Ich bin, was ich bin
Mein Leben
"Ich bin was ich bin" von Uwe Kröger – sein Leben abseits der großen Showbühne
Anlässlich seines 50. Geburtstags resümiert Uwe Kröger seine wichtigsten Lebensstationen, ergänzt...
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Produktinformationen zu „Ich bin, was ich bin “
"Ich bin was ich bin" von Uwe Kröger – sein Leben abseits der großen Showbühne
Anlässlich seines 50. Geburtstags resümiert Uwe Kröger seine wichtigsten Lebensstationen, ergänzt von Familie, Kollegen und Freunden wie Pia Douwes, Michael Kunze, Sylvester Levay oder Peter Weck. „Ich bin, was ich bin“ zeichnet das berührende Lebensbild eines großen Künstlers.
Klappentext zu „Ich bin, was ich bin “
Uwe Kröger ist der Inbegriff des Musicaldarstellers: Er begeisterte als Originalbesetzung in 4 Weltpremieren: »Elisabeth«, »Mozart!«, »Rebecca«, »Der Besuch der alten Dame«, in 6 deutschsprachigen Erstaufführungen: »Miss Saigon«, »Sunset Boulevard«, »The Wild Party«, »3 Musketiere«, »Rudolf«, »The Addams Family«. Er war 1988 erster deutscher Rusty im Bochumer »Starlight Express«, 1997 das Biest in der deutschen Erstaufführung von »Die Schöne und das Biest«, 2000 Titelfigur in »Napoleon« am Londoner Westend und 2007 Professor van Helsing bei der österreichischen Uraufführung von »Dracula«. Als gefeierter Charakterdarsteller bleibt er unvergessen in Musicalwelthits wie »Les Miserables«, »Hairspray«, »Sound Of Music« oder »La Cage Aux Folles«. Er urteilte als Juror in der ZDFShow »Musical Showstar 2008« und überzeugte 2011 im ORF als »Dancing Star«.Doch es gibt auch einen anderen Uwe Kröger abseits der großen Showbühne. Den nachdenklichen Menschen, den schüchternen Romantiker, den guten Freund, den ambitionierten Modeexperten oder den liebenden Lebensgefährten, der bislang kaum hinter private Kulissen blicken ließ. Anlässlich seines 50. Geburtstags resümiert er seine wichtigsten Lebensstationen, ergänzt von Familie, Kollegen und Freunden wie Pia Douwes, Michael Kunze, Sylvester Levay oder Peter Weck.»Ich bin, was ich bin« gewährt Einblick in das Phänomen Uwe Kröger und zeichnet das berührende Lebensbild eines großen Künstlers.
Lese-Probe zu „Ich bin, was ich bin “
Ich bin, was ich bin - Uwe KrögerDie Initialzündung
... mehr
Wie mich ein Zufall zum Musical brachte
Wäre ich in Hamm damals nicht auf diese Theatergruppe aufmerksam
geworden, wer weiß, wie sich meine berufliche Zukunft gestaltet
hätte. Immer wieder habe ich darüber nachgedacht. Unweigerlich
tauche ich dann in meine Vergangenheit ein, in jene Zeit,
als ich noch nicht auf den Bühnen dieser Welt stand und es nicht
einmal im Traum für möglich hielt, einmal ein gefeierter Musicalstar
zu sein.
Man schrieb das Jahr 1985, das Kulturangebot bewegte sich in
meiner Heimatstadt gegen null. Es gab kein eigenständiges Theater,
Laienproduktionen fanden in Turnsälen oder Vereinsheimen
statt, Musikbands, die mir aus Bravo oder dem Rundfunk bekannt
waren, machten höchstens mal im nahen Münster auf ihren
Tourneen Station. „Wild Boys“ von Duran Duran führte die deutsche
Hitparade zwar an, aber ein gewisser Hans Hölzl, den ich
viel, viel später einmal kennenlernen durfte, sorgte mit „Amadeus“
auch bei uns in Deutschland fürs Hinhören.
