Frühstück mit Kängurus
In seinem amüsanten wie informativen Streifzug durch ein unbekanntes Australien erzählt Bill Bryson von den Hintergründen der Entdeckung dieses...
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In seinem amüsanten wie informativen Streifzug durch ein unbekanntes Australien erzählt Bill Bryson von den Hintergründen der Entdeckung dieses faszinierenden Kontinents - und hält den Leser mit seinem Blick für Skuriles und Ungewöhnliches in Atem.
Frühstück mit Kängurus von BillBryson
LESEPROBE
I
Auf dem Flug nach Australienfiel mir wieder nicht ein, wie der Premierminister
heißt. Ich seufzte. Daspassiert mir immer - ich will mir den Namen
merken, vergesse ihn(meist mehr oder weniger prompt) und fühle mich
dann schrecklichschuldig. Denn ich finde, dass ihn wenigstens ein
Mensch außerhalbAustraliens kennen sollte.
Es ist aber auch schwer,sich einigermaßen über das Land auf dem Laufenden
zu halten. Als ich vorein paar Jahren zum ersten Mal von London aus
dorthin flog, vertrieb ichmir die vielen Stunden mit der Lektüre
einer Geschichte deraustralischen Politik des zwanzigsten Jahrhunderts
und stieß auf dieerstaunliche Tatsache, dass der Premierminister
Harold Holt im Jahre 1967an einem Strand in Victoria entlangspazierte,
in die Brandung hechteteund verschwand. Von dem armen Mann ward nie
wieder etwas gesehen. Ichfand das doppelt erstaunlich - erstens,
weil Australien einfachso einen Premierminister verlor (also, wo
gibt's denn so was?), undzweitens, weil es mir nie zu Ohren gekommen
war.
Was nur einmal mehrbeweist, wie schmählich wenig Beachtung wir unseren
Brüdern und Schwestern amanderen Ende der Welt - down under - schenken.
Doch das hat seineGründe: Australien ist sehr weit weg und großenteils
unbewohnt. Sein Anteil ander Weltbevölkerung ist verschwindend gering:
nur neunzehn MillionenMenschen leben dort - um mehr als diese Zahl
wächst ja China schonjedes Jahr. Und mit einer Wirtschaftskraft,
die in etwa demus-Bundesstaat Illinois entspricht, spielt es im weltweiten
Vergleich auch nur eineNebenrolle. Es schickt uns zwar ab und zu
nützliche Dinge - Opale,Merinowolle, Errol Flynn und Bumerangs -,
doch nichts, das wirunbedingt zum Leben bräuchten. Der wichtigste
Grund dafür, dass esständig übersehen wird, scheint mir jedoch darin
zu liegen, dass es sichnie daneben benimmt. Die politischen Verhältnisse
sind stabil, die Leutefriedlich und gut. Australien kennt keine Staatsstreiche,
überfischt nichtrücksichtslos die Weltmeere, verkauft keine Waffen
an fiese Despoten, bautnicht in frechen Mengen Koka an oder führt
sich in nassforscher odersonst wie ungebührlicher Weise auf.
Doch selbst all desseneingedenk, ist unsere Ignoranz gegenüber dem,
was dort passiert, schwerzu erklären. Wie Sie sich denken können,
ist sie vor allem in denVereinigten Staaten verbreitet. Kurz bevor
ich zu meiner Reiseaufbrach, ging ich in die Stadtbücherei meines
Heimatorts Hanover, NewHampshire, und schaute Australien im New York
Times Index nach. Ichwollte sehen, wie viel Aufmerksamkeit es in
den letzten Jahren inmeinem Heimatland erregt hatte. Nur weil der
Band von 1997aufgeschlagen auf dem Tisch lag, begann ich mit diesem
Jahr. Über das ganzeSpektrum möglicher Interessensgebiete verteilt
- Politik, Sport, Reise,die anstehenden Olympischen Spiele in Sydney,
Essen und Trinken, dieschönen Künste, Nachrufe und dergleichen -,
hatte die New York Times1997 zwanzig Artikel gebracht, die sich überwiegend
oder ausschließlich mitaustralischen Angelegenheiten beschäftigten.
Nur zum Vergleich: Imselben Zeitraum gab es einhundertundzwanzig
Beiträge über Peru, etwaeinhundertundfünfzig über Albanien und Kambodscha,
jeweils mehr alsdreihundert über Nord- und Südkorea und weit über
fünfhundert über Israel.Alles in allem war Australien gleichauf mit
Weißrussland und Burundi.Mehr zu lesen gab es selbst über Themen
wie Freiluftballons undderen Fahrer, die Scientology-Kirche, Hunde
(ausgenommenHundeschlitten-Fahren) und über Pamela Harriman, die
Ex-Botschafterin undPartylöwin, deren Ableben im Februar 1997 offenbar
eine Katastrophedarstellte, die zweiundzwanzigmal in der Times erwähnt
werden musste. Grobgesagt, war Australien den Amerikanern 1997 unwesentlich
wichtiger als Bananen,aber bei weitem nicht so wichtig wie Speiseeis.
