Jerusalem
Die Biographie
Die Geschichte Jerusalems ist die Geschichte der Welt
Jerusalem ist die Stadt der Städte, die Hauptstadt zweier Völker, der Schrein dreier Weltreligionen, der Schauplatz des jüngsten Gerichts und der Brennpunkt des Nahost-Konflikts. Jerusalems Geschichte...
Jerusalem ist die Stadt der Städte, die Hauptstadt zweier Völker, der Schrein dreier Weltreligionen, der Schauplatz des jüngsten Gerichts und der Brennpunkt des Nahost-Konflikts. Jerusalems Geschichte...
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Produktinformationen zu „Jerusalem “
Klappentext zu „Jerusalem “
Die Geschichte Jerusalems ist die Geschichte der WeltJerusalem ist die Stadt der Städte, die Hauptstadt zweier Völker, der Schrein dreier Weltreligionen, der Schauplatz des jüngsten Gerichts und der Brennpunkt des Nahost-Konflikts. Jerusalems Geschichte bedeutet 3000 Jahre Glauben, Fanatismus und Kampf, aber auch das Zusammenleben unterschiedlichster Kulturen.
Packend und farbig schildert der Bestsellerautor Sebag Montefiore in seiner fulminanten,reich bebilderte Biographie die zahlreichen Epochen dieser sich ständig wandelnden Stadt, ihre Kriege, Affären, Könige, Propheten, Eroberer, Heiligen und Huren, die diese Stadt mitgeschaffen und geprägt haben. Basierend auf dem neuesten Stand der Forschung und teilweise unbekanntem Archivmaterial macht er die Essenz dieser einzigartigen Stadt greifbar und lässt sie in ihrer Einzigartigkeit leuchten. Denn nur Jerusalem existiert zweimal: im Himmel und auf Erden.
»Eine grandiose Darstellung der unglaublichen Geschichte [von Jerusalem]; ein Mammutwerk, das Maßstäbe setzt. Der Historiker ist ein Erzähler im besten Sinn, und es gelingt ihm das Kunststück, aus einer Flut von Quellen zur 3000-jährigen Geschichte dieser Stadt eine Biografie wie einen spannenden Roman zu schreiben: niemals langweilig, oft überraschend, detailreich und größere Zusammenhänge einbeziehend.«
Westdeutsche Zeitung
»Montefiore erzählt so lebendig, dass man wie bei einem Krimi das Buch nicht aus der Hand legen kann.«
Deutschlandfunk
»Simon Montefiore ist ein wunderbarer Historiker. Immer ist er in der Lage, komplexe Themen einfach dazulegen.«
Die Welt»Dieses gewaltige und glanzvolle Portrait Jerusalems ist von Anfang bis zum Ende absolut überwältigend.«
Sunday Times»Packend, überragend, ein Meisterwerk! Montefiore vereint den Blick eines Romanciers für Nuancen mit dem Spürsinn eines Journalisten für menschliche Schwächen und dem Können großer Historiker, die richtigen Quellen zum Sprechen zu bringen.«
The Times
»Fesselnd! Überzeugend!
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Ein Werk voller Leidenschaft und Gelehrsamkeit. Eine bedeutende Leistung mit einem wundervollem Sinn für die Absurditäten und Abenteuer der Geschichte.«
The Independent
The Independent
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Lese-Probe zu „Jerusalem “
Jerusalem von Simon Sebaq MontefioreVORWORT
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Die Geschichte Jerusalems ist die Geschichte der Welt, zugleich aber auch die Chronik einer meist verarmten Provinzstadt im Bergland Judäas. Einst galt Jerusalem als Mittelpunkt der Welt -- eine Einschätzung, die heute mehr denn je den Tatsachen entspricht: Die Stadt ist Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen den Abrahamitischen Religionen, das Heiligtum eines zunehmend populären christlichen, jüdischen und islamischen Fundamentalismus, strategisches Schlachtfeld eines Kampfes der Kulturen, Frontlinie zwischen Atheismus und religiösem Glauben, Anziehungspunkt säkularer Faszination, Gegenstand schwindelerregender Verschwörungstheorien und Internetmythen und grell beleuchtete Bühne für die Kameras der Welt in einem Zeitalter der Rund-um-die-Uhr-Nachrichtensendungen. Religiöses, politisches und mediales Interesse schüren sich gegenseitig und sorgen dafür, dass Jerusalem stärker denn je im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.
Jerusalem ist die Heilige Stadt, war zugleich aber schon immer ein Hort des Aberglaubens, der Scharlatanerie und Bigotterie; sie war begehrtes Eroberungsziel von Weltreichen, aber ohne strategischen Wert; kosmopolitische Heimat vieler Sekten, die jeweils glauben, Jerusalem gehöre ihnen allein; eine Stadt mit vielen Namen - aber jede Tradition ist so sektiererisch, dass sie jede andere ausschließt. Dieser Ort ist von solcher Besonderheit, dass die jüdischen religiösen Schriften ihn durchgängig als weiblich beschreiben - immer als sinnliche, lebendige Frau, immer als Schönheit, zuweilen aber auch als schamlose Hure oder als verletzte Prinzessin, die von ihren Verehrern im Stich gelassen wurde. Jerusalem ist die Heimat des alleinigen Gottes, die Hauptstadt zweier Völker, das Heiligtum dreier Religionen und die einzige Stadt, die sowohl im Himmel als auch auf der Erde existiert: Die beispiellose Schönheit der irdischen Stadt ist nichts gegen die Herrlichkeit der himmlischen. Allein schon die Tatsache, dass Jerusalem zugleich irdisch und himmlisch ist, bedeutet, dass die Stadt überall sein kann: Auf der ganzen Welt wurden neue Jerusalems gegründet, und jeder hatte seine eigene Vision dieser Stadt. Propheten und Patriarchen, Abraham, David, Jesus und Mohammed sollen an diesem Ort gewandelt sein. Hier wurden die Abrahamitischen Religionen geboren, und hier wird die Welt am Tag des Jüngsten Gerichts enden. Jerusalem, das den Völkern der Bibel heilig war, ist die Stadt der Bibel: In mancherlei Hinsicht ist die Bibel Jerusalems ureigene Chronik, und von den Juden und Frühchristen über die muslimischen Eroberer und die Kreuzritter bis hin zu den heutigen amerikanischen Evangelisten haben ihre Leser wiederholt in die Geschichte der Stadt eingegriffen, um biblische Prophezeiungen in Erfüllung gehen zu lassen.
Als die Bibel ins Griechische und später ins Lateinische und in andere Sprachen übersetzt wurde, entwickelte sie sich zum Universalbuch und machte Jerusalem zur Universalstadt. Jeder große König wurde zu einem David, jedes besondere Volk sah sich als die neuen Israeliten, und jede Hochkultur galt als neues Jerusalem, jene Stadt, die niemandem gehört, aber in der Phantasie eines jeden ihre eigene Existenz führt. Eben das macht sowohl die Tragödie als auch die Magie Jerusalems aus: Jeder, der von Jerusalem träumt, jeder, der im Laufe der Zeiten hierher gekommen ist -- von den Aposteln Jesu über die Soldaten Saladins und die viktorianischen Pilger bis hin zu den heutigen Touristen und Journalisten -, bringt seine Vision des authentischen Jerusalem mit und ist bitter enttäuscht über das, was er vorfindet: eine sich ständig wandelnde Stadt, die viele Male erblüht und wieder verwelkt ist, wieder aufgebaut und erneut zerstört wurde. Aber da es Jerusalem ist, das allen gehört, ist nur das Bild richtig, das sie alle sich gemacht haben; die mangelhafte, synthetische Wirklichkeit muss verändert werden; alle haben das Recht, dieser Stadt ihr eigenes »Jerusalem« aufzuzwingen -- und oft haben sie es mit Schwert und Feuer getan.
Der Historiker Ibn Khaldun, der im 14. Jahrhundert manche der in diesem Buch geschilderten Ereignisse selbst erlebte und uns als Quelle dient, stellte fest, dass Geschichte eifrig gefragt ist: »Die Menschen auf der Straße wollen sie kennen, Könige und Führer wetteifern um sie«. Das gilt besonders für Jerusalem. Es ist unmöglich, eine Geschichte dieser Stadt zu schreiben, ohne anzuerkennen, dass Jerusalem ein Thema, ein Dreh- und Angelpunkt, ja sogar eine tragende Säule der Weltgeschichte ist. In einer Zeit, in der die Macht der Internetmythologie bedeutet, dass sowohl die Hightech-Maus als auch das Krummschwert zu den Waffen desselben fundamentalistischen Arsenals gehören können, ist die Suche nach historischen Tatsachen noch wichtiger, als sie für Ibn Khaldun war.
