Im Schatten des Feuerbaums / Chile-Saga Bd.3
Roman. Originalausgabe
Die beiden Frauen Victoria und Aurelia kämpfen in Chile Anfang des 20. Jhs. um ihr Lebensglück. Aurelia ist eine talentierte Malerin, aber als sie den reichen Bankierssohn Tiago heiratet, vernachlässigt sie ihre Berufung. Victoira dagegen...
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Produktinformationen zu „Im Schatten des Feuerbaums / Chile-Saga Bd.3 “
Die beiden Frauen Victoria und Aurelia kämpfen in Chile Anfang des 20. Jhs. um ihr Lebensglück. Aurelia ist eine talentierte Malerin, aber als sie den reichen Bankierssohn Tiago heiratet, vernachlässigt sie ihre Berufung. Victoira dagegen ist emanzipiert und kämpft für die Rechte der Frauen und Arbeiter. Wie wird sich das Schicksal der beiden Frauen entscheiden?
Klappentext zu „Im Schatten des Feuerbaums / Chile-Saga Bd.3 “
Santiago de Chile zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Hier kämpfen die beiden jungen Frauen Victoria und Aurelia um die Erfüllung ihrer Lebensträume. Aurelia ist eine begabte Malerin und wird bereits als Jahrhunderttalent gerühmt. Doch als der reiche Bankierssohn Tiago um sie wirbt, stellt sie ihre Berufung hinter ihr Liebesglück. Während Victoria für die Rechte der Frauen und Arbeiter streitet, gerät Aurelias Ehe in Gefahr, denn der beste Freund ihres Mannes macht ihr heftige Avancen. In der Glut der Atacama-Wüste entscheidet sich das Schicksal der beiden Frauen ... Süffig, spannend, exotisch!
Die Chile-Saga voller Exotik und Leidenschaft!
Santiago de Chile um 1909: Die beiden jungen Frauen Victoria und Aurelia kämpfen um die Erfüllung ihrer Lebensträume. Aurelia ist eine begabte Malerin und wird bereits als Jahrhunderttalent gerühmt. Doch als der reiche Unternehmersohn Tiago um sie wirbt, stellt sie ihre Berufung hinter ihr Liebesglück. Während Victoria für die Rechte der Frauen streitet, gerät Aurelias Ehe in Gefahr, denn Tiagos bester Freund setzt alles daran, sie zu verführen.
In der Glut der Atacamawüste entscheidet sich das Schicksal der beiden Frauen ...
Santiago de Chile um 1909: Die beiden jungen Frauen Victoria und Aurelia kämpfen um die Erfüllung ihrer Lebensträume. Aurelia ist eine begabte Malerin und wird bereits als Jahrhunderttalent gerühmt. Doch als der reiche Unternehmersohn Tiago um sie wirbt, stellt sie ihre Berufung hinter ihr Liebesglück. Während Victoria für die Rechte der Frauen streitet, gerät Aurelias Ehe in Gefahr, denn Tiagos bester Freund setzt alles daran, sie zu verführen.
In der Glut der Atacamawüste entscheidet sich das Schicksal der beiden Frauen ...
Lese-Probe zu „Im Schatten des Feuerbaums / Chile-Saga Bd.3 “
Im Schatten des Feuerbaums von Carla FedericoProlog
PATAGONIEN 1920
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Heulend machte der Wind Jagd auf die Wolken. Dick und weiß hatten sie sich am Himmel zusammengeballt und am Ende des Horizonts leicht bläulich verfärbt. Nun fuhr der Wind durch sie hindurch wie die Hütehunde durch die Schafherde und zerrte so lange an ihnen, bis strahlend blauer Himmel dahinter hervortrat, der nur dann und wann von der Ahnung eines Rostbrauns unterbrochen wurde. Auch als der Tag sich schließlich dem Ende zuneigte, war der Wind nicht bereit, der Nacht zu weichen.
Das Licht wurde trüber, aber Aurelia hörte nicht auf, zu malen. Sie achtete nicht auf ihre flatternde Kleidung, nicht auf Sand und Staub, die ihr ins Gesicht prasselten, nicht darauf, dass die Leinwand - aus gebleichter Guanakohaut gefertigt - vom Rahmen gezerrt zu werden drohte.
