Essay, Gespräch, Erinnerung
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Der vorliegende Band enthält diese seit langem vergriffene Veröffentlichung in einer Neuauflage, ebenso bislang unpublizierte Tagebuchaufzeichnungen vom Frühjahr 1945, ein Porträt ihres von den Nazis hingerichteten Mannes Klaus Bonhoeffer, Vorträge über ihre Familie und Gesprächsnotizen aus dem Sommer 1989 in Potsdam.
Emmi Bonhoeffer von Sigrid Grabner und Hendrik Röder (Hg.)
Leseprobe
Vorwort
Emmi Bonhoeffer wurde als sechstesvon sieben Kindern des
Historikers Hans Delbrück und seiner Frau Caroline (Lina) Thiersch
am 13. Mai 1905 geboren. Sie wuchsin einer durch Tradition,
altruistisches Pfl ichtbewußtseinund Selbstdisziplin geprägten Familie
auf, aus der hohe preußischeVerwaltungsbeamte, Gelehrte
und Pastoren hervorgegangen waren.Zu den Vorfahren in der
mütterlichen Linie gehörten derChemiker Justus von Liebig und
der bekannte Chirurg Karl Thiersch.Die Schwester der Mutter
hatte den liberalen Theologen AdolfHarnack geheiratet, der 1914
in den Adelsstand erhoben wurde. Aufseine Initiative wurde die
Kaiser-Wilhem-Gesellschaftgegründet, heute trägt sie den Namen
Max-Planck-Gesellschaft.
Zwischen den Häusern Delbrück undHarnack in der Kunz-
Buntschuh-Straße unweit des BerlinerBahnhofs Halensee herrschte
ein reger geistiger Austausch. DieTeilnahme der heranwachsenden
Söhne und Töchter an der lebhaftenDebatte der Schwäger Delbrück
und Harnack über die brisantenpolitischen Fragen ihrer Zeit
hat sicherlich auch die Wahrnehmungvon Emmi Bonhoeffer für
gesell schaftliche und politischeEntwicklungen in hohem Maße
sensibilisiert.
1912 folgte der aus Schwabenstammende Psychiater Karl
Bonhoeffer einem Ruf an dieFriedrich-Wilhelm-Universität zu
Berlin und übernahm dieUniversitätsnervenklinik der Charité.
Er zog mit seiner Frau Paula vonHase und seinen acht Kindern in
die Nachbarschaft der FamilieDelbrück in den Grunewald. Unter
den etwa gleichaltrigen Kindernentwickelten sich bald intensive
Freundschaften. Sabine Bonhoefferwurde eine nahe Freundin von
Emmi Delbrück, ihr Bruder JustusDelbrück der engste Freund
von Klaus Bonhoeffer. Zu diesemFreundeskreis gehörten auch die
Geschwister Grete und Hans vonDohnanyi.
Im Jahre 1930 heirateten EmmiDelbrück und Klaus Bonhoeffer.
Unter dem Schatten desheraufziehenden Naziregimes waren
der Ehe nur wenige unbeschwerteJahre vergönnt. 1936 wanderte
Emmi Bonhoeffers jüngster Bruder MaxDelbrück, damals schon
ein geachteter Naturwissenschaftler,nach politischen Denunziationen
in die USA aus. Der eingebürgerteAmerikaner erhielt 1969
den Nobelpreis für Medizin.
Ihr Bruder Justus Delbrück, ihrVetter Ernst von Harnack, ihr
Mann Klaus Bonhoeffer und dessenBruder Dietrich, ihre Schwäger
Hans von Dohnanyi und RüdigerSchleicher entschieden sich für
den Widerstand in Deutschland,wohlwissend, daß sie damit ihr
Leben riskierten. Von ihnen entgingnur Justus Delbrück, nach
dem 20. Juli 1944 ebenfallsinhaftiert, der Hinrichtung. Er wurde
unmittelbar nach seiner Befreiungaus dem Gefängnis im Mai 1945
vom russischen Geheimdienst alsÜberlebender des Widerstandes
abgeholt, um Auskünfte über diedeutsche Abwehr zu erteilen, in
der Hans von Dohnanyi und er tätiggewesen waren. Man hielt
ihn im Lager Jamlitz bei Lieberosefest, wo er im Oktober 1945
an Diphterie und Unterernährungstarb.
Klaus Bonhoeffer wurde im Februar1945 zum Tode verurteilt.
