Schwarze Piste / Kreuthner und Wallner Bd.4
Kriminalroman
Polizeiobermeister Kreuthner fährt mit einer Touristin die berüchtigte schwarze Piste hinab - die er ja angeblich bestens kennt.
Wenig später stapfen die beiden "Ski-Asse" durch die Nacht und den hüfthohen Tiefschnee....
Wenig später stapfen die beiden "Ski-Asse" durch die Nacht und den hüfthohen Tiefschnee....
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Taschenbuch
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Schwarze Piste / Kreuthner und Wallner Bd.4 “
Polizeiobermeister Kreuthner fährt mit einer Touristin die berüchtigte schwarze Piste hinab - die er ja angeblich bestens kennt.
Wenig später stapfen die beiden "Ski-Asse" durch die Nacht und den hüfthohen Tiefschnee. Dabei stolpern sie über die gefrorene Leiche einer Frau, deren Hand noch im Tod ein Foto umklammert hält. Kreuthners Chef, Kommissar Wallner, bekommt eine harte Nuss zu knacken.
Wenig später stapfen die beiden "Ski-Asse" durch die Nacht und den hüfthohen Tiefschnee. Dabei stolpern sie über die gefrorene Leiche einer Frau, deren Hand noch im Tod ein Foto umklammert hält. Kreuthners Chef, Kommissar Wallner, bekommt eine harte Nuss zu knacken.
Klappentext zu „Schwarze Piste / Kreuthner und Wallner Bd.4 “
Der vierte Fall des sympathisch-schrulligen Ermittler-Duos Wallner & Kreuthner aus Oberbayern vom Kultautor mit Bestseller-Garantie Andreas Föhr: Onkel Simmerl ist tot. Seine Asche verstreut Polizeiobermeister Kreuthner auf dem Wallberg - einer jungen Skifahrerin mitten ins Gesicht. Als Wiedergutmachung fährt Kreuthner mit ihr die berüchtigte schwarze Piste ab, die er angeblich bestens kennt. Nur wenig später stapfen sie in der Dunkelheit durch den Schnee und stolpern fast über die gefrorene Leiche einer Frau. Denn was zunächst wie ein Schneemann aussieht, entpuppt sich als eine gefrorene Leiche ...
Turbulent, unterhaltsam, spannend: Ein neuer Fall für die beiden Kult-Kommissare Wallner und Polizeiobermeister Leonhardt Kreuthner. Auch für Nicht-Bayern absolut lesenswert!
"Krimiautor Andreas Föhr hat mit Kreuthner einen der vitalsten Ermittler erfunden, die es gerade in der Spannungsliteratur gibt. Sein Partner und Gegenspieler ist der feinsinnige Kommissar Wallner, der wiederum mit seinem äußerst lebendigen Großvater zusammen lebt. Schon diese Konstellation sorgt in jedem der bisher vier Romane für hinreißend komische Situationen. [...] Man muss die anderen Bücher nicht kennen, um "Schwarze Piste" genießen zu können. Föhrs direkte Art, Menschen und Orte zu beschreiben, ziehen einen sofort hinein."
WDR 4
»(...) das macht den Charme des Krimis aus, dass die Charaktere gut geerdet und meist mit trockenem Humor ausgestattet sind. Föhr verschafft seinen Protagonisten mit wenigen Merkmalen eigene Persönlichkeiten.« Süddeutsche Zeitung
Alle Bände der Wallner & Kreuthner-Krimis aus Oberbayern von Andreas Föhr - als Taschenbuch oder eBook:
Band 1: Prinzessinnenmörder
Band 2: Schafkopf
Band 3: Karwoche
Band 4: Schwarze Piste
Band 5: Totensonntag
Band 6: Wolfsschlucht
Band 7: Schwarzwasser
Band 8: Tote Hand
Lese-Probe zu „Schwarze Piste / Kreuthner und Wallner Bd.4 “
Schwarze Piste von Andreas Föhr 1
Der Himmel am Morgen des vierundzwanzigsten September 2008 war grau, die Luft kalt und feucht. Der Monat hatte ungewöhnlich warm begonnen. Doch in der zweiten Hälfte waren die Temperaturen gefallen. Um sieben Uhr dreißig zeigten die Thermometer sechs Grad über null in Miesbach. Baptist Krugger verabschiedete sich von seiner Mutter, die ihm wie jeden Morgen in Stanniol eingeschlagene Wurstbrote mitgab, und bestieg einen alten VW Golf, um nach München in die Universität zu fahren. Jedenfalls nahmen seine Eltern das an. Baptist Krugger fuhr aber nicht nach München. Wie an fast jedem Morgen fuhr er zu einem neun Kilometer entfernten, einsam gelegenen Haus, um dort den Tag zu verbringen. Das wussten seine Eltern nicht, und auch sonst wusste so gut wie niemand von dem Haus. Der Golf nahm die Straße Richtung Norden, und alles war wie immer - nur dass heute ein dunkelblauer BMW Baptist Krugger in einigem Abstand folgte.
... mehr
Sophie Kramm hatte unruhig geschlafen und war kurz nach fünf aufgewacht. Ihr war schlecht, und sie musste sich zwei Mal übergeben. Auch zitterten ihr die Knie. Sie zog sich an und ging zum Stall hinüber, um die kalte Luft zu atmen und sich zu beruhigen. Die Pferde und Esel waren nervös an diesem Morgen und scharrten und schnaubten in ihren Boxen. Zurück im Wohnhaus, kochte sie eine Kanne Kaffee, trank aber nur wenig, denn sie fürchtete, dass der Kaffee ihrem Magen den Rest geben würde. Um sechs war sie zu der kleinen Straße gefahren, die durch den Wald führte, und hatte Jörg und Annette geholfen, die mobile Verkehrsampel aufzubauen. Die feuchte Kälte durchdrang ihre Kleidung, aber sie schwitzte vor Anstrengung. Als die Ampel installiert war, leuchtete sie zwar, aber nur grün. Jörg hatte geflucht und gegen die Ampel getreten, wie es Männer oft taten, wenn technische Apparate nicht funktionierten. Annette hatte vorgeschlagen, die Ampel aus- und wieder einzuschalten. Nach dem Neustart leuchtete sie - allerdings nur rot. Aber das war in Ordnung. Ab sieben Uhr wartete Sophie Kramm in einem dunkelblauen BMW mit falschem Kennzeichen achtzig Meter vom Haus der Familie Krugger entfernt und beobachtete die Ausfahrt. Um sieben Uhr achtundzwanzig gab sie Kruggers Abfahrt per Handy durch, folgte dem Wagen in großem Abstand und verlor bald den Sichtkontakt. Doch war das ohne Belang. Sie wusste, welchen Weg Krugger nehmen würde.
