Ignatius von Loyola
Leben - Werk - Spiritualität
Auch über 450 Jahre nach seinem Tod ist das Lebenswerk des Ignatius von Loyola gegenwärtig: im Jesuitenorden und in den von ihm begründeten Exerzitien.
Sein Leben und Werk bewegt die Menschen bis heute: Ignatius von...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Ignatius von Loyola “
Auch über 450 Jahre nach seinem Tod ist das Lebenswerk des Ignatius von Loyola gegenwärtig: im Jesuitenorden und in den von ihm begründeten Exerzitien.
Sein Leben und Werk bewegt die Menschen bis heute: Ignatius von Loyola wandelte sich vom Mann des Krieges zum Mann Gottes. Eine schwere Verwundung brachte ihn dazu, sich mit Religion und Theologie zu beschäftigen. Er verfasste sein Exerzitienbuch, das bis in die Gegenwart als Wegbegleiter in eine tiefe Spiritualität dient. Obwohl er durch seine Ansichten mehrfach in die Mühlen der Inquisition geriet, zögerte er später dennoch nicht, sein Leben und seinen neugegründeten Orden der "Societas Jesu" (SJ) in den Dienst von Kirche und Papst zu stellen.
Klappentext zu „Ignatius von Loyola “
Ignatius von Loyola - sein dramatisches, spirituell geformtes Leben bewegt bis heute die Menschen. Sein Werk sind die Exerzitien, welche Menschen wandeln und motivieren zum Einsatz ihres Lebens.Seine Spiritualität führt den individualisierten Menschen der Moderne in die Tiefen Gottes und in die Liebe zum Nächsten, sie packt und heilt und befreit.Der Band stellt knapp und dicht dar, was man unter "ignatianischer Spiritualität" versteht. Für die Neuausgabe wurde er leicht überarbeitet und um Bildmaterial erweitert.
Lese-Probe zu „Ignatius von Loyola “
Ignatius von Loyola von Stefan KiechleDie Kanonenkugel zerschlug sein Bein - und seine Karriere. Er hatte eine höfisch-ritterliche Laufbahn einschlagen wollen. Dazu hätte er gut aussehen und fit sein müssen. Nun lag er auf dem Krankenbett seines elterlichen Schlosses und begann die Reise nach innen. Er entdeckte wunderbare Welten und fing ein neues Leben an. Heftige innere und äußere Kämpfe standen ihm noch bevor. Dreißig Jahre später war er immer noch kleinwüchsig. Er hinkte schwer und litt unter Gallenkoliken. Er arbeitete wie ein Besessener. Tag und Nacht war er mit Gott verbunden. Er leitete ein aufblühendes, weltweit tätiges Unternehmen. Er wirkte streng und sachlich und strahlte doch eine große Güte aus. Mit Päpsten und Königen korrespondierte er. Seine Freunde verehrten ihn heiß, seine Gegner bekämpften ihn leidenschaftlich. Wer ihm persönlich begegnete, fühlte sich von ihm geliebt. Er hat Europa und die Welt verändert ... Ignatius von Loyola (1491-1556) war ein baskischer Adliger und Ritter. Er gründete den Jesuitenorden, der in bewegten Zeiten die abendländische Kirche reformierte und für Jahrhunderte prägte. Seine geistliche Botschaft erneuerte das Leben und Wirken der Christenheit. Dem modernen, Gott suchenden Menschen hilft seine Spiritualität, zu einer erfüllten und sinnvollen Existenz zu finden. Dieses Buch will zu Ignatius von Loyola hinführen. Es informiert über sein Leben und sein Werk und erschließt seine Spiritualität für die Gegenwart. Als erste Einführung setzt es keine besonderen geschichtlichen oder theologischen Kenntnisse voraus. Wenn es einige Leser dazu anregt, das eigene Leben spirituell auszuloten, neu auf Gott zu schauen und so zu mehr Sinn und Frieden zu finden, hat es seine Aufgabe erfüllt. Einige praktische Hinweise: Im
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Schlussteil dieses Buches findet sich ein Glossar zu Grundbegriff enignatianischer Spiritualität. Der umfangreichen Literatur zu Ignatius verdankt dieses Buch viel. Es will sich nicht direkt mit ihr auseinandersetzen, weist aber im Anhang auf weiterführende Bücher hin. In einigen der dort erwähnten Werke findet man ausführliche Literaturverzeichnisse. Die Schriften des Ignatius werden nach der von Peter Knauer herausgegebenen deutschen Werkausgabe (WA) zitiert. Normalerweise sind Band- und Seitennummer angegeben. Das Exerzitienbuch (EB), der Pilgerbericht (PB), das geistliche Tagebuch (GT) und die Satzungen des Jesuitenordens (Sa) werden mit der international üblichen Randnummerierung zitiert. Ich danke den Mitbrüdern aus dem Jesuitenorden, die mich zu Ignatius hinführten oder an diesem Buch mitarbeiteten. Dankbar bin ich dem Echter Verlag, der sich, nachdem das Werk seit einiger Zeit vergriff en war, zu dieser Neuausgabe entschloss; dazu verbesserte ich den Text und fügte die Bilder ein.
