Gib's mir, Schatz!
(K)ein Fessel-Roman
Was tun, wenn Flaute im Bett herrscht? Ganz klar: her mit heißer Wäsche, Handschellen und allem, was den antriebsarmen Mann wieder munter macht. Anne und Tess scheuen weder Mühe noch Experimente, um ihre Kerle auf Touren zu bringen - mit ungeahnten Folgen.
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Produktinformationen zu „Gib's mir, Schatz! “
Was tun, wenn Flaute im Bett herrscht? Ganz klar: her mit heißer Wäsche, Handschellen und allem, was den antriebsarmen Mann wieder munter macht. Anne und Tess scheuen weder Mühe noch Experimente, um ihre Kerle auf Touren zu bringen - mit ungeahnten Folgen.
Lese-Probe zu „Gib's mir, Schatz! “
Gib's mir, Schatz! von Ellen BergKapitel 1
»Schatz, hast du meine Anti-Cellulite-Creme gesehen?«
Anne hatte die Frage kaum gestellt, als sie auch schon wusste: Das war ein Fehler gewesen. Ein schwerer Fehler.
Gerade noch hatte Joachim ihren Arm gestreichelt, jetzt ließ er ruckartig von ihr ab. Sein Blick wanderte zu Annes Schenkeln, die nur notdürftig von einem verwaschenen, ausgeleierten XXL-T-Shirt verdeckt wurden.
»Äh, wie wär's mal mit ein bisschen Sport?« Er zog eine Grimasse. »Wäre jedenfalls besser, als dieses sauteure Zeugs zu kaufen. Oder glaubst du im Ernst, dass ein bisschen Creme irgendwelche Dellen ausbügelt?«
Anne war am Boden zerstört. Das hatte sie nun davon. Seufzend sah sie in den Badezimmerspiegel.
Eigentlich hatte sie sich den Auftakt zu dieser Nacht etwas anders vorgestellt. Nach langer, viel zu langer Zeit hatte sie auf ehelichen Sex gehofft. Die Ausgangsbedingungen waren nämlich gar nicht so übel gewesen. Gemessen an den üblichen Komplikationen sogar genial. Joachim hatte nicht vor, die halbe Nacht am Laptop zu verbringen. Im Fernsehen liefen weder Sport noch eine von seinen Lieblingskrimiserien. Lars, ihr fünfjähriger Sohn, schlief längst, und es sah nicht danach aus, dass er Annes geheime Sexpläne durch Brechdurchfall, Keuchhusten oder andere nächtliche Einlagen stören würde. Außerdem war ihr Mann heute auffallend entspannt gewesen.
Doch nun hatte sie selbst die zärtliche Stimmung abgefackelt, die in der Luft gelegen hatte.
»Also, ich hau mich dann schon mal hin«, gähnte Joachim.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte Anne. Heute ist die Nacht der Nächte, Cellulite hin oder her.
... mehr
»Nicht einschlafen, komme gleich nach!«, flötete sie.
Joachim kratzte sich ausgiebig am Rücken, eine Angewohnheit, die Anne ausgesprochen abtörnend fand.
»Das sagst du immer, und dann dauert es Stunden«, beschwerte er sich. »Was treibst du bloß vor dem Schlafengehen? Deine Dellen zuspachteln?«
»Vielen Dank für die nochmalige Erinnerung, dass ich nicht mehr taufrisch bin«, fauchte Anne.
Joachim grinste schief. »Immer wieder gern.«
Er gab Anne einen Klaps auf den Po. Einen dieser kumpelhaften Klapse, die sie hasste, weil sie in etwa so erotisch waren wie die unförmigen Boxershorts mit Bart Simpson-Aufdruck, die Joachim neuerdings trug.
»Hey, ich bin eine Frau, schon vergessen? Und eine Frau hat ...«, sie räusperte sich, um dann todesmutig hervorzustoßen: »Gewisse Bedürfnisse!«
»Ach ja?« Joachim ordnete gedankenverloren sein Gemächt in den unendlichen Weiten der Boxershorts. Auch so ein Abtörner. »Ich würde sagen, du hast ein Problem mit den zwei Chinesen.«
»Wie jetzt?«
Selbstverliebt betrachtete Annes Mann seinen Oberkörper im Spiegel, bevor er antwortete: »Stei-Ling und Tei-Ming.«
Vollkommen verdattert stand Anne da. »Soll ich im Lexikon nachschlagen, oder kannst du etwas deutlicher werden?«
»Na, dein Sty-ling ist grenzwertig - oder findest du dieses T-Shirt etwa sexy? Und dein Ti-ming, na ja. Wenn du mit deinem Beautyprogramm fertig bist, befinde ich mich regelmäßig im Tiefschlaf. Was auch immer du heute noch mit mir vorhast - weck mich bitte nicht dabei auf.«
Damit trollte er sich.
Auf der Frustskala von eins bis zehn war Anne kurz vor hundert. Wütend musterte sie ihr Spiegelbild. Okay, das T-Shirt war nicht gerade ein Knaller, und mit ihren achtunddreißig war sie auch nicht mehr so knackig wie diese jungen Dinger, die hüftwackelnd durch die Gegend rannten und ihre straffe Haut vorführten. Aber sie war immer noch ziemlich ansehnlich. Langes, blondes Haar floss in sanften Wellen über ihre Schultern. Ihre rehbraunen Augen waren auch nach dem Abschminken ausdrucksvoll, ganz ohne Wimperntusche und Kajal. Und abgesehen von dem bisschen Cellulite hatte sie wirklich noch eine einigermaßen gute Figur.
Nur das strahlende Lächeln, in das sich Joachim einst verliebt hatte, war verschwunden.
