Kampf dem Terror, Kampf dem Islam?
Der Sachbuch-Bestseller des Islam-Kenners jetzt in einer aktualisierten Ausgabe als preiswertes Taschenbuch. Mit visionärer Kraft analysiert Peter Scholl-Latour die beispiellosen bedrohlichen Szenarien und Herausforderungen, denen sich die westliche Staatengemeinschaft heute gegenübersieht.
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Der Sachbuch-Bestseller des Islam-Kenners jetzt in einer aktualisierten Ausgabe als preiswertes Taschenbuch. Mit visionärer Kraft analysiert Peter Scholl-Latour die beispiellosen bedrohlichen Szenarien und Herausforderungen, denen sich die westliche Staatengemeinschaft heute gegenübersieht.
Kampf dem Terror - Kampf dem Islam? von Peter Scholl-Latour
LESEPROBE
Kabul-Berlin, im Herbst 2002
»Mutter allerSchlachten«, so hatte Saddam Hussein seinen Feldzug gegen Amerika und dessenVerbündete zu Beginn des Jahres 1991 prahlerisch genannt, bevor seine Armeen imSüden des Zweistromlandes zu Staub wurden. Heute läuft der Westen Gefahr, daßder »Krieg gegen das Böse«, den Präsident George W. Bush zur Vernichtung desweltweiten Terrorismus in Gang brachte und dem keine zeitlichen odergeographischen Grenzen gesetzt sind, zur »Mutter aller Lügen« wird. Manchemögen diesen »Introitus« als Provokation empfinden. Aber so ähnlich ist es mirergangen, als ich über »Das Schwert des Islam« schrieb, als ich das»Schlachtfeld der Zukunft« in Zentralasien ankündigte und die »Lügen imHeiligen Land« aufdeckte.
Der 11. September 2001wird von den zu Hysterie und Konformismus neigenden Massenmedien alsZeitenwende dargestellt. In Wirklichkeit hat die Vernichtung des World TradeCenter eher als Katalysator gewirkt. Die Menschheitsbedrohung, die seitdem mitunerträglicher Insistenz hochgespielt wird, kündigte sich lange zuvor alsfatale Zwangsläufigkeit an. Die Tragödie von Manhattan berührt jeden Europäer,haben wir doch fast alle Verwandte, Freunde, geschätzte Kollegen in jenemgroßen Land der Neuen Welt, das de Gaulle mit der ihm eigenen stolzen Anmaßung»fille de lEurope«, Tochter Europas, nannte. Doch wenn wir schon vonGlobalisierung und der Gleichheit aller Menschen reden, dann sollte uns nichtnur das Gedenken an die zwei- bis dreitausend Toten von »Ground Zero«aufwühlen; auch die Gespenster jener zwei bis drei Millionen Afrikaner solltenuns heimsuchen, die unlängst im Umkreis des Kongo-Beckens so grauenhaftverendeten. Allzu oft waren sie Opfer von Stellvertreterkriegen, von Machenschafteneines entarteten Kapitalismus, für den die beiden gigantischen Türme des WorldTrade Center in der Zwangsvorstellung verblendeter Attentäter als Symbol undZielscheibe herhielten.
In dem vorliegendenBuch werde ich - getreu dem von Montaigne entliehenen Grundsatz »je nenseignepas, je raconte - ich belehre nicht, ich erzähle« - ausschließlich aufpersönliche Erlebnisse und Erfahrungen zurückgreifen, auf eineChronistentätigkeit am Ort des Geschehens, die mehr als ein halbes Jahrhundertumspannt. Daran werde ich kein Wort verändern. Ist denn alles so »neu« an derheutigen Stimmungslage, die zwischen polterndem Übermut und schreckhafterVerzweiflung pendelt? Versetzen wir uns nur in den Januar 1991 zurück. Soschrieb ich bei Ausbruch des Konflikts um Kuweit:
»Um Ferien zu machen und gleichzeitig dasOhr an das imperial schlagende Herz Amerikas zu legen, war ich Anfang 1991 nachFlorida - in die Nähe des zentralen Übersee-Commandos der US-Streitkräfte vonTampa - gereist. Dort, in der heilen Welt eines subtropischen Luxus-Ressortsmit Blick auf den schimmernden Golf von Mexiko, auf weißen Strand,Mangroven-Dickichte, Palmenhaine und üppige Villen, hatte mich die Nachrichtvom Beginn des Golfkrieges in der Nacht meiner Ankunft erreicht. Die dreinächsten Tage verbrachte ich vor dem Bildschirm. Ich ergab mich demCNN-Syndrom, ließ das Computerspiel einer manipulierten Kriegsberichterstattungüber mich ergehen und bewunderte die Kaltblütigkeit meines altenVietnam-Kollegen Peter Arnett, der im bombardierten Bagdad ausharrte.
