Göttin der Liebe / Mythica Bd.1
Kann man als normale Sterbliche ein Liebesduell mit einer leibhaftigen Göttin bestehen? Für die entsetzte Pea stellt sich genau diese Herausforderung. Ausgerechnet die Liebesgöttin Venus hat sich in ihren Angeteten Griffin verliebt. Eine fatale Sache!
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Produktinformationen zu „Göttin der Liebe / Mythica Bd.1 “
Kann man als normale Sterbliche ein Liebesduell mit einer leibhaftigen Göttin bestehen? Für die entsetzte Pea stellt sich genau diese Herausforderung. Ausgerechnet die Liebesgöttin Venus hat sich in ihren Angeteten Griffin verliebt. Eine fatale Sache!
Klappentext zu „Göttin der Liebe / Mythica Bd.1 “
Die göttliche Venus - unsterblich verliebt in einen Sterblichen!Um den attraktiven Feuerwehrmann Griffin zu gewinnen, bräuchte die unscheinbare Pea vor allem eines: eine gründliche Generalüberholung. Make-up, Schuhe, Klamotten - alles an ihr ist ein einziges Desaster. Als sie in ihrer Verzweiflung Venus beschwört, staunt sie nicht schlecht: Die Göttin steigt herab aus dem Olymp, um ihr zu helfen. Doch was ist, wenn die Göttin der Liebe plötzlich selbst ihr Herz verliert? Und das ausgerechnet an Griffin?
Lese-Probe zu „Göttin der Liebe / Mythica Bd.1 “
Mythica - Göttin der Liebe von P. C. CastProlog
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Venus war unruhig.
Nein, es war schlimmer als Unruhe. Unruhe konnte mit Hilfe eines netten Bechers gekühlter Ambrosia gestillt werden oder auch dadurch, dass sie zur Ablenkung eine Nymphe herbeizitierte. (Da gab es zahlreiche Möglichkeiten. Zum Beispiel, dass ihr die Haare geflochten und zu einer kunstvollen blonden Zopfkrone aufgesteckt wurden. Oder dass eine Wassernymphe ihr eine Ganzkörpermassage angedeihen ließ - ein wundervoll sinnliches Erlebnis, das am besten am Strand ausgeführt wurde. Nackt natürlich.) Aber Venus hatte keine Lust, eine Nymphe zu rufen. Und sie schlürfte bereits ein Glas der exzellenten Ambrosia-Ernte dieser Saison, frisch eingebracht von den Elysischen Gefilden.
Venus seufzte und tippte mit ihrem eleganten Fuß auf den glatten Marmorboden ihres Gemachs in Vulcanus' unterirdischem Palast. Aus ihrem eigenen goldenen Tempel hoch auf dem Olymp war sie ausgezogen (obwohl man von dort wirklich einen sensationellen Blick hatte) und hatte sich in dem Palast ihres Ehemanns eingenistet, aus dem gleichen Grund, den sie seit Jahrhunderten immer wieder benutzte: um Ruhe und Frieden zu finden und sich von den anstrengenden Pflichten, die sie als das schönste und begehrenswerteste weibliche Wesen aller Zeiten eben hatte, zu erholen - davon, dass sie buchstäblich die Liebe in Person war. Für gewöhnlich genügte es, wenn sie sich vor den vielfältigen daraus resultierenden Anforderungen tief in die Eingeweide von Vulcanus' Reich zurückzog. Schließlich spielte sich ja zwischen Vulcanus und Venus nichts Romantisches ab. Bei der Vorstellung entschlüpfte dem perfekten Mund der Göttin ein leises, melodisches Lachen. Genau aus diesem Grund hatte sie Vulcanus ja geheiratet. Na ja, vielleicht nicht nur aus diesem Grund. Für sie war die Heirat mit Vulcanus eine Möglichkeit gewesen, ihren Aufgaben als Personifizierung der Liebe zu entfliehen. Für Vulcanus war es ein Versuch gewesen, dem Rest des Olymps zu zeigen, dass er dazugehörte, dass er einer von ihnen war, und die entsprechende Anerkennung dafür zu bekommen.
Anscheinend hatte ihre von Leidenschaft und Liebe unberührte Ehe in der Theorie jedoch besser funktioniert als in der Praxis.
Venus stellte ihren Kristallkelch mit Ambrosia beiseite. Wo war denn bloß dieser lächerliche Gedanke plötzlich hergekommen? An der Abmachung mit Vulcanus war nichts auszusetzen, sie funktionierte seit Jahrhunderten und würde gut und gerne viele weitere Jahrhunderte funktionieren.
Plötzlich hatte sie eine Eingebung. Sie stand auf und verließ eilig das opulente Gemach. Ja, das war's - sie würde Vulcanus aufsuchen. Schließlich waren sie Freunde. Vielleicht konnte er ihr helfen, eine gute Partnerin für Hermes zu finden. Höchste Zeit, dass jemand dem Götterboten Feuer unter den geflügelten Sandalen machte. Außerdem gab es nichts Besseres als ein bisschen verbotene Liebe, um den grauen Alltag weniger grau zu machen.
Vulcanus war nicht schwer zu finden. (Wer würde von ihm auch Überraschungen erwarten?) Wie üblich befand er sich im Zentrum seines Reichs, in der Schmiede des Olymps, bei der großen Flammensäule. Als Venus leise eintrat, stand er vor der Flammensäule, die Arme hoch erhoben. Sie musterte ihn aus der Distanz: Er war ein gut gebauter Gott, allerdings nicht blond, schlank und anmutig wie die meisten Olympier, sondern dunkelhaarig und recht kräftig. Die anderen Götter mieden ihn wegen seines Hinkens, dieser Behinderung, unter der er seit Ewigkeiten litt. Eigentlich war es nur eine leichte Lähmung, die man kaum wahrgenommen hätte, wenn er nicht mitten unter lauter makellosen, vollkommenen Göttern leben würde.