Anne sah in das blasse, erschöpfte Gesicht einer Frau, die sich zwischen Job und Muttersein aufrieb, täglich ein vollwertiges Abendessen auf den Tisch des Hauses zauberte, die Wohnung in Schuss hielt, den gemeinsamen Sohn zum Kindergarten, zum Malkurs, zum Fußballtraining fuhr. Und wieder abholte, versteht sich.
Zwischen diesen ganzen Aktivitäten war noch mehr verschwunden als nur ihr strahlendes Lächeln - das erregende Prickeln zwischen ihr und ihrem Mann. Wann hatten sie eigentlich das letzte Mal miteinander geschlafen? Anne erinnerte sich dunkel an ein flüchtiges Geplänkel im letzten Sommerurlaub. Jetzt war Mai. Sollte das etwa normal sein? Tote Hose nach sechs Jahren Ehe?
Gedankenverloren kämmte sie sich die Haare. Sie sehnte sich ja nicht nur nach Lust und Leidenschaft. Anne wollte ein zweites Kind. Lars war fünf. Höchste Zeit für ein Geschwisterchen. Aber wie sollte das wohl entstehen ohne den üblichen Austausch von Körperflüssigkeiten? Also war jetzt Eile geboten.
Die Suche nach der Cellulite-Creme gab sie auf. Das blöde Zeug hatte ihr schon genug Scherereien eingebracht. Sie warf den Kamm auf die Ablage über dem Waschbecken, knipste das Licht im Badezimmer aus und schlich auf Zehenspitzen in den Flur. Mit angehaltenem Atem horchte sie, ob Lars wach geworden war. Alles ruhig, stellte sie erleichtert fest. Also los.
Als sie das Schlafzimmer betrat, war es darin stockdunkel. Man hörte nur die tiefen, regelmäßigen Atemzüge eines schlafenden Mannes, der offenbar jeden Gedanken an Sex aufgegeben hatte. Jedenfalls mit ihr.
»Hey, Schnecke, was ist los?«
Anne fuhr herum. Es war Samstagmittag. Ihr heiliger Samstagmittag. Wie immer war sie mit ihrer besten Freundin Teresa verabredet, von allen Tess genannt. Atemlos stand sie vor Anne und strich sich die Fransen ihres rotbraunen Kurzhaarschnitts aus der Stirn.
Sie kannten sich schon seit über zehn Jahren. Damals waren sie im selben Yoga-Kurs gewesen und hatten sich beide in den überirdisch schönen Yoga-Lehrer verknallt. Es war bei bloßer Schwärmerei geblieben, weil der gute Mann enthaltsam lebte. Aber sie hatten auf diese Weise eine Freundin fürs Leben gefunden.
Die siebenunddreißigjährige Tess war ein echter Hingucker: sinnlich, kurvenreich, aufreizend selbstbewusst. Jetzt hefteten sich ihre vergissmeinnichtblauen Augen auf Annes missmutiges Gesicht.
»Du siehst fertig aus«, befand sie und setzte sich.
Anne zuckte mit den Schultern. Eigentlich hatte sie sich auf Tess gefreut. Die samstäglichen Treffen mit ihrer Freundin waren immer ein kleines Highlight. Doch heute dümpelte ihre Laune auf einem historischen Tiefstand. Was konnte niederschmetternder sein, als vom eigenen Mann verschmäht zu werden?
Deprimiert ließ sie den Blick durch ihre Lieblingsbar »Lorettas Loft« schweifen: ein hellgrün gestrichener Raum mit unverputzten Eisenträgern, einem langen Tresen aus gewischtem Edelstahl und bequemen Korbstühlen. Zwei künstliche Palmen und eine zentimeterdicke Schicht weißen Sands beschworen ein gewisses Südseeflair. Die bodentiefen Fenster waren weit geöffnet und ließen die ersten Strahlen der Frühlingssonne herein.
Samstags tranken die beiden Freundinnen hier immer ihren Caffè Latte und lästerten ein bisschen über die aufgerüschten jungen Mädchen ab, die auf der Suche nach ihrem Prinzen waren. Was sich im Falle von Anne und Tess erledigt hatte. Anne war schließlich verheiratet, und Tess lebte mit Bernd zusammen, einem gutmütigen Mittdreißiger, der sich als Hausmann betätigte. Tess hatte einen rasend lukrativen Job als Investmentbankerin. Ihr Gehalt reichte locker für zwei.
»Sag schon, was ist los mit dir?«, wiederholte Tess ihre Frage.
Wie Anne trug sie Jeans und T-Shirt. Da sie beide nicht auf Männerjagd waren, bevorzugten sie bei ihren Treffen unkomplizierte Klamotten.
»Nix ist los«, murrte Anne. »Das ist ja das Problem.«
Tess rollte mit den Augen. »Wie soll ich das denn jetzt verstehen? «
Einen Moment lang zögerte Anne. Klar, mit Tess konnte man über alles reden. Doch was Anne bedrückte, war eine, nun ja, sehr intime Angelegenheit. Die intimste überhaupt: Sex. Und so vertrauensvoll ihr Verhältnis zu Tess auch war, spürte Anne dennoch eine gewisse Scheu bei dem Thema.
»Najaaaa«, antwortete sie gedehnt. »Es geht um Joachim. Und mich.«
»Du musst schon ein bisschen konkreter werden«, sagte Tess. »Habt ihr euch gestritten? Bringt er den Müll nicht runter? Lässt er die Tür offen, wenn er aufs Klo geht? Kümmert er sich zu wenig um Lars? Ist er ...«
»Nein«, unterbrach Anne ihre Freundin, »soweit ist alles in Ordnung, aber ...« Sie schluckte. »Darf ich dich mal was fragen? «
»Alles, was du willst«, versicherte Tess, während sie in ihrer riesigen Umhängetasche aus rotem Leder kramte.
