Knochengrube
Mystery-Thriller. Deutsche Erstausgabe
Kunsthistorikerin Beth Cox erhält den Auftrag, kunstvoll illustrierte Fabeltierdichtungen aus dem Mittelalter zu restaurieren. Beth ist davon fasziniert. Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnt:
Die in den Dichtungen
beschriebenen Kreaturen sind nur allzu lebendig.
Die in den Dichtungen
beschriebenen Kreaturen sind nur allzu lebendig.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Knochengrube “
Kunsthistorikerin Beth Cox erhält den Auftrag, kunstvoll illustrierte Fabeltierdichtungen aus dem Mittelalter zu restaurieren. Beth ist davon fasziniert. Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnt:
Die in den Dichtungen
beschriebenen Kreaturen sind nur allzu lebendig.
Die in den Dichtungen
beschriebenen Kreaturen sind nur allzu lebendig.
Klappentext zu „Knochengrube “
Wer die Geschöpfe des Gartens Eden befreit, öffnet das Tor zur HölleDie Kunsthistorikerin Beth Cox erhält den Auftrag, eine kunstvoll illustrierte und äußerst wertvolle Handschrift zu restaurieren. Es handelt sich um ein Bestiarium, eine im Mittelalter verfasste Sammlung an Fabeltierdichtungen mit kunstvollen Illustrationen, die sich im Besitz des Multimillionärs Mohammed al-Kalli befindet. Voller Begeisterung geht Beth ans Werk und ist bald von der ungewöhnlich echt wirkenden Darstellung der Fabelwesen fasziniert. Zudem stellt sie fest, dass die Schrift ein ungeahntes Geheimnis birgt. Zur gleichen Zeit macht ihr Mann Carter, der als Paläontologe in den Teergruben von La Brea in Los Angeles arbeitet, eine spektakuläre Entdeckung. Und auch an ihn tritt al-Kalli heran. Carter soll al-Kallis wahres Bestiarium retten. Denn die in den Dichtungen beschriebenen Kreaturen sind nur allzu lebendig ...
Lese-Probe zu „Knochengrube “
Knochengrube von Robert MaselloProlog
Basislager, außerhalb von Mosul, Irak Februar 2005
Sand. Sand in seinen Stiefeln, Sand in seiner Kleidung, Sand in seinen Achselhöhlen und Sand in seinen Haaren. Nachts träumte er vom Sand. Greer schwor, dass er, wenn er jemals lebendig aus dem Irak herauskäme, nie wieder irgendwo hinfahren würde, wo es Sand gab.
Wenn heute alles glattging, könnte sein Wunsch vielleicht sogar in Erfüllung gehen.
Sadowski steckte den Kopf unter der Zeltplane hervor. »Hasan sitzt im Humvee, Captain«, sagte er. »Gefesselt.«
Greer nickte und schnürte seine Stiefel fertig zu. Selbst in seinen Socken war Sand, aber es war zwecklos, zu versuchen, ihn loszuwerden. Er könnte die Stiefel ausziehen, sie gründlich ausschütteln und sie wieder anziehen, nur um festzustellen, dass noch mehr Sand darin war als zuvor.
»Aufladen«, befahl er Sadowski und warf einen Blick auf die Uhr. »Wir müssen das Tageslicht ausnützen.«
Draußen brannte die Sonne so heiß herunter, dass der Boden sich zu wellen schien, wenn man lange genug hinschaute. Greer setzte seine Sonnenbrille auf, zog den Rand seiner Kappe herunter und ging auf den Humvee zu, der im schmalen Schattenstreifen neben einem Wassertankwagen parkte.
Die »Rattenkiste« hatte einen Wüstentarnanstrich und war als Meldefahrzeug ausstaffiert. Die Fenster waren fast schwarz getönt, und eine Wald-und-Wiesen-Panzerung, zusammengesetzt aus allem, was sie im Depot für Altmaterial hatten schnorren können, bedeckte das Fahrzeug vom Kühlergrill bis zur Stoßstange. Greer kletterte auf den Beifahrersitz, ohne einen Blick nach hinten zu werfen. Er wusste, wer dort saß.
... mehr
Lopez, der seine zuverlässige SAW, das Maschinengewehr der Truppe, festhielt, Donlan mit Landkarte, Laptop und GPS-Gerät. Und, direkt hinter ihm, Hasan mit Plastikfesseln, der seinen taschengroßen Koran umklammert hielt.
Sadowski, auf dem Fahrersitz, sagte: »Captain?«
Statt einer Antwort hob Greer lediglich das Kinn und deutete auf die Windschutzscheibe aus kugelsicherem Plexiglas, und der Humvee rumpelte mit brausender Klimaanlage aus dem Camp und auf die Straße Richtung Mosul.
Dieser Abschnitt der Straße war offiziell für minenfrei erklärt worden und stand seit drei Wochen unter der Kontrolle der Koalition. Doch das hatte nicht verhindert, dass letzten Donnerstag ein Jeep von einer Panzerfaust in die Luft gesprengt worden war. Vom Beschuss mit Mörsergranaten war die Straße mit frischen Schlaglöchern übersät, eine Straße, die schon vorher kaum als Schnellstraße durchgegangen wäre.
Kein Sand mehr, dachte Greer. Nie wieder. Nicht einmal am Strand.
»Entschuldigen Sie? Mr Greer?«, sagte Hasan und beugte sich so weit vor, dass Greer seinen heißen Atem im Nacken spürte. »Sollten wir nicht mehr Soldaten und mehr Waffen mitnehmen?«
Greer lächelte nur. Was rauchte dieser Typ bloß für ein Zeug? Bildete er sich etwa ein, dies hier sei eine offizielle Mission? Es war eine netterweise subventionierte Schatzsuche, mehr nicht.
»Wir haben alles, was wir brauchen«, sagte Greer. »Wenn du tust, was von dir verlangt wird, bist du rechtzeitig zurück für dein nächstes Verhör.«
Die Männer lachten. Hasan nicht.
Eine Stunde lang fuhren sie auf der Straße, die als Saddams Autobahn bekannt war. Sie kamen an ausgebombten und verlassenen Dörfern vorbei, an den verkohlten Gerippen von Militärtransportern, Taxis und einmal unglaublicherweise sogar an den Überresten eines hellgelben Schulbusses. Greer fragte sich, wie zum Teufel der bloß hierhergekommen war. Lopez, der immer noch seine SAW festhielt wie eine Mutter ihr Kind, döste mit geschlossenen Augen, während Donlan ihre Fahrt verfolgte.
»Wir müssten demnächst den Palast erreichen«, verkündete Donlan schließlich und betrachtete auf der Rückbank seinen Laptop.
»Also, Hasan«, fragte Greer. »Kommt dir irgendetwas bekannt vor?«
Hasan presste seine Nase gegen das dunkle Glas und spähte hinaus. In dieser Gegend war er aufgewachsen. Der beste Lebensmittelladen hatte ihm gehört, und er hatte eine Frau und zwei Töchter gehabt. Jetzt war ihm kaum mehr als sein Leben geblieben. »Ja«, sagte er. »Sie werden zu einem ... Platz in der Straße kommen, von dem zwei Wege abgehen.«
»Eine Weggabelung«, ließ sich Lopez wie aus weiter Ferne vernehmen.
»Ja, ja, eine Gabel«, sagte Hasan. Er hasste sie alle so sehr, egal, wie unschuldig sie sein mochten, und er fürchtete, sie könnten es aus seinen Worten heraushören. »Sie müssen abbiegen nach rechte Seite. Und weitergehen, vielleicht drei Meilen.«
»Ist die Straße geräumt oder liegen da noch Minen rum?«, fragte Sadowski.
Hasan hatte keine Ahnung. Das Ganze war nicht seine Idee gewesen.
Keiner der anderen antwortete.
»Und was erwartet uns dort?«, fragte Greer.
»Sie werden die Wände sehen - hohe Wände, vielleicht drei Meter hoch. Und große Eisentore.«
»Wenn sie nicht gestohlen wurden«, sagte Sadowski mit einem vielsagenden Grinsen.
»Niemand hat sie genommen«, erklärte Hasan überzeugt. »Die Leute haben zu große Angst.«
»Vor Saddam?«, mischte Lopez sich ein. »Wir haben ihn, oder haben die das nicht mitbekommen?«
»Nicht Saddam. Sie fürchten sich vor den al-Kallis.«
»Was ist denn so furchterregend an diesen al-Kallis?«, wollte Lopez wissen.
Was sollte Hasan darauf antworten? Wie sollte er diesen dummen Männern, diesen Barbaren, erklären, wer die al-Kallis waren? Aber er musste es ihnen erzählen. Er musste etwas unternehmen, um sie vorzuwarnen, damit sie sich vorsahen, oder es könnte ihn ebenfalls das Leben kosten. »Die al-Kallis sind die älteste Familie im Irak und die mächtigste. Dies war früher ihr Palast. Saddam hat ihn genommen.«
»Ich vermute, er hat so ziemlich alles gestohlen«, stellte Greer fest.
