Im Rausch der Dunkelheit / Guardians of Eternity Bd.5
Roman. Deutsche Erstausgabe
Die Werwölfin Regan war jahrelang in der Gewalt des bösen Trolls Culligan gefangen. Nun will sie sich rächen. Sie ahnt nicht, dass ein Vampir-Clan es auf sie abgesehen hat.
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Produktinformationen zu „Im Rausch der Dunkelheit / Guardians of Eternity Bd.5 “
Die Werwölfin Regan war jahrelang in der Gewalt des bösen Trolls Culligan gefangen. Nun will sie sich rächen. Sie ahnt nicht, dass ein Vampir-Clan es auf sie abgesehen hat.
Klappentext zu „Im Rausch der Dunkelheit / Guardians of Eternity Bd.5 “
Jahrelang wurde die schöne Werwölfin Regan von dem bösen Troll Culligan gefangen gehalten. Als ihr endlich die Flucht gelingt, will sie nur noch eins: Rache. Doch ein mächtiger Vampir-Clan hat andere Pläne mit ihr und schickt den geheimnisvollen Jagr, der sie nach Chicago bringen soll. Die Blutsauger haben ihre Rechnung allerdings ohne Regans eisernen Willen gemacht ...
Lese-Probe zu „Im Rausch der Dunkelheit / Guardians of Eternity Bd.5 “
Im Rausch der Dunkelheit von Alexandra IvyPROLOG
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Jagr wusste, dass er in Vipers exklusivem Nachtclub Panik hervorrief. Das elegante Etablissement mit seinen Kristallkronleuchtern und den Polstermöbeln, die mit rotem Samt bezogen waren, zielte auf die zivilisierteren Angehörigen der Dämonenwelt ab.
Jagr war alles andere als zivilisiert. Er war ein Vampir, der einen Meter neunzig groß und einst ein Häuptling bei den Westgoten gewesen war. Aber es waren nicht seine blassgoldenen Haare, die ihm geflochten beinahe bis zur Taille reichten, oder die eisblauen Augen, denen nichts entging, die so manche Kreaturen, die über zumindest einen Funken von Intelligenz verfügten, dazu brachten, eilig vor ihm zu fliehen. Es war nicht einmal der Lederstaubmantel, der sich um seinen harten Körper blähte.
Nein, die Schuld daran trugen die kalte Perfektion seiner Gesichtszüge und die Anzeichen für den unbändigen Zorn, der in ihm glühte.
Dreihundert Jahre unaufhörlicher Folter hatten ihn jeglicher Spur von Höflichkeit beraubt.
Jagr beachtete die diversen Dämonen nicht, die in dem Versuch, seinen langen Schritten zu entgehen, über Stühle und Tische stürzten, und konzentrierte sich auf die beiden Raben, die die Tür zum Hinterzimmerbüro bewachten. Er reagierte empfindlich auf die gedämpfte Atmosphäre von Vornehmheit, die an diesem Ort herrschte.
Er war ein Vampir, der die Einsamkeit seines Verstecks bevorzugte, welches unter den Straßen von Chicago verborgen lag, umgeben von seiner riesigen Bibliothek, sicher in dem Wissen, dass kein Mensch, kein Tier und kein Dämon die Fähigkeit besaß, dort einzudringen.
Er war jedoch nicht der vollkommene Einsiedler, für den ihn seine Vampirbrüder hielten.
Gleichgültig, wie mächtig, geschickt oder intelligent er auch sein mochte - er begriff, dass sein Überleben davon abhing, dass er die ständig in Wandlung begriffene Technik der modernen Welt verstand. Und darüber hinaus gab es die Notwendigkeit, in der Lage zu sein, mit der Gesellschaft zu verschmelzen.
Selbst ein Einsiedler musste sich ernähren.
Gut verborgen in der hintersten Ecke seines Verstecks befand sich ein Plasmafernsehgerät mit jedem Fernsehkanal, der der Menschheit bekannt war, und der Art von unauffälliger Kleidung, die es ihm erlaubte, sich in den zwielichtigeren Gegenden zu bewegen, ohne einen Aufruhr hervorzurufen.
Die meisten tödlichen Jäger wussten, wie sie sich auf ihren Streifzügen tarnen mussten.
Aber dieser Ort ...
Er hätte sich lieber pfählen lassen, als hier herumzustolzieren wie ein Esel.
Verdammt sollte Styx sein.
Der uralte Vampir hatte gewusst, dass nur ein königlicher Befehl ihn dazu zwingen konnte, einen überfüllten Nachtclub zu betreten. Jagr machte keinen Hehl aus seiner Verachtung für die Gesellschaft anderer.
Das warf die Frage auf, weshalb der Anasso eine solche Umgebung für ein Treffen wählte.
Jagr, der in einer Stimmung war, die übel genug war, um den riesigen Club mit einer eisigen Kälte zu erfüllen, ignorierte die beiden Raben, die in der Nähe des Hinterzimmerbüros Wache standen. Er hob die Hand und sprengte mit seiner Macht die schwere Eichentür aus den Angeln.
Die drohend vor ihm aufragenden Raben knurrten warnend und warfen ihre schweren Umhänge ab. Unter ihnen kamen ihre zahlreichen Schwerter, Dolche und Feuerwaffen zum Vorschein, die an verschiedenen Körperteilen befestigt waren.
Jagr verlangsamte seinen Schritt kein einziges Mal. Styx würde es nicht zulassen, dass seine Lieblingsvampire einen geladenen Gast verletzten. Zumindest, bis Jagr ihm das geliefert hatte, was er haben wollte.
Und selbst wenn Styx die Hunde nicht zurückpfiff ... Nun denn, er hatte Jahrhunderte darauf gewartet, im Kampf getötet zu werden. Das war das Schicksal eines Kriegers.
Aus dem Inneren des Zimmers drang leises Gemurmel, und die beiden Raben erlaubten ihm widerstrebend den Zutritt. Dabei wurde er von nichts Schmerzhafterem durchbohrt als einem zornigen Blick.
Jagr trat über die zerstörte Tür hinweg und hielt inne, um einen wachsamen Blick durch den in eisblauen und elfenbeinfarbenen Tönen gehaltenen Raum schweifen zu lassen. Wie erwartet nahm Styx, ein hoch aufragender Azteke, bei dem es sich um den augenblicklichen König der Vampire handelte, eine Menge Platz hinter einem schweren Schreibtisch aus Walnussholz ein. Der Ausdruck auf seinem bronzefarbenen Gesicht war nicht zu entziffern. An seiner Seite stand Viper, der Clanchef von Chicago, der mit seinem Silberhaar und seinen dunklen Augen eher nach einem Engel als nach einem tödlichen Krieger aussah.
