Gruber geht
Roman
In Doris Knechts Debütroman geht es dem Karrieristen Gruber an den Kragen. Der Manager, Mitte dreißig, hat sich sein Leben zwischen Topjob, Flughafenlounges, Designappartement und Bettgeschichten hübsch eingerichtet. Er gefällt sich als zynischer...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Gruber geht “
Klappentext zu „Gruber geht “
In Doris Knechts Debütroman geht es dem Karrieristen Gruber an den Kragen. Der Manager, Mitte dreißig, hat sich sein Leben zwischen Topjob, Flughafenlounges, Designappartement und Bettgeschichten hübsch eingerichtet. Er gefällt sich als zynischer Bescheidwisser, der seine Geliebte auch schon mal zum Weinen bringt, damit sie lernt, was die Realität von TV-Soaps unterscheidet. Dass er sich aber selbst mit einem coolen, sexy Superhelden verwechselt, dass er dann doch ein bisschen kleiner und schwächer ist als die Realität, das muss Gruber erfahren, als ein Tumor in seinem Bauch entdeckt wird. Gruber säuft, feiert durch und prügelt sich. Gruber macht Selbsterfahrung und Chemotherapie. Und Gruber verliebt sich. Schließlich wird er wieder heil. Aber er ist am Ende kein besserer Mensch. Vielleicht nur ein bisschen offener, liebevoller und kompromissbereiter. Vielleicht.Schmissig und pointenreich treibt Doris Knecht ihren höchst neurotischen und oft komischen Helden voran, bis in die Arme einer schlauen Berliner DJane - die in Gruber irgendetwas sieht, was nicht einmal Gruber selbst in sich sehen kann, und die sich ebenfalls mordsmäßig verliebt ... Ein vielschichtiger Roman voller Witz und Wut. Und ein Held, in dem sich jeder wiedererkennt - auch wenn er gar nicht will.
Mit Lesebändchen
Lese-Probe zu „Gruber geht “
Gruber geht von Doris KnechtGruber geht aus dem Zimmer, geht aus der Wohnung, geht aus dem Haus. Es ist sechs Uhr früh ; ein Taxi wartet schon am Rand des Gehsteigs, der Fahrer steigt aus und öffnet Gruber den Kofferraum. Guten Morgen. Guten Morgen. Gruber setzt sich nach hinten, legt Umhängetasche und Trenchcoat neben sich, dabei knistert das Kuvert boshaft in seiner Manteltasche. Ein grelles Unbehagen rast durch Gruber und legt einen Augenblick lang sein Bewusstsein lahm. Nein, gar nicht dar an denken, nicht (der Schmerz schläft noch, seit drei Tagen schon, okay, einfach schlafen lassen) dar an denken. Gruber ignoriert das ungute Gefühl und steckt die Kopfhörer an sein iPhone, geredet wird jetzt nicht. Nur nicht reden um diese Zeit. Überhaupt nicht reden mit Taxifahrern, nie mit Taxifahrern reden. Der iPod spielt Dylans « Tell Tale Signs », die Bootlegs, das Beste, wie Gruber findet, das Dylan in den letzten Jahren veröffentlicht hat. Gruber hört seine Musik passend zur Tageszeit und passend zur Aussicht. Dylan passt immer. Es ist noch dunkel, die Straßen sind leer, die Stadt hat ihre Betriebstemperatur noch nicht erreicht. Nach fünfzehn Minuten fährt das Taxi an der Ölraffinerie vorbei, ein Moment, den Gruber auch beim tausendsten Mal nicht verpassen möchte. Dylan singt über das Mädchen vom « Red River Shore », und wie er sie heiraten will, und wie sie ihm ihren besten Rat gibt : dass er heimgehen und ein einfaches Leben leben soll. Gruber starrt auf die vorbeiziehenden Lichter der Raffinerie, Hunderte, Tausende von nackten Glühbirnen an Containern und auf Türmchen und Masten, glühendkalte industrielle Schönheit. Ein einfaches Leben. Hm. Gruber denkt an das Kuvert, an den Scheißtag, der vor ihm liegt, er denkt an den Abend, er denkt an Denise, vielleicht wird er heute mit Denise schlafen. Er denkt an Denise,
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Dööönis, wie sie unter ihm liegt und ihm nicht in die Augen schaut. Er war allerdings, na ja, letztes Mal danach irgendwie unlocker ihr gegenüber, brüsk, und hat dann zwei oder drei ihrer Mails nicht beantwortet. Vielleicht wird er heute doch nicht mit ihr schlafen. Nicht : Deniiise. Dööönis.
Dann sind sie am Flughafen. Gruber zahlt, steigt vorsichtig aus (nicht den Schmerz wecken), hebt, diese stinkfaulen Wiener Taxler, seinen Koffer selbst aus dem Kofferraum und zieht ihn über die Straße zum Terminal A.
Sein Trolley wiegt, er weiß das, er hat das zuhause überprüft, zwei Mal hat er es überprüft, genau 7,7 Kilo, das geht als Handgepäck durch. Gruber hat keine Zeit fürs Warten an Gepäckbändern : Von einem Bein aufs andere treten. Auf die Uhr schauen. Sich eine gute Position sichern. Das Leben vorbeiziehen sehen. Auf die Uhr schauen. Auf die Uhr schauen. Auf die Uhr schauen. Er ist froh, dass er niemanden hier kennt ; es gibt wahrscheinlich nichts Entsetzlicheres als Smalltalk frühmorgens am Gate. Im Trolley befinden sich zwei gute Hemden, ein Slimane-Anzug, ein Unterhemd, zwei Boxershorts, zwei Paar Socken, ein Akku für sein Notebook, ein Akku für sein iPhone und sein gesamter Hygienebedarf in 75-ml-Plastikflaschen, Shampoo, Conditioner, Duschgel, Rasierwasser. Danke 9 / 11. Er braucht seinen Trolley nicht aufzugeben, die Formalitäten sind schnell erledigt, unter anderem weil Gruber sich an sein Prinzip für solche Situationen hält, wenngleich dieses im diametralen Widerspruch zu seiner Persönlichkeit steht : Immer freundlich zu Dienstleistern sein. Natürlich nur aus Gründen des Vorteils. Das ist, Gruber hat es ausprobiert, zeitsparend und damit nutzbringend. Immer freundlich zu sein, immer zuvorkommend. Jedenfalls solange es keinen konkreten Anlass zu entschiedener Unfreundlichkeit gibt. Hier und jetzt gibt es ihn nicht. Hier und jetzt hat er es, wie meistens um diese Zeit, mit einer unausgeschlafenen jungen Frau in schlecht sitzender, billiger Uniform zu tun, die es gewohnt ist, von unausgeschlafenen Passagieren überheblich und grob behandelt zu werden. Diese hier hat zu schwarze Haare, zu stark gezupfte Augenbrauen, zu klumpige Wimperntusche und zu viel solariumfarbenes Make-up im Gesicht. Sie reagiert auf Grubers muntere Freundlichkeit extrem positiv. Nein, euphorisch. Grubers Trolley könnte auch zwölf Kilo wiegen, kein Pro blem.