»Die al-Kallis werden zurückkommen. Sie sind hier seit über tausend Jahren.« Er blickte hinunter auf seine Hände. Die Handfesseln schnitten sich tief ins Fleisch. »Vielleicht waren sie schon immer hier.«
Sadowski und Greer tauschten ein Grinsen. Es war genau dieser Hokuspokus, weswegen die Leute hier so eine einfache Beute waren.
»Ja und?«, sagte Greer. »Sie sind also schon eine Weile hier in der Gegend.«
»Es gibt Geschichten«, sagte Hasan. Er wusste sehr wohl, dass sie sich über ihn lustig machten. Er versuchte, die Hände zu bewegen, um die Blutzirkulation in Gang zu bringen. »Die al-Kallis haben ... Kräfte. Seltsame Dinge geschehen dort. Sie müssen sein sehr vorsichtig.«
»Who you gonna call?«, sang Lopez laut und schwenkte seine Waffe. »GhostBUSTERS!« Die Soldaten lachten, doch Hasan hatte keine Ahnung, worüber. Kurz kam ihm der Gedanke, dass er keinen Moment zögern würde, sie alle eigenhändig zu töten, wenn er einen Weg fände. Und dann könnte er den Wagen beschlagnahmen und fliehen.
Aber wohin?
Der Humvee rumpelte weiter. Die Straße vor ihnen war bedeckt mit Sandverwehungen, so dass der Weg manchmal kaum zu erkennen war. Sadowski beugte sich zur Windschutzscheibe vor und starrte hinaus in die blendende Helligkeit. Er konnte den Gedanken an Landminen nicht aus seinem Kopf verbannen. Erst vor einer Woche hatte es zwei seiner Kameraden von der dritten Infanteriedivision erwischt. Sie waren mit einem neunzehn Tonnen schweren Radpanzer auf eine Mine gefahren, und jetzt hatte jeder von ihnen nur noch ein Bein.
Bildete er sich das nur ein, oder sah er in weiter Ferne vor sich tatsächlich weißgekalkte Mauern, die sich wie ein Wunder aus dem Wüstensand erhoben? Wenn das die Mauern waren, von denen Hasan gesprochen hatte, hatte er sich gewaltig verschätzt. Soweit er es aus dieser Entfernung beurteilen konnte, waren sie eher fünf, sechs Meter hoch. Und sie erstreckten sich allein auf einer Seite über mindestens eine Viertelmeile. Sadowski hatte bereits zwei von Saddams Palästen »befreit«, die aber nicht eindrucksvoller waren als die Häuser, die man bei MTV Cribs zu sehen bekam und nichts mit dem zu tun hatten, was er sich vorstellte, wenn er das Wort »Palast« hörte. Doch bei dem Kasten hier schien das anders zu sein.
»Er müsste genau vor uns liegen, etwa eine halbe Meile nach Westen«, meldete Donlan.
»Ich sehe ihn«, erwiderte Sadowski.
Es gab sogar Türme, schmale weiße Säulen weit hinter den Mauern, die wie leuchtende Nadeln in den Himmel ragten. Das gesamte Gelände musste riesig sein. Sogar der Straßenrand veränderte sich. Auf beiden Seiten säumten nun Dattelpalmen den Weg, zusammen mit den verdorrten Überresten anderer Pflanzen, die am Wassermangel zugrunde gegangen waren.
Captain Greer nahm ein Fernglas zur Hand und suchte die Mauern vor ihnen nach Hinweisen auf feindliche Aktivität ab. Doch das einzige Lebenszeichen, das er ausmachte, war ein Schwarm bösartig dreinblickender Krähen, die auf den Streben über dem Haupttor hockten. Die Torflügel selbst waren, wie Hasan prophezeit hatte, noch intakt, doch es war nicht zu erkennen, ob sie verschlossen waren oder nicht. Für alle Fälle hatte er etwas Plastiksprengstoff eingepackt.
»Halt fünfzig Meter vorher an«, sagte Greer zu Sadowski und fügte hinzu: »Du bleibst im Wagen, mit laufendem Motor.«
Der Humvee kam langsam auf der sandigen Straße zum Stehen, und Hasan sprach ein stilles Gebet. Niemand, den er kannte, hatte jemals die Mauern des Palasts der al-Kallis überwunden. Niemand, den er kannte, hatte es je gewollt. Seit Generationen hatten die Mütter in dieser Gegend ihren ungezogenen Kindern damit gedroht, dass sie, wenn sie sich nicht benähmen, an die al-Kallis verkauft würden. Und wann immer Menschen verschwanden, machten geheimnisvolle Andeutungen die Runde, dass sie sich zu nah an den Palast gewagt hätten.
In manchen Nächten, wenn der Wind richtig stand, behaupteten die Dorfbewohner, seltsame und wilde Schreie zu hören.
Während Sadowski im Geländewagen sitzen blieb, stiegen die anderen aus.
»Bisher sieht's so aus, als sei niemand zu Hause«, verkündete Greer, als er sich mit der Beretta in der Hand dem Tor näherte. Donlan blieb ein paar Schritte hinter Hasan. Der hatte nichts, um sich zu schützen, bis auf den Koran, den er mit den gefesselten Händen umklammerte, als hinge sein Leben davon ab.
Greer trat zum Tor, das ebenfalls mindestens sechs Meter hoch war. Es war schwergängig, weil man es lange nicht benutzt hatte und die Angeln voller Sand waren, doch es war nicht abgeschlossen. Greer gelang es sogar, den einen Flügel ein Stückchen zurückzuschieben. Wenn sie jetzt noch so gut funktionierten, mussten sie seinerzeit äußerst präzise angefertigt worden sein. Das Tor war mit kunstvoll verschnörkeltem Metall verziert, das aussah wie ein Schriftzug. Er drehte sich zu Hasan um.
»Bedeutet das irgendwas?«
Hasan nickte.
»Und?«
Hasan überlegte, wie er das richtig übersetzen sollte. Es war ein altertümlicher Vers, von dem er einige Zeilen selbst nicht vollkommen verstand. Aber der Sinn der Worte war eindeutig. »Es ist ein Willkommensgruß - und eine Warnung.«
»Das höre ich ständig, seit ich hier bin«, sagte Donlan.
»Sag mir einfach, was da steht«, sagte Greer.
»Es heißt: ›Willkommen ist der Reisende mit gutem ...‹« Er kam nicht auf das Wort. Er hatte Englisch in der Schule gelernt, und einmal hatte er sogar einen Sommer bei einem Onkel in Miami verbracht, aber jetzt fand er nicht die richtige Entsprechung.
»Weiter.«
»›Dieser Reisende möge die Nacht in diesen Mauern verbringen. Aber jener Reisende, der kein so ... gutes Herz hat, wird bedauern, dass seine Mutter ihm jemals Milch gegeben hat.‹«
»Nicht gerade ›mi casa es su casa‹«, stellte Greer fest, ehe er durch die Öffnung zwischen den beiden Torflügeln schlüpfte.
Hasan blickte zu den fetten Krähen über dem Tor auf. Ihre Flügel zuckten, und der heiße Wüstenwind trug ihr heiseres Krächzen zu ihm herunter. Wie war er nur an diesen Ort geraten, mit diesen Männern? Eines Abends waren überall in seinem Dorf Bomben niedergegangen. Er war auf dem Fußballplatz gewesen und losgerannt, doch als er sein Haus endlich erreicht hatte, war davon nichts als ein Haufen wabernden Staubs und zerbrochener Ziegel übrig gewesen. Seine Frau und seine Kinder lagen darunter.
Und dann hatte man ihn verhaftet. Weswegen? Weil er nicht gestorben war?
Er spürte, wie sich der Gewehrlauf in seinen Rücken bohrte. »Komm schon, Hasan«, sagte Donlan. »Vielleicht kannst du dich noch mal nützlich machen.«
Greer führte sie an, als sie das Palastgelände betraten. Zuerst gingen sie durch einen Tunnel, der groß genug war, dass ein LKW hindurchfahren konnte. Am Ende stießen sie auf ein weiteres Eisentor mit scharfen Spitzen oben, hoch über ihren Köpfen. Um sie herum hallten ihre Schritte wider.
»Jo-de-lai-didu«, sang Lopez leise, und Greer wirbelte herum. Seine Waffe zielte genau auf Lopez' Kopf.
»Lass den Scheiß!«, flüsterte er wütend.
Kleinlaut blieb Lopez stehen, die Waffe zielte immer noch auf seine Stirn. Er hatte doch nur einen Witz gemacht, wollte die Stimmung etwas auflockern. Das machte er doch immer.