In unserem amerikanischen Bekanntenkreisvon Naples, der sich abends im Royal Club traf, herrschte in jenen JanuartagenHochstimmung. Die Amerikaner waren offenbar noch einer patriotischenBegeisterung fähig, die den Kontinentaleuropäern längst abhanden gekommen ist.Unsere engsten Gesprächspartner, mehrheitlich als wohlhabende Geschäftsleuteoder Anwälte etabliert, hatten in ihrer Jugend als Offiziere bei den US-Marinesgedient. Eine geradezu victorianische Erfolgszuversicht kam auf. PräsidentGeorge Bush hatte Männer, Schiffe und Flugzeuge in einem Umfang gegen die weitüberschätzte Armee Saddam Husseins aufgeboten, wie sich das nach demVietnam-Debakel, dessen Trauma es zu überwinden galt, niemand mehr vorgestellthätte. Aber das Geld für die Monster-Expedition am Golf, so sickerte bereitsdurch, mußte er sich bei den Erdöl-Potentaten der Arabischen Halbinsel, bei denJapanern und bei den Deutschen beschaffen. In jenen zuversichtlichen Tagen derOperation Wüstensturm wäre jeder von einem Ausländer geäußerte Zweifel an derFähigkeit Amerikas, nach der Niederschlagung des neuen Hitler im ganzenOrient eine dauernde Friedensordnung zu schaffen, als Ausdruck von Neid undHäme gewertet worden. Mich drängte es, an den Ort des Geschehens zu eilen.«
Im Flugzeug,das ich in Atlanta in Richtung Frankfurt bestieg, waren meine Frau und ich dieeinzigen Passagiere. Schon damals - wie neuerdings am ersten Jahrestag desominösen 11. September 2001, an dem so viele amerikanische Reisende ihreFlugpassagen annullierten - schien eine neurotische Überlebensangst, parallelzur offiziellen Kraftmeierei, nicht nur die Touristen, sondern auch die globalagierenden Businessmen gelähmt und an den festen Boden gebunden zu haben. Esklingt merkwürdig aktuell, wenn ich in meinem damaligen Text fortfahre:
»Das wirkliche Menetekel, das in jenenTagen über den Höhen von Judäa aufleuchtete, war die Fähigkeit Saddam Husseins,den Ablauf des Krieges auch mit chemischen Waffen zu beeinflussen und dadurchden jüdischen Staat zu schrecklicher Vergeltung zu zwingen. So wurde diegelassene Stimmung, mit der ich mich nach Amman, der Hauptstadt Jordaniens, aufden Weg machte, am Abend vor meinem Abflug ein wenig getrübt, als es zu späterStunde an meiner Zimmertür klopfte und der Portier des Vier Jahreszeiten mirim Auftrag des ZDF ein quadratisches Paket überreichte. Es enthielt, wie ichder Aufschrift entnahm, eine Gasmaske und einen Schutzanzug gegen chemischeKampfstoffe.