Aus meinem uralten, quietschenden Kassettenrekorder leierten
ganz andere Lieder. Songs von John Denver, Crosby Stills, Nash &
Young oder Joan Baez. Kino war noch das größte kulturelle Vergnügen,
das wir uns in der westfälischen Provinzstadt ab und zu
gönnten.
Ich leistete gerade meinen Zivildienst ab und verbrachte den
Großteil der Tage als Pfleger in der Jugendpsychiatrie. Ich liebte
diese verantwortungsvolle Tätigkeit und ging richtig auf im Ersatzdienst.
Mein Privatleben war kaum existent. Von Zeit zu Zeit verbrachte
ich einen Abend mit meinen Schulfreunden oder hatte Probentermine
mit unserer alternativen Amateurband Saitensprung.
Doch auch die wurden immer seltener, ebenso wie die Arbeit im
Getränkevertrieb meines Vaters.
Da passierte etwas, das mein Leben nachhaltig verändern sollte:
die Initialzündung meiner schlummernden Leidenschaft. Eine ehemalige
Schulkollegin sprach mich auf offener Straße an und gab mir
einen Tipp. Sie machte mich auf ein Plakat der Laientheatergruppe
Backstage aufmerksam. Annette Brückner, die damalige Leiterin
der ortsansässigen Tanzschule, und Peter Gestwa hatten diese
Gruppe ins Leben gerufen und sich mit einigen anderen Kulturinteressierten
zusammengetan, um in meiner Heimatstadt etwas Kulturelles
auf die Beine zu stellen. Das allein war schon eine Sensation.
Nun suchten sie für eine Musicalrevue in Hamm Sänger.
Mein Name soll damals immer wieder beim ambitionierten und
durchwegs ehrenamtlich tätigen Leading Team rund um Annette
gefallen sein. Durch meine, wenn auch seltenen, öffentlichen Auftritte
mit der Band Saitensprung hatte ich offensichtlich einen gewissen
Ruf erlangt in den musikaffinen Kreisen meiner Heimatstadt.
Mir ging damals ständig ein Film durch den Kopf, den ich
erst kurz davor im Kino gesehen und der mich schwer beeindruckt
hatte: Fame. Die rührselige Story rund um den Ehrgeiz der jugendlichen
Darsteller und ihr unablässiges Bestreben, in die Highschool
of Performing Arts aufgenommen zu werden, ließ mich nicht los.
Ein schönes Märchen, das im fernen New York spielte. Leroy, Doris,
Montgomery – alle wollten sie den Weg zum Ruhm finden.
Durchaus möglich, dass mich gerade dieser Film unbewusst beeinflusst
hat, den Schritt zum Casting zu wagen, es zu probieren.
Von Musical, Tanz oder Schauspiel hatte ich – wie ganz
Hamm – keine Ahnung, während in Wien zeitgleich Cats schon
riesige Erfolge feierte. Ja, Musik machte ich gerne, Geschichten
wollte ich immer erzählen, auch schon mit Saitensprung. Aber
mit der Stimme und nicht mit dem ganzen Körper. Männer interessierten
sich damals nicht für Tanz, Ballett, ästhetische Bewegung.
Sie hatten sich nicht dafür zu interessieren. Und die
gesungenen Liedtexte unserer Band, die mussten deutlich,
hart und sozialkritisch sein. Das entsprach der allgemeingültigen
Philosophie der Jugendszene rund um Hamm, in der ich
aufgewachsen bin.
In Hamm begann ich, vom Broadway zu träumen
Dreams on Broadway hieß die Produktion, und ich träumte von
Anfang an meinen Lebenstraum. Vielleicht etwas naiv und amateurhaft,
aber mit unglaublichen Ambitionen im Hinterkopf. Mein
Ehrgeiz, den ich schon als Kind, beim Schneidern, beim Geschichten
schreiben und später bei der Mitarbeit im väterlichen Getränkevertrieb
hatte, kam mir nun zugute: 200 Prozent Einsatz, die ich
immer leisten wollte und auch heute noch gebe, wenn ich sehe,
dass eine Aufgabe es verdient.