Ruhig trug sie Farbe um Farbe auf und malte, was sie sah: die braune Erde, den leuchtenden Feuerbaum, das rote Abendglühen, den sich verdunkelnden Himmel. Die Farbe für Letzteren war aus dem Saft der Calafaten gemacht, blauen Beeren, die süß schmeckten und all jene, die magere Kost gewohnt waren, zu einem Sprichwort verleitet hatten: Wer je diese Beeren gegessen hätte, sei Patagonien verfallen und käme immer wieder zurück. Nicht nur die Farben der Beeren hatte sie der Natur entliehen, die hier karg, wild und widerstandsfähig war, auf einem Fleckchen Erde, das die einen verwunschen und einsam nannten, das für andere aber - so wie sie - ein Sehnsuchtsland war. Auch die Erde schenkte viele Farben, denn nur für den ungeübten Betrachter verhieß sie eintöniges Braun. Für den Maler jedoch gab es in den Schichten des Bodens viele geheime Schätze zu entdecken, sämtliche Nuancen von Ocker, Grün, Grau, Braun und Rot.
Aurelia liebte die Farben und den Geruch, den sie verströmten, und sie liebte die Erde, auf der sie stand, ohne zu wanken. Nicht länger fürchtete sie, diese Erde würde an ihr kleben, würde die Fingernägel verdunkeln und würde für andere nicht Zeichen ihrer Heimatverbundenheit sein, sondern schlichtweg von Dreck und Armut künden. Diese Angst war von den letzten Jahren in Patagonien ebenso verscheucht worden wie die Wolken am Himmel vom Wind.
Nach diesem Himmel, nach dem struppigen Steppengras, nach den violett schimmernden Spitzen der Kordilleren, nach den rötlichen Hügeln und dem sumpfigen Teich in der Ferne malte sie zwei Menschen. Sie standen im Schatten eines Feuerbaums mit leuchtenden Blüten, unter deren Fülle sich die Äste bogen, und ledrig wirkenden, dunkelgrünen Blättern, die im Wind wogten. Da sie nur von hinten zu sehen waren, war nicht zu erahnen, ob sie alt oder jung waren, lächelten oder weinten, zu den Reichen oder zu den Armen gehörten. Einzig die Kleidung verriet, dass sie Mann und Frau waren. Aurelia hatte viele ähnliche Bilder gefertigt, jüngstens erst hochgelobte Bilder, die manche in die Nähe der naiven Malerei rückten, andere als faszinierendes Beispiel für den Kolonialismus bezeichneten, wieder andere dem Naturalismus zuordneten. Nicht zuletzt wegen der Farben und der Guanakohaut der Leinwand galten sie als einzigartig: Material und Motiv schienen eins zu sein. Fast immer wählte sie das gleiche Motiv - die Weite Patagoniens und zwei Menschen, die inmitten der Landschaft standen, winzig anmutend, weil in diesen Breitengraden die Natur um so viel mächtiger scheint als der Mensch. Die beiden waren ganz allein, aber nicht einsam, denn sie hatten einander, hielten sich an den Händen und liebten sich so sehr, dass sie - für die Dauer, da sie im Wind standen und der sinkenden Sonne zusahen - einander genug waren.
Aurelia trat zurück, nachdem sie das Bild vollendet hatte, und es traten Tränen in ihre Augen - Ausdruck von Schmerz, den diese Liebe in ihr Leben gebracht hatte, und Ausdruck von Dankbarkeit, weil sie diese Liebe erfahren hatte dürfen.
Das Bild verschwamm vor ihren Augen, sie hörte den Wind nicht länger stöhnen.
»Tiago«, murmelte sie. »Tiago ...«
Erst nach einer Weile klärte sich ihr Blick wieder, und sie konnte das Bild etwas nüchterner betrachten. Vielleicht war es das schönste, das sie je gemalt hatte. Ja, die Farben waren so kräftig, verhießen Weite und Wildheit, Liebe und Fruchtbarkeit, Einsamkeit und Freiheit, Luxus und Armut, Glück und Trauer, Gewinn und Verlust. All das hatte sie erfahren, vieles davon überreich, und so wurden aus den Farben des Bildes gleichsam die Farben ihres Lebens.
1. KAPITEL
Aurelia hatte keine Hand frei, um sich an der Reling festzuhalten. Mit der einen hielt sie ihre Reisetasche, in der sich neben frischer Kleidung ein wenig Geld und die Fahrkarte für die Rückfahrt befanden, mit der anderen die Mappe, die ihren kostbarsten Schatz barg. Der Wind zerrte daran, blähte obendrein ihr Kleid und drohte den Hut fortzuwehen, dessen Bänder sie am Kinn nur locker zusammengebunden hatte. Noch schlimmer als der Wind war das Gedränge. Sie fürchtete jeden Augenblick zu stolpern und zu fallen. Die Reise von Patagonien nach Valparaíso hatte zwar nur drei Wochen gedauert, doch die meisten Passagiere hatten es so eilig, an Land zu kommen, als wären es Monate gewesen. Aurelia konnte ihre Schritte nicht mehr selbst bestimmen, sondern nur ihren Besitz umklammern, sich irgendwie aufrecht halten und sich treiben lassen.
