Lebenslänglich / Annika Bengtzon Bd.7
Ein Fall für Annika Bengtzon
David Lindholm, angesehener Elite-Polizist, wird erschossen. Alle Indizien deuten auf seine Frau Julia als Täterin hin. Sie wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Einzig die Ermittlerin Annika Bengtzon ist von Julias Unschuld überzeugt. Doch...
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Produktinformationen zu „Lebenslänglich / Annika Bengtzon Bd.7 “
David Lindholm, angesehener Elite-Polizist, wird erschossen. Alle Indizien deuten auf seine Frau Julia als Täterin hin. Sie wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Einzig die Ermittlerin Annika Bengtzon ist von Julias Unschuld überzeugt. Doch keiner glaubt ihr bis sie der Lösung des Falls gefährlich nahe kommt.
Klappentext zu „Lebenslänglich / Annika Bengtzon Bd.7 “
Seitensprung in den TodDavid Lindholm war ein angesehener Polizist. Nun liegt er erschossen in seinem Bett. Alle Indizien deuten auf seine Frau Julia, der Fall scheint klar. Aber ist wirklich alles so klar? War Lindholm tatsächlich der, für den ihn alle hielten? Annika Bengtzon hat ihre Zweifel. Stück für Stück kommt sie der Wahrheit näher. So nahe, dass es lebensgefährlich wird ...
«Liza Marklund ist Schwedens unangefochtene Krimikönigin!» (Dagens Nyheter)
Lese-Probe zu „Lebenslänglich / Annika Bengtzon Bd.7 “
Lebenslänglich von Liza MarklundJuni
DIENSTAG, 3. JU NI
Der Funkspruch kam um 3 Uhr 21. Er ging von der Landeseinsatzzentrale an alle Streifenwagen im Bereich Stockholm City und war kurz und nichtssagend.
«70 an alle Einheiten. Verdacht auf Schusswaffengebrauch in der Bondegatan.»
Mehr nicht. Keine genauere Adresse, keine Angaben über Opfer oder darüber, wer den Vorfall gemeldet hatte.
Trotzdem zog sich Ninas Magen auf unerklärliche Art zusammen.
Die Bondegatan ist lang, da wohnen bestimmt tausend Menschen.
Sie sah, dass Andersson auf dem Beifahrersitz die Hand ausstreckte, und griff rasch selbst nach dem Hörer des Funktelefons, drückte den Sendeknopf und bog gleichzeitig in die Renstiernasgate ein.
«Hier 1617», antwortete sie. «Wir sind nur einen Block entfernt. Habt ihr eine Hausnummer? Kommen.»
Andersson seufzte theatralisch und schaute demonstrativ aus dem Beifahrerfenster. Nina warf ihm einen Seitenblick zu, während sie den Wagen Richtung Bondegatan lenkte.
Heul doch, Milchgesicht.
«70 an 1617», sagte die Funkstimme wieder. «Ihr seid am dichtesten dran. Bist du das, Hoffman? Kommen.»
Der Streifenwagen war auf ihre Dienstnummer eingetragen. Vor jedem Schichtbeginn gehörte es zur Routine, die Fahrzeugnummer und die eigene Dienstnummer in das Central Operative Planning System einzugeben, sinnigerweise kurz CO PS genannt. So konnte der Einsatzkoordinator in der Leitstelle immer sehen, wer in welchem Streifenwagen unterwegs war.
«Korrekt», antwortete sie. «Ich biege jetzt in die Bondegatan ein.»
«Wie sieht’s aus? Kommen.»
Sie ließ den Wagen ausrollen und blickte an den schweren Steinfassaden zu beiden Seiten der Straße hinauf. Die erste Morgendämmerung hatte die Häuser noch nicht erreicht, sie kniff die Augen zusammen, um die Konturen in der
... mehr
Dunkelheit zu erkennen. In einer Mansardenwohnung auf der rech ten Seite brannte Licht, ansonsten war alles ruhig und dunkel. Offenbar war in dieser Nacht Straßenreinigung und somit Parken verboten, weshalb die Straße besonders leer und verlassen wirkte. Ein rostiger Peugeot stand einsam und mit einem Strafzettel versehen am unteren Ende kurz vor der Nytorgsgatan.
