Langsam, langsam, nicht so schnell!
Geschichten vom Leben unter Teenagern
Endlich ist es da, das neue und charmante Alltagsgeschichtenbuch von Doris Knecht! Immer witzig, von heiter über frech bis böse: Die erfolgreiche Autorin erzählt aus ihrem Leben - und damit vom Balanceakt einer Working Mom, die gegen ein bisschen...
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Produktinformationen zu „Langsam, langsam, nicht so schnell! “
Klappentext zu „Langsam, langsam, nicht so schnell! “
Endlich ist es da, das neue und charmante Alltagsgeschichtenbuch von Doris Knecht! Immer witzig, von heiter über frech bis böse: Die erfolgreiche Autorin erzählt aus ihrem Leben - und damit vom Balanceakt einer Working Mom, die gegen ein bisschen ureigenstes Privatleben zwischen Arbeiten und Kindergroßkriegen auch nichts einzuwenden hat.Pubertierende Kinder, die Flüchtigkeit des Gotts des Schreibens, die Verlockungen des Müßiggangs und die Tücken eines Wochenendhauses im Grünen: Doris Knecht lässt ihre Leser und vor allem mitfühlenden Leserinnen am schonungslosen Blick auf das eigene Leben und Überleben teilhaben.Das Buch ist für alle Mütter, die gelegentlich nicht wissen, ob sie gerade an sich selbst oder ihren Umständen verzweifeln. Und natürlich für alle, die im Grunde ganz genau wissen, dass das Glück dieses Lebens Kinder sind - solange man noch ein ganz klein wenig Würde bewahren, ab und zu ein Glas Wein trinken und dabei ein Buch lesen oder vor einer schlechten Fernsehserie einschlafen darf.
Klappenbroschur, Englisch Broschur
Lese-Probe zu „Langsam, langsam, nicht so schnell! “
Doris Knecht - Langsam, langsam, nicht so schnell!Schau, ich kann mit zwei Händen
schnipsen
... mehr
Ab wann kann man von Kindern erwarten, dass sie die
Erwerbstätigkeit ihrer Mutter respektieren? Ich warte jetzt seit
acht Jahren darauf und es passiert: nichts. Jedes Jahr denke
ich: Heuer wird es gehen. Ab heuer werden sie meine Berufstätigkeit
mit Respekt und einem gewissen Stolz anerkennen.
Nix. Denn offenbar tut man den Kindern keinen Gefallen
damit, dass man sich müht, in den Ferien zwei Monate lang
mit ihnen zusammen an einem schönen Ort zu sein, wo man
in der Früh ewig mit ihnen im Bett kuschelt, mit ihnen ins
gschissene Freibad schwimmen fährt, ihnen ein Dutzend Mal
am Bauernhof beim Reiten zuschaut (was hübsch fad ist),
mit ihnen Kanu fährt, Schwammerl suchen geht und abends
am Feuer sitzt. Nein. Was vom Tage übrig bleibt: Die Mutter
sitzt ununterbrochen vorm Computer. Und das ist sooo
megagemein.
Zwei Monate lang habe ich den Mimis gleichmütig immer
wieder erklärt, dass ich zwar nicht im Büro sein, aber dennoch
ein paar Stunden am Tag arbeiten muss. Zwei Monate lang
haben sie mich nach Lust und Laune dabei unterbrochen. Am
letzten Ferientag sind zwei Dinge passiert. Die Mutter setzt
sich hinter ihren Laptop und verkündet, dass sie jetzt arbeitet.
Bitte nicht stören. Nach fünf Minuten kommt Kind eins und
will über Jedi Ritter reden. Die Mutter erklärt, sie muss jetzt
arbeiten. Nach zehn Minuten kommt das Kind und will wissen,
wann sein Lieblingsleiberl endlich gewaschen wird, das
liegt jetzt schon seit 20 Minuten im Wäschekorb, ohne dass
sich irgendwer darum kümmert. Die Mutter erklärt in etwas
festerem Tonfall, dass sie jetzt arbeiten muss, jetzt also nicht.
Nach zwölf Minuten kommt das Kind, stellt sich so lange
neben die Mutter, bis diese ihren Gedanken unterbricht, ihren
Gedanken fallen lässt, für immer und ewig und unwiederbringlich
im finsteren Loch des Vergessens verliert, und sagt:
Schau, ich kann mit beiden Händen gleichzeitig schnipsen.
Gut, ich gestehe, da bin ich ein wenig ausgerastet. Du bist
acht! Einer Achtjährigen mit Garten ist eine arbeitende Mutter
zumutbar! Kapier das jetzt endlich! Was das zweite Kind auf
den Plan rief beziehungsweise weckte, welches sich sodann vor
seinen Kakao und sein Nutellabrot setzte und mit progressiv
nässenden Augen sein grausames Schicksal beklagte. Dass es
eine Mutter habe, die permanent arbeite und sich nie nie nie
kümmere. Und nie könne man mit ihr einfach so sprechen.
Und jeden Tag müsse man bis halb vier, manchmal bis vier
(!!!!) im Hort bleiben. Und die Mutter hielt den Mimis wieder
einmal eine Batzen Rede über Privilegiertheit und Verwöhntsein,
und es war wie immer vollkommen für den Hugo.
In einer deutschen Studie beklagten sich 17 Prozent der
Kinder Vollzeit arbeitender Erziehungsberechtigter darüber,
dass ihre Eltern sich zu wenig um sie kümmerten. Bei den
Kindern nicht arbeitender Eltern waren es 28 Prozent. Das
glaube ich sofort.
Aber jetzt fängt ein neues Leben an
Vorsorgeuntersuchung, höchste Zeit, hat die Dr. Urban
gesagt, ich habe einen Termin für dich, warte, Donnerstag
nach Ostern, und davor gehst du Blutabzapfen ins Labor,
und zwar nüchtern, zwölf Stunden davor nur Wasser. Nein,
auch keinen Kaffee, und bedenke, dass vorheriger Alkoholmissbrauch
durchaus einen Einfluss auf deine Leberwerte hat.
Du willst ja nicht unbedingt ein oberösterreichisches Blutbild,
oder? Habe ich mir also einen Tag für das Labor ausgesucht,
den letzten möglichen Tag vor den Osterferien, habe davor 72
Stunden keinen Alkohol getrunken und wie befohlen zwölf
Stunden nur Wasser, und hab auch sonst alles gemacht, was
die Urbanin angeordnet hat.
Um sieben Uhr früh stehe ich full of no coffee in der Küche
und richte Müsli und schmiere Weckerln, und die Kinder
plappern auf mich ein, als stünden darauf nicht die allergrausamsten
Strafen, und weil in der Jausenbox noch ein unberührtes
Salamiweckerl von gestern liegt und es schad darum
ist, esse ich das auf und dann noch ein Marmeladebrot, und
dann sind die Kinder aus dem Haus, und ich dusche und
ziehe mich an und mach mich auf den Weg ins Labor, und
dann fällt es mir auf.
Und so etwas, sage ich zum Horwath und zur Horwathin,
so etwas passiert doch definitiv immer nur mir, wem anderen,
sage ich, während ich auf dem Horwath'schen Gartentisch
den Gulaschlöffel ablege, wem anderen passieren solche
Sachen einfach gar nicht. Aber wisst ihr was, sage ich und hebe
darauf mein Bierglas, wisst ihr was, mir passiert so etwas jetzt
auch nicht mehr, jetzt fängt ein neues Leben an, prost, aber
leider werden wir von einem Kind unterbrochen, das angelaufen
kommt, mit dem Festnetztelefon in der Hand. Da sei
eine deutsche Frau dran, vom Radio, die wolle ein Liveinterview
mit mir machen, wo ich denn sei. Verdammmich. Das
ist jetzt nicht wahr. Ich hab mir das im Kalender notiert und
im iPhone-Kalender und im Notizbuch, ich hab im Lauf der
Woche per Mail Bescheid gegeben, dass ich wegen Funklochs
besser am Festnetz zu erreichen sei, die ganze Woche und
den ganzen Tag war mir dieses ausgemachte Sonntagabend-
Radiointerview präsent, bis am Nachmittag um halb fünf, als
der Horwath anmarschiert kam und sagte: Rüberkommen,
gemma, bei uns gibt es Gulasch und Bier. Und wenn der Horwath
zum Essen ruft, gehe ich essen, ich weiß, wann ich zu
folgen habe.
