Geh aus, mein Herz
Privatdetektiv Jonathan Wide steht vor einem Rätsel: Innerhalb kurzer Zeit wurden in Göteborg drei Leichen gefunden. Zwei der Ermordeten waren ehemalige Klassenkameraden von ihm. Immer tiefer gräbt er in seiner Vergangenheit, bis ihm mit Schrecken klar...
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Privatdetektiv Jonathan Wide steht vor einem Rätsel: Innerhalb kurzer Zeit wurden in Göteborg drei Leichen gefunden. Zwei der Ermordeten waren ehemalige Klassenkameraden von ihm. Immer tiefer gräbt er in seiner Vergangenheit, bis ihm mit Schrecken klar wird, was die brutalen Verbrechen mit den unbeschwerten Spielen seiner Schulzeit zu tun haben.
Geh aus, mein Herz von Ake Edwardson
LESEPROBE
FürJanne-Janne war das Leben ein kalter Wind und ein Tanz ohne Musik. »Was für nTanz?«, hatte Sixten einmal philosophisch gefragt, und dann hatten sie nichtmehr viel gesagt. Sie waren der Frigångsgatan in westlicher Richtung gefolgt.Es war sinnlos, mit Sixten zu reden, denn er war müde und wollte schlafen. Sieschlurften an der Schule vorbei, die jetzt ein Kino war. Vor unzähligen Jahrenwar Janne-Janne in diese Schule gegangen. Hier war er rausgekommen und war dieLinnégatan runtergehüpft, kein Schlurfen, und er hatte eine Mutter gehabt, dieauf ihn wartete. Damals. Sie schlurften weiter, mit einem Einkaufswagen, derWohn- und zwei Schlafzimmer enthielt, Küche und Garderobe, ihr mobiles Heim.Janne-Janne schob ihn, Sixten, eine Hand auf dem Wagen, hatte sozusagen dieFührung übernommen. Sixten war sehr betrunken, aber er hielt sich aufrecht; erkonnte immer gehen. Janne-Janne nahm an, dass er beim Militär gewesen war. Dalernte man gehen. Janne- Janne war nüchtern - wenn er das von sich selbstbehaupten durfte.
Sieüberquerten den Linnéplatsen bei Rot, weil niemand mehr nach Askim, Hovås undin die anderen Paradiese nach Hause fuhr, gingen direkt auf den Schlosswald zuund tauchten in ein Waldstück, wo sich der Weg teilte. Dank der Straßenlaternenüber den Straßenbahngleisen konnte er die Enten im Teich auf der anderen Seitedes Weges sehen. Sie wurden von Dunst eingehüllt, der wie dünnes Silber war,und es war merkwürdig, dass sie trotz ihres Federkleides nicht froren; ihn frorjedenfalls, nicht mal die Sachen, die er in seiner »Garderobe« hatte, würden andiesem Abend reichen. Janne-Janne besaß kein Thermometer, aber er war schonlange genug dabei, um sicher zu sein, dass es nicht viel über dem Gefrierpunktwar. Null Grad waren es. Sie hatten ihr Ziel für diesen Abend erreicht und erbefreite Sixten vom Wagen. Sixten wich zur Seite, Janne-Janne zerrte ein StückTeppich vom Wagen und legte ihn Sixten um die Schultern. »Der Flickenteppichfür Sie, mein Baron«, sagte er, »auf einen groben Klotz gehört ein groberKeil.« Er pinkelte zehn Meter entfernt, wo ihr Klo und ihr Bad waren, aberheute badete er nicht.
Erbreitete einen Teppichfetzen auf der Erde aus, zog sich eine weitere Jacke anund deckte sich mit einem Bettbezug zu, den er mit Zeitungen voll gestopfthatte. »Gute Idee«, hatte Sixten am Abend zuvor gesagt, was aber nicht dazuführte, dass er jetzt dasselbe tat. So war es oft, er war für die Ideenzuständig und Sixten für nichts.
Ervermutete, dass es fünf oder sechs Uhr war, vielleicht noch etwas früh, abersie arbeiteten hart und standen früh auf, und er machte es sich bequem. Als ersich auf die Seite drehte, sah er, dass sich etwas beim Klo in den Büschenbewegte. Er war alt, aber seine Augen waren in Ordnung, hier lag keineBrillenschlange. Jetzt bewegte es sich wieder. War es ein Bulle? Nee. Von denenstörte sie keiner mehr, die hatten genug mit den Glatz- und Schwarzköpfen zutun. Hatten sie irgendjemandem den Platz geklaut? Nee, hier gab es keinePfähle; nach einigen Jahren wusste man, wenn man in das Revier eines anderengeraten war. »No trespassing«, wie dieser verrückte Schwedisch-Amerikaner inder Höhle beim Zoo immer gerufen hatte, wenn man sich ihm auf fünf Meternäherte.
Jetztbewegte sich wieder etwas. Sollte er Sixten wecken? Nein, das war sinnlos,Sixten konnte man nicht wecken. Janne- Janne wurde es ein wenig fl au im Magen.Er hatte zwar nichts davon gehört, dass im Augenblick einer in der Stadtherumlief, der Leute erschlug, aber es gab ja überall welche, die sonderbareIdeen hatten. Hin und wieder passierte was. Er hatte schon ziemlich oft Prügelbezogen, aber immer war ein ehrlicher Zoff Anlass gewesen.