Ich war ein Einzelgänger und nicht gewohnt, mich in eine Horde
von gleichgesinnten Schauspiel- und Gesangsamateuren einzufügen.
Aber ich lernte, mich anzupassen. Was blieb mir anderes übrig?
Ich hasste Vereine, nie zuvor war ich in einem Mitglied gewesen,
weder im Fußballclub noch bei irgendwelchen Neigungsgruppen
der örtlichen Turnvereine. Außerdem fehlten mir während meiner
Schulzeit die Zeit und sicherlich auch die Muße. Erst beim Zivildienst,
durch diesen gravierenden Cut nach dem Abitur, lernte ich,
mir meine spärliche Zeit besser einzuteilen, mein eigenes Leben zu
leben – im Wohnheim der Angestellten neben der Psychiatrie, wo
ich untergebracht war, weit weg von der Familie. Ich war eben anders
als viele meiner Altersgenossen. Erst jetzt wird mir das bewusst:
Ich war immer schon, was ich war.
Für das in meinen Augen ungemein große Projekt, dieses Neuland
an Erfahrungen, die ich sammeln konnte, das Ausleben meiner
verkappten Leidenschaften, nutzte ich vornehmlich die Wochenenden
– um zu lernen, zu probieren, und für Warm-ups im
Turnsaal der Schule. In simplen Jogging-Klamotten studierte ich
die Schritte, die Bewegungen und Lieder ein, Tanzdressen kannte
man damals noch nicht. Zumindest nicht in Hamm, hier war eben
alles sehr amateurhaft. Angetrieben von der ungewohnten Atmosphäre
und meinem inneren Ehrgeiz hatte ich Blut geleckt. Ein
Metier, das ich nicht kannte, eine Beschäftigung, die mir körperliche
und geistige Befriedigung verschaffte, so habe ich jene Wochen
des Trainings in Erinnerung.
Mit jedem Gedanken an diese Zeit wird die Erinnerung klarer.
Mein Ziel war es, das zu perfektionieren, was jeder der 30 jungen
Menschen perfektionieren wollte. Es gab keinen Star, keinen Solisten
unter uns, wir waren gleichwertig. Ambitionierte Anfänger und
Neo-Musicaldarsteller gaben sich die Türklinken in die Hand. Es
war wie in einem Affenstall, einem Zirkuszelt, einem im Chaos
versinkenden Ameisenhaufen.
Die Räumlichkeiten waren ebenso klein wie ungeeignet. Vom
Zimmer, in dem wir Gesang übten, ging es in den Raum, in dem
wir die richtige Körperhaltung trainierten, weiter zu den Atemtechnikübungen
und zum Sprechunterricht. In einem kleinen Turnsaal
unternahmen wir die ersten Gehversuche in Tanz und Ballett. Jeder
Einzelne von uns durchlief diese Stationen, Wochenende für
Wochenende.
Ich wollte besser sein – nicht vor den anderen, aber als ich es
bisher gewesen war. Und so fragte ich Annette Brückner, ob sie mir
zusätzlich privaten Tanzunterricht erteilen würde. Sie antwortete:
„Ja, warum nicht!“ Sie mochte mich, glaubte, ein Talent entdeckt
zu haben, das es wert sei, gefördert zu werden. Und ich wollte
schon damals nicht sinnlos Zeit verplempern. Ich war sehr froh
und dankbar, dass Annette sich meiner annahm, denn auch ihre
Zeit war knapp.