Der Abschiedsbrief an seine Kinderdrückt in großer Klarheit aus,
wofür er und seine Mitstreiterlebten und starben. Am 23. April
1945 erschoß ein Rollkommando der SSeine Gruppe politischer
Gefangener aus dem Gefängnis LehrterStraße 3, unter ihnen Klaus
Bonhoeffer und sein Schwager RüdigerSchleicher. Man begrub sie
in einem Bombenkrater auf demDorotheenstädtischen Friedhof,
der als Massengrab für Bombenopferdiente.
Am 24. April 1945 versank dasZuhause vom Emmi und Klaus
Bonhoeffer und ihrer drei Kinder inBerlin bei einem Bombenangriff
in Schutt und Asche. Nach derTrauerfeier für die ermordeten und
hingerichteten Familienangehörigenund Freunde schlug sich Emmi
Bonhoeffer auf gefährlichen Wegennach Schleswig-Holstein durch,
wo die Kinder bei Verwandtenuntergebracht waren.
Emmi Bonhoeffers Tagebuchnotizenberichten von den dramatischen
Wochen im Frühjahr und Frühsommer1945. Das Stakkato
der Aufzeichnungen läßt den Schmerzund die Erschöpfung angesichts
unfaßbarer Ereignisse erahnen.
In Schleswig-Holstein drängten sichEinheimische und Flüchtlinge,
wie überall in Deutschland, aufengstem Raum, es herrschte
Mangel an allem. In dieser Situationerfand Emmi Bonhoeffer
ein originelles System vonNachbarschaftshilfe, das sie »Hilfe für
Hilfe« nannte. Im vorliegenden Bandspricht sie davon mit jenem
trockenen Humor, der ihr eigen war.Sie erlebte hohe Anerkennung
für ihren Einsatz, mußte aber auchverletzende Erfahrungen als
Witwe eines Mannes machen, der beivielen noch als »Volksverräter« galt.
In den fünfziger Jahren zog sie mitihren Kindern nach Frankfurt/
Main, wo sie im evangelischenHilfswerk mitarbeitete. Die
Wohnungssuche gestaltete sichverzweiflungsvoll, über Monate
lebte die Familie verteilt übermehrere hilfsbereite Familien. Schließlich
ermöglichte ihr der damaligeOberbürgermeister von Frankfurt
den Einzug in ein Reihenhaus, dasaus Mitteln des Marshallplans
gebaut wurde. Erstmals seit Berlinbesaß die Familie wieder eine
eigene Bleibe.
Gemeinsam mit engagierten Frauen ausmehreren westdeutschen
Städten baute Emmi Bonhoeffer einen»Hilfsring« für notleidende
Menschen in Ostdeutschland auf. ImLaufe mehrerer Jahre schickten
sie Tausende eigenhändig gepackterPäckchen mit privaten
Absendern »nach drüben«,zusammengestellt aus Geld- und
Sachspenden des zu dieser Zeit wirtschaftlich aufblühenden Westens.
Immer wieder erhob Emmi Bonhoeffermahnend und unbequem
ihre Stimme, wo sie Gleichgültigkeitgegenüber Ungerechtigkeit
oder »Vergessen« vermutete. 1964 botsie sich an, die Zeugen im
Auschwitz-Prozeß in Frankfurt zubetreuen, um sie während dieser
so unsagbar belastenden Tage nichtallein zu lassen.
Als Emmi Bonhoeffer das Altererreichte, in dem andere sich zur
Ruhe setzen, stellte sie sich in denDienst von amnesty international.
Sie schonte sich nicht, wenn es umdie »Sache« ging. So mutete
sie sich noch in hohem Alter zu, aneiner nächtlichen Mahnwache
junger Menschen gegen dieRaketenstationierung teilzunehmen.
In Schulen und in zahllosenVeranstaltungen sprach sie über die
deutsche Vergangenheit, die ihrimmer auch Sorge um die Gegenwart
und Zukunft bedeutete. Die Zuhörer,ob alt oder jung, waren
von ihren lebendigen und engagiertenVorträgen spürbar ergriffen.
Traf sie auf Widerspruch, sobegegnete sie diesem mit der Souveränität
und dem Charme einer lebensklugenaber leidenschaftlich
gebliebenen Frau.
In den letzten zwanzig Jahren ihresLebens wohnte Emmi
Bon hoeffer in einem Seniorenheim inDüsseldorf in der Nähe der
Familie ihrer Tochter. Mit ihrendrei Enkelsöhnen verband sie eine
intensive Beziehung, und die Enkelhingen an ihr mit großer Liebe
und Verehrung. Engagiert begleitetesie deren Lebenswege durch
Ausbildung und Beruf.