Baptist Krugger war ein unscheinbarer junger Mann von vierundzwanzig Jahren, übergewichtig, aschblond, fahle Gesichtshaut, braune Augen, fl iehende Stirn, wulstige Lippen und auch sonst Gesichtszüge, die nahelegten, dass eine seiner Urahninnen von Neanderthalern entführt worden war. Seine Eltern betrieben eine kleine Kerzenfabrik, die von Aufträgen der Diözese lebte, trotz dieser potenten Kundschaft aber in wirtschaftliche Schieflage geraten war; die Banken hatten gerade entdeckt, dass sie auf einem Haufen wertloser Papiere saßen, und verliehen kein Geld mehr. Baptist studierte Betriebswirtschaftslehre und war dazu ausersehen, eines Tages die Leitung der Kerzenfabrik zu übernehmen. Neben der Liebe zu Kerzen wurde im Haus Krugger auch die Liebe zu Gott praktiziert, was im Kerzengewerbe gewissermaßen Hand in Hand ging. Baptist gedachte übrigens nicht, den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Er besaß, was ihm niemand ansah, ein Vermögen von elf Millionen Euro. Niemand ahnte etwas davon, und niemand ahnte etwas von dem Haus, das er vor einem halben Jahr einem Freund abgekauft hatte. Baptist hütete noch andere Geheimnisse und war sicher, dass niemand außer ihm selbst von ihnen wusste.
Wenige Minuten, nachdem er Miesbach in Richtung Weyarn verlassen hatte, bog Baptist Krugger linker Hand in eine kleine Seitenstraße ab. Kurz darauf bog auch der dunkelblaue BMW in die Straße ein. Wenig später folgte ein Streifenwagen. Darin Kreuthner mit dunklen Ringen um die Augen und zerschrammtem Gesicht.
2
Kreuthner hatte eine bewegte Schafkopfnacht im Gasthaus Zur Mangfallmühle hinter sich. Seine Mitspieler waren der alte und der junge Lintinger gewesen, von Beruf Schrottplatzbesitzer und Kleinkriminelle, sowie Stanislaus Kummeder, ein für seine Gewalttätigkeit berüchtigter Provinzganove. Gegen eins war Kreuthner vierhundert Euro im Plus gewesen. Dann hielten sich Gewinn und Verlust lange Zeit die Waage. Erst ab fünf kam wieder Bewegung in die Schafkopfrunde. Und das lag an einer Regel, die besagte, dass jeder Spieler fünf Euro in einen Topf, die sogenannte »Henn«, einzahlen musste, wenn kein Spiel zustande kam. Beim nächsten Spiel konnte die Partei, die das Spiel angemeldet und gewonnen hatte, den Inhalt der Henn an sich nehmen. Sollte sie das Spiel aber verlieren, musste die Henn verdoppelt werden. Da konnte, wie man seit der Geschichte mit dem Schachbrett und den Reiskörnern weiß, einiges zusammenkommen. Gegen halb sechs lagen über dreihundert Euro im Topf, und Kreuthners Barbestände waren auf zehn Euro zusammengeschrumpft. In dieser Situation bekam er ein Blatt mit sechs Trümpfen auf die Hand. Das Spiel war aber unerwartet verzwickt, und Kreuthners Partner Harry Lintinger gehörte nicht gerade zu den Kandidaten für den Mensa-Club. Um es kurz zu machen: Die Partie rauschte furios gegen die Wand. Harry warf seinen Anteil von einhundertfünfzig Euro mürrisch auf den Tisch. Kreuthner legte seinen Zehneuroschein dazu.
»Und?«, fragte Kummeder.
»Ja, da fehlen hundertvierzig. Seh ich selber. Ich zahl's später.«
»Er zahlt später!« Ironie paarte sich in Kummeders Ton mit Missfallen. Er sah auffordernd zum alten Lintinger, damit der auch was sagte.
»Da schau her«, sagte Johann Lintinger dienstfertig. »Des san fei ganz neue Sitten. Normal wird gleich zahlt.«
»Ich hab aber nix mehr«, maulte Kreuthner.
»Was tust dann hier am Kartentisch?« Kummeder nahm noch einen Schluck Bier, was bei ihm bedeutete, dass er das Bierglas zu zwei Dritteln leerte.
»Ihr habt's doch gesehen, dass ich nur noch an Zehner daliegen hab.«
»Was weiß ich, was du noch im Geldbeutel hast. Is mir auch wurscht. Du tust jetzt die Henn aufdoppeln, und zwar a bissl hastig.«
Kummeders Kiefer mahlten. Das war ein schlechtes Zeichen. Wenn Kummeder mahlte, war es meist nicht mehr weit, bis er zuschlug. Und dann war man besser nicht in der Nähe. Kummeder maß, wie sein momentan in der JVA Bernau einsitzender Freund Peter Zimbeck, über einen Meter neunzig und wog einhundertzwanzig Kilo, und das war in der Hauptsache Muskelmasse. Beim letzten Enterrottacher Waldfest hatte er mit einem Biertisch um sich geschlagen wie mit einer Fliegenpatsche und sechs junge Burschen mit einem einzigen wuchtigen Hieb ins Krankenhaus befördert, um anschließend mit dem Hau-den-Lukas-Hammer grölend über das Festgelände zu ziehen und Angst und Schrecken zu verbreiten. In der ausbrechenden Panik stürzte die mit Holzkohle betriebene Hendlbraterei auf den Tanzboden, der vollständig abbrannte. Drei Waldfestbesucher zogen sich Verbrennungen zu, als sie versuchten, einige der Grillhendl aus dem Feuer zu retten. Später konnte nicht mehr ermittelt werden, wer die Schlägerei angezettelt hatte. Beziehungsweise wussten diejenigen, die es mitbekommen hatten, Besseres zu tun, als Stanislaus Kummeders Zorn auf sich zu ziehen. »Was soll ich jetzt machen?«, fragte Kreuthner.
»Ja, was mach ma denn jetzt«, wandte sich Kummeder wieder an seinen Mitspieler Johann Lintinger.
»Was sollst da sagen. Des hat's ja noch nia net geben, dass einer net zahlt. Und ich bin schon lang in dem G'schäft.«
»Du sollst keine Volksreden halten, du sollst an Vorschlag machen.«
»Ja wenn er kein Geld hat, dann muss er halt mit was anderm zahlen. Wie schaut's aus? Deine Uhr zum Beispiel. «
Kreuthner streifte seine Rolex ab und legte sie auf den Haufen Geldscheine. Von dort nahm Kummeder sie, ohne sich das Stück überhaupt anzusehen, und warf sie vor Kreuthner auf den Tisch zurück. »Spinnst jetzt, oder was? Die hab ich dir verkauft. Dreiß'g Otten. Wert is keine fünf. Was hast noch?«
Kreuthner zuckte die Schultern. »Nix. Nur was ich an- hab.«
»Guter Vorschlag.«
»Guter ... was?«
»Deine Klamotten.«
»Die Uniform?«
»Da krieg ich zweihundert für.«
»Für a gebrauchte Uniform? Des zahlt dir keiner«, wandte der alte Lintinger ein.