Zunächst war ihr Blick auf Valparaíso von den vielen Köpfen verstellt, doch nachdem immer mehr Menschen vom Schiff stürmten, wurde es etwas lichter, und sie sah die Stadt, die aus der Ferne betrachtet einem riesigen Amphitheater glich. Häuser schmiegten sich eng an die Bucht, schmale Straßen führten steile Berghänge hinauf, der Ascenso Peral, der Schrägaufzug, ratterte hinauf und hinunter. Aurelia war neugierig, wie es sich anfühlen würde, damit zu fahren. Die Kabine, die herabfuhr, so hieß es, zog mit ihrem Gewicht die andere hinauf, und falls einmal zu wenige Passagiere darin saßen, wurde sie einfach mit Wassertanks beladen.
Die Begeisterung für dieses Wunderwerk der Technik, das es im heimatlichen Patagonien natürlich nicht gab, schwand, als Aurelia die Spuren der Zerstörung sah, die das große Erdbeben von 1906 hinterlassen hatte. Obwohl das drei Jahre her war, lagen noch immer viele Häuser in Trümmern.
Dann hatte sie keine Zeit mehr, die Stadt zu betrachten, sondern musste sich - je näher sie der Rampe kam, die zum Hafen führte - ganz auf ihre nächsten Schritte konzentrieren. Ein Ellbogen rammte sich in ihren Leib, jemand trat ihr auf die Zehen.
»He! «, rief sie empört. Beinahe hätte sie vor Schreck ihre Mappe fallen gelassen und umklammerte sie darum umso heftiger. In der Mappe befanden sich ihre Zeichnungen - einige hatte sie aus Patagonien mitgebracht, andere während der Schiffsfahrt angefertigt, wo sie täglich neue Motive entdeckt hatte. Und wie viel es wohl erst hier in Valparaíso zu zeichnen gäbe!
Trotz des Gedränges überkam sie hitzige Vorfreude, bis sie sich wieder in Gedanken rief, dass eine traurige Pflicht sie hierherführte. Sie seufzte. Natürlich hatte sie großes Mitleid mit Victoria, und es würde nicht leicht sein, ihr Trost zu spenden, dennoch blieb die weite Reise das größte Abenteuer ihres Lebens. Vierundzwanzig Jahre währte dieses, und all die Zeit hatte sie in Patagonien gelebt, wo es nie so viele Menschen wie hier zu sehen gab, nicht dieses weiche, warme Licht, nicht diesen Reichtum an Farben. Der Wind war hier genauso lästig wie dort, und doch, als sie nun die Rampe betrat und auf den schmalen Holzbrettern das Schiff verließ, überkam sie ein Gefühl von Freiheit. Kurz verhießen die vielen drängenden Leiber nicht nur Lärm und Geschäftigkeit, sondern Lebendigkeit und einen neuen Anfang.
Als sie endlich auf festem Boden stand, bebten ihr die Knie.
Sie sollte abgeholt werden, aber es war kein Treffpunkt vereinbart worden, und während sie stehen blieb und suchend um sich sah, fiel ihr Blick auf eine Familie. Drei Söhne scharten sich um ihre Eltern, wirkten nicht minder aufgeregt als sie selbst, starrten in sämtliche Richtungen und stellten wissbegierig Fragen zu der Stadt, die man die Perle des Pazifiks nannte. Obwohl sie noch viel kleiner waren, erinnerten die Buben Aurelia an ihre drei Brüder. Wie oft hatte sie sie gezeichnet, und wie gerne würde sie nun auch diese Familie festhalten!
Derart im Anblick der Fremden versunken, merkte sie nicht, dass sie einem Mann im Weg stand. Er versetzte ihr einen schmerzhaften Stoß, als er an ihr vorbeihastete, und anders als bisher konnte sie ihr Gleichgewicht nicht wahren. Sie stolperte, fiel auf die Knie und ließ für einen Augenblick die Tasche fallen. Als sie sich danach bückte, um sie wieder zu ergreifen, rutschte ihr der Hut vom Kopf, und es fielen ihr die langen Haare ins Gesicht - die glatten, schwarzen, glänzenden Haare, die sie von ihrer Mutter Rita, einer halben Mapuche, geerbt hatte. Obwohl sie nichts mehr erkennen konnte, bekam sie die Tasche dennoch zu fassen, aber in diesem Augenblick erfasste sie ein neuerlicher Windstoß und fegte ihr die Mappe mit den Zeichnungen aus der Hand.
