Hexenfluch
Roman. Originalausgabe
Die Ärztin Ella ahnt nicht, dass ihre Mutter ihr ein besonderes Erbe hinterlassen hat. Als sie einen verprügelten Mann rettet und ihn dabei durch Zufall berührt, spürt sie, wie eine neue Macht sie durchströmt. Denn der Verletzte...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Hexenfluch “
Die Ärztin Ella ahnt nicht, dass ihre Mutter ihr ein besonderes Erbe hinterlassen hat. Als sie einen verprügelten Mann rettet und ihn dabei durch Zufall berührt, spürt sie, wie eine neue Macht sie durchströmt. Denn der Verletzte Christian Havreux ist Hexer und erweckt Ellas magische Kräfte.
Klappentext zu „Hexenfluch “
Im Leben der erfolgreichen Ärztin Ella Thorens gibt es nicht viel außer ihrem Beruf. Seit ihre Mutter sie und ihren Vater verließ, hält sie ihr Herz sorgsam verschlossen. Ella ahnt nicht, dass ihre Mutter ihr ein besonderes Erbe hinterlassen hat, bis sie eines Abends Zeugin wird, wie eine Gruppe vermummter Gestalten einen Mann zusammenschlägt. Ella kann die Angreifer vertreiben, doch als sie den Verletzten berührt, fühlt sie, wie eine neue Macht sie durchströmt. Denn Christian Havreux ist ein Hexer, und der Kontakt mit ihm erweckt Ellas magische Kräfte. Christian überredet Ella, sich von ihm ausbilden zu lassen, doch dabei verfolgt er nicht nur uneigennützige Pläne ...
Lese-Probe zu „Hexenfluch “
Hexenfluch von Lynn Raven ... mehr
1
Wir waren nicht verabredet, Roland.« Mit langen Schritten marschierte Dr. Ella Thorens quer über das Parkdeck des California Hospital Medical Center. Er wusste, was sie davon hielt, wenn er weit vor Ende ihrer Schicht in der Notaufnahme auftauchte. Und immer wieder demonstrativ auf die Uhr sah, wenn sie an ihm vorbeikam. »Dann sind wir es eben jetzt, Honey.« Roland Piers legte besitzergreifend seinen Arm um ihre Mitte und zog sie an sich. Und brachte sie damit prompt zum Stolpern. »Hoppla. « Er lachte leise. »Nenn mir nur einen guten Grund, warum du ein Abendessen mit mir ausschlagen solltest.« Da war ein Unterton in seiner Stimme, der sich fast drohend anhörte. Ella schob ihn von sich weg, kramte den Autoschlüssel aus der Handtasche. Einen Grund? Nur einen einzigen? Sie konnte ihm ohne nachzudenken gleich mehrere liefern. Zum Beispiel, weil sie eine 36-Stunden-Schicht hinter sich hatte. Weil sie dreizehn davon im OP zugebracht hatte, in denen sie unter anderem zu verhindern versuchte, dass ihr eine junge Frau von noch nicht mal fünfundzwanzig auf dem Tisch verblutete, nachdem irgendein besoffener Vollidiot sich trotz mörderisch hoher Promillewerte hinters Steuer seines Wagens gesetzt hatte; in denen sie die inneren Organe eines Siebzehnjährigen zusammengeflickt hatte, der eindeutige Tätowierungen trug und sich dem Bericht der Polizei nach eine Messerstecherei mit dem Mitglied einer verfeindeten Gang geliefert hatte. Weil sie ihren Wagen heute Abend zu Tonio in die Werkstatt bringen musste, damit der endlich dafür sorgte, dass der Motor nicht mehr an jeder Ampel ausging. Und außerdem das Rücklicht reparierte, wegen dem sie gestern schon von einer Streife angehalten worden war - und sie sowieso schon viel zu spät dran war. Weil sie schlicht und ergreifend müde war und sich einfach nur nach einem heißen Bad und höchstens noch einer oder zwei entspannten Stunden vor dem Fernseher - mit oder ohne Roland - sehnte und ihr nicht der Sinn danach stand, sich noch einmal schick zu machen, um mit ihm essen zu gehen. Was sie ihm alles bereits gesagt hatte, als er sie vor gut zwei Stunden angerufen hatte, um ihr mitzuteilen, dass er heute Abend mit ihr ausgehen wollte. »Zu dieser Patientin in South Central«, er verzog das Gesicht, »kannst du doch auch morgen noch.« »Nein, das kann ich nicht.« Wann hatte er sich eigentlich in einen Vollidioten verwandelt? Beziehungsweise: Wann hatte er sich eigentlich in einen Vollidioten verwandelt, ohne dass sie etwas davon mitbekommen hatte? Sie ließ die Zentralverriegelung ihres Impala aufblinken, während sie an seinem Heck vorbei und zur Fahrerseite ging. Roland überholte sie und stemmte die Hand gegen den Türholm. »Heißt das, irgendeine Wildfremde ist dir mal wieder wichtiger als ich?« Seine Stimme war mit jedem Wort ärgerlicher geworden. Ella biss die Zähne zusammen. Das hier war nur eine weitere Variation von: Dein Beruf ist dir mal wieder wichtiger als ich. »Verdammt noch mal, Roland ...« »Wenn du mich jetzt wegen dieser Frau hier stehenlässt, sind wir geschiedene Leute, Ella.« Sie verharrte abrupt, die Hand schon halb nach dem Griff der Autotür ausgestreckt. ›Wenn du diesen Privatschnüffler
nicht jetzt und hier anrufst und ihm sagst, dass er nicht weiter nach deiner Mutter suchen soll, dann verlässt du augenblicklich mein Haus.‹ Fast glaubte sie, die Stimme ihres Vaters über Rolands zu hören. Wenn ... dann ... Sie war damals in ihr Zimmer gegangen und hatte ihre Sachen gepackt. ›Wenn du jetzt durch diese Tür gehst, dann brauchst du nicht wiederzukommen, dann bist du nicht mehr meine Tochter.‹ Sie hatte ihren Vater seitdem nie wiedergesehen. Wenn ... dann ... Sie konnte die Worte nicht mehr hören. - Dumme Kuh, die sie war, hatte sie eine ganze Weile geglaubt, Roland sei anders. Sie legte die Finger entschlossen um den Griff, zog daran, hörte das Klacken des Schlosses. Nur dass auch er vor kurzem angefangen hatte, Symptome der Wenn-dann-Krankheit zu zeigen. Offenbar waren alle Männer so. Roland nahm die Hand vom Holm, packte sie stattdessen am Arm und zerrte sie zu sich herum. Unsanft. Grob. »Hast du mich gehört, Ella? Wenn du ...« Sie zischte. Kein Mann fasste sie auf diese Weise an. »Ich habe dich gehört.« Mit einem Ruck machte sie sich los. »Weißt du, was? Ich habe morgen Vormittag frei. Komm vorbei und hol deine Sachen.« Er starrte sie an. Ella drängte ihn zurück, riss die Tür endgültig auf, pfefferte ihre Tasche auf den Beifahrersitz, stieg ein und rammte den Schlüssel schon in die Zündung, während sie noch die Tür hinter sich zuknallte. Der Motor jaulte auf. Roland sprang hastig aus dem Weg, als sie zurücksetzte, Gas gab und auf die Ausfahrt zuraste. Die Reifen ihres Impala quietschten auf dem Asphalt. Was er ihr hinterherbrüllte, verstand sie nicht. Es interessierte sie auch nicht. Das war's. Keine Männer mehr in ihrem Leben. Ein für alle Mal.