»Doch. Er da.« Kummeder deutete auf Kreuthner. »Wenn er sie wiederhaben will.«
»Jetzt spinn dich aus. Ich kann dir doch net die Uniform geben.«
Kummeder sagte nichts mehr. Aber in seinem von Alkohol getrübten Blick war zu lesen, dass er nicht vorhatte weiterzudiskutieren. Kreuthner war, mit anderen Worten, kurz davor, eine zu kassieren.
»Wie jetzt ... alles? Hemd, Jacke, Hose ...?« Kreuthner deutete an sich hinab.
»Die g'stinkerten Stiefel kannst behalten. Der Rest kommt zu mir umme.«
»Jetzt?«
»Jetzt.«
Kreuthner wartete einen Augenblick. Vielleicht hatte Kummeder sich einen Scherz erlaubt und würde gleich loslachen und ihm auf die Schulter hauen (auch keine schöne Aussicht). Aber Kummeder hatte keinen Scherz gemacht. Kreuthner zog also Uniformjacke, Hemd und Hose samt Gürtel aus und musste auch seine Dienstmütze abliefern. Die Schuhe zog er wieder an und spielte im Unterhemd weiter.
Beim nächsten Spiel sah Kreuthner die Gelegenheit gekommen, den Topf und damit seine Uniform wiederzubekommen.
»Tät spielen«, sagte er.
»Überleg dir des gut«, sagte der alte Lintinger. »Net, dass du noch einen mit ins Elend reißt.«
Aber Kreuthner war nicht von seinem Vorhaben abzubringen und spielte erneut mit der Gras-Sau. Die hatte diesmal der alte Lintinger. Und weil er Kreuthners riskantes Spiel kannte und keine Lust hatte, zusammen mit Kreuthner die Henn aufzudoppeln - inzwischen dreihundert Euro für jeden - , hatte er Kreuthner noch einmal dringlich ermahnt, keinen Scheiß zu machen. Es half nichts. Wie befürchtet, ging es auch mit diesem Spiel steil bergab. Bis Kreuthner beim letzten Stich überraschend dreißig Punkte mit dem Herz-Zehner einkassierte und die Partie gewann. Dem alten Lintinger leuchteten die Augen, als er sich anschickte, den Berg Geldscheine zusammenzuraffen. Doch Kummeder ließ seine mächtige Pranke auf Lintingers ebenfalls nicht zarten Hände niederfahren und gebot dem Gegrabsche Einhalt. Dann deckte Kummeder die Stiche vor sich auf und suchte einen davon heraus, den er Richtung Tischmitte schob. »Wer hat denn da auf den Schellen-Ober den Gras-Siebener rein, ha?«
Kreuthner sah suchend in die Runde. »Keine Ahnung. Weiß des noch wer?«
»Ja. Ich«, dröhnte Kummeder. »Des warst du.«
»Ich?« Kreuthner klang ungewohnt kleinlaut.
»Hätt ma da net den Herz-Zehner zugeben sollen?«
Ja, hätte man. Kreuthner hatte beschissen und sich erwischen lassen. Blieb nur die Frage, was ihn als Strafe erwartete. Kummeder machte einen äußerst verstimmten Eindruck auf Kreuthner. Das konnte bitter werden.
3
Kreuthner hing im Beifahrersitz, den Kopf an die Seitenscheibe gelehnt, dünstete Alkohol aus und blickte mit müden Augen auf die Straße. Selbst in diesem Zustand arbeitete sein Verstand erstaunlich präzise. »Da vorn - der hat nur ein Rücklicht.« Etwa einen halben Kilometer voraus bewegte sich ein dunkelblaues Fahrzeug die Bundesstraße entlang. Man brauchte gute Augen, um zu erkennen, was Kreuthner gesehen hatte.
»Der is aber ziemlich weit weg.«
»Und deswegen darf er ohne Rücklicht fahren? Gib Gas!«
Die Temperaturanzeige sank um drei Grad, als Baptist Krugger in das Waldstück fuhr, am Boden mochte es noch kälter sein. Um vereiste Stellen rechtzeitig zu sehen, heftete Krugger seinen Blick auf den Asphalt. Deswegen entging ihm, dass am Eingang des Waldes jemand stand, der ein Handy am Ohr hatte und trotz der schlechten Lichtverhältnisse eine Sonnenbrille trug. Hinter der Abzweigung eines Forstweges sah Krugger mit einem Mal ein rotes Licht zwischen den Baumstämmen, und unmittelbar darauf, nach einer sanften Kurve, tauchte eine Ampel vor ihm auf. Vor der Ampel wies ein Schild darauf hin, dass Straßenbauarbeiten im Gang waren. Was hier gebaut wurde, war nicht ersichtlich. Weder gab es eine aufgerissene Straße noch Erdaufschüttungen noch Baugerät am Straßenrand. Die Baustelle würde wohl heute erst eingerichtet werden, dachte sich Krugger und hielt an. Einige Sekunden vergingen, dann näherte sich ein weiterer Wagen von hinten. Es war ein blauer BMW.
Krugger wartete eine Weile, aber nichts geschah. Vor allem schaltete die Ampel nicht auf Grün um. Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts ein Arbeiter aus dem Wald auf. Er hatte eine orangefarbene Warnweste an und trug eine tief ins Gesicht gezogene Wollmütze sowie einen Schal, der die untere Hälfte des Gesichts verdeckte. Krugger kam die Aufmachung für einen Septembertag etwas übertrieben vor. Der Arbeiter ging zur Ampel, winkte Krugger zu und machte Anstalten, zum Wagen zu kommen. In diesem Moment blieb er am Fuß der Ampel hängen und stolperte, wobei sein Schal nach unten rutschte. Mit unangebrachter Hektik, so schien es Krugger, drehte sich der Mann vom Wagen weg und schob den Schal wieder ins Gesicht. Krugger hatte mit einem Mal das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Eine Unruhe erfasste ihn. Er suchte den Wald ab, ob sich zwischen den Bäumen noch andere Menschen befanden, die bedrohlich werden konnten. Doch im Wald war alles ruhig. Nur der Mann mit der orangefarbenen Weste bewegte sich auf Krugger zu, sorgsam darauf bedacht, dass sein Schal nicht noch einmal verrutschte. Er trat neben die Fahrertür und klopfte an die Scheibe. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte Krugger den vermummten Arbeiter, nachdem er die Scheibe halb heruntergekurbelt hatte.