Anne nahm all ihren Mut zusammen. »Wie läuft es bei euch denn so - im Bett?«
»Oh«, sagte Tess. Dann sagte sie eine Weile gar nichts.
Wortlos wühlte sie weiter in ihrer Tasche. Erst als der Kellner zwei Caffè Latte auf den Tisch gestellt hatte, erwiderte sie: »Ist das jetzt der Moment, wo du mir was verkaufen willst? Viagra zum Beispiel?«
Anne arbeitete als Empfangsdame bei einem Urologen, der sich auf Herren mit Potenzproblemen spezialisiert hatte. Entsprechend gehörte die Verschreibung von Viagra und anderen stärkenden Medikamenten zu seinem täglichen Programm, wie Anne ihrer Freundin einmal kichernd erzählt hatte. Die Nachfrage war überraschend groß.
»Quatsch«, zischte Anne. »Ich meine nur - ist es bei euch noch so wie am Anfang?«
Nachdenklich nippte Tess an ihrem Caffè Latte. »Ziemlich indiskrete Frage.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Anne. »Es ist nur so ...«
» ... dass die Luft raus ist?«
Anne nickte betreten. Plötzlich überrollte sie eine Welle aus Selbstverachtung und Verzweiflung.
»Ich bin trutschig geworden, stimmt's?«, brach es aus ihr heraus. »Eine spießige Ehefrau. Eine Langweilernummer. Eine, der keiner mehr hinterherpfeift. Ist es das?«
»Spinnst du?«, protestierte Tess. »Du bist hübsch, sehr hübsch sogar.«
»Danke. Du polierst immer mein Ego, dass ich mich drin spiegeln kann. Trotzdem.«
Tess deutete auf die Speckröllchen, die sich über dem Bund ihrer Jeans wölbten. »Was soll ich denn sagen? Wenn andere in den Spiegel schauen, dann aus Eitelkeit. Wenn ich es tue, ist es Tapferkeit. Mein Job frisst mich auf. Im Gegenzug futtere ich alles in mich rein, was nicht bei drei im Kühlschrank ist. Das einzig Gute ist, dass Bernd auch ein bisschen moppelig geworden ist. Ihn scheint es jedenfalls nicht zu stören, dass ich zugelegt habe. Bei uns ist alles supi soweit.«
Ach nee. Anne beschloss, aufs Ganze zu gehen. Klirrend setzte sie ihre Tasse ab. »Wie oft?«
Nun war Tess völlig entgeistert. »Hallo? Wie - oft? Du willst im Ernst wissen, mit welcher statistischen Häufigkeit es bei Bernd und mir zur Sache geht?«
Der Kellner kam mit der Speisekarte. Tess verscheuchte ihn mit einer wedelnden Handbewegung. Anschließend kramte sie wieder in den Tiefen ihrer Tasche herum, bis sie eine Tube rosa Lipgloss zu Tage gefördert hatte. Wortlos trug sie das Gloss auf. Und ließ sich auffallend viel Zeit damit.
»Du musst nicht antworten«, sagte Anne kleinlaut. »Aber wenn ich ehrlich bin, komme ich nur auf ein, zweimal - im Jahr.«
Tess blieb der Mund offen stehen. Nach der ersten Schrecksekunde warf sie die Tube zurück in die Tasche und begann stumm, etwas an den Fingern abzuzählen. Das Ergebnis schien ihr nicht zu gefallen.
»Was soll's«, seufzte sie. »Warum soll ich dir was vormachen? Bei uns war es auch nicht viel mehr. Eher weniger. Weihnachten ist öfter.«
Eine Sekunde lang starrten die beiden Freundinnen einander an, dann brachen sie in Gelächter aus. Sie konnten gar nicht wieder aufhören. Die anderen Gäste beäugten sie neugierig.
Anne wischte sich eine Lachträne von der Wange. »Oh Mann, ist das krass!«
Ihre trübe Stimmung war verflogen. Das Lachen hatte sie befreit. Noch vor einer Minute hatte sie das Gefühl gehabt, eine absolute Versagerin zu sein. Doch das Geständnis von Tess ließ ihre Sexflaute in neuem Licht erscheinen. Sie war nicht allein mit ihrem Frust.
»Ja, total krass«, bestätigte Tess und unterdrückte einen neuerlichen Kicheranfall. »Sex ist bei uns so selten geworden wie eine bedrohte Tierart. Mit anderen Worten: kurz vorm Aussterben!«
Wieder prustete Anne los. Ihr Handy klingelte, doch sie ignorierte es. Diese Unterhaltung nahm eine Wendung, mit der sie nicht im Traum gerechnet hätte.
»Wenn man bedenkt«, warf Tess ein, »dass ich deinen Mann mal nackt in der Sauna gesehen habe, kann man's kaum glauben. Der ist doch so gut bestückt, dass er locker ganze Nächte durchhalten könnte.«
»Tut er aber nicht. Was nützt eine Stradivari, wenn sie nicht gespielt wird? Wir leben wie Brüderchen und Schwesterchen. «
Allmählich wurde Tess wieder ernst. Aufmerksam begutachtete sie zwei junge Mädchen, die gerade die Bar betraten. In hautengen Leggins und bauchfreien Tops. Alles, was männlich war, sah zu ihnen hin.
Anne folgte dem Blick ihrer Freundin. »Die haben das Ganze noch vor sich«, raunte sie Tess zu. »Liebe, Lust und Leidenschaft. Und bei uns soll's schon wieder vorbei sein?«
Gebannt beobachteten die beiden Freundinnen, wie sich die Mädchen an den Nebentisch setzten und miteinander tuschelten. Offenbar erzählten sie einander von irgendwelchen nächtlichen Abenteuern, wie man aus ein paar Satzfetzen schließen konnte. Als das Wort »Handschellen« fiel, spitzten Anne und Tess die Ohren.
