Inge und Mira
Inge und Mira haben beide im Leben schon Licht- und Schattenseiten erlebt. Inge ist Schwedin, hat lange als Lehrerin gearbeitet und schreibt jetzt Bücher. Mira ist mit ihrer Familie nach Pinochets Militärputsch aus Chile geflüchtet und hat in Schweden ein...
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Inge und Mira haben beide im Leben schon Licht- und Schattenseiten erlebt. Inge ist Schwedin, hat lange als Lehrerin gearbeitet und schreibt jetzt Bücher. Mira ist mit ihrer Familie nach Pinochets Militärputsch aus Chile geflüchtet und hat in Schweden ein neues Leben begonnen. Je enger die Freundschaft der beiden Frauen zueinander wird, umso weiter dringen sie in die Vergangenheit vor und stoßen auf verdrängte Erinnerungen an schreckliche Ereignisse.
So hilft ihnen ihre Freundschaft, die Schatten der Vergangenheit abzustreifen.
Marianne Fredriksson wurde in Deutschland vor allem durch "Hannas Töchter" bekannt. In ihrer Heimat Schweden wurde sie für diesen Bestseller 1996 als "Autorin des Jahres" ausgezeichnet. Ihre Bücher sind hochkarätige Literatur und Lebenshilfe zugleich.
Inge undMira von MarianneFredriksson
LESEPROBE
Wir lerneneinander in der Gärtnerei kennen.
Zwischenuns steht ein Tisch auf Rädern, drei Meter breit und sicher acht Meter lang. Erist bedeckt mit Tausenden Stiefmütterchen, einem wogenden Meer von gelb gestreiftemBlau und Violett, wie Sonnengeglitzer auf Wasser.
Sie stehtmir gegenüber. Ihr Gesicht spiegelt meine eigene Freude wider, und ich zeigemit gestrecktem Arm auf die Blumen und sage, das sei unglaublich. Sie antwortetmit einem blendend weißen Lächeln, sagt, dass fast nichts auf der Welt solcheLebensfreude vermittle wie Blumen.
»Höchstenskleine Kinder«, fügt sie hinzu.
Ich kannmir ihre Worte nicht ganz erklären, obwohl sie gut schwedisch spricht.Allerdings mit einem kleinen Akzent, und nun sehe ich, dass sie eineEinwanderin ist, vermutlich Chilenin.
»DerGedanke ist mir noch nie gekommen«, sage ich. »Aber ich glaube, du hast Recht.«
Dann hörenwir den Wind am Dach des hohen Gewächshauses klappern und sind uns einig, dasses noch zu früh ist, Stiefmütterchen zu pflanzen. Es friert noch jede Nacht.
»Und danndieser Wind«, sagt sie.
Wir wickelnuns fester in unsere Jacken und gehen geduckt zwischen den Glashäusern zumLaden.
»Ich heißeIngegerd«, sage ich. »Meistens nennt man mich Inge.«
»Ich heißeEdermira, aber hier in Schweden wird es zu Mira.« Wir nicken zustimmend. Ichbin neugierig auf sie.
Kurz daraufspricht sie schnell und lebhaft mit dem Mädchen hinter dem Ladentisch, fragtnach Zwiebeln für ... Jetzt muss sie innehalten, schließt einen Moment lang dieAugen und nennt einen Namen. Spanisch.
Das Mädchenverzieht die Mundwinkel zu einem unsicheren und gleichzeitig verächtlichenLächeln. Dann lacht sie auf, zuckt mit den Schultern und wendet sich an mich:»Verstehst du, was sie sagt?«
Ichantworte verlegen und schamrot: »Sie fragt nach dieser blauen afrikanischenLilie.«
Ichversuche Miras Blick einzufangen und sage: »Diese Gärtnerei ist aufTulpenzwiebeln spezialisiert. Komm, gehen wir.«
Aber meineStimme versagt, als ich ihren Zorn sehe, blauschwarzen Zorn mit rotemEinschlag, wie entfesselte Elektrizität, die alles an ihr zum Knistern bringt.Ich beginne zu ahnen, welche Energien in ihr schlummern.
Wir gehen.Kämpfen gegen den Wind an, der durch Jacken und Wollpullover dringt.
Ich friere.
Mirascheint die Kälte nichts auszumachen.
Unten amStrand blinzelt die Sonne durchs Grau. Wir finden eine windgeschützte Klippeund wenden die Gesichter dem Licht zu. Ich möchte ihr so vieles sagen, wie sehrich mich schäme, und dass es bei allen Völkern dumme Menschen gibt, und dassdas Gärtnermädchen nur einfältig, aber nicht boshaft ist.
Befangen,fällt mir dazu ein.
Aber ichschweige, es sind ja alles nur Worthülsen, die weder Samen tragen noch Spurenhinterlassen. Ein Gefühl von Hilflosigkeit rumort in meinem Bauch: Nichts kannzurechtgerückt werden.
Impulsivlege ich Mira den Arm um die Schultern, weiß aber sofort, dass ihr das zu vielist. Also ziehe ich ihn zurück und zeige in den Himmel: »Siehst du die Möwen?Die sind auf der Jagd nach Regenwürmern. In meinem Rasen.«
Aber dasinteressiert Mira nicht. Sie sagt: »Ich bin so höllisch auf meine Würdebedacht.«
Jetztkreischt die Möwenschar über unseren Köpfen, und ich muss schreien, um mirGehör zu verschaffen: »Das bin ich auch. Ich glaube, es ist eineAlterserscheinung.«
Dannschweige ich, schäme mich wieder, füge hinzu: »Klar gibt es Unterschiede ...«
»Ja. Ichdenke, Ihnen wird überall Respekt entgegengebracht.«
EineAntwort erübrigt sich.
Der Sonnegelingt das Unmögliche, sie bricht den Himmel auf und färbt ihn violett.
Auch dieSee färbt sich bläulich.
Wir lächelneinander zu, ich sehe, dass der Schimmer auf der honigfarbenen Haut wieder daist. Und dass die hübsche Kurzhaarfrisur sich wieder zurechtlegt.
»Im Herbstwar ich auf Madeira«, sage ich. »Im November, wenn es hier am unerträglichstenist. Im Bazar von Funchal habe ich mir zehn Knollen Agapanthus africanusgekauft. Sie stehen in Töpfen in meinem Glashaus, und mindestens drei haben schongrüne Triebe. Komm mit und such dir zwei davon aus.«
Dannerschrecke ich, weil das vielleicht zu großspurig geklungen hat, und fügehinzu: »Du musst wissen, ich habe nur ein Reihenhaus mit einem kleinen Garten.Dort ist nicht genügend Platz für weitere zehn Töpfe. Und diese Afrikanerwachsen sich ja zu richtigen Büschen aus.«
Jetztkönnen wir endlich lachen.
Wir stehenauf und setzen unseren Weg am Strand entlang fort. Sie geht schnell, machtlange Schritte, zielstrebig. (...)
© WolfgangKrüger Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2000
Übersetzung:Senta Kapoun
Autoren-Porträt vonMarianneFredriksson
Marianne Fredriksson wurde am 28.3.1927 in Göteborg geboren undlebt jetzt in der Nähe von Stockholm. Als Journalistin arbeitete sie lange fürbekannte schwedische Zeitungen und Zeitschriften. 1980 veröffentlichte sie ihrerstes Buch, seitdem hat sie 11 weitere erfolgreiche Romane geschrieben.
- Autor: Marianne Fredriksson
- 2002, 4. Aufl., 240 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Senta Kapoun
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596152364
- ISBN-13: 9783596152360
- Erscheinungsdatum: 01.03.2002
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