»Grüß Gott. Es ist mir sehr unangenehm, aber mein Kollege ist heute Morgen nicht gekommen und ich habe mein Handy zu Hause vergessen. Könnten Sie mir Ihr Handy kurz leihen?« Der Mann klang nicht wie ein Arbeiter. Eine leichte Färbung der Aussprache zeigte an, dass er aus Bayern kam, gleichzeitig aber auch, dass er seinen Lebensunterhalt wohl kaum mit dem Reparieren von Straßen verdiente. Es war jene Sprachfärbung, die man in den gebildeteren Kreisen des Münchner Bürgertums hörte. Das beruhigte Krugger etwas. Andererseits fragte er sich, wer die Ampel aufgebaut hatte, wenn der Mann allein war. Gestern Abend war sie noch nicht da gewesen. Aber Krugger fragte nicht, sondern gab dem Mann sein Handy. Der bedankte sich und steckte das Handy in seine Jackentasche.
»Entschuldigung«, sagte Krugger. »Sie wollten doch telefonieren?«
»Ja, natürlich«, sagte der Mann. Sein Atem ging schnell, die Stimme zitterte wie bei jemandem, der unter großem Stress stand. »Später vielleicht.«
»Könnte ich dann vielleicht mein Handy wiederhaben? «
»Nein, das geht nicht. Ich muss Sie bitten auszusteigen. «
»Warum?«
»Sie sollten jetzt keine Fragen stellen. Es ist besser für Sie, wenn Sie aussteigen.«
Krugger bemerkte, dass die Fahrerin des blauen BMWs hinter ihm ihren Wagen verlassen hatte und auf ihn zukam. Sie trug eine Sonnenbrille, die nahezu ihr halbes Gesicht verdeckte, und einen breitkrempigen Hut.
»Was soll das?«, fragte Krugger.
Der Mann mit der Signalweste hatte mit einem Mal eine Pistole in der Hand und richtete sie auf Krugger. »Steigen Sie aus, verdammt!«, schrie er unvermittelt. Krugger drückte den Verriegelungsknopf, tastete hektisch nach der Kurbel für die Seitenscheiben und ließ sie hochfahren, aber der Lauf der Pistole steckte schon im Fenster und stoppte die Scheibe.
»Lass den Scheiß, du Idiot! Steig endlich aus!«
Krugger öffnete mit zitternden Händen die Tür. Sein Herz raste, in seinem Schädel breitete sich Adrenalin aus, das ein Gefühl verursachte, als habe man ihm eine Dornenkrone aufgesetzt. Nur mit Mühe gelang es Krugger, sein Wasser zu halten. Er hatte keine Ahnung, was der Mann von ihm wollte. Vielleicht war er nur in einen Raubüberfall geraten. Er würde dem Kerl sein Bargeld geben und vielleicht die EC-Karte und könnte weiterfahren. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass sich hier etwas anderes abspielte. Dass der Mann, der gerade eine Pistole auf ihn richtete, nicht auf tausend Euro aus war. Und dass er, Krugger, nicht zufällig in diese Falle geraten war. »Hände auf den Rücken«, befahl der Mann. Krugger tat, was von ihm verlangt wurde. Hinter dem Rücken wurden seine Hände von der Frau gepackt, die aus dem blauen BMW gestiegen war. Er spürte etwas Dünnes, Elastisches, das um seine Handgelenke gelegt wurde. Es war nicht kalt, also nicht aus Metall. Ein Handy klingelte. Es gehörte der Frau aus dem BMW, die den Anruf entgegennahm und einige Schritte zu ihrem Fahrzeug zurückging. Sie sprach leise mit dem Anrufer. Nur den gepressten Ausruf »Scheiße« konnte Krugger deutlich verstehen. Als sie zurückkam, war sie aufgebracht.
»Er muss in den Kofferraum.«
»Wieso das denn?«
»Es gibt gleich Probleme.« Die Frau deutete mit dem Kopf in die Richtung, aus der sie gekommen war.
»Was heißt Probleme?«
»Das heißt, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, Herrgott!« Sie nahm Krugger am Arm und führte ihn zum Kofferraum des blauen Wagens. Es war ein relativ neuer 7er-BMW. Die Frau drückte einen Knopf, und der Kofferraumdeckel fuhr mit einem summenden Geräusch langsam nach oben. »Los, rein. Wenn du dich rührst, bist du tot, ist das klar?«
Krugger schielte ängstlich zum Heck des Wagens, als ihn ein heftiger Schlag ins Gesicht traf. »Ob das klar ist?!«, schrie ihn der Mann mit der orangefarbenen Weste an und schlug ihm die Pistole ins Gesicht. Rasender Schmerz durchzuckte ihn. Krugger stieg benommen und mit blutender Augenbraue in den Kofferraum, so schnell sich das mit auf den Rücken gefesselten Händen bewerkstelligen ließ. Der Mann und die Frau schoben ihn bis zur Lehne der Rückbank, breiteten eine Umzugsdecke über ihn und stellten zwei Reisetaschen davor. Dann erneut ein Summen, der Kofferraumdeckel senkte sich, es wurde dunkel um Krugger. Bevor sich sein Gefängnis endgültig schloss, hörte er das Geräusch eines herannahenden Wagens.
»Jetzt lernst mal was fürs Leben«, sagte Kreuthner.
»Wieso? Was hast vor?« Schartauer ahnte Ungemach.
»Die Kohle liegt auf der Straße, sag ich immer. Sperr die Augen auf, dann kannst was lernen. Wennst amal schnell an Cash brauchst.« Kreuthner zwinkerte seinem jungen Kollegen verschwörerisch zu. Schartauer war ganz und gar nicht wohl bei der Sache.
»Ich versteh's net ganz, was du vorhast. Du willst ja wohl net irgendwie ...?«
»Als Polizist musst praktisch denken. Es gibt zum Beispiel Leut, die wollen net, dass des amtlich wird, dass sie an Scheiß baut ham. Verstehst?«
Schartauer fürchtete das Schlimmste.
»Is ja auch net angenehm, wenn a Schreiben von der Polizei kommt. Vielleicht wollen s' net, dass es der Ehemann mitkriegt oder die Nachbarn. Aber du kannst die Leut auch net einfach davonkommen lassen. Also - was machst als Polizist?«
Schartauer schwieg und starrte auf die Straße.
»Dann machst es halt inoffiziell. Cash auf die Kralle, verstehst? Kein Papierkram, nix.«
»Und was machst du mit dem Bußgeld? Das muss man doch abliefern.«
»Scherzkeks. Das kannst doch nur abliefern, wennst an schriftlichen Vorgang dazu hast. Wie sollen die das denn sonst verbuchen?«
»Das heißt ...«
»Die Kohle musst halt selber behalten. Geht eben net anders. Wichtig ist doch, dass der Bürger, der wo an Gesetzesverstoß begeht, dass der bestraft wird und das nächste Mal sagt: Das machen mir nimmer, weil sonst gibt's wieder eine Strafe. Wo dem sein Pulver hingeht, ist doch letztlich wurscht. A Bußgeld ist zur Abschreckung da. Das heißt: Wichtig ist, dass das Geld wegkommt vom Verkehrssünder, net wo's hingeht.«
»Ich hab denkt, das geht an wohltätige Zwecke.«
»Tut's ja auch.«
»Ah so - ich hab schon gedacht, du willst es behalten.«
»Nein. Da hast mich missverstanden. Ich geb's dann natürlich für wohltätige Zwecke. Das ist doch selbstverständlich. «
Schartauer hatte Zweifel, ob die Begleichung der Spielschulden von Staatsbediensteten unter wohltätige Zwecke fiel. Aber da Kreuthner zusehends verärgert darauf reagierte, dass der junge Kollege mit seinen praxisnahen Überlegungen so wenig anfangen konnte, fragte Schartauer nicht weiter nach und hoffte, dass er nicht Mittäter eines allzu schweren Dienstvergehens werden würde. Kreuthner stand unter Zeitdruck, Geld zu beschaffen. Er hatte zwar eine andere Uniform besorgt und war zum Geldautomaten gefahren. Da es aber aufs Monatsende zuging, hatte der nichts mehr hergegeben; Kreuthner hatte wie häufig sein Dispo limit bereits erreicht.