München, den 31. Juli 2010 Stefan Kiechle SJ
Neuorientierung auf dem Krankenbett
Auf dem Krankenbett langweilte sich Iñigo, und er erbat sich Lektüre. Die von ihm geschätzten Ritterromane waren in Loyola nicht vorhanden. So gab man ihm die schon erwähnte Vita Christi des Ludolph von Sachsen und die Legenda aurea des Dominikaners Jacobus de Voragine, eine Sammlung von Heiligenlegenden. Beides waren geistliche Erbauungsbücher, die im Spätmittelalter in ganz Europa zu religiösen Bestsellern geworden waren. Der Phantasie des Lesers nachhelfend, malten die Bände weitschweifig das Leben Jesu und die Taten der großen Heiligengestalten aus. Die Texte wollten den Leser existentiell anrühren und zum persönlichen Glaubensvollzug hinführen. Von der Wirkung dieser Lektüre auf Iñigo erzählt der Pilgerbericht ausführlich. Iñigo spürte zunächst seinen inneren Reaktionen nach: Wenn er sich in mehrstündigen Phantasiereisen ausmalte, wie er die Großtaten der Heiligen nachahmen könnte - insbesondere beeindruckten ihn Franziskus und Dominikus -, spürte er „Leichtigkeit in sich, sie ins Werk zu setzen" (PB 7). Bisweilen schweiften seine Gedanken jedoch zu „Dingen der Welt" (PB 6) ab: Wenn er sich ausmalte, „was er im Dienst für eine Herrin zu tun hätte", welche Mittel er anwenden würde, um sie zu treffen, welche Worte er zu ihr sprechen und welche Waffentaten er in ihrem Dienst ausführen würde - er dachte an eine Herrin von sehr hohem Stand, wahrscheinlich an die Infantin Catalina de Austria -, dann konnte er auch bei diesen lustvollen Gedanken mehrere Stunden verweilen. Zwischen beiden Phantasiewelten schweifte er hin und her. Weiter schrieb er: „Es gab jedoch diesen Unterschied: Wenn er an das von der Welt dachte, vergnügte er sich sehr. Doch wenn er danach aus Ermüdung davon abließ, fand er sich trocken und unzufrieden. Und wenn er daran dachte, barfuß nach Jerusalem zu gehen und nur Kräuter zu essen und alle übrigen Strengheiten auszuführen, von denen er las, dass die Heiligen sie ausgeführt hatten, war er nicht nur getröstet, während er bei diesen Gedanken war, sondern blieb auch, nachdem er davon abgelassen hatte, zufrieden und froh. Doch achtete er nicht darauf und verweilte nicht dabei, diesen Unterschied zu wägen, bis sich ihm einmal ein wenig die Augen öffneten und er begann, sich über diese Verschiedenheit zu wundern und über sie nachzudenken, da er durch Erfahrung erfasste, dass er von den einen Gedanken traurig blieb und von den anderen froh. Und allmählich begann er, die Verschiedenheit der Geister zu erkennen, die sich bewegten, der eine vom Teufel und der andere von Gott" (PB 8). Hier ist die ignatianische Lehre der „Unterscheidung der Geister" biographisch grundgelegt; sie wird in den Teilen II. 2 und III. 2 dieses Buches entfaltet. Iñigo hat sie durch Innenschau, also durch Wahrnehmen und Deuten seiner Gefühle, selbst entdeckt: Verschiedene Phantasien lösen verschiedene Wirkungen aus. Was vom „guten Geist" kommt, erkennt man unter anderem daran, welche Wirkung es nach der Phantasiezeit hat: Bleibt die Zufriedenheit und Freude erhalten, oder weicht das erste Lustgefühl einer inneren Leere und Frustration? Iñigo folgte dem „guten Geist" und begann, sein Leben zu überdenken. Er wollte die Heiligen nachahmen, für sein vergangenes Leben Buße tun, radikal fasten, sich geißeln und nach Jerusalem wallfahren (PB 9). Vor seinem bisherigen Leben ekelte er sich. „Dinge des Fleisches" lehnte er von nun an strikt ab. Er intensivierte seine Lektüre und füllte ein Heft von 300 Seiten mit persönlichen Notizen. Dabei kamen ihm seine Kenntnisse des schönen Schreibens zugute. Er entwickelte „einen sehr großen Eifer, Gott unserem Herrn zu dienen" (PB 11). Er fasste schon Pläne dafür, was er nach seiner Rückkehr aus Jerusalem tun wollte: Um zu verhindern, dass man ihm wegen seiner adligen Herkunft Vorrechte anbot, wollte er unerkannt in ein möglichst strenges Kartäuserkloster eintreten. Er fürchtete jedoch, dass auch diese Strengheiten nicht ausreichten, „den Hass auszuüben, den er gegen sich gefasst hatte" (PB 12). An diesen Schilderungen ist erkennbar, dass Iñigo bei dieser ersten inneren Wende in ein unheilvolles Extrem geraten war: Er hasste sein bisheriges Leben und sich selbst, und er wollte durch asketischen Übereifer das in ihm wirkende Böse mit Gewalt besiegen. Sein Ziel, die Heiligen nachzuahmen, drückt eine kindliche Identifikation mit großen Helden aus: Im Grunde hatte er nur seine ritterlichen Ideale auf Heilige übertragen. Anstatt sich durch Großtaten mit Waff en auszuzeichnen, wollte er sich nun durch asketische Großtaten hervortun. In dieser „Spiritualität" hatten weder Jesus noch Gott den ihnen angemessenen Platz. Sie bestand aus einem geistlichen Leistungsdenken mit aller Eitelkeit und Ehrsucht und aus einer Abwertung der leiblichen Dimension. Später sollte er schmerzhaft auf diese Einseitigkeiten gestoßen werden. Die göttliche Pädagogik hatte Iñigo zunächst dazu geführt, seine spirituell unerleuchtete Persönlichkeit auf neue Ziele hin „umzupolen", ohne jedoch den Kern seiner Werte und Haltungen berühren zu können. Allerdings hatte Gott mit dem jungen Eiferer ja noch einiges vor. Rituale auf dem Montserrat Iñigos Familie bemerkte die innere Wandlung. Sie machte sich Sorgen und versuchte, ihn von der Veränderung seiner Lebensweise abzubringen. Iñigo ließ sich jedoch nicht beeinflussen und brach nach seiner Genesung auf. In Aránzazu, einem