»Jagr.« Styx lehnte sich in dem Ledersessel zurück, die Finger unter dem Kinn gefaltet. »Vielen Dank für das prompte Erscheinen.«
Jagrs kalte Augen verengten sich. »Hatte ich eine andere Wahl?«
»Achtung, Jagr«, warnte ihn Viper. »Dies ist der Anasso.«
Jagr schürzte verächtlich die Lippen, aber er war weise genug, seine verärgerten Worte für sich zu behalten. Selbst in der Annahme, dass er sich mit Styx' berühmter Macht messen konnte, wäre er tot, bevor er überhaupt den Club verlassen könnte, falls er den Anasso herausforderte.
»Was wollt Ihr?«, knurrte er.
»Ich habe eine Aufgabe für Euch.«
Jagr biss fest die Zähne zusammen. Es war ihm gelungen, sich das ganze vergangene Jahrhundert inmitten seiner riesigen Büchersammlung vor dem Clan zu verstecken, der ihn als Bruder bezeichnete, ohne andere zu belästigen. Im Gegenzug erwartete er von ihnen das Gleiche. Seit er so töricht gewesen war, es Cezar zu gestatten, sein Versteck zu betreten, schien es, als könne er diese verdammten Vampire nicht mehr loswerden.
»Was für eine Aufgabe?«, fragte er. Sein Tonfall machte deutlich, dass es ihm nicht gefiel, die Rolle des Kriechers zu spielen.
Styx lächelte und deutete mit einer schlanken Hand auf ein Sofa in der Nähe. Es war ein Lächeln, das Jagr einen Schauder der Beunruhigung über den Rücken jagte.
»Nehmt Platz, mein Freund«, sagte der Anasso gedehnt. »Diese Angelegenheit könnte einige Zeit in Anspruch nehmen.«
Einen wahnsinnigen Augenblick lang zog Jagr in Erwägung, den Gehorsam zu verweigern. Bevor er in einen Vampir verwandelt worden war, war er ein Anführer von Tausenden gewesen. Obgleich er keine Erinnerung an jene Tage hatte, hatte er seine gesamte Arroganz beibehalten. Ganz zu schweigen von seinen Schwierigkeiten mit der Obrigkeit.
Glücklicherweise hatte er sich auch den größten Teil seiner Intelligenz bewahrt.
»Schön, Anasso, ich bin herbeigeeilt, um Euren königlichen Befehl zu befolgen.« Er hievte seinen riesigen Körper auf ein zierliches Brokatsofa und schwor sich insgeheim, den Hersteller zu töten, falls es zerbrach. »Was verlangt Ihr von Eurem gehorsamen Untertanen?«
Viper knurrte tief in der Kehle, und die Luft prickelte von seiner Macht. Jagr zuckte mit keiner Wimper, auch wenn sei- ne Muskeln sich in der Vorbereitung auf einen Kampf anspannten.
»Vielleicht solltest du dich um deine Gäste kümmern, Viper«, befahl Styx ruhig. »Jagrs ... dramatischer Auftritt hat deine charmante Unterhaltung zum Erliegen gebracht und mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als mir lieb ist.«
»Ich werde mich nicht weit entfernen.« Viper warf Jagr einen warnenden Blick zu, bevor er durch die zerstörte Tür verschwand.
»Spricht er für einen Platz unter Euren Raben vor?«, spot - tete Jagr.
Nadelstichartige Schmerzen marterten seine Haut, als Styx einen kleinen Teil seiner Macht entweichen ließ.
»Für die Dauer Eures Aufenthaltes in Chicago ist Viper Euer Clanchef. Macht nicht den Fehler, seine Position zu vergessen.«
Jagr zuckte mit den Schultern. Seine Verpflichtung und Loyalität gegenüber Viper waren ihm nicht gleichgültig. Die Wahrheit war, dass er in übler Stimmung war, und die Tatsache, dass er in dem übertrieben schicken Nachtclub festsaß, wo man nichts töten konnte außer einem Haufen von Tauelfen, war dabei keine große Hilfe.
»Das kann ich wohl kaum vergessen, wenn ich immer wieder den Befehl erhalte, mich mit Angelegenheiten zu beschäftigen, die mich nichts angehen, und, was noch wichtiger ist, die mich nicht interessieren.«
»Was ist denn von Interesse für Euch, Jagr?«
Jagr hielt Styx' prüfendem Blick mit einem ausdruckslosen Starren stand. Schließlich schnitt der König eine Grimasse. »Ob es Euch nun gefällt oder nicht, Ihr botet Euer Schwert und schwort die Treue, als Viper Euch in seinen Clan aufnahm.«
Das gefiel Jagr nicht, doch er konnte keine Einwendungen machen. In einen Clan aufgenommen zu werden war bei Vampiren der einzige Weg, um zu überleben. »Was verlangt Ihr von mir?«
Styx erhob sich, ging um den Schreibtisch herum und setzte sich auf eine Ecke. Das Holz ächzte unter dem beträchtlichen Gewicht, aber zerbrach nicht. Jagr konnte nur annehmen, dass Viper das gesamte Mobiliar hatte verstärken lassen.
Kluger Vampir.
»Was wisst Ihr von meiner Gefährtin?«, fragte Styx unvermittelt.
Jagr zögerte. »Ist dies eine Falle?«
Der Anasso verzog den Mund zu einem trockenen Lächeln. »Ich bin kein subtiler Vampir, Jagr. Im Gegensatz zu dem früheren Anasso besitze ich nicht die Gabe, andere zu manipulieren und zu betrügen. Sollte der Tag kommen, an dem ich den Drang verspüre, Euch herauszufordern, werde ich das direkt tun.«
»Weshalb fragt Ihr mich dann nach Eurer Gefährtin?«
»Als ich Darcy zum ersten Mal begegnete, wusste sie nichts über ihre Herkunft. Sie war seit ihrer Zeit als Säugling von Menschen aufgezogen worden, und erst als Salvatore Giuliani, der augenblickliche König der Werwölfe, in Chicago eintraf, fanden wir heraus, dass sie eine Rassewölfin ist, die genetisch verändert wurde.«
Jagrs Augenbraue schoss in die Höhe. Das war ein kleines Detail, das der König bisher geheim gehalten hatte.