Eine neue, besonders heimtückische Abartdes Krieges wurde plötzlich sichtbar. Für die Nachwelt würde dieser Golfkriegzwischen Amerikanern und Irakern seine geschichtliche Bedeutung vielleichtdadurch gewinnen, daß ein arabisch-islamischer Staat von nun an in der Lage war,Mittelstreckenraketen gegen die alles beherrschende Supermacht ins Spiel zubringen. Die Büchse der Pandora öffnete sich und die grausige Perspektivekünftiger Unwägbarkeiten. Solange nur persische Revolutionswächter undkurdische Dorfbewohner in den Giftschwaden Saddam Husseins umgekommen waren,hatte es die westlichen Medien wenig gekümmert. Jetzt hingegen waren neben denamerikanischen GIs die Einwohner Israels durch chemische Kampfstoffe bedroht.Jenseits dieser Generalprobe am Golf profilierte sich die Drohung einernuklearen Proliferation, die Möglichkeit, daß in drei, fünf oder zehn Jahrenunberechenbare, paranoide Potentaten am Süd- und Ostrand des Abendlandes mitder atomaren Apokalypse hantieren und unsägliche Erpressung ausüben könnten.«
Glaubt maneiner Vielzahl amerikanischer Publizisten und ihren europäischen Nachbetern,dann hätte der internationale Terrorismus am 11. September 2001 mit einemgewaltigen Donnerschlag seine häßliche Fratze enthüllt. Doch das Thema ist soalt wie Kain und Abel. Selbst in Amerika war der Terrorismus stets beheimatet;denken wir nur an die sukzessiven Präsidentenmorde von Abraham Lincoln bis JohnF. Kennedy, an die vernichtende Explosion in Oklahoma City vor sieben Jahren,an das Sektenmassaker von Waco/Texas und vieles mehr. Daß die Selbstmordaktionfanatisierter Araber nicht »home made« war, sondern von außen in die USAhineingetragen wurde, daß dabei eine Unverwundbarkeitsillusion zu Schaden kam,die durch die endlosen strategischen Spekulationen über einen undurchlässigenRaketenschirm doch längst dubios geworden war, verweist lediglich auf dasparadoxe Nebeneinander von globalen Imperial-Ansprüchen und einem provinziellanmutenden Sicherheitswahn. Was ist denn wirklich so innovativ an derVerteidigungsdoktrin und den Kriegsszenarien der Zukunft, die Donald Rumsfeldheute als originäres Produkt seines Planungsstabes hinstellt? Im Herbst 1997war ich zufällig auf ein Exposé gestoßen, das aus der Feder William Cohens, desletzten Verteidigungsministers Präsident Clintons, stammte und in der»Washington Post« abgedruckt wurde.
Bill Cohen war einrecht guter Bekannter. Anfang August 1996 hatten wir drei Tage gemeinsam inSüdfrankreich verbracht. Er war damals noch Senator von Maine und hatte sichals Autor spannender Politthriller, darunter die Geheimdienststory »Buraq«,einen Namen gemacht. Gemeinsam wollten wir an ein ähnliches Projekt herangehen,das unter dem Kennwort »Rapallo« auch das Drehbuch für einen Film hergegebenhätte. Auf Grund seiner Berufung durch Bill Clinton war daraus nichts geworden.Der neue Secretary of Defense, ein gutaussehender, sympathischer Mann mitforschenden blauen Augen, bleibt mir als hervorragend informierter Politiker inErinnerung. Er vermittelte mir im Sommer 1996 Insiderwissen über denVerteidigungsstand der USA und das damalige Unvermögen der Weltmacht, auf mehrals zwei regionalen Kriegsschauplätzen simultan zu intervenieren.
Es entsprach natürlichder offiziellen Politik des Weißen Hauses, wenn Cohen in seinen gezieltenPresseverlautbarungen auf die gewaltigen Vorräte an Massenvernichtungsmittelnverwies, über die Saddam Hussein - ungeachtet aller UNSCOM-Kontrollen - nochverfügte und mit denen er angeblich in der Lage war, die gesamte Menschheitauszulöschen. Das klang ziemlich dick aufgetragen. Parallel zu dieserAlarmmeldung des Ministers vernahm man aus dem Pentagon, die Iraker seien beider Herstellung bakteriologischer wie auch chemischer Kampfstoffe in den frühenachtziger Jahren von europäischen und amerikanischen Experten angeleitetworden. Damals ging es ja noch darum, die Ausweitung der islamischen RevolutionKhomeinis durch den irakischen Rammbock einzudämmen. Dazu waren offenbar alleMittel gut gewesen.
