Goethes letzte Reise
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Goethes letzte Reise von Sigrid Damm
LESEPROBE
I
Im August des Jahres 1831entschließt sich Goethe zu einer Reise.
Am 24. August notiert er: Brachtemit Vorbereitungen zur Abreise zu. Am 25.: AllesNöthige zusammen gepackt.
Am 26. August, es ist ein Freitag,ein Wolkiger regenloser Tag, wie dasTagebuch vermerkt, verläßt er die thüringischeResidenzstadt.
Goethe ist einundachtzig Jahre alt.Reisen ist für ihn keineswegs mehr das Gewohnte. Im Gegenteil.
In den zurückliegenden Jahren hatder lebenslang reisehungrige, wanderbegierige Goethe - Reisen ein unabdingbarerTeil seiner Kreativität - dieser ihm so vertrauten und geliebten Existenzformfast völlig entsagt.
Das Jahr 1823 bringt den Einschnitt.Es bedeutet das Ende der großen Reisen. Die über Jahrzehnte beibehalteneGewohnheit der langen Sommeraufenthalte in den böhmischen Bädern wird jähaufgegeben. In diesem Sommer 18 23, Goethe ist nach dem Tod seiner FrauChristiane seit sieben Jahren Witwer, versucht er sein Leben neu zu gestalten,eine junge Frau an seine Seite zunehmen. Der Plan scheitert. Er verläßt Böhmen. Kehrt nie wieder dorthin zurück.
Ist es die in Marienbad und Karlsbaderfahrene Zurückweisung seiner Liebe durch die junge Ulrike von Levetzow, die ihn zu dieser Entsagung drängt? Ist es sein Alter,das ihm durch diese Zurückweisung bewußt wird? Ergeht auf das fünfundsiebzigste Jahr zu.
Von da an gehören die Zeiten seinerReisen der Vergangenheit an.
Nach 1823 verläßtGoethe Thüringen nicht mehr.
Er wird ein Seßhafter,spricht von sich als Sedentarier.Seine Weimarer Häuser und Gärten am Frauenplan und in den Ilmwiesenwerden der Raum seiner Welt. Seine Arbeitsstube, im hinteren Teil desStadthauses zum Garten und zur Ackerwand hin gelegen, nennt Goethe seine Klause, seine Klosterzelle; sich selbst einen Einsiedler,einen Eremiten.
Der Rückzug in die thüringischeResidenzstadt.
Auch ihr kehrt er in all den Jahren,abgesehen von Ausfahrten in die Umgebung und kurzen Aufenthalten in Jena, nurnoch ein einziges Mal den Rücken. Im Sommer 1828, als der Herzog stirbt. DerMann, der ihn vor Über einem halben Jahrhundert nach Weimar geholt hat, mit demihn eine an Höhen und Tiefen reiche Arbeitsund Lebenspartnerschaft verbindet.Am Tag, als der Leichnam des Herzogs in Weimar feierlich aufgebahrt wird (Solenne Ausstellung der fürstlichen Leiche auf demParadebette in der Schloßkirche, notiert Riemer),die Beerdigungszeremonien beginnen, zieht Goethe sich auf die Dornburger Schlösser zurück. Die Paraden im Tode sind nicht das, was ich liebe. Er verläßt die Stadt, ohne Abschied von der sterblichen Hülledes Freundes zu nehmen. Eine Reise wider Willen; Flucht vor dem Tod.
Nun, im August 1831, eine erneuteReise.
Aber diesmal ist es keine Flucht,sondern ein heiterer, freier Reiseentschluß. Wie esscheint, ist diese Reise lange im Kopf geplant, ist Belohnung für ein zeitlichfestgelegtes und erreichtes Arbeitsziel.
26. August. In zwei Tagen wird sein82. Geburtstag sein.
... faßt ich den festen Vorsatz, es müsse vor meinem Geburtstag geschehen,schreibt er dem Altersfreund Carl Friedrich Zelter. Und an Carl Friedrich vonReinhard: ich bestimmte fest in mir: esmüsse vor meinem Geburtstag geschehen seyn.
Um was geht es?
Um seinen »Faust«, das Werk, das ihnsein ganzes Leben lang in Atem hält.
Für dessen Vollendung hat er sichultimativ einen Termin gesetzt: den 28. August 1831.
Es sei,äußert er, keine Kleinigkeit, das, wasman im zwanzigsten Jahre concipirt hat, im 82. außersich darzustellen und ein solches inneres lebendiges Knochengerippmit Sehnen, Fleisch und Oberhaut zu bekleiden, auch wohl dem fertigHingestellten noch einige Mantelfalten umzuschlagen, damit alles zusammen einoffenbares Räthsel bleibe, die Menschen fort und fortergetze und ihnen zu schaffen mache.
Bis in die Kindheit gehen dieAnfänge: das Puppenspiel im Frankfurter Haus am Hirschgraben. Dann, 1774, diefrüheste Fassung. Auf Postpapier geschrieben, bringt sie derFünfundzwanzigjährige mit nach Weimar und liest aus ihr vor.
Erst zehn Jahre später, nach seinerFlucht nach Italien, setzt er in Rom die Arbeit daran fort. Die Hexenkücheentsteht im Garten Borghese. Am 11.August 1787 teilter seinem Herzog aus Rom mit, biß Ostern wolle erFaust ausgearbeitet haben, welches mir nur in dieser Abgeschiedenheit möglichwird. Am 8. Dezember schreibt er: Umdas Stück zu vollenden, werd ich mich sonderbar zukammennehmenmüßen. Ich muß einenmagischen Kreis um mich ziehen...
Es gelingt ihm nicht, den »Faust« zuvollenden.
Unter dem Titel »Faust. EinFragment« publiziert er das Vorhandene in Band sieben seiner von 1787 bis 1790bei Göschen in Leipzig erscheinenden achtbändigenersten Werkausgabe.
Schiller ist es dann, der ihn zurWeiterarbeit drängt. 1794 antwortet Goethe ihm: ich wage nicht das Packet aufzuschnüren.
Vier Jahre später ist es soweit. Was mich so lange Jahre abgehalten hatwieder daran zu gehen war die Schwierigkeit den alten geronnenen Stoff wiederins Schmelzen zu bringen, schreibt er da. Und: Meinen Faust habe ich um ein gutes weiter gebracht. Das alte noch vorräthige höchst confuse Manuscript ist abgeschrieben und die Theilesind in abgesonderten Lagen, nach den Nummern eines ausführlichen Schemashinter einander gelegt. Nun kann ich jeden Augenblick der Stimmung nutzen, umeinzelne Theile weiter auszuführen...
Aber Stimmung stellt sich nur sporadisch ein.
Im Januar 179 9 arbeitet er an derWalpurgisnacht. Am 2 1. September 18 00 liest er Schiller den Helena-Akt vor.Trotz dessen anhaltendem Zuspruch gerät die Arbeit ins Stocken. Der Freund wirdungeduldig. Goethe sei zu wenig Herrüber seine Stimmung, schreibt er am 10. Dezember 1801 an Cotta, seine Schwerfälligkeit macht ihn unschlüssigund über den vielen Liebhaber Beschäftigungen, die er sich mitWissenschaftlichen Dingen macht, zerstreut er sich zu sehr. Beinahe verzweifleich daran, daß er seinen Faust noch vollenden wird.
© InselVerlag
- Autor: Sigrid Damm
- 2007, 363 Seiten, Maße: 13,7 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: INSEL VERLAG
- ISBN-10: 3458173706
- ISBN-13: 9783458173700
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Goethes letzte Reise".
Kommentar verfassen