er seinen Monolog hält und fühle mit ihm beinahe so etwas wie Mitleid. Er, der den gefährlichen Spruch "Semper idem - immer derselbe" im Wappen trägt, ist im Dienst der Kurie alt geworden, fast erblindet und hoffnungslos hinter der Entwicklung von Theologie und Kirche zurückgeblieben. Doch nicht einmal eine Eiche kann "immer dieselbe" sein, wenn sie sich nicht "immer wieder verändert", Blätter abwirft und neue sprießen läßt und wächst.
Ihm gegenübersitzend, erinnere ich mich an die geradezu tragische Szene, wie Ottaviani schon am Ende der ersten Session das letzte seiner vier Schemata mit dem bezeichnenden Titel "De ecclesiae militantis natura - über die Natur der streitenden Kirche" vorgetragen hatte mit einem scharfen Kapitel über Autorität und die absolute Notwendigkeit der römischen Kirche für das Heil. Während er jedoch bei seiner ersten Konzilsrede am 14. Oktober selbstbewußt und selbstsicher geredet hatte, so jetzt eher gedämpft und traurig, wohl wissend, daß er die Zielscheibe der meisten, auch grausamen Konzilswitze ist ("o Gott, schließe seine Augen in deiner Allmacht auf ewig"). Doch mit seinem völlig aussichtslosen Schema wollte er zumindest mit Würde untergehen und sagte: "Ich erwarte die üblichen Litaneien von euch allen zu hören: es ist nicht ökumenisch und ist zu scholastisch, es ist nicht pastoral und zu negativ und ähnliche Klagen. Dieses Mal will ich euch ein Geständnis machen: diejenigen, die schon gewöhnt sind zu sagen 'tolle, tolle, substitue illud - nimm es weg und ersetze es', sind schon bereit zur Schlacht. Und ich will auch etwas anderes offenbaren: Schon bevor dieses Schema verteilt wurde, war ein alternatives Schema vorbereitet. So ist alles, was mir bleibt, zu verstummen. Denn wie die Schrift sagt: 'wo niemand hört, ist es sinnlos zu reden' (Acta I,4 p.9)." Der Kardinal hatte das Mikrophon eingeschaltet gelassen und sich aus der Aula unter allgemeiner Heiterkeit entfernt. Er wußte, im Konzil hatte er verloren. Nicht aber in der Kurie.
Was soll ich dem Chef des Offiziums nun sagen? Nachdem ich ihm sehr lange zugehört habe, unterbreche ich ihn freundlich: "Eminenza, darf ich nun auch etwas sagen?" Er: "Sì, sì, si capisce." Ich: "Eminenza, Lei sa: sono ancora giovane. - Sie wissen, ich bin noch jung." Da geht plötzlich ein Leuchten über das zerfurchte Gesicht des halbblinden 75jährigen Bäckersohnes aus Trastevere, der sich durch all die Jahre um ein dortiges Waisenhaus kümmerte: "Sì, sì, questo è vero, Sie sind noch jung, und als ich noch jung war, da hab ich auch viele Dinge gemacht, die ich später nicht mehr machte ..." Und so redet er weiter - offenkundig war er doch nicht so ganz "immer derselbe". Ich hatte zu seinem Herzen gesprochen, und er hat es mir ein wenig geöffnet. Dann versuche ich ihm einiges verständlich zu machen, wie ich zu Rom und dem Papst stehe.
Schließlich sagt er: Ich hätte doch an der Gregoriana studiert, deshalb solle ich dort mit zwei meiner Professoren reden, mit P. Bertrams, dem Kirchenrechtler, und mit P. Hentrich, früher zweiter Privatsekretär Pius XII. So werde ich denn in Gnaden ungestraft entlassen. Acht Tage später gehe ich an die Gregoriana und spreche mit den beiden Jesuiten, die mir ins Gewissen reden, aber - von einem kleinen Zornanfall des sonst so ruhigen P. Bertrams abgesehen - mich in keiner Weise bedrohen. Eines habe ich dabei eingesehen: Ich habe in meiner scharfen Kritik am Papst unterlassen zu erwähnen, daß er von seinem Standpunkt aus durchaus in guter Absicht gehandelt habe. Das hatte man mir vorgehalten: Was ich den Protestanten immer ausdrücklich zugestehe, hätte ich ja doch auch dem Papst zugestehen können. Das sehe ich ein. Aber daß ich es nicht getan hatte, geschah nicht, weil ich des Papstes gute Absichten bezweifelte, sondern weil ich sie als selbstverständlich voraussetzte. Giovanni Battista Montini ist für mich der Gefangene des römischen Systems!