Im Flieger sitzt Gruber allein in der linken Dreierreihe, auf der anderen Seite sitzt eine Frau allein in der rechten Dreierreihe. Die Frau wirft begehrliche Blicke auf seine Zeitungen, und Gruber reicht ihr, nachdem sie etwas von verschlafen und vergessen und viel zu früh stammelte, was er ausgelesen hat, Kurier, Standard, Krone, FAZ, Financial Times, sie lächelt ihn jedes Mal müde, aber dankbar an. Er kennt ihr Gesicht von irgendwo her, sie hat wuschelige, leuchtend dunkelblonde Haare, Ringe unter den Augen, einen breiten, vollen Mund, woher kennt er ihr Gesicht ?
Gruber denkt dar über nach, sie sieht interessant aus, aber sie ist nicht schön genug, dass er sich länger mit der Frage beschäftigen will, wo er sie schon einmal gesehen hat. Egal. Wenn's wichtig wäre, wüsste er es. Sex hatte er nie mit ihr, Gruber ist sich (der Schmerz, er ist noch da, und er wacht jetzt auf) relativ sicher. Nicht hundertprozentig, aber fast.
Als der Flieger seine Flughöhe erreicht hat, steckt sich Gruber wieder die Stöpsel in die Ohren, hört noch zwei, drei Mal « Red River Shore » und scrollt dann (der Schmerz regt und räkelt sich unter Grubers Bauchdecke, aber er schwächelt, vielleicht verschwindet er wieder, wenn Gruber ihn ignoriert) vor auf elf, die Orgel. Die Orgel ist bitte ein Wahnsinn. Er würde gerne der Herzog eine SMS wegen dieser Orgel schicken, aber erstens ist er in der Luft, zweitens würde die Herzog den Titel zu persönlich nehmen, man kann der Herzog keinen Song empfehlen, der « Dreamin of You » heißt, ohne dass sie das als Si gnal auffasst, sich Gruber wieder einmal bisschen an den Hals zu werfen. Die Herzog hat (Gruber nimmt jetzt doch lieber eine 400er Seractil und spült sie mit einem Schluck Wasser hin un ter) die merkwürdige Angewohnheit, sich temporär in Gruber zu verlieben, wenn Gruber sie mit irgendwas rührt, und die Orgel wäre definitiv geeignet, die Herzog zu rühren. Diese Möglichkeit trachtet Gruber zwar nicht grundsätzlich zu vermeiden, aber doch für kargere Zeiten zu reservieren.
Diese Dylan-Manie, die passt nicht zu Gruber. Gruber sieht nicht aus wie der typische Dylan-Fan und er benimmt sich nicht wie der typische Dylan-Fan. Gruber weiß es, und er redet deshalb eher gar nicht dar über. Seine Kollegen und Geschäftspartner gehen heimlich in Puffs oder in Swingerclubs oder masturbieren bei Testfahrten in Autos, die sie sich nicht leisten können. Gruber hört heimlich Dylan. Philipp weiß es, und Kathi natürlich, und er spricht mit dem Bachmeier dar über und mit der Herzog, die eine der wenigen Frauen ist, mit der Gruber überhaupt spricht, also im Sinne von : reden, nicht aufreißen. Was vielleicht damit zu tun hat, dass die Herzog eine der wenigen Frauen ist, die überhaupt über Musik reden. Bloß kommt es Gruber mitunter vor, als wolle sie Dylan vor einem wie ihm beschützen, vollkommen bescheuert, sie nervt, sie macht ihm das kaputt in ihrer überkritischen Art, denn Gruber findet keineswegs, dass man leben und denken und daherkommen muss wie Dylan, um Dylans Musik mögen zu dürfen, also überhaupt nicht. Kompletter Blödsinn, bitte. Die Herzog findet das schon, obwohl ihr selbst dafür jegliche Basis fehlt, absolut jede ; weder lebt noch denkt und zum Glück sieht sie auch nicht aus wie Dylan. Die Herzog lebt unter einer Klimt-Zeichnung, sie hängt über ihrem Sofa und hing einst im Vorraum der Gästetoilette ihrer Eltern, und der Klimt ist eins der wertloseren Dinge in ihrem Dasein, jetzt mal abgesehen vom ideellen Wert. Der Kühlschrank der Herzog ist vermutlich teurer als die Klimt-Zeichnung. So gesehen ist es ein permanenter Fehler, die Herzog nicht anzubaggern, eigentlich sollte er die Herzog bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit aufs Standesamt schleppen, lebensversicherungstechnisch. Aber auf keinen Fall besteht auch nur der Furz eines Anlasses, sich von der Herzog wegen Dylan Vorhaltungen machen zu lassen.
In Zürich kommt Gruber am nervigen Gate E an, von dem man mit der einzigen Schweizer U-Bahn zur Ankunftshalle fahren muss. Dort zieht er sich mit den wieder einmal wohlüberlegt - Gruber fühlt eine tiefe, warme Selbstzufriedenheit in sich aufsteigen - mitgenommenen Franken-Münzen ein Ticket, setzt sich in den Zug und schreibt, während er durch die Zürcher Vorstadt fährt, sofort vom iPhone eine SMS an Carmen : « zürich. diese scheißstadt schon wieder. eben hat mich einer wegen dem iPod angepflaumt. so typisch. » Das ist gelogen. Es ist meistens gelogen, was Gruber Carmen aus Zürich oder München oder Mailand oder Manchester oder Darmstadt oder Sofia oder Graz oder Frankfurt am Main simst, aber er hat da diese schöne Tradition mit ihr. War um jetzt damit aufhören. Carmen mag mittelgroße Städte, Gruber hasst mittelgroße Städte, was insofern peinigend ist, als Carmen ständig in Metropolen zu tun hat und Gruber permanent in mittelgroßen Städten. Carmen simst, wie immer, zurück, dass er ein Idiot ist, dass er endlich die Feldberger anrufen soll, die geht mit ihm in ein wirklich gutes Restaurant zum Essen oder in ein lässiges Lokal etwas trinken oder bekocht ihn und stellt ihm lässige, interessante Leute vor, auf jeden Fall findet er mit der Feldberger zuverlässig einen Platz in Zürich, an dem Zürich wie eine Stadt aussieht und nicht wie ein Millionendorf, herzliche Grüße aus Bejing. Wie immer ignoriert Gruber das, denn dar um geht es nicht. Dar um geht es doch nicht ! Es geht dar um, dass man mittelgroße Städte aus Prinzip hassen muss, aus Prinzip, weil einen mittelgroße Städte unablässig spüren lassen, dass man nicht in einer großen, einer echten Stadt und folglich ein kompletter Versager ist. Dass man es nicht geschafft hat, dass DU es nicht geschafft hast. An jeder her ausgeputzten Ecke lassen sie einen das spüren. Vor jedem scheiß Provinz-Designerladen spürst du es, in jedem zweitklassigen Spießerrestaurant, das einen auf kosmopolitisch macht. Scheiß Zürich. Carmen ist die einzige Person auf der Welt, die in so einer Stadt Freunde findet. Gruber hat in so einer Stadt nichts als Feinde. Geschäftspartner. Taxifahrer.