»Hast du den Verstand verloren, Lopez?«
»Sorry, Captain.« Er hielt den Blick gesenkt, denn er wusste, dass Greer recht hatte. Man hatte ihm schon öfter gesagt, dass sein loses Mundwerk ihn noch einmal das Leben kosten würde. »Wird nicht wieder vorkommen.«
»Nächstes Mal schieße ich gleich.«
Greer drehte sich wieder um, und einer nach dem anderen trat aus dem Tunnel auf einen riesigen Platz vor dem Palast. Instinktiv schwärmten sie aus. Der Hof musste mehrere Hektar groß sein und war unter all dem Sand mit etwas belegt, das sich so glatt und hart anfühlte wie Marmor. Vor ihnen, am Ende einer breiten Treppe, erhob sich ein riesenhafter und überaus prunkvoller Palast aus hellgelbem Stein, mehrere Stockwerke hoch und mit einer Art Kuppel versehen, die Greer normalerweise von Moscheen kannte. Er zog eine zusammengefaltete Karte aus der Innentasche seiner Jacke. Sie steckte in einer Plastikhülle, und man hatte sie ihm zugeschickt, als er diesen Auftrag hier angenommen hatte.
Er orientierte sich rasch und entschied, dass das hier tatsächlich das Hauptgebäude war. Es gab noch weitere Bauten auf dem Gelände, für die Bediensteten und dergleichen, doch das, wonach er suchte, befand sich rechts von ihnen, hinter dem eigentlichen Palast.
Er drehte sich um und bedeutete den Soldaten und Hasan, ihm zu folgen. Einen Moment wirkten die Soldaten verwirrt und warfen sehnsüchtige Blicke auf den Palast, als wollten sie sagen: »Gehen wir nicht da rein?« Greer konnte ihren Impuls nachvollziehen. Gott allein wusste, was für Zeug da drin noch rumliegen mochte, besonders, wenn Hasan recht hatte und die Leute aus der Gegend zu viel Angst hatten, um auch nur einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Doch deswegen war er nicht gekommen. Er war gekommen, um eine bestimmte Sache zu finden und mitzunehmen, und sobald er die hatte, wäre er wieder draußen.
Es war ein langer Marsch um den Palast herum, doch zum Glück gab es einen schattigen Säulengang, der sie vor den Strahlen der Nachmittagssonne schützte. Die Hitze war immer noch beinahe unerträglich. Offensichtlich war sie auch für ein paar Vögel zu viel gewesen, deren Kadaver im Staub verstreut lagen, die Schwanzfedern wie Fächer ausgebreitet.
»Pfauen«, sagte Hasan. »Die Lieblingstiere der al-Kallis.«
Diese hier sahen allerdings aus, als hätte man sie mit Messer und Gabel sauber aufgegessen. Alles, was von ihnen übriggeblieben war, waren spröde Knochen und ein paar platt gedrückte Federn, auf denen noch ein winziger Rest des einstigen violetten und blauen Schimmers in der Sonne glänzte.
Greer winkte den Männern zu, in Bewegung zu bleiben, und ließ den Blick von einer Seite des Geländes zur anderen wandern. Sie kamen an mehreren kleineren Gebäuden vorbei. In einem konnte man den staubbedeckten Kühlergrill eines Rolls-Royce erkennen, in dem anderen etwas, das wie Pferdeboxen aussah. Schließlich gelangten sie zu einer kleinen Brücke, die über einen Bach mit mittlerweile abgestandenem grünem Wasser führte. Greer prüfte das Holz, trat mit dem Stiefel darauf, doch es schien stabil zu sein. Sie überquerten den Steg und betraten einen weiteren verlassenen Hof, der auf allen Seiten von turmhohen Palmen umgeben war. Unter seinen Füßen entdeckte Greer ein Stück einer feingliedrigen Kette. Er bückte sich, um es aufzuheben, stellte jedoch fest, dass er mit beiden Füßen darauf stand, ebenso wie seine Männer. Die Kette war überall.
»Was glaubt ihr, was sie wohl mit diesen Netz fangen wollten?«, fragte er laut.
Niemand antwortete ihm.
Greer sah Hasan an, der seine gefesselten Hände hob, um auf die Spitze von einem der Bäume zu deuten. »Sehen Sie den Haken? «
Greer drehte sich um und blickte nach oben, und verdammt, Hasan hatte recht. Knapp unterhalb der Spitze hatte man einen riesiger Eisenhaken in den Baumstamm getrieben.
»Sie haben alle solche Haken«, sagte Hasan.
»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Donlan.
»Das Netz wurde nicht benutzt, um etwas zu fangen«, erklärte Hasan. »Es war an diesen Haken befestigt und diente dazu, etwas darin gefangen zu halten.«
»Ach, du meinst die Vögel? Die Pfauen?«
Hasan zuckte die Achseln. Wenn sie das glauben wollten ...
»Wonach suchen wir eigentlich, Sir?«, fragte Donlan. »Es wird bald dunkel.«
Greer betrachtete die Karte, es war nicht mehr weit. Geradeaus entdeckte er das, was auf der Karte wie eine Reihe von kleinen Kisten aussah. Jetzt stellte er fest, dass es sich in Wirklichkeit um Käfige handelte, auf deren Holzfußböden loses Stroh verstreut lag. Manche Käfige waren so klein, dass man nur Kaninchen darin halten konnte, andere waren groß genug für zwei Nashörner. Alle Käfige waren auch oben vergittert, und die meisten von ihnen waren merkwürdig verbeult, als hätten die Tiere darin immer wieder den Kopf gegen die Eisenstäbe gerammt. Beim letzten Käfig in der Reihe waren die Türen so nach vorne gebogen, dass sie offen in den verdrehten Angeln hingen.
»Was soll das denn sein? Hatten die hier einen Zoo?«, fragte Donlan.
Es roch tatsächlich wie im Zoo. Obwohl keine Tiere zu sehen waren, lag immer noch der Geruch von stinkendem Dung, verrottetem Stroh und räudigem Fell in der Luft. Hinter einer Reihe von Eukalyptusbäumen und fast verdeckt von abgestorbenem Wein und verwelkten Blumen entdeckte Greer, wonach er gesucht hatte, jenes Gebäude, das in der Karte mit einem gelben Stift markiert war. Es sah aus wie ein übergroßes Mausoleum und war aus demselben gelben Stein errichtet worden wie der Palast.
»Folgt mir«, sagte er und stieg die Treppe des Gemäuers hinauf. Vor zwei massiven Holztüren, dicht gespickt mit eisernen Bolzen, blieb er stehen, ehe er mit gezückter Waffe eine Tür aufstieß und eintrat.
Der Raum war wie ein Lichthof konstruiert, ein runder Saal mit Leitern und Geländern aus Olivenholz, die sich an allen Seiten entlangzogen. Es gab Hunderte von Regalen, die spiralförmig zur gewölbten Decke emporwuchsen, und in vielen von ihnen standen noch immer ledergebundene Bücher. In der Mitte der Decke befand sich ein Buntglasfenster, durch das alles darunter in ein blasses violettes Licht getaucht wurde.
»Hier gibt's ja nur Bücher«, sagte Lopez. »Ich würd' sagen, wir gehen zurück in den Palast.«
»Und ich sage, halt's Maul«, sagte Greer, faltete die Karte zusammen und steckte sie zurück in die Tasche. Jetzt wusste er auch so, was er zu tun hatte.
Vorne an der Wand war ein großer eiserner Vogel - okay, ein Pfau - mit weit geöffneten Schwingen befestigt. »Lopez, komm her«, befahl Greer, »und pack dir einen Flügel.«
Lopez machte ein verwirrtes Gesicht, lehnte jedoch sein Gewehr gegen eines der Bücherregale und tat, was man ihm gesagt hatte. Der Vogel war etwa einen Meter achtzig breit und eins zwanzig hoch, und das Metall unter seinen Fingern war warm. Sollte das Ding etwa zu Hause in den Staaten irgendetwas wert sein?
»Wenn ich sage, drückst du den Flügel nach vorn.«
»Soll ich ihn abbrechen?« Dann wäre das Ding vollkommen wertlos.
»Tu einfach, was ich sage. Jetzt.«
Während Greer auf der einen Seite drückte, presste Lopez auf der anderen, und nach etwas anfänglichem Widerstand gaben die beiden Flügel nach.
»Drück weiter«, sagte Greer.
Allmählich bewegten sich die beiden Flügel aufeinander zu. Staub begann von der Wand unterhalb der Füße des Pfaus zu rieseln.
Lopez sah den Staub und begann, weniger kräftig zu drücken, doch Greer sagte: »Nein, das soll so sein.«
»Dass der ganze Kasten zusammenkracht?«
Donlan zielte mit seinem Gewehr weiterhin locker auf Hasan, sah den beiden aber andächtig zu.