William Cohen, soentnahm ich der »Washington Post«, nahm die irakische Kontroverse 1997 zumAnlaß - benutzte sie als »Aufhänger«, wie man im Journalismus sagt -, um aufeine weit fürchterlichere globale Bedrohung hinzuweisen. Die amerikanischeÖffentlichkeit sollte endlich die düsteren Realitäten des neuen Millenniums erkennen.»Die Gefahr der nuklearen, biologischen und chemischen Waffen ist nicht auf denIrak beschränkt, und die Frontlinie könnte ebenso gut durch den Mittleren Ostenwie durch die koreanische Halbinsel verlaufen«, beteuerte der Secretary ofDefense. »Beim Nahen des Jahres 2000 müssen wir uns mit der zunehmendwahrscheinlichen Perspektive vertraut machen, daß regionale Aggressoren,drittrangige Armeen, terroristische Zellen und sogar religiöse Sekten versuchenwerden, unkalkulierbare Macht auszuüben, indem sie Massenvernichtungswaffenerwerben und einsetzen. Diese Gefahren ballen sich vor unserer Haustürzusammen.«
Cohen erwähnte denGiftkrieg Saddam Husseins gegen den Iran wie auch den U-Bahn-Anschlag derAum-Sekte in Tokio als Präzedenzfälle. »Die Eindämmung der Weiterverbreitungvon Massenvernichtungswaffen wird eine der dringlichsten Herausforderungen des21. Jahrhunderts sein. Je eher wir uns darauf einrichten, desto wirkungsvollerwerden unsere Bemühungen sein. Es gibt kein Allheilmittel gegen diese Form derBedrohung. Wir müssen sie als chronische Krankheit behandeln, ständig auf derHut sein, die ersten Symptome erkennen und sofort eine Kombination vonGegenmaßnahmen einleiten Wir können nicht zulassen, daß unsere Verwundbarkeitgegenüber chemischen und biologischen Waffen zu unserer Achillesferse wird.«Cohen kündigte ein völlig neues Abwehrkonzept der US-Streitkräfte für dasMutterland unter Verwendung der National Guard an. Er ließ im Militärbudget derkommenden fünf Jahre eine Milliarde Dollar zu diesem speziellen Zweckbereitstellen. »Die unmittelbare Krise im Irak muß noch gelöst werden«, soschloß er; »aber wenn das geschehen ist, auf welchem Wege auch immer, wird dasnicht das Ende, sondern der Beginn einer lang andauernden globalen Schlachtsein, in der wir uns weder einen Rückzug noch eine Ruhepause gönnen dürfen.«
Es gibt wirklich»nichts Neues unter der Sonne«, so sagte schon der biblische Ekklesiast.
DasVietnam-Syndrom
JedeDiplomatie ist zur Ratlosigkeit verurteilt, wenn die Bewältigung politischerKonflikte die Form eines Gottesgerichts annimmt. »Enduring Freedom« ist keingewöhnlicher Krieg. Diese Operation gleicht einer Gespensterjagd. Das Feindbildbleibt verschwommen. In Ermangelung einer präzisen Definition des Gegners mußder »revolutionäre Islamismus« herhalten, muß der Verdacht einer permanentenVerschwörung stets neu belegt werden. An einer umfassenden Information derÖffentlichkeit ist den amerikanischen Stäben nicht gelegen. Im Pentagon wirdohne Scheu zugegeben, daß die systematische Irreführung ein unentbehrlichesInstrument des »psychological warfare« geworden ist. In den Köpfen derführenden Militärs bleibt die Überzeugung verankert, daß die allzu großeMitteilungsbereitschaft der US-Army in Vietnam und die dort schrankenloseZulassung zahlloser Kamerateams dazu beigetragen haben, die »Heimatfront« mitHorrorbildern des Todes und der Zerstörung zu zermürben und dieFriedensbewegung zu einer unwiderstehlichen Strömung anschwellen zu lassen.
Ob die neue Methodestrikter Nachrichtenkontrolle, ja -manipulation, die bereits im Golfkrieg 1991praktiziert wurde, die Beurteilung der Kriegslage positiv beeinflußt, bleibtdahingestellt. Die TV-Zuschauer werden sich auf Dauer mit grünlich flackerndenAufnahmen nächtlicher Bombardierungen oder handfesten Video-Fälschungen nichtzufriedengeben. In Vorahnung der rigorosen Beschränkung auf »Pools« undBriefings hatte ich mich 1991 nicht der großen Korrespondenten-Herde imsaudischen Dahran oder auf den US-Flugzeugträgern angeschlossen, sondern alsBeobachtungsposten die jordanische Hauptstadt Amman ausgesucht, die in direkterLandverbindung zu Bagdad stand.