»Genetisch verändert?«
»Die Werwölfe streben immer verzweifelter danach, gesun- de Nachkommen hervorzubringen. Die Rassewölfinnen haben ihre Fähigkeit verloren, ihre Verwandlung während des Vollmondes zu kontrollieren, wodurch es für sie beinahe unmöglich wird, einen Wurf bis zum Ende auszutragen. Die Werwölfe veränderten Darcy und ihre Schwestern, sodass sie nicht imstande sind, sich zu verwandeln.«
Jagr verschränkte die Arme vor der Brust. Die wertlosen Hunde waren ihm vollkommen gleichgültig. »Ich nehme an, Ihr werdet mir mitteilen, weshalb Ihr mich zu Euch bestellt habt, bevor die Sonne aufgeht?«
Styx kniff die goldenen Augen zusammen. »Das hängt vollkommen von Eurer Mitarbeit ab, mein Bruder. Ich kann dafür sorgen, dass dieses Treffen so lange dauert, wie es mir gefällt.«
Jagrs Lippen zuckten. Das Einzige, was er respektierte, war Macht. »Bitte fahrt fort.«
»Darcys Mutter brachte einen Wurf von vier Töchtern zur Welt, die alle genetisch verändert waren und den Werwölfen kurz nach ihrer Geburt geraubt wurden.«
»Weshalb wurden sie geraubt?«
»Das bleibt ein Geheimnis, das von Salvatore niemals vollständig geklärt wurde.« In der Stimme des Anasso lag ein scharfer Unterton, der darauf hinwies, dass er nicht erfreut über diesen Mangel an Information war. »Was wir jedoch wissen, ist, dass eine von Darcys Schwestern in St. Louis entdeckt wurde, wo sie von einem Kobold namens Culligan gefangen gehalten wurde.«
»Er hat Glück, dass sie nicht imstande ist, sich zu verwandeln. Eine Rassewölfin könnte einem Kobold die Kehle herausreißen.«
»Nach dem, was Salvatore herausfinden konnte, gelang es dem Kobold, Regan in seine Gewalt zu bekommen, als sie noch ein Kind war. Er hielt sie in einem mit Silber überzogenen Käfig gefangen. Das heißt, wenn er sie nicht gerade folterte, um schnell an Geld zu gelangen.«
Folter.
Die niederländischen Meisterwerke, die an den Wänden hingen, krachten unter Jagrs aufflammendem Zorn zu Boden. »Wünscht Ihr, dass die Werwölfin gerettet wird?«
Styx verzog das Gesicht. »Salvatore befreite sie bereits aus Culligans Gewalt, aber es gelang dem verdammten Kobold, sich wegzustehlen, bevor Salvatore ihn zum Nachtmahl verspeisen konnte.«
Die Hoffnung, die für einen kurzen Moment in Jagr aufflackerte, dass diese Nacht nicht eine vollkommene Zeitverschwendung sein möge, fand ein jähes Ende. Bastarde niederzumetzeln, die die Schwachen quälten, gehörte zu seinen wenigen Freuden.
»Wenn die Frau bereits gerettet wurde, wozu braucht Ihr dann mich?«
Styx richtete sich auf. Sein turmhoher Körper nahm einen beträchtlichen Teil des Platzes in dem Büro ein.
»Salvatores einziges Interesse an Regan bestand darin, sie als seine Königin und Hauptzuchtwölfin einzusetzen. Er ist fest entschlossen, seine Machtbasis abzusichern, indem er sich eine Gefährtin nimmt, die in der Lage ist, die schrumpfende Population an Rassewölfen wiederherzustellen. Unglücklicherweise fand er nach Regans Befreiung heraus, dass sie unfruchtbar ist.«
»Also war sie nicht von Nutzen.«
»Genau.« Der hoch aufragende Azteke achtete darauf, seine Fassung nicht zu verlieren, doch selbst ein Dummkopf hätte spüren können, dass er nichts dagegen einzuwenden gehabt hätte, den Werwolfkönig zu einer Zwischenmahlzeit zu verarbeiten. »Aus diesem Grunde nahm er Kontakt zu Darcy auf. Es war seine Absicht, Regan nach Chicago zu schicken. Sie sollte unter meinem Schutz stehen, bis er sie in das örtliche Werwolfrudel eingeführt hätte.«
»Und?«
»Und es gelang ihr zu fliehen, während er sich mit dem Rudelführer beriet.«
Jagr grunzte vor Abscheu. »Dieser Salvatore ist erbärmlich unfähig. Zuerst lässt er den Kobold entkommen und dann die Frau. Es ist kaum ein Wunder, dass die Anzahl der Werwölfe schrumpft.«
»Lasst uns hoffen, dass Ihr fähiger seid.«
Jagr erhob sich mit kalter Miene. »Ich?«
»Darcy ist besorgt um ihre Schwester. Ich will, dass sie gefunden und nach Chicago gebracht wird.«
»Diese Frau hat recht deutlich gezeigt, dass sie nicht herkommen will.«
»Dann wird es Eure Aufgabe sein, sie davon zu überzeugen.«
Jagrs Augen verengten sich. Er war keine verdammte Mary Poppins. Verdammt, er würde Mary Poppins zum Frühstück verspeisen.
»Weshalb gerade ich?«
»Ich habe bereits mehrere meiner besten Fährtenleser nach St. Louis geschickt, doch Ihr seid mein bester Krieger. Falls es Regan gelungen sein sollte, in Schwierigkeiten zu geraten, wird Eure Hilfe vonnöten sein, um sie zu retten.«
Zweifelsohne gab es schlimmere Dinge, als hinter einer genetisch veränderten Werwölfin herzujagen, die eindeutig nicht gefunden werden wollte, aber aus dem Stegreif fiel ihm keines ein.
Im Nebenzimmer ertönte wieder der Klang eines Streichquartetts, begleitet von den leisen Ohs und Ahs des Publikums, als die Tauelfen ihren grazilen Tanz fortsetzten. Jagr fiel mit einem Mal eine Sache ein, die schlimmer war, als die Werwölfin zu verfolgen.
Weiterhin in diesem Höllenloch gefangen zu sein. »Weshalb sollte ich das tun?«, fragte er.
»Weil das, was Darcy glücklich macht, auch mich glücklich macht.« Styx näherte sich Jagr, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten, und seine Macht grub sich in Jagrs Fleisch. »Ist das klar genug?«
»Schmerzlich klar.«
»Gut.« Styx trat einen Schritt zurück und lockerte seine Macht. Er griff mit der Hand unter seinen Ledermantel, zog ein Mobiltelefon heraus und warf es Jagr zu. »Hier. In dem Telefonspeicher sind die Nummern der Brüder zu finden, die ebenfalls nach Regan suchen, sowie Kontakte in St. Louis. Außerdem ist meine Privatnummer eingespeichert. Nehmt Kontakt zu mir auf, wenn Ihr Regan findet.«
Jagr steckte das Handy ein und steuerte auf die Tür zu. Es hatte keinen Zweck zu diskutieren. Styx bemühte sich, die Vampire aus ihrer barbarischen Vergangenheit zu holen, aber es herrschte durchaus keine Demokratie.
