Festwertspeicher der Kontrollgesellschaft, Remix 2
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Remix 2 ist ein Fortsetzungsroman. Daher die 2 im Titel. Vor vier Jahren erschien Remix 1 eine Sammlung von Stuckrad-Barres besten journalistischen Texten und damit eine perfekte Ergänzung seiner erzählerischen Werke wie Soloalbum und Livealbum. Die Grenzen zwischen literarischer und journalistischer Produktion haben sich bei Stuckrad-Barre seither immer mehr verwischt. Der Autor als Jäger, Sammler und Kronzeuge. In einem Schweizer Chemielabor sucht er nach Bomben, bei Paola und Kurt Felix nach dem Geheimnis der Liebe und auf Sylt nach Gartennazis. Er fährt los, ein Kempowski-Porträt zu verfassen und archiviert dessen gerade entstehenden Tagebucheintrag zum 11.9.
Remix 2 ist eine raffinierte Textkomposition, die durch ihre Vielstimmigkeit besticht und somit Satz für Satz nach Stuckrad-Barre klingt: Den Ton unterwirft er dem Untersuchungsgegenstand, die Form folgt der Funktion: Reportagen, Duette, Erzählungen, Montagen, Protokolle, Tagebuchtexte, Experimente, Rätsel. Sie bilden ein Prisma, das scheinbar vertraute Wirklichkeiten bricht und die Welt neu ausleuchtet.
Festwertspeicher derKontrollgesellschaft von Benjamin v. Stuckrad-Barre
LESEPROBE
Bodylanguage
Wären alle Menschen taubstumm - im Sommerwären immer noch genügend Worte in der Luft. Auf den T-Shirts nämlich. Ausunterschiedlichsten Gründen, mit unterschiedlichsten Techniken, inunterschiedlichster Auflage werden Textilien beschriftet. Aufgebügelt,aufgesiebdruckt, eingewebt, aufgemalt wird, was das Zeug hält. Und das Zeughält natürlich alles, das Zeug hat ja keinen eigenen Willen. Was manchmalschade ist. Aber dann gibt es ja immer noch die Waschmaschine, und die löst dasGanze durch buddhistische Zerrüttungstaktik - und auch die schlimmstenT-Shirt-Beschriftungen sind irgendwann abgeschrappt, bleichgespült, und derKampf ist gewonnen. Bis dahin geht er weiter. Auch RAF-Logo-T-Shirts verkaufensich noch immer gut. Ein beschriftetes Shirt funktioniert wie einVereinstrikot, wie jede andere Art Uniform: Es weist den Träger aus alsMitglied einer Gruppe, Anhänger einer Idee, Humorsorte, Einkommensklasse. DerAuftritt dieser Person wird charakterisierend konnotiert, die Umwelt wird, ohnedass sie gefragt hätte, informiert. Bei der morgendlichen Kleidungswahl istsich der Träger dieses Mitteilungsdauerfeuers bewusst, man kann also sichersein, dass der Träger eines Wort-Shirts uns ohne zu sprechen etwas sagen möchte:wen er verehrt, was er ausgegeben hat für sein Shirt, wo er schon mal war, wieer in irgendjemandes Arm aussieht auf einem aufgebügelten Foto, wie seineMeinung daunddazu ist, bei welchem Konzert er war. Vor einigen Jahren warb MTVmit Schwarz-Weiß-Fotos junger Menschen, auf deren Shirts stand, wofür sichdiese Menschen hielten oder wofür MTV sie hielt. Diese Menschen sahen ganznett aus, die Titulierungen waren charmante Bezichtigungen. Kurz darauf warendiese T-Shirts Mode. Vielleicht auch schon davor, und MTV hat es auf derStraße abgeguckt, das wäre ja nicht schlimm, bloß normal. Wer immer alleszuerst entdeckt haben will, kann sich schon mal eine Schablone ausschneiden undzu siebdrucken beginnen: Angeber, Hosenträger.
Trotzdemist natürlich die Codierung ein wichtiger Punkt: Auch wenn eineT-Shirt-Beschriftung ja auf Wahrnehmung durch andere abzielt - wenn sieNachahmung in einer zu hohen Quote erreicht, wird sie für die Erst-, Zweit-und Drittträger untragbar, unerträglich, dann müssen sie sich etwas Neuesausdenken, so läuft es, und dadurch gibt es immer etwas Neues. Vor Jahrzehntenliefen auf Feierlichkeiten bedenklichen Zuschnitts fröhliche Menschen mitPOLIZEI-Shirts herum. Mittlerweile kann man die an jedem Autobahnrasthofkaufen, und damit sind sie der Trage-Avantgarde untragbar geworden, sie habenaber auch nicht genug Muskeln, um ohne Shirt rumlaufen zu können, außerdem istes ja fast immer zu kalt, also lassen sie sich wieder etwas Neues einfallen.Weiter so.
Humor istauch auf T-Shirts eine ernste Sache. Meistens geht es schief. Erzählbare Witzespazieren zu tragen, lässt zumeist auf einen eher unlustigen Träger schließen,der sich die Witzischkeit beim T-Shirtfabrikanten zu borgen versucht. Mancheempfinden es auch als gewiefte autobiographische Volte, T-Shirts zu tragen, diein der Kindheit als uncool galten: mit den Logos von Freizeitparks oder lokalenTurnsportvereinen drauf. Diese T-Shirts werden in Secondhandläden gekauft und riechenwie die Ironie ihrer Träger meist muffig, auch zwicken sie an den Achseln, undmit dein unbezwingbaren Vorbesitzerschweiß mischt sich der eigene. Als solcherIronieinhaber steht man stolz in irgendeiner Bar der Verzweifelten herum undfindet sich super, aber dass man keine netten Leute kennen lernt, liegt unteranderem daran, dass man einfach stinkt.
@ Verlag Kiepenheuer & Witsch
Autoren-Porträt von Benjamin von Stuckrad-Barre
Benjaminvon Stuckrad-Barre wurde am 27. Januar 1975 in Bremengeboren, lebt in Berlin, schreibt Bücher und arbeitet journalistisch für verschiedeneZeitungen, darunter die FAZ, Die Woche, Allegra und Welt am Sonntag.
- Autor: Benjamin von Stuckrad-Barre
- 2004, 5. Aufl., 496 Seiten, 6753 farbige Abbildungen, 1068569836 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 12,6 x 19,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462033824
- ISBN-13: 9783462033823
- Erscheinungsdatum: 19.05.2004
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