«Hier rührt sich nichts, soweit ich feststellen kann. Welche Hausnummer soll das sein? Kommen.»
Der Diensthabende nannte die Adresse, und ihr wurde eiskalt: Das ist Julias Nummer, das ist Julias und Davids Adresse.
Und er hat eine Wohnung in Söder, Nina! Gott, wird das schön sein, endlich raus zukommen aus diesem Loch!
Nimm ihn nicht nur wegen der Wohnung, Julia ...
«Fahrt hin und seht euch um, 1617, unauffällig ...»
Sie ließ die Seitenscheiben herunter, um die Geräusche der Straße besser hören zu können, legte den Gang ein, löschte die Scheinwerfer und fuhr langsam zu der wohl-bekannten Adresse, ohne Blaulicht und Martinshorn. Andersson hatte sich wieder gefangen und beugte sich vor zur Windschutzscheibe.
«Glaubst du, hier ist was?», fragte er.
Ich hoffe bei Gott, dass hier nichts ist!
Sie hielt vor dem Haus und stellte den Motor ab, beugte sich vor und spähte die graue Betonfassade hinauf. Aus einem Fenster im zweiten Stock fiel Licht.
«Wir müssen selbstverständlich davon ausgehen, dass die Situation kritisch ist», sagte sie kurz angebunden und griff wie der nach dem Funkgerät.« 1617 hier, wir sind vor Ort, im Haus scheinen Leute wach zu sein. Sollen wir auf 9070 warten? Kommen.»
«9070 ist draußen in Djursholm», erwiderte der Kollege in der Leitstelle.
«Die Nobel-Morde ? », wunderte sich Andersson, und Nina winkte ihm zu, dass er still sein solle.
«Sind andere Wagen in der Gegend ? Oder das Einsatzkommando? Kommen», sagte sie ins Mikrofon. «Kanalwechsel», sagte der Wachhabende. «An alle, wir gehen auf 06.»
«Schlimme Geschichte, das mit den Nobel-Morden », sagte Andersson. «Hast du gehört, dass sie das Schwein gefasst haben?»
Im Wagen wurde es still. Nina merkte, wie die schusssichere Weste an den Lendenwirbeln drückte. Andersson wurde unruhig und spähte die Fassade hinauf.
«Kann ja genauso gut auch falscher Alarm sein», sagte er, um seinen Enthusiasmus zu dämpfen.
Lieber Gott, mach, dass es falscher Alarm ist!
Im Funkgerät rauschte es, jetzt auf einer Einzelfrequenz. «So, dann wollen wir mal sehen, sind al le auf Empfang? 1617, kommen.»
Sie drückte wieder den Sendeknopf, fühlte ihren Mund trocken werden, hielt sich krampf haft an Formalitäten und Routinen fest.
«06, wir sind drauf, kommen.»
Die anderen antworteten ebenfalls, zwei Streifen in der City und eine am Stadtrand.
«Das Einsatzkommando ist momentan nicht erreichbar», sagte der Wachhabende. «Aber 9070 ist unterwegs. Hoffman, du leitest den Einsatz, bis wir den Mannschaftswagen vor Ort haben. So, teilt euch jetzt auf, es fahren nicht alle hin. Riegelt das Viertel ab, positioniert die Wagen strategisch. Stille Anfahrt für alle.»
Im selben Moment bog ein Streifenwagen am anderen Ende in die Bondegatan ein. Er hielt einen Block entfernt, die Scheinwerfer erloschen, als der Motor abgestellt wurde.
Nina öffnete die Fahrertür und stieg aus, die Tritte ihrer schweren Stiefel hallten durch die Straße. Sie drückte den Kopfhörer des Headsets ins Ohr, während sie die Kofferraumklappe des Wagens öffnete.