Als sich die Spitzen der beiden Flügel berührten, war unter den Füßen des Pfaus ein schmaler Spalt entstanden. Laut seinen Anweisungen hätte dort ein größerer Hohlraum auftauchen sollen, doch Greer reichte das hier. Er ging in die Hocke und scharrte mit den Fingern an der Wand. Lose Steinbrocken und Sand fielen herunter, bis er schließlich seine Hand in den Schlitz stecken konnte. Er war nicht höher als fünfundzwanzig Zentimeter und vielleicht einen Meter tief. Geer tastete darin herum, bis er etwas berührte. Eine staubbedeckte Metallkiste, der Grund, warum er überhaupt hier war. Er zog daran und hörte, wie das Metall auf dem Sand knirschte, aber es war schwierig, die Kiste von diesem Winkel aus zu bewegen. Er zog die Hand heraus, wischte sie sauber, griff erneut hinein und zog die Kiste wieder ein paar Zentimeter vor. Sie musste mindestens zwanzig oder dreißig Pfund wiegen.
»Brauchen Sie Hilfe, Captain?«, fragte Lopez ungeduldig. Womöglich wusste Greer am Ende doch, was er tat. Vielleicht war das der Schatz!
Greer brauchte keine Hilfe, nicht jetzt. Er lehnte sich auf seinen Fersen zurück und zog die Kiste aus dem Loch. Das verdammte Ding war matt vom Schmutz und schien aus Blei zu bestehen. Auf beiden Seiten saßen riesige Eisenbeschläge mit altertümlichen Vorhängeschlössern, die aussahen, als bräuchte man einen Schlüssel von der Größe einer Faust dafür.
Erwartungsvoll starrte Lopez auf die Schlösser und sagte: »Die können wir knacken. Kein Problem.«
Greer stand auf und klemmte sich die Kiste unter den Arm. »Wir verschwinden.«
Lopez und Donlan rührten sich nicht von der Stelle. Hasan fürchtete sich vor dem, was passieren könnte.
»Was meinen Sie damit, Sir?«, fragte Donlan. »Meinen Sie, dass wir sie im Camp öffnen?«
»Ich meine, dass wir verschwinden. Jetzt.«
Greer ging um sie herum, versetzte Hasan einen Stoß in Richtung Tür. Donlan und Lopez wechselten einen Blick - Was soll das denn? - und trotteten hinterher.
Greer führte Hasan an den leeren Käfigen vorbei und über die Holzbrücke. Hasan war nur froh, dass sie abhauten. Er wusste nicht, was die Käfige einst beherbergt hatten, aber er wollte es auch nicht herausfinden. Ebensowenig wollte er wissen, wofür die al-Kallis ein feinmaschiges Netz gebraucht hatten, das groß genug war, um eine dreißig Meter hohe und zehnmal so breite Voliere zu bilden.
Als sie an der Garage mit dem Rolls darin vorbeikamen, warf Lopez einen habgierigen Blick hinein. Ob das Ding wohl immer noch lief? Warum könnte er nicht einfach damit zum Camp zurückfahren, direkt hinter dem Humvee? Das wäre doch mal was!
Da! Er könnte schwören, dass sich im Inneren der Garage etwas bewegt hatte. Er hatte zwar nicht wirklich etwas gesehen, doch das Licht und die Schatten darin hatten sich verändert. Er blickte nach vorn zu den anderen. Lohnte es sich, deswegen Alarm zu schlagen? Er sah noch einmal hin, das Gewehr auf den vorderen Teil des Rolls gerichtet. Doch jetzt war da nichts mehr, und die anderen hatten sich noch weiter entfernt.
Er beschleunigte seine Schritte, den Kopf umgewandt, um den Bereich hinter sich im Auge zu behalten. Er bereute, dass er auf Hasans ganzen Unsinn gehört hatte. Seltsame Schreie in der Nacht, Menschen, die verschwinden. Aber noch mehr bereute er, dass er auf Greer gehört hatte. Was sollte dieser ganze Scheiß von der Schatzsuche? Den einzigen Schatz, den er gesehen hatte, hielt Greer jetzt liebevoll umklammert, und wer wusste schon, was in dieser Kiste steckte?
Links von sich sah er etwas, das er für Ställe hielt. Er erblickte leere Boxen, und an der zweiteiligen Stalltür hingen unidentifizierbare Geschirre. Lopez stammte aus Santa Fe, und er hatte fast jeden Sommer auf einer Ranch gearbeitet, aber Geschirre wie diese hatte er noch nie gesehen. Vielleicht züchteten die al-Kallis diese berühmten Araberhengste, von denen er schon so viel gehört hatte.
Als sie sich der Rückseite des Palasts näherten, suchte er die vielen schmalen Fenster ab und fragte sich, was wohl dahinter liegen mochte. Himmel, gab es wirklich Leute, die so lebten? Der Palast erinnerte ihn an Bilder, die er von Orten wie dem Tadsch Mahal gesehen hatte. Als er zur Armee gegangen war, hatte er gehofft, ein paar davon zu Gesicht zu kriegen. Doch bislang war dies hier der einzige.
Irgendwo in der Ferne ertönte ein Schrei, ein lautes, anhaltendes Krächzen. Es klang, als würde jemand ein Baby erwürgen.
»Verdammt«, rief Lopez. »Was war das?«
Sie waren alle abrupt stehen geblieben.
»Das war ein Pfau«, erklärte Hasan. »Sie schreien nach Regen.«
Lopez schluckte hart. Sein Mund fühlte sich plötzlich so trocken an wie die Wüste. »Hatten die schon mal Erfolg damit?«
»Nicht oft.«
Im Säulengang zeichneten die Schatten eine Art Zickzackmuster auf den Boden. Die Sonne stand jetzt tiefer, knapp über dem oberen Rand der Außenmauern. Ihre Schritte hallten hier wie in einem Tunnel, doch Lopez war klug genug, dieses Mal keine Ghostbusters-Witze zu machen. Er hob den nassen Kragen von seinem Hals, und noch während er daran zerrte, meinte er, etwas hinter sich atmen zu hören, ein tiefes kratzendes Geräusch. Er wirbelte herum, den Finger am Abzug seines Gewehrs. Doch da war nichts. Nur eine Reihe Steinsäulen, die in der untergehenden Sonne wie poliertes Gold glänzten.
»Hey«, rief er. Die anderen blieben stehen und drehten sich zu ihm um.
»Was ist?«, fragte Donlan.
»Ich glaube, ich hab' was gehört.«
»Hasan hat es dir doch erklärt, das sind die Pfauen.«
»Nein. Etwas anderes.«
Greer klemmte sich die Kiste unter einen Arm und holte seine Waffe heraus. »Weiter, nicht stehen bleiben.«
Lopez' Nacken juckte, und das lag nicht am trocknenden Schweiß. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Verfolgt. Er dachte an die Kojoten, die er früher in New Mexico geschossen hatte, und fühlte sich wie einer von ihnen.
»Wenn wir vorne sind«, sagte Greer, »verteilt euch in einem ...«
Und dann war es auf Lopez drauf. Ein rennender Schatten, ein riesiger schwarzer Fleck, stürzte hinter einer der Säulen hervor und schnappte nach ihm, wie ein Wolf sich ein verirrtes Lamm rauspickte. Voller Panik schoss Donlan mit seiner Maschinenpistole wild im Säulengang herum. Hasan presste sich flach gegen die Innenmauer, und Greer hatte plötzlich das Gefühl, als würde jemand heißes Wasser gegen sein linkes Bein spritzen. Er wusste, dass er von einem Querschläger getroffen worden war, aber er hatte keine Zeit, nachzusehen. Er musste machen, dass er selbst mitsamt der Kiste hier herauskam.
Er versuchte zu laufen, doch sein Bein konnte sein Gewicht kaum tragen.
Donlan feuerte immer noch, während sie zurückwichen. Hasan hatte sich wahrscheinlich irgendwo dahinten versteckt. Scheiß auf ihn - wer brauchte ihn jetzt noch?
Greer humpelte über den marmornen Vorhof. Er wusste, dass er eine Blutspur hinterließ. Was immer das für ein Ding sein mochte, es würde verdammt sicher seine Fährte aufnehmen. Er zwang sich, weiter zu laufen. Gott sei Dank verhinderte das Adrenalin, dass sein Bein vor Schmerz explodierte, doch die Wirkung würde nicht lange anhalten. Er hörte Donlan nachladen. Es wurde rasch dunkel, so wie immer hier, und er konnte das Tor gerade eben noch erkennen.
Nicht stehen bleiben, sagte er sich. Weiter, weiter.
Er schleppte sich in den Tunnel, schrie Sadowski vor sich zu: »Wir sind getroffen!«
Doch er bezweifelte, dass seine Stimme im geschlossenen Humvee zu hören war.
Donlan feuerte erneut. Schoss er auf irgendetwas, oder ballerte er nur wild in der Gegend herum?
Die Scheinwerfer des Humvee waren eingeschaltet, und Greer schwankte, mit einem Arm winkend, in ihren Lichtkegel.
Sadowski entdeckte ihn und sprang aus dem Fahrzeug.
»Hilf mir!«, rief Greer.
Sadowski versuchte, ihm die Kiste abzunehmen, aber Greer sagte: »Mach die verdammte Tür auf.«
Sadowski riss die Beifahrertür auf, und Greer schleuderte die Kiste auf den Boden.