Ja, Vulcanus war durchaus attraktiv. Nicht dass Venus ihn jemals begehrt hätte (oder er sie, soweit sie es beurteilen konnte, und das war für sie als Göttin der Liebe ja wohl kein Problem). Nachdenklich legte sie den Kopf schräg. Es stimmte, dass Anziehung und Leidenschaft oft körperlich schwer fassbar waren und weit mehr mit etwas so Nebulösem zu tun hatten wie dem Funken, der zwischen zwei Seelen übersprang. Und dieser Funke fehlte ganz offensichtlich zwischen Vulcanus und ihr.
Venus schüttelte den Gedanken ab. Solche Grübeleien waren Zeitverschwendung. Schließlich war sie die Liebe, die Liebe in Person. Sie konnte den Funken heraufbeschwören, wann immer es ihr passte. Warum nicht mal dafür sorgen, dass Hermes sich ordentlich amüsierte? Für Vulcanus wäre es auch eine gute Abwechslung. Er war viel zu ernst und hatte oft nichts anderes im Kopf als arbeiten, arbeiten, arbeiten. Leise trat sie näher an den dunkelhaarigen Gott heran, so dass sie über seine breiten Schultern die heilige Säule mit den gelben und orangeroten Flammen sehen konnte, die dort als Reaktion auf seine Magie loderten. In den Flammen erhaschte sie einen kurzen Blick auf etwas, was aussah wie der Nachthimmel mit glitzernden Sternbildern - ziemlich ausgefallen, aber nicht sonderlich interessant. Venus hatte noch nie verstanden, was an der Flammensäule so faszinierend sein sollte. Vielleicht, weil Vulcanus sie nie in die Einzelheiten seiner Magie eingeweiht hatte. Hmm ... Da stand sie nun und kaute auf der Unterlippe. Dieser Gedanke war ihr noch nie in den Kopf gekommen. Doch dann zuckte sie die Achseln. Was spielte das schon für eine Rolle?
»Vulcanus!«, rief sie mit fröhlicher Stimme seinem Rücken zu.
Er warf einen schnellen Blick über die Schulter und schenkte ihr ein kurzes Lächeln. »Hast du dich gut ausgeruht?«
»Genau genommen langweile ich mich ganz furchtbar, Liebling.« Träge ging sie zu der Steinbank gleich neben der Flammensäule hinüber und setzte sich anmutig darauf. »Wie wäre es, wenn wir zwei etwas richtig Aufregendes zwischen Hermes und ... « Sie zögerte und überlegte angestrengt. »Wenn wir etwas zwischen Hermes und Aeolus anleiern?«
Ohne sich von den lodernden Flammen ablenken zu lassen, antwortete Vulcanus in vagem, zerstreutem Ton: »Aeolus? Mag der Gott der Winde junge Nymphen - ich meine, weibliche Nymphen - nicht viel lieber als andere Unsterbliche?«
Venus winkte ab. »Ach, das ist doch nur ein Detail. Ich denke mir einen Zauber aus, du überlegst, welche Flamme ihn tragen könnte, und ... «
»Verzeih mir, Venus, aber ich bin mitten in einem ziemlich wichtigen ... « Der Gott zögerte und wählte seine Worte mit Bedacht. »... in einem ziemlich wichtigen Experiment.«
Venus funkelte ihn ungehalten an, obwohl er nichts von ihrem Ärger mitbekam. Bei Neptuns phallusförmigem Dreizack - Vulcanus war so langweilig! Er war nie wild und leidenschaftlich gewesen wie beispielsweise Apollo oder seine Zwillingsschwester Artemis, und das war, um bei der Wahrheit zu bleiben, teilweise der Grund, warum Venus ihn geheiratet hatte.
Warum fand sie ihr Arrangement (und auch Vulcanus selbst) dann plötzlich so nervig?
»Na gut. Ich möchte natürlich dein kostbares ... « - mit einem Flattern ihrer eleganten, schlanken Finger deutete die Göttin auf die Flammensäule - »... Experiment nicht stören«, zitierte sie seinen Ausdruck mit unmissverständlichem Sarkasmus. Dann stand sie auf und verschwand in einem Schwall glitzernden, ambrosiafarbenen Staubs, ohne Vulcanus eines weiteren Blickes zu würdigen.
Beim Bart des Zeus - war Vulcanus froh, als sie endlich wieder weg war! Nicht dass er Venus hasste. Eigentlich waren sie seit Jahrhunderten gute Freunde, aber in letzter Zeit lief es irgendwie nicht mehr so toll. Seufzend rieb der Gott sich die Stirn. Es war nicht Venus' Schuld, es lag an ihm. Er war unzufrieden mit seinem Leben. Denn Venus hatte recht. Er war einfach furchtbar langweilig.
Wann waren ihm sein Elan, seine Lebensfreude abhanden-gekommen? Seine Lust auf Abenteuer? Auf Liebe? Dass ihm die letzte Frage im Kopf herumging, überraschte ihn. Liebe? Er schnaubte verächtlich. Er hatte die Verkörperung der Liebe geheiratet, und was hatte er nun davon? Zwischen Venus und ihm hatte es immer Respekt und freundschaftliche Zuneigung gegeben. Natürlich hatte sie jede Menge Affären gehabt, aber das hatte ihn nie gestört. Sie hatten ein Arrangement getroffen, sie führten keine herkömmliche Ehe.
Nein, seine Beziehung zu Venus war es nicht, was Vulcanus so zusetzte. Es war sein Leben im Allgemeinen. Sein Blick wanderte zurück zu den Sternbildern, die er in der Flammensäule heraufbeschworen hatte. Sie sahen so friedlich aus ... so majestätisch ... und so frei. Eine tiefe Sehnsucht übermannte den Gott des Feuers. Wenn er doch nur in den Himmel entfliehen und den Überdruss seines Lebens hinter sich lassen könnte!
Aber warum eigentlich nicht? Schließlich war er doch Olympier! Ein mächtiger Gott. Für ihn war nichts unmöglich.
Selbstverständlich konnte er sein Reich nicht unbehütet zurücklassen. Vulcanus rieb sich das Gesicht und begann vor der brennenden Säule auf und ab zu gehen. Wer würde sein Reich verwalten, wenn er wegging? Bestimmt würde keiner der anderen Götter sich bereitfinden, seine Position einzunehmen - so weit würden sie sich nicht herablassen, weder im übertragenen noch im buchstäblichen Sinn. Hier unten hatte man keinen pompösen Ausblick, es gab keine übermütigen Nymphen, die herumtanzten, keine glitzernde Dekadenz. Vulcanus war Herr über das Feuer auf der Erde und auf dem Olymp. Ein wichtiger Job, sicher, aber nicht halb so aufregend wie wenn man beispielsweise die Sonne über den Himmel zog oder der Erde den Frühling brachte.