Hotelportiers, Designerladenverkäuferinnen. Huren, Chefs des Maisons, alle feindlich. Er wird Carmen heute Abend aus der Kronenhalle eine Mail schicken, die pfeifen wird, weil es dort wieder recht scheiße sein wird. Scheiße wie immer, in herrlichem Ambiente, aber ungeheuer scheiße. Gruber stellt « Dreamin of You » auf repeat und überlegt, ob er Denise anrufen soll. Vielleicht würde es sie ja versöhnen, von ihm aus dem Schlaf gerissen zu werden. Da muss es einer doch ernst meinen, wenn er dich schon vor neun Uhr früh sprechen will. Oder wenn er übersieht, wie früh es noch ist, weil er dich so vermisst. Das wäre doch einmal ein schönes Si gnal. Das müsste eine wie die doch gut finden. Andererseits wird Gruber durch diesen Gedankengang selber wieder bewusst, wie früh es noch ist, und dass er so früh überhaupt nicht spricht, so früh spricht er aus Prinzip mit niemandem, außer es dient dem Geschäft. Selbst wenn das jetzt seine Chancen auf einen netten Fick erheblich schmälert : nein. Außerdem kann er Denise diesmal nicht mit zu diesem Essen in die Kronenhalle nehmen, er muss mit diesen Trotteln hin, da kann sie nicht dazu, trotz ihres Arsches. Er müsste ihr (Gruber legt seine Hand auf seinen Bauch, drückt vorsichtig, fester, gut, da ist nichts mehr) auf eine nette, charmante Weise klarmachen, dass sie erst später erwünscht ist, dann aber außerordentlich, und dass es viel netter für sie wäre, wenn sie auf das mittelmäßige, ja miese Essen in der Kronenhalle verzichtet und stattdessen ins Kino geht oder mit einer Freundin was trinkt und ihn erst später in der Bar trifft, die Freundin kann sie ja mitbringen. So müsste das sein, Gruber weiß allerdings genau, dass ihm die charakterlichen Vor aussetzungen, die ihm erfolgreiches Schönreden von sichtlich ungünstigen Situationen ermöglichen würden, nicht gegeben sind. Er würde es versauen, so oder so, also kann er es genauso gut später versauen, wenn er fitter ist und das erste Scheißmeeting hinter sich gebracht hat. Überhaupt Dööönis, so toll bist du auch wieder nicht. Guter Arsch, aber sonst, Dööönis, musst du gar nicht glauben, dass du so toll bist.
Am Bahnhof steigt Gruber aus, geht in die lichte Halle, drückt sich ein paar hundert Franken aus dem Automaten, kauft sich die Neue Zürcher Zeitung, den Blick und GQ, scharfe Kaugummis und Zigaretten und zündet sich noch am Kiosk eine an. Gruber raucht nicht. Gruber raucht nur dann und wann einmal eine nach Steuererklärungen, nach Umzügen, nach dem Sex, nach dem Essen, nach Flügen, nach schwierigen Besprechungen, wenn es sehr kalt ist, wenn es sehr heiß ist, wenn ungeöffnete Briefe in seiner Manteltasche knistern. Er raucht nur, wenn es die Situation erfordert, es geht dabei ausschließlich um die Situation, nicht um die Zigarette, nicht um etwas wie Sucht. Die Zigarette ist der Situation geschuldet, man muss Situationen ernst nehmen, muss sie mit Respekt behandeln, sonst wenden sie sich gegen dich. Man muss rauchen, wenn es die Situation erfordert ; und das ist jetzt der Fall, er beruhigt die Situation und die Situation weiß es zu würdigen, er spürt es schon, die Situation meint es jetzt gut mit ihm, irgendetwas wird heute gelingen. Gruber reißt sich den Rauch in die Lunge, bis er am Taxistand ist, und tritt die Zigarette dann aus. Zum Hotel Greulich. Bei der Bäckeranlage, ja, genau. Das Taxi ist so überheizt, wie es schon das Zugabteil war, er wird sich erkälten bei diesen ständigen brutalen Temperaturwechseln, das ist schon mal sicher. Gruber steckt sich wieder die Musik in die Ohren, schon gar nicht will er mit einem Schweizer Taxifahrer reden. Man versteht sowieso nichts, es ist eine unerträgliche Qual.
Das Greulich hat er sich idiotischerweise von Carmen einreden lassen. Das ist ganz schlecht, ganz schlecht, weil er, wäre er nicht im Greulich, sondern im Seehotel oder im Theatro, Carmen eine Mail über die Zumutung von Zürcher Hotels wie dem Seehotel oder dem Theatro schicken könnte, die so schön tun und doch nur hübsch eingewickelten Mindeststandard verkaufen, und Carmen würde ihm antworten, war um er nicht endlich einmal im Greulich übernachtet, wie sie es ihm immer sagt. Geh ins Greulich ! Das wird ihm nicht mehr passieren, dass er auf einen Rat von Carmen hört, es schneidet ihm seine Kontaktmöglichkeiten zu ihr ab. Das Greulich ist angenehm. Schön, aber nicht aufgeplustert, modern, aber nicht totdesignt. Das Zimmer ist, Gott sei's gepriesen, moderat beheizt. Im Hof gibt es einen kleinen Birkenwald mit Tischchen und Stühlchen, die Idylle ist derart überinszeniert, dass es schon wieder lässig ist. Man frühstückt überwiegend in der Gesellschaft von Künstlern, Schriftstellern oder Architekten, was Gruber wurscht sein sollte. Völlig einerlei sollte Gruber das sein. Gruber ist bitte keiner, der irgendein Interesse dar an pflegte, wer um ihn her um sein Leben wie und zu welchem Zweck in den Sand setzt, und es gibt wahrscheinlich nichts Schlimmeres als angestrengten Smalltalk an Hotelfrühstücksbuffets.