«Schild und Schlagstock», sagte sie zu Andersson und stellte das tragbare Funkgerät auf den Kanal ein.
«1980, seid ihr das da hinten?», sagte sie leise ins Mikrofon an ihrer rechten Schulter.
«Korrekt», antwortete einer der Polizisten und hob die Hand.
«Ihr geht mit rein», sagte sie.
Den anderen Streifenwagen gab sie Anweisung, das Wohnviertel abzuriegeln und Position zu beziehen: einer an der Ecke Skånegatan/Södermannagatan, der andere gegenüber an der Östgötagatan.
Andersson wühlte zwischen Notverbandskasten, Feuerlöschern, Spaten, Leuchtraketen, Lampen, Desinfektionsgel, Absperrband, Warndreiecken, Formularen und all dem anderen Gerümpel herum, das sich im Kofferraum angehäuft hatte.
«1617 an 70», sagte sie ins Funkgerät. «Hast du den Namen des Anrufers?»
Kurzes Schweigen.
«Erlandsson, Gunnar, zweiter Stock.»
Sie sah an der Sechziger-Jahre-Fassade mit ihren quadratischen Fenstern hinauf und stellte fest, dass hinter einer rotweiß karierten Gar di ne im zweiten Stock ein Licht leuchtete.
«Er ist wach. Wir gehen rein.»
Die beiden Polizisten kamen herüber, stellten sich als Sundström und Landén vor. Sie nickte kurz und tippte an der Klingelanlage den Haustürcode ein. Keiner der anderen reagierte da rauf, dass sie den Code kannte. Sie trat in den Hausflur und stellte gleichzeitig das Funkgerät auf geringste Lautstärke. Die Kollegen folgten ihr stumm. Andersson, der das Schlusslicht bildete, hakte die Tür fest, sodass sie weit offenstand und einen Rückzugsweg auf die Straße frei hielt.
Das Treppenhaus war dunkel und wie ausgestorben. Das einzige Licht schien aus dem rechteckigen Glasfenster in der Aufzugstür.
«Gibt es einen Hinterhof?», fragte Landén leise.
«Am Fahrstuhl vorbei», flüsterte Nina. «Die rechte Tür geht zum Keller. »
Landén und Sundström kontrollierten jeder eine Tür, beide waren abgeschlossen.
«Aufzugtür sperren», sagte sie zu Andersson.
Ihr Kollege blockierte die Tür, sodass niemand den Lift holen konnte, dann stellte er sich an die Treppe und wartete auf ihre Befehle.
Sie fühlte die Panik in ihrem Hinterkopf hämmern, und um sie zu bezwingen, rief sie sich die Vorschriften aus dem Lehrbuch in Erinnerung.
Zuerst eine Einschätzung der Lage vornehmen. Treppenhaus sichern. Mit der Person reden, die Meldung erstattet hat, und den Ort des Schusswechsels lokalisieren.
«Wir sehen uns erstmal um», sagte sie und ging rasch und vorsichtig die Treppe hinauf, Stockwerk für Stockwerk. Andersson folgte ihr, hielt immer eine Etage Abstand.
In der Stille des Treppenhauses hörte sie ihre Uniform bei jeder Bewegung rascheln. Es roch nach Scheuerpulver. Sie konnte die Anwesenheit der Menschen hinter den geschlossenen Türen ahnen, ohne sie wirklich zu hören; ein Bett mit knackenden Sprungfedern, ein tropfender Wasserhahn.
Hier ist nichts, alles okay alles so, wie es sein soll.
Schließlich erreichte sie, ein wenig außer Atem, die Dachgeschosswohnungen. Diese Etage unterschied sich von den anderen; der Boden war aus Marmor, und es gab eigens angefertigte Sicherheitstüren. Nina wusste, dass die Wohnungsbaugenossenschaft den Dachboden Ende der achtziger Jahre zu Luxuswohnungen hatte ausbauen lassen; sie waren genau zu der Zeit fertig geworden, als der Immobilienmarkt zusammenbrach. Die Wohnungen hatten einige Jahre leer gestanden, was die Genossenschaft an den Rand des Bankrotts brachte. Inzwischen waren sie natürlich irrsinnig teuer, aber David war immer noch verärgert darüber, wie sehr der damalige Genossenschaftsvorstand sich in dem Punkt verschätzt hatte.