Eine Geschichte Jerusalems muss sich mit dem Merkmal der Heiligkeit auseinandersetzen. Die Wendung »Heilige Stadt« wird durchgängig verwendet, um die Ehrfurcht vor ihren heiligen Stätten auszudrücken, in Wirklichkeit bedeutet sie jedoch, dass Jerusalem zum zentralen, irdischen Ort für die Kommunikation zwischen Gott und Mensch geworden ist.
Außerdem gilt es die Frage zu beantworten: Warum Jerusalem? Der Ort lag abseits der Handelsrouten der Mittelmeerküste, litt unter Wasserknappheit, sengender Sommersonne und kalten Winterwinden und war von unwirtlichen, zerklüfteten Bergen umgeben. Aber die Wahl Jerusalems als Tempelstadt beruhte teils auf einer persönlichen Entscheidung, teils auf einer organischen Entwicklung: Die Heiligkeit des Ortes nahm immer mehr zu, weil er schon so lange als heilig galt. Heiligkeit erfordert nicht nur Spiritualität und Glauben, sondern auch Legitimität und Tradition. Ein radikaler Prophet, der eine neue Vision präsentiert, muss die vorhergehenden Jahrhunderte erklären und seine Offenbarung in der akzeptierten Sprache und Geographie der Heiligkeit - den Prophezeiungen früherer Offenbarungen und den seit langem verehrten heiligen Stätten - rechtfertigen. Nichts macht eine Stätte heiliger als die Konkurrenz mit einer anderen Religion.
Viele atheistische Besucher fühlen sich von dieser Heiligkeit abgestoßen, weil sie darin den ansteckenden Aberglauben einer Stadt sehen, die von selbstgerechter Bigotterie verseucht ist. Diese Einstellung leugnet jedoch das profunde menschliche Bedürfnis nach Religion, ohne das Jerusalem nicht zu verstehen ist. Religionen müssen vergängliche Freuden und ewige Ängste erklären, die den Menschen vor Rätsel stellen und ihn quälen: Wir müssen eine stärkere Kraft als uns selbst spüren. Wir respektieren den Tod und sehnen uns danach, in ihm einen Sinn zu sehen. Als Begegnungsstätte von Gott und Mensch ist Jerusalem der Ort, an dem diese Fragen in der Apokalypse geklärt werden: am Ende aller Tage, an dem es einen Krieg, einen Kampf zwischen Christ und Antichrist geben wird; an dem die Kaaba von Mekka nach Jerusalem kommen wird; an dem das Jüngste Gericht stattfinden wird, die Toten auferstehen und die Herrschaft des Messias und des himmlischen Königreichs, des Neuen Jerusalem, beginnen wird. Alle drei Abrahamitischen Religionen glauben an die Apokalypse, die Details variieren jedoch je nach Religion und Sekte. Säkularisten mögen das alles für antiquiertes Gerede halten, solche Ideen sind jedoch nur allzu aktuell. In dieser Zeit jüdischen, christlichen und muslimischen Fundamentalismus ist die Apokalypse eine dynamische Triebkraft in der fieberhaften Weltpolitik.
Der Tod ist unser ständiger Begleiter: Seit langem kommen Pilger nach Jerusalem, um hier zu sterben und in der Nähe des Tempelbergs begraben zu werden, damit sie bereit sind zur Auferstehung in der Apokalypse. Die Stadt ist von Friedhöfen umgeben und auf Grabstätten erbaut. Die Menschen verehren mumifizierte Körperteile Heiliger wie die abgetrennte, geschwärzte rechte Hand Maria Magdalenas, die im Raum des griechisch-orthodoxen Patriarchen in der Grabeskirche ausgestellt ist. Viele Heiligtümer und sogar viele Privathäuser sind um Grabstätten gebaut. Die Finsternis dieser Totenstadt rührt nicht nur von einer Art Nekrophilie her, sondern auch von Nekromantie: Die Toten sind hier nahezu lebendig, während sie auf ihre Auferstehung warten. Der endlose Kampf Jerusalems -- Massaker, Chaos, Kriege, Terrorismus, Belagerungen und Katastrophen -- hat diesen Ort zu einem Schlachtfeld gemacht. Aldous Huxley bezeichnete die Stadt als Schlachthaus der Religionen, Flaubert als Beinhaus, Melville als Schädel, belagert von Heerscharen von Toten, und Edward Said wusste, dass sein Vater Jerusalem hasste, weil es ihn an Tod erinnerte.
Die Entwicklung, die dieses Heiligtum des Himmels und der Erde nahm, war nicht immer vom Schicksal bestimmt. Der Funke einer Offenbarung, die ein charismatischer Prophet wie Moses, Jesus oder Mohammed hatte, ließ Religionen entstehen. Tatkraft und Glück eines Kriegsherrn schufen Imperien und eroberten Städte. Die Entscheidungen Einzelner, angefangen bei König David, machten Jerusalem zu Jerusalem. Davids kleine Zitadelle, die Hauptstadt eines unbedeutenden Königreichs, hatte sicher nur geringe Aussichten, zu einem wichtigen Anziehungspunkt der Welt zu werden. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar eine tragende Stütze für die Heiligkeit der Stadt schuf, weil diese Katastrophe die Juden veranlasste, die Herrlichkeit Zions zu schildern und zu preisen. Gewöhnlich führten solche Katastrophen zum Untergang von Völkern. Aber das Überleben der Juden, ihr hartnäckiges Festhalten an ihrem Gott und vor allem die schriftliche Niederlegung ihrer Geschichtsversion in der Bibel schufen die Grundlagen für den Ruhm und die Heiligkeit Jerusalems. Die Bibel trat anstelle des jüdischen Staates und des Tempels und wurde zum »portativen Vaterland«, wie Heinrich Heine es in seinen Geständnissen nannte. Keine andere Stadt hat ihr ureigenes Buch, und kein anderes Buch hat das Schicksal einer Stadt so stark geprägt.
Die Heiligkeit der Stadt erwuchs aus der Besonderheit der Juden als auserwähltes Volk. Jerusalem wurde zur auserwählten Stadt, Palästina zum auserwählten Land, und Christen und Muslime erbten und übernahmen diese herausgehobene Stellung. Die große Heiligkeit Jerusalems und Israels spiegelte sich in der wachsenden religiösen Besessenheit von der Wiederansiedlung der Juden in Israel und in der westlichen Begeisterung für den Zionismus als deren säkulares Äquivalent wider, die von der Reformation im 16. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre herrschten. Seitdem hat die tragische Geschichte der Palästinenser und Jerusalems als ihrer verlorenen Heiligen Stadt die Wahrnehmung Israels verändert. Die westliche Fixierung, dieses Gefühl eines universellen Besitzanspruchs, kann also auf zwei Arten wirken - als Fluch und Segen, als zweischneidiges Schwert. Gegenwärtig äußert es sich darin, dass Jerusalem und der israelisch-palästinensische Konflikt besonders intensiv und emotional betrachtet werden.
Aber nichts ist so einfach, wie es scheint. Häufig wird die Geschichte als Abfolge radikaler Veränderungen und gewaltsamer Umbrüche dargestellt. Ich möchte jedoch zeigen, dass Jerusalem eine Stadt der Kontinuität und Koexistenz war, eine gemischte Metropole mit gemischten Bauten und gemischten Menschen, die einer Einordnung in die engen Kategorien trotzen, die erst mit den separaten religiösen Legenden und nationalistischen Darstellungen späterer Zeiten entstanden. Aus diesem Grund zeichne ich die Geschichte, wo immer möglich, anhand von Familien nach - von den Davidern, Makkabäern, Herodiern, Omaijaden und den Dynastien Balduins und Saladins bis hin zu den Husseinis, Khalidis, Spaffords, Rothschilds und Montefiores. Denn sie offenbaren die organischen Muster des Lebens, das sich den abrupten Ereignissen und sektiererischen Darstellungen der konventionellen Geschichtsschreibung entzieht. In Jerusalem gibt es nicht nur zwei Seiten, sondern viele miteinander verflochtene, sich überschneidende Kulturen und vielschichtige Loyalitäten - ein facettenreiches, wandelbares Kaleidoskop aus arabisch-orthodoxen Christen, arabischen Muslimen, sephardischen Juden, aschkenasischen Juden, Haredi-Juden verschiedener Richtungen, säkularen Juden, armenisch-orthodoxen Christen, Georgiern, Serben, Russen, Kopten, Protestanten, Äthiopiern, Lateinern und so weiter. Jeder Einzelne besaß oft verschiedene Loyalitätspflichten gegenüber den unterschiedlichen Aspekten seiner Identität, das menschliche Äquivalent zu Jerusalems diversen Schichten aus Stein und Staub.
Die Bedeutung der Stadt nahm zu und ab, stand niemals still, war in ständigem Wandel wie eine Pflanze, die Form, Größe und sogar Farbe ändert, aber immer am selben Platz verwurzelt bleibt. Die neueste, oberflächliche Manifestation - Jerusalem als mediale »Heilige Stadt dreier Religionen« und als Dauerthema der Nachrichten - ist relativ neu. Es gab Jahrhunderte, in denen Jerusalems religiöse und politische Bedeutung zu schwinden schien. Häufig war es politische Notwendigkeit, nicht göttliche Offenbarung, die eine religiöse Hingabe erneut schürte und motivierte.