Der blaue BMW stand an der roten Ampel. Vor dem BMW wartete ein alter Golf. Kreuthner wies Schartauer an, hinter dem BMW zu halten. Am Steuer des BMWs saß eine Frau von etwa fünfundvierzig Jahren, die das Seitenfenster herunterließ, als Kreuthner neben den Wagen trat.
© 2012 Knaur Verlag Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Sophie Kramm hatte unruhig geschlafen und war kurz nach fünf aufgewacht. Ihr war schlecht, und sie musste sich zwei Mal übergeben. Auch zitterten ihr die Knie. Sie zog sich an und ging zum Stall hinüber, um die kalte Luft zu atmen und sich zu beruhigen. Die Pferde und Esel waren nervös an diesem Morgen und scharrten und schnaubten in ihren Boxen. Zurück im Wohnhaus, kochte sie eine Kanne Kaffee, trank aber nur wenig, denn sie fürchtete, dass der Kaffee ihrem Magen den Rest geben würde. Um sechs war sie zu der kleinen Straße gefahren, die durch den Wald führte, und hatte Jörg und Annette geholfen, die mobile Verkehrsampel aufzubauen. Die feuchte Kälte durchdrang ihre Kleidung, aber sie schwitzte vor Anstrengung. Als die Ampel installiert war, leuchtete sie zwar, aber nur grün. Jörg hatte geflucht und gegen die Ampel getreten, wie es Männer oft taten, wenn technische Apparate nicht funktionierten. Annette hatte vorgeschlagen, die Ampel aus- und wieder einzuschalten. Nach dem Neustart leuchtete sie - allerdings nur rot. Aber das war in Ordnung. Ab sieben Uhr wartete Sophie Kramm in einem dunkelblauen BMW mit falschem Kennzeichen achtzig Meter vom Haus der Familie Krugger entfernt und beobachtete die Ausfahrt. Um sieben Uhr achtundzwanzig gab sie Kruggers Abfahrt per Handy durch, folgte dem Wagen in großem Abstand und verlor bald den Sichtkontakt. Doch war das ohne Belang. Sie wusste, welchen Weg Krugger nehmen würde.
Baptist Krugger war ein unscheinbarer junger Mann von vierundzwanzig Jahren, übergewichtig, aschblond, fahle Gesichtshaut, braune Augen, fl iehende Stirn, wulstige Lippen und auch sonst Gesichtszüge, die nahelegten, dass eine seiner Urahninnen von Neanderthalern entführt worden war. Seine Eltern betrieben eine kleine Kerzenfabrik, die von Aufträgen der Diözese lebte, trotz dieser potenten Kundschaft aber in wirtschaftliche Schieflage geraten war; die Banken hatten gerade entdeckt, dass sie auf einem Haufen wertloser Papiere saßen, und verliehen kein Geld mehr. Baptist studierte Betriebswirtschaftslehre und war dazu ausersehen, eines Tages die Leitung der Kerzenfabrik zu übernehmen. Neben der Liebe zu Kerzen wurde im Haus Krugger auch die Liebe zu Gott praktiziert, was im Kerzengewerbe gewissermaßen Hand in Hand ging. Baptist gedachte übrigens nicht, den elterlichen Betrieb zu übernehmen. Er besaß, was ihm niemand ansah, ein Vermögen von elf Millionen Euro. Niemand ahnte etwas davon, und niemand ahnte etwas von dem Haus, das er vor einem halben Jahr einem Freund abgekauft hatte. Baptist hütete noch andere Geheimnisse und war sicher, dass niemand außer ihm selbst von ihnen wusste.
Wenige Minuten, nachdem er Miesbach in Richtung Weyarn verlassen hatte, bog Baptist Krugger linker Hand in eine kleine Seitenstraße ab. Kurz darauf bog auch der dunkelblaue BMW in die Straße ein. Wenig später folgte ein Streifenwagen. Darin Kreuthner mit dunklen Ringen um die Augen und zerschrammtem Gesicht.
2
Kreuthner hatte eine bewegte Schafkopfnacht im Gasthaus Zur Mangfallmühle hinter sich. Seine Mitspieler waren der alte und der junge Lintinger gewesen, von Beruf Schrottplatzbesitzer und Kleinkriminelle, sowie Stanislaus Kummeder, ein für seine Gewalttätigkeit berüchtigter Provinzganove. Gegen eins war Kreuthner vierhundert Euro im Plus gewesen. Dann hielten sich Gewinn und Verlust lange Zeit die Waage. Erst ab fünf kam wieder Bewegung in die Schafkopfrunde. Und das lag an einer Regel, die besagte, dass jeder Spieler fünf Euro in einen Topf, die sogenannte »Henn«, einzahlen musste, wenn kein Spiel zustande kam. Beim nächsten Spiel konnte die Partei, die das Spiel angemeldet und gewonnen hatte, den Inhalt der Henn an sich nehmen. Sollte sie das Spiel aber verlieren, musste die Henn verdoppelt werden. Da konnte, wie man seit der Geschichte mit dem Schachbrett und den Reiskörnern weiß, einiges zusammenkommen. Gegen halb sechs lagen über dreihundert Euro im Topf, und Kreuthners Barbestände waren auf zehn Euro zusammengeschrumpft. In dieser Situation bekam er ein Blatt mit sechs Trümpfen auf die Hand. Das Spiel war aber unerwartet verzwickt, und Kreuthners Partner Harry Lintinger gehörte nicht gerade zu den Kandidaten für den Mensa-Club. Um es kurz zu machen: Die Partie rauschte furios gegen die Wand. Harry warf seinen Anteil von einhundertfünfzig Euro mürrisch auf den Tisch. Kreuthner legte seinen Zehneuroschein dazu.
»Und?«, fragte Kummeder.
»Ja, da fehlen hundertvierzig. Seh ich selber. Ich zahl's später.«
»Er zahlt später!« Ironie paarte sich in Kummeders Ton mit Missfallen. Er sah auffordernd zum alten Lintinger, damit der auch was sagte.