»Verflucht!«, schrie sie.
Zart und klein wie ein Mädchen sei sie, spottete ihr Stiefvater Balthasar oft gutmütig, und so hübsch, dass man von ihrem Anblick blind zu werden drohte, aber fluchen könne sie so herzhaft wie ein Mann.
Aurelia schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht und sah, dass die Mappe aufgerissen war und die Zeichnungen immer weiter von ihr fortgeweht wurden. Die drei Knaben, die sie beobachtet hatten, deuteten darauf und lachten. Geschwind flitzte sie den Bildern nach, bekam Papier um Papier zu fassen - ein Porträt ihrer Mutter, ein Landschaftsbild von Patagonien, eine Skizze vom Deck des Schiffs. Der Wind schien sie zu necken, ließ sie ganz nahe an weitere Blätter herankommen und wirbelte sie im letzten Augenblick davon. Erst nach einiger Zeit schien ihm das Spiel zu langweilig zu werden, und er ließ von ihnen ab. Als Aurelia endlich alle Zeichnungen eingesammelt hatte, war sie schweißüberströmt. Sie setzte ihren Hut auf, blickte sich um - und erschrak.
Die Angst um ihre Bilder hatte sie so sehr vereinnahmt, dass sie nicht weiter auf ihre Tasche geachtet hatte, und diese lag nun nicht mehr auf dem staubigen Boden des Hafens. Ein Fremder hielt sie an sich gerafft und lief durch die Menge davon.
Wut gleißte wie eine Flamme in ihr auf. Sie achtete weder auf ihre offenen Haare noch den erneut verrutschten Hut, sondern hastete dem Mann hinterher, der sich offenbar sicher genug fühlte, um kurz stehen zu bleiben und die Tasche zu durchwühlen. Eines jener russischen Schimpfworte, die sie von Ana, einer Freundin ihrer Mutter, gelernt hatte, kam Aurelia über die Lippen, und obwohl es im Trubel des Hafens laut war, fühlte der Dieb sich angesprochen. Er hob den Kopf, blickte kurz entgeistert in ihr zornverzerrtes Gesicht und floh dann hastig, indem er sich grob an den Menschen vorbeidrängte, die ihm den Weg verstellten. Aurelia war nicht ganz so grob, aber dennoch so schnell wie er.
Sie wurde blind für die fremde Stadt, sah nur den Mann, ihre Tasche und den Boden unter ihren Füßen. Schon hatten sie den Hafen verlassen und die Planchada erreicht, die schlecht gepflasterte Hauptstraße, die von einer Staubschicht bedeckt war. Etwas weniger Menschen verstellten ihr hier den Weg, stattdessen hielten sie mehrere Fuhrwerke auf, die sie unter den Flüchen der Kutscher umrundete.
Endlich holte sie den Mann ein, umkrallte die Tasche und zog mit aller Macht an ihr. Leider war der Dieb dreister als erwartet. Anstatt sie prompt loszulassen, hielt er die Beute fest und versetzte ihr mit der freien Hand einen Stoß. Als seine Faust sie auf der Brust traf, stockte ihr der Atem. Eben noch war die Wut ihr stärkstes Gefühl gewesen, nun wich sie erst dem Schmerz, dann der Ohnmacht und schließlich einer unliebsamen Erinnerung - der Erinnerung daran, was ihr einst als kleines Mädchen zugestoßen war. Stark, unbesiegbar, selbstsicher hatte sie sich zuvor gefühlt - nach all den Ängsten, die sie dann aber hatte ausstehen müssen, war sie lange Zeit nur ein Schatten ihrer selbst geblieben. Wie gelähmt hatte sie sich damals gefühlt - wie auch in diesem Moment.
Ihr Griff lockerte sich, der Dieb entriss ihr mit einem Ruck die Tasche und rannte davon. Als er sich ein letztes Mal umdrehte, glaubte sie ihn grinsen zu sehen, doch obwohl die Wut nun zurückkehrte und sie drohend die Faust erhob, war sie unfähig, auch nur einen Schritt zu machen.