Verdammmich!!!, brülle ich, reiße dem Kind das Telefon
aus der Hand und klappere mit den Hölzlern im Laufschritt
hinüber zu unserem Haus, dass es die Laufenten von der
Nachbarin in alle Richtungen zerflattert, und genau in dem
Moment, als ich es keuchend in den Empfangsbereich des
Telefons geschafft habe, ist die Frau vom Sender dran und
sagt, Gott!sei!dank!, Frau Knecht, da sind Sie ja, wir sind
bereits live auf Sendung. Hhhhhh. So etwas passiert definitiv
immer nur mir.
Da steht aber dein Name drauf
Die Mimis sind am Ende der dritten Klasse und die Frage
»Welches Gymnasium?« beherrscht jede Eltern-Zusammenkunft.
Welches Gymnasium??? Die Antwort »Mir ist das
eigentlich wurscht« kommt dabei meistens mindergut an. Wie
kann einem etwas derart Wichtiges wurscht sein?
Indem man, weil sich Schulen ihre Lehrer nicht aussuchen
dürfen, in den angesehensten Eliteschulen nicht in der Hand
hat, an welche Arschlochlehrer die Kinder geraten, während
bei Anstalten unterdurchschnittlichen Rufs vielleicht die Lehrerin
wartet, die die Mimis auf einen glücklichen Lebensweg
... Habe ich das schon einmal geschrieben? Nicht im Falter,
glaube ich. Also, jedenfalls, ich hatte einmal einen Deutschlehrer,
der hätte mich in der Oberstufe beinahe durchfallen
lassen. Ich bin dann aber in Mathematik durchgefallen,
wovon die Mimis leider kürzlich im Zuge der Durchsicht
eines Ordners, dessen Inhalt sie nichts angeht, Kenntnis
erlangten. Mamaaaaa!!!!! Das ist nicht mein Zeugnis. Da steht
aber dein Name drauf! Jaja, okay, es ist meins. Und ja, ich bin
durchgefallen.
Dieser Deutschlehrer war eine der schlimmsten Strafen
meiner Adoleszenz. Er war bösartig und gemein. Einmal
wurde mir bei einer Buchpräsentation in Wien eine Frau
vorgestellt, und als ich ihren Nachnamen hörte, prallte ich
zurück. Sie sagte, ich weiß schon, das passiert mir öfter, mein
Onkel, ja. Wegen dieses Lehrers war sitzenzubleiben eine der
besten Umleitungen, die mir als jugendlich Suchende widerfahren
konnten. Ich bin eine Anhängerin des Sitzenbleibens,
ja sogar des Sitzenbleibens wegen eines einzigen Fünfers. Wäre
ich nicht sitzengeblieben, wäre ich jetzt ... Keine Ahnung, aber
dies hier bliebe Ihnen vermutlich erspart. Ich blieb also sitzen
und bekam einen großartigen Deutschlehrer, der sah, dass ich
faul war und aufsässig und eine Pfeife in Mathematik und dass
ich merkwürdige Texte schreiben konnte. Und er fand, das
gehöre gefördert und förderte mich; auf durchaus unkonventionelle
Weise.
Das geschah im damals zweitschlechtesten Oberstufenrealgymnasium
des Landes: Wenn man von dieser Schule flog,
gab es nur noch eine schlechtere, die einen vielleicht aufnahm,
aber eher nicht. Ich lernte an dieser Schule rauchen,
trinken, zu spät kommen, Lehrer hassen, Lehrer austricksen,
Drogen nehmen, ein paar interessante Kerle kennen, nicht
Gitarre spielen, nicht Klavier spielen, schwänzen, Literatur zu
lesen und dem bisschen Talent, das man hat, zu vertrauen.
Und mit Sturheit und Konsequenz daran zu arbeiten. Und:
dass es von einem einzigen Lehrer und dessen Intelligenz und
Einfühlungsvermögen abhängen kann, wohin ein Kind sich
entwickelt.
Die Schulen dürfen sich ihre Lehrer immer noch nicht
aussuchen. Der bösartige Deutschlehrer unterrichtet offenbar
immer noch. Mir ist es ziemlich wurscht, an welches Gymnasium
die Mimis gehen werden.
Das würde die Schönheit vervollkommnen
Die Horwathin hatte Geburtstag. Da hat der Horwath
beschlossen, seiner Frau einen alten Wunsch zu erfüllen.
Weil immer sitzt die Horwathin im Garten (also, wenn sie
einmal sitzt, meistens kniet sie in einem ihrer Blumenbeete,
was deren Unvergleichbarkeit jetzt zum Beispiel mit meinen
erklärt), schaut sich das Haus an und den Hof, den rankenden
(obwohl die Ritter mein Gemüsebeet kürzlich ob seiner
ordentlichen Gejätetheit ein »Spießerbeet« hieß, Oida) Wein
und die Rosen, die Kinder und die Hendln und sagt: Ein Pfau
wär noch schön, der Pfau würde herrliche Pfauenräder schlagen,
das würde die Schönheit meiner Umgebung praktisch
vervollkommnen.
So entschied der Horwath: Heuer bekommt die Horwathin
ihren Pfau. Also zwei, weil Pfaue sind Paartiere. Also
eigentlich sind sie Vielweiberer, aber übertreiben wollte es der
Horwath dann auch nicht, weil: Die schreien ja, die Pfaue. Es
sind wegen schreiender Pfaue schon viele nachbarschaftliche
Freundschaften zerbrochen. (Aber wir sind zum Horwath ja
keine direkten Nachbarn, also ist es uns wurscht. Also war es
uns wurscht.)
Der Horwath recherchierte und fand einen Pfauenzüchter
in Kärnten. Das war ihm aber doch zu weit. Dann fand er
einen in Melk, den rief er an und erkundigte sich nach einem
Pfauenpaar. Ja, er habe eins, sagte der Händler. Was????, sagte
der Horwath, JA, ER HABE EIN PAAR!!!!, brüllte der Händler
in das ihn umgebende Gekreische hinein. Aha, sagte der
Horwath, ob es das sei, das er gerade höre? Nein, sagte der
Händler, das seien andere. Der Horwath nutzte eine kurze
Abwesenheit der Horwathin und fuhr nach Melk und spazierte
hernach, Pfauenfeder am Hut, in unseren Garten hinein.
Die Pfaue gewöhnten sich gerade an ihr neues Zuhause; die
Hendln seien ob der Pfauerei ein wenig inkommodiert, aber
das gebe sich schon. Wollten wir uns die Pfaue ansehen? Wir
wollten.
Wir spazierten hinter dem Horwath in den Horwath-Hof
hinein. Von den Hendln war keines zu sehen, aber Herr und
Frau Pfau stoben davon, als sie unser ansichtig wurden. Wir
setzten uns auf die Bank, um uns die Pfaue anzusehen und uns
Namen für sie auszudenken. Waterloo und Robinson, Skopik
und Lohn, Modern und Talking, Cindy und Bert, als Bert auf
das Dach des Hühnerstalls flatterte, von dort auf die Mauer
und von dort in die Freiheit.
Der Horwath spurtete los, zum Tor hinaus, dem Bertl hinterher.
Wir blieben zurück und schauten Cindy zu, die sich
hinten beim anderen Tor versteckt hatte. Das Tor hat unten
einen schmalen Spalt, den wir bemerkten, als Cindy ihn zur
Flucht nutzte. Wir sahen gerade noch, wie Cindy auf den
Tisch der Laube sprang und aufs Dach des Nachbarhauses
flog. Dann war sie weg. Bert auch. Die Horwath'sche bekam
zu ihrem Geburtstag eine herrliche Pfauenfeder, immerhin.
Hoch soll sie leben.