Wenn Jerusalem nahezu in Vergessenheit geraten war und an Bedeutung verloren hatte, projizierten Menschen in fernen Ländern - sei es in Mekka, Moskau oder Massachusetts - durch ihre Bibelverehrung und das hingebungsvolle Studium biblischer Wahrheit häufig ihren Glauben wieder auf diesen Ort. Alle Städte sind Fenster zu fremden Denkweisen, aber Jerusalem ist wie ein durchsichtiger Spiegel, der das Innenleben preisgibt und zugleich die Außenwelt reflektiert. Jede Epoche, ob sie nun von unbedingtem Glauben, selbstgerechtem Aufbau von Imperien, evangelikalen Offenbarungen oder säkularem Nationalismus geprägt war, machte Jerusalem zu ihrem Symbol und ihrem Preis. Aber wie in einem Spiegelkabinett ist auch hier das Spiegelbild immer verzerrt und häufig entstellt.
Jerusalem hat die Angewohnheit, Eroberer wie auch Besucher zu enttäuschen und zu quälen. Der Gegensatz zwischen der realen und der himmlischen Stadt ist so schmerzlich, dass die psychiatrische Klinik der Stadt alljährlich gut hundert Patienten aufnimmt, die an dem sogenannten Jerusalem-Syndrom leiden: einer Geistesstörung, die sich aus Erwartung, Enttäuschung und Wahn speist. Das Jerusalem-Syndrom gibt es aber auch auf politischer Ebene: Jerusalem trotzt gesundem Menschenverstand, praktischer Politik und Strategie und existiert im Reich heißer Leidenschaften und unbesiegbarer Emotionen, die der Vernunft nicht zugänglich sind.
Selbst ein Sieg in diesem Kampf um Dominanz und Wahrheit macht die Stadt für andere nur umso heiliger. Je gieriger der jeweilige Besitzer, umso heftiger tobt der Wettbewerb und umso emotionaler ist die Reaktion. Hier herrscht das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen.
Kein anderer Ort weckt einen so ausgeprägten Wunsch nach Alleinbesitz. Doch dieses eifersüchtige Streben entbehrt nicht der Ironie, da die meisten Heiligtümer Jerusalems und die mit ihnen verbundenen Legenden entlehnt oder gestohlen wurden und zuvor anderen Religionen gehörten. Die Vergangenheit der Stadt ist in weiten Teilen imaginär. Praktisch jeder Stein stand einst in dem längst vergessenen Tempel einer anderen Glaubensgemeinschaft, in dem Triumphbogen eines anderen Imperiums. Die meisten, wenn auch nicht alle Eroberungen gingen mit dem Drang einher, den Makel anderer Glaubensrichtungen auszulöschen und sich ihrer Traditionen, Geschichten und Stätten zu bemächtigen. Es gab viel Zerstörung, aber weit öfter zerstörten die Eroberer das Vorhergegangene nicht, sondern führten es einer anderen Verwendung zu und bauten es aus. Wichtige Stätten wie der Tempelberg, die Zitadelle, die Davidsstadt, der Berg Zion und die Grabeskirche weisen keine klar unterscheidbare historische Schichtung auf, sondern ähneln eher einem Palimpsest oder einer Stickerei, deren Seidenfäden so miteinander verflochten sind, dass man sie nicht mehr voneinander trennen kann.
Die rivalisierenden Besitzansprüche auf die ansteckende Heiligkeit anderer führte dazu, dass manche Heiligtümer nacheinander und schließlich gleichzeitig allen drei Religionen heilig waren; Könige erließen Dekrete dazu, Menschen starben dafür, und dennoch sind sie heute nahezu in Vergessenheit geraten: So war der Berg Zion Ziel fanatischer Verehrung von Juden, Muslimen und Christen, zieht aber heute kaum noch muslimische oder jüdische Pilger an und ist wieder überwiegend ein christliches Heiligtum.
In Jerusalem spielt die Wahrheit häufig eine geringere Rolle als der Mythos. »Man sollte mich in Jerusalem nicht nach geschichtlichen Fakten fragen«, erklärte der bedeutende palästinensische Historiker Dr. Nazmi al-Jubeh. »Zieht man die Fiktion ab, bleibt nichts übrig.« Die Geschichte ist hier so durchdringend mächtig, dass sie immer wieder entstellt wird: Die Archäologie wird zu einem historischen Machtfaktor, und zuweilen üben Archäologen ebenso viel Macht aus wie Soldaten, die dazu rekrutiert sind, die Vergangenheit der Gegenwart anzupassen. Eine Disziplin, die objektiv und wissenschaftlich sein will, lässt sich dazu nutzen, religiös-ethnische Vorurteile zu rationalisieren und imperiale Ambitionen zu rechtfertigen. Israelis, Palästinensern und den evangelikalen Imperialisten des 19. Jahrhunderts kann man durchweg vorwerfen, sich derselben Ereignisse bemächtigt und ihnen widersprüchliche Deutungen und Fakten zugeschrieben zu haben. Eine Geschichte Jerusalems muss daher sowohl Wahrheit als auch Legenden schildern. Es gibt jedoch Tatsachen, und dieses Buch ist bestrebt, sie zu schildern, so wenig sie der einen oder anderen Seite auch schmecken mögen.
In diesem Buch möchte ich die Geschichte Jerusalems in ihrem weitesten Sinne für ein breites Publikum beschreiben, für Atheisten und Gläubige, Christen, Muslime und Juden, und selbst angesichts der heutigen Auseinandersetzungen möchte ich dies ohne politische Agenda tun.
In meiner Darstellung gehe ich chronologisch vor und schildere die Geschichte anhand des Lebens von Männern und Frauen, Soldaten und Propheten, Dichtern und Königen, Bauern und Musikern und der Familien, die Jerusalem gemacht haben. Das halte ich für den besten Weg, um die Stadt zum Leben zu erwecken und zu zeigen, dass ihre komplexen, überraschenden Wahrheiten Folge dieser Geschichte sind. Nur in der chronologischen Schilderung entgeht man der Versuchung, die Vergangenheit durch die Brille heutiger Obsessionen zu sehen. Ich habe mich bemüht, Teleologie zu vermeiden, also Geschichte zu beschreiben, als sei jedes Ereignis unvermeidlich. Da jeder Wandel eine Reaktion auf eine vorhergehende Veränderung ist, ist die chronologische Darstellung der beste Weg, diese Evolution zu begreifen, die Frage »Warum Jerusalem?« zu beantworten und zu zeigen, warum Menschen so gehandelt haben, wie sie es getan haben. Ich hoffe, es ist auch der unterhaltsamste Weg, Geschichte zu schildern. Denn wer bin ich, dass ich eine Geschichte ruiniere, die zu den größten gehört, die je erzählt wurden -- um ein in diesem Fall verdientes Hollywood-Klischee zu benutzen. Unter den unzähligen Büchern über Jerusalem gibt es nur wenige, die sich der Stadtgeschichte erzählend widmen. Vier Epochen - David, Jesus, die Kreuzfahrer und der arabisch-israelische Konflikt - sind vielen durch die Bibel, Filme, Romane und Nachrichten vertraut, werden aber häufig noch immer missverstanden. Was die übrigen Epochen angeht, möchte ich neuen Lesern viel vergessene Geschichte nahebringen.
Dieses Buch behandelt die Geschichte Jerusalems als die des Zentrums der Weltgeschichte, will aber weder eine Enzyklopädie noch ein Handbuch sein, die jeden Aspekt der Stadt oder jeden Winkel, jedes Kapitell und jeden Bogen sämtlicher Bauten beschreiben. Es liefert keine minutiösen historischen Abrisse der Orthodoxen, Lateiner oder Armenier, der islamischen Hanafi- oder Schafii-Rechtsschule oder der chassidischen oder karäischen Juden, und vertritt keinen bestimmten Standpunkt. Das Leben der muslimischen Stadt von den Mamelucken bis zur Mandatszeit wurde bisher vernachlässigt. Die Jerusalemer Familien wurden zwar von Wissenschaftlern untersucht, die sich mit palästinensischer Geschichte befassten, tauchten aber in populärwissenschaftlichen Geschichtswerken kaum auf. Aber ihre Geschichte war und ist von immenser Bedeutung: Manche wichtigen Quellen sind bislang nicht in andere Sprachen übersetzt, aber ich habe sie mir übersetzen lassen und Mitglieder aller dieser Clans interviewt, um ihre Geschichten zu erfahren. Sie machen aber nur einen Teil dieses Mosaiks aus. Hier geht es weder um eine Geschichte des Judentums, Christentums oder Islams noch um eine Untersuchung über das Wesen Gottes in Jerusalem: Alle diese Aspekte wurden bereits von anderen hervorragend behandelt - erst jüngst in Karen Armstrongs exzellentem Buch Jerusalem - die Heilige Stadt. Es geht auch nicht um eine eingehende Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts: Kein Thema wird heute so obsessiv untersucht. Vielmehr stelle ich mich der großen Herausforderung, alle diese Aspekte hoffentlich angemessen zu behandeln.