Marienheiligtum in der Nähe, wachte er eine Nacht lang bei der „Gottesmutter" und legte ihr - wahrscheinlich - ein Keuschheitsgelübde ab. Man sieht seine starke Marienverehrung und seinen Wunsch, sich radikal von seinem bisherigen Leben abzuwenden. Dass Gelübde nur vor Gott abgelegt werden, wusste er noch nicht. In Navarrete regelte er einige finanzielle Angelegenheiten, dann ritt er auf einem Maultier zum Berg Montserrat. Das dortige Benediktinerkloster war seit dem Mittelalter ein bedeutendes geistliches Zentrum und ein Wallfahrtsort mit großer Anziehungskraft. Unterwegs hatte er eine merkwürdige Begegnung (PB 15 f.): Er ritt neben einem Mauren, d. h. einem der zahlreichen Moslems, die trotz der Vertreibung zu dieser Zeit noch in Spanien lebten. Mit ihm redete er über die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens. Der Maure bestritt sie; Iñigo verteidigte sie mit vielen Argumenten, konnte allerdings den Mauren nicht überzeugen. Nachdem sich ihre Wege getrennt hatten und der Maure davoneilte, bekam Iñigo Gewissensbisse und überlegte, ob er ihm nicht nachreiten und „Dolchstöße versetzen" sollte, um die „Ehre" der Jungfrau zu verteidigen. Weiterhin im Zweifel, ließ er als eine Art Gottesurteil sein Maultier den Weg wählen. Es lief nicht den Weg, den der Maure genommen hatte, und Iñigo war von seinem Vorhaben entbunden. Die Begebenheit zeigt, dass Iñigo in dieser Zeit von einem religiösen Fanatismus befallen war, welcher Werte, die ihm heilig waren, mit Gewalt durchsetzen wollte. Im Grunde ging es ihm wiederum um die Ehre einer „Hohen Dame"; der Ritter meinte nun, diese ins Religiöse verwandelte Ehre gewaltsam gegen „Ungläubige" verteidigen zu müssen. Nach seiner Ankunft auf dem Montserrat legte Iñigo eine Lebensbeichte ab. Diese dauerte mit gründlicher Vorbereitung drei Tage. Der Mönch, bei dem er beichtete, gab ihm vermutlich außer den üblichen Beichtbüchern mit ausführlichen Sündenspiegeln ein weiteres Buch, das großen Einfluss auf ihn haben sollte: das „Übungsbuch für das geistliche Leben" des Reformabtes García Jiménez de Cisneros, eines Neff en des erwähnten Kardinals Cisneros. Dieser Abt und viele Mönche des Klosters waren von einer in den Niederlanden weit verbreiteten neuen spirituellen Bewegung beeinflusst, der Devotio Moderna („Neue Frömmigkeit"). Vor allem Kreise einfacher Christen versuchten dort, ein frommes Leben auf der Basis einer persönlichen Meditation der Heiligen Schrift zu führen: Durch methodisches Betrachten von Bibeltexten wollte man Weisungen der Schrift so verinnerlichen, dass die Nachfolge Jesu zum wirklichen Lebensvollzug wurde. Abt Cisneros hatte die neue Richtung auf dem Montserrat heimisch gemacht und in seinem Übungsbuch Hilfen für diese Weise der Schriftbetrachtung zusammengestellt. Vermutlich übernahm Iñigo auf dem Montserrat Anregungen daraus, die ihn für sein ganzes Leben in seinem eigenen Beten und Nachdenken befruchteten. Manche Ideen aus dem Buch fanden Eingang in sein Exerzitienbuch. Eine Nacht lang in voller Ritterrüstung vor der schwarzen Statue der Gottesmutter von Montserrat eine Gebetswache zu halten, war damals ein übliches Vorbereitungsritual, bevor ein junger Mann den Ritterschlag empfing. Iñigo wollte diese Weihe an Maria für sein nunmehr „geistliches" Rittertum vollziehen. Er verschenkte vorher seine dem Adelsstand gemäße vornehme Kleidung an einen Bettler und zog ein sackleinenes Gewand an, das er sich als „Wappenkleid Christi" (PB 17) hatte machen lassen. Es war die Nacht vom 24. auf den 25. März 1522, der Vorabend des Festes der Verkündigung des Herrn. Die ganze Nacht verbrachte er im Gebet vor der Gottesmutter, teils stehend, teils kniend. Seine innere Wandlung war nun auch rituell vollzogen, und so machte er sich am nächsten Morgen auf den Weg in Richtung Barcelona. Er war so bekannt in der Gegend, dass er Umwege suchen musste, auf denen ihn niemand erkennen konnte. Reifezeit in Manresa Manresa ist ein Städtchen in der Nähe des Montserrat. Iñigo wollte dort nur einige Tage bleiben, verweilte dann aber über zehn Monate lang. Die Gründe dafür sind nicht bekannt: Vielleicht war er krank geworden; oder er konnte nicht nach Barcelona weiterreisen, weil die Stadt wegen der Pest geschlossen war; vielleicht waren die inneren Erlebnisse so stark, dass er sie in Ruhe verkosten wollte. Der Aufenthalt in Manresa wurde für ihn eine Zeit geistlicher Reifung, deren Bedeutung kaum zu überschätzen ist. Iñigo fand in den Armenspitälern der Stadt Aufnahme und ernährte sich durch Betteln. Er betete täglich sieben Stunden auf den Knien, besuchte jeden Morgen die Messe, geißelte sich regelmäßig und fastete über längere Perioden streng. Wöchentlich beichtete er und empfing die Kommunion - eine damals als skandalös empfundene Praxis. Sein Äußeres vernachlässigte er völlig, indem er weder Haare noch Nägel schnitt, um gegen seine Eitelkeit anzukämpfen. Er aß kein Fleisch und trank keinen Wein, außer sonntags. Über seinen inneren Prozess in dieser Zeit erzählt der Pilgerbericht ausführlich, was darauf hindeutet, dass er der Frage, wie Gott ihn führte, große Wichtigkeit beimaß. Es lohnt sich, die drei Etappen der Entwicklung etwas genauer anzuschauen. In den ersten Monaten erlebte Iñigo intensiven „geistlichen Trost", womit er inneren Frieden, Ruhe, Freude, tiefe und erfüllende Gebetserfahrungen bezeichnet. Bisweilen hatte er Visionen von einem „sehr schönen Ding", das einer Schlange glich.