Lass uns keine Freunde bleiben
Zwanzig Jahre lang war ich mit L. befreundet, und vor drei
Wochen hat sie mich wegen anhaltenden deppert Daherredens
auf Facebook entfreundet. Nicht dass jemand, der 20
Jahre mit mir befreundet ist, nicht eigentlich wissen sollte,
dass ich ein Schandmaul bin, und sich mit meiner Deppertheit
irgendwie arrangiert haben sollte, aber. L. lebt seit ein
paar Jahren in London und hat sich dort einen Lord gefunden.
Als ich sie zum letzten Mal traf, sagte sie, mit dem Lord
sei alles wunderbar, aber sonst sei sie fix und fertig und mit
den Nerven am Ende, wir hätten keine Ahnung, wie anstrengend
ihr Leben sei, sie suche gerade nach einer 6-Zimmer-
Wohnung in der Innenstadt. Ah, toll, aber warum sei sie fertig?
Sie suche gerade nach einer 6-Zimmer-Wohnung in der
Innenstadt. Ach so.
Jetzt haben sie die Wohnung gefunden, ein Loft mit Blick
auf die Themse, sie haben keine Kinder und keine Geldsorgen
und viel Zeit. Aber eine Menge Ärger mit Personal u.a., und
das ist es, worüber L. ihre Freunde auf Facebook nun täglich
informiert. So in der Art, dass die Handwerker ein Loch in die
Foyerwand gebohrt haben und es erst am Nachmittag wieder
zuspachteln, und sie nun nicht weiß, wie sie volle 1,5 Stunden
diesen grauenhaften Anblick ertragen soll. Dass der Pöbel vor
dem Haus ihr mit seinem Herumgelache die Vormittagsruhe
raube. Dass die Langusten im Tiefkühler nicht abnippeln wollen,
obwohl der Hummerhändler es ausdrücklich versprochen
hat. Dass sie nicht mehr ein noch aus weiß, weil die Putzfrau
schon wieder ihre Schuhe falsch geordnet hat: Es gehört Weiß,
Creme, Nude, Pink, Rot, nicht Weiß, Creme, Pink, Nude,
Rot, ist das wirklich derart schwer zu begreifen???
Kann sein, dass mir die eine oder andere sarkastische Bemerkung
entfuhr, und gut, einmal schrieb ich, dass ich physisch
am Ende sei, weil ich wegen L.s Sorgen nicht mehr schlafen
könne. Das fand L. nicht witzig, und dann waren wir plötzlich
keine FB-Freunde mehr. Na geh.
Ich bin mir nicht sicher, ob man, wenn man bei Facebook
als Freund entfernt wird, im richtigen Leben weiter befreundet
ist. Ist man? Gibt's dafür ein Regelwerk? Ich beschloss erst einmal,
die virtuelle Entfreundung im Realen zu ignorieren und
schickte L. zum Geburtstag das übliche freundliche SMS. Sie
schickte mir ein freundliches zurück. Ich dachte, aha, das eine
hat mit dem anderen also nichts zu tun. Und fand dann: Hat
es aber doch. Ist es Freundespflicht, stets zu akklamieren oder
minimum lieb die Pappn zu halten? Oder eher das Gegenteil?
Eine andere Freundin sagte einmal, dass ihre Freunde
ihr nicht zwingend auch sympathisch seien. Ja, das Problem
kenne ich. Ständig ist in meinem Freundeskreis jemand nicht
meiner Meinung, lacht mich aus oder widerspricht mir gar.
Sehr lästig das.
Auf Facebook erledigt man so ein Problem mit einem
Tastendruck, und manchmal wirkt er bis ins richtige Leben
hinein.
Du erkennst den Geruch, und er erkennt
dich
Jetzt genügen schon zwei Tage bei den Eltern im Aufwachshaus,
in einem Kinderzimmer, das schon seit Jahrzehnten keinen
Hinweis mehr auf dich enthält, um dich zu verwandeln:
in eine schlechte, missratene Tochter und eine miese Mutter,
die niemals Kinder hätte haben sollen, weil sie davon eindeutig
überfordert ist.
Nicht, dass die Eltern das sagen. Nicht, dass sie dir das
Gefühl geben, nicht, dass sie es auch nur denken: Aber es lauert
hier irgendwo. Es steckt in diesem Ort und in dir. Es war
immer schon da, du hast nur so getan, als wäre es anders, als
wärst du wer anders, hast dich gegen die Fakten gestemmt und
Tatsachen und Beweise für ihr Gegenteil geschaffen oder das
zumindest geglaubt, hast dich in einer anderen Stadt, einer
neuen Umgebung, in sorgfältig aus Fremden entfernter Herkunftsorte
zusammengestellten Wahlfamilien neu erfunden,
neu definiert und als eine ausgegeben, die du, wie du jetzt
wieder weißt, nicht bist. Denn die Matrix des Herkunftsortes
und des Elternhauses ist unbestechlich. Sie vergisst nicht.
Du kommst an den Ort, du betrittst die Räume, du
erkennst den Geruch, und der Geruch erkennt dich und
nimmt dich an, und du bist wieder, wer du warst. Wer du
bist, offenbar, hinter deinem eigenen Rücken. Du bist wieder
zwölf, fünfzehn, siebzehn, neunzehn, ein Idyllensmasher,
jemand, der es besser könnte, wenn er sich nur ein bisschen
anstrengen würde, jemand, der nicht dazupasst, jemand, der
alles kaputtmacht (und es bricht, kaum setzt du dich darauf,
auch prompt der Sessel unter dir zusammen, der den Vater seit
Jahrzehnten ohne ein Ächzen getragen hat), eine, die schon
sehen wird, was mit ihr passiert und wo sie landen wird, wenn
sie so weitermacht.
Jajajaja, das ist alles maßlos übertrieben. Das ist überhaupt
nicht so. Deine Familie wüsste jetzt gar nicht, wovon
du überhaupt sprichst. Alle sind nett zu dir und freuen sich,
dass du wieder einmal da bist. Du bekommst zu viel zu essen
und darfst von morgens bis abends Prosecco trinken, bis es dir
Löcher in die Magenwände ätzt. Aber es ist da. Es materialisiert
sich, kaum, dass du die Tür hinter dir geschlossen hast:
Da bist du ja wieder; hab dich. Die Möbel verschwören sich
und du siehst in den Spiegeln, in denen du dich schon mit
acht und dreizehn und siebzehn gesehen hast, anders aus als in
Spiegeln, die dich nicht schon als Kind kannten, und die hier
sagen: Na, hallo, eigentlich hast du dich gar nicht verändert.
Und die Wände: Aha, du also wieder, was machst du immer
noch hier, geh in dein eigenes Zuhause, du störst die Harmonie,
du hast hier nichts mehr verloren. Du gehörst hier
nicht mehr her. Morgen um 8.11 Uhr geht ein Zug, nimm
den doch, steig ein und fahr heim. Und das tust du, fährst
heim, gehst durch deine Tür, da bist du wieder und bist wieder,
wer du geworden bist, und daheim und passt schon, alles
o.k., passt.
Kann so bleiben, ist mir recht
Da sehe ich endlich einmal den Horwath und die Horwathin
wieder, streckt mich auch schon ein mieses, kleines
Magenvirus nieder. Ich kann bei der Vietnamesin, wo das
Horwath'sche Wiegenfest heuer begangen wurde, gerade noch
zuschauen, wie der Horwath seine Geschenke, Schwerpunkt
Nautik, auspackt, dann geht nichts mehr, nur noch bleiches
Abschiedsgewinke vor dem Heimgewanke. Es war zum Glück
nur ein mildes Virus. Und es ist zum Glück endlich Frühling,
was uns den Horwaths nun nach einer langen, finsteren Phase
des Darbens wieder näher bringt, nämlich in die Waldviertler
Nachbarschaft. Sonst sieht man sich ja nicht mehr. Gar nicht
mehr.
Das Kindsvolk ist schuld: Einerseits braucht es nicht mehr
zur Schule begleitet und vom Hort abgeholt zu werden, was
stets Anlass zu frohem elterlichem Gedankenaustausch in
der gastronomisch vorbildlich erschlossenen Umgebung gab.
