Jung, blond, tot / Julia Durant Bd.1
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Jung, blond, tot von Andreas Franz
LESEPROBE
Donnerstag,Mitternacht Schulz war auf dem Weg vom Präsidium nach Hause. Bahnhofsviertel.Die Nacht war nach dem Abzug der letzten Regenwolken sternenklar und angenehmkühl. Trotz der späten Stunde pulsierte das Leben weiter in dieser Stadt, dienie zur Ruhe kam. Die grellen Leuchtreklamen der Bars und Lokale blinkteneinladend, Straßendirnen lungerten in dunklen Hauseingängen, traten ein oderzwei Schritte hervor, wenn einer vorbeikam, von dem sie sich eine schnelle Markfür eine schnelle, gefühllose Nummer erhofften, Geld für einen Druck Heroin,Geld für Schnaps. Zigarettenspitzen, die im Dunkel aufblitzten. Ein paarangetrunkene GIs, die laut schwätzend und lachend über den Bürgersteigschlenderten. Ein schief an der Hauswand lehnender Betrunkener, der seinenRausch im Schmutz der Straße ausschlief. Türken, Italiener, Jugoslawen, genauwar das im diffusen Licht der Straße nicht auszumachen, redeten wildgestikulierend aufeinander ein. Hütchenspielerknieten vor einer matterleuchteten Tür, umringt vonzehn Männern, und spielten ihr betrügerisches Spiel - skrupellose Gauner, dieimmer gewannen. Erst vor drei Tagen war ein argloser Tourist in einemHofeingang niedergestochen worden, nachdem er sich über die zweifelhaftenMethoden des Spiels beschwert hatte; jetzt lag er mit lebensgefährlichenStichverletzungen in der Uniklinik. Zwei Streifenpolizisten bewegten sichgemächlich die Straße entlang, die Blicke geradeaus gerichtet, denn nachtswaren auch Polizisten hier nicht frei von Angst. Eine alte Frau führte ihrenDackel spazieren. Idylle, auf den ersten Blick, doch ungemein trügerisch. Wieein friedlich dahinplätscherndes Gewässer, das die Augen der lauerndenKrokodile verbarg.
In dieserGegend begann das Leben immer erst nachts. Wenn woanders die Menschen schliefen,kamen sie hier aus ihren Rattenlöchern gekrochen und schwärmten durch dieStraßen, Huren, Freier, Loddel, Transvestiten, kriminelle Subjekte, Voyeure,die sich nur im Schutz der Nacht sicher fühlten. Kaum eine Nacht ohneMesserstecherei, wüste Schlägereien oder sogar Tote. Tote, oft kaum gekannt,von irgendwoher gekommen und hier zur Hölle gefahren, weil sie die Spielregelnin diesem Viertel nicht beachtet hatten. Tote, deren Namen keine Zeitungdruckte, die von keiner Polizei registriert wurden, die in keiner Statistikauftauchten. Tote, die mit Beton an den Füßen im Main versenkt wurden. Tote,die scheinbar nie existiert hatten. Unzählige Huren boten ihre Körper feil, aufDrehbühnen rekelten sich nackte Körper zu ekstatischer Musik, gaffende Männer undauch ein paar Frauen, die beim Hinsehen ihr Blut in Wallung brachten. DerGeruch von Döner durchzog die Luft. Autos, die dicht an dicht vor denzahlreichen Nachtbars parkten. Große, breite, bullige, furchteinflößendeRausschmeißer, die wie Zyklopen die Türeingänge bewachten und gleichzeitigschmeichlerisch zum Eintreten aufforderten. Frauen, grell geschminkt, trotz derKühle nur mit enganliegenden Shirts,superkurzen Röcken und Netzstrümpfen bekleidet. Eindeutige Bilder in den hellerleuchteten Auslagen, flackernde Lampen. Edelhuren,die in sündhaft teuren Wagen gemächliche Runden drehten, auf der Suche nachFreiern, für die Geld keine Rolle spielte. Und unzählige, roterleuchteteFenster. Er fuhr langsam, dieses Viertel übte einen besonderen Reiz auf ihn aus,auch wenn er um diese Zeit nicht aussteigen würde. Ihm reichte das Sehen ausder Sicherheit seines Wagens. Er fuhr sie alle ab, Weserstraße, Taunusstraße,Elbestraße, Moselstraße und zuletzt die Kaiserstraße, einst eine Prachtstraße,mittlerweile haftete ihr ein zweifelhafter Ruf an, und jeder Versuch, ihr denGlanz der Vergangenheit wieder einzuhauchen, war bis jetzt