Doch es half nichts, hier auf und ab zu wandern, das besserte seine Laune nicht im Geringsten. Vielleicht würde ein Spaziergang seinen Kopf klären. Als er die Steinstufen hinaufstieg, die zur Oberfläche führten, versuchte er, sich auf die positiven Dinge zu konzentrieren - er war ein Gott, und obwohl wahrscheinlich ein Wunder nötig war, damit er sich in den Himmel zurückziehen konnte, waren die Olympier ja für ihre Fähigkeit bekannt, Wunder zu wirken ...
Langsam schritt der Gott des Feuers durch den prächtigen Ballsaal in Zeus' und Heras Palast. Eigentlich hätte er sich schneller bewegen können - sein Hinken beeinträchtigte sein Tempo keineswegs, es minderte nur die Anmut. Im Lauf der Äonen hatte Vulcanus gelernt, sich langsam, aber stetig fortzubewegen, um sich verächtliche Blicke und gemurmelte Beleidigungen so weit wie möglich zu ersparen. Wie er die Unsterblichen mit ihrer endlosen Leidenschaft für Vollkommenheit hasste! Sie waren oberflächlich und egoistisch, und die meisten hatten keine Ahnung, was Schmerz, Verzicht und Einsamkeit wirklich bedeuteten.
Vulcanus murmelte leise einen Fluch vor sich hin. Er hätte lieber auf die gute alte Erde gehen und dort durch einen einsamen Wald spazieren sollen. Was hatte ihn bloß dazu gebracht, ausgerechnet den Tempel seiner Eltern aufzusuchen? Wie dumm konnte man denn sein? Die Vollkommenheit, die ihn hier umgab, machte seine eigene Unvollkommenheit nur umso offensichtlicher.
»Vulcanus? Ich hab dich schon ein paarmal gerufen, aber du hast mich nicht gehört. Ist alles in Ordnung mit dir, mein Sohn?«
Vulcanus hielt inne und drehte sich zu Hera um, die ihn einzuholen versuchte. Mechanisch entspannte er sein Gesicht und lächelte seiner Mutter zu. »Ja, alles in Ordnung. Ich war nur in Gedanken. Entschuldige, das war unhöflich von mir.« Behutsam küsste er ihre Wange.
»Ach, du bist doch nie unhöflich, mein Sohn.« Sie musterte ihn mit ihrem typischen durchdringenden Blick. »Aber du siehst traurig aus. Bist du ganz sicher, dass wirklich alles in Ordnung ist?«
»Mutter, mach dir meinetwegen bitte keine Sorgen.« Vulcanus rang sich noch ein Lächeln ab.
»Du weißt doch, dass ich mich immer sorge.« Hera holte tief Luft.
»Das ist vollkommen unnötig. Leider muss ich gleich wieder zurück in mein Reich, aber es war schön, dich zu sehen, Mutter.« Noch einmal küsste er ihre Wange, und ehe Heras kluge Augen ihm noch weiter in die Seele blicken konnten, eilte Vulcanus davon. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war, dass seine Mutter oder - was die Götter verhüten mochten! - sein Vater sein Leben allzu genau unter die Lupe nahmen. Er ging seinen eigenen Weg, er wählte sein eigenes Schicksal. Und eine Einmischung des Königs und der Königin der Götter konnte er zurzeit am allerwenigsten gebrauchen.
Hätte Vulcanus gezögert und einen Blick über die Schulter zu Hera zurückgeworfen, hätte er überrascht festgestellt, dass sie ihre Finger durch die Luft kreisen ließ, die sofort zu glitzern anfing. Und wenn er die Ohren gespitzt hätte, dann hätte er sie flüstern hören: »Ich gewähre meinem Sohn eine extra Dosis Mutterliebe, als Unterstützung für das, was ihm das Herz so schwer macht.«
Aber Vulcanus drehte sich nicht um, hörte das Flüstern seiner Mutter nicht und bemerkte ebenso wenig den fast unsichtbaren Strang von Macht, der ihm folgte.
So viel ihm auch daran lag, weitere Begegnungen mit Olympiern zu vermeiden, bewegte er sich dennoch langsam und gemessen, keineswegs unbeholfen oder gehemmt, sondern lautlos und mit einer Kraft, die wegen des geringen Tempos nicht weniger offensichtlich war. Gerade hatte er den Ausgang des Ballsaals erreicht, als er ein Lachen hörte, das so ungeniert, fröhlich und melodisch war, dass es keinen Zweifel gab, zu wem es gehörte.
Nein, er wollte ihr heute nicht noch einmal gegenübertreten müssen. Also blieb er stehen und trat lautlos in den Schatten, gerade in dem Moment, als Venus sich noch immer lachend näherte, in ein angeregtes Gespräch mit der Frühlingsgöttin verwickelt. Offensichtlich hatte sie nur Vulcanus' Reich verlassen müssen, um augenblicklich von ihrer Langeweile geheilt zu werden.
»In Ordnung, Persephone! Ich kapituliere. Nachdem ich diese göttlichen Stiefel gesehen habe, bin ich bereit zuzugeben, dass mein Urteil über dein kleines Königreich zu hart ausgefallen ist«, sagte sie gerade.
»Wie oft muss ich es dir denn noch erklären? Tulsa ist kein Königreich, und es gehört auch nicht mir.« Persephones Lachen war leicht und sorglos, auf seine eigene Art schön, auch wenn ihm naturgemäß der verführerische Reiz der Liebesgöttin fehlte. »Du musst dir Tulsa vorstellen wie eine der antiken Städte, Pompeji beispielsweise oder Mediolanum, das heute übrigens Mailand heißt. Nur dass die Kanalisation in Tulsa effektiver ist.« Sie hielt inne und runzelte die Stirn. »Der Verkehr ist allerdings kein bisschen weniger chaotisch als damals.«
»Willst du mir etwa sagen, dass du sechs Monate im Jahr in einer Stadt wie Pompeji verbringst, mit sagenhaften Marmorbädern und allem?«, erkundigte sich Venus eifrig.