Andererseits sind die Mimis und der Horwath-Schurli gerade
in dem Alter, wo es zwischen den Geschlechtern recht wenig
Berührungspunkte gibt: Die Buben sind deppert, die Mädchen
sind doof, die Buben sind grindig, die Mädchen sind
zickig, die Buben ekelhaft, die Mädchen sind tussig. Die Buben
hauen immer gleich, die Mädchen heulen immer gleich.
Die Schnittmenge der gruppenübergreifenden Gesprächsthemen
liegt, abseits von gemeinsamen Interessen wie »Super
Mario« oder »Star Wars The Clone Wars« sehr nahe bei null.
Von Zwischenmenschlichkeiten ist man glücklicherweise
noch Lichtjahre entfernt, da jeglicher ungleichgeschlechtliche
Körperkontakt als pervers und peinlich gilt. Kann so bleiben,
ist mir recht.
Selbst das Bubenmimi hat sich angesichts der unerträglichen
Doofheit nun fix entschlossen, ein Mädchen zu sein und
zu bleiben, wenngleich auch fürderhin unter weitgehendem
Verzicht auf alle weiblichen Attribute, mit Ausnahme des
Zopfgummis, den die Karatelehrerin angeordnet hat. Die ist
cool, muskulös, stark und gefährlich und darf das deshalb.
Auch das ist mir recht, kann mir gerade kein besseres Rolemodel
für zwei Zehnjährige denken.
Obwohl, wie ich eben erfahre, der Horwath-Schurli eh gar
nicht so sei, der sei ja noch der Harmloseste, mit dem könne
man einigermaßen normal konversieren, der tue auch nicht
immer so cool, der sei schon okay. Ach, wusste ich gar nicht.
Dann hätten wir uns doch eh viel öfter sehen können ... Aber
wenigstens verspricht uns dieser Umstand etwas mehr Harmonie
in der Sommersaison und sowohl am Ost- als auch am
Westhof weniger Tränen und Geschrei und blaue Flecken von
Stockhieben und gut gezielten Würfen mit unreifem Obst.
Jedenfalls eröffnen wir hiermit die Spießersaison, die Kuhfell-
Hölzler-Saison, die Grillsaison, die Horwathsaison. Und ich
werde heuer all die Tischtennisdemütigungen, die ich als Kind
erleiden musste, an meine Kinder weitergeben. Schön wird
das.
Wir sprechen jetzt viel über Piercings
Am ersten Tag waren die Mimis nur zwei Stunden im Gymnasium,
aber als sie wieder herauskamen, waren sie drei Jahre
älter. Wenn man gerade Jahre seiner Kindheit als Älteste in
Schule und Kindergartenhort verbracht hat, ist es eine Offenbarung,
plötzlich acht Jahrgänge ältere Mädchen über sich zu
haben. Boah ... So kann man also auch ausschauen. So kann
man sich also auch anziehen. So kann man Haare auch färben.
Und man kann sich so Sachen ins Gesicht stecken, interessant.
Nicht dass die Mimis über die aktuellen Vorgänge in Mode
und Society nicht informiert wären: Man liest regelmäßig und
mit unbedingtem Glauben »Bravo«, »Hey«, »Seitenblicke-
Magazin«, »Woman«, »In-Style« und »Vogue«, man kennt
sich aus. Aber es ist etwas anderes, derlei in der unmittelbaren
Schulumgebung vorgelebt zu bekommen. Wir sprechen jetzt
viel über Piercings. Und über das korrekte Alter dafür.
Wenn ich 16 bin, denke ich. Oder?
16 ist okay für mich.
Gut, dann will ich mit 16 so ein Nasenpiercing. Ein Mädchen
in der Schule hat so eins, mit einem Glitzerstein. Das
sieht total cool aus.
Ich weiß nicht.
Doch.
Es ist eh deine Nase.
Aber tätowieren lasse ich mich, glaub ich, nicht.
Wie du meinst. Es ist langfristig auch deine Haut.
Hättest du was dagegen?
Na, jetzt schon noch.
Aber später!
Da könnte ich ja schlecht grundsätzlich etwas dagegen
haben, oder.
Hat es dir die Oma erlaubt?
Hahahaha.
Es ist jetzt auch offiziell, dass das Bubenmädchen keins
mehr ist. Es fing mit dem Zopfgummi an, den die Karatelehrerin
anordnete, und war dann nicht mehr aufzuhalten. Kann
ich einen Jeansminirock haben? Kaufst du mir auch mal Leggins?
Darf ich deinen Nagellack?
Ja, darfst du. Weil es schön ist, zuzusehen, wie ein Kind in
seinem eigenen Tempo in seine Haut hineinwächst. Und wie
es sich irrsinnig wohl fühlt darin. Borgst du mir deine alte
Lederjacke?
Nicht, dass das andere Mimi sich nicht wohlfühlen würde.
Soweit das dem Shopping-Mimi möglich ist, in einem Monat,
den die Mutter aufgrund finanziellen Engpassdesasters zum
Monat des Konsumverzichts erklärt hat.
Aber ich brauche das unbedingt!
Dann kauf es dir.
Ich habe kein Geld.
Ich auch nicht. Verdien dir was.
Womit?
Weiß nicht. Mach einen Vorschlag.
Ich könnte babysitten!
Gute Idee. Das kannst du. Gleich nachdem du selber keinen
Babysitter mehr brauchst.
Äh, ah ja.
Das Leben der Teenies. So ist das nämlich.
Vielleicht räuchere ich so die schlechten
Vibes weg
21.1. 20.48 Uhr. »Californication« ist nur noch albern. Ein
Horror, die sechste Staffel. Schon die fünfte war nicht zu ertragen,
ich habe hundertprozentig an einigen Stellen die Schauspieler
entgeistert über den Text lachen sehen, den sie sprechen
mussten, während sie vollkommen bizarre Sexpraktiken ausführten.
Ich seh mir dieses Elend nicht weiter an. Eigentlich
war nur die dritte Staffel super, und ein bisschen die vierte,
als Hank Moody seinen Roman in ein Drehbuch umschrieb.
22.1. 18.34 Uhr. Ich will den alten Herd zurück. Wer auch
immer die Idee hatte, eine elektronische Steuerung direkt
auf einer Glaskeramikplatte anzubringen, hat selber offenbar
noch nie was anderes gekocht als Crack in Alufolie.
23.1. 7.01 Uhr. Kurz bevor ich beschließe, den Rest des Winters
einfach nicht mehr aufzustehen, fängt das Vitamin B12
an zu wirken, das mir die Ärztin aufgrund eines empfindlichen
Mangels desselben verordnet hat. Es ist ein Wunder. 20
Tropfen, das Leben wie neu.
23.1. 14.15 Uhr. SMS von diesem wunderbaren jungen
Schauspieler: Seine Gattin ist überraschend verhindert, will
ich ihn vielleicht zum Filmpreis ins Rathaus begleiten?
23.1. 17.16 Uhr. Marandjosef, was ziehe ich bloß an. Gute
Tipps von fünf zehnjährigen Mädels, die in unserem Wohnzimmer
Referat vorbereiten, allerdings kann ich, als ich ins
Bad eile, gut sehen, dass sie die Augen verdrehen wie Michelle
Obama beim Inaugurationslunch.
21
23.1. 22.54 Uhr. Dem 2013er-Vorsatz, für mich kein Polyestergewand
und, was im Prinzip kongruent ist, nie wieder
Billigkettenkleidung mehr zu kaufen, sondern nur noch erlesene
Second-Hand-Ware, füge ich einen weiteren hinzu, während
ich auf Highheels über den Marmorboden des Rathauses
schlittere und versuche, die funkensprühende Affäre, die mein
Kleid mit meinen Strumpfhosen eingegangen ist, zu sabotieren:
Auch die alten Synthetikkleider, und seien sie noch so
wundervoll smaragdgrün und von fünf Zehnjährigen hochgedaumt,
werden jetzt alle erbarmungslos entsorgt. Dabei hat
das Kleid letztes Mal, bei dieser Hochzeit, super funktioniert,
offenbar war da weniger Elektrizität in der Luft. Gut, die
waren auch schon sehr lange zusammen.
24.1. 1.53 Uhr. Noch besser: Ich verbrenne das Kleid und räuchere
damit die schlechten Vibes weg, die offenbar, so lernte
ich es gerade eben in einem längeren Gespräch, von mir ausgehen.