»Hast du das gehört?«, flüsterte Tess.
»Wow, Handschellen«, wisperte Anne andächtig. Sie starrte in ihre fast leere Tasse. »Ich habe neulich einen Artikel über Sexspielzeug gelesen. Soll jetzt total angesagt sein. Fesseln, heißes Kerzenwachs, Handschellen, Flogger ...«
»Flogger? Was ist das denn?«, gluckste Tess. »Klingt verdächtig nach Wischmop.«
»Nee, das ist irgend so ein Teil, mit dem man sich gepflegt den Po versohlt«, gab Anne ihr frisch angelesenes Wissen zum Besten.
»Nichts für mich«, wiegelte Tess ab. »Wär' ja wohl noch schöner. Wenn Bernd mit so einem Ding um die Ecke käme, würde ich ihn jedenfalls im hohen Bogen rausschmeißen.«
»Vielleicht liegt genau da das Problem«, orakelte Anne.
Tess tippte sich an die Stirn. »Tickst du jetzt komplett aus? Du willst doch wohl nicht dein Schlafzimmer in ein SM-Studio nach Hausfrauenart verwandeln! Joachim würde sich totlachen, wie ich ihn kenne.«
Aber Anne ließ sich nicht beirren. »Wer weiß. Jeder hat doch irgendwelche Phantasien. Nur, dass man sie eben für sich behält. Wenn man sich gerade erst kennenlernt, ist man noch experimentierfreudiger.« Ihre Gesichtszüge nahmen einen träumerischen Ausdruck an. »Joachim und ich haben auch ein paar ausgefallene Dinge angestellt, damals, als wir uns erst ganz kurz kannten. Irgendwann kam die laue Routine. Und seit Lars auf der Welt ist, sind unsere Aktivitäten im Bett faktisch mausetot. Wenn ich noch mal schwanger werde, dann wohl nur durch künstliche Befruchtung.«
»Auf den Schreck brauche ich einen Schnaps«, bekannte Tess.
»Vorsicht«, warnte Anne. »Bestimmt hast du noch nicht gefrühstückt. Alkohol auf nüchternen Magen ...«
Tess winkte ungerührt den Kellner heran. »Ich betrinke mich nicht, ich desinfiziere innere Wunden. Und zwar genau die Wunden, die du gerade aufgerissen hast.«
Anne presste die Lippen aufeinander. Tess hatte gut witzeln. Sie war zwar in einer festen Beziehung, doch die konnte sie jederzeit lösen, wenn sie wollte. Bisher hatte es Tess sowieso mit keinem Mann länger als zwei Jahre ausgehalten. Anne dagegen liebte Joachim, immer noch. Außerdem hatten sie ein Kind. Da spazierte man nicht einfach so aus der gemeinsamen Wohnung und sah sich nach neuen Kicks um, wenn der Mann als Liebhaber ausgedient hatte.
Gerade hatte Tess ihren Schnaps bestellt, als Annes Handy erneut klingelte. Diesmal ging sie ran. Es war Joachim.
»Wie bitte?« Anne wurde blass. »Lars ist hingefallen? O Gott. Blutet er? Hast du ihm ein Pflaster aufgeklebt?« Es entstand eine kurze Pause. »Gut, ich komme.« Mit bebenden Fingern packte sie das Handy in ihre Handtasche und trank ihren Kaffee aus.
»Mami ist mal wieder unentbehrlich, was?«, fragte Tess bissig. Da sie selber kinderlos war, hatte sie nie verstanden, warum Anne so ein Bohei um ihren Sohn machte.
»Lars hat sich beim Fußballspielen verletzt. Platzwunde an der Stirn. Ich muss los.«
»Jetzt mal ganz langsam und von vorn«, widersprach Tess. »Wir führen gerade ein lebenswichtiges Gespräch, und du willst gehen?«
»Okay, noch eine Minute«, lenkte Anne ein, obwohl sie wie auf heißen Kohlen saß. Joachim war ein guter Vater. Die Lizenz zum Trösten hatte er allerdings nicht gerade. Nervös zog sie eine Tüte Gummibärchen aus ihrer Tasche und genehmigte sich eine Handvoll davon.
»Klaust du deinem Sohn neuerdings die Gummibärchen?«, feixte Tess.
»Ist nur gerecht. Schließlich hat er mir mein Sexleben geklaut «, erwiderte Anne und erschrak im selben Moment über ihre Äußerung.
»Nur keine voreiligen Schlüsse«, sagte Tess spitz. »Bei uns ist schließlich auch die Erotik auf null, ganz ohne Kinder.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Anne kauend.
»Ich habe nicht die blasseste Ahnung«, gab Tess zu. »Aber eins kann ich dir schriftlich geben: Ich springe nicht in Lack und Leder ins Bett. Und so einen dämlichen Flutscher brauche ich auch nicht. Wir probieren es zunächst mal naturbelassen, abgemacht? Wer von uns beiden als Erste zum Zuge kommt, hat gewonnen.«
»Wie bitte?« Jetzt war es Anne, der der Mund offen stehen blieb.
»Nichts weiter als ein edler Wettstreit in Sachen Beziehungspflege «, grinste Tess. »Wir versuchen einfach, unsere Kerle rumzukriegen.«
»Bei aller Freundschaft - so einen hirnlosen Unsinn mache ich nicht mit!« Anne stand auf. »Sind wir hier bei den Olympischen Sexspielen, oder was? Und übrigens heißt es Flogger, nicht Flutscher.«
»Nenn es, wie du willst.« Tess lehnte sich in ihrem Korbsessel zurück und verschränkte siegesgewiss die Arme. »Ich gewinne sowieso. Sobald es passiert ist, schicke ich dir eine SMS.«
»Freu dich nicht zu früh!« Anne drohte Tess scherzhaft mit dem Finger. »Heute Nacht schläft Lars bei Joachims Eltern, da habe ich freie Bahn!«
»Na, dann frohe Verrichtung«, lachte Tess. »Aber wetten, dass ich schneller bin?«
Copyright © Aufbau Verlag.