Disziplin war nun mein oberstes Gebot, und so erhielt ich auch
an so manchem Wochentag nach meinem anstrengenden Dienst
noch spät in der Nacht Einzelunterricht. Das am Tag hart Verdiente
steckte ich fast zur Gänze in zusätzliche Lerneinheiten, um noch
besser zu werden, noch schneller voranzukommen. So konsequent
wie ich waren freilich nur wenige der 30 Frischlinge im Showgeschäft,
was mich ziemlich ärgerte. Wenn man schon so eine Chance
bekam, musste man sie doch nutzen. Jede Sekunde! Da durfte
man nicht zu spät kommen oder gar fernbleiben. Auch wenn wir
keinen Pfennig für unsere Mühen bekamen, war es doch eine
Chance! Der Turnsaal, die Aula, sämtliche benötigten Räumlichkeiten
der Schule wurden samstags und sonntags kostenfrei zur
Verfügung gestellt, die Choreografin und das ideengebende Team
arbeiteten ehrenamtlich. Der Sache wegen und weil sie mit dieser
Musical-Revue etwas mehr Kultur und Zeitgeist nach Hamm bringen
wollten.
Während der Probenzeit geisterten immer wieder Szenen aus
Fame durch meinen Kopf. Ich war mitten drin in diesem Movie,
das meinen beruflichen Weg später bestimmen sollte. Zu diesem
Zeitpunkt allerdings in einer noch simplen und dilettantisch anmutenden
Bühnenversion dieses legendären Filmklassikers. Aus
schulhaften, gruppendynamischen Situationen entwickelten wir
die einzelnen Songs, die wir bei der Galavorstellung präsentierten.
Einer davon war „Aquarius“, das wohl bekannteste Lied aus
dem Musical Hair. Man wählte mich aus, den Song zu interpretieren
– meine Stimme, mein Auftreten, das Gesamtpaket passte –,
obwohl ich doch astrologischer Schütze bin. Es gab nur ein ganz
kleines Problem: Ich hatte weder von diesem Lied noch vom dazugehörigen
Musical je zuvor gehört. Eine VHS-Kassette musste her.
Ich studierte den Song Hunderte Male, sog ihn förmlich auf, und
obwohl „Aquarius“ in der Originalversion für eine weibliche Stimme
vorgesehen war, sollte ausgerechnet ich damit bravourös reüssieren.
Nach drei Monaten intensivem Gesangstraining, Ballett-, Tanzunterricht
und den Proben in der Schule feierte die bunte Musical-
Revue schließlich ihre Premiere im Saalbau von Bockum-Hövel,
einem Ortsteil von Hamm. Über 400 Gäste saßen im Publikum,
vornehmlich jene passionierten Theatergeher, die stets nach Essen,
Münster oder noch weiter weg fahren mussten, um ihren Kulturhunger
stillen zu können. Interessierte Kulturpendler, die man
durchaus als kritisches Publikum einzuschätzen hatte, das war uns
allen bewusst. Und genau vor diesem Auditorium feierte unsere
Laieninszenierung Dreams on Broadway einen grandiosen Erfolg.
Ich war überglücklich und stolz. Annettes Prognose sollte sich
als richtig erweisen. Meine Interpretation von „Aquarius“ wurde
am lautesten beklatscht. Es war mein erster Hit!
Nur noch ein weiteres Mal führten wie im Rahmen einer Gala
diese Musical-Revue auf, doch der Traum von der großen Bühne
sollte mich von nun an nicht mehr loslassen.
© Amalthea Signum Verlag GmbH
Wie mich ein Zufall zum Musical brachte
Wäre ich in Hamm damals nicht auf diese Theatergruppe aufmerksam
geworden, wer weiß, wie sich meine berufliche Zukunft gestaltet
hätte. Immer wieder habe ich darüber nachgedacht. Unweigerlich
tauche ich dann in meine Vergangenheit ein, in jene Zeit,
als ich noch nicht auf den Bühnen dieser Welt stand und es nicht
einmal im Traum für möglich hielt, einmal ein gefeierter Musicalstar
zu sein.
Man schrieb das Jahr 1985, das Kulturangebot bewegte sich in
meiner Heimatstadt gegen null. Es gab kein eigenständiges Theater,
Laienproduktionen fanden in Turnsälen oder Vereinsheimen
statt, Musikbands, die mir aus Bravo oder dem Rundfunk bekannt
waren, machten höchstens mal im nahen Münster auf ihren
Tourneen Station. „Wild Boys“ von Duran Duran führte die deutsche
Hitparade zwar an, aber ein gewisser Hans Hölzl, den ich
viel, viel später einmal kennenlernen durfte, sorgte mit „Amadeus“
auch bei uns in Deutschland fürs Hinhören.