Es ist im Prinzip eine Hank-Moody-Situation, nur ohne
den Glam, den Sex und die Drogen. Die lebenskluge Frau
Sch., die ich hernach an der Bar anjammere, lacht nur und
rät: heimgehen, alles wegduschen, und falls räuchern, lieber
nicht mit dem Plastikkleid. Ich entscheide mich ersatzweise
für noch ein Glas Wein, was meine Standfestigkeit auf dem
Rathausboden sowie alles Weitere nicht begünstigt.
© Czernin Verlags GmbH
Ab wann kann man von Kindern erwarten, dass sie die
Erwerbstätigkeit ihrer Mutter respektieren? Ich warte jetzt seit
acht Jahren darauf und es passiert: nichts. Jedes Jahr denke
ich: Heuer wird es gehen. Ab heuer werden sie meine Berufstätigkeit
mit Respekt und einem gewissen Stolz anerkennen.
Nix. Denn offenbar tut man den Kindern keinen Gefallen
damit, dass man sich müht, in den Ferien zwei Monate lang
mit ihnen zusammen an einem schönen Ort zu sein, wo man
in der Früh ewig mit ihnen im Bett kuschelt, mit ihnen ins
gschissene Freibad schwimmen fährt, ihnen ein Dutzend Mal
am Bauernhof beim Reiten zuschaut (was hübsch fad ist),
mit ihnen Kanu fährt, Schwammerl suchen geht und abends
am Feuer sitzt. Nein. Was vom Tage übrig bleibt: Die Mutter
sitzt ununterbrochen vorm Computer. Und das ist sooo
megagemein.
Zwei Monate lang habe ich den Mimis gleichmütig immer
wieder erklärt, dass ich zwar nicht im Büro sein, aber dennoch
ein paar Stunden am Tag arbeiten muss. Zwei Monate lang
haben sie mich nach Lust und Laune dabei unterbrochen. Am
letzten Ferientag sind zwei Dinge passiert. Die Mutter setzt
sich hinter ihren Laptop und verkündet, dass sie jetzt arbeitet.
Bitte nicht stören. Nach fünf Minuten kommt Kind eins und
will über Jedi Ritter reden. Die Mutter erklärt, sie muss jetzt
arbeiten. Nach zehn Minuten kommt das Kind und will wissen,
wann sein Lieblingsleiberl endlich gewaschen wird, das
liegt jetzt schon seit 20 Minuten im Wäschekorb, ohne dass
sich irgendwer darum kümmert. Die Mutter erklärt in etwas
festerem Tonfall, dass sie jetzt arbeiten muss, jetzt also nicht.
Nach zwölf Minuten kommt das Kind, stellt sich so lange
neben die Mutter, bis diese ihren Gedanken unterbricht, ihren
Gedanken fallen lässt, für immer und ewig und unwiederbringlich
im finsteren Loch des Vergessens verliert, und sagt:
Schau, ich kann mit beiden Händen gleichzeitig schnipsen.
Gut, ich gestehe, da bin ich ein wenig ausgerastet. Du bist
acht! Einer Achtjährigen mit Garten ist eine arbeitende Mutter
zumutbar! Kapier das jetzt endlich! Was das zweite Kind auf
den Plan rief beziehungsweise weckte, welches sich sodann vor
seinen Kakao und sein Nutellabrot setzte und mit progressiv
nässenden Augen sein grausames Schicksal beklagte. Dass es
eine Mutter habe, die permanent arbeite und sich nie nie nie
kümmere. Und nie könne man mit ihr einfach so sprechen.
Und jeden Tag müsse man bis halb vier, manchmal bis vier
(!!!!) im Hort bleiben. Und die Mutter hielt den Mimis wieder
einmal eine Batzen Rede über Privilegiertheit und Verwöhntsein,
und es war wie immer vollkommen für den Hugo.
In einer deutschen Studie beklagten sich 17 Prozent der
Kinder Vollzeit arbeitender Erziehungsberechtigter darüber,
dass ihre Eltern sich zu wenig um sie kümmerten. Bei den
Kindern nicht arbeitender Eltern waren es 28 Prozent. Das
glaube ich sofort.
Aber jetzt fängt ein neues Leben an
Vorsorgeuntersuchung, höchste Zeit, hat die Dr. Urban
gesagt, ich habe einen Termin für dich, warte, Donnerstag
nach Ostern, und davor gehst du Blutabzapfen ins Labor,
und zwar nüchtern, zwölf Stunden davor nur Wasser. Nein,
auch keinen Kaffee, und bedenke, dass vorheriger Alkoholmissbrauch
durchaus einen Einfluss auf deine Leberwerte hat.
Du willst ja nicht unbedingt ein oberösterreichisches Blutbild,
oder? Habe ich mir also einen Tag für das Labor ausgesucht,
den letzten möglichen Tag vor den Osterferien, habe davor 72
Stunden keinen Alkohol getrunken und wie befohlen zwölf
Stunden nur Wasser, und hab auch sonst alles gemacht, was
die Urbanin angeordnet hat.
Um sieben Uhr früh stehe ich full of no coffee in der Küche
und richte Müsli und schmiere Weckerln, und die Kinder
plappern auf mich ein, als stünden darauf nicht die allergrausamsten
Strafen, und weil in der Jausenbox noch ein unberührtes
Salamiweckerl von gestern liegt und es schad darum
ist, esse ich das auf und dann noch ein Marmeladebrot, und
dann sind die Kinder aus dem Haus, und ich dusche und
ziehe mich an und mach mich auf den Weg ins Labor, und
dann fällt es mir auf.
Und so etwas, sage ich zum Horwath und zur Horwathin,
so etwas passiert doch definitiv immer nur mir, wem anderen,
sage ich, während ich auf dem Horwath'schen Gartentisch
den Gulaschlöffel ablege, wem anderen passieren solche
Sachen einfach gar nicht. Aber wisst ihr was, sage ich und hebe
darauf mein Bierglas, wisst ihr was, mir passiert so etwas jetzt
auch nicht mehr, jetzt fängt ein neues Leben an, prost, aber
leider werden wir von einem Kind unterbrochen, das angelaufen
kommt, mit dem Festnetztelefon in der Hand. Da sei
eine deutsche Frau dran, vom Radio, die wolle ein Liveinterview
mit mir machen, wo ich denn sei. Verdammmich. Das
ist jetzt nicht wahr. Ich hab mir das im Kalender notiert und
im iPhone-Kalender und im Notizbuch, ich hab im Lauf der
Woche per Mail Bescheid gegeben, dass ich wegen Funklochs
besser am Festnetz zu erreichen sei, die ganze Woche und
den ganzen Tag war mir dieses ausgemachte Sonntagabend-
Radiointerview präsent, bis am Nachmittag um halb fünf, als
der Horwath anmarschiert kam und sagte: Rüberkommen,
gemma, bei uns gibt es Gulasch und Bier. Und wenn der Horwath
zum Essen ruft, gehe ich essen, ich weiß, wann ich zu
folgen habe.
Verdammmich!!!, brülle ich, reiße dem Kind das Telefon
aus der Hand und klappere mit den Hölzlern im Laufschritt
hinüber zu unserem Haus, dass es die Laufenten von der
Nachbarin in alle Richtungen zerflattert, und genau in dem
Moment, als ich es keuchend in den Empfangsbereich des
Telefons geschafft habe, ist die Frau vom Sender dran und
sagt, Gott!sei!dank!, Frau Knecht, da sind Sie ja, wir sind
bereits live auf Sendung. Hhhhhh. So etwas passiert definitiv
immer nur mir.
Da steht aber dein Name drauf
Die Mimis sind am Ende der dritten Klasse und die Frage
»Welches Gymnasium?« beherrscht jede Eltern-Zusammenkunft.
Welches Gymnasium??? Die Antwort »Mir ist das
eigentlich wurscht« kommt dabei meistens mindergut an. Wie
kann einem etwas derart Wichtiges wurscht sein?