»Nein, nein. An die Bäder von Pompeji reicht Tulsa nicht heran.«
»Gibt es dann einen so köstlichen Rotwein wie in Mediolanum?«, wollte Venus wissen und seufzte genüsslich bei der Erinnerung. »Rotwein aus der Gegend von Mediolanum ist einfach sündhaft lecker.«
»Äh, nein. Tulsa ist kein Weinanbaugebiet, aber es wird Wein aus aller Welt importiert.« Persephone kaute anmutig auf der Unterlippe, während sie einen Moment nachdachte. »Genau genommen habe ich mich aber in ein Getränk verliebt, das sich Martini nennt. Es gibt verschiedene Arten, es zuzubereiten, und darauf versteht man sich in Tulsa ausgesprochen gut.«
»Das klingt aber nur mäßig interessant, finde ich, und erklärt nicht, warum du so besessen bist von dieser Stadt.«
»Ich bin nicht besessen!«
»Natürlich bist du das«, entgegnete Venus im Brustton der Überzeugung. »Du verbringst das halbe Jahr in Tulsa, momentan ist es da nicht mal Frühling oder Sommer, aber du kommst trotzdem gerade von dort zurück. Der Liebesgöttin kannst du nichts vormachen, Persephone. Ich weiß, was Besessenheit ist, die erkenne ich überall, da muss ich mich nicht mal anstrengen.«
Vulcanus rechnete fest damit, dass die Frühlingsgöttin sich über Venus' Worte ärgerte, deshalb war er überrascht, als sie mit einem gutmütigen Lachen erwiderte: »Ja, vielleicht bin ich wirklich ein wenig besessen. Und warum auch nicht? Ich bin vernarrt in Tulsa. Es hat einfach was, durch die Straßen einer modernen Stadt zu wandern, wo keiner mich als Unsterbliche erkennt. Das ist unglaublich befreiend. Denk doch mal, Venus: Niemand verurteilt dich vorschnell wegen irgendwelcher Dinge, die du im Laufe unzähliger Jahrhunderte getan oder nicht getan hast. Niemand weiß, wer deine Eltern sind. Niemand verkriecht sich vor Angst, wenn du dich mal ärgerst. Und das Allerbeste - niemand verehrt dich, weil du eine Göttin bist. Wenn du verehrt wirst ... « - sie lächelte verführerisch - »... dann deshalb, weil du eine begehrenswerte, kluge, faszinierende Frau bist. Kannst du dir vorstellen, was für eine nette Abwechslung das ist?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Persephone fort: »Und die Männer! Die modernen Männer sind ganz anders als die antiken Sterblichen. Bei weitem nicht so kompliziert und voller Komplexe.«
Venus runzelte verwirrt die Stirn.
»Das heißt, sie denken nicht wie archaische, barbarische Idioten«, erklärte Persephone weiter. »Na ja, jedenfalls die meisten. Moderne Männer haben nicht die gleichen Vorurteile wie die Männer der Antike, sie schätzen Frauen als ebenbürtige Partnerinnen und behandeln sie entsprechend. Und das ist sehr, sehr sexy.«
Aus dem Schatten beobachtete Vulcanus, wie der verständnislose Ausdruck langsam von Venus' schönem Gesicht verschwand. Im gleichen Augenblick spürte er etwas, was er zuerst gar nicht erkannte, weil ihm das Gefühl so fremd geworden war: Hoffnung. Schockiert stellte er fest, dass das, was Persephone über die modernen Männer gesagt hatte, ihn mit unerwarteter, süßer Hoffnung erfüllte.
»Man würde mich also nicht als Göttin der Liebe erkennen?«, fragte Venus. Im gleichen Moment begriff Vulcanus, dass er unter diesen Umständen ganz sicher nicht als Gott des Feuers identifiziert, beurteilt und gemieden werden würde.
Persephone lächelte schelmisch. »Du könntest all deine Verführungskünste spielen lassen, und trotzdem käme niemand auf die Idee, dass du die Verkörperung der Liebe bist.« Sie seufzte romantisch. »Klingt faszinierend, oder nicht?«
»Kann man wohl sagen.«
Ja, pflichtete Vulcanus den beiden lautlos zu. Nicht erkannt zu werden klang wirklich faszinierend.
»Außerdem darfst du die hervorragenden Einkaufsmöglichkeiten nicht vergessen«, fügte Persephone noch hinzu und hob anmutig den Fuß ein Stück in die Höhe, um ihre Cowboystiefel aus schwarzem Alligatorleder zu zeigen.
»Persephone, meine Freundin, hättest du vielleicht Lust, mich ein bisschen in deinem kurzweiligen kleinen Königreich herumzuführen?«
»Mit dem größten Vergnügen.«
Die beiden Göttinnen hakten sich unter und machten sich lachend auf den Weg zum Tempel von Persephones Mutter. Vulcanus wusste, dass Demeter dort ein Portal zur modernen Stadt Tulsa offenhielt.
»Faszinierend ... «, murmelte er vor sich hin. Als die beiden Göttinnen verschwunden waren, verließ er den Tempel seiner Eltern und eilte zu der Treppe, die ihn wieder hinunter in die Eingeweide des Olymps und sein eigenes feuriges Reich bringen würde. Als er seinen Palas erreichte, schwirrten und summten seine Gedanken wie die braunen Bienen Griechenlands. Moderne Männer hatten nicht die Vorurteile der Antike ... Sie würden nicht einmal die göttliche Venus als Verkörperung der Liebe erkennen. Dann war es doch sicher auch nicht ganz unmöglich, dass in diesem strahlenden Königreich vielleicht, womöglich ein moderner Mann existierte, den man ködern konnte, Vulcanus' Platz einzunehmen. Vor allem, wenn die Liebe selbst unwissentlich am Prozess des Köderns beteiligt war ...
Mit einer ganz neuen Zielstrebigkeit marschierte Vulcanus ins Herz seines Reichs und streifte unterwegs die Toga ab, so dass sein muskulöser Körper nackt und schweißbedeckt war, als er vor der Säule mit dem offenen Feuer stand, das die Welt erwärmte.