»Nicht einschlafen, komme gleich nach!«, flötete sie.
Joachim kratzte sich ausgiebig am Rücken, eine Angewohnheit, die Anne ausgesprochen abtörnend fand.
»Das sagst du immer, und dann dauert es Stunden«, beschwerte er sich. »Was treibst du bloß vor dem Schlafengehen? Deine Dellen zuspachteln?«
»Vielen Dank für die nochmalige Erinnerung, dass ich nicht mehr taufrisch bin«, fauchte Anne.
Joachim grinste schief. »Immer wieder gern.«
Er gab Anne einen Klaps auf den Po. Einen dieser kumpelhaften Klapse, die sie hasste, weil sie in etwa so erotisch waren wie die unförmigen Boxershorts mit Bart Simpson-Aufdruck, die Joachim neuerdings trug.
»Hey, ich bin eine Frau, schon vergessen? Und eine Frau hat ...«, sie räusperte sich, um dann todesmutig hervorzustoßen: »Gewisse Bedürfnisse!«
»Ach ja?« Joachim ordnete gedankenverloren sein Gemächt in den unendlichen Weiten der Boxershorts. Auch so ein Abtörner. »Ich würde sagen, du hast ein Problem mit den zwei Chinesen.«
»Wie jetzt?«
Selbstverliebt betrachtete Annes Mann seinen Oberkörper im Spiegel, bevor er antwortete: »Stei-Ling und Tei-Ming.«
Vollkommen verdattert stand Anne da. »Soll ich im Lexikon nachschlagen, oder kannst du etwas deutlicher werden?«
»Na, dein Sty-ling ist grenzwertig - oder findest du dieses T-Shirt etwa sexy? Und dein Ti-ming, na ja. Wenn du mit deinem Beautyprogramm fertig bist, befinde ich mich regelmäßig im Tiefschlaf. Was auch immer du heute noch mit mir vorhast - weck mich bitte nicht dabei auf.«
Damit trollte er sich.
Auf der Frustskala von eins bis zehn war Anne kurz vor hundert. Wütend musterte sie ihr Spiegelbild. Okay, das T-Shirt war nicht gerade ein Knaller, und mit ihren achtunddreißig war sie auch nicht mehr so knackig wie diese jungen Dinger, die hüftwackelnd durch die Gegend rannten und ihre straffe Haut vorführten. Aber sie war immer noch ziemlich ansehnlich. Langes, blondes Haar floss in sanften Wellen über ihre Schultern. Ihre rehbraunen Augen waren auch nach dem Abschminken ausdrucksvoll, ganz ohne Wimperntusche und Kajal. Und abgesehen von dem bisschen Cellulite hatte sie wirklich noch eine einigermaßen gute Figur.
Nur das strahlende Lächeln, in das sich Joachim einst verliebt hatte, war verschwunden.
Anne sah in das blasse, erschöpfte Gesicht einer Frau, die sich zwischen Job und Muttersein aufrieb, täglich ein vollwertiges Abendessen auf den Tisch des Hauses zauberte, die Wohnung in Schuss hielt, den gemeinsamen Sohn zum Kindergarten, zum Malkurs, zum Fußballtraining fuhr. Und wieder abholte, versteht sich.
Zwischen diesen ganzen Aktivitäten war noch mehr verschwunden als nur ihr strahlendes Lächeln - das erregende Prickeln zwischen ihr und ihrem Mann. Wann hatten sie eigentlich das letzte Mal miteinander geschlafen? Anne erinnerte sich dunkel an ein flüchtiges Geplänkel im letzten Sommerurlaub. Jetzt war Mai. Sollte das etwa normal sein? Tote Hose nach sechs Jahren Ehe?
Gedankenverloren kämmte sie sich die Haare. Sie sehnte sich ja nicht nur nach Lust und Leidenschaft. Anne wollte ein zweites Kind. Lars war fünf. Höchste Zeit für ein Geschwisterchen. Aber wie sollte das wohl entstehen ohne den üblichen Austausch von Körperflüssigkeiten? Also war jetzt Eile geboten.
Die Suche nach der Cellulite-Creme gab sie auf. Das blöde Zeug hatte ihr schon genug Scherereien eingebracht. Sie warf den Kamm auf die Ablage über dem Waschbecken, knipste das Licht im Badezimmer aus und schlich auf Zehenspitzen in den Flur. Mit angehaltenem Atem horchte sie, ob Lars wach geworden war. Alles ruhig, stellte sie erleichtert fest. Also los.
Als sie das Schlafzimmer betrat, war es darin stockdunkel. Man hörte nur die tiefen, regelmäßigen Atemzüge eines schlafenden Mannes, der offenbar jeden Gedanken an Sex aufgegeben hatte. Jedenfalls mit ihr.
»Hey, Schnecke, was ist los?«
Anne fuhr herum. Es war Samstagmittag. Ihr heiliger Samstagmittag. Wie immer war sie mit ihrer besten Freundin Teresa verabredet, von allen Tess genannt. Atemlos stand sie vor Anne und strich sich die Fransen ihres rotbraunen Kurzhaarschnitts aus der Stirn.
Sie kannten sich schon seit über zehn Jahren. Damals waren sie im selben Yoga-Kurs gewesen und hatten sich beide in den überirdisch schönen Yoga-Lehrer verknallt. Es war bei bloßer Schwärmerei geblieben, weil der gute Mann enthaltsam lebte. Aber sie hatten auf diese Weise eine Freundin fürs Leben gefunden.