»Da schau her«, sagte Johann Lintinger dienstfertig. »Des san fei ganz neue Sitten. Normal wird gleich zahlt.«
»Ich hab aber nix mehr«, maulte Kreuthner.
»Was tust dann hier am Kartentisch?« Kummeder nahm noch einen Schluck Bier, was bei ihm bedeutete, dass er das Bierglas zu zwei Dritteln leerte.
»Ihr habt's doch gesehen, dass ich nur noch an Zehner daliegen hab.«
»Was weiß ich, was du noch im Geldbeutel hast. Is mir auch wurscht. Du tust jetzt die Henn aufdoppeln, und zwar a bissl hastig.«
Kummeders Kiefer mahlten. Das war ein schlechtes Zeichen. Wenn Kummeder mahlte, war es meist nicht mehr weit, bis er zuschlug. Und dann war man besser nicht in der Nähe. Kummeder maß, wie sein momentan in der JVA Bernau einsitzender Freund Peter Zimbeck, über einen Meter neunzig und wog einhundertzwanzig Kilo, und das war in der Hauptsache Muskelmasse. Beim letzten Enterrottacher Waldfest hatte er mit einem Biertisch um sich geschlagen wie mit einer Fliegenpatsche und sechs junge Burschen mit einem einzigen wuchtigen Hieb ins Krankenhaus befördert, um anschließend mit dem Hau-den-Lukas-Hammer grölend über das Festgelände zu ziehen und Angst und Schrecken zu verbreiten. In der ausbrechenden Panik stürzte die mit Holzkohle betriebene Hendlbraterei auf den Tanzboden, der vollständig abbrannte. Drei Waldfestbesucher zogen sich Verbrennungen zu, als sie versuchten, einige der Grillhendl aus dem Feuer zu retten. Später konnte nicht mehr ermittelt werden, wer die Schlägerei angezettelt hatte. Beziehungsweise wussten diejenigen, die es mitbekommen hatten, Besseres zu tun, als Stanislaus Kummeders Zorn auf sich zu ziehen. »Was soll ich jetzt machen?«, fragte Kreuthner.
»Ja, was mach ma denn jetzt«, wandte sich Kummeder wieder an seinen Mitspieler Johann Lintinger.
»Was sollst da sagen. Des hat's ja noch nia net geben, dass einer net zahlt. Und ich bin schon lang in dem G'schäft.«
»Du sollst keine Volksreden halten, du sollst an Vorschlag machen.«
»Ja wenn er kein Geld hat, dann muss er halt mit was anderm zahlen. Wie schaut's aus? Deine Uhr zum Beispiel. «
Kreuthner streifte seine Rolex ab und legte sie auf den Haufen Geldscheine. Von dort nahm Kummeder sie, ohne sich das Stück überhaupt anzusehen, und warf sie vor Kreuthner auf den Tisch zurück. »Spinnst jetzt, oder was? Die hab ich dir verkauft. Dreiß'g Otten. Wert is keine fünf. Was hast noch?«
Kreuthner zuckte die Schultern. »Nix. Nur was ich an- hab.«
»Guter Vorschlag.«
»Guter ... was?«
»Deine Klamotten.«
»Die Uniform?«
»Da krieg ich zweihundert für.«
»Für a gebrauchte Uniform? Des zahlt dir keiner«, wandte der alte Lintinger ein.
»Doch. Er da.« Kummeder deutete auf Kreuthner. »Wenn er sie wiederhaben will.«
»Jetzt spinn dich aus. Ich kann dir doch net die Uniform geben.«
Kummeder sagte nichts mehr. Aber in seinem von Alkohol getrübten Blick war zu lesen, dass er nicht vorhatte weiterzudiskutieren. Kreuthner war, mit anderen Worten, kurz davor, eine zu kassieren.
»Wie jetzt ... alles? Hemd, Jacke, Hose ...?« Kreuthner deutete an sich hinab.
»Die g'stinkerten Stiefel kannst behalten. Der Rest kommt zu mir umme.«
»Jetzt?«
»Jetzt.«
Kreuthner wartete einen Augenblick. Vielleicht hatte Kummeder sich einen Scherz erlaubt und würde gleich loslachen und ihm auf die Schulter hauen (auch keine schöne Aussicht). Aber Kummeder hatte keinen Scherz gemacht. Kreuthner zog also Uniformjacke, Hemd und Hose samt Gürtel aus und musste auch seine Dienstmütze abliefern. Die Schuhe zog er wieder an und spielte im Unterhemd weiter.
Beim nächsten Spiel sah Kreuthner die Gelegenheit gekommen, den Topf und damit seine Uniform wiederzubekommen.
»Tät spielen«, sagte er.
»Überleg dir des gut«, sagte der alte Lintinger. »Net, dass du noch einen mit ins Elend reißt.«
Aber Kreuthner war nicht von seinem Vorhaben abzubringen und spielte erneut mit der Gras-Sau. Die hatte diesmal der alte Lintinger. Und weil er Kreuthners riskantes Spiel kannte und keine Lust hatte, zusammen mit Kreuthner die Henn aufzudoppeln - inzwischen dreihundert Euro für jeden - , hatte er Kreuthner noch einmal dringlich ermahnt, keinen Scheiß zu machen. Es half nichts. Wie befürchtet, ging es auch mit diesem Spiel steil bergab. Bis Kreuthner beim letzten Stich überraschend dreißig Punkte mit dem Herz-Zehner einkassierte und die Partie gewann. Dem alten Lintinger leuchteten die Augen, als er sich anschickte, den Berg Geldscheine zusammenzuraffen. Doch Kummeder ließ seine mächtige Pranke auf Lintingers ebenfalls nicht zarten Hände niederfahren und gebot dem Gegrabsche Einhalt. Dann deckte Kummeder die Stiche vor sich auf und suchte einen davon heraus, den er Richtung Tischmitte schob. »Wer hat denn da auf den Schellen-Ober den Gras-Siebener rein, ha?«
Kreuthner sah suchend in die Runde. »Keine Ahnung. Weiß des noch wer?«
»Ja. Ich«, dröhnte Kummeder. »Des warst du.«
»Ich?« Kreuthner klang ungewohnt kleinlaut.
»Hätt ma da net den Herz-Zehner zugeben sollen?«
Ja, hätte man. Kreuthner hatte beschissen und sich erwischen lassen. Blieb nur die Frage, was ihn als Strafe erwartete. Kummeder machte einen äußerst verstimmten Eindruck auf Kreuthner. Das konnte bitter werden.
3
Kreuthner hing im Beifahrersitz, den Kopf an die Seitenscheibe gelehnt, dünstete Alkohol aus und blickte mit müden Augen auf die Straße. Selbst in diesem Zustand arbeitete sein Verstand erstaunlich präzise. »Da vorn - der hat nur ein Rücklicht.« Etwa einen halben Kilometer voraus bewegte sich ein dunkelblaues Fahrzeug die Bundesstraße entlang. Man brauchte gute Augen, um zu erkennen, was Kreuthner gesehen hatte.