Meine Aufgabe ist, die Fakten zu schildern, nicht über die Mysterien verschiedener Religionen zu urteilen. Gewiss erhebe ich nicht den Anspruch, mich zum Richter aufzuschwingen, ob die göttlichen Wunder und heiligen Schriften der drei großen Abrahamitischen Religionen »wahr« sind. Jeder, der sich mit der Bibel oder mit Jerusalem befasst, muss zugeben, dass die Wahrheit vielschichtig ist. Die Überzeugungen anderer Religionen und anderer Epochen erscheinen uns immer seltsam, während wir die vertrauten Gebräuche unserer Zeit und Weltregion durchaus vernünftig finden. Selbst das 21. Jahrhundert, das viele offenbar für den Gipfel an säkularer Vernunft und gesundem Menschenverstand halten, hat seine ganz eigenen konventionellen Weisheiten und quasi religiösen Orthodoxien, die unseren Ururenkeln unbegreiflich absurd vorkommen werden. Aber die Auswirkungen der Religionen und ihrer Wunder auf die Geschichte Jerusalems sind unbestreitbar real, und ohne einen gewissen Respekt vor der Religion ist Jerusalem nicht zu verstehen.
In Jerusalems Geschichte gibt es Jahrhunderte, über die wenig bekannt ist und in denen alles Bekannte umstritten ist. Da es um Jerusalem geht, verlaufen die akademischen und archäologischen Debatten immer gehässig, manchmal führen sie gar zur Gewalt. Die Ereignisse des letzten halben Jahrhunderts sind so umstritten, dass es viele Versionen von ihnen gibt.
Die wenigen verfügbaren Quellen zur Frühzeit haben sowohl Historiker und Archäologen als auch einige Spinner so lange ausgequetscht, umgemodelt und manipuliert, bis sie in alle erdenklichen Theorien passten, die sie dann mit dem Selbstvertrauen absoluter Gewissheit vertraten. In allen Fällen habe ich die Originalquellen und die zahlreichen Theorien geprüft und meine Schlüsse gezogen. Wenn ich mich in jedem Einzelfall umfassend absichern wollte, wären die häufigsten Worte in diesem Buch »vielleicht«, »vermutlich«, »möglicherweise« und »es könnte sein«. Daher wiederhole ich diese Einschränkung nicht überall, wo sie angebracht wäre, sondern mache an dieser Stelle darauf aufmerksam, dass hinter jedem Satz eine umfangreiche, ständig sich ändernde Literatur steht. Jeder Teil dieses Buches wurde von einem akademischen Fachmann geprüft. Dabei halfen mir zu meinem Glück einige der renommiertesten Professoren der heutigen Zeit.
Die am stärksten belastete Kontroverse betrifft König David, weil sie solch befrachtete und aktuelle politische Auswirkungen hat. Selbst in ihrer wissenschaftlichsten Form wurde diese Debatte dramatischer und schärfer geführt als jede andere zu irgendeinem Thema, außer vielleicht der zum Wesen Christi und Mohammeds. Die Quelle für die Geschichte Davids ist die Bibel. Lange ging man selbstverständlich davon aus, dass er eine historische Gestalt war. Im 19. Jahrhundert sorgten imperialistisch-christliche Interessen für die archäologische Suche nach Davids Jerusalem. Die christliche Ausrichtung dieser Suche änderte sich, als 1948 der Staat Israel gegründet wurde. Nun erhielt sie aufgrund des Stellenwerts, den David als Gründer des jüdischen Jerusalem hatte, eine leidenschaftlich religiös-politische Bedeutung. Da es kaum Zeugnisse aus dem 10. Jahrhundert vor Christus gab, nahmen revisionistische israelische Historiker an, dass Davids Stadt kleiner war als bis dahin vermutet. Manche bezweifelten sogar, ob er überhaupt eine historische Gestalt war, was jüdische Traditionalisten empörte und palästinensische Politiker freute, weil es den jüdischen Anspruch untergrub. Die Entdeckung der Tel-Dan-Stele 1993 bewies jedoch, dass König David tatsächlich existiert hatte. Die Bibel wurde zwar nicht primär als Geschichtswerk verfasst, ist aber dennoch eine historische Quelle, die ich bei meiner Darstellung benutze. Die Ausmaße der Davidsstadt und die Zuverlässigkeit der Bibel sind im Text behandelt, mit dem aktuellen Konflikt über die Davidsstadt befasst sich der Epilog.
Über eine wesentlich spätere Epoche, das 19. Jahrhundert, kann man unmöglich schreiben, ohne den Schatten Edward Saids und seines Werkes Orientalismus zu spüren. Said, ein palästinensischer Christ, kam in Jerusalem zur Welt, war Literaturprofessor an der Columbia University in New York und eine originelle Stimme in der Welt des palästinensischen Nationalismus. Nach seiner Ansicht setzten die subtilen und hartnäckigen eurozentristischen Vorurteile gegen arabisch-islamische Völker und ihre Kultur, die vor allem bei Reisenden im 19. Jahrhundert wie Chateaubriand, Melville und Twain festzustellen seien, die arabische Kultur herab und rechtfertigten den Imperialismus. Saids eigene Arbeit veranlasste allerdings manche seiner Jünger zu dem Versuch, diese westlichen Eindringlinge aus der Geschichte zu tilgen: Das ist absurd. Es ist indes eine Tatsache, dass diese Besucher wenig vom wirklichen Leben der Araber und Juden in Jerusalem sahen und verstanden, daher habe ich mich sehr bemüht, das tatsächliche Leben der einheimischen Bevölkerung zu zeigen. Aber da das vorliegende Buch keine Polemik ist, muss der Historiker Jerusalems den dominanten Einfluss romantisch-imperialer Kultur des Westens auf die Stadt aufzeigen, weil er erklärt, warum der Nahe Osten den Großmächten so wichtig war.
Ebenso habe ich die fortschreitende Entwicklung des säkularen wie evangelikalen Pro-Zionismus in Großbritannien von Palmerston und Shaftesbury bis hin zu Lloyd George, Balfour, Churchill und ihrem Freund Weizmann aus dem einfachen Grund nachgezeichnet, weil er im 19. und 20. Jahrhundert der wichtigste Einzelfaktor war, der das Schicksal Jerusalems und Palästinas beeinflusste.
Der Hauptteil meines Buches endet 1967, weil der Sechstagekrieg im Wesentlichen die heutige Situation schuf und einen einschneidenden Schlusspunkt darstellte. Der Epilog skizziert in groben Zügen die Politik bis in die Gegenwart und endet mit der eingehenden Schilderung eines Vormittags an den drei heiligen Stätten der Stadt. Aber die Lage ändert sich ständig. Würde ich die Geschichte Jerusalems bis heute fortschreiben, hätte dieses Buch kein klares Ende und müsste nahezu stündlich aktualisiert werden. Stattdessen habe ich mich bemüht zu zeigen, wieso Jerusalem weiterhin zugleich wesentlich als auch hinderlich für ein Friedensabkommen ist.
Das vorliegende Buch ist eine Synthese aus der umfassenden Lektüre alter und moderner Primärquellen, aus persönlichen Gesprächen mit Fachleuten, Professoren, Archäologen, Familien und Politikern sowie aus unzähligen Besuchen in Jerusalem, den dortigen Heiligtümern und Ausgrabungsstätten. Ich hatte das Glück, einige neue oder selten verwendete Quellen zu entdecken. Meine Recherchen brachten mir drei besonders erfreuliche Erfahrungen: Ich verbrachte viel Zeit in Jerusalem; ich konnte die wunderbaren Werke von Schriftstellern wie Usamah bin Munqidh, Ibn Khaldun, Evliya Celebi und Wasif Jawhariyyeh bis hin zu Wilhelm von Tyros, Flavius Josephus und T. E. Lawrence lesen; und ich fand inmitten heftiger politischer Krisen vertrauensvolle, großzügige Freundschaft und Unterstützung von Jerusalemern aller Glaubensrichtungen: von Palästinensern, Israelis, Armeniern, Muslims, Juden und Christen.