Er lagstill, vielleicht würde es verschwinden. Jemand stand dort. Ein Mensch. Schauteer zu ihnen, zu ihm? Janne-Janne schloss die Augen, lange. Als er sie wiederaufschlug, war nichts mehr zu sehen. Der da gestanden hatte, war verschwunden.Er überlegte, ob er aufstehen und nachsehen sollte, aber das war wohl nichtnötig.
Er wühlteein bisschen herum, fand endlich eine bequeme Rückenlage und blinzelte zumHimmel hinauf, der grau, schwarz und blau war; vielleicht war es der Große Bär,den er dort oben sah. Plötzlich hörte er direkt neben sich ein Geräusch.Janne-Janne erschauerte, ihm wurde eiskalt und Angst packte ihn, als er jetztzwei Hände und irgendwas Großes sah, was sich von oben herabsenkte. Eineschwere Pferdedecke landete auf ihm. Er hatte nicht einmal die Augen bewegt,blinzelte wie erstarrt; dabei musste er aussehen, als ob er schliefe, dennjetzt beugte sich jemand über ihn. Er nahm ein Gesicht wahr wie einen hellenBall, und das musste bedeuten, dass der andere nicht viele Haare hatte. Er hörteihn schwer atmen. So klang das bei mir auch, bevor sie mir die Polypenrausgenommen haben, dachte er, und da fühlte er sich nicht mehr so erstarrt.Als er dem anderen die Faust gerade ins Gesicht hauen wollte, zog es sichzurück, rasch, und er hörte Schritte, die sich entfernten. Er richtete sichauf. Jemand ging nach links zu den Hütten hinauf und verschwand hinter denBäumen. Er warf einen Blick zu Sixten.
Auch erwar mit einer Decke zugedeckt. Die hatte er, Janne- Janne, ihm nicht gegeben,soweit er sich erinnern konnte. Er besaß eine Decke. Die war ziemlich trocken.Komisch das alles. Er legte sich wieder hin. Wirklich komisch. War das einervon der Heilsarmee? Na, die taten nicht viel ohne volle Orchesterbegleitung.Doch, sie taten auch viel in aller Stille, doch. Er musste sie fragen, aber fürheute Abend reichte es, und er legte sich wieder zurecht.
Er war aufdem Weg, auf dem Weg, auf dem Weg. Jetzt war es anders, eine Begegnung und ein Gespräch.Sie gingen nebeneinanderher und der andere keuchte ein bisschen auf dem steilenAbhang. »Kaum zu glauben, ein richtiger kleiner Wald mitten zwischen denHäusern.« »So ist es an vielen Stellen in dieser Stadt.« »Richtig grün.« »Ja.«Sie hatten ein kleines Plateau erreicht und sahen die Mietshäuser auf deranderen Seite des Friedhofs. Überall flammten Lichter auf, das war seineLieblingszeit des Tages: die Dämmerung. Schade, dass die Häuser so hässlichwaren. »Schön sind die Schuppen dahinten ja nicht gerade.«
»Findestdu? Ich finde, die sehen wie alle Häuser aus.«
Sie gingenweiter in westlicher Richtung, das Gebüsch
wurdedichter.
»Das istalso dein Nachhauseweg.«
»Immer.Viel gute, frische Luft.«
»GenügendBewegung.«
»Ja.«
»Dukleidest dich dem Wetter angemessen, muss ich sagen.
SchönerDufflecoat. Handschuhe.«
»Ja.«
Der anderesah ihn an.
»Ich warwirklich erstaunt, als du dich gemeldet hast. Wie
vieleJahre ist es jetzt her? Dreißig?«
»Neunundzwanzig,glaube ich.«
»So lange.Gut, dass du dich gemeldet hast. Irgendwann
hab ichauch mal dran gedacht.«
»Irgendwann.«
»Man kannja nicht behaupten, dass es schön war. Aber wir waren Kinder. Du weißt, wie «
Aber erhatte genug von dem Gefasel und war zwei Schritte zurückgeblieben. Er sahsich um. Wie immer war es um diese Zeit still und leer, aber im Augenblickverschwendete er keinen Gedanken daran. Genau hier sollte es sein. Er bücktesich hinter einen Stein und zog die Eisenstange hervor, holte aus und schlugzu. Er spürte die starke Vibration in den Armen, als sie mit Wucht den Nackendes anderen mit dem weichen und gleichzeitig schweren Laut traf, den er so gutkannte. Wie stark er sich fühlte, zu Hause. Als der Kerl in die Knieging, schlug er wieder zu, tschock, und als der Körper fiel und zur Seiterollte, wusste er, dass kein Leben mehr darin war. Er zog ihn nach links, wo erschon früher einen guten Platz gefunden hatte. Er holte das Messer hervor.
© List
Übersetzung: Angelika Kutsch
Åke Edwardson, geboren 1953, lebt mit seiner Frau in Göteborg. Einige Monate im Jahr verbringt das Ehepaar im Süden Spaniens, in Marbella. Bevor Edwardson einer der weltweit erfolgreichsten Krimiautoren wurde, arbeitete er als Journalist u. a. im Auftrag der UNO im Nahen Osten.
- Autor: Åke Edwardson
- 2005, 352 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Angelika Kutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548605923
- ISBN-13: 9783548605920
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