Nicht einmal annähernd.
»Ich werde noch in dieser Stunde aufbrechen.«
»Jagr.«
Jagr blieb an der Tür stehen und wandte sich mit glühendem Zorn um. »Was?«
Styx zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Vergesst keinen Augenblick, dass Regan eine kostbare Fracht ist. Falls ich herausfinde, dass Ihr auch nur einen Bluterguss auf ihrer hübschen Haut hinterlassen habt, werdet Ihr nicht erfreut über die Konsequenzen sein.«
»Also soll ich eine wütende Werwölfin aufspüren, die nicht gefunden werden will, und sie nach Chicago bringen, ohne Spuren zu hinterlassen?«
»Offensichtlich waren die Gerüchte über Eure außerordentliche Intelligenz nicht übertrieben, mein Bruder.«
Mit einem Fauchen drehte sich Jagr um und stürmte durch die zerstörte Türöffnung. »Ich bin nicht Euer Bruder.«
Viper beobachtete Jagrs zornigen Abgang mit wachsamem Blick. Tatsächlich war die Angelegenheit nicht so schlecht verlaufen, wie er befürchtet hatte. Kein Tod, keine Verstümmelung. Nicht einmal bleibende Verletzungen.
Das war stets von Vorteil.
Dennoch, er kannte Jagr zu gut. Er hatte immer gewusst, dass von all seinen Clanangehörigen der uralte Westgote der wildeste war. Nach allem, was er hatte erdulden müssen, war das verständlich, aber es änderte nichts daran, dass er gefährlich war. Viper begann die Tatsache zu bedauern, dass er Styx' Aufmerksamkeit auf den gefolterten Vampir gelenkt hatte.
Viper schlüpfte an den Dämonen vorbei, die erneut gebannt von den Tauelfen dasaßen, kehrte ins Büro zurück und stellte fest, dass Styx aus dem Fenster starrte. »Ich habe ein schlechtes Gefühl, was diese Angelegenheit angeht«, murmelte er, während er seine kostbaren Gemälde in Augenschein nahm, die zerschmettert auf dem Boden lagen.
Styx drehte sich mit verschränkten Armen um. »War das eine böse Vorahnung? Soll ich Kontakt zur Kommission aufnehmen und ihr mitteilen, dass sie möglicherweise ein Orakel haben?«
Viper wölbte warnend eine Braue. »Nur wenn du willst, dass ich dich das nächste Jahrhundert zusammen mit Levet in eine Zelle sperre.«
Styx brach in ein scharfes Gelächter aus. »Diese Drohung wäre überzeugender, wenn Levet nicht zu der Ansicht gelangt wäre, er sei der Einzige, der imstande ist, Darcys verschwunde- ne Schwester aufzuspüren. Er machte sich auf den Weg nach St. Louis, sobald Salvatore mir mitgeteilt hatte, Regan sei aus seiner Gewalt entkommen.«
»Perfekt, nun gibt es zwei wandelnde Pulverfässer, die durch Missouri stürmen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Einheimischen das überleben werden.«
»Du glaubst, Jagr sei ein wandelndes Pulverfass?«
Viper verzog das Gesicht. Er rief sich die Nacht ins Gedächtnis, in der Jagr bei seinem Versteck aufgetaucht war und um Asyl gebeten hatte. Er war einer Unmenge an tödlichen Dämonen begegnet, von denen die meisten nichts anderes wollten, als ihn zu töten. Jedoch hatte er bis zu jener Nacht niemals in die Augen eines anderen geblickt und nichts außer dem Tod gesehen.
»Ich glaube, unter all der grimmigen Selbstbeherrschung steht er kurz davor, in den Wahnsinn abzugleiten.«
»Und dennoch erlaubtest du es ihm, ein Angehöriger des Clans zu werden.«
Viper zuckte mit den Achseln. »Als er mich darum ersuch- te, war ich zunächst geneigt, ihm diese Bitte abzuschlagen. Ich konnte spüren, dass er nicht nur gefährlich kurz davorstand abzustürzen, sondern dass er auch mächtig und aggressiv genug ist, um mich als Clanchef herauszufordern. Er ist von Natur aus ein Anführer, kein Gefolgsmann.«
»Weshalb hast du es ihm dann gestattet, Chicago zu betreten?«
»Weil er einen Eid ablegte, in seinem Versteck zu verschwinden und keine Schwierigkeiten zu verursachen.«
»Und?«, drängte Styx.
»Und ich wusste, er würde ohne den Schutz durch einen Clan nicht überleben«, gestand Viper widerstrebend. »Wir wissen beide, dass trotz deiner Versuche, die Vampire zu zivilisieren, manche Gewohnheiten zu tief sitzen, als dass sie leicht zu ändern wären. Ein aggressiver, einzelgängerischer Vampir mit dermaßen großer Macht erschiene jedem Chef als Bedrohung. Er würde vernichtet werden.«
»Also gewährtest du ihm Gnade.«
Viper runzelte die Stirn. Es gefiel ihm nicht, für etwas anderes als einen erbarmungslosen Bastard gehalten zu werden. Er war nicht wegen seiner Sensibilität oder irgendeines anderen Unsinns Clanchef geworden. Er war der Anführer, weil die anderen Vampire befürchteten, er könne ihnen ihre untoten Herzen herausreißen.
»Es war nicht Gnade, sondern eine kalkulierte Entscheidung«, knurrte er. »Ich wusste, dass er sich als außerordentlich wertvoller Verbündeter erwiese, falls jemals die Notwendigkeit bestünde. Natürlich nahm ich an, ich würde ihn als Krieger benötigen, nicht als Hüter für eine junge, verletzliche Werwölfin. Ich fühle mich nicht vollkommen wohl dabei, ihn auf eine solche Mission zu schicken.«
Styx griff nach dem Medaillon, das immer um seinen Hals hing, wodurch er bewies, dass er nicht annähernd so überzeugt von seiner Entscheidung war, wie er Viper glauben machen wollte.