Indem man, weil sich Schulen ihre Lehrer nicht aussuchen
dürfen, in den angesehensten Eliteschulen nicht in der Hand
hat, an welche Arschlochlehrer die Kinder geraten, während
bei Anstalten unterdurchschnittlichen Rufs vielleicht die Lehrerin
wartet, die die Mimis auf einen glücklichen Lebensweg
... Habe ich das schon einmal geschrieben? Nicht im Falter,
glaube ich. Also, jedenfalls, ich hatte einmal einen Deutschlehrer,
der hätte mich in der Oberstufe beinahe durchfallen
lassen. Ich bin dann aber in Mathematik durchgefallen,
wovon die Mimis leider kürzlich im Zuge der Durchsicht
eines Ordners, dessen Inhalt sie nichts angeht, Kenntnis
erlangten. Mamaaaaa!!!!! Das ist nicht mein Zeugnis. Da steht
aber dein Name drauf! Jaja, okay, es ist meins. Und ja, ich bin
durchgefallen.
Dieser Deutschlehrer war eine der schlimmsten Strafen
meiner Adoleszenz. Er war bösartig und gemein. Einmal
wurde mir bei einer Buchpräsentation in Wien eine Frau
vorgestellt, und als ich ihren Nachnamen hörte, prallte ich
zurück. Sie sagte, ich weiß schon, das passiert mir öfter, mein
Onkel, ja. Wegen dieses Lehrers war sitzenzubleiben eine der
besten Umleitungen, die mir als jugendlich Suchende widerfahren
konnten. Ich bin eine Anhängerin des Sitzenbleibens,
ja sogar des Sitzenbleibens wegen eines einzigen Fünfers. Wäre
ich nicht sitzengeblieben, wäre ich jetzt ... Keine Ahnung, aber
dies hier bliebe Ihnen vermutlich erspart. Ich blieb also sitzen
und bekam einen großartigen Deutschlehrer, der sah, dass ich
faul war und aufsässig und eine Pfeife in Mathematik und dass
ich merkwürdige Texte schreiben konnte. Und er fand, das
gehöre gefördert und förderte mich; auf durchaus unkonventionelle
Weise.
Das geschah im damals zweitschlechtesten Oberstufenrealgymnasium
des Landes: Wenn man von dieser Schule flog,
gab es nur noch eine schlechtere, die einen vielleicht aufnahm,
aber eher nicht. Ich lernte an dieser Schule rauchen,
trinken, zu spät kommen, Lehrer hassen, Lehrer austricksen,
Drogen nehmen, ein paar interessante Kerle kennen, nicht
Gitarre spielen, nicht Klavier spielen, schwänzen, Literatur zu
lesen und dem bisschen Talent, das man hat, zu vertrauen.
Und mit Sturheit und Konsequenz daran zu arbeiten. Und:
dass es von einem einzigen Lehrer und dessen Intelligenz und
Einfühlungsvermögen abhängen kann, wohin ein Kind sich
entwickelt.
Die Schulen dürfen sich ihre Lehrer immer noch nicht
aussuchen. Der bösartige Deutschlehrer unterrichtet offenbar
immer noch. Mir ist es ziemlich wurscht, an welches Gymnasium
die Mimis gehen werden.
Das würde die Schönheit vervollkommnen
Die Horwathin hatte Geburtstag. Da hat der Horwath
beschlossen, seiner Frau einen alten Wunsch zu erfüllen.
Weil immer sitzt die Horwathin im Garten (also, wenn sie
einmal sitzt, meistens kniet sie in einem ihrer Blumenbeete,
was deren Unvergleichbarkeit jetzt zum Beispiel mit meinen
erklärt), schaut sich das Haus an und den Hof, den rankenden
(obwohl die Ritter mein Gemüsebeet kürzlich ob seiner
ordentlichen Gejätetheit ein »Spießerbeet« hieß, Oida) Wein
und die Rosen, die Kinder und die Hendln und sagt: Ein Pfau
wär noch schön, der Pfau würde herrliche Pfauenräder schlagen,
das würde die Schönheit meiner Umgebung praktisch
vervollkommnen.
So entschied der Horwath: Heuer bekommt die Horwathin
ihren Pfau. Also zwei, weil Pfaue sind Paartiere. Also
eigentlich sind sie Vielweiberer, aber übertreiben wollte es der
Horwath dann auch nicht, weil: Die schreien ja, die Pfaue. Es
sind wegen schreiender Pfaue schon viele nachbarschaftliche
Freundschaften zerbrochen. (Aber wir sind zum Horwath ja
keine direkten Nachbarn, also ist es uns wurscht. Also war es
uns wurscht.)
Der Horwath recherchierte und fand einen Pfauenzüchter
in Kärnten. Das war ihm aber doch zu weit. Dann fand er
einen in Melk, den rief er an und erkundigte sich nach einem
Pfauenpaar. Ja, er habe eins, sagte der Händler. Was????, sagte
der Horwath, JA, ER HABE EIN PAAR!!!!, brüllte der Händler
in das ihn umgebende Gekreische hinein. Aha, sagte der
Horwath, ob es das sei, das er gerade höre? Nein, sagte der
Händler, das seien andere. Der Horwath nutzte eine kurze
Abwesenheit der Horwathin und fuhr nach Melk und spazierte
hernach, Pfauenfeder am Hut, in unseren Garten hinein.
Die Pfaue gewöhnten sich gerade an ihr neues Zuhause; die
Hendln seien ob der Pfauerei ein wenig inkommodiert, aber
das gebe sich schon. Wollten wir uns die Pfaue ansehen? Wir
wollten.
Wir spazierten hinter dem Horwath in den Horwath-Hof
hinein. Von den Hendln war keines zu sehen, aber Herr und
Frau Pfau stoben davon, als sie unser ansichtig wurden. Wir
setzten uns auf die Bank, um uns die Pfaue anzusehen und uns
Namen für sie auszudenken. Waterloo und Robinson, Skopik
und Lohn, Modern und Talking, Cindy und Bert, als Bert auf
das Dach des Hühnerstalls flatterte, von dort auf die Mauer
und von dort in die Freiheit.
Der Horwath spurtete los, zum Tor hinaus, dem Bertl hinterher.
Wir blieben zurück und schauten Cindy zu, die sich
hinten beim anderen Tor versteckt hatte. Das Tor hat unten
einen schmalen Spalt, den wir bemerkten, als Cindy ihn zur
Flucht nutzte. Wir sahen gerade noch, wie Cindy auf den
Tisch der Laube sprang und aufs Dach des Nachbarhauses
flog. Dann war sie weg. Bert auch. Die Horwath'sche bekam
zu ihrem Geburtstag eine herrliche Pfauenfeder, immerhin.
Hoch soll sie leben.
Lass uns keine Freunde bleiben
Zwanzig Jahre lang war ich mit L. befreundet, und vor drei
Wochen hat sie mich wegen anhaltenden deppert Daherredens
auf Facebook entfreundet. Nicht dass jemand, der 20
Jahre mit mir befreundet ist, nicht eigentlich wissen sollte,
dass ich ein Schandmaul bin, und sich mit meiner Deppertheit
irgendwie arrangiert haben sollte, aber. L. lebt seit ein
paar Jahren in London und hat sich dort einen Lord gefunden.
Als ich sie zum letzten Mal traf, sagte sie, mit dem Lord
sei alles wunderbar, aber sonst sei sie fix und fertig und mit
den Nerven am Ende, wir hätten keine Ahnung, wie anstrengend
ihr Leben sei, sie suche gerade nach einer 6-Zimmer-
Wohnung in der Innenstadt. Ah, toll, aber warum sei sie fertig?
Sie suche gerade nach einer 6-Zimmer-Wohnung in der
Innenstadt. Ach so.
