Ein allzu schönes Mädchen / Kommissar Marthaler Bd.1
Im Frankfurter Stadtwald werden die grauenhaft zugerichteten Leichen zweier junger Männer gefunden. Hauptkommissar Robert Marthaler ermittelt und staunt: Alle Spuren weisen auf eine Frau als Täterin hin. Zu allem Überfluss gerät auch noch Marthalers...
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Im Frankfurter Stadtwald werden die grauenhaft zugerichteten Leichen zweier junger Männer gefunden. Hauptkommissar Robert Marthaler ermittelt und staunt: Alle Spuren weisen auf eine Frau als Täterin hin. Zu allem Überfluss gerät auch noch Marthalers Privatleben aus den Fugen, denn seine neue Mitbewohnerin stellt eine ernsthafte Versuchung für den eigenwilligen Junggesellen dar.
Frankfurt im Hochsommer: Im Stadtwald werden die grauenhaft zugerichteten Leichen zweier junger Männer entdeckt. Spuren am Tatort weisen auf eine Frau hin. Für Hauptkommissar Marthaler beginnt die fieberhafte Suche nach einer Unbekannten, die von Zeugen als außerordentliche Schönheit beschrieben wird. Doch bevor die Ermittler der Lösung des Falles einen Schritt näher kommen, wird im Frankfurter Hof ein Reporter brutal ermordet ...
"Jan Seghers schreibt den perfekten Krimi." -- DER TAGESSPIEGEL
Ein allzuschönes Mädchen von JanSeghers
LESEPROBE
Als sie endlich die letzten Bäume hinter sich gelassen hatte,öffneten sich unter ihr die Felder. Einen Moment lang hielt sie inne und legtedie Hände vors Gesicht, weil die Helligkeit der schneebedeckten Ebene sieblendete. Einen Tag nach jenem schrecklichen Unglück hatte sich der Winternoch einmal mit der Kraft eines Todgeweihten gegen das Frühjahr aufgelehnt.Die Temperatur war ein letztes Mal um einige Grade gesunken, und einschneidender Ostwind, der vom Rhein herüberwehte, hatte Schnee und Eis überdas Land getrieben. Um ihre Schultern war eine Decke gewickelt gegen die Kältedes Waldes. Aber jetzt stand die Mittagssonne hoch am Himmel, mühsam verdecktvon einer dünnen Schicht Wolken. Das Mädchen legte den Kopf in den Nacken undschloss die Augen. Der Reif auf seinen Wimpern schmolz, das Wasser floss inkleinen Rinnsalen die Wangen hinab und hinterließ Spuren im Schmutz auf derHaut. Wenige Tage später sollte das Mädchen den Namen Manon erhalten.
Manon hatte Hunger. Dreimal war es dunkel geworden, seit sieunterwegs war, und dreimal wieder hell. Kein Mensch war ihr begegnet. Einmalhatte sie ein Reh gesehen, aber als sie sich dem Tier hatte nähern wollen, wares geflohen. Noch immer stand sie am Waldrand und blinzelte in die Ebene. Wennsie ihr Gewicht vom einen auf das andere Bein verlagerte, verzerrte sich ihrMund vor Schmerzen.
Zögernd hinkte sie weiter. Fast wirkte sie selbst wie einvorsichtiges Tier, das sich in der fremden Umgebung erst noch zurechtfindenmuss. Ihre Kleider waren zerrissen und an einigen Stellen starr vomgetrockneten Blut. Wenn sie meinte, ein Geräusch zu hören, blieb sie stehen, legte lauernd den Kopf aufdie Seite, dann wischte sie sich mit dem Ärmel übers Gesicht und ging weiter.Manchmal sprach sie auch mit einem Vogel, mit einem Strauch oder Stein, aberkein Mensch, der ihr begegnet wäre, hätte ihre Sprache verstanden. Unter großerErregung stieß sie nie gehörte Laute hervor, ihre Züge verzerrten sich, siegestikulierte mit den Armen und schüttelte die Fäuste wie ein Priester, der dieWelt vor ihrem nahen Ende warnen will. Dann wurden ihre Augen wieder leer, undsie ließ die Schultern sinken, als habe sie die Vergeblichkeit ihrer Müheneinsehen müssen.