»Regan muss gefunden werden, und Jagr verfügt über die Intelligenz und die Fertigkeiten, die am besten geeignet sind, um sie aufzuspüren und in Sicherheit zu bringen. Und er besitzt noch eine weitaus bedeutendere Fähigkeit.«
»Es kann wohl nicht seine charmante Persönlichkeit sein.«
»Nein, es ist die Tatsache, dass er die Qualen sehr genau kennt, die Regan erleiden musste.« Styx sah Viper mit ernster Miene an. »Besser als jeder von uns wird er verstehen, was Regan benötigt, nun, da sie von ihrem Peiniger befreit ist.«
Übersetzung: Kim Kerry
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by
Diana verlag, München, in der verlagsgruppe Random House GmbH
Jagr wusste, dass er in Vipers exklusivem Nachtclub Panik hervorrief. Das elegante Etablissement mit seinen Kristallkronleuchtern und den Polstermöbeln, die mit rotem Samt bezogen waren, zielte auf die zivilisierteren Angehörigen der Dämonenwelt ab.
Jagr war alles andere als zivilisiert. Er war ein Vampir, der einen Meter neunzig groß und einst ein Häuptling bei den Westgoten gewesen war. Aber es waren nicht seine blassgoldenen Haare, die ihm geflochten beinahe bis zur Taille reichten, oder die eisblauen Augen, denen nichts entging, die so manche Kreaturen, die über zumindest einen Funken von Intelligenz verfügten, dazu brachten, eilig vor ihm zu fliehen. Es war nicht einmal der Lederstaubmantel, der sich um seinen harten Körper blähte.
Nein, die Schuld daran trugen die kalte Perfektion seiner Gesichtszüge und die Anzeichen für den unbändigen Zorn, der in ihm glühte.
Dreihundert Jahre unaufhörlicher Folter hatten ihn jeglicher Spur von Höflichkeit beraubt.
Jagr beachtete die diversen Dämonen nicht, die in dem Versuch, seinen langen Schritten zu entgehen, über Stühle und Tische stürzten, und konzentrierte sich auf die beiden Raben, die die Tür zum Hinterzimmerbüro bewachten. Er reagierte empfindlich auf die gedämpfte Atmosphäre von Vornehmheit, die an diesem Ort herrschte.
Er war ein Vampir, der die Einsamkeit seines Verstecks bevorzugte, welches unter den Straßen von Chicago verborgen lag, umgeben von seiner riesigen Bibliothek, sicher in dem Wissen, dass kein Mensch, kein Tier und kein Dämon die Fähigkeit besaß, dort einzudringen.
Er war jedoch nicht der vollkommene Einsiedler, für den ihn seine Vampirbrüder hielten.
Gleichgültig, wie mächtig, geschickt oder intelligent er auch sein mochte - er begriff, dass sein Überleben davon abhing, dass er die ständig in Wandlung begriffene Technik der modernen Welt verstand. Und darüber hinaus gab es die Notwendigkeit, in der Lage zu sein, mit der Gesellschaft zu verschmelzen.
Selbst ein Einsiedler musste sich ernähren.
Gut verborgen in der hintersten Ecke seines Verstecks befand sich ein Plasmafernsehgerät mit jedem Fernsehkanal, der der Menschheit bekannt war, und der Art von unauffälliger Kleidung, die es ihm erlaubte, sich in den zwielichtigeren Gegenden zu bewegen, ohne einen Aufruhr hervorzurufen.
Die meisten tödlichen Jäger wussten, wie sie sich auf ihren Streifzügen tarnen mussten.
Aber dieser Ort ...
Er hätte sich lieber pfählen lassen, als hier herumzustolzieren wie ein Esel.
Verdammt sollte Styx sein.
Der uralte Vampir hatte gewusst, dass nur ein königlicher Befehl ihn dazu zwingen konnte, einen überfüllten Nachtclub zu betreten. Jagr machte keinen Hehl aus seiner Verachtung für die Gesellschaft anderer.
Das warf die Frage auf, weshalb der Anasso eine solche Umgebung für ein Treffen wählte.
Jagr, der in einer Stimmung war, die übel genug war, um den riesigen Club mit einer eisigen Kälte zu erfüllen, ignorierte die beiden Raben, die in der Nähe des Hinterzimmerbüros Wache standen. Er hob die Hand und sprengte mit seiner Macht die schwere Eichentür aus den Angeln.
Die drohend vor ihm aufragenden Raben knurrten warnend und warfen ihre schweren Umhänge ab. Unter ihnen kamen ihre zahlreichen Schwerter, Dolche und Feuerwaffen zum Vorschein, die an verschiedenen Körperteilen befestigt waren.
Jagr verlangsamte seinen Schritt kein einziges Mal. Styx würde es nicht zulassen, dass seine Lieblingsvampire einen geladenen Gast verletzten. Zumindest, bis Jagr ihm das geliefert hatte, was er haben wollte.
Und selbst wenn Styx die Hunde nicht zurückpfiff ... Nun denn, er hatte Jahrhunderte darauf gewartet, im Kampf getötet zu werden. Das war das Schicksal eines Kriegers.
Aus dem Inneren des Zimmers drang leises Gemurmel, und die beiden Raben erlaubten ihm widerstrebend den Zutritt. Dabei wurde er von nichts Schmerzhafterem durchbohrt als einem zornigen Blick.
Jagr trat über die zerstörte Tür hinweg und hielt inne, um einen wachsamen Blick durch den in eisblauen und elfenbeinfarbenen Tönen gehaltenen Raum schweifen zu lassen. Wie erwartet nahm Styx, ein hoch aufragender Azteke, bei dem es sich um den augenblicklichen König der Vampire handelte, eine Menge Platz hinter einem schweren Schreibtisch aus Walnussholz ein. Der Ausdruck auf seinem bronzefarbenen Gesicht war nicht zu entziffern. An seiner Seite stand Viper, der Clanchef von Chicago, der mit seinem Silberhaar und seinen dunklen Augen eher nach einem Engel als nach einem tödlichen Krieger aussah.
»Jagr.« Styx lehnte sich in dem Ledersessel zurück, die Finger unter dem Kinn gefaltet. »Vielen Dank für das prompte Erscheinen.«
Jagrs kalte Augen verengten sich. »Hatte ich eine andere Wahl?«
»Achtung, Jagr«, warnte ihn Viper. »Dies ist der Anasso.«
Jagr schürzte verächtlich die Lippen, aber er war weise genug, seine verärgerten Worte für sich zu behalten. Selbst in der Annahme, dass er sich mit Styx' berühmter Macht messen konnte, wäre er tot, bevor er überhaupt den Club verlassen könnte, falls er den Anasso herausforderte.
»Was wollt Ihr?«, knurrte er.
»Ich habe eine Aufgabe für Euch.«
Jagr biss fest die Zähne zusammen. Es war ihm gelungen, sich das ganze vergangene Jahrhundert inmitten seiner riesigen Büchersammlung vor dem Clan zu verstecken, der ihn als Bruder bezeichnete, ohne andere zu belästigen. Im Gegenzug erwartete er von ihnen das Gleiche. Seit er so töricht gewesen war, es Cezar zu gestatten, sein Versteck zu betreten, schien es, als könne er diese verdammten Vampire nicht mehr loswerden.