Er hob die Hände, und zur Bestätigung der Gegenwart des Feuergotts wogte und blitzte die orangerote Säule. Vulcanus schloss die Augen und konzentrierte sich. Dann begann er die Beschwörung.
...
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Venus war unruhig.
Nein, es war schlimmer als Unruhe. Unruhe konnte mit Hilfe eines netten Bechers gekühlter Ambrosia gestillt werden oder auch dadurch, dass sie zur Ablenkung eine Nymphe herbeizitierte. (Da gab es zahlreiche Möglichkeiten. Zum Beispiel, dass ihr die Haare geflochten und zu einer kunstvollen blonden Zopfkrone aufgesteckt wurden. Oder dass eine Wassernymphe ihr eine Ganzkörpermassage angedeihen ließ - ein wundervoll sinnliches Erlebnis, das am besten am Strand ausgeführt wurde. Nackt natürlich.) Aber Venus hatte keine Lust, eine Nymphe zu rufen. Und sie schlürfte bereits ein Glas der exzellenten Ambrosia-Ernte dieser Saison, frisch eingebracht von den Elysischen Gefilden.
Venus seufzte und tippte mit ihrem eleganten Fuß auf den glatten Marmorboden ihres Gemachs in Vulcanus' unterirdischem Palast. Aus ihrem eigenen goldenen Tempel hoch auf dem Olymp war sie ausgezogen (obwohl man von dort wirklich einen sensationellen Blick hatte) und hatte sich in dem Palast ihres Ehemanns eingenistet, aus dem gleichen Grund, den sie seit Jahrhunderten immer wieder benutzte: um Ruhe und Frieden zu finden und sich von den anstrengenden Pflichten, die sie als das schönste und begehrenswerteste weibliche Wesen aller Zeiten eben hatte, zu erholen - davon, dass sie buchstäblich die Liebe in Person war. Für gewöhnlich genügte es, wenn sie sich vor den vielfältigen daraus resultierenden Anforderungen tief in die Eingeweide von Vulcanus' Reich zurückzog. Schließlich spielte sich ja zwischen Vulcanus und Venus nichts Romantisches ab. Bei der Vorstellung entschlüpfte dem perfekten Mund der Göttin ein leises, melodisches Lachen. Genau aus diesem Grund hatte sie Vulcanus ja geheiratet. Na ja, vielleicht nicht nur aus diesem Grund. Für sie war die Heirat mit Vulcanus eine Möglichkeit gewesen, ihren Aufgaben als Personifizierung der Liebe zu entfliehen. Für Vulcanus war es ein Versuch gewesen, dem Rest des Olymps zu zeigen, dass er dazugehörte, dass er einer von ihnen war, und die entsprechende Anerkennung dafür zu bekommen.
Anscheinend hatte ihre von Leidenschaft und Liebe unberührte Ehe in der Theorie jedoch besser funktioniert als in der Praxis.
Venus stellte ihren Kristallkelch mit Ambrosia beiseite. Wo war denn bloß dieser lächerliche Gedanke plötzlich hergekommen? An der Abmachung mit Vulcanus war nichts auszusetzen, sie funktionierte seit Jahrhunderten und würde gut und gerne viele weitere Jahrhunderte funktionieren.
Plötzlich hatte sie eine Eingebung. Sie stand auf und verließ eilig das opulente Gemach. Ja, das war's - sie würde Vulcanus aufsuchen. Schließlich waren sie Freunde. Vielleicht konnte er ihr helfen, eine gute Partnerin für Hermes zu finden. Höchste Zeit, dass jemand dem Götterboten Feuer unter den geflügelten Sandalen machte. Außerdem gab es nichts Besseres als ein bisschen verbotene Liebe, um den grauen Alltag weniger grau zu machen.
Vulcanus war nicht schwer zu finden. (Wer würde von ihm auch Überraschungen erwarten?) Wie üblich befand er sich im Zentrum seines Reichs, in der Schmiede des Olymps, bei der großen Flammensäule. Als Venus leise eintrat, stand er vor der Flammensäule, die Arme hoch erhoben. Sie musterte ihn aus der Distanz: Er war ein gut gebauter Gott, allerdings nicht blond, schlank und anmutig wie die meisten Olympier, sondern dunkelhaarig und recht kräftig. Die anderen Götter mieden ihn wegen seines Hinkens, dieser Behinderung, unter der er seit Ewigkeiten litt. Eigentlich war es nur eine leichte Lähmung, die man kaum wahrgenommen hätte, wenn er nicht mitten unter lauter makellosen, vollkommenen Göttern leben würde.
Ja, Vulcanus war durchaus attraktiv. Nicht dass Venus ihn jemals begehrt hätte (oder er sie, soweit sie es beurteilen konnte, und das war für sie als Göttin der Liebe ja wohl kein Problem). Nachdenklich legte sie den Kopf schräg. Es stimmte, dass Anziehung und Leidenschaft oft körperlich schwer fassbar waren und weit mehr mit etwas so Nebulösem zu tun hatten wie dem Funken, der zwischen zwei Seelen übersprang. Und dieser Funke fehlte ganz offensichtlich zwischen Vulcanus und ihr.
Venus schüttelte den Gedanken ab. Solche Grübeleien waren Zeitverschwendung. Schließlich war sie die Liebe, die Liebe in Person. Sie konnte den Funken heraufbeschwören, wann immer es ihr passte. Warum nicht mal dafür sorgen, dass Hermes sich ordentlich amüsierte? Für Vulcanus wäre es auch eine gute Abwechslung. Er war viel zu ernst und hatte oft nichts anderes im Kopf als arbeiten, arbeiten, arbeiten. Leise trat sie näher an den dunkelhaarigen Gott heran, so dass sie über seine breiten Schultern die heilige Säule mit den gelben und orangeroten Flammen sehen konnte, die dort als Reaktion auf seine Magie loderten. In den Flammen erhaschte sie einen kurzen Blick auf etwas, was aussah wie der Nachthimmel mit glitzernden Sternbildern - ziemlich ausgefallen, aber nicht sonderlich interessant. Venus hatte noch nie verstanden, was an der Flammensäule so faszinierend sein sollte. Vielleicht, weil Vulcanus sie nie in die Einzelheiten seiner Magie eingeweiht hatte. Hmm ... Da stand sie nun und kaute auf der Unterlippe. Dieser Gedanke war ihr noch nie in den Kopf gekommen. Doch dann zuckte sie die Achseln. Was spielte das schon für eine Rolle?