Ich habe den Eindruck, dass ich mich mein Leben lang darauf vorbereitet habe, dieses Buch zu schreiben. Seit meiner Kindheit bin ich durch Jerusalem gestreift. Dank meiner familiären Verbindungen zu dieser Stadt, auf die ich an anderer Stelle in diesem Buch näher eingehe, lautet mein Familienmotto: »Jerusalem«. Doch ganz abgesehen von meinen persönlichen Verbindungen möchte ich erzählen, was in der Geschichte dieser Stadt passierte und was die Menschen glaubten. Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Es gab immer zwei Jerusalems, ein irdisches und ein himmlisches, und beide wurden stärker vom Glauben und von Gefühlen regiert als von Vernunft und Fakten. Und Jerusalem bleibt der Nabel der Welt.
Meine Herangehensweise wird nicht allen gefallen - schließlich geht es hier um Jerusalem. Aber bei der Arbeit an diesem Buch dachte ich immer an den Rat, den Lloyd George seinem Gouverneur von Jerusalem, Sir Ronald Storrs, gab, der von Juden und Arabern gleichermaßen heftig kritisiert wurde: »Sobald eine Seite aufhört, sich zu beschweren, werden Sie entlassen.«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Die Geschichte Jerusalems ist die Geschichte der Welt, zugleich aber auch die Chronik einer meist verarmten Provinzstadt im Bergland Judäas. Einst galt Jerusalem als Mittelpunkt der Welt -- eine Einschätzung, die heute mehr denn je den Tatsachen entspricht: Die Stadt ist Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen den Abrahamitischen Religionen, das Heiligtum eines zunehmend populären christlichen, jüdischen und islamischen Fundamentalismus, strategisches Schlachtfeld eines Kampfes der Kulturen, Frontlinie zwischen Atheismus und religiösem Glauben, Anziehungspunkt säkularer Faszination, Gegenstand schwindelerregender Verschwörungstheorien und Internetmythen und grell beleuchtete Bühne für die Kameras der Welt in einem Zeitalter der Rund-um-die-Uhr-Nachrichtensendungen. Religiöses, politisches und mediales Interesse schüren sich gegenseitig und sorgen dafür, dass Jerusalem stärker denn je im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.
Jerusalem ist die Heilige Stadt, war zugleich aber schon immer ein Hort des Aberglaubens, der Scharlatanerie und Bigotterie; sie war begehrtes Eroberungsziel von Weltreichen, aber ohne strategischen Wert; kosmopolitische Heimat vieler Sekten, die jeweils glauben, Jerusalem gehöre ihnen allein; eine Stadt mit vielen Namen - aber jede Tradition ist so sektiererisch, dass sie jede andere ausschließt. Dieser Ort ist von solcher Besonderheit, dass die jüdischen religiösen Schriften ihn durchgängig als weiblich beschreiben - immer als sinnliche, lebendige Frau, immer als Schönheit, zuweilen aber auch als schamlose Hure oder als verletzte Prinzessin, die von ihren Verehrern im Stich gelassen wurde. Jerusalem ist die Heimat des alleinigen Gottes, die Hauptstadt zweier Völker, das Heiligtum dreier Religionen und die einzige Stadt, die sowohl im Himmel als auch auf der Erde existiert: Die beispiellose Schönheit der irdischen Stadt ist nichts gegen die Herrlichkeit der himmlischen. Allein schon die Tatsache, dass Jerusalem zugleich irdisch und himmlisch ist, bedeutet, dass die Stadt überall sein kann: Auf der ganzen Welt wurden neue Jerusalems gegründet, und jeder hatte seine eigene Vision dieser Stadt. Propheten und Patriarchen, Abraham, David, Jesus und Mohammed sollen an diesem Ort gewandelt sein. Hier wurden die Abrahamitischen Religionen geboren, und hier wird die Welt am Tag des Jüngsten Gerichts enden. Jerusalem, das den Völkern der Bibel heilig war, ist die Stadt der Bibel: In mancherlei Hinsicht ist die Bibel Jerusalems ureigene Chronik, und von den Juden und Frühchristen über die muslimischen Eroberer und die Kreuzritter bis hin zu den heutigen amerikanischen Evangelisten haben ihre Leser wiederholt in die Geschichte der Stadt eingegriffen, um biblische Prophezeiungen in Erfüllung gehen zu lassen.
Als die Bibel ins Griechische und später ins Lateinische und in andere Sprachen übersetzt wurde, entwickelte sie sich zum Universalbuch und machte Jerusalem zur Universalstadt. Jeder große König wurde zu einem David, jedes besondere Volk sah sich als die neuen Israeliten, und jede Hochkultur galt als neues Jerusalem, jene Stadt, die niemandem gehört, aber in der Phantasie eines jeden ihre eigene Existenz führt. Eben das macht sowohl die Tragödie als auch die Magie Jerusalems aus: Jeder, der von Jerusalem träumt, jeder, der im Laufe der Zeiten hierher gekommen ist -- von den Aposteln Jesu über die Soldaten Saladins und die viktorianischen Pilger bis hin zu den heutigen Touristen und Journalisten -, bringt seine Vision des authentischen Jerusalem mit und ist bitter enttäuscht über das, was er vorfindet: eine sich ständig wandelnde Stadt, die viele Male erblüht und wieder verwelkt ist, wieder aufgebaut und erneut zerstört wurde. Aber da es Jerusalem ist, das allen gehört, ist nur das Bild richtig, das sie alle sich gemacht haben; die mangelhafte, synthetische Wirklichkeit muss verändert werden; alle haben das Recht, dieser Stadt ihr eigenes »Jerusalem« aufzuzwingen -- und oft haben sie es mit Schwert und Feuer getan.
Der Historiker Ibn Khaldun, der im 14. Jahrhundert manche der in diesem Buch geschilderten Ereignisse selbst erlebte und uns als Quelle dient, stellte fest, dass Geschichte eifrig gefragt ist: »Die Menschen auf der Straße wollen sie kennen, Könige und Führer wetteifern um sie«. Das gilt besonders für Jerusalem. Es ist unmöglich, eine Geschichte dieser Stadt zu schreiben, ohne anzuerkennen, dass Jerusalem ein Thema, ein Dreh- und Angelpunkt, ja sogar eine tragende Säule der Weltgeschichte ist. In einer Zeit, in der die Macht der Internetmythologie bedeutet, dass sowohl die Hightech-Maus als auch das Krummschwert zu den Waffen desselben fundamentalistischen Arsenals gehören können, ist die Suche nach historischen Tatsachen noch wichtiger, als sie für Ibn Khaldun war.
Eine Geschichte Jerusalems muss sich mit dem Merkmal der Heiligkeit auseinandersetzen. Die Wendung »Heilige Stadt« wird durchgängig verwendet, um die Ehrfurcht vor ihren heiligen Stätten auszudrücken, in Wirklichkeit bedeutet sie jedoch, dass Jerusalem zum zentralen, irdischen Ort für die Kommunikation zwischen Gott und Mensch geworden ist.
Außerdem gilt es die Frage zu beantworten: Warum Jerusalem? Der Ort lag abseits der Handelsrouten der Mittelmeerküste, litt unter Wasserknappheit, sengender Sommersonne und kalten Winterwinden und war von unwirtlichen, zerklüfteten Bergen umgeben. Aber die Wahl Jerusalems als Tempelstadt beruhte teils auf einer persönlichen Entscheidung, teils auf einer organischen Entwicklung: Die Heiligkeit des Ortes nahm immer mehr zu, weil er schon so lange als heilig galt. Heiligkeit erfordert nicht nur Spiritualität und Glauben, sondern auch Legitimität und Tradition. Ein radikaler Prophet, der eine neue Vision präsentiert, muss die vorhergehenden Jahrhunderte erklären und seine Offenbarung in der akzeptierten Sprache und Geographie der Heiligkeit - den Prophezeiungen früherer Offenbarungen und den seit langem verehrten heiligen Stätten - rechtfertigen. Nichts macht eine Stätte heiliger als die Konkurrenz mit einer anderen Religion.
Viele atheistische Besucher fühlen sich von dieser Heiligkeit abgestoßen, weil sie darin den ansteckenden Aberglauben einer Stadt sehen, die von selbstgerechter Bigotterie verseucht ist. Diese Einstellung leugnet jedoch das profunde menschliche Bedürfnis nach Religion, ohne das Jerusalem nicht zu verstehen ist. Religionen müssen vergängliche Freuden und ewige Ängste erklären, die den Menschen vor Rätsel stellen und ihn quälen: Wir müssen eine stärkere Kraft als uns selbst spüren. Wir respektieren den Tod und sehnen uns danach, in ihm einen Sinn zu sehen. Als Begegnungsstätte von Gott und Mensch ist Jerusalem der Ort, an dem diese Fragen in der Apokalypse geklärt werden: am Ende aller Tage, an dem es einen Krieg, einen Kampf zwischen Christ und Antichrist geben wird; an dem die Kaaba von Mekka nach Jerusalem kommen wird; an dem das Jüngste Gericht stattfinden wird, die Toten auferstehen und die Herrschaft des Messias und des himmlischen Königreichs, des Neuen Jerusalem, beginnen wird. Alle drei Abrahamitischen Religionen glauben an die Apokalypse, die Details variieren jedoch je nach Religion und Sekte. Säkularisten mögen das alles für antiquiertes Gerede halten, solche Ideen sind jedoch nur allzu aktuell. In dieser Zeit jüdischen, christlichen und muslimischen Fundamentalismus ist die Apokalypse eine dynamische Triebkraft in der fieberhaften Weltpolitik.