Und dabei war 1997 sogarnoch ein gutes Jahr für Nachrichten aus dem
fünften Kontinent. 1996war er Thema in gerade einmal neun Berichten
und 1998 nur in sechs.Anderswo auf dem Globus schreibt man vielleicht
häufiger über ihn - aberdas liest doch keiner! (Bitte alle melden,
die erstens denderzeitigen australischen Premierminister nennen können
und zweitens wissen, inwelchem Bundesstaat Melbourne liegt, oder
überhaupt eine Frage zuAustralien beantworten können, die nichts
mit Cricket, Rugby oder MelGibson zu tun hat.) Die Australier hassen
es, dass die Welt sie sowenig beachtet, und das kann ich gut verstehen.
Denn es ist ein Land, indem interessante Dinge passieren. Am laufenden
Band!
Bester Beweis dafür isteine der Geschichten, die es 1997 in die New
York Times schaffte, wennauch unter die Rubrik »Vermischtes«. Im
Januar ebendieses Jahres,schreibt der Times-Reporter, untersuchten
Wissenschaftlerernsthaft, ob das mysteriöse Erdgrummeln im äußersten
australischen Outbackvier Jahre zuvor tatsächlich die Explosion einer
Atombombe gewesen war,die Mitglieder der japanischen Weltuntergangssekte
Aum Shinrikyo gezündethatten. Um dreiundzwanzig Uhr drei (Ortszeit)
des achtundzwanzigstenMai 1993 zuckten und kritzelten nämlich in
der gesamten Pazifikregiondie Nadeln der Seismografen los, nachdem
es in der Nähe des OrtesBanjawarn Station in der Großen Victoriawüste
in Westaustralienoffenbar heftig gebebt hatte. Ein paar Fernfahrer
und Prospektoren, dasheißt, Leute, die Öl und sonstige Bodenschätze
suchen, im Grunde dieeinzigen Menschen, die sich in dieser einsamen
Weite aufhalten,berichteten, dass sie plötzlich einen Blitz am Himmel
gesehen und das Donnerneiner mächtigen, doch sehr entfernten Detonation
gehört beziehungsweisegespürt hätten. Einem war in seinem Zelt eine
Dose Bier vom Tischgehupft.
Man fand keine eindeutigeUrsache. Die seismografischen Aufzeichnungen
hatten ein anderes Profilals die eines Erdbebens oder einer Explosion
in einem Bergwerk, wobeidie Druckwelle ohnehin einhundertundsiebzigmal
stärker war als die derheftigsten Bergwerksexplosion, die je in Westaustralien
registriert wurde. DieAufzeichnungen passten eher zu einem großen
Meteoriteneinschlag, dochder hätte einen Krater von mehreren hundert
Metern Durchmesser schlagenmüssen, und einen solchen Krater fand
man nicht. Letztendlichzerbrachen sich die Wissenschaftler ein, zwei
Tage lang den Kopf undlegten das Ganze dann als unerklärliche Kuriosität
ad acta. So was passierteeben von Zeit zu Zeit.
1995 allerdings erlangtedie Aum-Sekte jäh traurige Berühmtheit, als
sie in der TokioterU-Bahn in großzügigen Mengen das Nervengas Sarin
versprühte und zwölfMenschen starben. Bei den nachfolgenden Ermittlungen
fand man heraus, dass dieSekte über beträchtlichen Landbesitz verfügte,
unter anderem auch überein Fünfhunderttausend-Morgen-Wüsten-Areal
in Westaustralien unweitder Stelle, an der sich das mysteriöse Beben
zugetragen hatte. DieBehörden entdeckten dort ein ungewöhnlich gut
ausgestattetes Speziallaborsowie den Beweis, dass die Sektenmitglieder
Uran gefördert hatten.Unabhängig davon wurde bekannt, dass die Sekte
zwei Atomwissenschaftleraus der früheren Sowjetunion in ihre Reihen
rekrutiert hatte. Da daserklärte Ziel der Gruppe die Zerstörung der
Welt ist, hat es denAnschein, als sei der Zwischenfall in der Wüste
eine Trockenübung dafürgewesen, Tokio in die Luft zu jagen.
Sie verstehen natürlich,worauf ich hinaus will. Australien ist ein
Land, das Premierministerverliert und so riesig und dünn besiedelt
ist, dass ein Truppenthusiastischer Laien in der Wüste die erste
Nichtregierungsatombombeder Welt zünden kann und fast vier Jahre
vergehen, bis es jemandmerkt. Klar, dieses Land musste ich kennen
lernen!
Aber weil wir so wenigüber es wissen, sind vielleicht ein paar Vorbemerkungen
angebracht.