2
Der Stift zerbrach zwischen Alec MacCannans Fingern. Macht! Eine mörderische Detonation. Vollkommen unkontrolliert. Die aufflammte und sofort wieder verging. Und für den Bruchteil eines Atemzugs etwas zurückließ wie ... Agonie. Er stand so rasch auf, dass die Klavierbank krachend umkippte, durchquerte hastig sein Loft, riss den Autoschlüssel vom Haken neben der Tür. South Central. Was auch immer da gerade geschehen war, es war in South Central. Und etwas sagte ihm, dass er keine Zeit verlieren durfte. Auf der Treppe stieß er beinah mit David Monroe zusammen. »Was zum ...« Er drängte sich an ihm vorbei, ohne wirklich langsamer zu werden. »Ruf die anderen hierher. Wahrscheinlich brauche ich den ganzen Zirkel.« »Was ...?« »Tu's einfach!« Die letzten beiden Stufen. Er nahm sie wie eine. Hinter sich hörte er David fluchen.
3
Schlaf!« ... Grelles Licht. Schatten davor. Stimmen. Schmerz. »Was zum ... Aber das ist doch ... - Dr. Thorens? Dr. Thorens, können Sie mich hören?« Eine Berührung am Handgelenk. Ihr war kalt. »Dr. Thorens, sagen Sie etwas! Kommen Sie, Kindchen!« Sie konnte nicht denken. Da war nur Schmerz. »Dr. Jacobs! Dr. Jacobs, schnell! - In die Drei mit ihr! Tempo!« Die Lichter glitten über ihr dahin. Dazwischen Gesichter. Verschwommen. Unscharf. Verzerrt. »Reden Sie mit mir. Ella, bleiben Sie bei mir, hören Sie mich? Bleiben Sie bei mir. Alles wird gut. - Dr. Jacobs. Hier! Schnell. Es ist Dr. Thorens!« ... Ein dunkler Raum. Zu viele Ecken. Sieben. Bunte Fenster. Ein Kreis auf dem Boden. In dem sie liegt. Stimmen. Murmeln. Ein paar zornig. Andere besorgt. Noch mehr Stimmen. Vertreiben die Kälte. Den Schmerz. »Schlaf!« ...
»Ella? Was ...? Heilige Scheiße!« Eine andere Stimme. Sie sollte sie kennen. Jede Einzelne. »Wie kommt sie hierher? - Offene Abominalverletzung. Thoraxtrauma. Massiver Volumenverlust.« »Atmung eingeschränkt.« ... ein Ruck ... »Intubieren!« »Herzfrequenz 180. Sättigung bei 75 Prozent.« ... die Lichter standen still ... »Sauerstoff. 100 Prozent. - Vorsicht mit ihrem Arm. - Weiß irgendjemand, was passiert ist?« ... wurden mal heller, mal dunkler.
... Eine Gasse. Im Dunkeln. Die Laterne flackert. Mrs. Groner braucht ihre Medizin. Männer. Fünf. Baseballschläger. Und anderes. Licht auf Messern. Und Blut. Ein Mann geht zu Boden. Kommt wieder hoch. Ein anderer taumelt zurück. Einer hebt ein Messer. Der Mann sackt in die Knie. Ein Baseballschläger auf die Schulter. Knochen krachen. Dunkelheit wabert. Er geht wieder zu Boden. Sie schreit. ...
»Zugang gelegt. Infusion läuft.« »Ein Mann hat sie hergebracht ...« »Blutdruck 70 zu 40. Fällt.« »3 Konserven. 2 FFP. - Verdacht auf Schädelfraktur. Stark verzögerte Pupillenreaktion. - Mehr Volumen! - Schnappt euch den Kerl und findet heraus, was passiert ist! Ich will wissen, wer sie so zugerichtet hat.« Etwas zerriss. Es wurde noch kälter. »Ella? Dr. Thorens? Bleiben Sie bei uns!« Alles verschwamm noch mehr ... »Ich habe Ihnen den Chefarztsessel nicht überlassen, damit Sie mir schon nach einer Woche wieder abspringen, verstanden? Nicht so. Sie sind doch sonst nicht der Typ, der klein beigibt. Also beißen Sie gefälligst jetzt auch die Zähne zusammen.« ... verwischte ... »Blutdruck 60 zu 30. Fällt weiter.« »Verdammt noch mal, bewegt euch! Wir müssen sie stabil kriegen.« »Pneumothorax!« »Thoraxdrainage! - Wo bleiben die Konserven!« ... Blut. Überall Blut. Dazwischen weiße Knochen. Schädelfraktur. Die Schulter gebrochen. Der Arm. Die Rippen. Stichwunden in Brust und Bauch. Helles Haar. Dunkelblond. Blut an seinem Ohr. Ein einzelner Tropfen. Das Licht fängt sich darin. Blitzt. ...