Die siebenunddreißigjährige Tess war ein echter Hingucker: sinnlich, kurvenreich, aufreizend selbstbewusst. Jetzt hefteten sich ihre vergissmeinnichtblauen Augen auf Annes missmutiges Gesicht.
»Du siehst fertig aus«, befand sie und setzte sich.
Anne zuckte mit den Schultern. Eigentlich hatte sie sich auf Tess gefreut. Die samstäglichen Treffen mit ihrer Freundin waren immer ein kleines Highlight. Doch heute dümpelte ihre Laune auf einem historischen Tiefstand. Was konnte niederschmetternder sein, als vom eigenen Mann verschmäht zu werden?
Deprimiert ließ sie den Blick durch ihre Lieblingsbar »Lorettas Loft« schweifen: ein hellgrün gestrichener Raum mit unverputzten Eisenträgern, einem langen Tresen aus gewischtem Edelstahl und bequemen Korbstühlen. Zwei künstliche Palmen und eine zentimeterdicke Schicht weißen Sands beschworen ein gewisses Südseeflair. Die bodentiefen Fenster waren weit geöffnet und ließen die ersten Strahlen der Frühlingssonne herein.
Samstags tranken die beiden Freundinnen hier immer ihren Caffè Latte und lästerten ein bisschen über die aufgerüschten jungen Mädchen ab, die auf der Suche nach ihrem Prinzen waren. Was sich im Falle von Anne und Tess erledigt hatte. Anne war schließlich verheiratet, und Tess lebte mit Bernd zusammen, einem gutmütigen Mittdreißiger, der sich als Hausmann betätigte. Tess hatte einen rasend lukrativen Job als Investmentbankerin. Ihr Gehalt reichte locker für zwei.
»Sag schon, was ist los mit dir?«, wiederholte Tess ihre Frage.
Wie Anne trug sie Jeans und T-Shirt. Da sie beide nicht auf Männerjagd waren, bevorzugten sie bei ihren Treffen unkomplizierte Klamotten.
»Nix ist los«, murrte Anne. »Das ist ja das Problem.«
Tess rollte mit den Augen. »Wie soll ich das denn jetzt verstehen? «
Einen Moment lang zögerte Anne. Klar, mit Tess konnte man über alles reden. Doch was Anne bedrückte, war eine, nun ja, sehr intime Angelegenheit. Die intimste überhaupt: Sex. Und so vertrauensvoll ihr Verhältnis zu Tess auch war, spürte Anne dennoch eine gewisse Scheu bei dem Thema.
»Najaaaa«, antwortete sie gedehnt. »Es geht um Joachim. Und mich.«
»Du musst schon ein bisschen konkreter werden«, sagte Tess. »Habt ihr euch gestritten? Bringt er den Müll nicht runter? Lässt er die Tür offen, wenn er aufs Klo geht? Kümmert er sich zu wenig um Lars? Ist er ...«
»Nein«, unterbrach Anne ihre Freundin, »soweit ist alles in Ordnung, aber ...« Sie schluckte. »Darf ich dich mal was fragen? «
»Alles, was du willst«, versicherte Tess, während sie in ihrer riesigen Umhängetasche aus rotem Leder kramte.
Anne nahm all ihren Mut zusammen. »Wie läuft es bei euch denn so - im Bett?«
»Oh«, sagte Tess. Dann sagte sie eine Weile gar nichts.
Wortlos wühlte sie weiter in ihrer Tasche. Erst als der Kellner zwei Caffè Latte auf den Tisch gestellt hatte, erwiderte sie: »Ist das jetzt der Moment, wo du mir was verkaufen willst? Viagra zum Beispiel?«
Anne arbeitete als Empfangsdame bei einem Urologen, der sich auf Herren mit Potenzproblemen spezialisiert hatte. Entsprechend gehörte die Verschreibung von Viagra und anderen stärkenden Medikamenten zu seinem täglichen Programm, wie Anne ihrer Freundin einmal kichernd erzählt hatte. Die Nachfrage war überraschend groß.
»Quatsch«, zischte Anne. »Ich meine nur - ist es bei euch noch so wie am Anfang?«
Nachdenklich nippte Tess an ihrem Caffè Latte. »Ziemlich indiskrete Frage.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Anne. »Es ist nur so ...«
» ... dass die Luft raus ist?«
Anne nickte betreten. Plötzlich überrollte sie eine Welle aus Selbstverachtung und Verzweiflung.
»Ich bin trutschig geworden, stimmt's?«, brach es aus ihr heraus. »Eine spießige Ehefrau. Eine Langweilernummer. Eine, der keiner mehr hinterherpfeift. Ist es das?«
»Spinnst du?«, protestierte Tess. »Du bist hübsch, sehr hübsch sogar.«
»Danke. Du polierst immer mein Ego, dass ich mich drin spiegeln kann. Trotzdem.«
Tess deutete auf die Speckröllchen, die sich über dem Bund ihrer Jeans wölbten. »Was soll ich denn sagen? Wenn andere in den Spiegel schauen, dann aus Eitelkeit. Wenn ich es tue, ist es Tapferkeit. Mein Job frisst mich auf. Im Gegenzug futtere ich alles in mich rein, was nicht bei drei im Kühlschrank ist. Das einzig Gute ist, dass Bernd auch ein bisschen moppelig geworden ist. Ihn scheint es jedenfalls nicht zu stören, dass ich zugelegt habe. Bei uns ist alles supi soweit.«
Ach nee. Anne beschloss, aufs Ganze zu gehen. Klirrend setzte sie ihre Tasse ab. »Wie oft?«
Nun war Tess völlig entgeistert. »Hallo? Wie - oft? Du willst im Ernst wissen, mit welcher statistischen Häufigkeit es bei Bernd und mir zur Sache geht?«
Der Kellner kam mit der Speisekarte. Tess verscheuchte ihn mit einer wedelnden Handbewegung. Anschließend kramte sie wieder in den Tiefen ihrer Tasche herum, bis sie eine Tube rosa Lipgloss zu Tage gefördert hatte. Wortlos trug sie das Gloss auf. Und ließ sich auffallend viel Zeit damit.