Andersson tauchte völlig außer Atem neben ihr auf. Ni na spürte die ärgerliche Enttäuschung des Kollegen, als er sich den Schweiß von der Stirn wischte.
«Scheint falscher Alarm gewesen zu sein », keuchte er.
« Mal sehen, was uns der Anrufer zu sagen hat», er widerte Nina und ging die Treppe wieder hinunter.
Im zweiten Stock warteten Sundström und Landén vor der Tür mit dem Schild ERLANDSSON, G&A.
Nina klopfte vorsichtig.
Keine Reaktion.
Hinter ihr trat Andersson ungeduldig von einem Bein aufs andere.
Sie klopfte wieder, deutlich fester diesmal.
Ein Mann in blaugestreiftem Frottébademantel erschien in der Öffnung hinter einer dicken Sicherheitskette.
«Gunnar Erlandsson? Polizei », sagte Nina und hielt ihre Dienstmarke hoch. «Sie hatten verdächtige Geräusche gemeldet. Dürfen wir herein kommen?»
Der Mann schloss die Tür, hantierte einige Sekunden mit der Kette und öffnete sie dann wieder.
«Treten Sie ein», flüsterte er. «Möchten Sie einen Kaffee? Meine Frau hat eine Biskuitrolle gebacken, mit selbstgemachter Rhabarbermarmelade. Sie schläft noch, wissen Sie, zur zeit hat sie ziemliche Probleme mit dem Einschlafen und deshalb eine Tablette genommen ...»
Nina trat in die Diele. Es war genau die gleiche Wohnung wie die von David und Julia, nur deutlich gepflegter.
«Bitte machen Sie sich wegen uns keine Umstände», sagte Nina.
Sie merkte, dass Erlandsson seine Worte an Landén gerichtet hatte, den größten der Männer. Jetzt sah er verwirrt von einem zum anderen und wusste nicht, wo er den Blick lassen sollte.
«Herr Erlandsson», sagte Nina und legte ihre Hand sachte auf seinen Oberarm. «Können wir irgendwo in Ruhe über Ihren Anruf sprechen?»
Der Mann erstarrte.
«Sicher», sagte er. «Ja, sicher, natürlich.»
Er ging ihnen voraus in ein penibel aufgeräumtes Wohnzimmer mit braunen Ledersofas und dicken Teppichen auf dem Fußboden. Aus alter Gewohnheit ließ er sich in einem Sessel vor dem Fernseher nieder, und Nina setzte sich auf das Sofa gegenüber.
«Würden Sie uns bitte berichten, was passiert ist?»
Der Mann schluckte, und sein Blick irrte immer noch zwischen den Polizisten hin und her.
«Ich bin aufgewacht», sagte er. «Ich bin von einem Geräusch aufgewacht, einem Knall. Es hörte sich an wie ein Schuss.»
«Was hat Sie zu der Vermutung veranlasst, dass es sich um einen Schuss handelte?», fragte Nina.
«Ich lag im Bett und wusste erst nicht, ob ich geträumt hatte, aber dann hörte ich noch einen Knall.»
Der Mann griff nach einer Brille und putzte sie hektisch. «Sind Sie Jäger?», erkundigte sich Nina.
Gunnar Erlandsson starrte sie erschrocken an.
«Nein, Gott bewahre», sagte er. «Unschuldige Tiere ermorden gehört für mich ins finsterste Mittelalter.»
«Wenn Sie sich mit Schusswaffen nicht auskennen », sagte Nina, «was hat Sie dann auf die Idee gebracht, dass Sie ausgerechnet einen Schuss gehört haben? Könnte es nicht die Fehlzündung eines Autos gewesen sein oder irgendein anderes lautes Geräusch von der Straße?»