Er empfand dabei Vergnügen. Wenn das Ding verschwand, missfiel ihm das. Im Rückblick schreibt er, dass er bis zu jener Zeit immer „in einer großen Ausgeglichenheit von Fröhlichkeit verharrt" habe, „ohne irgendeine Erkenntnis von inneren geistlichen Dingen zu haben" (PB 20). Mit diesem harten Urteil deutet er diese Zeit kritisch: Der Trost war ein nur äußerlicher und falscher Trost. Danach folgte eine zweite Etappe, eine Zeit schwerer innerer Kämpfe, starker Anfechtungen und großer „Trostlosigkeit", was innere Leere, Langeweile, Einsamkeit, eine Art Taubheit der Seele, verzweifelte oder depressive Grundstimmungen und Frustration bezeichnet. Bei Iñigo gingen diese Zustände einher mit massiven „Skrupeln". Darunter versteht man subjektiv eingebildete Sünden, die objektiv keine sind, aber massive Gewissensängste und Schuldgefühle hervorrufen. Iñigo litt zunächst unter starken und für ihn unerklärlichen Stimmungsschwankungen (PB 21). Die Motivation für seine Lebensführung sackte ihm weg, er empfand Unlust und lehnte sein Dasein ab. Die Skrupel entwickelten sich so, dass er Zweifel an der Vollständigkeit und damit an der Gültigkeit seiner Lebensbeichte auf dem Montserrat bekam. Er beichtete immer wieder dieselben und vermeintlich neue Sünden, ohne dadurch von seinen Gewissensqualen befreit zu werden. Kein Beichtvater, keine seiner strengen Bußübungen und kein seelsorgerlicher Rat konnten ihm in seiner Not helfen. Schließlich wollte er solange überhaupt nichts essen, bis er geheilt wäre. Sein Beichtvater befahl ihm, diesen spirituellen Hungerstreik abzubrechen, denn Gott lässt sich auf diese Weise nicht zwingen. Schließlich wollte er sich durch ein Loch im Boden stürzen - diese Versuchung zum Suizid überwand er nur, weil er Selbstmord für eine Todsünde und damit für verboten hielt. Befreit wurde er nach Wochen der Quälerei aus dieser beinahe tödlichen Verstrickung, indem er plötzlich einen Widerwillen gegen seine Lebensweise verspürte. Er „erwachte wie aus einem Traum" (PB 25) und spürte sofort klar, dass er nie mehr vergangene Sünden beichten wollte. Im Pilgerbericht schreibt er: „Er hielt es für gewiss, dass Gott unser Herr ihn um seiner Barmherzigkeit willen hatte befreien wollen" (PB 25). Dieser plötzliche Umschwung ist nicht natürlich oder psychologisch erklärbar. Für den an seinem Lebensende rückblickenden Ignatius blieb nur die staunende Wahrnehmung, dass es wohl Gott gewesen sein müsse, der in einem direkten Eingreifen hier die Wende geschafft hat. Er selbst wollte sich durch eigenes Anstrengen zu einem Heiligen „machen". Doch sein moralischer und asketischer Rigorismus stürzte ihn nur in tiefen Selbsthass und in selbstzerstörerische Impulse. Erst die Entdeckung, dass Gott alle seine Sünden längst vergeben hatte, aus reiner Barmherzigkeit und Gnade, konnte ihn aus dieser spirituellen Sackgasse herausführen. Nach dieser neuerlichen Wende begann die dritte Etappe seines Wegs. Iñigo aß wieder Fleisch und pflegte seinen Körper - äußere Anzeichen einer inneren Abkehr von dem unheilvollen Rigorismus. Er war ruhiger geworden und erlebte eine Zeit großer Tröstungen. Im Pilgerbericht beschrieb er ausführlich fünf Gnadenerfahrungen, denen er auch später große Bedeutung beimaß. Zuerst erwähnte er die Schau der drei göttlichen Personen: des Vaters, des Sohnes und des Geistes, d. h. der göttlichen Dreifaltigkeit. Er empfand Andacht zu ihr, betete zu ihr immer wieder und erfuhr dabei Trost und Freude. Die trinitarische Dimension Gottes blieb in seiner Spiritualität wesentlich durch sein ganzes Leben (PB 28). Auch die nachfolgende Schöpfungs- und dann die Eucharistie-Vision weisen auf Eckpfeiler seiner Spiritualität hin. Die Schau der Menschheit Jesu zeigt, dass für Ignatius wie für die ganze spanische Mystik der Weg zu Gott nur über eine Beziehung zum Menschen Jesus gelingen kann (PB 29). In Teil II. 4 dieses Buches werden diese Themen erörtert werden. Die fünfte und wichtigste Erfahrung war das Erlebnis am Fluss Cardoner: „Einmal ging er aus seiner Andacht zu einer Kirche, die mehr als eine Meile von Manresa lag - ich glaube, sie heißt St. Paul -, und der Weg geht den Fluss entlang. Und während er so in seinen Andachten ging, setzte er sich ein wenig mit dem Gesicht zum Fluss, der in der Tiefe ging. Und als er so dasaß, begannen sich ihm die Augen des Verstandes zu öffnen. Und nicht, dass er irgendeine Vision gesehen hätte, sondern er verstand und erkannte viele Dinge, ebenso sehr von geistlichen Dingen wie von Dingen des Glaubens und der Wissenschaft. Und dies mit einer so großen Erleuchtung, dass ihm alle Dinge neu erschienen. Und es lassen sich nicht die Einzelheiten erläutern, die er damals verstand, obwohl es viele waren; sondern er empfing eine große Klarheit im Verstand, so dass ihm in der ganzen Folge seines Lebens bis über 62 Jahre hinaus scheint: Wenn er alle Hilfe zusammenzähle, wie er sie von Gott erhalten habe, und alle Dinge, die er erkannt habe, selbst wenn er sie alle in eins zusammenbringe, habe er nicht so viel erlangt wie mit jenem Mal allein" (PB 30). Aus diesem Bericht geht die einzigartige Bedeutung des Erlebnisses klar hervor. Es handelte sich nicht um eine „Vision", ein mit dem inneren Auge geschautes Bild, sondern um eine Art Erleuchtung des Verstandes, die ihm viele „theologische" Erkenntnisse vermittelte. Ignatius war zu diskret, um Einzelheiten zu erzählen. Echte mystische Erfahrungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Intimität des Erlebens wahren und keinesfalls mit der Erfahrung vor anderen Menschen prahlen. Dass Ignatius sie überhaupt erzählte, war nur dem Drängen seiner Mitbrüder zu verdanken und der Einsicht, dass sein Bericht dem jungen Orden nützen könnte. Als Iñigo anschließend vor einem Kruzifi x dankte, erschien ihm nochmals die Schlangenvision aus der ersten Etappe seiner Manresazeit (PB 31). Er erkannte sie nun mit großer Klarheit als Täuschung: Der „Teufel" hatte ihm mit einem Trugbild falschen Trost eingegeben. Auch hier musste Gott ihm seine Lektion in der „Unterscheidung der Geister" erst erteilen. Es war der Blick auf den Gekreuzigten, der ihm die Augen öffnete: Stärke, Schönheit und Lust allein können täuschen. Um echt zu sein, muss der Trost durch die Torheit und Hässlichkeit des Leidens hindurchgetragen werden. Manresa war für Iñigo der Ort der spirituellen Reifung. Der erste Enthusiasmus war noch auf tönernen Füßen gestanden: Durch übertriebene Askese und spirituelle Anstrengung hatte er sich ein Glück „gemacht", das sich als trügerisch erweisen musste. Die Phase tiefer Depression, Skrupel und Verzweiflung reinigte ihn, so dass er zu wirklichem Trost und einer erfüllenden Gottesbegegnung fand. In der dritten Phase ist nichts mehr gemacht, sondern alles