Der Tod ist unser ständiger Begleiter: Seit langem kommen Pilger nach Jerusalem, um hier zu sterben und in der Nähe des Tempelbergs begraben zu werden, damit sie bereit sind zur Auferstehung in der Apokalypse. Die Stadt ist von Friedhöfen umgeben und auf Grabstätten erbaut. Die Menschen verehren mumifizierte Körperteile Heiliger wie die abgetrennte, geschwärzte rechte Hand Maria Magdalenas, die im Raum des griechisch-orthodoxen Patriarchen in der Grabeskirche ausgestellt ist. Viele Heiligtümer und sogar viele Privathäuser sind um Grabstätten gebaut. Die Finsternis dieser Totenstadt rührt nicht nur von einer Art Nekrophilie her, sondern auch von Nekromantie: Die Toten sind hier nahezu lebendig, während sie auf ihre Auferstehung warten. Der endlose Kampf Jerusalems -- Massaker, Chaos, Kriege, Terrorismus, Belagerungen und Katastrophen -- hat diesen Ort zu einem Schlachtfeld gemacht. Aldous Huxley bezeichnete die Stadt als Schlachthaus der Religionen, Flaubert als Beinhaus, Melville als Schädel, belagert von Heerscharen von Toten, und Edward Said wusste, dass sein Vater Jerusalem hasste, weil es ihn an Tod erinnerte.
Die Entwicklung, die dieses Heiligtum des Himmels und der Erde nahm, war nicht immer vom Schicksal bestimmt. Der Funke einer Offenbarung, die ein charismatischer Prophet wie Moses, Jesus oder Mohammed hatte, ließ Religionen entstehen. Tatkraft und Glück eines Kriegsherrn schufen Imperien und eroberten Städte. Die Entscheidungen Einzelner, angefangen bei König David, machten Jerusalem zu Jerusalem. Davids kleine Zitadelle, die Hauptstadt eines unbedeutenden Königreichs, hatte sicher nur geringe Aussichten, zu einem wichtigen Anziehungspunkt der Welt zu werden. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar eine tragende Stütze für die Heiligkeit der Stadt schuf, weil diese Katastrophe die Juden veranlasste, die Herrlichkeit Zions zu schildern und zu preisen. Gewöhnlich führten solche Katastrophen zum Untergang von Völkern. Aber das Überleben der Juden, ihr hartnäckiges Festhalten an ihrem Gott und vor allem die schriftliche Niederlegung ihrer Geschichtsversion in der Bibel schufen die Grundlagen für den Ruhm und die Heiligkeit Jerusalems. Die Bibel trat anstelle des jüdischen Staates und des Tempels und wurde zum »portativen Vaterland«, wie Heinrich Heine es in seinen Geständnissen nannte. Keine andere Stadt hat ihr ureigenes Buch, und kein anderes Buch hat das Schicksal einer Stadt so stark geprägt.
Die Heiligkeit der Stadt erwuchs aus der Besonderheit der Juden als auserwähltes Volk. Jerusalem wurde zur auserwählten Stadt, Palästina zum auserwählten Land, und Christen und Muslime erbten und übernahmen diese herausgehobene Stellung. Die große Heiligkeit Jerusalems und Israels spiegelte sich in der wachsenden religiösen Besessenheit von der Wiederansiedlung der Juden in Israel und in der westlichen Begeisterung für den Zionismus als deren säkulares Äquivalent wider, die von der Reformation im 16. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre herrschten. Seitdem hat die tragische Geschichte der Palästinenser und Jerusalems als ihrer verlorenen Heiligen Stadt die Wahrnehmung Israels verändert. Die westliche Fixierung, dieses Gefühl eines universellen Besitzanspruchs, kann also auf zwei Arten wirken - als Fluch und Segen, als zweischneidiges Schwert. Gegenwärtig äußert es sich darin, dass Jerusalem und der israelisch-palästinensische Konflikt besonders intensiv und emotional betrachtet werden.
Aber nichts ist so einfach, wie es scheint. Häufig wird die Geschichte als Abfolge radikaler Veränderungen und gewaltsamer Umbrüche dargestellt. Ich möchte jedoch zeigen, dass Jerusalem eine Stadt der Kontinuität und Koexistenz war, eine gemischte Metropole mit gemischten Bauten und gemischten Menschen, die einer Einordnung in die engen Kategorien trotzen, die erst mit den separaten religiösen Legenden und nationalistischen Darstellungen späterer Zeiten entstanden. Aus diesem Grund zeichne ich die Geschichte, wo immer möglich, anhand von Familien nach - von den Davidern, Makkabäern, Herodiern, Omaijaden und den Dynastien Balduins und Saladins bis hin zu den Husseinis, Khalidis, Spaffords, Rothschilds und Montefiores. Denn sie offenbaren die organischen Muster des Lebens, das sich den abrupten Ereignissen und sektiererischen Darstellungen der konventionellen Geschichtsschreibung entzieht. In Jerusalem gibt es nicht nur zwei Seiten, sondern viele miteinander verflochtene, sich überschneidende Kulturen und vielschichtige Loyalitäten - ein facettenreiches, wandelbares Kaleidoskop aus arabisch-orthodoxen Christen, arabischen Muslimen, sephardischen Juden, aschkenasischen Juden, Haredi-Juden verschiedener Richtungen, säkularen Juden, armenisch-orthodoxen Christen, Georgiern, Serben, Russen, Kopten, Protestanten, Äthiopiern, Lateinern und so weiter. Jeder Einzelne besaß oft verschiedene Loyalitätspflichten gegenüber den unterschiedlichen Aspekten seiner Identität, das menschliche Äquivalent zu Jerusalems diversen Schichten aus Stein und Staub.
Die Bedeutung der Stadt nahm zu und ab, stand niemals still, war in ständigem Wandel wie eine Pflanze, die Form, Größe und sogar Farbe ändert, aber immer am selben Platz verwurzelt bleibt. Die neueste, oberflächliche Manifestation - Jerusalem als mediale »Heilige Stadt dreier Religionen« und als Dauerthema der Nachrichten - ist relativ neu. Es gab Jahrhunderte, in denen Jerusalems religiöse und politische Bedeutung zu schwinden schien. Häufig war es politische Notwendigkeit, nicht göttliche Offenbarung, die eine religiöse Hingabe erneut schürte und motivierte.
Wenn Jerusalem nahezu in Vergessenheit geraten war und an Bedeutung verloren hatte, projizierten Menschen in fernen Ländern - sei es in Mekka, Moskau oder Massachusetts - durch ihre Bibelverehrung und das hingebungsvolle Studium biblischer Wahrheit häufig ihren Glauben wieder auf diesen Ort. Alle Städte sind Fenster zu fremden Denkweisen, aber Jerusalem ist wie ein durchsichtiger Spiegel, der das Innenleben preisgibt und zugleich die Außenwelt reflektiert. Jede Epoche, ob sie nun von unbedingtem Glauben, selbstgerechtem Aufbau von Imperien, evangelikalen Offenbarungen oder säkularem Nationalismus geprägt war, machte Jerusalem zu ihrem Symbol und ihrem Preis. Aber wie in einem Spiegelkabinett ist auch hier das Spiegelbild immer verzerrt und häufig entstellt.
Jerusalem hat die Angewohnheit, Eroberer wie auch Besucher zu enttäuschen und zu quälen. Der Gegensatz zwischen der realen und der himmlischen Stadt ist so schmerzlich, dass die psychiatrische Klinik der Stadt alljährlich gut hundert Patienten aufnimmt, die an dem sogenannten Jerusalem-Syndrom leiden: einer Geistesstörung, die sich aus Erwartung, Enttäuschung und Wahn speist. Das Jerusalem-Syndrom gibt es aber auch auf politischer Ebene: Jerusalem trotzt gesundem Menschenverstand, praktischer Politik und Strategie und existiert im Reich heißer Leidenschaften und unbesiegbarer Emotionen, die der Vernunft nicht zugänglich sind.
Selbst ein Sieg in diesem Kampf um Dominanz und Wahrheit macht die Stadt für andere nur umso heiliger. Je gieriger der jeweilige Besitzer, umso heftiger tobt der Wettbewerb und umso emotionaler ist die Reaktion. Hier herrscht das Gesetz der unbeabsichtigten Folgen.