Aus meinem uralten, quietschenden Kassettenrekorder leierten
ganz andere Lieder. Songs von John Denver, Crosby Stills, Nash &
Young oder Joan Baez. Kino war noch das größte kulturelle Vergnügen,
das wir uns in der westfälischen Provinzstadt ab und zu
gönnten.
Ich leistete gerade meinen Zivildienst ab und verbrachte den
Großteil der Tage als Pfleger in der Jugendpsychiatrie. Ich liebte
diese verantwortungsvolle Tätigkeit und ging richtig auf im Ersatzdienst.
Mein Privatleben war kaum existent. Von Zeit zu Zeit verbrachte
ich einen Abend mit meinen Schulfreunden oder hatte Probentermine
mit unserer alternativen Amateurband Saitensprung.
Doch auch die wurden immer seltener, ebenso wie die Arbeit im
Getränkevertrieb meines Vaters.
Da passierte etwas, das mein Leben nachhaltig verändern sollte:
die Initialzündung meiner schlummernden Leidenschaft. Eine ehemalige
Schulkollegin sprach mich auf offener Straße an und gab mir
einen Tipp. Sie machte mich auf ein Plakat der Laientheatergruppe
Backstage aufmerksam. Annette Brückner, die damalige Leiterin
der ortsansässigen Tanzschule, und Peter Gestwa hatten diese
Gruppe ins Leben gerufen und sich mit einigen anderen Kulturinteressierten
zusammengetan, um in meiner Heimatstadt etwas Kulturelles
auf die Beine zu stellen. Das allein war schon eine Sensation.
Nun suchten sie für eine Musicalrevue in Hamm Sänger.
Mein Name soll damals immer wieder beim ambitionierten und
durchwegs ehrenamtlich tätigen Leading Team rund um Annette
gefallen sein. Durch meine, wenn auch seltenen, öffentlichen Auftritte
mit der Band Saitensprung hatte ich offensichtlich einen gewissen
Ruf erlangt in den musikaffinen Kreisen meiner Heimatstadt.
Mir ging damals ständig ein Film durch den Kopf, den ich
erst kurz davor im Kino gesehen und der mich schwer beeindruckt
hatte: Fame. Die rührselige Story rund um den Ehrgeiz der jugendlichen
Darsteller und ihr unablässiges Bestreben, in die Highschool
of Performing Arts aufgenommen zu werden, ließ mich nicht los.
Ein schönes Märchen, das im fernen New York spielte. Leroy, Doris,
Montgomery – alle wollten sie den Weg zum Ruhm finden.
Durchaus möglich, dass mich gerade dieser Film unbewusst beeinflusst
hat, den Schritt zum Casting zu wagen, es zu probieren.
Von Musical, Tanz oder Schauspiel hatte ich – wie ganz
Hamm – keine Ahnung, während in Wien zeitgleich Cats schon
riesige Erfolge feierte. Ja, Musik machte ich gerne, Geschichten
wollte ich immer erzählen, auch schon mit Saitensprung. Aber
mit der Stimme und nicht mit dem ganzen Körper. Männer interessierten
sich damals nicht für Tanz, Ballett, ästhetische Bewegung.
Sie hatten sich nicht dafür zu interessieren. Und die
gesungenen Liedtexte unserer Band, die mussten deutlich,
hart und sozialkritisch sein. Das entsprach der allgemeingültigen
Philosophie der Jugendszene rund um Hamm, in der ich
aufgewachsen bin.