Der Triumph des Mannes währte allerdings nicht lange. Nach kaum fünf Schritten ragte wie aus dem Nichts eine Hand auf und packte ihn. Sie sah einen Mann, nicht sonderlich groß, aber breit, dann ein Gerangel, bei dem die beiden Körper zu verschmelzen schienen, schließlich eine Faust auf den Dieb eindreschen. Die Tasche entglitt ihm, ehe er zu Boden ging und sich stöhnend wälzte. Es gelang ihm zwar, sich aufzurappeln, aber er versuchte gar nicht erst, die Tasche noch einmal an sich zu bringen, sondern hastete stolpernd davon.
Erst als der fremde Retter in der Not auf sie zutrat, konnte sich Aurelia aus der Starre lösen. Sie war viel zu aufgeregt, um den Mann zu mustern, sondern griff nur hastig nach der Tasche, die er ihr reichte. Die Erinnerungen an das, was ihr als Kind widerfahren war, verblassten.
...
© 2012 Knaur Taschenbuch
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Heulend machte der Wind Jagd auf die Wolken. Dick und weiß hatten sie sich am Himmel zusammengeballt und am Ende des Horizonts leicht bläulich verfärbt. Nun fuhr der Wind durch sie hindurch wie die Hütehunde durch die Schafherde und zerrte so lange an ihnen, bis strahlend blauer Himmel dahinter hervortrat, der nur dann und wann von der Ahnung eines Rostbrauns unterbrochen wurde. Auch als der Tag sich schließlich dem Ende zuneigte, war der Wind nicht bereit, der Nacht zu weichen.
Das Licht wurde trüber, aber Aurelia hörte nicht auf, zu malen. Sie achtete nicht auf ihre flatternde Kleidung, nicht auf Sand und Staub, die ihr ins Gesicht prasselten, nicht darauf, dass die Leinwand - aus gebleichter Guanakohaut gefertigt - vom Rahmen gezerrt zu werden drohte.
Ruhig trug sie Farbe um Farbe auf und malte, was sie sah: die braune Erde, den leuchtenden Feuerbaum, das rote Abendglühen, den sich verdunkelnden Himmel. Die Farbe für Letzteren war aus dem Saft der Calafaten gemacht, blauen Beeren, die süß schmeckten und all jene, die magere Kost gewohnt waren, zu einem Sprichwort verleitet hatten: Wer je diese Beeren gegessen hätte, sei Patagonien verfallen und käme immer wieder zurück. Nicht nur die Farben der Beeren hatte sie der Natur entliehen, die hier karg, wild und widerstandsfähig war, auf einem Fleckchen Erde, das die einen verwunschen und einsam nannten, das für andere aber - so wie sie - ein Sehnsuchtsland war. Auch die Erde schenkte viele Farben, denn nur für den ungeübten Betrachter verhieß sie eintöniges Braun. Für den Maler jedoch gab es in den Schichten des Bodens viele geheime Schätze zu entdecken, sämtliche Nuancen von Ocker, Grün, Grau, Braun und Rot.
Aurelia liebte die Farben und den Geruch, den sie verströmten, und sie liebte die Erde, auf der sie stand, ohne zu wanken. Nicht länger fürchtete sie, diese Erde würde an ihr kleben, würde die Fingernägel verdunkeln und würde für andere nicht Zeichen ihrer Heimatverbundenheit sein, sondern schlichtweg von Dreck und Armut künden. Diese Angst war von den letzten Jahren in Patagonien ebenso verscheucht worden wie die Wolken am Himmel vom Wind.
Nach diesem Himmel, nach dem struppigen Steppengras, nach den violett schimmernden Spitzen der Kordilleren, nach den rötlichen Hügeln und dem sumpfigen Teich in der Ferne malte sie zwei Menschen. Sie standen im Schatten eines Feuerbaums mit leuchtenden Blüten, unter deren Fülle sich die Äste bogen, und ledrig wirkenden, dunkelgrünen Blättern, die im Wind wogten. Da sie nur von hinten zu sehen waren, war nicht zu erahnen, ob sie alt oder jung waren, lächelten oder weinten, zu den Reichen oder zu den Armen gehörten. Einzig die Kleidung verriet, dass sie Mann und Frau waren. Aurelia hatte viele ähnliche Bilder gefertigt, jüngstens erst hochgelobte Bilder, die manche in die Nähe der naiven Malerei rückten, andere als faszinierendes Beispiel für den Kolonialismus bezeichneten, wieder andere dem Naturalismus zuordneten. Nicht zuletzt wegen der Farben und der Guanakohaut der Leinwand galten sie als einzigartig: Material und Motiv schienen eins zu sein. Fast immer wählte sie das gleiche Motiv - die Weite Patagoniens und zwei Menschen, die inmitten der Landschaft standen, winzig anmutend, weil in diesen Breitengraden die Natur um so viel mächtiger scheint als der Mensch. Die beiden waren ganz allein, aber nicht einsam, denn sie hatten einander, hielten sich an den Händen und liebten sich so sehr, dass sie - für die Dauer, da sie im Wind standen und der sinkenden Sonne zusahen - einander genug waren.