Er blinzelte einige Male und blickte hilfesuchend zu Landén.
«Das kam nicht von der Straße», sagte er und zeigte zur Zimmerdecke. « Das kam von Lindholms. Da bin ich mir fast sicher.»
Nina spürte, wie sich alles zu drehen begann, und erhob sich hastig. Sie biss die Zähne zusammen, um einen Aufschrei zu unterdrücken.
«Danke», sagte sie. «Wir kommen später nochmal wieder, um Ihre Aussage zu Protokoll zu nehmen.»
Der Mann fing wie der von seinem Kaffee an, aber sie verließ die Wohnung und lief die Stufen zum nächsten Stockwerk hinauf, nahm immer zwei auf einmal, bis sie vor Davids und Julias Tür stand.
David und Julia Lindholm.
Ich weiß nicht, ob ich das aushalte, Nina.
Du hast doch hoffentlich nichts Dummes gemacht, Julia?
Sie drehte sich um und gab Sundström und Landén ein Zeichen, die Treppenabsätze oberhalb und unterhalb der Etage zu sichern. Dann winkte sie Andersson zu sich an die Wohnungstür. Sie stellten sich links und rechts neben dem Türrahmen auf, um aus der Schussbahn zu sein.
Vorsichtig berührte Nina die Tür. Verschlossen. Sie wusste, dass die Tür automatisch ins Schloss fiel, so fern man sie nicht blockierte. Sie zog ihren Teleskopschlagstock aus dem Gürtel und ließ ihn mit einer leichten Handbewegung ausfahren. Dann steckte sie die Spitze in den Briefschlitz und spähte vorsichtig durch den Spalt.
In der Diele brannte Licht. Ein schwacher Luftzug kam aus der Wohnung, es roch nach Druckerschwärze und Essen. Sie erkannte eine Tageszeitung, die hinter der Tür lag. Rasch drehte sie den Schlagstock um und steckte ihn schräg in den Briefschlitz, damit die Klappe offen blieb. Dann zog sie ihre Waffe, lud sie durch und signalisierte den anderen, dass von nun an erhöhte Alarmbereitschaft galt. Sie nickte Richtung Türklingel, zum Zeichen, dass sie sich nun zu erkennen geben werde.
Die Waffe auf den Boden gerichtet, drückte sie auf den Klingelknopf und hörte es in der Wohnung läuten. «Polizei», rief sie. «Aufmachen!»
Sie horchte angestrengt.
Keine Reaktion.
«Julia!», rief sie mit etwas leiserer Stimme. «Julia, ich bin es, Nina. Mach auf. David?»
© 2008 by Rowohlt Verlag GmbH
«Hier rührt sich nichts, soweit ich feststellen kann. Welche Hausnummer soll das sein? Kommen.»
Der Diensthabende nannte die Adresse, und ihr wurde eiskalt: Das ist Julias Nummer, das ist Julias und Davids Adresse.
Und er hat eine Wohnung in Söder, Nina! Gott, wird das schön sein, endlich raus zukommen aus diesem Loch!
Nimm ihn nicht nur wegen der Wohnung, Julia ...
«Fahrt hin und seht euch um, 1617, unauffällig ...»
Sie ließ die Seitenscheiben herunter, um die Geräusche der Straße besser hören zu können, legte den Gang ein, löschte die Scheinwerfer und fuhr langsam zu der wohl-bekannten Adresse, ohne Blaulicht und Martinshorn. Andersson hatte sich wieder gefangen und beugte sich vor zur Windschutzscheibe.
«Glaubst du, hier ist was?», fragte er.
Ich hoffe bei Gott, dass hier nichts ist!
Sie hielt vor dem Haus und stellte den Motor ab, beugte sich vor und spähte die graue Betonfassade hinauf. Aus einem Fenster im zweiten Stock fiel Licht.
«Wir müssen selbstverständlich davon ausgehen, dass die Situation kritisch ist», sagte sie kurz angebunden und griff wie der nach dem Funkgerät.« 1617 hier, wir sind vor Ort, im Haus scheinen Leute wach zu sein. Sollen wir auf 9070 warten? Kommen.»