»Ich brauche ein Ganzkörper-CT!« Wieder Berührung. Licht stach ihr in die Augen. »Verdammt! Wie oft hat dieses Arschloch zugestochen?« »Keine Pupillenreaktion.« »Scheiße, Kleine, was hast -- angestellt? -- einem Banden- krieg mit--mischt?« Ein Piepen. Irgendwo. Kalt. »Wo -- Teu-- bleiben die Kons--?« Sie trieb auf der anderen Seite des Lichts. So kalt. Verzerrt. Alles. Da war Schmerz, der unter dem anderen Schmerz verging. Müde.
... Blut im Licht der Straßenlampe. So viel. Die Atemzüge schwach. Ein Gurgeln. Schaum auf seinen Lippen. Eine Rippe muss die Lunge verletzt haben. Es ist ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt. »Hören Sie mich? Alles wird gut. Ich bin Ärztin. Ich werde Ihnen helfen. Keine Angst.« Ihre Fingerspitzen berühren seine Kehle, auf der Suche nach dem Puls. Es erwacht. Schmerz! Schreie. Ihre eigene Stimme. Die Nacht explodiert in nichts als Schmerz ... Schmerz ... »Bleiben Sie --- uns, Ella! Bleib-- --- bei ---!« So müde. Jemand musste Sushi füttern. »Kam--fl im--!« »3,5 Li--kain. U-- -- renal--. Defi b --la--. -weihun--. -- Nein, El--! N--n! Kämp--n Sie, Kl---e!« Alles wurde dumpf, zu einem Rauschen; die Stimmen; das Piepen; weit entferntes Rauschen; Rauschen; graues Rauschen ... das verebbte.
4
Die Katze atmete panisch in dem Sack auf dem Boden, bewegte sich, suchte noch immer nach einem Fluchtweg, maunzte kläglich. Seine erste Liebesgabe an Majte war eine kleine Katze aus ihrem Stall gewesen. Dreifarbig. Mit Augen wie Bernstein. Sie war in der gleichen Nacht spurlos verschwunden, in der er das Haus in Brand gesteckt hatte. Eine ganze Zeit hatte er gehofft, sie wäre nicht in dem Feuer umgekommen. Irgendwann war es egal gewesen. Wie so vieles. Nachdenklich betrachtete Kristen Havebeeg dieses andere Haus ein paar Meter weiter, quer über den Rasen. Es war nicht besonders groß. Zweistöckig. Weiß getüncht. Eine kleine überdachte Veranda mit einer Hollywoodschaukel. Gardinen in den Fenstern. Zwei Bäume im Garten. Apfel, soweit er das beurteilen konnte. Eine schmale Einfahrt mit Garage. - Typisch amerikanischer Vorort. Das ganze Grundstück war umgeben von einer sauber gestutzten Hecke, die ihnen derzeit vor allzu neugierigen Blicken aus der Nachbarschaft Schutz bot. Nicht, dass kurz nach Mitternacht mit besonders vielen Zuschauern zu rechnen gewesen wäre. Ganz abgesehen davon stand das Haus hinter ihnen ohnehin leer und zum Verkauf. Er war noch nicht in seinem Inneren gewesen. Noch nicht. Das hätte möglicherweise zu viel Aufmerksamkeit auf dieses bestimmte Haus gelenkt. Und seine Besitzerin. Was er um jeden Preis vermeiden wollte. »Das ist es?« Die junge Hexe neben ihm rümpfte die Nase. »Es ist so ...« Bieder. Schmucklos. Unauffällig. - Heimelig? - Was für ein blödsinniger Gedanke. »... spießig.« Geradezu angeekelt wedelte sie mit der Hand. Die kleinen Strasssteinchen auf ihren Fingernägeln blitzten. »Ich frage mich, was du mit diesem langweiligen Ding willst, Kristen.« Das konnte er sich vorstellen. Nicht, dass er vorhatte, es ihr zu sagen. Sie warf ihr schwarzes Haar über die Schulter zurück und wandte sich in der Bewegung halb zu ihm um. Schlank und feingliedrig. Dunkle, leicht mandelförmige Augen. Asiatisches Blut. Hochbegabt. Intrigant und raffi niert. Männer verbrannten an ihr wie Motten in einer Kerzenfl amme. Einer ihrer derzeitigen Lieblinge. War es tatsächlich erst zwei Jahre her, dass er sie für sie eingebrochen hatte? »Wir haben einen Deal, Linda. Du tust, was ich will, und stellst keine Fragen.« »Ja, ja, ich weiß.« Sie wandte sich endgültig zu ihm um, kam ganz dicht heran, legte die Hand auf seine Brust. »... und zur Belohnung habe ich dich eine Nacht in meinem Bett. Freiwillig.« Sollte ihr Augenaufschlag verführerisch sein? Die Art, wie sie sich die Lippen leckte, hatte mehr von Katze und Sahnetopf. Dass sie ihn mit dieser Aktion hier theoretisch auch noch erpressen konnte, machte die Sache für sie noch reizvoller. »Schade nur, dass ich vor den anderen nicht damit angeben darf. Marish würde Gift und Galle spucken.« Er pflückte ihre Hand von seiner Brust und trat einen Schritt zurück. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.« Wenn er sie nicht gebraucht hätte, hätte er nichts lieber getan, als ihr das Handgelenk zu brechen. Linda stieß ein kleines, unwilliges Schnauben aus, hob dann aber die Schultern. Die Haut unter dem Trägertop war absolut makellos. »Also gut.