geschenkt. Jetzt erst war die Wende des Krankenlagers auf Schloss Loyola auch im Inneren vollzogen. Aus dem der eigenen Ehre und Eitelkeit verhafteten Ritter war ein Mann Gottes geworden, der sich von der göttlichen Pädagogik leiten und von Gottes Gnade beschenken ließ. In Manresa wurde Iñigo häufig von Menschen aufgesucht, die geistlichen Rat brauchten. Er half, so gut er konnte. Einige vornehme Damen verehrten ihn persönlich. Er begann, für sich selbst einige geistliche Einsichten aufzuschreiben, besonders zur „Unterscheidung der Geister". Die Notizen sollten ihm und anderen helfen, geistlich Suchende zu begleiten. Sie wurden zur Urform des Exerzitienbuchs. Die göttliche Pädagogik, die er am eigenen Leib erfahren hatte, wollte er für andere fruchtbar machen. Damit wurde Iñigo in Manresa auf noch andere Weise von Gott verwandelt: vom spirituellen Einzelgänger zum Seelsorger, vom Eremiten zum Apostel. Pilgerfahrt nach Jerusalem Seinen Wunsch, ins Heilige Land zu fahren, hatte er in diesen schwierigen Monaten nicht aufgegeben. Im Februar 1523 verließ er Manresa und ging nach Barcelona. Dort lernte er Leute kennen, die ihn unterstützten. Eine vornehme Dame, Isabel Roser, nahm ihn in ihr Haus auf. Sie wurde für viele Jahre zur Freundin und Gönnerin. Er wollte radikal arm und allein weiterreisen und dadurch zeigen, dass er nicht auf materielle Sicherheiten oder menschlichen Beistand vertraue, sondern auf Gott allein. Die Überfahrt nach Gaëta ließ er sich jedoch spendieren. Sein nächster Weg führte nach Rom. Für Pilgerreisen ins Heilige Land musste man sich an Ostern dort eine persönliche Genehmigung des Papstes holen. Iñigos Erlaubnis trägt das Datum des 31. März 1523. Im April wanderte er nach Venedig, dem Abfahrtshafen der Heilig-Land-Schiff e. Alle Wege machte er zu Fuß, trotz seines zertrümmerten Beins. Unterwegs wurde er krank und kam kaum mehr vorwärts. In manchen Städten wütete die Pest, so dass man sie nur mit einem Gesundheitszeugnis betreten durfte. Iñigo wurde wie durch ein Wunder ohne Kontrolle überall durchgelassen. Unterwegs hatte er oft intensive geistliche Erlebnisse. Seit ältester Zeit waren Pilgerfahrten ins Heilige Land ein Brauch frommer Christen aus dem Abendland. Im späten Mittelalter erfuhren sie einen großen Aufschwung. Seit jedoch der Islam das östliche Mittelmeer beherrschte, konnte jährlich nur eine einzige Gruppe die weite und gefährliche Reise unternehmen. Die Expedition startete unter der Protektion Venedigs jeweils im Juni. Alles war genau geregelt: Organisation, Pilgerprogramm, Kosten.
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München, den 31. Juli 2010 Stefan Kiechle SJ
Neuorientierung auf dem Krankenbett
Auf dem Krankenbett langweilte sich Iñigo, und er erbat sich Lektüre. Die von ihm geschätzten Ritterromane waren in Loyola nicht vorhanden. So gab man ihm die schon erwähnte Vita Christi des Ludolph von Sachsen und die Legenda aurea des Dominikaners Jacobus de Voragine, eine Sammlung von Heiligenlegenden. Beides waren geistliche Erbauungsbücher, die im Spätmittelalter in ganz Europa zu religiösen Bestsellern geworden waren. Der Phantasie des Lesers nachhelfend, malten die Bände weitschweifig das Leben Jesu und die Taten der großen Heiligengestalten aus. Die Texte wollten den Leser existentiell anrühren und zum persönlichen Glaubensvollzug hinführen. Von der Wirkung dieser Lektüre auf Iñigo erzählt der Pilgerbericht ausführlich. Iñigo spürte zunächst seinen inneren Reaktionen nach: Wenn er sich in mehrstündigen Phantasiereisen ausmalte, wie er die Großtaten der Heiligen nachahmen könnte - insbesondere beeindruckten ihn Franziskus und Dominikus -, spürte er „Leichtigkeit in sich, sie ins Werk zu setzen" (PB 7). Bisweilen schweiften seine Gedanken jedoch zu „Dingen der Welt" (PB 6) ab: Wenn er sich ausmalte, „was er im Dienst für eine Herrin zu tun hätte", welche Mittel er anwenden würde, um sie zu treffen, welche Worte er zu ihr sprechen und welche Waffentaten er in ihrem Dienst ausführen würde - er dachte an eine Herrin von sehr hohem Stand, wahrscheinlich an die Infantin Catalina de Austria -, dann konnte er auch bei diesen lustvollen Gedanken mehrere Stunden verweilen. Zwischen beiden Phantasiewelten schweifte er hin und her. Weiter schrieb er: „Es gab jedoch diesen Unterschied: Wenn er an das von der Welt dachte, vergnügte er sich sehr. Doch wenn er danach aus Ermüdung davon abließ, fand er sich trocken und unzufrieden. Und wenn er daran dachte, barfuß nach Jerusalem zu gehen und nur Kräuter zu essen und alle übrigen Strengheiten auszuführen, von denen er las, dass die Heiligen sie ausgeführt hatten, war er nicht nur getröstet, während er bei diesen Gedanken war, sondern blieb auch, nachdem er davon abgelassen hatte, zufrieden und froh. Doch achtete er nicht darauf und verweilte nicht dabei, diesen Unterschied zu wägen, bis sich ihm einmal ein wenig die Augen öffneten und er begann, sich über diese Verschiedenheit zu wundern und über sie nachzudenken, da er durch Erfahrung erfasste, dass er von den einen Gedanken traurig blieb und von den anderen froh. Und allmählich begann er, die Verschiedenheit der Geister zu erkennen, die sich bewegten, der eine vom Teufel und der andere von Gott" (PB 8). Hier ist die ignatianische Lehre der „Unterscheidung der Geister" biographisch grundgelegt; sie wird in den Teilen II. 2 und III. 2 dieses Buches entfaltet. Iñigo hat sie durch Innenschau, also durch Wahrnehmen und Deuten seiner Gefühle, selbst entdeckt: Verschiedene Phantasien lösen verschiedene Wirkungen aus. Was vom „guten Geist" kommt, erkennt man unter anderem daran, welche Wirkung es nach der Phantasiezeit hat: Bleibt die Zufriedenheit und Freude erhalten, oder weicht das erste Lustgefühl einer inneren Leere und Frustration? Iñigo folgte dem „guten Geist" und begann, sein Leben zu überdenken. Er wollte die Heiligen nachahmen, für sein vergangenes Leben Buße tun, radikal fasten, sich geißeln und nach Jerusalem wallfahren (PB 9). Vor seinem bisherigen Leben ekelte er sich. „Dinge des Fleisches" lehnte er von nun an strikt ab. Er intensivierte seine Lektüre und füllte ein Heft von 300 Seiten mit persönlichen Notizen. Dabei kamen ihm seine Kenntnisse des schönen Schreibens zugute. Er entwickelte „einen sehr großen Eifer, Gott unserem Herrn zu dienen" (PB 11). Er fasste schon Pläne dafür, was er nach seiner Rückkehr aus Jerusalem tun wollte: Um zu verhindern, dass man ihm wegen seiner adligen Herkunft Vorrechte anbot, wollte er unerkannt in ein möglichst strenges Kartäuserkloster eintreten. Er fürchtete jedoch, dass auch diese Strengheiten nicht ausreichten, „den Hass auszuüben, den er gegen sich gefasst hatte" (PB 12). An diesen Schilderungen ist erkennbar, dass Iñigo bei dieser