«9070 ist draußen in Djursholm», erwiderte der Kollege in der Leitstelle.
«Die Nobel-Morde ? », wunderte sich Andersson, und Nina winkte ihm zu, dass er still sein solle.
«Sind andere Wagen in der Gegend ? Oder das Einsatzkommando? Kommen», sagte sie ins Mikrofon. «Kanalwechsel», sagte der Wachhabende. «An alle, wir gehen auf 06.»
«Schlimme Geschichte, das mit den Nobel-Morden », sagte Andersson. «Hast du gehört, dass sie das Schwein gefasst haben?»
Im Wagen wurde es still. Nina merkte, wie die schusssichere Weste an den Lendenwirbeln drückte. Andersson wurde unruhig und spähte die Fassade hinauf.
«Kann ja genauso gut auch falscher Alarm sein», sagte er, um seinen Enthusiasmus zu dämpfen.
Lieber Gott, mach, dass es falscher Alarm ist!
Im Funkgerät rauschte es, jetzt auf einer Einzelfrequenz. «So, dann wollen wir mal sehen, sind al le auf Empfang? 1617, kommen.»
Sie drückte wieder den Sendeknopf, fühlte ihren Mund trocken werden, hielt sich krampf haft an Formalitäten und Routinen fest.
«06, wir sind drauf, kommen.»
Die anderen antworteten ebenfalls, zwei Streifen in der City und eine am Stadtrand.
«Das Einsatzkommando ist momentan nicht erreichbar», sagte der Wachhabende. «Aber 9070 ist unterwegs. Hoffman, du leitest den Einsatz, bis wir den Mannschaftswagen vor Ort haben. So, teilt euch jetzt auf, es fahren nicht alle hin. Riegelt das Viertel ab, positioniert die Wagen strategisch. Stille Anfahrt für alle.»
Im selben Moment bog ein Streifenwagen am anderen Ende in die Bondegatan ein. Er hielt einen Block entfernt, die Scheinwerfer erloschen, als der Motor abgestellt wurde.
Nina öffnete die Fahrertür und stieg aus, die Tritte ihrer schweren Stiefel hallten durch die Straße. Sie drückte den Kopfhörer des Headsets ins Ohr, während sie die Kofferraumklappe des Wagens öffnete.
«Schild und Schlagstock», sagte sie zu Andersson und stellte das tragbare Funkgerät auf den Kanal ein.
«1980, seid ihr das da hinten?», sagte sie leise ins Mikrofon an ihrer rechten Schulter.
«Korrekt», antwortete einer der Polizisten und hob die Hand.
«Ihr geht mit rein», sagte sie.
Den anderen Streifenwagen gab sie Anweisung, das Wohnviertel abzuriegeln und Position zu beziehen: einer an der Ecke Skånegatan/Södermannagatan, der andere gegenüber an der Östgötagatan.
Andersson wühlte zwischen Notverbandskasten, Feuerlöschern, Spaten, Leuchtraketen, Lampen, Desinfektionsgel, Absperrband, Warndreiecken, Formularen und all dem anderen Gerümpel herum, das sich im Kofferraum angehäuft hatte.
«1617 an 70», sagte sie ins Funkgerät. «Hast du den Namen des Anrufers?»
Kurzes Schweigen.
«Erlandsson, Gunnar, zweiter Stock.»
Sie sah an der Sechziger-Jahre-Fassade mit ihren quadratischen Fenstern hinauf und stellte fest, dass hinter einer rotweiß karierten Gar di ne im zweiten Stock ein Licht leuchtete.
«Er ist wach. Wir gehen rein.»
Die beiden Polizisten kamen herüber, stellten sich als Sundström und Landén vor. Sie nickte kurz und tippte an der Klingelanlage den Haustürcode ein. Keiner der anderen reagierte da rauf, dass sie den Code kannte. Sie trat in den Hausflur und stellte gleichzeitig das Funkgerät auf geringste Lautstärke. Die Kollegen folgten ihr stumm. Andersson, der das Schlusslicht bildete, hakte die Tür fest, sodass sie weit offenstand und einen Rückzugsweg auf die Straße frei hielt.