»Was für eine Aufgabe?«, fragte er. Sein Tonfall machte deutlich, dass es ihm nicht gefiel, die Rolle des Kriechers zu spielen.
Styx lächelte und deutete mit einer schlanken Hand auf ein Sofa in der Nähe. Es war ein Lächeln, das Jagr einen Schauder der Beunruhigung über den Rücken jagte.
»Nehmt Platz, mein Freund«, sagte der Anasso gedehnt. »Diese Angelegenheit könnte einige Zeit in Anspruch nehmen.«
Einen wahnsinnigen Augenblick lang zog Jagr in Erwägung, den Gehorsam zu verweigern. Bevor er in einen Vampir verwandelt worden war, war er ein Anführer von Tausenden gewesen. Obgleich er keine Erinnerung an jene Tage hatte, hatte er seine gesamte Arroganz beibehalten. Ganz zu schweigen von seinen Schwierigkeiten mit der Obrigkeit.
Glücklicherweise hatte er sich auch den größten Teil seiner Intelligenz bewahrt.
»Schön, Anasso, ich bin herbeigeeilt, um Euren königlichen Befehl zu befolgen.« Er hievte seinen riesigen Körper auf ein zierliches Brokatsofa und schwor sich insgeheim, den Hersteller zu töten, falls es zerbrach. »Was verlangt Ihr von Eurem gehorsamen Untertanen?«
Viper knurrte tief in der Kehle, und die Luft prickelte von seiner Macht. Jagr zuckte mit keiner Wimper, auch wenn sei- ne Muskeln sich in der Vorbereitung auf einen Kampf anspannten.
»Vielleicht solltest du dich um deine Gäste kümmern, Viper«, befahl Styx ruhig. »Jagrs ... dramatischer Auftritt hat deine charmante Unterhaltung zum Erliegen gebracht und mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als mir lieb ist.«
»Ich werde mich nicht weit entfernen.« Viper warf Jagr einen warnenden Blick zu, bevor er durch die zerstörte Tür verschwand.
»Spricht er für einen Platz unter Euren Raben vor?«, spot - tete Jagr.
Nadelstichartige Schmerzen marterten seine Haut, als Styx einen kleinen Teil seiner Macht entweichen ließ.
»Für die Dauer Eures Aufenthaltes in Chicago ist Viper Euer Clanchef. Macht nicht den Fehler, seine Position zu vergessen.«
Jagr zuckte mit den Schultern. Seine Verpflichtung und Loyalität gegenüber Viper waren ihm nicht gleichgültig. Die Wahrheit war, dass er in übler Stimmung war, und die Tatsache, dass er in dem übertrieben schicken Nachtclub festsaß, wo man nichts töten konnte außer einem Haufen von Tauelfen, war dabei keine große Hilfe.
»Das kann ich wohl kaum vergessen, wenn ich immer wieder den Befehl erhalte, mich mit Angelegenheiten zu beschäftigen, die mich nichts angehen, und, was noch wichtiger ist, die mich nicht interessieren.«
»Was ist denn von Interesse für Euch, Jagr?«
Jagr hielt Styx' prüfendem Blick mit einem ausdruckslosen Starren stand. Schließlich schnitt der König eine Grimasse. »Ob es Euch nun gefällt oder nicht, Ihr botet Euer Schwert und schwort die Treue, als Viper Euch in seinen Clan aufnahm.«
Das gefiel Jagr nicht, doch er konnte keine Einwendungen machen. In einen Clan aufgenommen zu werden war bei Vampiren der einzige Weg, um zu überleben. »Was verlangt Ihr von mir?«
Styx erhob sich, ging um den Schreibtisch herum und setzte sich auf eine Ecke. Das Holz ächzte unter dem beträchtlichen Gewicht, aber zerbrach nicht. Jagr konnte nur annehmen, dass Viper das gesamte Mobiliar hatte verstärken lassen.
Kluger Vampir.
»Was wisst Ihr von meiner Gefährtin?«, fragte Styx unvermittelt.
Jagr zögerte. »Ist dies eine Falle?«
Der Anasso verzog den Mund zu einem trockenen Lächeln. »Ich bin kein subtiler Vampir, Jagr. Im Gegensatz zu dem früheren Anasso besitze ich nicht die Gabe, andere zu manipulieren und zu betrügen. Sollte der Tag kommen, an dem ich den Drang verspüre, Euch herauszufordern, werde ich das direkt tun.«
»Weshalb fragt Ihr mich dann nach Eurer Gefährtin?«
»Als ich Darcy zum ersten Mal begegnete, wusste sie nichts über ihre Herkunft. Sie war seit ihrer Zeit als Säugling von Menschen aufgezogen worden, und erst als Salvatore Giuliani, der augenblickliche König der Werwölfe, in Chicago eintraf, fanden wir heraus, dass sie eine Rassewölfin ist, die genetisch verändert wurde.«
Jagrs Augenbraue schoss in die Höhe. Das war ein kleines Detail, das der König bisher geheim gehalten hatte.
»Genetisch verändert?«
»Die Werwölfe streben immer verzweifelter danach, gesun- de Nachkommen hervorzubringen. Die Rassewölfinnen haben ihre Fähigkeit verloren, ihre Verwandlung während des Vollmondes zu kontrollieren, wodurch es für sie beinahe unmöglich wird, einen Wurf bis zum Ende auszutragen. Die Werwölfe veränderten Darcy und ihre Schwestern, sodass sie nicht imstande sind, sich zu verwandeln.«
Jagr verschränkte die Arme vor der Brust. Die wertlosen Hunde waren ihm vollkommen gleichgültig. »Ich nehme an, Ihr werdet mir mitteilen, weshalb Ihr mich zu Euch bestellt habt, bevor die Sonne aufgeht?«
Styx kniff die goldenen Augen zusammen. »Das hängt vollkommen von Eurer Mitarbeit ab, mein Bruder. Ich kann dafür sorgen, dass dieses Treffen so lange dauert, wie es mir gefällt.«
Jagrs Lippen zuckten. Das Einzige, was er respektierte, war Macht. »Bitte fahrt fort.«
»Darcys Mutter brachte einen Wurf von vier Töchtern zur Welt, die alle genetisch verändert waren und den Werwölfen kurz nach ihrer Geburt geraubt wurden.«
»Weshalb wurden sie geraubt?«
»Das bleibt ein Geheimnis, das von Salvatore niemals vollständig geklärt wurde.« In der Stimme des Anasso lag ein scharfer Unterton, der darauf hinwies, dass er nicht erfreut über diesen Mangel an Information war. »Was wir jedoch wissen, ist, dass eine von Darcys Schwestern in St. Louis entdeckt wurde, wo sie von einem Kobold namens Culligan gefangen gehalten wurde.«
»Er hat Glück, dass sie nicht imstande ist, sich zu verwandeln. Eine Rassewölfin könnte einem Kobold die Kehle herausreißen.«
»Nach dem, was Salvatore herausfinden konnte, gelang es dem Kobold, Regan in seine Gewalt zu bekommen, als sie noch ein Kind war. Er hielt sie in einem mit Silber überzogenen Käfig gefangen. Das heißt, wenn er sie nicht gerade folterte, um schnell an Geld zu gelangen.«
Folter.