gescheitert. Erstweiter unten, an der Gallusanlage, wurde ihr Antlitz ansehnlicher. Nachdem erseine kurze, nächtliche Rundfahrt beendet hatte, gab er Gas, passierte die nacheinem Brand im Wiederaufbau befindliche Oper, überquerte die restaurierteUntermainbrücke und kam in die Schweizer Straße. Auch dort noch viele Menschen,die die Nacht zum Tag machten, wobei es hier ungleich friedlicher zuging alsauf der andern Mainseite. Die Ampel sprang auf Rot, er stoppte. Das Mädchenfiel ihm sofort auf. Sie war mittelgroß, mit langem, blondem Haar und jenemunschuldig-lasziven Gang, den nur Mädchen in einem bestimmten Alter haben.Nicht künstlich angeeignet, sondern natürlich. Die Herausforderung nur unbewußt, das Provozieren nicht mit Absicht. IhreBewegungen katzenhaft, sie blieb einen Moment stehen, strich sich mit einerHand durchs Haar, warf kurz den Kopf zurück, ließ ihren Blick in die Rundeschweifen, bevor sie ihren Weg fortsetzte, in Turnschuhen, Jeans und enganliegendem, weißem T-Shirt. Selbst im schwachen Lichtder Straßenlaternen erkannte er die sich in der kühlen Nachtluft deutlich unterdem Shirt abzeichnenden erigierten Brustwarzen. Einanderes Mädchen tauchte scheinbar aus dem Nichts auf, legte einen Arm um dieSchulter der Freundin, gemeinsam beschleunigten sie ihre Schritte, bis siehinter einer Tür wie in einem schwarzen Schlund versanken. Beide mußten etwa in dem Alter wie die zwei ermordeten Mädchensein. Er stellte sich vor, der Killer wartete in diesem schwarzen Schlund aufseine Opfer. Er beobachtete gerne junge Mädchen und Frauen, für ihn hätte dieWelt aus nichts als jungen Mädchen zu bestehen brauchen. Er wünschte sich in solchenAugenblicken, jünger zu sein, noch einmal von vorne beginnen zu können. Waserwartete ihn, wenn er nach Hause kam? Vielleicht war sie zu Hause,wahrscheinlich aber nicht. Sicher war sie wieder ausgeflogen, ein ruheloserVogel, um sich ihre Befriedigung einmal mehr woanders zu holen. Der Gedankeschmerzte ihn, er liebte sie beinahe hündisch, verstand nicht, weshalb sie ihnein ums andere Mal so tief verletzte. Zwölf Jahre waren sie jetzt verheiratet,und jeden Tag quälte sie ihn etwas mehr, als wollte sie ausprobieren, wie langeer dem Martyrium standhielt. Immer häufiger verließ sie das Haus, nachdem sieJulian fürs Bett fertig gemacht hatte, aufgetakelt für die Nacht, fürAbenteuer, die sie in fremden Betten suchte und meist auch fand. Er versuchte,nicht darüber nachzudenken, mit wie vielen Männern sie schon geschlafen habenkönnte, aber es mußten inzwischen Hunderte sein.Vielleicht war sogar schon einer darunter, der sie infiziert hatte. Denn erkonnte sich vorstellen, daß sie fast alles mit sich machenließ. Nur schlagen ließ sie sich nicht, obgleich sie schon zweimal mitverquollenem und zerschlagenem Gesicht von einem ihrer nächtlichen Streifzügeheimgekehrt war. Wie eine Katze nach einem wilden Revierkampf. Doch auch dashinderte sie nicht, es immer wieder zu probieren, ihn zu demütigen - wofür, daswußte er nicht. An
geblichbefriedigte er ihre sexuellen Bedürfnisse nicht, doch das allein konnte esunmöglich sein. Sie war eine Hure, auch wenn sie ihren Körper nicht verkaufte,wenn sie kein Geld für ihre Liebesdienste nahm. Sie war unersättlich geworden,und Schulz wußte längst, daßsie krank war. Nur deshalb hörte er nicht auf, sie zu lieben, nahm er jede nochso große Demütigung in Kauf. Eine kranke Frau zu verlassen war nicht sein Stil,und da waren ja auch noch die beiden Kinder. Es begann vor drei Jahren, als sieinnerhalb von vierzehn Monaten zwei Fehlgeburten hatte, davon einmal Zwillinge.Was immer damals mit ihr geschehen war, sie fing an, sich rumzutreiben,anfangs nur sporadisch, einmal im Monat vielleicht, doch jetzt, wo Sabrina imKrankenhaus lag und ihr Tod nur eine Frage der Zeit war, verschwand sie beinahejede Nacht.
© DroemerscheVerlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München
Interview mit Andreas Franz
Es hatlange gedauert, ehe ein Buch von Ihnen von einem Verlag angenommen wurde undSie zu einem erfolgreichen Krimiautor wurden. Schreiben Sie gerne, oder istSchreiben vor allem harte Arbeit für Sie? Wie empfinden Sie es, nun einBestsellerautor zu sein?
Ich schreibe sogar sehr gerne, aber es ist auch harteArbeit, verdammt harte Arbeit. Doch wie empfinde ich es, nun einBestsellerautor zu sein?! Bin ich überhaupt einer, nur weil ich ein paartausend Bücher mehr als ein paar andere verkaufe? Ich denke, das Problem ist,dass die meisten glauben, Bestsellerautormüsste gleichbedeutend sein mit Bestverdiener.Das ist jedoch ein Riesenirrtum. Es gibt überall, auch hierzulande,Bestsellerautoren, die Millionen verdienen, ich hingegen bin froh, dass ichmeine Familie einigermaßen über die Runden bringen kann. Ein weiteres Problemist, dass z.B. ein Grisham oder Crichton oder eine Walters oder Cornwell oder George und viele andere schon Monate vorErscheinen ihres neuen Werks - ganz gleich wie gut oder miserabel es auch ist -medienwirksam von den Verlagen promotet werden, dazuerhalten sie Vorschüsse, von denen ich und auch andere Autoren jahrelangsorglos leben könnten. Für die oben genannten wird automatisch ein Platz in derBestsellerliste reserviert, doch wenn ich mir zu vielen derer Bücher dieLeserrezensionen anschaue, dann weichen diese doch sehr häufig von der Meinungder Medienrezensenten ab. Seltsam, oder? Meine Leserschaft hat sich im Laufeder Jahre fast ausschließlich durch Mund-zu-MundPropaganda aufgebaut, und durch die Empfehlungen von Buchhändlern, denen ichsehr, sehr dankbar bin. Das heißt aber auch, dass ich noch lange Zeit hartweiterarbeiten muss, bevor ich mir mal einen Burnoutoder einen richtig langen Urlaub leisten kann, von einem schicken Haus ganz zuschweigen. Aber schau mer mal, was die Zukunftbringt. Ich lebe nach dem Motto - cogito ergo sum, ich denke, also bin ich. Und ich hoffe, noch langedenken und auch beobachten zu können. Und sollte irgend jemand nach demGelesenen meinen, ich wäre nur neidisch auf die Großverdiener - falsch, imGegenteil, ich schreibe wenigstens noch selbst und bin froh und dankbar, einenBeruf ausüben zu können, von dem ich immer geträumt habe.
1970 haben Siedas Gymnasium verlassen und eine Sprachschule besucht, um "etwas Ordentlichesaus meinem Leben zu machen." Ist Ihnen das gelungen?
Ich denke schon. Schreiben war ein lang gehegter Traum, derWirklichkeit wurde. Was kann es Schöneres und Erfüllteresgeben?!
Es gibt immerwieder Polizisten, die an dem, was sie über Jahre sehen, seelisch zerbrechen.Wie wird innerhalb der Polizei mit psychischen Problemen umgegangen? Welche Artvon Hilfe ist hier überhaupt möglich?
Es gibt Polizeipsychologen, die sich um z.B. traumatisierteBeamte kümmern, die mit schrecklichen Bildern konfrontiert wurden. Allerdingsreden viele Beamte nicht über ihre Probleme, sondern fangen etwa an zu trinken,häusliche Gewalt findet man in dieser Berufsgruppe auch nicht selten, dieScheidungsrate ist relativ hoch. Welche Hilfe überhaupt möglich ist ich weißes nicht.
In IhrenKrimis geht es häufig um verschiedene Formen des Missbrauchs. Was bedeutetIhnen dieses Thema?
Missbrauch jedweder Form ist für mich verabscheuungswürdig, weiler nicht nur häufig den Körper verletzt, sondern vor allem die Seele tötet.Und ich gebe zu, es macht mich unendlich wütend, wenn ich wieder einmal voneinem besonders gravierenden Fall höre. In meinen Büchern spielt Missbraucheine große Rolle, denn ich möchte meine Leser auch zum Nachdenken anregen.Kinder können sich nicht wehren, sie schreien ihren Schmerz nach innen undhaben nur sehr selten eine Chance, ihrem Peiniger zu entkommen. Und ich sprecheauch aus eigener Erfahrung, da ich in meiner Kindheit fast vierzehn Jahremiterleben musste, wie meine Mutter beinahe täglich misshandelt und missbrauchtwurde. Deshalb an alle Männer: Finger weg von Kindern und Frauen, es gibtandere Möglichkeiten, seine inneren und äußeren Konflikte zu lösen! Über dasVorwort meines ersten Romans "Jung, blond, tot" habe ich geschrieben: Wenn die Seele verbrennt, bleibt nichteinmal Asche. Missbrauch wird jedenfalls immer wieder mal in einem meinerBücher vorkommen, es wird allerdings kein Dauerthema sein.
