Hammerstein oder der Eigensinn
Ein großes Werk über die verhängnisvollste Periode der deutschen Geschichte und über die herausrage Gestalt eines Mannes, dessen Biographie bislang nicht geschrieben wurde. Hans Magnus Enzensberger hat die Geschichte des Generals Kurt von Hammerstein aus...
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Ein großes Werk über die verhängnisvollste Periode der deutschen Geschichte und über die herausrage Gestalt eines Mannes, dessen Biographie bislang nicht geschrieben wurde. Hans Magnus Enzensberger hat die Geschichte des Generals Kurt von Hammerstein aus allen erreichbaren Quellen recherchiert und entfaltet sie in einem Genre, das er beherrscht wie kein zweiter: im dokumentarischen Roman.
Kurt von Hammerstein war Chef der Reichswehr, ein Grandseigneur, ein unerschütterlicher Gegner des Nationalsozialismus, ein unbestechlicher Zeuge des Untergangs seiner Klasse, des deutschen Militäradels. Seinen Abschied nahm er, nachdem Hitler seine Weltkriegspläne 1933 in einer Geheimrede offengelegt hatte.
Aber es geht auch um die Lebensläufe seiner Frau und seiner sieben Kinder: gezeichnet von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, von Verrat, Widerstand, Spionage und Sippenhaft. Und nicht zuletzt geraten jene Personen ins Fadenkreuz, die zu einem gefährlichen Doppelleben gezwungen waren: vom letzten Reichskanzler der Weimarer Republik über die Agenten der KPD bis zu jener Drogistin, die in Kreuzberg Deserteure und Juden versteckte.
Hammerstein ist nach "Der kurze Sommer der Anarchie" und "Requiem für eine romantische Frau" Enzensbergers dritter dokumentarischer Roman, in dem die Selbstbehauptung des Einzelnen gegenüber kollektiven und autoritären Zumutungen im Zentrum steht. Für dieses Buch hat der Autor die Archive von Moskau bis Berlin, von München bis Toronto befragt. Doch behält für ihn das Dokument nicht das letzte Wort. In einem vielfältigen Werk verbindet sich erneut die Recherche mit der Freiheit des Autors, sich der historischen Wirklichkeit auch über Fiktionen zu nähern.
Kurt von Hammerstein war Chef der Reichswehr, ein Grandseigneur, ein unerschütterlicher Gegner des Nationalsozialismus, ein unbestechlicher Zeuge des Untergangs seiner Klasse, des deutschen Militäradels. Seinen Abschied nahm er, nachdem Hitler seine Weltkriegspläne 1933 in einer Geheimrede offengelegt hatte.
Aber es geht auch um die Lebensläufe seiner Frau und seiner sieben Kinder: gezeichnet von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, von Verrat, Widerstand, Spionage und Sippenhaft. Und nicht zuletzt geraten jene Personen ins Fadenkreuz, die zu einem gefährlichen Doppelleben gezwungen waren: vom letzten Reichskanzler der Weimarer Republik über die Agenten der KPD bis zu jener Drogistin, die in Kreuzberg Deserteure und Juden versteckte.
Hammerstein ist nach Der kurze Sommer der Anarchie und Requiem für eine romantische Frau Enzensbergers dritter dokumentarischer Roman, in dem die Selbstbehauptung des Einzelnen gegenüber kollektiven und autoritären Zumutungen im Zentrum steht. Für dieses Buch hat der Autor die Archive von Moskau bis Berlin, von München bis Toronto befragt. Doch behält für ihn das Dokument nicht das letzte Wort. In einem vielfältigen Werk verbindet sich erneut die Recherche mit der Freiheit des Autors, sich der historischen Wirklichkeit auch über Fiktionen zu nähern.
Hammerstein oder der Eigensinn von Hans Magnus Enzensberger
LESEPROBE
Die Ehe desGenerals Kurt von Hammerstein-Equord war mit sieben Kindern,vier Töchtern und drei Söhnen gesegnet. Von ihm und seiner Familie soll hierdie Rede sein.
Einschwerer Tag
Wie jedenMorgen verließ der General am 3. Februar 1933 pünktlich um sieben Uhr seineWohnung im Ostflügel des Bendlerblocks. Er hattekeinen weiten Weg zu seinen Diensträumen. Sie lagen eine Etage tiefer. Dortsollte er sich noch am selben Abend mit einem Menschen namens Adolf Hitler aneinen Tisch setzen.
Wie oft warer ihm zuvor begegnet? Er soll ihn bereits im Winter 1924/25 im Haus desKlavierfabrikanten Edwin Bechstein getroffen haben,den er seit langem kannte. Das sagt sein Sohn Ludwig. Hitler habe seinen Vaternicht beeindruckt. Er bezeichnete ihn damals als Wirrkopf, allerdings alsgeschickten Wirrkopf. Frau Helene Bechstein war vonAnfang an eine große Bewunderin Hitlers. Sie hat ihn in seiner Münchener Zeitnicht nur finanziert - von Krediten und Juwelen war die Rede -, sondern auch indas eingeführt, was sie für die gute Gesellschaft hielt. Sie gab großeAbendessen für Hitler, um ihn mit einflußreichenFreunden bekanntzumachen, und brachte ihm bei, wie man bei Tisch das Messerführt, wann und wo man einer Dame die Hand küßt undwie man einen Frack trägt.