»Vulcanus!«, rief sie mit fröhlicher Stimme seinem Rücken zu.
Er warf einen schnellen Blick über die Schulter und schenkte ihr ein kurzes Lächeln. »Hast du dich gut ausgeruht?«
»Genau genommen langweile ich mich ganz furchtbar, Liebling.« Träge ging sie zu der Steinbank gleich neben der Flammensäule hinüber und setzte sich anmutig darauf. »Wie wäre es, wenn wir zwei etwas richtig Aufregendes zwischen Hermes und ... « Sie zögerte und überlegte angestrengt. »Wenn wir etwas zwischen Hermes und Aeolus anleiern?«
Ohne sich von den lodernden Flammen ablenken zu lassen, antwortete Vulcanus in vagem, zerstreutem Ton: »Aeolus? Mag der Gott der Winde junge Nymphen - ich meine, weibliche Nymphen - nicht viel lieber als andere Unsterbliche?«
Venus winkte ab. »Ach, das ist doch nur ein Detail. Ich denke mir einen Zauber aus, du überlegst, welche Flamme ihn tragen könnte, und ... «
»Verzeih mir, Venus, aber ich bin mitten in einem ziemlich wichtigen ... « Der Gott zögerte und wählte seine Worte mit Bedacht. »... in einem ziemlich wichtigen Experiment.«
Venus funkelte ihn ungehalten an, obwohl er nichts von ihrem Ärger mitbekam. Bei Neptuns phallusförmigem Dreizack - Vulcanus war so langweilig! Er war nie wild und leidenschaftlich gewesen wie beispielsweise Apollo oder seine Zwillingsschwester Artemis, und das war, um bei der Wahrheit zu bleiben, teilweise der Grund, warum Venus ihn geheiratet hatte.
Warum fand sie ihr Arrangement (und auch Vulcanus selbst) dann plötzlich so nervig?
»Na gut. Ich möchte natürlich dein kostbares ... « - mit einem Flattern ihrer eleganten, schlanken Finger deutete die Göttin auf die Flammensäule - »... Experiment nicht stören«, zitierte sie seinen Ausdruck mit unmissverständlichem Sarkasmus. Dann stand sie auf und verschwand in einem Schwall glitzernden, ambrosiafarbenen Staubs, ohne Vulcanus eines weiteren Blickes zu würdigen.
Beim Bart des Zeus - war Vulcanus froh, als sie endlich wieder weg war! Nicht dass er Venus hasste. Eigentlich waren sie seit Jahrhunderten gute Freunde, aber in letzter Zeit lief es irgendwie nicht mehr so toll. Seufzend rieb der Gott sich die Stirn. Es war nicht Venus' Schuld, es lag an ihm. Er war unzufrieden mit seinem Leben. Denn Venus hatte recht. Er war einfach furchtbar langweilig.
Wann waren ihm sein Elan, seine Lebensfreude abhanden-gekommen? Seine Lust auf Abenteuer? Auf Liebe? Dass ihm die letzte Frage im Kopf herumging, überraschte ihn. Liebe? Er schnaubte verächtlich. Er hatte die Verkörperung der Liebe geheiratet, und was hatte er nun davon? Zwischen Venus und ihm hatte es immer Respekt und freundschaftliche Zuneigung gegeben. Natürlich hatte sie jede Menge Affären gehabt, aber das hatte ihn nie gestört. Sie hatten ein Arrangement getroffen, sie führten keine herkömmliche Ehe.
Nein, seine Beziehung zu Venus war es nicht, was Vulcanus so zusetzte. Es war sein Leben im Allgemeinen. Sein Blick wanderte zurück zu den Sternbildern, die er in der Flammensäule heraufbeschworen hatte. Sie sahen so friedlich aus ... so majestätisch ... und so frei. Eine tiefe Sehnsucht übermannte den Gott des Feuers. Wenn er doch nur in den Himmel entfliehen und den Überdruss seines Lebens hinter sich lassen könnte!
Aber warum eigentlich nicht? Schließlich war er doch Olympier! Ein mächtiger Gott. Für ihn war nichts unmöglich.
Selbstverständlich konnte er sein Reich nicht unbehütet zurücklassen. Vulcanus rieb sich das Gesicht und begann vor der brennenden Säule auf und ab zu gehen. Wer würde sein Reich verwalten, wenn er wegging? Bestimmt würde keiner der anderen Götter sich bereitfinden, seine Position einzunehmen - so weit würden sie sich nicht herablassen, weder im übertragenen noch im buchstäblichen Sinn. Hier unten hatte man keinen pompösen Ausblick, es gab keine übermütigen Nymphen, die herumtanzten, keine glitzernde Dekadenz. Vulcanus war Herr über das Feuer auf der Erde und auf dem Olymp. Ein wichtiger Job, sicher, aber nicht halb so aufregend wie wenn man beispielsweise die Sonne über den Himmel zog oder der Erde den Frühling brachte.
Doch es half nichts, hier auf und ab zu wandern, das besserte seine Laune nicht im Geringsten. Vielleicht würde ein Spaziergang seinen Kopf klären. Als er die Steinstufen hinaufstieg, die zur Oberfläche führten, versuchte er, sich auf die positiven Dinge zu konzentrieren - er war ein Gott, und obwohl wahrscheinlich ein Wunder nötig war, damit er sich in den Himmel zurückziehen konnte, waren die Olympier ja für ihre Fähigkeit bekannt, Wunder zu wirken ...
Langsam schritt der Gott des Feuers durch den prächtigen Ballsaal in Zeus' und Heras Palast. Eigentlich hätte er sich schneller bewegen können - sein Hinken beeinträchtigte sein Tempo keineswegs, es minderte nur die Anmut. Im Lauf der Äonen hatte Vulcanus gelernt, sich langsam, aber stetig fortzubewegen, um sich verächtliche Blicke und gemurmelte Beleidigungen so weit wie möglich zu ersparen. Wie er die Unsterblichen mit ihrer endlosen Leidenschaft für Vollkommenheit hasste! Sie waren oberflächlich und egoistisch, und die meisten hatten keine Ahnung, was Schmerz, Verzicht und Einsamkeit wirklich bedeuteten.