Dass er sich von Carmen dabei ertappen hat lassen, dass er sich in der Gesellschaft von Künstlervolk wohler fühlt als in Gesellschaft von mittelbilligen Business-Anzügen, wurmt ihn zusätzlich. Er ist ein Mover und Shaker, verdammt noch mal, das heißt, ihn können ALLE mal. Komplett alle. Sie wird das büßen. Büßen, büßen, büßen. Gruber lässt sich seinen Schlüssel geben, Zimmer Nummer 18, wie immer, unterschreibt den Zettel und winkt ab, als ihm Gepäcktransport angeboten wird. Er rollt seinen Trolley am Restaurant vorbei nach draußen in den Hof, über einen dunklen Bretterboden um den Birkenwald her um und zu seinem Zimmer, schließt auf, setzt sich aufs Bett, holt sein iPhone raus. « ist dir eigentlich klar, dass ich gegen birken allergisch bin ? dieses scheißgreulich. » Carmen antwortet, während Gruber sein Hemd wechselt, mit sechs Worten. « honey. es ist märz. keine pollen. » Aber Gruber setzt noch eins drauf, « anyway. fack zürich », und dar auf antwortet Carmen nicht mehr.
Der ist irgendwie crazy. Der hat sie irgendwie nicht alle. Man sieht ihm das nicht gleich an, ich meine, er schaut ja nicht schlecht aus. John schaut ganz gut aus, so groß halt, bisschen schlacksig, gute Haare. Weiß, wie man redet, wie man sich anzieht. Gute Schuhe, saubere Fingernägel, das ist heutzutage ja nicht selbstverständlich ! Und er hat auch Manieren, jedenfalls solange er sie unbedingt braucht. Danach merkst du ziemlich bald, dass er einen an der Waffel hat. Ich meine, lustig an der Waffel. Ein Wiener halt, irre charmant, aber im Prinzip unzurechnungsfähig. Ich hatte schon einmal einen Wiener, die sind offenbar alle so. So geschmeidig, so elastisch irgendwie, diese unglaubliche Fähigkeit, sich um sein Gegenüber her umzuwickeln. Jetzt nicht wörtlich. Eben nicht so plump wie einer aus dem Aargau oder so. Du hast das Gefühl, die interessieren sich wirklich für dich, und sind auch noch witzig. Und großzügig ist John auch, auf eine vollkommen selbstverständliche Weise, ich meine, geizige Männer, das geht bei mir ja gar nicht. Ich hab John in der Kantine kennengelernt, das ist ja schon abartig genug, ich meine, einen Schweizer würdest du nie einfach so in der Kantine kennenlernen. Zeig mir einen Schweizer, den man in der Kantine kennenlernen kann. Einen Schweizer kannst du umrennen, einmal auf ihn drauf steigen, zweimal deinen Absatz auf seinem Gesicht umdrehen, er entschuldigt sich und kriecht zur Kassa, ohne dich auch nur zur Kenntnis genommen zu haben. Aber der ist eben kein Schweizer. Macht einen natürlich auch misstrauisch : Das hätte sonst eine sein können, die ihm das Wasser vom Tablett rempelt, Susan Boyle, Sarah Palin, Alice Schwarzer, was weiß ich, John würde vermutlich naturbedingt sofort die Charmemaschine anwerfen, der flirtet sicherheitshalber jede an, die ihn anrempelt. Der hat das in den Genen, nehme ich mal an. Automatisch schauen, was geht, und dann erst schauen, was das für eine ist, bei der was ginge. Man kann dann ja immer noch höflich abwinken. Aber dann hatte ich den an der Backe. Fand ich ja zuerst gar nicht super. Eigentlich irrsinnig unsuper. Darf ich mich zu Ihnen setzen, darf ich Sie einladen, den ganzen Scheiß, meine Güte. Nein. Nein, hab ich gesagt ! War dem aber egal, und nach zwei Minuten war es mir auch egal, also eigentlich war's mir da schon recht, der kann was, das habe ich gleich gemerkt. Der hatte wohl irgendeinen Terminmarathon in unserem Konzern, irgendwelche Verhandlungen, Vertragsdetails abklären, was weiß ich, am nächsten Tag auch, aber für den Abend hat er mich zum Essen eingeladen, und da hat er mich schon genug interessiert, dass ich zugesagt habe. Charme, das hat der. Wir haben in der Kronenhalle getroffen, und zuerst hat er nur geschimpft : Das Essen, der Service, der Wein, die Preise, er war ziemlich laut und ungut, er ging mir extrem auf den Geist. Vielleicht war er nur nervös, und ich wollte, ehrlich gesagt, schon verschwinden. Ich habe echt überlegt, ob ich aufs WC gehen, mir hinten heimlich den Mantel geben lassen und durch die Bar abhauen soll. Kein Scheiß, ich habe wirklich ernsthaft dar über nachgedacht. Als er ein bisschen etwas getrunken hatte, wurde es besser, und da wurde er dann wirklich witzig und aufmerksam und wir haben ziemlich entspannt geplaudert. Wie er erzählt hat, was er macht, das hatte irgendwie Feuer. Und, blödes Wort, aber es passt, Leidenschaft. Und immer in diesem Wienerisch, das war irgendwie süß. Und er kann zuhören, zeig mir einen Mann, der zuhören kann. Und er ist nicht verheiratet und hat keine Freundin ! Also, wenn's wahr ist, aber ich glaub schon. Ich meine, der ist so launisch, den hältst du in Wirklichkeit höchstens zehn Stunden am Stück aus und dann auch nur, wenn er sechs davon schläft. Und dann auch nicht, weil er schnarcht wie eine Sau. Wir sind dann noch ins Mascotte, da war er schon ziemlich zutraulich, aber nicht auf dumm, sondern okay irgendwie, und wie wir um eins oder so raus sind, hat er mich auf der Straße geküsst, und zwar ganz gut, und da habe ich gedacht, okay, auch schon egal. Wir haben uns ein Taxi genommen und sind zu mir. Da wurd's dann eher komisch, weil er dann bei mir plötzlich total anders war. Total zögerlich auf einmal. Ich habe ihn auf dem Sofa platziert und eine Flasche Wein aufgemacht. Und komischerweise wollte er dann auf einmal wieder reden. Und nichts als Unsinn. Er hat immer so blöd gesagt : Döööönisdöööönisdöööönis, schöne Wohnung, Döööönis, schönes Sofa, Döööönis, was machst du so, Döööönis, und Dööönis, hast du was von Bob Dylan hier ?, Döööönis, nur so Scheiß, das ging mir schwer auf den Keks. Ich meine, Bob Dylan, der hat sie doch nicht alle. Und ich wollte auch schon lang nicht mehr reden, haha, aber ich mußte mich ihm praktisch auf den Schoß werfen, damit er mit dem Quatschen aufhört und etwas weitergeht, bevor es mir endgültig zu dumm wurde. Und ich war SO kurz davor. Aber dann hat er sowieso . . . und es war ziemlich.