ersten inneren Wende in ein unheilvolles Extrem geraten war: Er hasste sein bisheriges Leben und sich selbst, und er wollte durch asketischen Übereifer das in ihm wirkende Böse mit Gewalt besiegen. Sein Ziel, die Heiligen nachzuahmen, drückt eine kindliche Identifikation mit großen Helden aus: Im Grunde hatte er nur seine ritterlichen Ideale auf Heilige übertragen. Anstatt sich durch Großtaten mit Waff en auszuzeichnen, wollte er sich nun durch asketische Großtaten hervortun. In dieser „Spiritualität" hatten weder Jesus noch Gott den ihnen angemessenen Platz. Sie bestand aus einem geistlichen Leistungsdenken mit aller Eitelkeit und Ehrsucht und aus einer Abwertung der leiblichen Dimension. Später sollte er schmerzhaft auf diese Einseitigkeiten gestoßen werden. Die göttliche Pädagogik hatte Iñigo zunächst dazu geführt, seine spirituell unerleuchtete Persönlichkeit auf neue Ziele hin „umzupolen", ohne jedoch den Kern seiner Werte und Haltungen berühren zu können. Allerdings hatte Gott mit dem jungen Eiferer ja noch einiges vor. Rituale auf dem Montserrat Iñigos Familie bemerkte die innere Wandlung. Sie machte sich Sorgen und versuchte, ihn von der Veränderung seiner Lebensweise abzubringen. Iñigo ließ sich jedoch nicht beeinflussen und brach nach seiner Genesung auf. In Aránzazu, einem Marienheiligtum in der Nähe, wachte er eine Nacht lang bei der „Gottesmutter" und legte ihr - wahrscheinlich - ein Keuschheitsgelübde ab. Man sieht seine starke Marienverehrung und seinen Wunsch, sich radikal von seinem bisherigen Leben abzuwenden. Dass Gelübde nur vor Gott abgelegt werden, wusste er noch nicht. In Navarrete regelte er einige finanzielle Angelegenheiten, dann ritt er auf einem Maultier zum Berg Montserrat. Das dortige Benediktinerkloster war seit dem Mittelalter ein bedeutendes geistliches Zentrum und ein Wallfahrtsort mit großer Anziehungskraft. Unterwegs hatte er eine merkwürdige Begegnung (PB 15 f.): Er ritt neben einem Mauren, d. h. einem der zahlreichen Moslems, die trotz der Vertreibung zu dieser Zeit noch in Spanien lebten. Mit ihm redete er über die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens. Der Maure bestritt sie; Iñigo verteidigte sie mit vielen Argumenten, konnte allerdings den Mauren nicht überzeugen. Nachdem sich ihre Wege getrennt hatten und der Maure davoneilte, bekam Iñigo Gewissensbisse und überlegte, ob er ihm nicht nachreiten und „Dolchstöße versetzen" sollte, um die „Ehre" der Jungfrau zu verteidigen. Weiterhin im Zweifel, ließ er als eine Art Gottesurteil sein Maultier den Weg wählen. Es lief nicht den Weg, den der Maure genommen hatte, und Iñigo war von seinem Vorhaben entbunden. Die Begebenheit zeigt, dass Iñigo in dieser Zeit von einem religiösen Fanatismus befallen war, welcher Werte, die ihm heilig waren, mit Gewalt durchsetzen wollte. Im Grunde ging es ihm wiederum um die Ehre einer „Hohen Dame"; der Ritter meinte nun, diese ins Religiöse verwandelte Ehre gewaltsam gegen „Ungläubige" verteidigen zu müssen. Nach seiner Ankunft auf dem Montserrat legte Iñigo eine Lebensbeichte ab. Diese dauerte mit gründlicher Vorbereitung drei Tage. Der Mönch, bei dem er beichtete, gab ihm vermutlich außer den üblichen Beichtbüchern mit ausführlichen Sündenspiegeln ein weiteres Buch, das großen Einfluss auf ihn haben sollte: das „Übungsbuch für das geistliche Leben" des Reformabtes García Jiménez de Cisneros, eines Neff en des erwähnten Kardinals Cisneros. Dieser Abt und viele Mönche des Klosters waren von einer in den Niederlanden weit verbreiteten neuen spirituellen Bewegung beeinflusst, der Devotio Moderna („Neue Frömmigkeit"). Vor allem Kreise einfacher Christen versuchten dort, ein frommes Leben auf der Basis einer persönlichen Meditation der Heiligen Schrift zu führen: Durch methodisches Betrachten von Bibeltexten wollte man Weisungen der Schrift so verinnerlichen, dass die Nachfolge Jesu zum wirklichen Lebensvollzug wurde. Abt Cisneros hatte die neue Richtung auf dem Montserrat heimisch gemacht und in seinem Übungsbuch Hilfen für diese Weise der Schriftbetrachtung zusammengestellt. Vermutlich übernahm Iñigo auf dem Montserrat Anregungen daraus, die ihn für sein ganzes Leben in seinem eigenen Beten und Nachdenken befruchteten. Manche Ideen aus dem Buch fanden Eingang in sein Exerzitienbuch. Eine Nacht lang in voller Ritterrüstung vor der schwarzen Statue der Gottesmutter von Montserrat eine Gebetswache zu halten, war damals ein übliches Vorbereitungsritual, bevor ein junger Mann den Ritterschlag empfing. Iñigo wollte diese Weihe an Maria für sein nunmehr „geistliches" Rittertum vollziehen. Er verschenkte vorher seine dem Adelsstand gemäße vornehme Kleidung an einen Bettler und zog ein sackleinenes Gewand an, das er sich als „Wappenkleid Christi" (PB 17) hatte machen lassen. Es war die Nacht vom 24. auf den 25. März 1522, der Vorabend des Festes der Verkündigung des Herrn. Die ganze Nacht verbrachte er im Gebet vor der Gottesmutter, teils stehend, teils kniend. Seine innere Wandlung war nun auch rituell vollzogen, und so machte er sich am nächsten Morgen auf den Weg in Richtung Barcelona. Er war so bekannt in der Gegend, dass er Umwege suchen musste, auf denen ihn niemand erkennen konnte. Reifezeit in Manresa Manresa ist ein Städtchen in der Nähe des Montserrat. Iñigo wollte dort nur einige Tage bleiben, verweilte dann aber über zehn Monate lang. Die Gründe dafür sind nicht bekannt: Vielleicht war er krank geworden; oder er konnte nicht nach Barcelona weiterreisen, weil die Stadt wegen der Pest geschlossen war; vielleicht waren die inneren Erlebnisse so stark, dass er sie in Ruhe verkosten wollte. Der Aufenthalt in Manresa wurde für ihn eine Zeit geistlicher Reifung, deren Bedeutung kaum zu überschätzen ist. Iñigo fand in den Armenspitälern der Stadt Aufnahme und ernährte sich durch Betteln. Er betete täglich sieben Stunden auf den Knien, besuchte jeden Morgen die Messe, geißelte sich regelmäßig und fastete über längere Perioden streng. Wöchentlich beichtete er und empfing die Kommunion - eine damals als skandalös empfundene Praxis. Sein Äußeres vernachlässigte er völlig, indem er weder Haare noch Nägel schnitt, um gegen seine Eitelkeit anzukämpfen. Er aß kein Fleisch und trank keinen Wein, außer sonntags. Über seinen inneren Prozess in dieser Zeit erzählt der Pilgerbericht ausführlich, was darauf hindeutet, dass er der Frage, wie Gott ihn führte, große Wichtigkeit beimaß. Es lohnt sich, die drei Etappen der Entwicklung etwas genauer anzuschauen. In den ersten Monaten erlebte Iñigo intensiven „geistlichen Trost", womit er inneren Frieden, Ruhe, Freude, tiefe und erfüllende Gebetserfahrungen bezeichnet. Bisweilen hatte er Visionen von einem „sehr schönen Ding", das einer Schlange glich.