Eine weitere Schusssalve ertönte, dann rannte Donlan keuchend auf sie zu.
Während Greer blutend auf den Beifahrersitz kletterte, sprang Donlan auf die Rückbank, als sei ihm ein Tiger auf den Fersen.
»Wo ist Lopez?«, rief Sadowski, und Greer sagte: »Er ist tot. Fahr los.«
Sadowski knallte die Tür hinter Greer zu und rannte um den Wagen herum zur Fahrerseite. Lopez war tot?
Er startete den Humvee. »Was ist mit Hasan?«
»Ich sagte, fahr!«
Als das Fahrzeug einen weiten Kreis beschrieb, fingen die Scheinwerfer etwas ein, eine Gestalt, die auf sie zurannte, die Arme wie zu einem Flehen emporgestreckt.
Hasan, dessen Hände immer noch gefesselt waren.
Sadowski warf einen Blick auf Greer und wartete auf Befehle. Er hatte doch nicht etwa vor, ihn hierzulassen?
Doch eine Sekunde später senkte sich etwas über Hasan herab wie eine rasende schwarze Wolke. Sadowski hörte einen Schrei. Im grellen Scheinwerferlicht sah er Hasans vor Entsetzen weit aufgerissene Augen, bevor das Ding ihn von den Füßen und mit sich in die Nacht fortriss. Alles, was übrig blieb, war eine kleine schwarze Ausgabe des Korans.
Sadowskis Hände lagen wie festgefroren auf dem Lenkrad.
»Fahr!«, bellte Greer ihn an, zuckte zusammen und umklammerte sein Bein. »Siehst du nicht, dass ich blute?«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Lopez, der seine zuverlässige SAW, das Maschinengewehr der Truppe, festhielt, Donlan mit Landkarte, Laptop und GPS-Gerät. Und, direkt hinter ihm, Hasan mit Plastikfesseln, der seinen taschengroßen Koran umklammert hielt.
Sadowski, auf dem Fahrersitz, sagte: »Captain?«
Statt einer Antwort hob Greer lediglich das Kinn und deutete auf die Windschutzscheibe aus kugelsicherem Plexiglas, und der Humvee rumpelte mit brausender Klimaanlage aus dem Camp und auf die Straße Richtung Mosul.
Dieser Abschnitt der Straße war offiziell für minenfrei erklärt worden und stand seit drei Wochen unter der Kontrolle der Koalition. Doch das hatte nicht verhindert, dass letzten Donnerstag ein Jeep von einer Panzerfaust in die Luft gesprengt worden war. Vom Beschuss mit Mörsergranaten war die Straße mit frischen Schlaglöchern übersät, eine Straße, die schon vorher kaum als Schnellstraße durchgegangen wäre.
Kein Sand mehr, dachte Greer. Nie wieder. Nicht einmal am Strand.
»Entschuldigen Sie? Mr Greer?«, sagte Hasan und beugte sich so weit vor, dass Greer seinen heißen Atem im Nacken spürte. »Sollten wir nicht mehr Soldaten und mehr Waffen mitnehmen?«
Greer lächelte nur. Was rauchte dieser Typ bloß für ein Zeug? Bildete er sich etwa ein, dies hier sei eine offizielle Mission? Es war eine netterweise subventionierte Schatzsuche, mehr nicht.
»Wir haben alles, was wir brauchen«, sagte Greer. »Wenn du tust, was von dir verlangt wird, bist du rechtzeitig zurück für dein nächstes Verhör.«
Die Männer lachten. Hasan nicht.
Eine Stunde lang fuhren sie auf der Straße, die als Saddams Autobahn bekannt war. Sie kamen an ausgebombten und verlassenen Dörfern vorbei, an den verkohlten Gerippen von Militärtransportern, Taxis und einmal unglaublicherweise sogar an den Überresten eines hellgelben Schulbusses. Greer fragte sich, wie zum Teufel der bloß hierhergekommen war. Lopez, der immer noch seine SAW festhielt wie eine Mutter ihr Kind, döste mit geschlossenen Augen, während Donlan ihre Fahrt verfolgte.
»Wir müssten demnächst den Palast erreichen«, verkündete Donlan schließlich und betrachtete auf der Rückbank seinen Laptop.
»Also, Hasan«, fragte Greer. »Kommt dir irgendetwas bekannt vor?«
Hasan presste seine Nase gegen das dunkle Glas und spähte hinaus. In dieser Gegend war er aufgewachsen. Der beste Lebensmittelladen hatte ihm gehört, und er hatte eine Frau und zwei Töchter gehabt. Jetzt war ihm kaum mehr als sein Leben geblieben. »Ja«, sagte er. »Sie werden zu einem ... Platz in der Straße kommen, von dem zwei Wege abgehen.«
»Eine Weggabelung«, ließ sich Lopez wie aus weiter Ferne vernehmen.
»Ja, ja, eine Gabel«, sagte Hasan. Er hasste sie alle so sehr, egal, wie unschuldig sie sein mochten, und er fürchtete, sie könnten es aus seinen Worten heraushören. »Sie müssen abbiegen nach rechte Seite. Und weitergehen, vielleicht drei Meilen.«
»Ist die Straße geräumt oder liegen da noch Minen rum?«, fragte Sadowski.
Hasan hatte keine Ahnung. Das Ganze war nicht seine Idee gewesen.
Keiner der anderen antwortete.
»Und was erwartet uns dort?«, fragte Greer.
»Sie werden die Wände sehen - hohe Wände, vielleicht drei Meter hoch. Und große Eisentore.«
»Wenn sie nicht gestohlen wurden«, sagte Sadowski mit einem vielsagenden Grinsen.
»Niemand hat sie genommen«, erklärte Hasan überzeugt. »Die Leute haben zu große Angst.«
»Vor Saddam?«, mischte Lopez sich ein. »Wir haben ihn, oder haben die das nicht mitbekommen?«
»Nicht Saddam. Sie fürchten sich vor den al-Kallis.«
»Was ist denn so furchterregend an diesen al-Kallis?«, wollte Lopez wissen.
Was sollte Hasan darauf antworten? Wie sollte er diesen dummen Männern, diesen Barbaren, erklären, wer die al-Kallis waren? Aber er musste es ihnen erzählen. Er musste etwas unternehmen, um sie vorzuwarnen, damit sie sich vorsahen, oder es könnte ihn ebenfalls das Leben kosten. »Die al-Kallis sind die älteste Familie im Irak und die mächtigste. Dies war früher ihr Palast. Saddam hat ihn genommen.«
»Ich vermute, er hat so ziemlich alles gestohlen«, stellte Greer fest.
»Die al-Kallis werden zurückkommen. Sie sind hier seit über tausend Jahren.« Er blickte hinunter auf seine Hände. Die Handfesseln schnitten sich tief ins Fleisch. »Vielleicht waren sie schon immer hier.«
Sadowski und Greer tauschten ein Grinsen. Es war genau dieser Hokuspokus, weswegen die Leute hier so eine einfache Beute waren.
»Ja und?«, sagte Greer. »Sie sind also schon eine Weile hier in der Gegend.«
»Es gibt Geschichten«, sagte Hasan. Er wusste sehr wohl, dass sie sich über ihn lustig machten. Er versuchte, die Hände zu bewegen, um die Blutzirkulation in Gang zu bringen. »Die al-Kallis haben ... Kräfte. Seltsame Dinge geschehen dort. Sie müssen sein sehr vorsichtig.«
»Who you gonna call?«, sang Lopez laut und schwenkte seine Waffe. »GhostBUSTERS!« Die Soldaten lachten, doch Hasan hatte keine Ahnung, worüber. Kurz kam ihm der Gedanke, dass er keinen Moment zögern würde, sie alle eigenhändig zu töten, wenn er einen Weg fände. Und dann könnte er den Wagen beschlagnahmen und fliehen.
Aber wohin?
Der Humvee rumpelte weiter. Die Straße vor ihnen war bedeckt mit Sandverwehungen, so dass der Weg manchmal kaum zu erkennen war. Sadowski beugte sich zur Windschutzscheibe vor und starrte hinaus in die blendende Helligkeit. Er konnte den Gedanken an Landminen nicht aus seinem Kopf verbannen. Erst vor einer Woche hatte es zwei seiner Kameraden von der dritten Infanteriedivision erwischt. Sie waren mit einem neunzehn Tonnen schweren Radpanzer auf eine Mine gefahren, und jetzt hatte jeder von ihnen nur noch ein Bein.
Bildete er sich das nur ein, oder sah er in weiter Ferne vor sich tatsächlich weißgekalkte Mauern, die sich wie ein Wunder aus dem Wüstensand erhoben? Wenn das die Mauern waren, von denen Hasan gesprochen hatte, hatte er sich gewaltig verschätzt. Soweit er es aus dieser Entfernung beurteilen konnte, waren sie eher fünf, sechs Meter hoch. Und sie erstreckten sich allein auf einer Seite über mindestens eine Viertelmeile. Sadowski hatte bereits zwei von Saddams Palästen »befreit«, die aber nicht eindrucksvoller waren als die Häuser, die man bei MTV Cribs zu sehen bekam und nichts mit dem zu tun hatten, was er sich vorstellte, wenn er das Wort »Palast« hörte. Doch bei dem Kasten hier schien das anders zu sein.