Ein paarJahre später, 1928 oder 1929, hat Hitler dann in der Privatwohnung desGenerals, nicht weit vom Bahnhof Zoo, in der Hardenbergstraße, vorgesprochen,vermutlich um zu sondieren, wie man im Generalstab über ihn dachte. Franz von Hammerstein, damals sieben oder acht Jahrealt, erinnert sich, wie sein Vater diesen Besuch aufnahm: »Sie saßen auf demBalkon und unterhielten sich. Die Meinung meines Vaters über diesen Mann: Errede zuviel, und das zu sehr durcheinander. Er zeigte ihm die kalte Schulter.Dennoch bemühte sich Hitler um ihn und schickte ihm das Gratisabonnement einerNazizeitschrift.«
Zu einerdritten Begegnung kam es am 12. September 1931 auf Wunsch Hitlers, der damalsdie zweitstärkste deutsche Partei anführte, im Haus eines Herrn von Eberhardt.»Hammerstein sagte zu seinem Freund [und damaligen Wehrminister] Schleicher am Telephon: Der große Mann aus München wünscht uns zusprechen. Schleicher antwortete: Ich kann leider nicht. Die Unterredungdauerte vier Stunden. In der ersten Stunde redete Hitler - bis auf einenEinwurf Hammersteins - ununterbrochen, in den andern drei wurde diskutiert, undHammerstein - so dieser Herr von Eberhardt - soll abschließend geäußert haben: »Wirwollens langsamer. Sonst sind wir eigentlich einerMeinung.« Hat er das wirklich gesagt? Es wäre einIndiz für die tiefsitzenden Ambivalenzen derKrisenzeit, gegen die auch die klügsten Köpfe nicht gefeit waren.
Nach diesemGespräch fragte Schleicher Herrn Eberhardt: »Was halten Sie denn nun von diesemHitler?« - »Wenn auch manches von dem, was er sagt,abzulehnen ist, kann man an dem Mann nicht vorüber wegen der großen Massen, diehinter ihm stehen.« - »Was soll ich mit demPsychopathen«, soll Schleicher, damals Generalmajor und einer der einflußreichsten Politiker des Landes, geantwortet haben.
Es dauertenicht einmal ein Jahr, bis der »Psychopath« die Herrschaft über Deutschlanderrungen hatte. Am 3. Februar 1933 trat er zum ersten Mal vor die Führung derReichswehr, um ihr seine Pläne darzulegen und sie, wenn möglich, für sich zugewinnen. Gastgeber an diesem Abend war der General Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord.
Er war andiesem Tag vierundfünfzig Jahre alt, und es sah ganz so aus, als hätte er denGipfel seiner Karriere erreicht. Schon 1929 war er als Generalmajor zum Chefdes Truppenamtes ernannt worden. Das war eineTarnbezeichnung für den Generalstabschef der Reichswehr, die offiziell aufGrund des Versailler Vertrages einen solchen Stab gar nicht haben durfte. EinJahr später wurde er zum General befördert und zum Chef der Heeresleitungernannt; das war die höchste Stellung innerhalb der deutschen Armee. DieseEntscheidung war damals sehr umstritten. Die Rechtsparteien lehnten ihn vehementab; sie warfen ihm vor, er sei nicht »national« genug eingestellt. ImWehrministerium nannte man ihn den »roten General«, wahrscheinlich, weil er dieRote Armee aus eigener Anschauung gut kannte. Ihm imponierte die enge Bindung dieserTruppe zu den Massen, während die Reichswehr politisch von der Arbeiterschaftvöllig isoliert war. Dennoch war es absurd, Hammerstein, so wie es der VölkischeBeobachter tat, als Linken anzugreifen; er war schließlich, was seinen Habitus betraf,ein adliger Militär alter Schule. Bei einer Kommandeurbesprechung im Februar 1932hat er sich ziemlich eindeutig geäußert: »Wir alle stehen der Gesinnung nachrechts, aber wir müssen uns klar machen, durch wessen Schuld der jetzige innenpolitischeTrümmerhaufen entstanden ist. Das sind die Führer der Rechtsparteien. Sie habenes verschuldet.«
Obwohl eralso auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken durfte, hatte Hammerstein einJahr später sein Amt gründlich satt.
© SuhrkampVerlag
Hans Magnus Enzensberger wurde 1929 in Kaufbeuren geboren. Als Lyriker, Essayist, Biograph, Herausgeber und Übersetzer ist er einer der einflussreichsten und weltweit bekanntesten deutschen Intellektuellen.
- Autor: Hans Magnus Enzensberger
- 2008, 3. Auflage, 375 Seiten, 64 Abbildungen, Maße: 13 x 20,5 cm, Leinen, Deutsch
- Mitarbeit: Müller, Reinhard
- Verlag: Suhrkamp
- ISBN-10: 3518419609
- ISBN-13: 9783518419601
- Erscheinungsdatum: 07.01.2008
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