»Der is aber ziemlich weit weg.«
»Und deswegen darf er ohne Rücklicht fahren? Gib Gas!«
Die Temperaturanzeige sank um drei Grad, als Baptist Krugger in das Waldstück fuhr, am Boden mochte es noch kälter sein. Um vereiste Stellen rechtzeitig zu sehen, heftete Krugger seinen Blick auf den Asphalt. Deswegen entging ihm, dass am Eingang des Waldes jemand stand, der ein Handy am Ohr hatte und trotz der schlechten Lichtverhältnisse eine Sonnenbrille trug. Hinter der Abzweigung eines Forstweges sah Krugger mit einem Mal ein rotes Licht zwischen den Baumstämmen, und unmittelbar darauf, nach einer sanften Kurve, tauchte eine Ampel vor ihm auf. Vor der Ampel wies ein Schild darauf hin, dass Straßenbauarbeiten im Gang waren. Was hier gebaut wurde, war nicht ersichtlich. Weder gab es eine aufgerissene Straße noch Erdaufschüttungen noch Baugerät am Straßenrand. Die Baustelle würde wohl heute erst eingerichtet werden, dachte sich Krugger und hielt an. Einige Sekunden vergingen, dann näherte sich ein weiterer Wagen von hinten. Es war ein blauer BMW.
Krugger wartete eine Weile, aber nichts geschah. Vor allem schaltete die Ampel nicht auf Grün um. Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts ein Arbeiter aus dem Wald auf. Er hatte eine orangefarbene Warnweste an und trug eine tief ins Gesicht gezogene Wollmütze sowie einen Schal, der die untere Hälfte des Gesichts verdeckte. Krugger kam die Aufmachung für einen Septembertag etwas übertrieben vor. Der Arbeiter ging zur Ampel, winkte Krugger zu und machte Anstalten, zum Wagen zu kommen. In diesem Moment blieb er am Fuß der Ampel hängen und stolperte, wobei sein Schal nach unten rutschte. Mit unangebrachter Hektik, so schien es Krugger, drehte sich der Mann vom Wagen weg und schob den Schal wieder ins Gesicht. Krugger hatte mit einem Mal das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Eine Unruhe erfasste ihn. Er suchte den Wald ab, ob sich zwischen den Bäumen noch andere Menschen befanden, die bedrohlich werden konnten. Doch im Wald war alles ruhig. Nur der Mann mit der orangefarbenen Weste bewegte sich auf Krugger zu, sorgsam darauf bedacht, dass sein Schal nicht noch einmal verrutschte. Er trat neben die Fahrertür und klopfte an die Scheibe. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte Krugger den vermummten Arbeiter, nachdem er die Scheibe halb heruntergekurbelt hatte.
»Grüß Gott. Es ist mir sehr unangenehm, aber mein Kollege ist heute Morgen nicht gekommen und ich habe mein Handy zu Hause vergessen. Könnten Sie mir Ihr Handy kurz leihen?« Der Mann klang nicht wie ein Arbeiter. Eine leichte Färbung der Aussprache zeigte an, dass er aus Bayern kam, gleichzeitig aber auch, dass er seinen Lebensunterhalt wohl kaum mit dem Reparieren von Straßen verdiente. Es war jene Sprachfärbung, die man in den gebildeteren Kreisen des Münchner Bürgertums hörte. Das beruhigte Krugger etwas. Andererseits fragte er sich, wer die Ampel aufgebaut hatte, wenn der Mann allein war. Gestern Abend war sie noch nicht da gewesen. Aber Krugger fragte nicht, sondern gab dem Mann sein Handy. Der bedankte sich und steckte das Handy in seine Jackentasche.
»Entschuldigung«, sagte Krugger. »Sie wollten doch telefonieren?«
»Ja, natürlich«, sagte der Mann. Sein Atem ging schnell, die Stimme zitterte wie bei jemandem, der unter großem Stress stand. »Später vielleicht.«
»Könnte ich dann vielleicht mein Handy wiederhaben? «
»Nein, das geht nicht. Ich muss Sie bitten auszusteigen. «
»Warum?«
»Sie sollten jetzt keine Fragen stellen. Es ist besser für Sie, wenn Sie aussteigen.«
Krugger bemerkte, dass die Fahrerin des blauen BMWs hinter ihm ihren Wagen verlassen hatte und auf ihn zukam. Sie trug eine Sonnenbrille, die nahezu ihr halbes Gesicht verdeckte, und einen breitkrempigen Hut.
»Was soll das?«, fragte Krugger.
Der Mann mit der Signalweste hatte mit einem Mal eine Pistole in der Hand und richtete sie auf Krugger. »Steigen Sie aus, verdammt!«, schrie er unvermittelt. Krugger drückte den Verriegelungsknopf, tastete hektisch nach der Kurbel für die Seitenscheiben und ließ sie hochfahren, aber der Lauf der Pistole steckte schon im Fenster und stoppte die Scheibe.
»Lass den Scheiß, du Idiot! Steig endlich aus!«
Krugger öffnete mit zitternden Händen die Tür. Sein Herz raste, in seinem Schädel breitete sich Adrenalin aus, das ein Gefühl verursachte, als habe man ihm eine Dornenkrone aufgesetzt. Nur mit Mühe gelang es Krugger, sein Wasser zu halten. Er hatte keine Ahnung, was der Mann von ihm wollte. Vielleicht war er nur in einen Raubüberfall geraten. Er würde dem Kerl sein Bargeld geben und vielleicht die EC-Karte und könnte weiterfahren. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass sich hier etwas anderes abspielte. Dass der Mann, der gerade eine Pistole auf ihn richtete, nicht auf tausend Euro aus war. Und dass er, Krugger, nicht zufällig in diese Falle geraten war. »Hände auf den Rücken«, befahl der Mann. Krugger tat, was von ihm verlangt wurde. Hinter dem Rücken wurden seine Hände von der Frau gepackt, die aus dem blauen BMW gestiegen war. Er spürte etwas Dünnes, Elastisches, das um seine Handgelenke gelegt wurde. Es war nicht kalt, also nicht aus Metall. Ein Handy klingelte. Es gehörte der Frau aus dem BMW, die den Anruf entgegennahm und einige Schritte zu ihrem Fahrzeug zurückging. Sie sprach leise mit dem Anrufer. Nur den gepressten Ausruf »Scheiße« konnte Krugger deutlich verstehen. Als sie zurückkam, war sie aufgebracht.
»Er muss in den Kofferraum.«
»Wieso das denn?«
»Es gibt gleich Probleme.« Die Frau deutete mit dem Kopf in die Richtung, aus der sie gekommen war.