Die niederländischen Meisterwerke, die an den Wänden hingen, krachten unter Jagrs aufflammendem Zorn zu Boden. »Wünscht Ihr, dass die Werwölfin gerettet wird?«
Styx verzog das Gesicht. »Salvatore befreite sie bereits aus Culligans Gewalt, aber es gelang dem verdammten Kobold, sich wegzustehlen, bevor Salvatore ihn zum Nachtmahl verspeisen konnte.«
Die Hoffnung, die für einen kurzen Moment in Jagr aufflackerte, dass diese Nacht nicht eine vollkommene Zeitverschwendung sein möge, fand ein jähes Ende. Bastarde niederzumetzeln, die die Schwachen quälten, gehörte zu seinen wenigen Freuden.
»Wenn die Frau bereits gerettet wurde, wozu braucht Ihr dann mich?«
Styx richtete sich auf. Sein turmhoher Körper nahm einen beträchtlichen Teil des Platzes in dem Büro ein.
»Salvatores einziges Interesse an Regan bestand darin, sie als seine Königin und Hauptzuchtwölfin einzusetzen. Er ist fest entschlossen, seine Machtbasis abzusichern, indem er sich eine Gefährtin nimmt, die in der Lage ist, die schrumpfende Population an Rassewölfen wiederherzustellen. Unglücklicherweise fand er nach Regans Befreiung heraus, dass sie unfruchtbar ist.«
»Also war sie nicht von Nutzen.«
»Genau.« Der hoch aufragende Azteke achtete darauf, seine Fassung nicht zu verlieren, doch selbst ein Dummkopf hätte spüren können, dass er nichts dagegen einzuwenden gehabt hätte, den Werwolfkönig zu einer Zwischenmahlzeit zu verarbeiten. »Aus diesem Grunde nahm er Kontakt zu Darcy auf. Es war seine Absicht, Regan nach Chicago zu schicken. Sie sollte unter meinem Schutz stehen, bis er sie in das örtliche Werwolfrudel eingeführt hätte.«
»Und?«
»Und es gelang ihr zu fliehen, während er sich mit dem Rudelführer beriet.«
Jagr grunzte vor Abscheu. »Dieser Salvatore ist erbärmlich unfähig. Zuerst lässt er den Kobold entkommen und dann die Frau. Es ist kaum ein Wunder, dass die Anzahl der Werwölfe schrumpft.«
»Lasst uns hoffen, dass Ihr fähiger seid.«
Jagr erhob sich mit kalter Miene. »Ich?«
»Darcy ist besorgt um ihre Schwester. Ich will, dass sie gefunden und nach Chicago gebracht wird.«
»Diese Frau hat recht deutlich gezeigt, dass sie nicht herkommen will.«
»Dann wird es Eure Aufgabe sein, sie davon zu überzeugen.«
Jagrs Augen verengten sich. Er war keine verdammte Mary Poppins. Verdammt, er würde Mary Poppins zum Frühstück verspeisen.
»Weshalb gerade ich?«
»Ich habe bereits mehrere meiner besten Fährtenleser nach St. Louis geschickt, doch Ihr seid mein bester Krieger. Falls es Regan gelungen sein sollte, in Schwierigkeiten zu geraten, wird Eure Hilfe vonnöten sein, um sie zu retten.«
Zweifelsohne gab es schlimmere Dinge, als hinter einer genetisch veränderten Werwölfin herzujagen, die eindeutig nicht gefunden werden wollte, aber aus dem Stegreif fiel ihm keines ein.
Im Nebenzimmer ertönte wieder der Klang eines Streichquartetts, begleitet von den leisen Ohs und Ahs des Publikums, als die Tauelfen ihren grazilen Tanz fortsetzten. Jagr fiel mit einem Mal eine Sache ein, die schlimmer war, als die Werwölfin zu verfolgen.
Weiterhin in diesem Höllenloch gefangen zu sein. »Weshalb sollte ich das tun?«, fragte er.
»Weil das, was Darcy glücklich macht, auch mich glücklich macht.« Styx näherte sich Jagr, bis sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten, und seine Macht grub sich in Jagrs Fleisch. »Ist das klar genug?«
»Schmerzlich klar.«
»Gut.« Styx trat einen Schritt zurück und lockerte seine Macht. Er griff mit der Hand unter seinen Ledermantel, zog ein Mobiltelefon heraus und warf es Jagr zu. »Hier. In dem Telefonspeicher sind die Nummern der Brüder zu finden, die ebenfalls nach Regan suchen, sowie Kontakte in St. Louis. Außerdem ist meine Privatnummer eingespeichert. Nehmt Kontakt zu mir auf, wenn Ihr Regan findet.«
Jagr steckte das Handy ein und steuerte auf die Tür zu. Es hatte keinen Zweck zu diskutieren. Styx bemühte sich, die Vampire aus ihrer barbarischen Vergangenheit zu holen, aber es herrschte durchaus keine Demokratie.
Nicht einmal annähernd.
»Ich werde noch in dieser Stunde aufbrechen.«
»Jagr.«
Jagr blieb an der Tür stehen und wandte sich mit glühendem Zorn um. »Was?«
Styx zuckte nicht einmal mit der Wimper. »Vergesst keinen Augenblick, dass Regan eine kostbare Fracht ist. Falls ich herausfinde, dass Ihr auch nur einen Bluterguss auf ihrer hübschen Haut hinterlassen habt, werdet Ihr nicht erfreut über die Konsequenzen sein.«
»Also soll ich eine wütende Werwölfin aufspüren, die nicht gefunden werden will, und sie nach Chicago bringen, ohne Spuren zu hinterlassen?«
»Offensichtlich waren die Gerüchte über Eure außerordentliche Intelligenz nicht übertrieben, mein Bruder.«
Mit einem Fauchen drehte sich Jagr um und stürmte durch die zerstörte Türöffnung. »Ich bin nicht Euer Bruder.«
Viper beobachtete Jagrs zornigen Abgang mit wachsamem Blick. Tatsächlich war die Angelegenheit nicht so schlecht verlaufen, wie er befürchtet hatte. Kein Tod, keine Verstümmelung. Nicht einmal bleibende Verletzungen.