»Er müsste genau vor uns liegen, etwa eine halbe Meile nach Westen«, meldete Donlan.
»Ich sehe ihn«, erwiderte Sadowski.
Es gab sogar Türme, schmale weiße Säulen weit hinter den Mauern, die wie leuchtende Nadeln in den Himmel ragten. Das gesamte Gelände musste riesig sein. Sogar der Straßenrand veränderte sich. Auf beiden Seiten säumten nun Dattelpalmen den Weg, zusammen mit den verdorrten Überresten anderer Pflanzen, die am Wassermangel zugrunde gegangen waren.
Captain Greer nahm ein Fernglas zur Hand und suchte die Mauern vor ihnen nach Hinweisen auf feindliche Aktivität ab. Doch das einzige Lebenszeichen, das er ausmachte, war ein Schwarm bösartig dreinblickender Krähen, die auf den Streben über dem Haupttor hockten. Die Torflügel selbst waren, wie Hasan prophezeit hatte, noch intakt, doch es war nicht zu erkennen, ob sie verschlossen waren oder nicht. Für alle Fälle hatte er etwas Plastiksprengstoff eingepackt.
»Halt fünfzig Meter vorher an«, sagte Greer zu Sadowski und fügte hinzu: »Du bleibst im Wagen, mit laufendem Motor.«
Der Humvee kam langsam auf der sandigen Straße zum Stehen, und Hasan sprach ein stilles Gebet. Niemand, den er kannte, hatte jemals die Mauern des Palasts der al-Kallis überwunden. Niemand, den er kannte, hatte es je gewollt. Seit Generationen hatten die Mütter in dieser Gegend ihren ungezogenen Kindern damit gedroht, dass sie, wenn sie sich nicht benähmen, an die al-Kallis verkauft würden. Und wann immer Menschen verschwanden, machten geheimnisvolle Andeutungen die Runde, dass sie sich zu nah an den Palast gewagt hätten.
In manchen Nächten, wenn der Wind richtig stand, behaupteten die Dorfbewohner, seltsame und wilde Schreie zu hören.
Während Sadowski im Geländewagen sitzen blieb, stiegen die anderen aus.
»Bisher sieht's so aus, als sei niemand zu Hause«, verkündete Greer, als er sich mit der Beretta in der Hand dem Tor näherte. Donlan blieb ein paar Schritte hinter Hasan. Der hatte nichts, um sich zu schützen, bis auf den Koran, den er mit den gefesselten Händen umklammerte, als hinge sein Leben davon ab.
Greer trat zum Tor, das ebenfalls mindestens sechs Meter hoch war. Es war schwergängig, weil man es lange nicht benutzt hatte und die Angeln voller Sand waren, doch es war nicht abgeschlossen. Greer gelang es sogar, den einen Flügel ein Stückchen zurückzuschieben. Wenn sie jetzt noch so gut funktionierten, mussten sie seinerzeit äußerst präzise angefertigt worden sein. Das Tor war mit kunstvoll verschnörkeltem Metall verziert, das aussah wie ein Schriftzug. Er drehte sich zu Hasan um.
»Bedeutet das irgendwas?«
Hasan nickte.
»Und?«
Hasan überlegte, wie er das richtig übersetzen sollte. Es war ein altertümlicher Vers, von dem er einige Zeilen selbst nicht vollkommen verstand. Aber der Sinn der Worte war eindeutig. »Es ist ein Willkommensgruß - und eine Warnung.«
»Das höre ich ständig, seit ich hier bin«, sagte Donlan.
»Sag mir einfach, was da steht«, sagte Greer.
»Es heißt: ›Willkommen ist der Reisende mit gutem ...‹« Er kam nicht auf das Wort. Er hatte Englisch in der Schule gelernt, und einmal hatte er sogar einen Sommer bei einem Onkel in Miami verbracht, aber jetzt fand er nicht die richtige Entsprechung.
»Weiter.«
»›Dieser Reisende möge die Nacht in diesen Mauern verbringen. Aber jener Reisende, der kein so ... gutes Herz hat, wird bedauern, dass seine Mutter ihm jemals Milch gegeben hat.‹«
»Nicht gerade ›mi casa es su casa‹«, stellte Greer fest, ehe er durch die Öffnung zwischen den beiden Torflügeln schlüpfte.
Hasan blickte zu den fetten Krähen über dem Tor auf. Ihre Flügel zuckten, und der heiße Wüstenwind trug ihr heiseres Krächzen zu ihm herunter. Wie war er nur an diesen Ort geraten, mit diesen Männern? Eines Abends waren überall in seinem Dorf Bomben niedergegangen. Er war auf dem Fußballplatz gewesen und losgerannt, doch als er sein Haus endlich erreicht hatte, war davon nichts als ein Haufen wabernden Staubs und zerbrochener Ziegel übrig gewesen. Seine Frau und seine Kinder lagen darunter.
Und dann hatte man ihn verhaftet. Weswegen? Weil er nicht gestorben war?
Er spürte, wie sich der Gewehrlauf in seinen Rücken bohrte. »Komm schon, Hasan«, sagte Donlan. »Vielleicht kannst du dich noch mal nützlich machen.«
Greer führte sie an, als sie das Palastgelände betraten. Zuerst gingen sie durch einen Tunnel, der groß genug war, dass ein LKW hindurchfahren konnte. Am Ende stießen sie auf ein weiteres Eisentor mit scharfen Spitzen oben, hoch über ihren Köpfen. Um sie herum hallten ihre Schritte wider.
»Jo-de-lai-didu«, sang Lopez leise, und Greer wirbelte herum. Seine Waffe zielte genau auf Lopez' Kopf.
»Lass den Scheiß!«, flüsterte er wütend.
Kleinlaut blieb Lopez stehen, die Waffe zielte immer noch auf seine Stirn. Er hatte doch nur einen Witz gemacht, wollte die Stimmung etwas auflockern. Das machte er doch immer.
»Hast du den Verstand verloren, Lopez?«
»Sorry, Captain.« Er hielt den Blick gesenkt, denn er wusste, dass Greer recht hatte. Man hatte ihm schon öfter gesagt, dass sein loses Mundwerk ihn noch einmal das Leben kosten würde. »Wird nicht wieder vorkommen.«
»Nächstes Mal schieße ich gleich.«
Greer drehte sich wieder um, und einer nach dem anderen trat aus dem Tunnel auf einen riesigen Platz vor dem Palast. Instinktiv schwärmten sie aus. Der Hof musste mehrere Hektar groß sein und war unter all dem Sand mit etwas belegt, das sich so glatt und hart anfühlte wie Marmor. Vor ihnen, am Ende einer breiten Treppe, erhob sich ein riesenhafter und überaus prunkvoller Palast aus hellgelbem Stein, mehrere Stockwerke hoch und mit einer Art Kuppel versehen, die Greer normalerweise von Moscheen kannte. Er zog eine zusammengefaltete Karte aus der Innentasche seiner Jacke. Sie steckte in einer Plastikhülle, und man hatte sie ihm zugeschickt, als er diesen Auftrag hier angenommen hatte.
Er orientierte sich rasch und entschied, dass das hier tatsächlich das Hauptgebäude war. Es gab noch weitere Bauten auf dem Gelände, für die Bediensteten und dergleichen, doch das, wonach er suchte, befand sich rechts von ihnen, hinter dem eigentlichen Palast.
Er drehte sich um und bedeutete den Soldaten und Hasan, ihm zu folgen. Einen Moment wirkten die Soldaten verwirrt und warfen sehnsüchtige Blicke auf den Palast, als wollten sie sagen: »Gehen wir nicht da rein?« Greer konnte ihren Impuls nachvollziehen. Gott allein wusste, was für Zeug da drin noch rumliegen mochte, besonders, wenn Hasan recht hatte und die Leute aus der Gegend zu viel Angst hatten, um auch nur einen Fuß über die Schwelle zu setzen. Doch deswegen war er nicht gekommen. Er war gekommen, um eine bestimmte Sache zu finden und mitzunehmen, und sobald er die hatte, wäre er wieder draußen.
Es war ein langer Marsch um den Palast herum, doch zum Glück gab es einen schattigen Säulengang, der sie vor den Strahlen der Nachmittagssonne schützte. Die Hitze war immer noch beinahe unerträglich. Offensichtlich war sie auch für ein paar Vögel zu viel gewesen, deren Kadaver im Staub verstreut lagen, die Schwanzfedern wie Fächer ausgebreitet.