»Du musst nicht antworten«, sagte Anne kleinlaut. »Aber wenn ich ehrlich bin, komme ich nur auf ein, zweimal - im Jahr.«
Tess blieb der Mund offen stehen. Nach der ersten Schrecksekunde warf sie die Tube zurück in die Tasche und begann stumm, etwas an den Fingern abzuzählen. Das Ergebnis schien ihr nicht zu gefallen.
»Was soll's«, seufzte sie. »Warum soll ich dir was vormachen? Bei uns war es auch nicht viel mehr. Eher weniger. Weihnachten ist öfter.«
Eine Sekunde lang starrten die beiden Freundinnen einander an, dann brachen sie in Gelächter aus. Sie konnten gar nicht wieder aufhören. Die anderen Gäste beäugten sie neugierig.
Anne wischte sich eine Lachträne von der Wange. »Oh Mann, ist das krass!«
Ihre trübe Stimmung war verflogen. Das Lachen hatte sie befreit. Noch vor einer Minute hatte sie das Gefühl gehabt, eine absolute Versagerin zu sein. Doch das Geständnis von Tess ließ ihre Sexflaute in neuem Licht erscheinen. Sie war nicht allein mit ihrem Frust.
»Ja, total krass«, bestätigte Tess und unterdrückte einen neuerlichen Kicheranfall. »Sex ist bei uns so selten geworden wie eine bedrohte Tierart. Mit anderen Worten: kurz vorm Aussterben!«
Wieder prustete Anne los. Ihr Handy klingelte, doch sie ignorierte es. Diese Unterhaltung nahm eine Wendung, mit der sie nicht im Traum gerechnet hätte.
»Wenn man bedenkt«, warf Tess ein, »dass ich deinen Mann mal nackt in der Sauna gesehen habe, kann man's kaum glauben. Der ist doch so gut bestückt, dass er locker ganze Nächte durchhalten könnte.«
»Tut er aber nicht. Was nützt eine Stradivari, wenn sie nicht gespielt wird? Wir leben wie Brüderchen und Schwesterchen. «
Allmählich wurde Tess wieder ernst. Aufmerksam begutachtete sie zwei junge Mädchen, die gerade die Bar betraten. In hautengen Leggins und bauchfreien Tops. Alles, was männlich war, sah zu ihnen hin.
Anne folgte dem Blick ihrer Freundin. »Die haben das Ganze noch vor sich«, raunte sie Tess zu. »Liebe, Lust und Leidenschaft. Und bei uns soll's schon wieder vorbei sein?«
Gebannt beobachteten die beiden Freundinnen, wie sich die Mädchen an den Nebentisch setzten und miteinander tuschelten. Offenbar erzählten sie einander von irgendwelchen nächtlichen Abenteuern, wie man aus ein paar Satzfetzen schließen konnte. Als das Wort »Handschellen« fiel, spitzten Anne und Tess die Ohren.
»Hast du das gehört?«, flüsterte Tess.
»Wow, Handschellen«, wisperte Anne andächtig. Sie starrte in ihre fast leere Tasse. »Ich habe neulich einen Artikel über Sexspielzeug gelesen. Soll jetzt total angesagt sein. Fesseln, heißes Kerzenwachs, Handschellen, Flogger ...«
»Flogger? Was ist das denn?«, gluckste Tess. »Klingt verdächtig nach Wischmop.«
»Nee, das ist irgend so ein Teil, mit dem man sich gepflegt den Po versohlt«, gab Anne ihr frisch angelesenes Wissen zum Besten.
»Nichts für mich«, wiegelte Tess ab. »Wär' ja wohl noch schöner. Wenn Bernd mit so einem Ding um die Ecke käme, würde ich ihn jedenfalls im hohen Bogen rausschmeißen.«
»Vielleicht liegt genau da das Problem«, orakelte Anne.
Tess tippte sich an die Stirn. »Tickst du jetzt komplett aus? Du willst doch wohl nicht dein Schlafzimmer in ein SM-Studio nach Hausfrauenart verwandeln! Joachim würde sich totlachen, wie ich ihn kenne.«
Aber Anne ließ sich nicht beirren. »Wer weiß. Jeder hat doch irgendwelche Phantasien. Nur, dass man sie eben für sich behält. Wenn man sich gerade erst kennenlernt, ist man noch experimentierfreudiger.« Ihre Gesichtszüge nahmen einen träumerischen Ausdruck an. »Joachim und ich haben auch ein paar ausgefallene Dinge angestellt, damals, als wir uns erst ganz kurz kannten. Irgendwann kam die laue Routine. Und seit Lars auf der Welt ist, sind unsere Aktivitäten im Bett faktisch mausetot. Wenn ich noch mal schwanger werde, dann wohl nur durch künstliche Befruchtung.«
»Auf den Schreck brauche ich einen Schnaps«, bekannte Tess.