Australien ist dassechstgrößte Land der Erde und die größte Insel.
Es ist die einzige Insel,die auch ein Kontinent ist, und der einzige
Kontinent, der auch einLand ist. Es ist der erste und der letzte
Kontinent, der vom Meeraus erobert wurde. Es ist die einzige Nation,
die als Gefängnisangefangen hat.
Es ist die Heimat desgrößten lebenden Wesens auf Erden, des Great
Barrier Reef, und desberühmtesten und eindrucksvollsten Monolithen,
des Ayers Rock oderUluru, um den nun offiziellen, respektvolleren
Aborigine-Namen zubenutzen. Es gibt dort mehr Lebewesen, die einen
umbringen können, alsirgendwo sonst. Die zehn giftigsten Schlangen
leben alle in Australien.Fünf seiner tierischen Bewohner - die Trichterspinne,
die Würfelqualle, dieBlauringkrake, der Steinfisch und eine bestimmte
Zeckenart - sind tödlichfür den Menschen. In diesem Land können selbst
die flauschigsten RaupenSie mit einem giftigen Kniepen außer Gefecht
setzen, und Muschelnpieksen hier nicht nur, sondern attackieren Sie
manchmal sogar. Heben Siean einem Strand in Queensland zufällig eine
harmlose Kegelschneckeauf, wie das unschuldige Touristen ja gern
tun, dann werden Sieerleben, dass der kleine Racker darin nicht nur
erstaunlich fix undunwirsch reagiert, sondern auch überaus giftig
ist. Wenn Sie aber nichtplötzlich und unerwartet zu Tode gestochen
oder gespießt werden,werden Sie vielleicht von Haien oder Krokodilen
gefressen, von tückischenMeeresströmungen hilflos zappelnd in den
Ozean hinausgetragen,oder Sie taumeln mutterseelenallein im brütend
heißen Outback in einenkläglichen Tod. Ein hartes Land.
Und alt. Seit sechzigMillionen Jahren, seit Bildung der Great Dividing
Range hat sich Australiengeologisch praktisch nicht verändert und
konnte dadurch viele derältesten Dinge bewahren, die man je auf Erden
fand, die urältestenFelsen und Fossilien, die frühesten Tierspuren
und Flussbetten, ja, dieersten schwachen Zeichen des Lebens selbst.
Und zu einem unbestimmtenZeitpunkt in Australiens unendlich langer
Vergangenheit -vielleicht vor fünfundvierzigtausend, vielleicht vor
sechzigtausend Jahren,aber ganz gewiss, bevor es moderne menschliche
Wesen in Nord- undSüdamerika oder Europa gab - drang heimlich, still
und leise ein zutiefsträtselhaftes Volk ein, die Aborigines. Sie
weisen keine eindeutigerassische oder sprachliche Verwandtschaft
mit den Völkern imumliegenden asiatischen Raum auf, und eigentlich
ist ihre Anwesenheit auf demKontinent nur dann plausibel, wenn man
annimmt, dass siemindestens dreißigtausend Jahre vor allen anderen
Menschen hochseetüchtigeSchiffe ersannen, bauten, sich auf einen
Exodus begaben und dannfast alles, was sie gelernt hatten, vergaßen
oder sich nicht mehrdafür interessierten, ja sich überhaupt kaum
noch mit dem offenen Meereinließen.
Diese Leistung ist soeinzigartig und außergewöhnlich, so schwer zu
erklären, dass diemeisten Geschichtsbücher sie mit ein, zwei Absätzen
abtun und dann gleich zurzweiten, besser dokumentierten Invasion
übergehen, die 1770 mitder Ankunft Captain James Cooks und seiner
tapferen kleinen Jolle,der hms Endeavour, in der Botany Bay begann.
Macht nichts, dassCaptain Cook Australien nicht entdeckt hat und
zur Zeit seines Besuchsnicht mal Kapitän war. Die meisten Leute,
auch die meistenAustralier, glauben, dass mit ihm alles anfängt.
© GoldmannVerlag
Übersetzung:Sigrid Ruschmeier
Autoren-Porträt von Bill Bryson
Bill Bryson wurde 1951 in Des Moines,Iowa, geboren. 1977 ging er nach Großbritannien und schrieb dort mehrere Jahreu. a. für die Times und den Independent. Mit "Reif für die Insel"gelang Bryson, der zuvor bereits Reiseberichtegeschrieben hat, der ganz große Durchbruch. Seit 1987 widmet er sich ganz demSchreiben von Büchern. 1996 kehrte Bill Bryson mitseiner Familie in die USA, nach Hanover, New Hamsphire zurück.
- Autor: Bill Bryson
- 2002, 21. Aufl., 411 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Sigrid Ruschmeier
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442453798
- ISBN-13: 9783442453795
- Erscheinungsdatum: 17.10.2002
4.5 von 5 Sternen
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