Fast alle vonIhnen beschriebenen Fälle beruhen auf wahren Begebenheiten. Sie haben guteKontakte zur Frankfurter Polizei. Gleichzeitig sagen Sie - wie mit ähnlichenWorten übrigens auch Henning Mankell: "DieWirklichkeit sieht allemal düsterer aus, als meine Phantasie es zulässt." Wiepasst das zusammen? Welche Wirklichkeiten verschließen sich Ihnen beimSchreiben?
Es ist richtig, dass ich das gesagt habe. Jedes Mal, wennich mit Kripobeamten spreche, erfahre ich, wie skrupellos manche Menschenvorgehen, so skrupellos, dass meine Phantasie nicht ausreicht, um mir diesauszudenken. Allerdings erhalte ich so nach und nach Einblick in Abgründe, diedie wenigsten sehen oder sehen wollen. Dabei handelt es sich nicht nur um"einfache" Mörder oder Serientäter, sondern auch um die kriminellenMachenschaften in Politik und Wirtschaft. Es ist ein dichtes und immer dichterwerdendes Netz der organisierten Kriminalität, die mittlerweile alle Bereichedes politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens infiltriert oder sogarunter Kontrolle hat. Und das ist erschreckend, aber nicht mehr zu ändern.
Die Personenin Ihren Romanen sind psychologisch sehr einfühlsam gezeichnet. Dabei fälltauf, dass insbesondere das Verhalten der Täter erklärt, ja manchmal geradezu"entschuldigt" wird. Glauben Sie, dass sich jede kriminelle Tatpsychologisch erklären lässt?
Dass ich Täterverhalten entschuldige, ist schlichtwegfalsch. Ich versuche lediglich zu ergründen, was einen Menschen zum Beispiel zueinem Mörder hat werden lassen. Und da gibt es unzählige Gründe, doch einer derhäufigsten - gerade bei Serienkillern - ist persönlich erlebter Missbrauch. Wieich oben bereits erwähnte, verletzt Missbrauch nicht nur den Körper, sonderntötet die Seele, vor allem, wenn dieser Missbrauch über einen längeren Zeitraumhinweg geschieht. Da ich selbst im Alter von fünfzehn Jahren mit einemSerienkiller befreundet war und seine Kindheitsgeschichte fast zwanzig Jahrespäter erfuhr (darauf beruht übrigens "Jung, blond, tot"), begann ich michintensiver mit dem Phänomen Serienkiller zu beschäftigen. Ich entschuldigenicht einen einzigen Mord, ich entschuldige aber auch nicht das, was dieseMenschen letztlich dazu getrieben hat, diese schrecklichen Taten zu begehen.Nur in dem Buch "Das achte Opfer" versuche ich, Verständnis für das Verhaltendes Täters zu wecken, denn dieses Buch beruht ebenfalls auf einer wahrenGeschichte, die mir von einem höchst resignierten Hauptkommissar, der seitbeinahe fünfunddreißig Jahren bei der Kripo ist, erzählt wurde. In besagtemBuch lege ich den Finger in eine Wunde und prangere unser Justizsystem an, wasdazu führte, dass ich mehrere wütende Briefe und Mails von Staatsanwälten undRichtern erhalten habe, in denen ich bezichtigt wurde, Selbstjustizgutzuheißen. Diese werten Damen und Herren sollten das Buch einmal nicht ausder juristischen, sondern der menschlichen Warte lesen. Außerdem sehe ich michweniger als Roman-, denn als Berichtautor, da fast alle von mirniedergeschriebenen Fälle auf wahren Begebenheiten beruhen - und ich merke anden Reaktionen meiner LeserInnen, dass genau dies anmeinen Büchern geschätzt wird. Und nein, ich glaube nicht, dass sich jedekriminelle Tat psychologisch erklären lässt, da manche Taten im Affekt oder ineinem Zustand geistiger Verwirrung geschehen und somit nicht erklärbar sind,nicht einmal von den Tätern. Eigentlich lassen sich die wenigsten Taten, ganzgleich welcher Art, psychologisch erklären, auch wenn manche sogenannte Gutachter und Psychologen das zu können meinen.Der menschliche Geist, die Psyche und die Emotionen sind dazu noch viel zuwenig erforscht.
Die Fragenstellte Ulrike Künnecke, Literaturtest.
- Autor: Andreas Franz
- 2000, 30. Aufl., 512 Seiten, Maße: 18 x 11,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426617889
- ISBN-13: 9783426617885
- Erscheinungsdatum: 02.05.2000