Vulcanus murmelte leise einen Fluch vor sich hin. Er hätte lieber auf die gute alte Erde gehen und dort durch einen einsamen Wald spazieren sollen. Was hatte ihn bloß dazu gebracht, ausgerechnet den Tempel seiner Eltern aufzusuchen? Wie dumm konnte man denn sein? Die Vollkommenheit, die ihn hier umgab, machte seine eigene Unvollkommenheit nur umso offensichtlicher.
»Vulcanus? Ich hab dich schon ein paarmal gerufen, aber du hast mich nicht gehört. Ist alles in Ordnung mit dir, mein Sohn?«
Vulcanus hielt inne und drehte sich zu Hera um, die ihn einzuholen versuchte. Mechanisch entspannte er sein Gesicht und lächelte seiner Mutter zu. »Ja, alles in Ordnung. Ich war nur in Gedanken. Entschuldige, das war unhöflich von mir.« Behutsam küsste er ihre Wange.
»Ach, du bist doch nie unhöflich, mein Sohn.« Sie musterte ihn mit ihrem typischen durchdringenden Blick. »Aber du siehst traurig aus. Bist du ganz sicher, dass wirklich alles in Ordnung ist?«
»Mutter, mach dir meinetwegen bitte keine Sorgen.« Vulcanus rang sich noch ein Lächeln ab.
»Du weißt doch, dass ich mich immer sorge.« Hera holte tief Luft.
»Das ist vollkommen unnötig. Leider muss ich gleich wieder zurück in mein Reich, aber es war schön, dich zu sehen, Mutter.« Noch einmal küsste er ihre Wange, und ehe Heras kluge Augen ihm noch weiter in die Seele blicken konnten, eilte Vulcanus davon. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war, dass seine Mutter oder - was die Götter verhüten mochten! - sein Vater sein Leben allzu genau unter die Lupe nahmen. Er ging seinen eigenen Weg, er wählte sein eigenes Schicksal. Und eine Einmischung des Königs und der Königin der Götter konnte er zurzeit am allerwenigsten gebrauchen.
Hätte Vulcanus gezögert und einen Blick über die Schulter zu Hera zurückgeworfen, hätte er überrascht festgestellt, dass sie ihre Finger durch die Luft kreisen ließ, die sofort zu glitzern anfing. Und wenn er die Ohren gespitzt hätte, dann hätte er sie flüstern hören: »Ich gewähre meinem Sohn eine extra Dosis Mutterliebe, als Unterstützung für das, was ihm das Herz so schwer macht.«
Aber Vulcanus drehte sich nicht um, hörte das Flüstern seiner Mutter nicht und bemerkte ebenso wenig den fast unsichtbaren Strang von Macht, der ihm folgte.
So viel ihm auch daran lag, weitere Begegnungen mit Olympiern zu vermeiden, bewegte er sich dennoch langsam und gemessen, keineswegs unbeholfen oder gehemmt, sondern lautlos und mit einer Kraft, die wegen des geringen Tempos nicht weniger offensichtlich war. Gerade hatte er den Ausgang des Ballsaals erreicht, als er ein Lachen hörte, das so ungeniert, fröhlich und melodisch war, dass es keinen Zweifel gab, zu wem es gehörte.
Nein, er wollte ihr heute nicht noch einmal gegenübertreten müssen. Also blieb er stehen und trat lautlos in den Schatten, gerade in dem Moment, als Venus sich noch immer lachend näherte, in ein angeregtes Gespräch mit der Frühlingsgöttin verwickelt. Offensichtlich hatte sie nur Vulcanus' Reich verlassen müssen, um augenblicklich von ihrer Langeweile geheilt zu werden.
»In Ordnung, Persephone! Ich kapituliere. Nachdem ich diese göttlichen Stiefel gesehen habe, bin ich bereit zuzugeben, dass mein Urteil über dein kleines Königreich zu hart ausgefallen ist«, sagte sie gerade.
»Wie oft muss ich es dir denn noch erklären? Tulsa ist kein Königreich, und es gehört auch nicht mir.« Persephones Lachen war leicht und sorglos, auf seine eigene Art schön, auch wenn ihm naturgemäß der verführerische Reiz der Liebesgöttin fehlte. »Du musst dir Tulsa vorstellen wie eine der antiken Städte, Pompeji beispielsweise oder Mediolanum, das heute übrigens Mailand heißt. Nur dass die Kanalisation in Tulsa effektiver ist.« Sie hielt inne und runzelte die Stirn. »Der Verkehr ist allerdings kein bisschen weniger chaotisch als damals.«
»Willst du mir etwa sagen, dass du sechs Monate im Jahr in einer Stadt wie Pompeji verbringst, mit sagenhaften Marmorbädern und allem?«, erkundigte sich Venus eifrig.