Aurelia trat zurück, nachdem sie das Bild vollendet hatte, und es traten Tränen in ihre Augen - Ausdruck von Schmerz, den diese Liebe in ihr Leben gebracht hatte, und Ausdruck von Dankbarkeit, weil sie diese Liebe erfahren hatte dürfen.
Das Bild verschwamm vor ihren Augen, sie hörte den Wind nicht länger stöhnen.
»Tiago«, murmelte sie. »Tiago ...«
Erst nach einer Weile klärte sich ihr Blick wieder, und sie konnte das Bild etwas nüchterner betrachten. Vielleicht war es das schönste, das sie je gemalt hatte. Ja, die Farben waren so kräftig, verhießen Weite und Wildheit, Liebe und Fruchtbarkeit, Einsamkeit und Freiheit, Luxus und Armut, Glück und Trauer, Gewinn und Verlust. All das hatte sie erfahren, vieles davon überreich, und so wurden aus den Farben des Bildes gleichsam die Farben ihres Lebens.
1. KAPITEL
Aurelia hatte keine Hand frei, um sich an der Reling festzuhalten. Mit der einen hielt sie ihre Reisetasche, in der sich neben frischer Kleidung ein wenig Geld und die Fahrkarte für die Rückfahrt befanden, mit der anderen die Mappe, die ihren kostbarsten Schatz barg. Der Wind zerrte daran, blähte obendrein ihr Kleid und drohte den Hut fortzuwehen, dessen Bänder sie am Kinn nur locker zusammengebunden hatte. Noch schlimmer als der Wind war das Gedränge. Sie fürchtete jeden Augenblick zu stolpern und zu fallen. Die Reise von Patagonien nach Valparaíso hatte zwar nur drei Wochen gedauert, doch die meisten Passagiere hatten es so eilig, an Land zu kommen, als wären es Monate gewesen. Aurelia konnte ihre Schritte nicht mehr selbst bestimmen, sondern nur ihren Besitz umklammern, sich irgendwie aufrecht halten und sich treiben lassen.
Zunächst war ihr Blick auf Valparaíso von den vielen Köpfen verstellt, doch nachdem immer mehr Menschen vom Schiff stürmten, wurde es etwas lichter, und sie sah die Stadt, die aus der Ferne betrachtet einem riesigen Amphitheater glich. Häuser schmiegten sich eng an die Bucht, schmale Straßen führten steile Berghänge hinauf, der Ascenso Peral, der Schrägaufzug, ratterte hinauf und hinunter. Aurelia war neugierig, wie es sich anfühlen würde, damit zu fahren. Die Kabine, die herabfuhr, so hieß es, zog mit ihrem Gewicht die andere hinauf, und falls einmal zu wenige Passagiere darin saßen, wurde sie einfach mit Wassertanks beladen.
Die Begeisterung für dieses Wunderwerk der Technik, das es im heimatlichen Patagonien natürlich nicht gab, schwand, als Aurelia die Spuren der Zerstörung sah, die das große Erdbeben von 1906 hinterlassen hatte. Obwohl das drei Jahre her war, lagen noch immer viele Häuser in Trümmern.
Dann hatte sie keine Zeit mehr, die Stadt zu betrachten, sondern musste sich - je näher sie der Rampe kam, die zum Hafen führte - ganz auf ihre nächsten Schritte konzentrieren. Ein Ellbogen rammte sich in ihren Leib, jemand trat ihr auf die Zehen.
»He! «, rief sie empört. Beinahe hätte sie vor Schreck ihre Mappe fallen gelassen und umklammerte sie darum umso heftiger. In der Mappe befanden sich ihre Zeichnungen - einige hatte sie aus Patagonien mitgebracht, andere während der Schiffsfahrt angefertigt, wo sie täglich neue Motive entdeckt hatte. Und wie viel es wohl erst hier in Valparaíso zu zeichnen gäbe!