Schon nach Veröffentlichung meiner kritischen Analyse der "settimana nera" in der dritten Konzilsperiode hatte ich am 17. Februar 1965 an den persönlichen Theologen des Papstes, jetzt als Bischof Sua Eccellenza Carlo Colombo, geschrieben: "Was ich über den Papst und seine Haltung geschrieben habe, tat ich, um gerade den Papst in seinen ursprünglichen Intentionen zu stützen. Niemand bezweifelt seine guten Absichten und sein ehrliches Wollen zum Heil von Kirche, Christenheit und Menschheit. Viele fürchten nur und immer mehr, daß manche Leute um ihn sich den entschiedenen Aktionen, welche man entsprechend diesen Intentionen in der ganzen Welt erwartet, entgegenstellen. Dem Mißtrauen, welchem der Papst heute in sehr weiten und sehr wichtigen Kreisen von Kirche und Welt begegnet, muss mit allen Mitteln entgegengearbeitet werden. - So hoffe ich, daß mein Beitrag als zwar kritische, aber in seiner ganzen Zielsetzung konstruktive Hilfe erkannt wird. Nichts würde mich mehr freuen, als wenn ich für den Papst im Dienst an der Kirche noch mehr tun könnte. Ich möchte es Ihnen überlassen, diesen Artikel - falls Ihnen dies richtig erscheint - Seiner Heiligkeit weiterzugeben. Es wäre mir außerordentlich daran gelegen, nicht nur daß mir eine bona fides zugebilligt wird, sondern auch, daß die in diesem Artikel ausgedrückten Anliegen so vieler Menschen in ihrer positiven Ausrichtung verstanden werden. Ich kann gar nicht sagen, wie viel die Kirche, die Christenheit, die Welt gerade von Papst Paul VI. erwarten."
Aber ich kann nicht leugnen, daß ich es in meinem - ohnehin schon überlangen - publizierten Artikel versäumt habe, die guten Intentionen Pauls VI. hervorzuheben. Und so nehme ich mir vor, diese in Zukunft stets zu erwähnen. Jedenfalls ist dies mit ein Grund, weswegen ich nun dem Papst selber Ende November 1965 einen erklärenden Brief schreibe. Ich möchte, wenn möglich, noch einmal mit ihm persönlich Kontakt haben und über die noch immer nicht entschiedene Frage der Geburtenregelung reden, bevor das Konzil am 8. Dezember zu Ende geht und ich nach Tübingen zurückkehre. Eine Audienz zu erreichen, dürfte freilich außerordentlich schwer sein. Denn in diesen letzten Tagen des Konzils ist er, da er unter anderem alle Bischofskonferenzen einzeln verabschiedet, überbeschäftigt. Ich lasse meinen Brief über seinen Privatsekretär Don Pasquale Macchi an den Papst gehen, und zu meinem Erstaunen erhalte ich innerhalb dreier Tage die Antwort. Sie ist positiv. Papst Paul VI. - ganz anders als später sein polnischer Nachfolger - ist sofort bereit, mich zu empfangen und nicht wie so oft in einer kleinen Gruppe (Spezialaudienz), sondern unter vier Augen (Privataudienz).
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Autoren-Porträt von Hans Küng
Hans Küng, geboren 1928 in Sursee/Schweiz, studierte an der Päpstlichen Universität in Rom Philosophie und Theologie, nahm als Experte am Zweiten Vatikanischen Konzil teil, ist katholischer Priester und Professor emeritus für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Präsident der Stiftung Weltethos. Ihm wurde 1979 - wegen kritischer Äußerungen - vom Papst die kirchliche Lehrbefugnis entzogen. 2012 wurde Hans Küng mit dem italienischen "Nonino-Kulturpreis" ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Hans Küng
- 2002, 621 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 12 x 23,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492044441
- ISBN-13: 9783492044448
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