»Pfauen«, sagte Hasan. »Die Lieblingstiere der al-Kallis.«
Diese hier sahen allerdings aus, als hätte man sie mit Messer und Gabel sauber aufgegessen. Alles, was von ihnen übriggeblieben war, waren spröde Knochen und ein paar platt gedrückte Federn, auf denen noch ein winziger Rest des einstigen violetten und blauen Schimmers in der Sonne glänzte.
Greer winkte den Männern zu, in Bewegung zu bleiben, und ließ den Blick von einer Seite des Geländes zur anderen wandern. Sie kamen an mehreren kleineren Gebäuden vorbei. In einem konnte man den staubbedeckten Kühlergrill eines Rolls-Royce erkennen, in dem anderen etwas, das wie Pferdeboxen aussah. Schließlich gelangten sie zu einer kleinen Brücke, die über einen Bach mit mittlerweile abgestandenem grünem Wasser führte. Greer prüfte das Holz, trat mit dem Stiefel darauf, doch es schien stabil zu sein. Sie überquerten den Steg und betraten einen weiteren verlassenen Hof, der auf allen Seiten von turmhohen Palmen umgeben war. Unter seinen Füßen entdeckte Greer ein Stück einer feingliedrigen Kette. Er bückte sich, um es aufzuheben, stellte jedoch fest, dass er mit beiden Füßen darauf stand, ebenso wie seine Männer. Die Kette war überall.
»Was glaubt ihr, was sie wohl mit diesen Netz fangen wollten?«, fragte er laut.
Niemand antwortete ihm.
Greer sah Hasan an, der seine gefesselten Hände hob, um auf die Spitze von einem der Bäume zu deuten. »Sehen Sie den Haken? «
Greer drehte sich um und blickte nach oben, und verdammt, Hasan hatte recht. Knapp unterhalb der Spitze hatte man einen riesiger Eisenhaken in den Baumstamm getrieben.
»Sie haben alle solche Haken«, sagte Hasan.
»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Donlan.
»Das Netz wurde nicht benutzt, um etwas zu fangen«, erklärte Hasan. »Es war an diesen Haken befestigt und diente dazu, etwas darin gefangen zu halten.«
»Ach, du meinst die Vögel? Die Pfauen?«
Hasan zuckte die Achseln. Wenn sie das glauben wollten ...
»Wonach suchen wir eigentlich, Sir?«, fragte Donlan. »Es wird bald dunkel.«
Greer betrachtete die Karte, es war nicht mehr weit. Geradeaus entdeckte er das, was auf der Karte wie eine Reihe von kleinen Kisten aussah. Jetzt stellte er fest, dass es sich in Wirklichkeit um Käfige handelte, auf deren Holzfußböden loses Stroh verstreut lag. Manche Käfige waren so klein, dass man nur Kaninchen darin halten konnte, andere waren groß genug für zwei Nashörner. Alle Käfige waren auch oben vergittert, und die meisten von ihnen waren merkwürdig verbeult, als hätten die Tiere darin immer wieder den Kopf gegen die Eisenstäbe gerammt. Beim letzten Käfig in der Reihe waren die Türen so nach vorne gebogen, dass sie offen in den verdrehten Angeln hingen.
»Was soll das denn sein? Hatten die hier einen Zoo?«, fragte Donlan.
Es roch tatsächlich wie im Zoo. Obwohl keine Tiere zu sehen waren, lag immer noch der Geruch von stinkendem Dung, verrottetem Stroh und räudigem Fell in der Luft. Hinter einer Reihe von Eukalyptusbäumen und fast verdeckt von abgestorbenem Wein und verwelkten Blumen entdeckte Greer, wonach er gesucht hatte, jenes Gebäude, das in der Karte mit einem gelben Stift markiert war. Es sah aus wie ein übergroßes Mausoleum und war aus demselben gelben Stein errichtet worden wie der Palast.
»Folgt mir«, sagte er und stieg die Treppe des Gemäuers hinauf. Vor zwei massiven Holztüren, dicht gespickt mit eisernen Bolzen, blieb er stehen, ehe er mit gezückter Waffe eine Tür aufstieß und eintrat.
Der Raum war wie ein Lichthof konstruiert, ein runder Saal mit Leitern und Geländern aus Olivenholz, die sich an allen Seiten entlangzogen. Es gab Hunderte von Regalen, die spiralförmig zur gewölbten Decke emporwuchsen, und in vielen von ihnen standen noch immer ledergebundene Bücher. In der Mitte der Decke befand sich ein Buntglasfenster, durch das alles darunter in ein blasses violettes Licht getaucht wurde.
»Hier gibt's ja nur Bücher«, sagte Lopez. »Ich würd' sagen, wir gehen zurück in den Palast.«
»Und ich sage, halt's Maul«, sagte Greer, faltete die Karte zusammen und steckte sie zurück in die Tasche. Jetzt wusste er auch so, was er zu tun hatte.
Vorne an der Wand war ein großer eiserner Vogel - okay, ein Pfau - mit weit geöffneten Schwingen befestigt. »Lopez, komm her«, befahl Greer, »und pack dir einen Flügel.«
Lopez machte ein verwirrtes Gesicht, lehnte jedoch sein Gewehr gegen eines der Bücherregale und tat, was man ihm gesagt hatte. Der Vogel war etwa einen Meter achtzig breit und eins zwanzig hoch, und das Metall unter seinen Fingern war warm. Sollte das Ding etwa zu Hause in den Staaten irgendetwas wert sein?
»Wenn ich sage, drückst du den Flügel nach vorn.«
»Soll ich ihn abbrechen?« Dann wäre das Ding vollkommen wertlos.
»Tu einfach, was ich sage. Jetzt.«
Während Greer auf der einen Seite drückte, presste Lopez auf der anderen, und nach etwas anfänglichem Widerstand gaben die beiden Flügel nach.
»Drück weiter«, sagte Greer.
Allmählich bewegten sich die beiden Flügel aufeinander zu. Staub begann von der Wand unterhalb der Füße des Pfaus zu rieseln.
Lopez sah den Staub und begann, weniger kräftig zu drücken, doch Greer sagte: »Nein, das soll so sein.«
»Dass der ganze Kasten zusammenkracht?«
Donlan zielte mit seinem Gewehr weiterhin locker auf Hasan, sah den beiden aber andächtig zu.
Als sich die Spitzen der beiden Flügel berührten, war unter den Füßen des Pfaus ein schmaler Spalt entstanden. Laut seinen Anweisungen hätte dort ein größerer Hohlraum auftauchen sollen, doch Greer reichte das hier. Er ging in die Hocke und scharrte mit den Fingern an der Wand. Lose Steinbrocken und Sand fielen herunter, bis er schließlich seine Hand in den Schlitz stecken konnte. Er war nicht höher als fünfundzwanzig Zentimeter und vielleicht einen Meter tief. Geer tastete darin herum, bis er etwas berührte. Eine staubbedeckte Metallkiste, der Grund, warum er überhaupt hier war. Er zog daran und hörte, wie das Metall auf dem Sand knirschte, aber es war schwierig, die Kiste von diesem Winkel aus zu bewegen. Er zog die Hand heraus, wischte sie sauber, griff erneut hinein und zog die Kiste wieder ein paar Zentimeter vor. Sie musste mindestens zwanzig oder dreißig Pfund wiegen.
»Brauchen Sie Hilfe, Captain?«, fragte Lopez ungeduldig. Womöglich wusste Greer am Ende doch, was er tat. Vielleicht war das der Schatz!
Greer brauchte keine Hilfe, nicht jetzt. Er lehnte sich auf seinen Fersen zurück und zog die Kiste aus dem Loch. Das verdammte Ding war matt vom Schmutz und schien aus Blei zu bestehen. Auf beiden Seiten saßen riesige Eisenbeschläge mit altertümlichen Vorhängeschlössern, die aussahen, als bräuchte man einen Schlüssel von der Größe einer Faust dafür.
Erwartungsvoll starrte Lopez auf die Schlösser und sagte: »Die können wir knacken. Kein Problem.«
Greer stand auf und klemmte sich die Kiste unter den Arm. »Wir verschwinden.«
Lopez und Donlan rührten sich nicht von der Stelle. Hasan fürchtete sich vor dem, was passieren könnte.
»Was meinen Sie damit, Sir?«, fragte Donlan. »Meinen Sie, dass wir sie im Camp öffnen?«
»Ich meine, dass wir verschwinden. Jetzt.«
Greer ging um sie herum, versetzte Hasan einen Stoß in Richtung Tür. Donlan und Lopez wechselten einen Blick - Was soll das denn? - und trotteten hinterher.
Greer führte Hasan an den leeren Käfigen vorbei und über die Holzbrücke. Hasan war nur froh, dass sie abhauten. Er wusste nicht, was die Käfige einst beherbergt hatten, aber er wollte es auch nicht herausfinden. Ebensowenig wollte er wissen, wofür die al-Kallis ein feinmaschiges Netz gebraucht hatten, das groß genug war, um eine dreißig Meter hohe und zehnmal so breite Voliere zu bilden.