Na ja. Seltsam. Schon okay, aber schon sehr seltsam. Zwischendurch war er extrem süß und super, aber dann hat er mich wieder so angefasst, so, so kalt und distanziert, und als sei er wütend. Komisch war das. Danach konnte er nicht schnell genug wegkommen, das fand ich ziemlich ungut. Er hat gesagt, er muss früh auf am nächsten Tag, Termine, Termine, das übliche Plingplong. Ermüdend. Als er draußen war, bin ich im Bett gelegen und hab mir gedacht : Trottel. Und : dumme Kuh. Das war jetzt aber nötig, was. Immerhin hat er dann, ich nehme an vom Taxi aus, noch eine ganz nette SMS geschickt, und am nächsten Tag sogar angerufen und gesagt, er ist auf dem Weg zum Flughafen, und ob es okay ist, dass er sich wieder meldet, wenn er in Zürich ist. Ich sagte klar, obwohl ich mir nicht sicher war. Ich hab ihn danach noch zweimal getroffen, und es war immer ähnlich. Es war immer ein Teil super, und ein Teil total bescheuert, zum Davonrennen, und der Sex ist . . . also er kann wirklich noch was lernen beim Sex. Das zweite Mal habe ich bei ihm im Hotel übernachtet, und das war eigentlich in Ordnung. Da wollte er, dass ich bleibe, er wollte sogar, dass ich in seinem Arm einschlafe. Aber in der Früh war er wieder so irrsinnig unangenehm, brüsk, abweisend und direkt gemein, sodass ich dann nicht mehr mit ihm gefrühstückt habe. Wollte er wahrscheinlich auch erreichen. Und deswegen hab ich ihm danach eine wütende Mail geschickt. Dar auf hat er nicht einmal geantwortet, der kann mich jetzt mal, aber echt.
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Dann sind sie am Flughafen. Gruber zahlt, steigt vorsichtig aus (nicht den Schmerz wecken), hebt, diese stinkfaulen Wiener Taxler, seinen Koffer selbst aus dem Kofferraum und zieht ihn über die Straße zum Terminal A.
Sein Trolley wiegt, er weiß das, er hat das zuhause überprüft, zwei Mal hat er es überprüft, genau 7,7 Kilo, das geht als Handgepäck durch. Gruber hat keine Zeit fürs Warten an Gepäckbändern : Von einem Bein aufs andere treten. Auf die Uhr schauen. Sich eine gute Position sichern. Das Leben vorbeiziehen sehen. Auf die Uhr schauen. Auf die Uhr schauen. Auf die Uhr schauen. Er ist froh, dass er niemanden hier kennt ; es gibt wahrscheinlich nichts Entsetzlicheres als Smalltalk frühmorgens am Gate. Im Trolley befinden sich zwei gute Hemden, ein Slimane-Anzug, ein Unterhemd, zwei Boxershorts, zwei Paar Socken, ein Akku für sein Notebook, ein Akku für sein iPhone und sein gesamter Hygienebedarf in 75-ml-Plastikflaschen, Shampoo, Conditioner, Duschgel, Rasierwasser. Danke 9 / 11. Er braucht seinen Trolley nicht aufzugeben, die Formalitäten sind schnell erledigt, unter anderem weil Gruber sich an sein Prinzip für solche Situationen hält, wenngleich dieses im diametralen Widerspruch zu seiner Persönlichkeit steht : Immer freundlich zu Dienstleistern sein. Natürlich nur aus Gründen des Vorteils. Das ist, Gruber hat es ausprobiert, zeitsparend und damit nutzbringend. Immer freundlich zu sein, immer zuvorkommend. Jedenfalls solange es keinen konkreten Anlass zu entschiedener Unfreundlichkeit gibt. Hier und jetzt gibt es ihn nicht. Hier und jetzt hat er es, wie meistens um diese Zeit, mit einer unausgeschlafenen jungen Frau in schlecht sitzender, billiger Uniform zu tun, die es gewohnt ist, von unausgeschlafenen Passagieren überheblich und grob behandelt zu werden. Diese hier hat zu schwarze Haare, zu stark gezupfte Augenbrauen, zu klumpige Wimperntusche und zu viel solariumfarbenes Make-up im Gesicht. Sie reagiert auf Grubers muntere Freundlichkeit extrem positiv. Nein, euphorisch. Grubers Trolley könnte auch zwölf Kilo wiegen, kein Pro blem.
Im Flieger sitzt Gruber allein in der linken Dreierreihe, auf der anderen Seite sitzt eine Frau allein in der rechten Dreierreihe. Die Frau wirft begehrliche Blicke auf seine Zeitungen, und Gruber reicht ihr, nachdem sie etwas von verschlafen und vergessen und viel zu früh stammelte, was er ausgelesen hat, Kurier, Standard, Krone, FAZ, Financial Times, sie lächelt ihn jedes Mal müde, aber dankbar an. Er kennt ihr Gesicht von irgendwo her, sie hat wuschelige, leuchtend dunkelblonde Haare, Ringe unter den Augen, einen breiten, vollen Mund, woher kennt er ihr Gesicht ?
Gruber denkt dar über nach, sie sieht interessant aus, aber sie ist nicht schön genug, dass er sich länger mit der Frage beschäftigen will, wo er sie schon einmal gesehen hat. Egal. Wenn's wichtig wäre, wüsste er es. Sex hatte er nie mit ihr, Gruber ist sich (der Schmerz, er ist noch da, und er wacht jetzt auf) relativ sicher. Nicht hundertprozentig, aber fast.
Als der Flieger seine Flughöhe erreicht hat, steckt sich Gruber wieder die Stöpsel in die Ohren, hört noch zwei, drei Mal « Red River Shore » und scrollt dann (der Schmerz regt und räkelt sich unter Grubers Bauchdecke, aber er schwächelt, vielleicht verschwindet er wieder, wenn Gruber ihn ignoriert) vor auf elf, die Orgel. Die Orgel ist bitte ein Wahnsinn. Er würde gerne der Herzog eine SMS wegen dieser Orgel schicken, aber erstens ist er in der Luft, zweitens würde die Herzog den Titel zu persönlich nehmen, man kann der Herzog keinen Song empfehlen, der « Dreamin of You » heißt, ohne dass sie das als Si gnal auffasst, sich Gruber wieder einmal bisschen an den Hals zu werfen. Die Herzog hat (Gruber nimmt jetzt doch lieber eine 400er Seractil und spült sie mit einem Schluck Wasser hin un ter) die merkwürdige Angewohnheit, sich temporär in Gruber zu verlieben, wenn Gruber sie mit irgendwas rührt, und die Orgel wäre definitiv geeignet, die Herzog zu rühren. Diese Möglichkeit trachtet Gruber zwar nicht grundsätzlich zu vermeiden, aber doch für kargere Zeiten zu reservieren.