Trotz des Gedränges überkam sie hitzige Vorfreude, bis sie sich wieder in Gedanken rief, dass eine traurige Pflicht sie hierherführte. Sie seufzte. Natürlich hatte sie großes Mitleid mit Victoria, und es würde nicht leicht sein, ihr Trost zu spenden, dennoch blieb die weite Reise das größte Abenteuer ihres Lebens. Vierundzwanzig Jahre währte dieses, und all die Zeit hatte sie in Patagonien gelebt, wo es nie so viele Menschen wie hier zu sehen gab, nicht dieses weiche, warme Licht, nicht diesen Reichtum an Farben. Der Wind war hier genauso lästig wie dort, und doch, als sie nun die Rampe betrat und auf den schmalen Holzbrettern das Schiff verließ, überkam sie ein Gefühl von Freiheit. Kurz verhießen die vielen drängenden Leiber nicht nur Lärm und Geschäftigkeit, sondern Lebendigkeit und einen neuen Anfang.
Als sie endlich auf festem Boden stand, bebten ihr die Knie.
Sie sollte abgeholt werden, aber es war kein Treffpunkt vereinbart worden, und während sie stehen blieb und suchend um sich sah, fiel ihr Blick auf eine Familie. Drei Söhne scharten sich um ihre Eltern, wirkten nicht minder aufgeregt als sie selbst, starrten in sämtliche Richtungen und stellten wissbegierig Fragen zu der Stadt, die man die Perle des Pazifiks nannte. Obwohl sie noch viel kleiner waren, erinnerten die Buben Aurelia an ihre drei Brüder. Wie oft hatte sie sie gezeichnet, und wie gerne würde sie nun auch diese Familie festhalten!
Derart im Anblick der Fremden versunken, merkte sie nicht, dass sie einem Mann im Weg stand. Er versetzte ihr einen schmerzhaften Stoß, als er an ihr vorbeihastete, und anders als bisher konnte sie ihr Gleichgewicht nicht wahren. Sie stolperte, fiel auf die Knie und ließ für einen Augenblick die Tasche fallen. Als sie sich danach bückte, um sie wieder zu ergreifen, rutschte ihr der Hut vom Kopf, und es fielen ihr die langen Haare ins Gesicht - die glatten, schwarzen, glänzenden Haare, die sie von ihrer Mutter Rita, einer halben Mapuche, geerbt hatte. Obwohl sie nichts mehr erkennen konnte, bekam sie die Tasche dennoch zu fassen, aber in diesem Augenblick erfasste sie ein neuerlicher Windstoß und fegte ihr die Mappe mit den Zeichnungen aus der Hand.
»Verflucht!«, schrie sie.
Zart und klein wie ein Mädchen sei sie, spottete ihr Stiefvater Balthasar oft gutmütig, und so hübsch, dass man von ihrem Anblick blind zu werden drohte, aber fluchen könne sie so herzhaft wie ein Mann.
Aurelia schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht und sah, dass die Mappe aufgerissen war und die Zeichnungen immer weiter von ihr fortgeweht wurden. Die drei Knaben, die sie beobachtet hatten, deuteten darauf und lachten. Geschwind flitzte sie den Bildern nach, bekam Papier um Papier zu fassen - ein Porträt ihrer Mutter, ein Landschaftsbild von Patagonien, eine Skizze vom Deck des Schiffs. Der Wind schien sie zu necken, ließ sie ganz nahe an weitere Blätter herankommen und wirbelte sie im letzten Augenblick davon. Erst nach einiger Zeit schien ihm das Spiel zu langweilig zu werden, und er ließ von ihnen ab. Als Aurelia endlich alle Zeichnungen eingesammelt hatte, war sie schweißüberströmt. Sie setzte ihren Hut auf, blickte sich um - und erschrak.
Die Angst um ihre Bilder hatte sie so sehr vereinnahmt, dass sie nicht weiter auf ihre Tasche geachtet hatte, und diese lag nun nicht mehr auf dem staubigen Boden des Hafens. Ein Fremder hielt sie an sich gerafft und lief durch die Menge davon.