Kein anderer Ort weckt einen so ausgeprägten Wunsch nach Alleinbesitz. Doch dieses eifersüchtige Streben entbehrt nicht der Ironie, da die meisten Heiligtümer Jerusalems und die mit ihnen verbundenen Legenden entlehnt oder gestohlen wurden und zuvor anderen Religionen gehörten. Die Vergangenheit der Stadt ist in weiten Teilen imaginär. Praktisch jeder Stein stand einst in dem längst vergessenen Tempel einer anderen Glaubensgemeinschaft, in dem Triumphbogen eines anderen Imperiums. Die meisten, wenn auch nicht alle Eroberungen gingen mit dem Drang einher, den Makel anderer Glaubensrichtungen auszulöschen und sich ihrer Traditionen, Geschichten und Stätten zu bemächtigen. Es gab viel Zerstörung, aber weit öfter zerstörten die Eroberer das Vorhergegangene nicht, sondern führten es einer anderen Verwendung zu und bauten es aus. Wichtige Stätten wie der Tempelberg, die Zitadelle, die Davidsstadt, der Berg Zion und die Grabeskirche weisen keine klar unterscheidbare historische Schichtung auf, sondern ähneln eher einem Palimpsest oder einer Stickerei, deren Seidenfäden so miteinander verflochten sind, dass man sie nicht mehr voneinander trennen kann.
Die rivalisierenden Besitzansprüche auf die ansteckende Heiligkeit anderer führte dazu, dass manche Heiligtümer nacheinander und schließlich gleichzeitig allen drei Religionen heilig waren; Könige erließen Dekrete dazu, Menschen starben dafür, und dennoch sind sie heute nahezu in Vergessenheit geraten: So war der Berg Zion Ziel fanatischer Verehrung von Juden, Muslimen und Christen, zieht aber heute kaum noch muslimische oder jüdische Pilger an und ist wieder überwiegend ein christliches Heiligtum.
In Jerusalem spielt die Wahrheit häufig eine geringere Rolle als der Mythos. »Man sollte mich in Jerusalem nicht nach geschichtlichen Fakten fragen«, erklärte der bedeutende palästinensische Historiker Dr. Nazmi al-Jubeh. »Zieht man die Fiktion ab, bleibt nichts übrig.« Die Geschichte ist hier so durchdringend mächtig, dass sie immer wieder entstellt wird: Die Archäologie wird zu einem historischen Machtfaktor, und zuweilen üben Archäologen ebenso viel Macht aus wie Soldaten, die dazu rekrutiert sind, die Vergangenheit der Gegenwart anzupassen. Eine Disziplin, die objektiv und wissenschaftlich sein will, lässt sich dazu nutzen, religiös-ethnische Vorurteile zu rationalisieren und imperiale Ambitionen zu rechtfertigen. Israelis, Palästinensern und den evangelikalen Imperialisten des 19. Jahrhunderts kann man durchweg vorwerfen, sich derselben Ereignisse bemächtigt und ihnen widersprüchliche Deutungen und Fakten zugeschrieben zu haben. Eine Geschichte Jerusalems muss daher sowohl Wahrheit als auch Legenden schildern. Es gibt jedoch Tatsachen, und dieses Buch ist bestrebt, sie zu schildern, so wenig sie der einen oder anderen Seite auch schmecken mögen.
In diesem Buch möchte ich die Geschichte Jerusalems in ihrem weitesten Sinne für ein breites Publikum beschreiben, für Atheisten und Gläubige, Christen, Muslime und Juden, und selbst angesichts der heutigen Auseinandersetzungen möchte ich dies ohne politische Agenda tun.
In meiner Darstellung gehe ich chronologisch vor und schildere die Geschichte anhand des Lebens von Männern und Frauen, Soldaten und Propheten, Dichtern und Königen, Bauern und Musikern und der Familien, die Jerusalem gemacht haben. Das halte ich für den besten Weg, um die Stadt zum Leben zu erwecken und zu zeigen, dass ihre komplexen, überraschenden Wahrheiten Folge dieser Geschichte sind. Nur in der chronologischen Schilderung entgeht man der Versuchung, die Vergangenheit durch die Brille heutiger Obsessionen zu sehen. Ich habe mich bemüht, Teleologie zu vermeiden, also Geschichte zu beschreiben, als sei jedes Ereignis unvermeidlich. Da jeder Wandel eine Reaktion auf eine vorhergehende Veränderung ist, ist die chronologische Darstellung der beste Weg, diese Evolution zu begreifen, die Frage »Warum Jerusalem?« zu beantworten und zu zeigen, warum Menschen so gehandelt haben, wie sie es getan haben. Ich hoffe, es ist auch der unterhaltsamste Weg, Geschichte zu schildern. Denn wer bin ich, dass ich eine Geschichte ruiniere, die zu den größten gehört, die je erzählt wurden -- um ein in diesem Fall verdientes Hollywood-Klischee zu benutzen. Unter den unzähligen Büchern über Jerusalem gibt es nur wenige, die sich der Stadtgeschichte erzählend widmen. Vier Epochen - David, Jesus, die Kreuzfahrer und der arabisch-israelische Konflikt - sind vielen durch die Bibel, Filme, Romane und Nachrichten vertraut, werden aber häufig noch immer missverstanden. Was die übrigen Epochen angeht, möchte ich neuen Lesern viel vergessene Geschichte nahebringen.
Dieses Buch behandelt die Geschichte Jerusalems als die des Zentrums der Weltgeschichte, will aber weder eine Enzyklopädie noch ein Handbuch sein, die jeden Aspekt der Stadt oder jeden Winkel, jedes Kapitell und jeden Bogen sämtlicher Bauten beschreiben. Es liefert keine minutiösen historischen Abrisse der Orthodoxen, Lateiner oder Armenier, der islamischen Hanafi- oder Schafii-Rechtsschule oder der chassidischen oder karäischen Juden, und vertritt keinen bestimmten Standpunkt. Das Leben der muslimischen Stadt von den Mamelucken bis zur Mandatszeit wurde bisher vernachlässigt. Die Jerusalemer Familien wurden zwar von Wissenschaftlern untersucht, die sich mit palästinensischer Geschichte befassten, tauchten aber in populärwissenschaftlichen Geschichtswerken kaum auf. Aber ihre Geschichte war und ist von immenser Bedeutung: Manche wichtigen Quellen sind bislang nicht in andere Sprachen übersetzt, aber ich habe sie mir übersetzen lassen und Mitglieder aller dieser Clans interviewt, um ihre Geschichten zu erfahren. Sie machen aber nur einen Teil dieses Mosaiks aus. Hier geht es weder um eine Geschichte des Judentums, Christentums oder Islams noch um eine Untersuchung über das Wesen Gottes in Jerusalem: Alle diese Aspekte wurden bereits von anderen hervorragend behandelt - erst jüngst in Karen Armstrongs exzellentem Buch Jerusalem - die Heilige Stadt. Es geht auch nicht um eine eingehende Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts: Kein Thema wird heute so obsessiv untersucht. Vielmehr stelle ich mich der großen Herausforderung, alle diese Aspekte hoffentlich angemessen zu behandeln.
Meine Aufgabe ist, die Fakten zu schildern, nicht über die Mysterien verschiedener Religionen zu urteilen. Gewiss erhebe ich nicht den Anspruch, mich zum Richter aufzuschwingen, ob die göttlichen Wunder und heiligen Schriften der drei großen Abrahamitischen Religionen »wahr« sind. Jeder, der sich mit der Bibel oder mit Jerusalem befasst, muss zugeben, dass die Wahrheit vielschichtig ist. Die Überzeugungen anderer Religionen und anderer Epochen erscheinen uns immer seltsam, während wir die vertrauten Gebräuche unserer Zeit und Weltregion durchaus vernünftig finden. Selbst das 21. Jahrhundert, das viele offenbar für den Gipfel an säkularer Vernunft und gesundem Menschenverstand halten, hat seine ganz eigenen konventionellen Weisheiten und quasi religiösen Orthodoxien, die unseren Ururenkeln unbegreiflich absurd vorkommen werden. Aber die Auswirkungen der Religionen und ihrer Wunder auf die Geschichte Jerusalems sind unbestreitbar real, und ohne einen gewissen Respekt vor der Religion ist Jerusalem nicht zu verstehen.
In Jerusalems Geschichte gibt es Jahrhunderte, über die wenig bekannt ist und in denen alles Bekannte umstritten ist. Da es um Jerusalem geht, verlaufen die akademischen und archäologischen Debatten immer gehässig, manchmal führen sie gar zur Gewalt. Die Ereignisse des letzten halben Jahrhunderts sind so umstritten, dass es viele Versionen von ihnen gibt.