Diese Dylan-Manie, die passt nicht zu Gruber. Gruber sieht nicht aus wie der typische Dylan-Fan und er benimmt sich nicht wie der typische Dylan-Fan. Gruber weiß es, und er redet deshalb eher gar nicht dar über. Seine Kollegen und Geschäftspartner gehen heimlich in Puffs oder in Swingerclubs oder masturbieren bei Testfahrten in Autos, die sie sich nicht leisten können. Gruber hört heimlich Dylan. Philipp weiß es, und Kathi natürlich, und er spricht mit dem Bachmeier dar über und mit der Herzog, die eine der wenigen Frauen ist, mit der Gruber überhaupt spricht, also im Sinne von : reden, nicht aufreißen. Was vielleicht damit zu tun hat, dass die Herzog eine der wenigen Frauen ist, die überhaupt über Musik reden. Bloß kommt es Gruber mitunter vor, als wolle sie Dylan vor einem wie ihm beschützen, vollkommen bescheuert, sie nervt, sie macht ihm das kaputt in ihrer überkritischen Art, denn Gruber findet keineswegs, dass man leben und denken und daherkommen muss wie Dylan, um Dylans Musik mögen zu dürfen, also überhaupt nicht. Kompletter Blödsinn, bitte. Die Herzog findet das schon, obwohl ihr selbst dafür jegliche Basis fehlt, absolut jede ; weder lebt noch denkt und zum Glück sieht sie auch nicht aus wie Dylan. Die Herzog lebt unter einer Klimt-Zeichnung, sie hängt über ihrem Sofa und hing einst im Vorraum der Gästetoilette ihrer Eltern, und der Klimt ist eins der wertloseren Dinge in ihrem Dasein, jetzt mal abgesehen vom ideellen Wert. Der Kühlschrank der Herzog ist vermutlich teurer als die Klimt-Zeichnung. So gesehen ist es ein permanenter Fehler, die Herzog nicht anzubaggern, eigentlich sollte er die Herzog bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit aufs Standesamt schleppen, lebensversicherungstechnisch. Aber auf keinen Fall besteht auch nur der Furz eines Anlasses, sich von der Herzog wegen Dylan Vorhaltungen machen zu lassen.
In Zürich kommt Gruber am nervigen Gate E an, von dem man mit der einzigen Schweizer U-Bahn zur Ankunftshalle fahren muss. Dort zieht er sich mit den wieder einmal wohlüberlegt - Gruber fühlt eine tiefe, warme Selbstzufriedenheit in sich aufsteigen - mitgenommenen Franken-Münzen ein Ticket, setzt sich in den Zug und schreibt, während er durch die Zürcher Vorstadt fährt, sofort vom iPhone eine SMS an Carmen : « zürich. diese scheißstadt schon wieder. eben hat mich einer wegen dem iPod angepflaumt. so typisch. » Das ist gelogen. Es ist meistens gelogen, was Gruber Carmen aus Zürich oder München oder Mailand oder Manchester oder Darmstadt oder Sofia oder Graz oder Frankfurt am Main simst, aber er hat da diese schöne Tradition mit ihr. War um jetzt damit aufhören. Carmen mag mittelgroße Städte, Gruber hasst mittelgroße Städte, was insofern peinigend ist, als Carmen ständig in Metropolen zu tun hat und Gruber permanent in mittelgroßen Städten. Carmen simst, wie immer, zurück, dass er ein Idiot ist, dass er endlich die Feldberger anrufen soll, die geht mit ihm in ein wirklich gutes Restaurant zum Essen oder in ein lässiges Lokal etwas trinken oder bekocht ihn und stellt ihm lässige, interessante Leute vor, auf jeden Fall findet er mit der Feldberger zuverlässig einen Platz in Zürich, an dem Zürich wie eine Stadt aussieht und nicht wie ein Millionendorf, herzliche Grüße aus Bejing. Wie immer ignoriert Gruber das, denn dar um geht es nicht. Dar um geht es doch nicht ! Es geht dar um, dass man mittelgroße Städte aus Prinzip hassen muss, aus Prinzip, weil einen mittelgroße Städte unablässig spüren lassen, dass man nicht in einer großen, einer echten Stadt und folglich ein kompletter Versager ist. Dass man es nicht geschafft hat, dass DU es nicht geschafft hast. An jeder her ausgeputzten Ecke lassen sie einen das spüren. Vor jedem scheiß Provinz-Designerladen spürst du es, in jedem zweitklassigen Spießerrestaurant, das einen auf kosmopolitisch macht. Scheiß Zürich. Carmen ist die einzige Person auf der Welt, die in so einer Stadt Freunde findet. Gruber hat in so einer Stadt nichts als Feinde. Geschäftspartner. Taxifahrer.
Hotelportiers, Designerladenverkäuferinnen. Huren, Chefs des Maisons, alle feindlich. Er wird Carmen heute Abend aus der Kronenhalle eine Mail schicken, die pfeifen wird, weil es dort wieder recht scheiße sein wird. Scheiße wie immer, in herrlichem Ambiente, aber ungeheuer scheiße. Gruber stellt « Dreamin of You » auf repeat und überlegt, ob er Denise anrufen soll. Vielleicht würde es sie ja versöhnen, von ihm aus dem Schlaf gerissen zu werden. Da muss es einer doch ernst meinen, wenn er dich schon vor neun Uhr früh sprechen will. Oder wenn er übersieht, wie früh es noch ist, weil er dich so vermisst. Das wäre doch einmal ein schönes Si gnal. Das müsste eine wie die doch gut finden. Andererseits wird Gruber durch diesen Gedankengang selber wieder bewusst, wie früh es noch ist, und dass er so früh überhaupt nicht spricht, so früh spricht er aus Prinzip mit niemandem, außer es dient dem Geschäft. Selbst wenn das jetzt seine Chancen auf einen netten Fick erheblich schmälert : nein. Außerdem kann er Denise diesmal nicht mit zu diesem Essen in die Kronenhalle nehmen, er muss mit diesen Trotteln hin, da kann sie nicht dazu, trotz ihres Arsches. Er müsste ihr (Gruber legt seine Hand auf seinen Bauch, drückt vorsichtig, fester, gut, da ist nichts mehr) auf eine nette, charmante Weise klarmachen, dass sie erst später erwünscht ist, dann aber außerordentlich, und dass es viel netter für sie wäre, wenn sie auf das mittelmäßige, ja miese Essen in der Kronenhalle verzichtet und stattdessen ins Kino geht oder mit einer Freundin was trinkt und ihn erst später in der Bar trifft, die Freundin kann sie ja mitbringen. So müsste das sein, Gruber weiß allerdings genau, dass ihm die charakterlichen Vor aussetzungen, die ihm erfolgreiches Schönreden von sichtlich ungünstigen Situationen ermöglichen würden, nicht gegeben sind. Er würde es versauen, so oder so, also kann er es genauso gut später versauen, wenn er fitter ist und das erste Scheißmeeting hinter sich gebracht hat. Überhaupt Dööönis, so toll bist du auch wieder nicht. Guter Arsch, aber sonst, Dööönis, musst du gar nicht glauben, dass du so toll bist.