Jetzt haben sie die Wohnung gefunden, ein Loft mit Blick
auf die Themse, sie haben keine Kinder und keine Geldsorgen
und viel Zeit. Aber eine Menge Ärger mit Personal u.a., und
das ist es, worüber L. ihre Freunde auf Facebook nun täglich
informiert. So in der Art, dass die Handwerker ein Loch in die
Foyerwand gebohrt haben und es erst am Nachmittag wieder
zuspachteln, und sie nun nicht weiß, wie sie volle 1,5 Stunden
diesen grauenhaften Anblick ertragen soll. Dass der Pöbel vor
dem Haus ihr mit seinem Herumgelache die Vormittagsruhe
raube. Dass die Langusten im Tiefkühler nicht abnippeln wollen,
obwohl der Hummerhändler es ausdrücklich versprochen
hat. Dass sie nicht mehr ein noch aus weiß, weil die Putzfrau
schon wieder ihre Schuhe falsch geordnet hat: Es gehört Weiß,
Creme, Nude, Pink, Rot, nicht Weiß, Creme, Pink, Nude,
Rot, ist das wirklich derart schwer zu begreifen???
Kann sein, dass mir die eine oder andere sarkastische Bemerkung
entfuhr, und gut, einmal schrieb ich, dass ich physisch
am Ende sei, weil ich wegen L.s Sorgen nicht mehr schlafen
könne. Das fand L. nicht witzig, und dann waren wir plötzlich
keine FB-Freunde mehr. Na geh.
Ich bin mir nicht sicher, ob man, wenn man bei Facebook
als Freund entfernt wird, im richtigen Leben weiter befreundet
ist. Ist man? Gibt's dafür ein Regelwerk? Ich beschloss erst einmal,
die virtuelle Entfreundung im Realen zu ignorieren und
schickte L. zum Geburtstag das übliche freundliche SMS. Sie
schickte mir ein freundliches zurück. Ich dachte, aha, das eine
hat mit dem anderen also nichts zu tun. Und fand dann: Hat
es aber doch. Ist es Freundespflicht, stets zu akklamieren oder
minimum lieb die Pappn zu halten? Oder eher das Gegenteil?
Eine andere Freundin sagte einmal, dass ihre Freunde
ihr nicht zwingend auch sympathisch seien. Ja, das Problem
kenne ich. Ständig ist in meinem Freundeskreis jemand nicht
meiner Meinung, lacht mich aus oder widerspricht mir gar.
Sehr lästig das.
Auf Facebook erledigt man so ein Problem mit einem
Tastendruck, und manchmal wirkt er bis ins richtige Leben
hinein.
Du erkennst den Geruch, und er erkennt
dich
Jetzt genügen schon zwei Tage bei den Eltern im Aufwachshaus,
in einem Kinderzimmer, das schon seit Jahrzehnten keinen
Hinweis mehr auf dich enthält, um dich zu verwandeln:
in eine schlechte, missratene Tochter und eine miese Mutter,
die niemals Kinder hätte haben sollen, weil sie davon eindeutig
überfordert ist.
Nicht, dass die Eltern das sagen. Nicht, dass sie dir das
Gefühl geben, nicht, dass sie es auch nur denken: Aber es lauert
hier irgendwo. Es steckt in diesem Ort und in dir. Es war
immer schon da, du hast nur so getan, als wäre es anders, als
wärst du wer anders, hast dich gegen die Fakten gestemmt und
Tatsachen und Beweise für ihr Gegenteil geschaffen oder das
zumindest geglaubt, hast dich in einer anderen Stadt, einer
neuen Umgebung, in sorgfältig aus Fremden entfernter Herkunftsorte
zusammengestellten Wahlfamilien neu erfunden,
neu definiert und als eine ausgegeben, die du, wie du jetzt
wieder weißt, nicht bist. Denn die Matrix des Herkunftsortes
und des Elternhauses ist unbestechlich. Sie vergisst nicht.
Du kommst an den Ort, du betrittst die Räume, du
erkennst den Geruch, und der Geruch erkennt dich und
nimmt dich an, und du bist wieder, wer du warst. Wer du
bist, offenbar, hinter deinem eigenen Rücken. Du bist wieder
zwölf, fünfzehn, siebzehn, neunzehn, ein Idyllensmasher,
jemand, der es besser könnte, wenn er sich nur ein bisschen
anstrengen würde, jemand, der nicht dazupasst, jemand, der
alles kaputtmacht (und es bricht, kaum setzt du dich darauf,
auch prompt der Sessel unter dir zusammen, der den Vater seit
Jahrzehnten ohne ein Ächzen getragen hat), eine, die schon
sehen wird, was mit ihr passiert und wo sie landen wird, wenn
sie so weitermacht.
Jajajaja, das ist alles maßlos übertrieben. Das ist überhaupt
nicht so. Deine Familie wüsste jetzt gar nicht, wovon
du überhaupt sprichst. Alle sind nett zu dir und freuen sich,
dass du wieder einmal da bist. Du bekommst zu viel zu essen
und darfst von morgens bis abends Prosecco trinken, bis es dir
Löcher in die Magenwände ätzt. Aber es ist da. Es materialisiert
sich, kaum, dass du die Tür hinter dir geschlossen hast:
Da bist du ja wieder; hab dich. Die Möbel verschwören sich
und du siehst in den Spiegeln, in denen du dich schon mit
acht und dreizehn und siebzehn gesehen hast, anders aus als in
Spiegeln, die dich nicht schon als Kind kannten, und die hier
sagen: Na, hallo, eigentlich hast du dich gar nicht verändert.
Und die Wände: Aha, du also wieder, was machst du immer
noch hier, geh in dein eigenes Zuhause, du störst die Harmonie,
du hast hier nichts mehr verloren. Du gehörst hier
nicht mehr her. Morgen um 8.11 Uhr geht ein Zug, nimm
den doch, steig ein und fahr heim. Und das tust du, fährst
heim, gehst durch deine Tür, da bist du wieder und bist wieder,
wer du geworden bist, und daheim und passt schon, alles
o.k., passt.
Kann so bleiben, ist mir recht
Da sehe ich endlich einmal den Horwath und die Horwathin
wieder, streckt mich auch schon ein mieses, kleines
Magenvirus nieder. Ich kann bei der Vietnamesin, wo das
Horwath'sche Wiegenfest heuer begangen wurde, gerade noch
zuschauen, wie der Horwath seine Geschenke, Schwerpunkt
Nautik, auspackt, dann geht nichts mehr, nur noch bleiches
Abschiedsgewinke vor dem Heimgewanke. Es war zum Glück
nur ein mildes Virus. Und es ist zum Glück endlich Frühling,
was uns den Horwaths nun nach einer langen, finsteren Phase
des Darbens wieder näher bringt, nämlich in die Waldviertler
Nachbarschaft. Sonst sieht man sich ja nicht mehr. Gar nicht
mehr.
Das Kindsvolk ist schuld: Einerseits braucht es nicht mehr
zur Schule begleitet und vom Hort abgeholt zu werden, was
stets Anlass zu frohem elterlichem Gedankenaustausch in
der gastronomisch vorbildlich erschlossenen Umgebung gab.
Andererseits sind die Mimis und der Horwath-Schurli gerade
in dem Alter, wo es zwischen den Geschlechtern recht wenig
Berührungspunkte gibt: Die Buben sind deppert, die Mädchen
sind doof, die Buben sind grindig, die Mädchen sind
zickig, die Buben ekelhaft, die Mädchen sind tussig. Die Buben
hauen immer gleich, die Mädchen heulen immer gleich.
Die Schnittmenge der gruppenübergreifenden Gesprächsthemen
liegt, abseits von gemeinsamen Interessen wie »Super
Mario« oder »Star Wars The Clone Wars« sehr nahe bei null.
Von Zwischenmenschlichkeiten ist man glücklicherweise
noch Lichtjahre entfernt, da jeglicher ungleichgeschlechtliche
Körperkontakt als pervers und peinlich gilt. Kann so bleiben,
ist mir recht.
Selbst das Bubenmimi hat sich angesichts der unerträglichen
Doofheit nun fix entschlossen, ein Mädchen zu sein und
zu bleiben, wenngleich auch fürderhin unter weitgehendem
Verzicht auf alle weiblichen Attribute, mit Ausnahme des
Zopfgummis, den die Karatelehrerin angeordnet hat. Die ist
cool, muskulös, stark und gefährlich und darf das deshalb.
Auch das ist mir recht, kann mir gerade kein besseres Rolemodel
für zwei Zehnjährige denken.