Wut gleißte wie eine Flamme in ihr auf. Sie achtete weder auf ihre offenen Haare noch den erneut verrutschten Hut, sondern hastete dem Mann hinterher, der sich offenbar sicher genug fühlte, um kurz stehen zu bleiben und die Tasche zu durchwühlen. Eines jener russischen Schimpfworte, die sie von Ana, einer Freundin ihrer Mutter, gelernt hatte, kam Aurelia über die Lippen, und obwohl es im Trubel des Hafens laut war, fühlte der Dieb sich angesprochen. Er hob den Kopf, blickte kurz entgeistert in ihr zornverzerrtes Gesicht und floh dann hastig, indem er sich grob an den Menschen vorbeidrängte, die ihm den Weg verstellten. Aurelia war nicht ganz so grob, aber dennoch so schnell wie er.
Sie wurde blind für die fremde Stadt, sah nur den Mann, ihre Tasche und den Boden unter ihren Füßen. Schon hatten sie den Hafen verlassen und die Planchada erreicht, die schlecht gepflasterte Hauptstraße, die von einer Staubschicht bedeckt war. Etwas weniger Menschen verstellten ihr hier den Weg, stattdessen hielten sie mehrere Fuhrwerke auf, die sie unter den Flüchen der Kutscher umrundete.
Endlich holte sie den Mann ein, umkrallte die Tasche und zog mit aller Macht an ihr. Leider war der Dieb dreister als erwartet. Anstatt sie prompt loszulassen, hielt er die Beute fest und versetzte ihr mit der freien Hand einen Stoß. Als seine Faust sie auf der Brust traf, stockte ihr der Atem. Eben noch war die Wut ihr stärkstes Gefühl gewesen, nun wich sie erst dem Schmerz, dann der Ohnmacht und schließlich einer unliebsamen Erinnerung - der Erinnerung daran, was ihr einst als kleines Mädchen zugestoßen war. Stark, unbesiegbar, selbstsicher hatte sie sich zuvor gefühlt - nach all den Ängsten, die sie dann aber hatte ausstehen müssen, war sie lange Zeit nur ein Schatten ihrer selbst geblieben. Wie gelähmt hatte sie sich damals gefühlt - wie auch in diesem Moment.
Ihr Griff lockerte sich, der Dieb entriss ihr mit einem Ruck die Tasche und rannte davon. Als er sich ein letztes Mal umdrehte, glaubte sie ihn grinsen zu sehen, doch obwohl die Wut nun zurückkehrte und sie drohend die Faust erhob, war sie unfähig, auch nur einen Schritt zu machen.
Der Triumph des Mannes währte allerdings nicht lange. Nach kaum fünf Schritten ragte wie aus dem Nichts eine Hand auf und packte ihn. Sie sah einen Mann, nicht sonderlich groß, aber breit, dann ein Gerangel, bei dem die beiden Körper zu verschmelzen schienen, schließlich eine Faust auf den Dieb eindreschen. Die Tasche entglitt ihm, ehe er zu Boden ging und sich stöhnend wälzte. Es gelang ihm zwar, sich aufzurappeln, aber er versuchte gar nicht erst, die Tasche noch einmal an sich zu bringen, sondern hastete stolpernd davon.
Erst als der fremde Retter in der Not auf sie zutrat, konnte sich Aurelia aus der Starre lösen. Sie war viel zu aufgeregt, um den Mann zu mustern, sondern griff nur hastig nach der Tasche, die er ihr reichte. Die Erinnerungen an das, was ihr als Kind widerfahren war, verblassten.
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© 2012 Knaur Taschenbuch
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Autoren-Porträt von Carla Federico
Carla Federico ist eine österreichische Autorin, die unter anderem Geschichte studiert hat und heute als freie Autorin in Frankfurt am Main lebt. Ihre große Leidenschaft fürs Reisen hat sie in zahlreiche Länder geführt - und auch auf diverse Kreuzfahrtschiffe. Für ihren Roman hat sie intensive Recherchen betrieben und viele Originalquellen und Reiseberichte von der ersten Kreuzfahrt studiert, um detailgenau das Bordleben und die Landausflüge zu beschreiben.
Bibliographische Angaben
- Autor: Carla Federico
- 2012, 4. Aufl., 720 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426508524
- ISBN-13: 9783426508527
- Erscheinungsdatum: 16.03.2012
Rezension zu „Im Schatten des Feuerbaums / Chile-Saga Bd.3 “
"Liebe und Leidenschaft, verpasste Chancen und gaaaanz viel Gefühl: Hier ist einfach alles drin! Perfekte Unterhaltung, nicht nur für Chile-Fans." Petra 20120501
Pressezitat
"Liebe und Leidenschaft, verpasste Chancen und gaaaanz viel Gefühl: Hier ist einfach alles drin! Perfekte Unterhaltung, nicht nur für Chile-Fans." Petra 20120501
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