»Nein, nein. An die Bäder von Pompeji reicht Tulsa nicht heran.«
»Gibt es dann einen so köstlichen Rotwein wie in Mediolanum?«, wollte Venus wissen und seufzte genüsslich bei der Erinnerung. »Rotwein aus der Gegend von Mediolanum ist einfach sündhaft lecker.«
»Äh, nein. Tulsa ist kein Weinanbaugebiet, aber es wird Wein aus aller Welt importiert.« Persephone kaute anmutig auf der Unterlippe, während sie einen Moment nachdachte. »Genau genommen habe ich mich aber in ein Getränk verliebt, das sich Martini nennt. Es gibt verschiedene Arten, es zuzubereiten, und darauf versteht man sich in Tulsa ausgesprochen gut.«
»Das klingt aber nur mäßig interessant, finde ich, und erklärt nicht, warum du so besessen bist von dieser Stadt.«
»Ich bin nicht besessen!«
»Natürlich bist du das«, entgegnete Venus im Brustton der Überzeugung. »Du verbringst das halbe Jahr in Tulsa, momentan ist es da nicht mal Frühling oder Sommer, aber du kommst trotzdem gerade von dort zurück. Der Liebesgöttin kannst du nichts vormachen, Persephone. Ich weiß, was Besessenheit ist, die erkenne ich überall, da muss ich mich nicht mal anstrengen.«
Vulcanus rechnete fest damit, dass die Frühlingsgöttin sich über Venus' Worte ärgerte, deshalb war er überrascht, als sie mit einem gutmütigen Lachen erwiderte: »Ja, vielleicht bin ich wirklich ein wenig besessen. Und warum auch nicht? Ich bin vernarrt in Tulsa. Es hat einfach was, durch die Straßen einer modernen Stadt zu wandern, wo keiner mich als Unsterbliche erkennt. Das ist unglaublich befreiend. Denk doch mal, Venus: Niemand verurteilt dich vorschnell wegen irgendwelcher Dinge, die du im Laufe unzähliger Jahrhunderte getan oder nicht getan hast. Niemand weiß, wer deine Eltern sind. Niemand verkriecht sich vor Angst, wenn du dich mal ärgerst. Und das Allerbeste - niemand verehrt dich, weil du eine Göttin bist. Wenn du verehrt wirst ... « - sie lächelte verführerisch - »... dann deshalb, weil du eine begehrenswerte, kluge, faszinierende Frau bist. Kannst du dir vorstellen, was für eine nette Abwechslung das ist?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Persephone fort: »Und die Männer! Die modernen Männer sind ganz anders als die antiken Sterblichen. Bei weitem nicht so kompliziert und voller Komplexe.«
Venus runzelte verwirrt die Stirn.
»Das heißt, sie denken nicht wie archaische, barbarische Idioten«, erklärte Persephone weiter. »Na ja, jedenfalls die meisten. Moderne Männer haben nicht die gleichen Vorurteile wie die Männer der Antike, sie schätzen Frauen als ebenbürtige Partnerinnen und behandeln sie entsprechend. Und das ist sehr, sehr sexy.«
Aus dem Schatten beobachtete Vulcanus, wie der verständnislose Ausdruck langsam von Venus' schönem Gesicht verschwand. Im gleichen Augenblick spürte er etwas, was er zuerst gar nicht erkannte, weil ihm das Gefühl so fremd geworden war: Hoffnung. Schockiert stellte er fest, dass das, was Persephone über die modernen Männer gesagt hatte, ihn mit unerwarteter, süßer Hoffnung erfüllte.
»Man würde mich also nicht als Göttin der Liebe erkennen?«, fragte Venus. Im gleichen Moment begriff Vulcanus, dass er unter diesen Umständen ganz sicher nicht als Gott des Feuers identifiziert, beurteilt und gemieden werden würde.
Persephone lächelte schelmisch. »Du könntest all deine Verführungskünste spielen lassen, und trotzdem käme niemand auf die Idee, dass du die Verkörperung der Liebe bist.« Sie seufzte romantisch. »Klingt faszinierend, oder nicht?«
»Kann man wohl sagen.«
Ja, pflichtete Vulcanus den beiden lautlos zu. Nicht erkannt zu werden klang wirklich faszinierend.
»Außerdem darfst du die hervorragenden Einkaufsmöglichkeiten nicht vergessen«, fügte Persephone noch hinzu und hob anmutig den Fuß ein Stück in die Höhe, um ihre Cowboystiefel aus schwarzem Alligatorleder zu zeigen.
»Persephone, meine Freundin, hättest du vielleicht Lust, mich ein bisschen in deinem kurzweiligen kleinen Königreich herumzuführen?«
»Mit dem größten Vergnügen.«
Die beiden Göttinnen hakten sich unter und machten sich lachend auf den Weg zum Tempel von Persephones Mutter. Vulcanus wusste, dass Demeter dort ein Portal zur modernen Stadt Tulsa offenhielt.
»Faszinierend ... «, murmelte er vor sich hin. Als die beiden Göttinnen verschwunden waren, verließ er den Tempel seiner Eltern und eilte zu der Treppe, die ihn wieder hinunter in die Eingeweide des Olymps und sein eigenes feuriges Reich bringen würde. Als er seinen Palas erreichte, schwirrten und summten seine Gedanken wie die braunen Bienen Griechenlands. Moderne Männer hatten nicht die Vorurteile der Antike ... Sie würden nicht einmal die göttliche Venus als Verkörperung der Liebe erkennen. Dann war es doch sicher auch nicht ganz unmöglich, dass in diesem strahlenden Königreich vielleicht, womöglich ein moderner Mann existierte, den man ködern konnte, Vulcanus' Platz einzunehmen. Vor allem, wenn die Liebe selbst unwissentlich am Prozess des Köderns beteiligt war ...
Mit einer ganz neuen Zielstrebigkeit marschierte Vulcanus ins Herz seines Reichs und streifte unterwegs die Toga ab, so dass sein muskulöser Körper nackt und schweißbedeckt war, als er vor der Säule mit dem offenen Feuer stand, das die Welt erwärmte.
Er hob die Hände, und zur Bestätigung der Gegenwart des Feuergotts wogte und blitzte die orangerote Säule. Vulcanus schloss die Augen und konzentrierte sich. Dann begann er die Beschwörung.
...
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
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Autoren-Porträt von P. C. Cast
Cast, P.C.P.C. Cast ist die Autorin der zwölfbändigen House of Night-Serie. Sie wuchs in Illinois und Oklahoma auf und arbeitete viele Jahre als Lehrerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihre Bücher erreichten eine Gesamtauflage von über zwanzig Millionen Exemplaren und erschienen in mehr als vierzig Ländern. Die Autorin lebt mit ihrer Familie und ihren geliebten Katzen, Hunden und Pferden in Oregon. Strüh, ChristineChristine Strüh, geboren 1954, lebt in Berlin. Sie ist Übersetzerin von Gillian Flynn, Cecelia Ahern, Judy Blume, Pete Hamill, Laini Taylor und anderen.
Bibliographische Angaben
- Autor: P. C. Cast
- 2012, 3. Aufl., 400 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Christine Strüh, Anna Julia Strüh
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596193877
- ISBN-13: 9783596193875
- Erscheinungsdatum: 06.03.2012
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