« Ihr ohnehin knapper Rock rutschte noch ein Stück höher, als sie in die Knie ging und in ihrem Beutel kramte. Schweigend sah er ihr zu, verfolgte jede ihrer Bewegungen genau. Fast rechnete er damit, dass sie versuchen würde, ihn zu täuschen. Sie tat es nicht. Die Kräuter, mit denen sie den Dolch einrieb, nachdem sie ihn in Salz gereinigt hatte, die Beschwörung, die sie dabei sprach ... Alles stimmte. Also glaubte sie denen, die behaupteten, dass er dazu tendierte, äußerst unschöne Dinge mit den Frauen zu tun, die ihn verärgerten. Zu Recht. Auch wenn seine Möglichkeiten begrenzt waren. Doch als sie sich vorbeugte und den Dolch in den Boden stoßen wollte, packte er sie am Handgelenk. »Zieh ihn richtig!« Empört kniff sie die Augen zusammen. »Du erwartest jetzt nicht ernsthaft von mir, dass ich einmal um dieses Haus herumkrieche, wenn ich einen Schutzkreis auch auf diese Weise ziehen kann.« »Ich zahle. Also wird es gemacht, wie ich will. Zieh den Kreis richtig!« Aus Empörung wurde Ärger. Ihr Blick sollte vermutlich einschüchternd sein. Er hob nur eine Braue. »Wie der Kunde wünscht.« Mit einer fast schnippischen Geste warf sie erneut ihr Haar zurück. »Aber das kostet dich extra, Kristen.« Seine Antwort war ein träges, arrogantes Lächeln. Wie ein Schatten folgte er Linda um das Haus herum, ließ sie den Kreis korrigieren, wo sie ihn schlampig ziehen wollte, immer darauf bedacht, seine eigene Magie im Zaum zu halten, obwohl es ihn in den Fingern juckte, ihr den Dolch aus der Hand zu nehmen und den Kreis selbst zu beenden. Die ganze Zeit brannte der Bannfluch auf seiner Haut. Ihr übertriebenes Stöhnen, als sie den Anfang des Kreises wieder erreichten, ignorierte er. »Fast geschafft. Gib mir die Katze.« Ihre Augen leuchteten, als sie ihn ansah. Blutmagie war für eine wie sie fast so gut wie Sex. In der Andeutung eines Schmollmundes schob sie die Unterlippe vor. »Bekommt ein braves Mädchen einen Kuss, wenn es hiermit fertig ist?« »Wir werden sehen.« Er kniete sich neben den Sack, löste die Schnur, griff hinein. Die Katze machte ihm klar, was sie von dem hielt, was sie offenbar mit ihr vorhatten, und grub ihm die Krallen in die Hand. Kristen fl uchte, erwischte sie dann aber doch im Genick und zog sie aus ihrem Gefängnis. Eine graugetigerte Sie. Riesige grüne Augen starrten ihn an. Die Pfotenspitzen sahen aus, als hätte sie sie in weiße Farbe getunkt. Katzenpfotennagellack. Beide Hinterbeine waren bis über die Knöchel weiß. So hilfl os sie in seinem Griff auch war: Ihre Zähne waren gebleckt. »Oh, was für eine Hübsche.« Linda trat heran. Der Dolch glänzte in ihrer Hand. »Leg sie auf den Boden.« Die Katze fauchte, versuchte sich frei zu winden, kaum, dass ihre Pfoten die Erde berührten. Kristen hielt sie erbarmungslos fest - und bezahlte dafür mit noch mehr blutenden Kratzern. Linda kauerte sich neben ihn. Murmelte die letzten Zauber. Hob den Dolch. Und stieß ein Zischen aus, als die Katze unvermittelt davonschoss, in der Dunkelheit verschwand. »Was zum ...« Kristen hatte die Hand über ihrer um den Dolchgriff geschlossen, darauf bedacht, ihn selbst nicht zu berühren, drehte die Klinge. Eine knappe, harte Bewegung. Schneller, als Linda reagieren konnte. Die Spitze ging durch Haut und Fleisch wie heißer Stahl durch Butter. »Ich habe etwas Besseres.« Alles, was über ihre Lippen kam, war ein Keuchen. Kristen fing sie auf, schob sich halb hinter sie. Noch ein Ruck. Die Klinge rutschte tiefer. Diesmal erstickte er Lindas Schrei mit seiner freien Hand. »Das Blut einer Hexe ist deutlich mächtiger als das einer einfachen kleinen Katze, Liebling. Findest du nicht? Und für diesen Kreis ist das Beste gerade gut genug.« Er zog den Dolch aus ihrer Brust. Aus ihrer Kehle kam ein würgender Laut. Ihr Blut tropfte von der Klinge. Auf genau die Stellen, auf denen er es haben wollte. Noch immer die Hand über ihrer um dem Griff und nach wie vor peinlich darauf bedacht, nicht selbst mit dem Dolch und damit dem Zauber in Berührung zu kommen, beendete er den Schutzkreis. Linda wurde immer schwerer. Lag schließlich schlaff in seinem Arm. Er spürte das Beben in der Magie, als der Kreis sich endgültig schloss. Der Bannfluch regte sich auf seiner Haut. Für eine Sekunde wagte er nicht zu atmen. Bis da erneut nur das übliche, schwache Brennen war. Langsam stieß er die angehaltene Luft wieder aus, warf einen letzten Blick auf den Kreis. Perfekt. Niemand aus seiner Welt würde dieses Haus und seine Besitzerin jetzt noch für etwas Besonderes halten. Damit musste er nur noch alle übrigen Spuren auslöschen, um sicherzustellen, dass man die Bewohnerin auch in ihrem normalen Leben nicht mehr aufspüren konnte. Er wischte den Dolch an Lindas Shirt sauber, steckte ihn in die Scheide zurück und warf ihn in ihren Beutel. Ihre Habseligkeiten würden ebenso spurlos verschwinden wie sie selbst. Das Blut der jungen Hexe klebte unangenehm an seinem Hemd und seinen Hosen. Nicht, dass das ein Problem wäre. Oder das erste Mal.