Das war stets von Vorteil.
Dennoch, er kannte Jagr zu gut. Er hatte immer gewusst, dass von all seinen Clanangehörigen der uralte Westgote der wildeste war. Nach allem, was er hatte erdulden müssen, war das verständlich, aber es änderte nichts daran, dass er gefährlich war. Viper begann die Tatsache zu bedauern, dass er Styx' Aufmerksamkeit auf den gefolterten Vampir gelenkt hatte.
Viper schlüpfte an den Dämonen vorbei, die erneut gebannt von den Tauelfen dasaßen, kehrte ins Büro zurück und stellte fest, dass Styx aus dem Fenster starrte. »Ich habe ein schlechtes Gefühl, was diese Angelegenheit angeht«, murmelte er, während er seine kostbaren Gemälde in Augenschein nahm, die zerschmettert auf dem Boden lagen.
Styx drehte sich mit verschränkten Armen um. »War das eine böse Vorahnung? Soll ich Kontakt zur Kommission aufnehmen und ihr mitteilen, dass sie möglicherweise ein Orakel haben?«
Viper wölbte warnend eine Braue. »Nur wenn du willst, dass ich dich das nächste Jahrhundert zusammen mit Levet in eine Zelle sperre.«
Styx brach in ein scharfes Gelächter aus. »Diese Drohung wäre überzeugender, wenn Levet nicht zu der Ansicht gelangt wäre, er sei der Einzige, der imstande ist, Darcys verschwunde- ne Schwester aufzuspüren. Er machte sich auf den Weg nach St. Louis, sobald Salvatore mir mitgeteilt hatte, Regan sei aus seiner Gewalt entkommen.«
»Perfekt, nun gibt es zwei wandelnde Pulverfässer, die durch Missouri stürmen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Einheimischen das überleben werden.«
»Du glaubst, Jagr sei ein wandelndes Pulverfass?«
Viper verzog das Gesicht. Er rief sich die Nacht ins Gedächtnis, in der Jagr bei seinem Versteck aufgetaucht war und um Asyl gebeten hatte. Er war einer Unmenge an tödlichen Dämonen begegnet, von denen die meisten nichts anderes wollten, als ihn zu töten. Jedoch hatte er bis zu jener Nacht niemals in die Augen eines anderen geblickt und nichts außer dem Tod gesehen.
»Ich glaube, unter all der grimmigen Selbstbeherrschung steht er kurz davor, in den Wahnsinn abzugleiten.«
»Und dennoch erlaubtest du es ihm, ein Angehöriger des Clans zu werden.«
Viper zuckte mit den Achseln. »Als er mich darum ersuch- te, war ich zunächst geneigt, ihm diese Bitte abzuschlagen. Ich konnte spüren, dass er nicht nur gefährlich kurz davorstand abzustürzen, sondern dass er auch mächtig und aggressiv genug ist, um mich als Clanchef herauszufordern. Er ist von Natur aus ein Anführer, kein Gefolgsmann.«
»Weshalb hast du es ihm dann gestattet, Chicago zu betreten?«
»Weil er einen Eid ablegte, in seinem Versteck zu verschwinden und keine Schwierigkeiten zu verursachen.«
»Und?«, drängte Styx.
»Und ich wusste, er würde ohne den Schutz durch einen Clan nicht überleben«, gestand Viper widerstrebend. »Wir wissen beide, dass trotz deiner Versuche, die Vampire zu zivilisieren, manche Gewohnheiten zu tief sitzen, als dass sie leicht zu ändern wären. Ein aggressiver, einzelgängerischer Vampir mit dermaßen großer Macht erschiene jedem Chef als Bedrohung. Er würde vernichtet werden.«
»Also gewährtest du ihm Gnade.«
Viper runzelte die Stirn. Es gefiel ihm nicht, für etwas anderes als einen erbarmungslosen Bastard gehalten zu werden. Er war nicht wegen seiner Sensibilität oder irgendeines anderen Unsinns Clanchef geworden. Er war der Anführer, weil die anderen Vampire befürchteten, er könne ihnen ihre untoten Herzen herausreißen.
»Es war nicht Gnade, sondern eine kalkulierte Entscheidung«, knurrte er. »Ich wusste, dass er sich als außerordentlich wertvoller Verbündeter erwiese, falls jemals die Notwendigkeit bestünde. Natürlich nahm ich an, ich würde ihn als Krieger benötigen, nicht als Hüter für eine junge, verletzliche Werwölfin. Ich fühle mich nicht vollkommen wohl dabei, ihn auf eine solche Mission zu schicken.«
Styx griff nach dem Medaillon, das immer um seinen Hals hing, wodurch er bewies, dass er nicht annähernd so überzeugt von seiner Entscheidung war, wie er Viper glauben machen wollte.
»Regan muss gefunden werden, und Jagr verfügt über die Intelligenz und die Fertigkeiten, die am besten geeignet sind, um sie aufzuspüren und in Sicherheit zu bringen. Und er besitzt noch eine weitaus bedeutendere Fähigkeit.«
»Es kann wohl nicht seine charmante Persönlichkeit sein.«
»Nein, es ist die Tatsache, dass er die Qualen sehr genau kennt, die Regan erleiden musste.« Styx sah Viper mit ernster Miene an. »Besser als jeder von uns wird er verstehen, was Regan benötigt, nun, da sie von ihrem Peiniger befreit ist.«
Übersetzung: Kim Kerry
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by
Diana verlag, München, in der verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Alexandra Ivy
Ivy, AlexandraUnter dem Pseudonym Alexandra Ivy veröffentlicht die bekannte Regency-Liebesroman-Autorin Deborah Raleigh ihre Vampirromane. Deborah Raleigh begann ihre Schreibkarriere als Autorin von Drehbüchern, wendete sich aber bald dem Liebesroman zu. Heute hat sie über dreißig erfolgreiche Romane publiziert. Sie ist Mutter von zwei Kindern und lebt mit ihrer Familie in Missouri.
Bibliographische Angaben
- Autor: Alexandra Ivy
- 2011, 480 Seiten, Maße: 11,7 x 18,7 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Kerry, Kim
- Übersetzer: Kim Kerry
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453355474
- ISBN-13: 9783453355477
- Erscheinungsdatum: 11.04.2011
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