In Hamm begann ich, vom Broadway zu träumen
Dreams on Broadway hieß die Produktion, und ich träumte von
Anfang an meinen Lebenstraum. Vielleicht etwas naiv und amateurhaft,
aber mit unglaublichen Ambitionen im Hinterkopf. Mein
Ehrgeiz, den ich schon als Kind, beim Schneidern, beim Geschichten
schreiben und später bei der Mitarbeit im väterlichen Getränkevertrieb
hatte, kam mir nun zugute: 200 Prozent Einsatz, die ich
immer leisten wollte und auch heute noch gebe, wenn ich sehe,
dass eine Aufgabe es verdient.
Ich war ein Einzelgänger und nicht gewohnt, mich in eine Horde
von gleichgesinnten Schauspiel- und Gesangsamateuren einzufügen.
Aber ich lernte, mich anzupassen. Was blieb mir anderes übrig?
Ich hasste Vereine, nie zuvor war ich in einem Mitglied gewesen,
weder im Fußballclub noch bei irgendwelchen Neigungsgruppen
der örtlichen Turnvereine. Außerdem fehlten mir während meiner
Schulzeit die Zeit und sicherlich auch die Muße. Erst beim Zivildienst,
durch diesen gravierenden Cut nach dem Abitur, lernte ich,
mir meine spärliche Zeit besser einzuteilen, mein eigenes Leben zu
leben – im Wohnheim der Angestellten neben der Psychiatrie, wo
ich untergebracht war, weit weg von der Familie. Ich war eben anders
als viele meiner Altersgenossen. Erst jetzt wird mir das bewusst:
Ich war immer schon, was ich war.
Für das in meinen Augen ungemein große Projekt, dieses Neuland
an Erfahrungen, die ich sammeln konnte, das Ausleben meiner
verkappten Leidenschaften, nutzte ich vornehmlich die Wochenenden
– um zu lernen, zu probieren, und für Warm-ups im
Turnsaal der Schule. In simplen Jogging-Klamotten studierte ich
die Schritte, die Bewegungen und Lieder ein, Tanzdressen kannte
man damals noch nicht. Zumindest nicht in Hamm, hier war eben
alles sehr amateurhaft. Angetrieben von der ungewohnten Atmosphäre
und meinem inneren Ehrgeiz hatte ich Blut geleckt. Ein
Metier, das ich nicht kannte, eine Beschäftigung, die mir körperliche
und geistige Befriedigung verschaffte, so habe ich jene Wochen
des Trainings in Erinnerung.
Mit jedem Gedanken an diese Zeit wird die Erinnerung klarer.
Mein Ziel war es, das zu perfektionieren, was jeder der 30 jungen
Menschen perfektionieren wollte. Es gab keinen Star, keinen Solisten
unter uns, wir waren gleichwertig. Ambitionierte Anfänger und
Neo-Musicaldarsteller gaben sich die Türklinken in die Hand. Es
war wie in einem Affenstall, einem Zirkuszelt, einem im Chaos
versinkenden Ameisenhaufen.
Die Räumlichkeiten waren ebenso klein wie ungeeignet. Vom
Zimmer, in dem wir Gesang übten, ging es in den Raum, in dem
wir die richtige Körperhaltung trainierten, weiter zu den Atemtechnikübungen
und zum Sprechunterricht. In einem kleinen Turnsaal
unternahmen wir die ersten Gehversuche in Tanz und Ballett. Jeder
Einzelne von uns durchlief diese Stationen, Wochenende für
Wochenende.
Ich wollte besser sein – nicht vor den anderen, aber als ich es
bisher gewesen war. Und so fragte ich Annette Brückner, ob sie mir
zusätzlich privaten Tanzunterricht erteilen würde. Sie antwortete:
„Ja, warum nicht!“ Sie mochte mich, glaubte, ein Talent entdeckt
zu haben, das es wert sei, gefördert zu werden. Und ich wollte
schon damals nicht sinnlos Zeit verplempern. Ich war sehr froh
und dankbar, dass Annette sich meiner annahm, denn auch ihre
Zeit war knapp.