Originalausgabe Mai 2012 © 2012 Knaur Taschenbuch Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
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Wir waren nicht verabredet, Roland.« Mit langen Schritten marschierte Dr. Ella Thorens quer über das Parkdeck des California Hospital Medical Center. Er wusste, was sie davon hielt, wenn er weit vor Ende ihrer Schicht in der Notaufnahme auftauchte. Und immer wieder demonstrativ auf die Uhr sah, wenn sie an ihm vorbeikam. »Dann sind wir es eben jetzt, Honey.« Roland Piers legte besitzergreifend seinen Arm um ihre Mitte und zog sie an sich. Und brachte sie damit prompt zum Stolpern. »Hoppla. « Er lachte leise. »Nenn mir nur einen guten Grund, warum du ein Abendessen mit mir ausschlagen solltest.« Da war ein Unterton in seiner Stimme, der sich fast drohend anhörte. Ella schob ihn von sich weg, kramte den Autoschlüssel aus der Handtasche. Einen Grund? Nur einen einzigen? Sie konnte ihm ohne nachzudenken gleich mehrere liefern. Zum Beispiel, weil sie eine 36-Stunden-Schicht hinter sich hatte. Weil sie dreizehn davon im OP zugebracht hatte, in denen sie unter anderem zu verhindern versuchte, dass ihr eine junge Frau von noch nicht mal fünfundzwanzig auf dem Tisch verblutete, nachdem irgendein besoffener Vollidiot sich trotz mörderisch hoher Promillewerte hinters Steuer seines Wagens gesetzt hatte; in denen sie die inneren Organe eines Siebzehnjährigen zusammengeflickt hatte, der eindeutige Tätowierungen trug und sich dem Bericht der Polizei nach eine Messerstecherei mit dem Mitglied einer verfeindeten Gang geliefert hatte. Weil sie ihren Wagen heute Abend zu Tonio in die Werkstatt bringen musste, damit der endlich dafür sorgte, dass der Motor nicht mehr an jeder Ampel ausging. Und außerdem das Rücklicht reparierte, wegen dem sie gestern schon von einer Streife angehalten worden war - und sie sowieso schon viel zu spät dran war. Weil sie schlicht und ergreifend müde war und sich einfach nur nach einem heißen Bad und höchstens noch einer oder zwei entspannten Stunden vor dem Fernseher - mit oder ohne Roland - sehnte und ihr nicht der Sinn danach stand, sich noch einmal schick zu machen, um mit ihm essen zu gehen. Was sie ihm alles bereits gesagt hatte, als er sie vor gut zwei Stunden angerufen hatte, um ihr mitzuteilen, dass er heute Abend mit ihr ausgehen wollte. »Zu dieser Patientin in South Central«, er verzog das Gesicht, »kannst du doch auch morgen noch.« »Nein, das kann ich nicht.« Wann hatte er sich eigentlich in einen Vollidioten verwandelt? Beziehungsweise: Wann hatte er sich eigentlich in einen Vollidioten verwandelt, ohne dass sie etwas davon mitbekommen hatte? Sie ließ die Zentralverriegelung ihres Impala aufblinken, während sie an seinem Heck vorbei und zur Fahrerseite ging. Roland überholte sie und stemmte die Hand gegen den Türholm. »Heißt das, irgendeine Wildfremde ist dir mal wieder wichtiger als ich?« Seine Stimme war mit jedem Wort ärgerlicher geworden. Ella biss die Zähne zusammen. Das hier war nur eine weitere Variation von: Dein Beruf ist dir mal wieder wichtiger als ich. »Verdammt noch mal, Roland ...« »Wenn du mich jetzt wegen dieser Frau hier stehenlässt, sind wir geschiedene Leute, Ella.« Sie verharrte abrupt, die Hand schon halb nach dem Griff der Autotür ausgestreckt. ›Wenn du diesen Privatschnüffler
nicht jetzt und hier anrufst und ihm sagst, dass er nicht weiter nach deiner Mutter suchen soll, dann verlässt du augenblicklich mein Haus.‹ Fast glaubte sie, die Stimme ihres Vaters über Rolands zu hören. Wenn ... dann ... Sie war damals in ihr Zimmer gegangen und hatte ihre Sachen gepackt. ›Wenn du jetzt durch diese Tür gehst, dann brauchst du nicht wiederzukommen, dann bist du nicht mehr meine Tochter.‹ Sie hatte ihren Vater seitdem nie wiedergesehen. Wenn ... dann ... Sie konnte die Worte nicht mehr hören. - Dumme Kuh, die sie war, hatte sie eine ganze Weile geglaubt, Roland sei anders. Sie legte die Finger entschlossen um den Griff, zog daran, hörte das Klacken des Schlosses. Nur dass auch er vor kurzem angefangen hatte, Symptome der Wenn-dann-Krankheit zu zeigen. Offenbar waren alle Männer so. Roland nahm die Hand vom Holm, packte sie stattdessen am Arm und zerrte sie zu sich herum. Unsanft. Grob. »Hast du mich gehört, Ella? Wenn du ...« Sie zischte. Kein Mann fasste sie auf diese Weise an. »Ich habe dich gehört.« Mit einem Ruck machte sie sich los. »Weißt du, was? Ich habe morgen Vormittag frei. Komm vorbei und hol deine Sachen.« Er starrte sie an. Ella drängte ihn zurück, riss die Tür endgültig auf, pfefferte ihre Tasche auf den Beifahrersitz, stieg ein und rammte den Schlüssel schon in die Zündung, während sie noch die Tür hinter sich zuknallte. Der Motor jaulte auf. Roland sprang hastig aus dem Weg, als sie zurücksetzte, Gas gab und auf die Ausfahrt zuraste. Die Reifen ihres Impala quietschten auf dem Asphalt. Was er ihr hinterherbrüllte, verstand sie nicht. Es interessierte sie auch nicht. Das war's. Keine Männer mehr in ihrem Leben. Ein für alle Mal.