»Vorsicht«, warnte Anne. »Bestimmt hast du noch nicht gefrühstückt. Alkohol auf nüchternen Magen ...«
Tess winkte ungerührt den Kellner heran. »Ich betrinke mich nicht, ich desinfiziere innere Wunden. Und zwar genau die Wunden, die du gerade aufgerissen hast.«
Anne presste die Lippen aufeinander. Tess hatte gut witzeln. Sie war zwar in einer festen Beziehung, doch die konnte sie jederzeit lösen, wenn sie wollte. Bisher hatte es Tess sowieso mit keinem Mann länger als zwei Jahre ausgehalten. Anne dagegen liebte Joachim, immer noch. Außerdem hatten sie ein Kind. Da spazierte man nicht einfach so aus der gemeinsamen Wohnung und sah sich nach neuen Kicks um, wenn der Mann als Liebhaber ausgedient hatte.
Gerade hatte Tess ihren Schnaps bestellt, als Annes Handy erneut klingelte. Diesmal ging sie ran. Es war Joachim.
»Wie bitte?« Anne wurde blass. »Lars ist hingefallen? O Gott. Blutet er? Hast du ihm ein Pflaster aufgeklebt?« Es entstand eine kurze Pause. »Gut, ich komme.« Mit bebenden Fingern packte sie das Handy in ihre Handtasche und trank ihren Kaffee aus.
»Mami ist mal wieder unentbehrlich, was?«, fragte Tess bissig. Da sie selber kinderlos war, hatte sie nie verstanden, warum Anne so ein Bohei um ihren Sohn machte.
»Lars hat sich beim Fußballspielen verletzt. Platzwunde an der Stirn. Ich muss los.«
»Jetzt mal ganz langsam und von vorn«, widersprach Tess. »Wir führen gerade ein lebenswichtiges Gespräch, und du willst gehen?«
»Okay, noch eine Minute«, lenkte Anne ein, obwohl sie wie auf heißen Kohlen saß. Joachim war ein guter Vater. Die Lizenz zum Trösten hatte er allerdings nicht gerade. Nervös zog sie eine Tüte Gummibärchen aus ihrer Tasche und genehmigte sich eine Handvoll davon.
»Klaust du deinem Sohn neuerdings die Gummibärchen?«, feixte Tess.
»Ist nur gerecht. Schließlich hat er mir mein Sexleben geklaut «, erwiderte Anne und erschrak im selben Moment über ihre Äußerung.
»Nur keine voreiligen Schlüsse«, sagte Tess spitz. »Bei uns ist schließlich auch die Erotik auf null, ganz ohne Kinder.«
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Anne kauend.
»Ich habe nicht die blasseste Ahnung«, gab Tess zu. »Aber eins kann ich dir schriftlich geben: Ich springe nicht in Lack und Leder ins Bett. Und so einen dämlichen Flutscher brauche ich auch nicht. Wir probieren es zunächst mal naturbelassen, abgemacht? Wer von uns beiden als Erste zum Zuge kommt, hat gewonnen.«
»Wie bitte?« Jetzt war es Anne, der der Mund offen stehen blieb.
»Nichts weiter als ein edler Wettstreit in Sachen Beziehungspflege «, grinste Tess. »Wir versuchen einfach, unsere Kerle rumzukriegen.«
»Bei aller Freundschaft - so einen hirnlosen Unsinn mache ich nicht mit!« Anne stand auf. »Sind wir hier bei den Olympischen Sexspielen, oder was? Und übrigens heißt es Flogger, nicht Flutscher.«
»Nenn es, wie du willst.« Tess lehnte sich in ihrem Korbsessel zurück und verschränkte siegesgewiss die Arme. »Ich gewinne sowieso. Sobald es passiert ist, schicke ich dir eine SMS.«
»Freu dich nicht zu früh!« Anne drohte Tess scherzhaft mit dem Finger. »Heute Nacht schläft Lars bei Joachims Eltern, da habe ich freie Bahn!«
»Na, dann frohe Verrichtung«, lachte Tess. »Aber wetten, dass ich schneller bin?«
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Autoren-Porträt von Ellen Berg
Ellen Berg, geboren 1969, studierte Germanistik und arbeitete als Reiseleiterin und in der Gastronomie. Heute schreibt und lebt sie mit ihrer Tochter auf einem kleinen Bauernhof im Allgäu.Ihre Romane "Du mich auch. (K)ein Rache Roman", "Das bisschen Kuchen. (K)ein Diät-Roman", "Den lass ich gleich an. (K)ein Single-Roman", "Ich koch dich tot. (K)ein Liebes-Roman", "Gib's mir, Schatz! (K)ein Fessel-Roman", "Zur Hölle mit Seniorentellern! (K)ein Rentner-Roman", "Ich will es doch auch! (K)ein Beziehungs-Roman", "Alles Tofu, oder was? (K)ein Koch-Roman", "Blonder wird's nicht. (K)ein Friseur-Roman", "Ich schenk dir die Hölle auf Erden. (K)ein Trennungs-Roman, "Manche mögen's steil. (K)ein Liebes-Roman", "Wie heiß ist das denn? (K)ein Liebes-Roman", "Ich küss dich tot. (K)ein Familien-Roman", "Trau dich doch. (K)ein Hochzeits-Roman", "Der ist für die Tonne. (K)ein Männer-Roman", "Willst du Blumen, kauf dir welche. (K)ein Romantik-Roman", "Mach dich locker. (K)ein Frauen-Roman und "VonSpaß war nie die Rede. (K)ein Mütter-Roman liegen im Aufbau Taschenbuch vor und sind große Erfolge.Besuchen Sie die Autorin auch auf www.ellen-berg.de.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ellen Berg
- 2013, 8. Aufl., 320 Seiten, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Aufbau TB
- ISBN-10: 3746629705
- ISBN-13: 9783746629704
- Erscheinungsdatum: 11.11.2013
Rezension zu „Gib's mir, Schatz! “
» Herrlich bissiger Humor und seitenweise gute Unterhaltung - die Romane von Ellen Berg gehören mit zum Besten, was einem Leser passieren kann. « Christina Spannuth Literaturblog 20140210
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