»Was heißt Probleme?«
»Das heißt, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, Herrgott!« Sie nahm Krugger am Arm und führte ihn zum Kofferraum des blauen Wagens. Es war ein relativ neuer 7er-BMW. Die Frau drückte einen Knopf, und der Kofferraumdeckel fuhr mit einem summenden Geräusch langsam nach oben. »Los, rein. Wenn du dich rührst, bist du tot, ist das klar?«
Krugger schielte ängstlich zum Heck des Wagens, als ihn ein heftiger Schlag ins Gesicht traf. »Ob das klar ist?!«, schrie ihn der Mann mit der orangefarbenen Weste an und schlug ihm die Pistole ins Gesicht. Rasender Schmerz durchzuckte ihn. Krugger stieg benommen und mit blutender Augenbraue in den Kofferraum, so schnell sich das mit auf den Rücken gefesselten Händen bewerkstelligen ließ. Der Mann und die Frau schoben ihn bis zur Lehne der Rückbank, breiteten eine Umzugsdecke über ihn und stellten zwei Reisetaschen davor. Dann erneut ein Summen, der Kofferraumdeckel senkte sich, es wurde dunkel um Krugger. Bevor sich sein Gefängnis endgültig schloss, hörte er das Geräusch eines herannahenden Wagens.
»Jetzt lernst mal was fürs Leben«, sagte Kreuthner.
»Wieso? Was hast vor?« Schartauer ahnte Ungemach.
»Die Kohle liegt auf der Straße, sag ich immer. Sperr die Augen auf, dann kannst was lernen. Wennst amal schnell an Cash brauchst.« Kreuthner zwinkerte seinem jungen Kollegen verschwörerisch zu. Schartauer war ganz und gar nicht wohl bei der Sache.
»Ich versteh's net ganz, was du vorhast. Du willst ja wohl net irgendwie ...?«
»Als Polizist musst praktisch denken. Es gibt zum Beispiel Leut, die wollen net, dass des amtlich wird, dass sie an Scheiß baut ham. Verstehst?«
Schartauer fürchtete das Schlimmste.
»Is ja auch net angenehm, wenn a Schreiben von der Polizei kommt. Vielleicht wollen s' net, dass es der Ehemann mitkriegt oder die Nachbarn. Aber du kannst die Leut auch net einfach davonkommen lassen. Also - was machst als Polizist?«
Schartauer schwieg und starrte auf die Straße.
»Dann machst es halt inoffiziell. Cash auf die Kralle, verstehst? Kein Papierkram, nix.«
»Und was machst du mit dem Bußgeld? Das muss man doch abliefern.«
»Scherzkeks. Das kannst doch nur abliefern, wennst an schriftlichen Vorgang dazu hast. Wie sollen die das denn sonst verbuchen?«
»Das heißt ...«
»Die Kohle musst halt selber behalten. Geht eben net anders. Wichtig ist doch, dass der Bürger, der wo an Gesetzesverstoß begeht, dass der bestraft wird und das nächste Mal sagt: Das machen mir nimmer, weil sonst gibt's wieder eine Strafe. Wo dem sein Pulver hingeht, ist doch letztlich wurscht. A Bußgeld ist zur Abschreckung da. Das heißt: Wichtig ist, dass das Geld wegkommt vom Verkehrssünder, net wo's hingeht.«
»Ich hab denkt, das geht an wohltätige Zwecke.«
»Tut's ja auch.«
»Ah so - ich hab schon gedacht, du willst es behalten.«
»Nein. Da hast mich missverstanden. Ich geb's dann natürlich für wohltätige Zwecke. Das ist doch selbstverständlich. «
Schartauer hatte Zweifel, ob die Begleichung der Spielschulden von Staatsbediensteten unter wohltätige Zwecke fiel. Aber da Kreuthner zusehends verärgert darauf reagierte, dass der junge Kollege mit seinen praxisnahen Überlegungen so wenig anfangen konnte, fragte Schartauer nicht weiter nach und hoffte, dass er nicht Mittäter eines allzu schweren Dienstvergehens werden würde. Kreuthner stand unter Zeitdruck, Geld zu beschaffen. Er hatte zwar eine andere Uniform besorgt und war zum Geldautomaten gefahren. Da es aber aufs Monatsende zuging, hatte der nichts mehr hergegeben; Kreuthner hatte wie häufig sein Dispo limit bereits erreicht.
Der blaue BMW stand an der roten Ampel. Vor dem BMW wartete ein alter Golf. Kreuthner wies Schartauer an, hinter dem BMW zu halten. Am Steuer des BMWs saß eine Frau von etwa fünfundvierzig Jahren, die das Seitenfenster herunterließ, als Kreuthner neben den Wagen trat.
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Autoren-Porträt von Andreas Föhr
Andreas Föhr, Jahrgang 1958, gelernter Jurist, arbeitete einige Jahre bei der Rundfunkaufsicht und als Anwalt. Seit 1991 verfasst er erfolgreich Drehbücher für das Fernsehen mit Schwerpunkt im Bereich Krimi. Zusammen mit Thomas Letocha schrieb er unter anderem für „SOKO 5113, Ein Fall für zwei" und „Der Bulle von Tölz".Für seinen Debütroman „Der Prinzessinnenmörder" ist Andreas Föhr mit dem begehrten Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet worden. Mit „Schwarze Piste" stand Föhr monatelang unter den Top 10 der Spiegel-Bestsellerliste.
Andreas Föhr lebt bei Wasserburg.
Mehr über den Autor unter:
Bibliographische Angaben
- Autor: Andreas Föhr
- 2013, 7. Aufl., 432 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426508605
- ISBN-13: 9783426508602
- Erscheinungsdatum: 30.08.2013
Rezension zu „Schwarze Piste / Kreuthner und Wallner Bd.4 “
"Krimiautor Andreas Föhr hat mit Kreuthner einen der vitalsten Ermittler erfunden, die es gerade in der Spannungsliteratur gibt. Sein Partner und Gegenspieler ist der feinsinnige Kommissar Wallner, der wiederum mit seinem äußerst lebendigen Großvater zusammen lebt. Schon diese Konstellation sorgt in jedem der bisher vier Romane für hinreißend komische Situationen. [...] Man muss die anderen Bücher nicht kennen, um "Schwarze Piste" genießen zu können. Föhrs direkte Art, Menschen und Orte zu beschreiben, ziehen einen sofort hinein." WDR 4 20130122
Pressezitat
"Krimiautor Andreas Föhr hat mit Kreuthner einen der vitalsten Ermittler erfunden, die es gerade in der Spannungsliteratur gibt. Sein Partner und Gegenspieler ist der feinsinnige Kommissar Wallner, der wiederum mit seinem äußerst lebendigen Großvater zusammen lebt. Schon diese Konstellation sorgt in jedem der bisher vier Romane für hinreißend komische Situationen. [...] Man muss die anderen Bücher nicht kennen, um "Schwarze Piste" genießen zu können. Föhrs direkte Art, Menschen und Orte zu beschreiben, ziehen einen sofort hinein." WDR 4 20130122
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