Er empfand dabei Vergnügen. Wenn das Ding verschwand, missfiel ihm das. Im Rückblick schreibt er, dass er bis zu jener Zeit immer „in einer großen Ausgeglichenheit von Fröhlichkeit verharrt" habe, „ohne irgendeine Erkenntnis von inneren geistlichen Dingen zu haben" (PB 20). Mit diesem harten Urteil deutet er diese Zeit kritisch: Der Trost war ein nur äußerlicher und falscher Trost. Danach folgte eine zweite Etappe, eine Zeit schwerer innerer Kämpfe, starker Anfechtungen und großer „Trostlosigkeit", was innere Leere, Langeweile, Einsamkeit, eine Art Taubheit der Seele, verzweifelte oder depressive Grundstimmungen und Frustration bezeichnet. Bei Iñigo gingen diese Zustände einher mit massiven „Skrupeln". Darunter versteht man subjektiv eingebildete Sünden, die objektiv keine sind, aber massive Gewissensängste und Schuldgefühle hervorrufen. Iñigo litt zunächst unter starken und für ihn unerklärlichen Stimmungsschwankungen (PB 21). Die Motivation für seine Lebensführung sackte ihm weg, er empfand Unlust und lehnte sein Dasein ab. Die Skrupel entwickelten sich so, dass er Zweifel an der Vollständigkeit und damit an der Gültigkeit seiner Lebensbeichte auf dem Montserrat bekam. Er beichtete immer wieder dieselben und vermeintlich neue Sünden, ohne dadurch von seinen Gewissensqualen befreit zu werden. Kein Beichtvater, keine seiner strengen Bußübungen und kein seelsorgerlicher Rat konnten ihm in seiner Not helfen. Schließlich wollte er solange überhaupt nichts essen, bis er geheilt wäre. Sein Beichtvater befahl ihm, diesen spirituellen Hungerstreik abzubrechen, denn Gott lässt sich auf diese Weise nicht zwingen. Schließlich wollte er sich durch ein Loch im Boden stürzen - diese Versuchung zum Suizid überwand er nur, weil er Selbstmord für eine Todsünde und damit für verboten hielt. Befreit wurde er nach Wochen der Quälerei aus dieser beinahe tödlichen Verstrickung, indem er plötzlich einen Widerwillen gegen seine Lebensweise verspürte. Er „erwachte wie aus einem Traum" (PB 25) und spürte sofort klar, dass er nie mehr vergangene Sünden beichten wollte. Im Pilgerbericht schreibt er: „Er hielt es für gewiss, dass Gott unser Herr ihn um seiner Barmherzigkeit willen hatte befreien wollen" (PB 25). Dieser plötzliche Umschwung ist nicht natürlich oder psychologisch erklärbar. Für den an seinem Lebensende rückblickenden Ignatius blieb nur die staunende Wahrnehmung, dass es wohl Gott gewesen sein müsse, der in einem direkten Eingreifen hier die Wende geschafft hat. Er selbst wollte sich durch eigenes Anstrengen zu einem Heiligen „machen". Doch sein moralischer und asketischer Rigorismus stürzte ihn nur in tiefen Selbsthass und in selbstzerstörerische Impulse. Erst die Entdeckung, dass Gott alle seine Sünden längst vergeben hatte, aus reiner Barmherzigkeit und Gnade, konnte ihn aus dieser spirituellen Sackgasse herausführen. Nach dieser neuerlichen Wende begann die dritte Etappe seines Wegs. Iñigo aß wieder Fleisch und pflegte seinen Körper - äußere Anzeichen einer inneren Abkehr von dem unheilvollen Rigorismus. Er war ruhiger geworden und erlebte eine Zeit großer Tröstungen. Im Pilgerbericht beschrieb er ausführlich fünf Gnadenerfahrungen, denen er auch später große Bedeutung beimaß. Zuerst erwähnte er die Schau der drei göttlichen Personen: des Vaters, des Sohnes und des Geistes, d. h. der göttlichen Dreifaltigkeit. Er empfand Andacht zu ihr, betete zu ihr immer wieder und erfuhr dabei Trost und Freude. Die trinitarische Dimension Gottes blieb in seiner Spiritualität wesentlich durch sein ganzes Leben (PB 28). Auch die nachfolgende Schöpfungs- und dann die Eucharistie-Vision weisen auf Eckpfeiler seiner Spiritualität hin. Die Schau der Menschheit Jesu zeigt, dass für Ignatius wie für die ganze spanische Mystik der Weg zu Gott nur über eine Beziehung zum Menschen Jesus gelingen kann (PB 29). In Teil II. 4 dieses Buches werden diese Themen erörtert werden. Die fünfte und wichtigste Erfahrung war das Erlebnis am Fluss Cardoner: „Einmal ging er aus seiner Andacht zu einer Kirche, die mehr als eine Meile von Manresa lag - ich glaube, sie heißt St. Paul -, und der Weg geht den Fluss entlang. Und während er so in seinen Andachten ging, setzte er sich ein wenig mit dem Gesicht zum Fluss, der in der Tiefe ging. Und als er so dasaß, begannen sich ihm die Augen des Verstandes zu öffnen. Und nicht, dass er irgendeine Vision gesehen hätte, sondern er verstand und erkannte viele Dinge, ebenso sehr von geistlichen Dingen wie von Dingen des Glaubens und der Wissenschaft. Und dies mit einer so großen Erleuchtung, dass ihm alle Dinge neu erschienen. Und es lassen sich nicht die Einzelheiten erläutern, die er damals verstand, obwohl es viele waren; sondern er empfing eine große Klarheit im Verstand, so dass ihm in der ganzen Folge seines Lebens bis über 62 Jahre hinaus scheint: Wenn er alle Hilfe zusammenzähle, wie er sie von Gott erhalten habe, und