Als sie an der Garage mit dem Rolls darin vorbeikamen, warf Lopez einen habgierigen Blick hinein. Ob das Ding wohl immer noch lief? Warum könnte er nicht einfach damit zum Camp zurückfahren, direkt hinter dem Humvee? Das wäre doch mal was!
Da! Er könnte schwören, dass sich im Inneren der Garage etwas bewegt hatte. Er hatte zwar nicht wirklich etwas gesehen, doch das Licht und die Schatten darin hatten sich verändert. Er blickte nach vorn zu den anderen. Lohnte es sich, deswegen Alarm zu schlagen? Er sah noch einmal hin, das Gewehr auf den vorderen Teil des Rolls gerichtet. Doch jetzt war da nichts mehr, und die anderen hatten sich noch weiter entfernt.
Er beschleunigte seine Schritte, den Kopf umgewandt, um den Bereich hinter sich im Auge zu behalten. Er bereute, dass er auf Hasans ganzen Unsinn gehört hatte. Seltsame Schreie in der Nacht, Menschen, die verschwinden. Aber noch mehr bereute er, dass er auf Greer gehört hatte. Was sollte dieser ganze Scheiß von der Schatzsuche? Den einzigen Schatz, den er gesehen hatte, hielt Greer jetzt liebevoll umklammert, und wer wusste schon, was in dieser Kiste steckte?
Links von sich sah er etwas, das er für Ställe hielt. Er erblickte leere Boxen, und an der zweiteiligen Stalltür hingen unidentifizierbare Geschirre. Lopez stammte aus Santa Fe, und er hatte fast jeden Sommer auf einer Ranch gearbeitet, aber Geschirre wie diese hatte er noch nie gesehen. Vielleicht züchteten die al-Kallis diese berühmten Araberhengste, von denen er schon so viel gehört hatte.
Als sie sich der Rückseite des Palasts näherten, suchte er die vielen schmalen Fenster ab und fragte sich, was wohl dahinter liegen mochte. Himmel, gab es wirklich Leute, die so lebten? Der Palast erinnerte ihn an Bilder, die er von Orten wie dem Tadsch Mahal gesehen hatte. Als er zur Armee gegangen war, hatte er gehofft, ein paar davon zu Gesicht zu kriegen. Doch bislang war dies hier der einzige.
Irgendwo in der Ferne ertönte ein Schrei, ein lautes, anhaltendes Krächzen. Es klang, als würde jemand ein Baby erwürgen.
»Verdammt«, rief Lopez. »Was war das?«
Sie waren alle abrupt stehen geblieben.
»Das war ein Pfau«, erklärte Hasan. »Sie schreien nach Regen.«
Lopez schluckte hart. Sein Mund fühlte sich plötzlich so trocken an wie die Wüste. »Hatten die schon mal Erfolg damit?«
»Nicht oft.«
Im Säulengang zeichneten die Schatten eine Art Zickzackmuster auf den Boden. Die Sonne stand jetzt tiefer, knapp über dem oberen Rand der Außenmauern. Ihre Schritte hallten hier wie in einem Tunnel, doch Lopez war klug genug, dieses Mal keine Ghostbusters-Witze zu machen. Er hob den nassen Kragen von seinem Hals, und noch während er daran zerrte, meinte er, etwas hinter sich atmen zu hören, ein tiefes kratzendes Geräusch. Er wirbelte herum, den Finger am Abzug seines Gewehrs. Doch da war nichts. Nur eine Reihe Steinsäulen, die in der untergehenden Sonne wie poliertes Gold glänzten.
»Hey«, rief er. Die anderen blieben stehen und drehten sich zu ihm um.
»Was ist?«, fragte Donlan.
»Ich glaube, ich hab' was gehört.«
»Hasan hat es dir doch erklärt, das sind die Pfauen.«
»Nein. Etwas anderes.«
Greer klemmte sich die Kiste unter einen Arm und holte seine Waffe heraus. »Weiter, nicht stehen bleiben.«
Lopez' Nacken juckte, und das lag nicht am trocknenden Schweiß. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Verfolgt. Er dachte an die Kojoten, die er früher in New Mexico geschossen hatte, und fühlte sich wie einer von ihnen.
»Wenn wir vorne sind«, sagte Greer, »verteilt euch in einem ...«
Und dann war es auf Lopez drauf. Ein rennender Schatten, ein riesiger schwarzer Fleck, stürzte hinter einer der Säulen hervor und schnappte nach ihm, wie ein Wolf sich ein verirrtes Lamm rauspickte. Voller Panik schoss Donlan mit seiner Maschinenpistole wild im Säulengang herum. Hasan presste sich flach gegen die Innenmauer, und Greer hatte plötzlich das Gefühl, als würde jemand heißes Wasser gegen sein linkes Bein spritzen. Er wusste, dass er von einem Querschläger getroffen worden war, aber er hatte keine Zeit, nachzusehen. Er musste machen, dass er selbst mitsamt der Kiste hier herauskam.
Er versuchte zu laufen, doch sein Bein konnte sein Gewicht kaum tragen.
Donlan feuerte immer noch, während sie zurückwichen. Hasan hatte sich wahrscheinlich irgendwo dahinten versteckt. Scheiß auf ihn - wer brauchte ihn jetzt noch?
Greer humpelte über den marmornen Vorhof. Er wusste, dass er eine Blutspur hinterließ. Was immer das für ein Ding sein mochte, es würde verdammt sicher seine Fährte aufnehmen. Er zwang sich, weiter zu laufen. Gott sei Dank verhinderte das Adrenalin, dass sein Bein vor Schmerz explodierte, doch die Wirkung würde nicht lange anhalten. Er hörte Donlan nachladen. Es wurde rasch dunkel, so wie immer hier, und er konnte das Tor gerade eben noch erkennen.
Nicht stehen bleiben, sagte er sich. Weiter, weiter.
Er schleppte sich in den Tunnel, schrie Sadowski vor sich zu: »Wir sind getroffen!«
Doch er bezweifelte, dass seine Stimme im geschlossenen Humvee zu hören war.
Donlan feuerte erneut. Schoss er auf irgendetwas, oder ballerte er nur wild in der Gegend herum?
Die Scheinwerfer des Humvee waren eingeschaltet, und Greer schwankte, mit einem Arm winkend, in ihren Lichtkegel.
Sadowski entdeckte ihn und sprang aus dem Fahrzeug.
»Hilf mir!«, rief Greer.
Sadowski versuchte, ihm die Kiste abzunehmen, aber Greer sagte: »Mach die verdammte Tür auf.«
Sadowski riss die Beifahrertür auf, und Greer schleuderte die Kiste auf den Boden.
Eine weitere Schusssalve ertönte, dann rannte Donlan keuchend auf sie zu.
Während Greer blutend auf den Beifahrersitz kletterte, sprang Donlan auf die Rückbank, als sei ihm ein Tiger auf den Fersen.
»Wo ist Lopez?«, rief Sadowski, und Greer sagte: »Er ist tot. Fahr los.«
Sadowski knallte die Tür hinter Greer zu und rannte um den Wagen herum zur Fahrerseite. Lopez war tot?
Er startete den Humvee. »Was ist mit Hasan?«
»Ich sagte, fahr!«
Als das Fahrzeug einen weiten Kreis beschrieb, fingen die Scheinwerfer etwas ein, eine Gestalt, die auf sie zurannte, die Arme wie zu einem Flehen emporgestreckt.
Hasan, dessen Hände immer noch gefesselt waren.
Sadowski warf einen Blick auf Greer und wartete auf Befehle. Er hatte doch nicht etwa vor, ihn hierzulassen?
Doch eine Sekunde später senkte sich etwas über Hasan herab wie eine rasende schwarze Wolke. Sadowski hörte einen Schrei. Im grellen Scheinwerferlicht sah er Hasans vor Entsetzen weit aufgerissene Augen, bevor das Ding ihn von den Füßen und mit sich in die Nacht fortriss. Alles, was übrig blieb, war eine kleine schwarze Ausgabe des Korans.
Sadowskis Hände lagen wie festgefroren auf dem Lenkrad.
»Fahr!«, bellte Greer ihn an, zuckte zusammen und umklammerte sein Bein. »Siehst du nicht, dass ich blute?«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
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Autoren-Porträt von Robert Masello
Robert Masello, geboren in Evanston, Illinois, studierte Literatur in Princeton, und ist ein preisgekrönter Journalist und Drehbuchautor. Seine Beiträge erschienen in Zeitungen und Zeitschriften, u.a. Los Angeles Times, The Washington Post, New York Magazine und People. Er schrieb für erfolgreiche Fernsehserien, u.a. Charmed . In den USA erschienen mehrere Romane und Sachbücher von ihm, zuletzt die Bestseller Vigil und Bestiary . Er lebt in Santa Monica, Kalifornien..
Bibliographische Angaben
- Autor: Robert Masello
- 2012, 543 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Poets, Maria
- Übersetzer: Maria Poets
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596188644
- ISBN-13: 9783596188642
- Erscheinungsdatum: 25.07.2012
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