Wie ist es heute um dieReportertätigkeit in Afghanistan bestellt? Der Blitzkrieg der ersten Wochen,der Offensivdurchbruch der Nord-Allianz nach dem 7. Oktober 2001 sind in allerAusführlichkeit und mit der gebührenden Begeisterung dem breiten Publikumübermittelt worden. Auch die Flächenbombardements der US-Air Force und dievernichtende Wirkung der B-52, die ja die Voraussetzung zum Debakel der Talebanschufen, konnten gefilmt werden. Viele Kollegen trugen ein übriges zu dieserSiegesatmosphäre bei, indem sie Freudentänze der »befreiten« Bevölkerung vonKabul, demonstratives Zerreißen der Burqa-Vermummung plötzlich emanzipierterFrauen und den Verzicht von ein paar Männern auf die vorgeschriebene Barttrachtinszenierten. Inzwischen ist die Burqa wieder zur vorherrschenden weiblichenLandestracht geworden, und kaum ein Afghane ist glatt rasiert.
Was sich hingegen nachdiesen spektakulären Anfangserfolgen im Südosten des Landes ereignete undweiter ereignet, bleibt dem Auge des Reporters, dem Objektiv der Kameraverborgen. Wie hatte man in deutschen Redaktionen über jene Experten gespottet,die einen Abnutzungskrieg im Hindukusch vorausgesagt und sich angeblichblamiert hatten, nachdem das Taleban-Regime wie ein Kartenhaus zusammenbrach.Die amerikanischen Armeestäbe waren von Anfang an viel skeptischer als dieseEuphoriker. Als der Feind - statt sich in stupiden Stellungskämpfen durch die»smart bombs« der Air Force pulverisieren zu lassen - das Weite suchte, in denGebirgsschluchten Zuflucht und Ausweichplätze fand, als die gemäß derWildwestformel »dead or alive« gesuchten »Verbrecher« Osama Bin Laden undMullah Omar sich in Luft auflösten, kam das strategische Konzept »search anddestroy - suchen und vernichten« wieder zu Ehren.
In den ProvinzenPaktia, Oruzgan, Nangarhar, Kunar oder Lovgar wurden jetzt doch Erinnerungen anVietnam wach, wie das Pentagon freimütig bestätigte. In dieser neuen Phase derPartisanenbekämpfung schieben die angestammten »War Lords« die dilettantischenTaleban-Kommandeure beiseite. Die US-Special Forces forschen nach denÜberbleibseln von El Qaida, die noch nicht ins Ausland entronnen sind. Darüber liegenjedoch keinerlei zuverlässige Auskünfte vor, bleibt die Nachrichtensperrekomplett. Wenn wirklich einmal die Sprengung eines verborgenen Waffenlagersgemeldet wird, stellt sich meistens heraus, daß diese Anhäufung vonKalaschnikows und Munition auf den Abwehrkampf gegen die Sowjetunionzurückreicht.
Unterdessen tauchtenaus fragwürdigen Quellen ganz andere Dokumente und Beweisstücke einerdiabolischen Konspiration auf. Da trat Osama Bin Laden wie der »Alte vom Berge«in der Runde finsterer Verschwörer auf und ergötzte sich am Gottesgericht, dasüber das Wahrzeichen Manhattans hereingebrochen war. Da wurden Videobänder ausden Trainingslagern von El Qaida vorgeführt, die allerdings - bei näheremZusehen - über die Darstellung einer normalen infanteristischen Ausbildung oderrudimentären Anleitung zu kriegsüblichen Sprengungen nicht hinausgingen. Dazukam die erbärmliche Sequenz eines im Giftgas verendenden Hundes, die als Beweisdafür herhalten sollte, daß in improvisierten Laboratorien des Hindukusch dieMassenvernichtungswaffen zur Terrorisierung des Westens zusammengebraut wurden.