Am Bahnhof steigt Gruber aus, geht in die lichte Halle, drückt sich ein paar hundert Franken aus dem Automaten, kauft sich die Neue Zürcher Zeitung, den Blick und GQ, scharfe Kaugummis und Zigaretten und zündet sich noch am Kiosk eine an. Gruber raucht nicht. Gruber raucht nur dann und wann einmal eine nach Steuererklärungen, nach Umzügen, nach dem Sex, nach dem Essen, nach Flügen, nach schwierigen Besprechungen, wenn es sehr kalt ist, wenn es sehr heiß ist, wenn ungeöffnete Briefe in seiner Manteltasche knistern. Er raucht nur, wenn es die Situation erfordert, es geht dabei ausschließlich um die Situation, nicht um die Zigarette, nicht um etwas wie Sucht. Die Zigarette ist der Situation geschuldet, man muss Situationen ernst nehmen, muss sie mit Respekt behandeln, sonst wenden sie sich gegen dich. Man muss rauchen, wenn es die Situation erfordert ; und das ist jetzt der Fall, er beruhigt die Situation und die Situation weiß es zu würdigen, er spürt es schon, die Situation meint es jetzt gut mit ihm, irgendetwas wird heute gelingen. Gruber reißt sich den Rauch in die Lunge, bis er am Taxistand ist, und tritt die Zigarette dann aus. Zum Hotel Greulich. Bei der Bäckeranlage, ja, genau. Das Taxi ist so überheizt, wie es schon das Zugabteil war, er wird sich erkälten bei diesen ständigen brutalen Temperaturwechseln, das ist schon mal sicher. Gruber steckt sich wieder die Musik in die Ohren, schon gar nicht will er mit einem Schweizer Taxifahrer reden. Man versteht sowieso nichts, es ist eine unerträgliche Qual.
Das Greulich hat er sich idiotischerweise von Carmen einreden lassen. Das ist ganz schlecht, ganz schlecht, weil er, wäre er nicht im Greulich, sondern im Seehotel oder im Theatro, Carmen eine Mail über die Zumutung von Zürcher Hotels wie dem Seehotel oder dem Theatro schicken könnte, die so schön tun und doch nur hübsch eingewickelten Mindeststandard verkaufen, und Carmen würde ihm antworten, war um er nicht endlich einmal im Greulich übernachtet, wie sie es ihm immer sagt. Geh ins Greulich ! Das wird ihm nicht mehr passieren, dass er auf einen Rat von Carmen hört, es schneidet ihm seine Kontaktmöglichkeiten zu ihr ab. Das Greulich ist angenehm. Schön, aber nicht aufgeplustert, modern, aber nicht totdesignt. Das Zimmer ist, Gott sei's gepriesen, moderat beheizt. Im Hof gibt es einen kleinen Birkenwald mit Tischchen und Stühlchen, die Idylle ist derart überinszeniert, dass es schon wieder lässig ist. Man frühstückt überwiegend in der Gesellschaft von Künstlern, Schriftstellern oder Architekten, was Gruber wurscht sein sollte. Völlig einerlei sollte Gruber das sein. Gruber ist bitte keiner, der irgendein Interesse dar an pflegte, wer um ihn her um sein Leben wie und zu welchem Zweck in den Sand setzt, und es gibt wahrscheinlich nichts Schlimmeres als angestrengten Smalltalk an Hotelfrühstücksbuffets.
Dass er sich von Carmen dabei ertappen hat lassen, dass er sich in der Gesellschaft von Künstlervolk wohler fühlt als in Gesellschaft von mittelbilligen Business-Anzügen, wurmt ihn zusätzlich. Er ist ein Mover und Shaker, verdammt noch mal, das heißt, ihn können ALLE mal. Komplett alle. Sie wird das büßen. Büßen, büßen, büßen. Gruber lässt sich seinen Schlüssel geben, Zimmer Nummer 18, wie immer, unterschreibt den Zettel und winkt ab, als ihm Gepäcktransport angeboten wird. Er rollt seinen Trolley am Restaurant vorbei nach draußen in den Hof, über einen dunklen Bretterboden um den Birkenwald her um und zu seinem Zimmer, schließt auf, setzt sich aufs Bett, holt sein iPhone raus. « ist dir eigentlich klar, dass ich gegen birken allergisch bin ? dieses scheißgreulich. » Carmen antwortet, während Gruber sein Hemd wechselt, mit sechs Worten. « honey. es ist märz. keine pollen. » Aber Gruber setzt noch eins drauf, « anyway. fack zürich », und dar auf antwortet Carmen nicht mehr.