2
Der Stift zerbrach zwischen Alec MacCannans Fingern. Macht! Eine mörderische Detonation. Vollkommen unkontrolliert. Die aufflammte und sofort wieder verging. Und für den Bruchteil eines Atemzugs etwas zurückließ wie ... Agonie. Er stand so rasch auf, dass die Klavierbank krachend umkippte, durchquerte hastig sein Loft, riss den Autoschlüssel vom Haken neben der Tür. South Central. Was auch immer da gerade geschehen war, es war in South Central. Und etwas sagte ihm, dass er keine Zeit verlieren durfte. Auf der Treppe stieß er beinah mit David Monroe zusammen. »Was zum ...« Er drängte sich an ihm vorbei, ohne wirklich langsamer zu werden. »Ruf die anderen hierher. Wahrscheinlich brauche ich den ganzen Zirkel.« »Was ...?« »Tu's einfach!« Die letzten beiden Stufen. Er nahm sie wie eine. Hinter sich hörte er David fluchen.
3
Schlaf!« ... Grelles Licht. Schatten davor. Stimmen. Schmerz. »Was zum ... Aber das ist doch ... - Dr. Thorens? Dr. Thorens, können Sie mich hören?« Eine Berührung am Handgelenk. Ihr war kalt. »Dr. Thorens, sagen Sie etwas! Kommen Sie, Kindchen!« Sie konnte nicht denken. Da war nur Schmerz. »Dr. Jacobs! Dr. Jacobs, schnell! - In die Drei mit ihr! Tempo!« Die Lichter glitten über ihr dahin. Dazwischen Gesichter. Verschwommen. Unscharf. Verzerrt. »Reden Sie mit mir. Ella, bleiben Sie bei mir, hören Sie mich? Bleiben Sie bei mir. Alles wird gut. - Dr. Jacobs. Hier! Schnell. Es ist Dr. Thorens!« ... Ein dunkler Raum. Zu viele Ecken. Sieben. Bunte Fenster. Ein Kreis auf dem Boden. In dem sie liegt. Stimmen. Murmeln. Ein paar zornig. Andere besorgt. Noch mehr Stimmen. Vertreiben die Kälte. Den Schmerz. »Schlaf!« ...
»Ella? Was ...? Heilige Scheiße!« Eine andere Stimme. Sie sollte sie kennen. Jede Einzelne. »Wie kommt sie hierher? - Offene Abominalverletzung. Thoraxtrauma. Massiver Volumenverlust.« »Atmung eingeschränkt.« ... ein Ruck ... »Intubieren!« »Herzfrequenz 180. Sättigung bei 75 Prozent.« ... die Lichter standen still ... »Sauerstoff. 100 Prozent. - Vorsicht mit ihrem Arm. - Weiß irgendjemand, was passiert ist?« ... wurden mal heller, mal dunkler.
... Eine Gasse. Im Dunkeln. Die Laterne flackert. Mrs. Groner braucht ihre Medizin. Männer. Fünf. Baseballschläger. Und anderes. Licht auf Messern. Und Blut. Ein Mann geht zu Boden. Kommt wieder hoch. Ein anderer taumelt zurück. Einer hebt ein Messer. Der Mann sackt in die Knie. Ein Baseballschläger auf die Schulter. Knochen krachen. Dunkelheit wabert. Er geht wieder zu Boden. Sie schreit. ...
»Zugang gelegt. Infusion läuft.« »Ein Mann hat sie hergebracht ...« »Blutdruck 70 zu 40. Fällt.« »3 Konserven. 2 FFP. - Verdacht auf Schädelfraktur. Stark verzögerte Pupillenreaktion. - Mehr Volumen! - Schnappt euch den Kerl und findet heraus, was passiert ist! Ich will wissen, wer sie so zugerichtet hat.« Etwas zerriss. Es wurde noch kälter. »Ella? Dr. Thorens? Bleiben Sie bei uns!« Alles verschwamm noch mehr ... »Ich habe Ihnen den Chefarztsessel nicht überlassen, damit Sie mir schon nach einer Woche wieder abspringen, verstanden? Nicht so. Sie sind doch sonst nicht der Typ, der klein beigibt. Also beißen Sie gefälligst jetzt auch die Zähne zusammen.« ... verwischte ... »Blutdruck 60 zu 30. Fällt weiter.« »Verdammt noch mal, bewegt euch! Wir müssen sie stabil kriegen.« »Pneumothorax!« »Thoraxdrainage! - Wo bleiben die Konserven!« ... Blut. Überall Blut. Dazwischen weiße Knochen. Schädelfraktur. Die Schulter gebrochen. Der Arm. Die Rippen. Stichwunden in Brust und Bauch. Helles Haar. Dunkelblond. Blut an seinem Ohr. Ein einzelner Tropfen. Das Licht fängt sich darin. Blitzt. ...
»Ich brauche ein Ganzkörper-CT!« Wieder Berührung. Licht stach ihr in die Augen. »Verdammt! Wie oft hat dieses Arschloch zugestochen?« »Keine Pupillenreaktion.« »Scheiße, Kleine, was hast -- angestellt? -- einem Banden- krieg mit--mischt?« Ein Piepen. Irgendwo. Kalt. »Wo -- Teu-- bleiben die Kons--?« Sie trieb auf der anderen Seite des Lichts. So kalt. Verzerrt. Alles. Da war Schmerz, der unter dem anderen Schmerz verging. Müde.