Disziplin war nun mein oberstes Gebot, und so erhielt ich auch
an so manchem Wochentag nach meinem anstrengenden Dienst
noch spät in der Nacht Einzelunterricht. Das am Tag hart Verdiente
steckte ich fast zur Gänze in zusätzliche Lerneinheiten, um noch
besser zu werden, noch schneller voranzukommen. So konsequent
wie ich waren freilich nur wenige der 30 Frischlinge im Showgeschäft,
was mich ziemlich ärgerte. Wenn man schon so eine Chance
bekam, musste man sie doch nutzen. Jede Sekunde! Da durfte
man nicht zu spät kommen oder gar fernbleiben. Auch wenn wir
keinen Pfennig für unsere Mühen bekamen, war es doch eine
Chance! Der Turnsaal, die Aula, sämtliche benötigten Räumlichkeiten
der Schule wurden samstags und sonntags kostenfrei zur
Verfügung gestellt, die Choreografin und das ideengebende Team
arbeiteten ehrenamtlich. Der Sache wegen und weil sie mit dieser
Musical-Revue etwas mehr Kultur und Zeitgeist nach Hamm bringen
wollten.
Während der Probenzeit geisterten immer wieder Szenen aus
Fame durch meinen Kopf. Ich war mitten drin in diesem Movie,
das meinen beruflichen Weg später bestimmen sollte. Zu diesem
Zeitpunkt allerdings in einer noch simplen und dilettantisch anmutenden
Bühnenversion dieses legendären Filmklassikers. Aus
schulhaften, gruppendynamischen Situationen entwickelten wir
die einzelnen Songs, die wir bei der Galavorstellung präsentierten.
Einer davon war „Aquarius“, das wohl bekannteste Lied aus
dem Musical Hair. Man wählte mich aus, den Song zu interpretieren
– meine Stimme, mein Auftreten, das Gesamtpaket passte –,
obwohl ich doch astrologischer Schütze bin. Es gab nur ein ganz
kleines Problem: Ich hatte weder von diesem Lied noch vom dazugehörigen
Musical je zuvor gehört. Eine VHS-Kassette musste her.
Ich studierte den Song Hunderte Male, sog ihn förmlich auf, und
obwohl „Aquarius“ in der Originalversion für eine weibliche Stimme
vorgesehen war, sollte ausgerechnet ich damit bravourös reüssieren.
Nach drei Monaten intensivem Gesangstraining, Ballett-, Tanzunterricht
und den Proben in der Schule feierte die bunte Musical-
Revue schließlich ihre Premiere im Saalbau von Bockum-Hövel,
einem Ortsteil von Hamm. Über 400 Gäste saßen im Publikum,
vornehmlich jene passionierten Theatergeher, die stets nach Essen,
Münster oder noch weiter weg fahren mussten, um ihren Kulturhunger
stillen zu können. Interessierte Kulturpendler, die man
durchaus als kritisches Publikum einzuschätzen hatte, das war uns
allen bewusst. Und genau vor diesem Auditorium feierte unsere
Laieninszenierung Dreams on Broadway einen grandiosen Erfolg.
Ich war überglücklich und stolz. Annettes Prognose sollte sich
als richtig erweisen. Meine Interpretation von „Aquarius“ wurde
am lautesten beklatscht. Es war mein erster Hit!
Nur noch ein weiteres Mal führten wie im Rahmen einer Gala
diese Musical-Revue auf, doch der Traum von der großen Bühne
sollte mich von nun an nicht mehr loslassen.
© Amalthea Signum Verlag GmbH
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Autoren-Porträt von Uwe Kröger
Claudio Honsal, geboren 1958 in Braunau am Inn, ist Print- und TV-Journalist ("Kurier", "News", "Maxima", ORF, ATV, Puls TV, Servus TV) sowie Autor von mehreren Büchern und Drehbüchern.
Bibliographische Angaben
- Autor: Uwe Kröger
- 2014, 297 Seiten, Maße: 14,6 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Amalthea
- ISBN-10: 3850028844
- ISBN-13: 9783850028844
- Erscheinungsdatum: 02.10.2014
Kommentar zu "Ich bin, was ich bin"
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