Bis zu ihrem Tod am 12. März 1991blieb ihr Verstand kritisch
und wach. Ihre Schwägerin undJugendfreundin Sabine Leibholz,
geborene Bonhoeffer, schrieb einmalüber sie: »Sie hat ihre angeborene
Tatkraft und Phantasie in den Dienstihrer Mitmenschen gestellt und
damit das Vermächtnis ihres Manneserfüllt.«
Seit Mitte der achtziger Jahrebesuchte Emmi Bonhoeffer mehrmals
Potsdam. Viele beeindruckte sie alsRednerin und Gesprächspartnerin
bei den Gedenkfeiern zum 20. Juli1944 in der Bornstedter Kirche,
als solche Veranstaltungen in derDDR von offizieller Seite überwacht
und nur widerwillig geduldet wurden.
Im Sommer 1989 stand sie einen Abendlang den sorgenschweren
Fragen von hiesigen JugendlichenRede und Antwort, und
in einem Tonband-Gespräch berichtetesie über die Erfahrungen
ihres Lebens.
Auszüge daraus wurden in denvorliegenden Band ebenso
auf genommen wie Vorträge, in denensie über Prägungen durch
ihre große Familie berichtete. Diesefarbigen und eindrücklichen
Schilderungen machen erschreckendbewußt, in welch hohem Maß
die Nationalsozialisten mit ihremAngriff auf die kulturellen Traditionen
Deutschlands dem Land auch weit indie Zukunft hinein
geschadet haben. Als sich unter derNaziherrschaft in Deutschland
der moralische Sumpf ausbreitete,zogen die Besten klare Konsequenzen.
Sie emigrierten, oder siebeschlossen, der Entwicklung im
Lande entgegenzuarbeiten, was sieschließlich das Leben kostete. Sie
alle fehlten nach 1945 bei dergeistigen Erneuerung Deutschlands,
die soviel zaghafter fortschritt alsder materielle Aufschwung.
»Elite«, sagte Emmi Bonhoeffereinmal, »ist nicht an einen
Stand gebunden: Es gibtArbeiterjungen, die manchem Aristokraten
an Verstand und Charakter überlegensind. Daß man auf
Elite verzichten kann und nur dieMasse entscheidet, ist Unsinn.«
Sie widersprach dem gängigenVorwurf, der Elitebegriff gehöre
bürger lichem, veraltetem Denken an.Elite wies sich für sie nicht am
wirtschaftlichen Erfolg aus, sondernan der Bereitschaft, freiwillig
die größten Opfer für das Gemeinwohlzu bringen.
Emmi Bonhoeffer trug ihr Schicksalmit großer Tapferkeit und
einer bewunderungswürdigenSelbstdisziplin. Ihr Ausspruch »Das
ist nicht wesentlich!« bezeichneteden von ihr gelebten Verzicht
ohne Bitterkeit. Mit zupackendemPragmatismus und einfühlsamen
Herzen half sie jenen, die seelischeund materielle Not litten. Sie
schaute den Menschen, denen siebegegnete, ins Gesicht, sie meinte,
was sie sagte, und sie handelte, wiesie redete. Vom erhobenen
Zeigefinger hielt sie nichts. »Dieschmutzige Wäsche der anderen
kann mir doch nicht als Seife fürmeine Hände dienen«, pflegte sie
zu sagen, wenn sich jemand auf dashohe moralische Roß schwang.
Sie reagierte allergisch auffalsches Pathos oder Worthülsen.
Am meisten mochte sie daspersönliche Gespräch. So war es nur
folgerichtig, daß sie ihreErlebnisse bei der Betreuung von Zeugen
im Auschwitz-Prozeß in der Form sehrpersönlicher Briefe an ihre
in den USA lebende jüdische Freundinniederschrieb. Der vorliegende
Band enthält diese seit langemvergriffene Veröffentlichung
in einer Neuauflage.
In jenem in vieler Hinsichtunvergeßlichen Sommer 1989 fragte
ich Emmi Bonhoeffer nach ihrenWünschen für die Zukunft. Sie
sagte: »Es möge sich die Erkenntnisdurchsetzen, daß die Zeit der
Machtpolitik vorbei ist. Nur imMiteinander kann die Welt vor
der Zerstörung gerettet werden.Nicht Anspruchsdenken, sondern
Bescheidung wendet die Not, istnotwendig.«
Potsdam, im Frühjahr 2004 SigridGrabner
© Lukas Verlag
- Autor: Emmi Bonhoeffer
- 2004, 145 Seiten, 28 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 28 Abbildungen, Maße: 13,9 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben von Grabner, Sigrid; Röder, Hendrik
- Herausgegeben: Sigrid Grabner, Hendrik Röder
- Verlag: Lukas Verlag
- ISBN-10: 3936872317
- ISBN-13: 9783936872316
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