... Blut im Licht der Straßenlampe. So viel. Die Atemzüge schwach. Ein Gurgeln. Schaum auf seinen Lippen. Eine Rippe muss die Lunge verletzt haben. Es ist ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt. »Hören Sie mich? Alles wird gut. Ich bin Ärztin. Ich werde Ihnen helfen. Keine Angst.« Ihre Fingerspitzen berühren seine Kehle, auf der Suche nach dem Puls. Es erwacht. Schmerz! Schreie. Ihre eigene Stimme. Die Nacht explodiert in nichts als Schmerz ... Schmerz ... »Bleiben Sie --- uns, Ella! Bleib-- --- bei ---!« So müde. Jemand musste Sushi füttern. »Kam--fl im--!« »3,5 Li--kain. U-- -- renal--. Defi b --la--. -weihun--. -- Nein, El--! N--n! Kämp--n Sie, Kl---e!« Alles wurde dumpf, zu einem Rauschen; die Stimmen; das Piepen; weit entferntes Rauschen; Rauschen; graues Rauschen ... das verebbte.
4
Die Katze atmete panisch in dem Sack auf dem Boden, bewegte sich, suchte noch immer nach einem Fluchtweg, maunzte kläglich. Seine erste Liebesgabe an Majte war eine kleine Katze aus ihrem Stall gewesen. Dreifarbig. Mit Augen wie Bernstein. Sie war in der gleichen Nacht spurlos verschwunden, in der er das Haus in Brand gesteckt hatte. Eine ganze Zeit hatte er gehofft, sie wäre nicht in dem Feuer umgekommen. Irgendwann war es egal gewesen. Wie so vieles. Nachdenklich betrachtete Kristen Havebeeg dieses andere Haus ein paar Meter weiter, quer über den Rasen. Es war nicht besonders groß. Zweistöckig. Weiß getüncht. Eine kleine überdachte Veranda mit einer Hollywoodschaukel. Gardinen in den Fenstern. Zwei Bäume im Garten. Apfel, soweit er das beurteilen konnte. Eine schmale Einfahrt mit Garage. - Typisch amerikanischer Vorort. Das ganze Grundstück war umgeben von einer sauber gestutzten Hecke, die ihnen derzeit vor allzu neugierigen Blicken aus der Nachbarschaft Schutz bot. Nicht, dass kurz nach Mitternacht mit besonders vielen Zuschauern zu rechnen gewesen wäre. Ganz abgesehen davon stand das Haus hinter ihnen ohnehin leer und zum Verkauf. Er war noch nicht in seinem Inneren gewesen. Noch nicht. Das hätte möglicherweise zu viel Aufmerksamkeit auf dieses bestimmte Haus gelenkt. Und seine Besitzerin. Was er um jeden Preis vermeiden wollte. »Das ist es?« Die junge Hexe neben ihm rümpfte die Nase. »Es ist so ...« Bieder. Schmucklos. Unauffällig. - Heimelig? - Was für ein blödsinniger Gedanke. »... spießig.« Geradezu angeekelt wedelte sie mit der Hand. Die kleinen Strasssteinchen auf ihren Fingernägeln blitzten. »Ich frage mich, was du mit diesem langweiligen Ding willst, Kristen.« Das konnte er sich vorstellen. Nicht, dass er vorhatte, es ihr zu sagen. Sie warf ihr schwarzes Haar über die Schulter zurück und wandte sich in der Bewegung halb zu ihm um. Schlank und feingliedrig. Dunkle, leicht mandelförmige Augen. Asiatisches Blut. Hochbegabt. Intrigant und raffi niert. Männer verbrannten an ihr wie Motten in einer Kerzenfl amme. Einer ihrer derzeitigen Lieblinge. War es tatsächlich erst zwei Jahre her, dass er sie für sie eingebrochen hatte? »Wir haben einen Deal, Linda. Du tust, was ich will, und stellst keine Fragen.« »Ja, ja, ich weiß.« Sie wandte sich endgültig zu ihm um, kam ganz dicht heran, legte die Hand auf seine Brust. »... und zur Belohnung habe ich dich eine Nacht in meinem Bett. Freiwillig.« Sollte ihr Augenaufschlag verführerisch sein? Die Art, wie sie sich die Lippen leckte, hatte mehr von Katze und Sahnetopf. Dass sie ihn mit dieser Aktion hier theoretisch auch noch erpressen konnte, machte die Sache für sie noch reizvoller. »Schade nur, dass ich vor den anderen nicht damit angeben darf. Marish würde Gift und Galle spucken.« Er pflückte ihre Hand von seiner Brust und trat einen Schritt zurück. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.« Wenn er sie nicht gebraucht hätte, hätte er nichts lieber getan, als ihr das Handgelenk zu brechen. Linda stieß ein kleines, unwilliges Schnauben aus, hob dann aber die Schultern. Die Haut unter dem Trägertop war absolut makellos. »Also gut.« Ihr ohnehin knapper Rock rutschte noch ein Stück höher, als sie in die Knie ging und in ihrem Beutel kramte. Schweigend sah er ihr zu, verfolgte jede ihrer Bewegungen genau. Fast rechnete er damit, dass sie versuchen würde, ihn zu täuschen. Sie tat es nicht. Die Kräuter, mit denen sie den Dolch einrieb, nachdem sie ihn in Salz gereinigt hatte, die Beschwörung, die sie dabei sprach ... Alles stimmte. Also glaubte sie denen, die behaupteten, dass er dazu tendierte, äußerst unschöne Dinge mit den Frauen zu tun, die ihn verärgerten. Zu Recht. Auch wenn seine Möglichkeiten begrenzt waren. Doch als sie sich vorbeugte und den Dolch in den Boden stoßen wollte, packte er sie am Handgelenk. »Zieh ihn richtig!« Empört kniff sie die Augen zusammen. »Du erwartest jetzt nicht ernsthaft von mir, dass ich einmal um dieses Haus herumkrieche, wenn ich einen Schutzkreis auch auf diese Weise ziehen kann.