alle Dinge, die er erkannt habe, selbst wenn er sie alle in eins zusammenbringe, habe er nicht so viel erlangt wie mit jenem Mal allein" (PB 30). Aus diesem Bericht geht die einzigartige Bedeutung des Erlebnisses klar hervor. Es handelte sich nicht um eine „Vision", ein mit dem inneren Auge geschautes Bild, sondern um eine Art Erleuchtung des Verstandes, die ihm viele „theologische" Erkenntnisse vermittelte. Ignatius war zu diskret, um Einzelheiten zu erzählen. Echte mystische Erfahrungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Intimität des Erlebens wahren und keinesfalls mit der Erfahrung vor anderen Menschen prahlen. Dass Ignatius sie überhaupt erzählte, war nur dem Drängen seiner Mitbrüder zu verdanken und der Einsicht, dass sein Bericht dem jungen Orden nützen könnte. Als Iñigo anschließend vor einem Kruzifi x dankte, erschien ihm nochmals die Schlangenvision aus der ersten Etappe seiner Manresazeit (PB 31). Er erkannte sie nun mit großer Klarheit als Täuschung: Der „Teufel" hatte ihm mit einem Trugbild falschen Trost eingegeben. Auch hier musste Gott ihm seine Lektion in der „Unterscheidung der Geister" erst erteilen. Es war der Blick auf den Gekreuzigten, der ihm die Augen öffnete: Stärke, Schönheit und Lust allein können täuschen. Um echt zu sein, muss der Trost durch die Torheit und Hässlichkeit des Leidens hindurchgetragen werden. Manresa war für Iñigo der Ort der spirituellen Reifung. Der erste Enthusiasmus war noch auf tönernen Füßen gestanden: Durch übertriebene Askese und spirituelle Anstrengung hatte er sich ein Glück „gemacht", das sich als trügerisch erweisen musste. Die Phase tiefer Depression, Skrupel und Verzweiflung reinigte ihn, so dass er zu wirklichem Trost und einer erfüllenden Gottesbegegnung fand. In der dritten Phase ist nichts mehr gemacht, sondern alles geschenkt. Jetzt erst war die Wende des Krankenlagers auf Schloss Loyola auch im Inneren vollzogen. Aus dem der eigenen Ehre und Eitelkeit verhafteten Ritter war ein Mann Gottes geworden, der sich von der göttlichen Pädagogik leiten und von Gottes Gnade beschenken ließ. In Manresa wurde Iñigo häufig von Menschen aufgesucht, die geistlichen Rat brauchten. Er half, so gut er konnte. Einige vornehme Damen verehrten ihn persönlich. Er begann, für sich selbst einige geistliche Einsichten aufzuschreiben, besonders zur „Unterscheidung der Geister". Die Notizen sollten ihm und anderen helfen, geistlich Suchende zu begleiten. Sie wurden zur Urform des Exerzitienbuchs. Die göttliche Pädagogik, die er am eigenen Leib erfahren hatte, wollte er für andere fruchtbar machen. Damit wurde Iñigo in Manresa auf noch andere Weise von Gott verwandelt: vom spirituellen Einzelgänger zum Seelsorger, vom Eremiten zum Apostel. Pilgerfahrt nach Jerusalem Seinen Wunsch, ins Heilige Land zu fahren, hatte er in diesen schwierigen Monaten nicht aufgegeben. Im Februar 1523 verließ er Manresa und ging nach Barcelona. Dort lernte er Leute kennen, die ihn unterstützten. Eine vornehme Dame, Isabel Roser, nahm ihn in ihr Haus auf. Sie wurde für viele Jahre zur Freundin und Gönnerin. Er wollte radikal arm und allein weiterreisen und dadurch zeigen, dass er nicht auf materielle Sicherheiten oder menschlichen Beistand vertraue, sondern auf Gott allein. Die Überfahrt nach Gaëta ließ er sich jedoch spendieren. Sein nächster Weg führte nach Rom. Für Pilgerreisen ins Heilige Land musste man sich an Ostern dort eine persönliche Genehmigung des Papstes holen. Iñigos Erlaubnis trägt das Datum des 31. März 1523. Im April wanderte er nach Venedig, dem Abfahrtshafen der Heilig-Land-Schiff e. Alle Wege machte er zu Fuß, trotz seines zertrümmerten Beins. Unterwegs wurde er krank und kam kaum mehr vorwärts. In manchen Städten wütete die Pest, so dass man sie nur mit einem Gesundheitszeugnis betreten durfte. Iñigo wurde wie durch ein Wunder ohne Kontrolle überall durchgelassen. Unterwegs hatte er oft intensive geistliche Erlebnisse. Seit ältester Zeit waren Pilgerfahrten ins Heilige Land ein Brauch frommer Christen aus dem Abendland. Im späten Mittelalter erfuhren sie einen großen Aufschwung. Seit jedoch der Islam das östliche Mittelmeer beherrschte, konnte jährlich nur eine einzige Gruppe die weite und gefährliche Reise unternehmen. Die Expedition startete unter der Protektion Venedigs jeweils im Juni. Alles war genau geregelt: Organisation, Pilgerprogramm, Kosten.
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Autoren-Porträt von Stefan Kiechle
Stefan Kiechle SJ, geb. 1960, Dr. theol., Provinzial der Deutschen Provinz der Jesuiten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stefan Kiechle
- 2014, 2. Aufl., 222 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 12,5 x 20,4 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Echter
- ISBN-10: 3429032938
- ISBN-13: 9783429032937
- Erscheinungsdatum: 01.09.2010
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