Jetzt kam von Westen Wind auf und fegte den Himmel blank.Mit schweren Flügeln strich ein Bussard übers Feld. Unter Manons Füßen brachdas kalte Laub. Weit hinten eine Kate, die Bäume kahl und eine Frau, dieBrennholz sammelte. Blau hing der Winter überm Land, darunter alles schwarz undweiß. Eine Katze duckte sich durch die Ackerfurchen, dann sprang sie auf undeiner Krähe nach, die ihr entwischte. Jetzt saß die Katze da und lugte ratlosin die Luft, der Vogel aber ließ sich auf einem fernen Ast nieder. Manon musstelachen. Vor ihrem Mund gefror die Luft zu weißen Flocken.
Als sie aneinem Abhang Kinder sah, die Schlitten fuhren, presste sie ihre Hände auf dieOhren, um das Lachen und die Rufe nicht zu hören. Sie schlug einen Bogen um denHügel, verbarg sich gelegentlich hinter einer Hecke. Sie floh die Nähe derMenschen. Einmal tauchte unvermutet ein Bauer mit seinem Traktor vor ihr auf,da warf sie sich hinter einen Findling und blieb reglos am Boden liegen, bisdas Motorengeräusch in der Ferne verklungen war. Bevor sie aufstand, bewegtesie die Arme auf und ab, sodass ein Muster im Schnee entstand, das der Figureines Engels glich. Vielleicht hatte ihr Vater sie dieses Spiel gelehrt. Sieließ den Engel liegen und zog weiter; ihr Atmen wurde mit jedem Schrittschwerer. Längst war das Leder der Schuhe durchweicht, und die Haut ihrer Füßescheuerte an den nassen Wollstrümpfen. Auch die Kleider waren feucht; langsamkroch das Fieber in ihren Körper.
Sie folgtedem Lauf eines Baches, dessen Ufer mit schrundigem Eis bedeckt waren. Nur inder Mitte bahnte sich das Wasser einen schmalen Weg und floss dem Mädchengurgelnd voraus. Manons Hunger wurde größer. Sie fand ein paar Bucheckern,kaute lange auf den harten Früchten herum und spuckte die Überresteschließlich aus. Dann bückte sie sich, nahm etwas Schnee, ließ ihn in denHandflächen schmelzen und leckte das Wasser auf. So hatte sie es auch die Tagezuvor gemacht.
Als siesich der Kate näherte, begann es bereits zu dunkeln. Das Häuschen stand einsaminmitten der weiten Felder, und dass es bewohnt war, sah man nur an dem Rauch,der dünn aus dem Schornstein emporstieg, bevor er sich im Abendhimmel verlor.Schließlich ging ein Licht im Innern des Hauses an. Erschrocken zog sich Manonzwischen ein paar Bäume zurück, die, nicht weit entfernt, das Ufer des Bachessäumten. Eine Weile verharrte sie so, bis sie erneut den Mut fand, sich demGebäude zu nähern. Einige Male umkreiste sie das kleine Haus, immer daraufbedacht, dass man sie nicht entdeckte, dann schlich sie dicht heran, drückteihren Rücken an die Mauer und bewegte sich vorsichtig auf das beleuchteteFenster zu. In dem Zimmer saß eine ältere Frau an einem Tisch und las in einemBuch. Sie hatte noch dunkles, fast schwarzes Haar, das sie zu einem seitlichenKnoten geschlungen hatte. Ab und zu ließ sie das Buch auf den Tisch sinken,schloss die Augen und bewegte lautlos die Lippen, als ob sie betete. VonSchmerz oder Hunger getrieben, begann Manon zu wimmern, leise genug, dass mansie im Haus nicht hören konnte, aber doch so laut, dass sie sich nicht alleinfühlte.
(...)
© RowohltVerlag GmbH
- Autor: Jan Seghers
- 2005, 23. Auflage, 479 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499236249
- ISBN-13: 9783499236242
- Erscheinungsdatum: 01.09.2005
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