Wer lange genug imelektronischen Handwerk tätig ist und dessen fast unbegrenzteManipulationsmöglichkeiten kennt, wird diesem Anschauungsmaterial - dessenAuthentizität nicht ganz auszuschließen ist - keine zwingende Beweislastzubilligen. Es ließe sich ohne großen Aufwand bewerkstelligen, mit einigengeschickten Tricks George W. Bush in trauter Gemeinsamkeit neben Osama BinLaden ins Bild zu rücken und ihn in ausgeklügelter Sprachsimulation denHeiligen Krieg ausrufen zu lassen.
© Ullstein Verlag
Interview mit Peter Scholl-Latour
"Der Fluch des neuenJahrtausends" enthält über 100 Kolumnen und Filmskripte aus den Jahren1997 bis 2001. Was macht die Texte heute noch aktuell?
Zunächsteinmal finde ich es erstaunlich, welch hohe Auflage dieses Buch erreicht hat. Essind ja im Wesentlichen Artikel übernommen, die ich für die "SchweizerIllustrierte" geschrieben habe. Ich hatte meinen Lektor gebeten, er solle dieArtikel zusammenstellen. Aber der Erfolg beweist ja, wie aktuell meine Textesind und dass sich meine Prognosen fast durchgehend erfüllt haben.
Sie widmen sichKriegsschauplätzen weltweit - von Bosnien bis Kongo. Hat Sie eine der Regionen,in denen Sie gearbeitet haben, ganz besonders geprägt?
Ichfinde, im Alter von 80 Jahren und mit 60 Jahren Berufserfahrung kann man das sonicht sagen. Afrika zum Beispiel hat mich sehr geprägt. Ich halte "AfrikanischeTotenklage" für eines meiner besten Bücher. Die Berichterstattung aus Indochinahat mich wohl noch stärker beeinflusst. 1951 hatte ich meine erste großeOrientreise unternommen. In Paris und Beirut studierte ich Politikwissenschaft sowieArabistik und Islamkunde. Ich berichtete aber auch über den Vietnamkrieg und warKorrespondent in Paris. Seit dem Frankreich-Exil von Ayatollah Khomeini lässtmich der Islam nicht mehr los. Den Irak kenne ich seit meiner erstenOrientreise. Ich war auch beim ersten Golfkrieg, dem bei weitem blutigstendabei, und ich kenne beide Seiten des Konfliktes - die irakische und dieiranische. Wenn man heute allerorten von Globalisierung spricht, ergibt sichdaraus auch eines: Man muss sämtliche Weltregionen kennen, die aufeinandereinwirken.
Alsdamals mein Buch "Das Schwert des Islam", eine Wiedergabe von Fernsehskripten,erschien, sind viele Orientalisten über mich hergefallen. Heute bin ichderjenige, der zur Mäßigung rät und gegen antiislamische Tendenzen argumentiert.Wir haben es mit einer revolutionären Bewegung zu tun, die im Westen auftotales Unverständnis stößt.
Zum 11. September 2001:Hätte dieser bislang schlimmste aller Terroranschläge Ihrer Einschätzung nachverhindert werden können?
Dasist reine Spekulation. Man kann einen Terroranschlag nicht verhindern. Und wirkennen noch nicht alle Hintergründe der Anschläge. Sie sind nicht nur inAfghanistan und in Hamburg ausgeheckt worden. Es muss arabische Unterstützungin den USA gegeben haben. Die Familie bin Laden war ja zum Beispiel starkvertreten in den USA.
Wenn Sie ein Berater derBundesregierung wären - gibt es einen Rat, den Sie ihr für die künftigeAußenpolitik geben würden?
Ichwürde raten aufzurüsten. Wir brauchen eine schnelle Interventionsarmee, eine Elitetruppe,die zahlenmäßig nicht groß sein muss. Und wir brauchen nukleare Abschreckung. Deutschlandmuss mit den starken europäischen Partnern zusammenarbeiten. Das sindGroßbritannien und Frankreich. Und da London stark an Washington gebunden ist,kommt als Partner im Moment nur Frankreich in Frage. Die NATO als Gremium istüberholt. Wenn die Amerikaner Torheiten begehen, muss Widerspruch möglich sein.Die Entscheidungsstränge müssen auch in Europa zusammenlaufen. Zum Beispielkann uns die Expedition nach Afghanistan noch teuer zu stehen kommen.
- Autor: Peter Scholl-Latour
- 2004, 8. Aufl., 512 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548366791
- ISBN-13: 9783548366791
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