Die wenigen verfügbaren Quellen zur Frühzeit haben sowohl Historiker und Archäologen als auch einige Spinner so lange ausgequetscht, umgemodelt und manipuliert, bis sie in alle erdenklichen Theorien passten, die sie dann mit dem Selbstvertrauen absoluter Gewissheit vertraten. In allen Fällen habe ich die Originalquellen und die zahlreichen Theorien geprüft und meine Schlüsse gezogen. Wenn ich mich in jedem Einzelfall umfassend absichern wollte, wären die häufigsten Worte in diesem Buch »vielleicht«, »vermutlich«, »möglicherweise« und »es könnte sein«. Daher wiederhole ich diese Einschränkung nicht überall, wo sie angebracht wäre, sondern mache an dieser Stelle darauf aufmerksam, dass hinter jedem Satz eine umfangreiche, ständig sich ändernde Literatur steht. Jeder Teil dieses Buches wurde von einem akademischen Fachmann geprüft. Dabei halfen mir zu meinem Glück einige der renommiertesten Professoren der heutigen Zeit.
Die am stärksten belastete Kontroverse betrifft König David, weil sie solch befrachtete und aktuelle politische Auswirkungen hat. Selbst in ihrer wissenschaftlichsten Form wurde diese Debatte dramatischer und schärfer geführt als jede andere zu irgendeinem Thema, außer vielleicht der zum Wesen Christi und Mohammeds. Die Quelle für die Geschichte Davids ist die Bibel. Lange ging man selbstverständlich davon aus, dass er eine historische Gestalt war. Im 19. Jahrhundert sorgten imperialistisch-christliche Interessen für die archäologische Suche nach Davids Jerusalem. Die christliche Ausrichtung dieser Suche änderte sich, als 1948 der Staat Israel gegründet wurde. Nun erhielt sie aufgrund des Stellenwerts, den David als Gründer des jüdischen Jerusalem hatte, eine leidenschaftlich religiös-politische Bedeutung. Da es kaum Zeugnisse aus dem 10. Jahrhundert vor Christus gab, nahmen revisionistische israelische Historiker an, dass Davids Stadt kleiner war als bis dahin vermutet. Manche bezweifelten sogar, ob er überhaupt eine historische Gestalt war, was jüdische Traditionalisten empörte und palästinensische Politiker freute, weil es den jüdischen Anspruch untergrub. Die Entdeckung der Tel-Dan-Stele 1993 bewies jedoch, dass König David tatsächlich existiert hatte. Die Bibel wurde zwar nicht primär als Geschichtswerk verfasst, ist aber dennoch eine historische Quelle, die ich bei meiner Darstellung benutze. Die Ausmaße der Davidsstadt und die Zuverlässigkeit der Bibel sind im Text behandelt, mit dem aktuellen Konflikt über die Davidsstadt befasst sich der Epilog.
Über eine wesentlich spätere Epoche, das 19. Jahrhundert, kann man unmöglich schreiben, ohne den Schatten Edward Saids und seines Werkes Orientalismus zu spüren. Said, ein palästinensischer Christ, kam in Jerusalem zur Welt, war Literaturprofessor an der Columbia University in New York und eine originelle Stimme in der Welt des palästinensischen Nationalismus. Nach seiner Ansicht setzten die subtilen und hartnäckigen eurozentristischen Vorurteile gegen arabisch-islamische Völker und ihre Kultur, die vor allem bei Reisenden im 19. Jahrhundert wie Chateaubriand, Melville und Twain festzustellen seien, die arabische Kultur herab und rechtfertigten den Imperialismus. Saids eigene Arbeit veranlasste allerdings manche seiner Jünger zu dem Versuch, diese westlichen Eindringlinge aus der Geschichte zu tilgen: Das ist absurd. Es ist indes eine Tatsache, dass diese Besucher wenig vom wirklichen Leben der Araber und Juden in Jerusalem sahen und verstanden, daher habe ich mich sehr bemüht, das tatsächliche Leben der einheimischen Bevölkerung zu zeigen. Aber da das vorliegende Buch keine Polemik ist, muss der Historiker Jerusalems den dominanten Einfluss romantisch-imperialer Kultur des Westens auf die Stadt aufzeigen, weil er erklärt, warum der Nahe Osten den Großmächten so wichtig war.
Ebenso habe ich die fortschreitende Entwicklung des säkularen wie evangelikalen Pro-Zionismus in Großbritannien von Palmerston und Shaftesbury bis hin zu Lloyd George, Balfour, Churchill und ihrem Freund Weizmann aus dem einfachen Grund nachgezeichnet, weil er im 19. und 20. Jahrhundert der wichtigste Einzelfaktor war, der das Schicksal Jerusalems und Palästinas beeinflusste.
Der Hauptteil meines Buches endet 1967, weil der Sechstagekrieg im Wesentlichen die heutige Situation schuf und einen einschneidenden Schlusspunkt darstellte. Der Epilog skizziert in groben Zügen die Politik bis in die Gegenwart und endet mit der eingehenden Schilderung eines Vormittags an den drei heiligen Stätten der Stadt. Aber die Lage ändert sich ständig. Würde ich die Geschichte Jerusalems bis heute fortschreiben, hätte dieses Buch kein klares Ende und müsste nahezu stündlich aktualisiert werden. Stattdessen habe ich mich bemüht zu zeigen, wieso Jerusalem weiterhin zugleich wesentlich als auch hinderlich für ein Friedensabkommen ist.
Das vorliegende Buch ist eine Synthese aus der umfassenden Lektüre alter und moderner Primärquellen, aus persönlichen Gesprächen mit Fachleuten, Professoren, Archäologen, Familien und Politikern sowie aus unzähligen Besuchen in Jerusalem, den dortigen Heiligtümern und Ausgrabungsstätten. Ich hatte das Glück, einige neue oder selten verwendete Quellen zu entdecken. Meine Recherchen brachten mir drei besonders erfreuliche Erfahrungen: Ich verbrachte viel Zeit in Jerusalem; ich konnte die wunderbaren Werke von Schriftstellern wie Usamah bin Munqidh, Ibn Khaldun, Evliya Celebi und Wasif Jawhariyyeh bis hin zu Wilhelm von Tyros, Flavius Josephus und T. E. Lawrence lesen; und ich fand inmitten heftiger politischer Krisen vertrauensvolle, großzügige Freundschaft und Unterstützung von Jerusalemern aller Glaubensrichtungen: von Palästinensern, Israelis, Armeniern, Muslims, Juden und Christen.
Ich habe den Eindruck, dass ich mich mein Leben lang darauf vorbereitet habe, dieses Buch zu schreiben. Seit meiner Kindheit bin ich durch Jerusalem gestreift. Dank meiner familiären Verbindungen zu dieser Stadt, auf die ich an anderer Stelle in diesem Buch näher eingehe, lautet mein Familienmotto: »Jerusalem«. Doch ganz abgesehen von meinen persönlichen Verbindungen möchte ich erzählen, was in der Geschichte dieser Stadt passierte und was die Menschen glaubten. Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Es gab immer zwei Jerusalems, ein irdisches und ein himmlisches, und beide wurden stärker vom Glauben und von Gefühlen regiert als von Vernunft und Fakten. Und Jerusalem bleibt der Nabel der Welt.
Meine Herangehensweise wird nicht allen gefallen - schließlich geht es hier um Jerusalem. Aber bei der Arbeit an diesem Buch dachte ich immer an den Rat, den Lloyd George seinem Gouverneur von Jerusalem, Sir Ronald Storrs, gab, der von Juden und Arabern gleichermaßen heftig kritisiert wurde: »Sobald eine Seite aufhört, sich zu beschweren, werden Sie entlassen.«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
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Autoren-Porträt von Simon Sebag Montefiore, Simon Montefiore
Sebag Montefiore, SimonSimon Sebag Montefiores preisgekrönte Bestseller sind mittlerweile in 45 Sprachen übersetzt. 'Stalin - Am Hof des Roten Zaren' wurde mit dem History Book of the Year Prize der British Book Awards ausgezeichnet, 'Der junge Stalin' mit dem Costa Biography Award, dem LA Times Book Prize for Biography, dem Grand Prix de la Biographie Politique sowie dem Bruno-Kreisky-Preis für politische Literatur. 'Jerusalem. Die Biographie' war ein weltweiter Bestseller. Montefiore lehrt Geschichte an der Cambridge University, wo er in Philosophie promovierte. Er schrieb zudem die Romane 'Saschenka' und 'Die Kinder des Winters'; letzterer wurde ausgezeichnet als »Political Novel of the Year«.
www.simonsebagmontefiore.com
Literaturpreise:
Los Angeles Times Book Award for Biography 2007, Costa Book Award 2007 und Bruno Kreisky-Preis 2007 für 'Der junge Stalin'.
History Book of the Year Prize der British Book Awards für 'Stalin. Am Hof des roten Zaren'.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Simon Sebag Montefiore , Simon Montefiore
- 2011, 4. Aufl., 880 Seiten, Maße: 15,8 x 22,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Bischoff, Ulrike; Götting, Waltraud
- Übersetzer: Ulrike Bischoff, Waltraud Götting
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100506111
- ISBN-13: 9783100506115
- Erscheinungsdatum: 07.10.2011
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