« »Ich zahle. Also wird es gemacht, wie ich will. Zieh den Kreis richtig!« Aus Empörung wurde Ärger. Ihr Blick sollte vermutlich einschüchternd sein. Er hob nur eine Braue. »Wie der Kunde wünscht.« Mit einer fast schnippischen Geste warf sie erneut ihr Haar zurück. »Aber das kostet dich extra, Kristen.« Seine Antwort war ein träges, arrogantes Lächeln. Wie ein Schatten folgte er Linda um das Haus herum, ließ sie den Kreis korrigieren, wo sie ihn schlampig ziehen wollte, immer darauf bedacht, seine eigene Magie im Zaum zu halten, obwohl es ihn in den Fingern juckte, ihr den Dolch aus der Hand zu nehmen und den Kreis selbst zu beenden. Die ganze Zeit brannte der Bannfluch auf seiner Haut. Ihr übertriebenes Stöhnen, als sie den Anfang des Kreises wieder erreichten, ignorierte er. »Fast geschafft. Gib mir die Katze.« Ihre Augen leuchteten, als sie ihn ansah. Blutmagie war für eine wie sie fast so gut wie Sex. In der Andeutung eines Schmollmundes schob sie die Unterlippe vor. »Bekommt ein braves Mädchen einen Kuss, wenn es hiermit fertig ist?« »Wir werden sehen.« Er kniete sich neben den Sack, löste die Schnur, griff hinein. Die Katze machte ihm klar, was sie von dem hielt, was sie offenbar mit ihr vorhatten, und grub ihm die Krallen in die Hand. Kristen fl uchte, erwischte sie dann aber doch im Genick und zog sie aus ihrem Gefängnis. Eine graugetigerte Sie. Riesige grüne Augen starrten ihn an. Die Pfotenspitzen sahen aus, als hätte sie sie in weiße Farbe getunkt. Katzenpfotennagellack. Beide Hinterbeine waren bis über die Knöchel weiß. So hilfl os sie in seinem Griff auch war: Ihre Zähne waren gebleckt. »Oh, was für eine Hübsche.« Linda trat heran. Der Dolch glänzte in ihrer Hand. »Leg sie auf den Boden.« Die Katze fauchte, versuchte sich frei zu winden, kaum, dass ihre Pfoten die Erde berührten. Kristen hielt sie erbarmungslos fest - und bezahlte dafür mit noch mehr blutenden Kratzern. Linda kauerte sich neben ihn. Murmelte die letzten Zauber. Hob den Dolch. Und stieß ein Zischen aus, als die Katze unvermittelt davonschoss, in der Dunkelheit verschwand. »Was zum ...« Kristen hatte die Hand über ihrer um den Dolchgriff geschlossen, darauf bedacht, ihn selbst nicht zu berühren, drehte die Klinge. Eine knappe, harte Bewegung. Schneller, als Linda reagieren konnte. Die Spitze ging durch Haut und Fleisch wie heißer Stahl durch Butter. »Ich habe etwas Besseres.« Alles, was über ihre Lippen kam, war ein Keuchen. Kristen fing sie auf, schob sich halb hinter sie. Noch ein Ruck. Die Klinge rutschte tiefer. Diesmal erstickte er Lindas Schrei mit seiner freien Hand. »Das Blut einer Hexe ist deutlich mächtiger als das einer einfachen kleinen Katze, Liebling. Findest du nicht? Und für diesen Kreis ist das Beste gerade gut genug.« Er zog den Dolch aus ihrer Brust. Aus ihrer Kehle kam ein würgender Laut. Ihr Blut tropfte von der Klinge. Auf genau die Stellen, auf denen er es haben wollte. Noch immer die Hand über ihrer um dem Griff und nach wie vor peinlich darauf bedacht, nicht selbst mit dem Dolch und damit dem Zauber in Berührung zu kommen, beendete er den Schutzkreis. Linda wurde immer schwerer. Lag schließlich schlaff in seinem Arm. Er spürte das Beben in der Magie, als der Kreis sich endgültig schloss. Der Bannfluch regte sich auf seiner Haut. Für eine Sekunde wagte er nicht zu atmen. Bis da erneut nur das übliche, schwache Brennen war. Langsam stieß er die angehaltene Luft wieder aus, warf einen letzten Blick auf den Kreis. Perfekt. Niemand aus seiner Welt würde dieses Haus und seine Besitzerin jetzt noch für etwas Besonderes halten. Damit musste er nur noch alle übrigen Spuren auslöschen, um sicherzustellen, dass man die Bewohnerin auch in ihrem normalen Leben nicht mehr aufspüren konnte. Er wischte den Dolch an Lindas Shirt sauber, steckte ihn in die Scheide zurück und warf ihn in ihren Beutel. Ihre Habseligkeiten würden ebenso spurlos verschwinden wie sie selbst. Das Blut der jungen Hexe klebte unangenehm an seinem Hemd und seinen Hosen. Nicht, dass das ein Problem wäre. Oder das erste Mal.
Originalausgabe Mai 2012 © 2012 Knaur Taschenbuch Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von Lynn Raven
Raven, LynnLynn Raven lebte in Neuengland, USA, ehe es sie für einige Jahre nach Deutschland verschlug. Zurzeit wechselt sie zwischen beiden Ländern hin und her. Als Autorin ist sie in der Urban und High Fantasy gleichermaßen zu Hause und ebenfalls unter dem Namen Alex Morrin erfolgreich. Besonders bekannt sind aber ihre sowohl bei Jugendlichen wie Erwachsenen beliebten All-Age-Romane "Der Kuss des Dämons", "Das Herz des Dämons" und "Das Blut des Dämons".
Bibliographische Angaben
- Autor: Lynn Raven
- 2012, 427 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426505606
- ISBN-13: 9783426505601
- Erscheinungsdatum: 27.04.2012
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