Obwohl, wie ich eben erfahre, der Horwath-Schurli eh gar
nicht so sei, der sei ja noch der Harmloseste, mit dem könne
man einigermaßen normal konversieren, der tue auch nicht
immer so cool, der sei schon okay. Ach, wusste ich gar nicht.
Dann hätten wir uns doch eh viel öfter sehen können ... Aber
wenigstens verspricht uns dieser Umstand etwas mehr Harmonie
in der Sommersaison und sowohl am Ost- als auch am
Westhof weniger Tränen und Geschrei und blaue Flecken von
Stockhieben und gut gezielten Würfen mit unreifem Obst.
Jedenfalls eröffnen wir hiermit die Spießersaison, die Kuhfell-
Hölzler-Saison, die Grillsaison, die Horwathsaison. Und ich
werde heuer all die Tischtennisdemütigungen, die ich als Kind
erleiden musste, an meine Kinder weitergeben. Schön wird
das.
Wir sprechen jetzt viel über Piercings
Am ersten Tag waren die Mimis nur zwei Stunden im Gymnasium,
aber als sie wieder herauskamen, waren sie drei Jahre
älter. Wenn man gerade Jahre seiner Kindheit als Älteste in
Schule und Kindergartenhort verbracht hat, ist es eine Offenbarung,
plötzlich acht Jahrgänge ältere Mädchen über sich zu
haben. Boah ... So kann man also auch ausschauen. So kann
man sich also auch anziehen. So kann man Haare auch färben.
Und man kann sich so Sachen ins Gesicht stecken, interessant.
Nicht dass die Mimis über die aktuellen Vorgänge in Mode
und Society nicht informiert wären: Man liest regelmäßig und
mit unbedingtem Glauben »Bravo«, »Hey«, »Seitenblicke-
Magazin«, »Woman«, »In-Style« und »Vogue«, man kennt
sich aus. Aber es ist etwas anderes, derlei in der unmittelbaren
Schulumgebung vorgelebt zu bekommen. Wir sprechen jetzt
viel über Piercings. Und über das korrekte Alter dafür.
Wenn ich 16 bin, denke ich. Oder?
16 ist okay für mich.
Gut, dann will ich mit 16 so ein Nasenpiercing. Ein Mädchen
in der Schule hat so eins, mit einem Glitzerstein. Das
sieht total cool aus.
Ich weiß nicht.
Doch.
Es ist eh deine Nase.
Aber tätowieren lasse ich mich, glaub ich, nicht.
Wie du meinst. Es ist langfristig auch deine Haut.
Hättest du was dagegen?
Na, jetzt schon noch.
Aber später!
Da könnte ich ja schlecht grundsätzlich etwas dagegen
haben, oder.
Hat es dir die Oma erlaubt?
Hahahaha.
Es ist jetzt auch offiziell, dass das Bubenmädchen keins
mehr ist. Es fing mit dem Zopfgummi an, den die Karatelehrerin
anordnete, und war dann nicht mehr aufzuhalten. Kann
ich einen Jeansminirock haben? Kaufst du mir auch mal Leggins?
Darf ich deinen Nagellack?
Ja, darfst du. Weil es schön ist, zuzusehen, wie ein Kind in
seinem eigenen Tempo in seine Haut hineinwächst. Und wie
es sich irrsinnig wohl fühlt darin. Borgst du mir deine alte
Lederjacke?
Nicht, dass das andere Mimi sich nicht wohlfühlen würde.
Soweit das dem Shopping-Mimi möglich ist, in einem Monat,
den die Mutter aufgrund finanziellen Engpassdesasters zum
Monat des Konsumverzichts erklärt hat.
Aber ich brauche das unbedingt!
Dann kauf es dir.
Ich habe kein Geld.
Ich auch nicht. Verdien dir was.
Womit?
Weiß nicht. Mach einen Vorschlag.
Ich könnte babysitten!
Gute Idee. Das kannst du. Gleich nachdem du selber keinen
Babysitter mehr brauchst.
Äh, ah ja.
Das Leben der Teenies. So ist das nämlich.
Vielleicht räuchere ich so die schlechten
Vibes weg
21.1. 20.48 Uhr. »Californication« ist nur noch albern. Ein
Horror, die sechste Staffel. Schon die fünfte war nicht zu ertragen,
ich habe hundertprozentig an einigen Stellen die Schauspieler
entgeistert über den Text lachen sehen, den sie sprechen
mussten, während sie vollkommen bizarre Sexpraktiken ausführten.
Ich seh mir dieses Elend nicht weiter an. Eigentlich
war nur die dritte Staffel super, und ein bisschen die vierte,
als Hank Moody seinen Roman in ein Drehbuch umschrieb.
22.1. 18.34 Uhr. Ich will den alten Herd zurück. Wer auch
immer die Idee hatte, eine elektronische Steuerung direkt
auf einer Glaskeramikplatte anzubringen, hat selber offenbar
noch nie was anderes gekocht als Crack in Alufolie.
23.1. 7.01 Uhr. Kurz bevor ich beschließe, den Rest des Winters
einfach nicht mehr aufzustehen, fängt das Vitamin B12
an zu wirken, das mir die Ärztin aufgrund eines empfindlichen
Mangels desselben verordnet hat. Es ist ein Wunder. 20
Tropfen, das Leben wie neu.
23.1. 14.15 Uhr. SMS von diesem wunderbaren jungen
Schauspieler: Seine Gattin ist überraschend verhindert, will
ich ihn vielleicht zum Filmpreis ins Rathaus begleiten?
23.1. 17.16 Uhr. Marandjosef, was ziehe ich bloß an. Gute
Tipps von fünf zehnjährigen Mädels, die in unserem Wohnzimmer
Referat vorbereiten, allerdings kann ich, als ich ins
Bad eile, gut sehen, dass sie die Augen verdrehen wie Michelle
Obama beim Inaugurationslunch.
21
23.1. 22.54 Uhr. Dem 2013er-Vorsatz, für mich kein Polyestergewand
und, was im Prinzip kongruent ist, nie wieder
Billigkettenkleidung mehr zu kaufen, sondern nur noch erlesene
Second-Hand-Ware, füge ich einen weiteren hinzu, während
ich auf Highheels über den Marmorboden des Rathauses
schlittere und versuche, die funkensprühende Affäre, die mein
Kleid mit meinen Strumpfhosen eingegangen ist, zu sabotieren:
Auch die alten Synthetikkleider, und seien sie noch so
wundervoll smaragdgrün und von fünf Zehnjährigen hochgedaumt,
werden jetzt alle erbarmungslos entsorgt. Dabei hat
das Kleid letztes Mal, bei dieser Hochzeit, super funktioniert,
offenbar war da weniger Elektrizität in der Luft. Gut, die
waren auch schon sehr lange zusammen.
24.1. 1.53 Uhr. Noch besser: Ich verbrenne das Kleid und räuchere
damit die schlechten Vibes weg, die offenbar, so lernte
ich es gerade eben in einem längeren Gespräch, von mir ausgehen.
Es ist im Prinzip eine Hank-Moody-Situation, nur ohne
den Glam, den Sex und die Drogen. Die lebenskluge Frau
Sch., die ich hernach an der Bar anjammere, lacht nur und
rät: heimgehen, alles wegduschen, und falls räuchern, lieber
nicht mit dem Plastikkleid. Ich entscheide mich ersatzweise
für noch ein Glas Wein, was meine Standfestigkeit auf dem
Rathausboden sowie alles Weitere nicht begünstigt.
© Czernin Verlags GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Doris Knecht
Doris Knecht, geboren in Vorarlberg, ist Kolumnistin des »Kurier« und schreibt eine wöchentliche Kolumne für den »Falter«, die nun im bereits fünften Czernin-Band zusammengefasst werden. Autorin der Romane »Besser« (2013) und »Wald« (2015) sowie des 2015 verfilmten Romans »Gruber geht« (2012). Sie lebt mit ihren Kindern in Wien und im Waldviertel.
Bibliographische Angaben
- Autor: Doris Knecht
- 2016, 212 Seiten, Maße: 12,3 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Czernin
- ISBN-10: 3707605825
- ISBN-13: 9783707605822
- Erscheinungsdatum: 24.08.2016
Kommentar zu "Langsam, langsam, nicht so schnell!"
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