Der ist irgendwie crazy. Der hat sie irgendwie nicht alle. Man sieht ihm das nicht gleich an, ich meine, er schaut ja nicht schlecht aus. John schaut ganz gut aus, so groß halt, bisschen schlacksig, gute Haare. Weiß, wie man redet, wie man sich anzieht. Gute Schuhe, saubere Fingernägel, das ist heutzutage ja nicht selbstverständlich ! Und er hat auch Manieren, jedenfalls solange er sie unbedingt braucht. Danach merkst du ziemlich bald, dass er einen an der Waffel hat. Ich meine, lustig an der Waffel. Ein Wiener halt, irre charmant, aber im Prinzip unzurechnungsfähig. Ich hatte schon einmal einen Wiener, die sind offenbar alle so. So geschmeidig, so elastisch irgendwie, diese unglaubliche Fähigkeit, sich um sein Gegenüber her umzuwickeln. Jetzt nicht wörtlich. Eben nicht so plump wie einer aus dem Aargau oder so. Du hast das Gefühl, die interessieren sich wirklich für dich, und sind auch noch witzig. Und großzügig ist John auch, auf eine vollkommen selbstverständliche Weise, ich meine, geizige Männer, das geht bei mir ja gar nicht. Ich hab John in der Kantine kennengelernt, das ist ja schon abartig genug, ich meine, einen Schweizer würdest du nie einfach so in der Kantine kennenlernen. Zeig mir einen Schweizer, den man in der Kantine kennenlernen kann. Einen Schweizer kannst du umrennen, einmal auf ihn drauf steigen, zweimal deinen Absatz auf seinem Gesicht umdrehen, er entschuldigt sich und kriecht zur Kassa, ohne dich auch nur zur Kenntnis genommen zu haben. Aber der ist eben kein Schweizer. Macht einen natürlich auch misstrauisch : Das hätte sonst eine sein können, die ihm das Wasser vom Tablett rempelt, Susan Boyle, Sarah Palin, Alice Schwarzer, was weiß ich, John würde vermutlich naturbedingt sofort die Charmemaschine anwerfen, der flirtet sicherheitshalber jede an, die ihn anrempelt. Der hat das in den Genen, nehme ich mal an. Automatisch schauen, was geht, und dann erst schauen, was das für eine ist, bei der was ginge. Man kann dann ja immer noch höflich abwinken. Aber dann hatte ich den an der Backe. Fand ich ja zuerst gar nicht super. Eigentlich irrsinnig unsuper. Darf ich mich zu Ihnen setzen, darf ich Sie einladen, den ganzen Scheiß, meine Güte. Nein. Nein, hab ich gesagt ! War dem aber egal, und nach zwei Minuten war es mir auch egal, also eigentlich war's mir da schon recht, der kann was, das habe ich gleich gemerkt. Der hatte wohl irgendeinen Terminmarathon in unserem Konzern, irgendwelche Verhandlungen, Vertragsdetails abklären, was weiß ich, am nächsten Tag auch, aber für den Abend hat er mich zum Essen eingeladen, und da hat er mich schon genug interessiert, dass ich zugesagt habe. Charme, das hat der. Wir haben in der Kronenhalle getroffen, und zuerst hat er nur geschimpft : Das Essen, der Service, der Wein, die Preise, er war ziemlich laut und ungut, er ging mir extrem auf den Geist. Vielleicht war er nur nervös, und ich wollte, ehrlich gesagt, schon verschwinden. Ich habe echt überlegt, ob ich aufs WC gehen, mir hinten heimlich den Mantel geben lassen und durch die Bar abhauen soll. Kein Scheiß, ich habe wirklich ernsthaft dar über nachgedacht. Als er ein bisschen etwas getrunken hatte, wurde es besser, und da wurde er dann wirklich witzig und aufmerksam und wir haben ziemlich entspannt geplaudert. Wie er erzählt hat, was er macht, das hatte irgendwie Feuer. Und, blödes Wort, aber es passt, Leidenschaft. Und immer in diesem Wienerisch, das war irgendwie süß. Und er kann zuhören, zeig mir einen Mann, der zuhören kann. Und er ist nicht verheiratet und hat keine Freundin ! Also, wenn's wahr ist, aber ich glaub schon. Ich meine, der ist so launisch, den hältst du in Wirklichkeit höchstens zehn Stunden am Stück aus und dann auch nur, wenn er sechs davon schläft. Und dann auch nicht, weil er schnarcht wie eine Sau. Wir sind dann noch ins Mascotte, da war er schon ziemlich zutraulich, aber nicht auf dumm, sondern okay irgendwie, und wie wir um eins oder so raus sind, hat er mich auf der Straße geküsst, und zwar ganz gut, und da habe ich gedacht, okay, auch schon egal. Wir haben uns ein Taxi genommen und sind zu mir. Da wurd's dann eher komisch, weil er dann bei mir plötzlich total anders war. Total zögerlich auf einmal. Ich habe ihn auf dem Sofa platziert und eine Flasche Wein aufgemacht. Und komischerweise wollte er dann auf einmal wieder reden. Und nichts als Unsinn. Er hat immer so blöd gesagt : Döööönisdöööönisdöööönis, schöne Wohnung, Döööönis, schönes Sofa, Döööönis, was machst du so, Döööönis, und Dööönis, hast du was von Bob Dylan hier ?, Döööönis, nur so Scheiß, das ging mir schwer auf den Keks. Ich meine, Bob Dylan, der hat sie doch nicht alle. Und ich wollte auch schon lang nicht mehr reden, haha, aber ich mußte mich ihm praktisch auf den Schoß werfen, damit er mit dem Quatschen aufhört und etwas weitergeht, bevor es mir endgültig zu dumm wurde. Und ich war SO kurz davor. Aber dann hat er sowieso . . . und es war ziemlich.
Na ja. Seltsam. Schon okay, aber schon sehr seltsam. Zwischendurch war er extrem süß und super, aber dann hat er mich wieder so angefasst, so, so kalt und distanziert, und als sei er wütend. Komisch war das. Danach konnte er nicht schnell genug wegkommen, das fand ich ziemlich ungut. Er hat gesagt, er muss früh auf am nächsten Tag, Termine, Termine, das übliche Plingplong. Ermüdend. Als er draußen war, bin ich im Bett gelegen und hab mir gedacht : Trottel. Und : dumme Kuh. Das war jetzt aber nötig, was. Immerhin hat er dann, ich nehme an vom Taxi aus, noch eine ganz nette SMS geschickt, und am nächsten Tag sogar angerufen und gesagt, er ist auf dem Weg zum Flughafen, und ob es okay ist, dass er sich wieder meldet, wenn er in Zürich ist. Ich sagte klar, obwohl ich mir nicht sicher war. Ich hab ihn danach noch zweimal getroffen, und es war immer ähnlich. Es war immer ein Teil super, und ein Teil total bescheuert, zum Davonrennen, und der Sex ist . . . also er kann wirklich noch was lernen beim Sex. Das zweite Mal habe ich bei ihm im Hotel übernachtet, und das war eigentlich in Ordnung. Da wollte er, dass ich bleibe, er wollte sogar, dass ich in seinem Arm einschlafe. Aber in der Früh war er wieder so irrsinnig unangenehm, brüsk, abweisend und direkt gemein, sodass ich dann nicht mehr mit ihm gefrühstückt habe. Wollte er wahrscheinlich auch erreichen. Und deswegen hab ich ihm danach eine wütende Mail geschickt. Dar auf hat er nicht einmal geantwortet, der kann mich jetzt mal, aber echt.
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Autoren-Porträt von Doris Knecht
Doris Knecht geboren in Vorarlberg, ist Kolumnistin («Standard», «Falter») und Schriftstellerin. Ihr erster Roman, «Gruber geht» (2011), war für den Deutschen Buchpreis nominiert und wurde fürs Kino verfilmt. Zuletzt erschienen die vielgelobten Romane «Wald» (2015) und «Alles über Beziehungen» (2017); letzterer wurde für den Österreichischen Buchpreis nominiert. Doris Knecht lebt in Wien und im Waldviertel.
Bibliographische Angaben
- Autor: Doris Knecht
- 2011, 7. Aufl., 240 Seiten, Maße: 13,6 x 21,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871346918
- ISBN-13: 9783871346910
- Erscheinungsdatum: 08.03.2011
Rezension zu „Gruber geht “
"So gut und locker schreibt, worüber man nicht spricht, nur die Knecht." (Daniel Glattauer)
Kommentar zu "Gruber geht"
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