Das Treppenhaus war dunkel und wie ausgestorben. Das einzige Licht schien aus dem rechteckigen Glasfenster in der Aufzugstür.
«Gibt es einen Hinterhof?», fragte Landén leise.
«Am Fahrstuhl vorbei», flüsterte Nina. «Die rechte Tür geht zum Keller. »
Landén und Sundström kontrollierten jeder eine Tür, beide waren abgeschlossen.
«Aufzugtür sperren», sagte sie zu Andersson.
Ihr Kollege blockierte die Tür, sodass niemand den Lift holen konnte, dann stellte er sich an die Treppe und wartete auf ihre Befehle.
Sie fühlte die Panik in ihrem Hinterkopf hämmern, und um sie zu bezwingen, rief sie sich die Vorschriften aus dem Lehrbuch in Erinnerung.
Zuerst eine Einschätzung der Lage vornehmen. Treppenhaus sichern. Mit der Person reden, die Meldung erstattet hat, und den Ort des Schusswechsels lokalisieren.
«Wir sehen uns erstmal um», sagte sie und ging rasch und vorsichtig die Treppe hinauf, Stockwerk für Stockwerk. Andersson folgte ihr, hielt immer eine Etage Abstand.
In der Stille des Treppenhauses hörte sie ihre Uniform bei jeder Bewegung rascheln. Es roch nach Scheuerpulver. Sie konnte die Anwesenheit der Menschen hinter den geschlossenen Türen ahnen, ohne sie wirklich zu hören; ein Bett mit knackenden Sprungfedern, ein tropfender Wasserhahn.
Hier ist nichts, alles okay alles so, wie es sein soll.
Schließlich erreichte sie, ein wenig außer Atem, die Dachgeschosswohnungen. Diese Etage unterschied sich von den anderen; der Boden war aus Marmor, und es gab eigens angefertigte Sicherheitstüren. Nina wusste, dass die Wohnungsbaugenossenschaft den Dachboden Ende der achtziger Jahre zu Luxuswohnungen hatte ausbauen lassen; sie waren genau zu der Zeit fertig geworden, als der Immobilienmarkt zusammenbrach. Die Wohnungen hatten einige Jahre leer gestanden, was die Genossenschaft an den Rand des Bankrotts brachte. Inzwischen waren sie natürlich irrsinnig teuer, aber David war immer noch verärgert darüber, wie sehr der damalige Genossenschaftsvorstand sich in dem Punkt verschätzt hatte.
Andersson tauchte völlig außer Atem neben ihr auf. Ni na spürte die ärgerliche Enttäuschung des Kollegen, als er sich den Schweiß von der Stirn wischte.
«Scheint falscher Alarm gewesen zu sein », keuchte er.
« Mal sehen, was uns der Anrufer zu sagen hat», er widerte Nina und ging die Treppe wieder hinunter.
Im zweiten Stock warteten Sundström und Landén vor der Tür mit dem Schild ERLANDSSON, G&A.
Nina klopfte vorsichtig.
Keine Reaktion.
Hinter ihr trat Andersson ungeduldig von einem Bein aufs andere.
Sie klopfte wieder, deutlich fester diesmal.
Ein Mann in blaugestreiftem Frottébademantel erschien in der Öffnung hinter einer dicken Sicherheitskette.
«Gunnar Erlandsson? Polizei », sagte Nina und hielt ihre Dienstmarke hoch. «Sie hatten verdächtige Geräusche gemeldet. Dürfen wir herein kommen?»
Der Mann schloss die Tür, hantierte einige Sekunden mit der Kette und öffnete sie dann wieder.
«Treten Sie ein», flüsterte er. «Möchten Sie einen Kaffee? Meine Frau hat eine Biskuitrolle gebacken, mit selbstgemachter Rhabarbermarmelade. Sie schläft noch, wissen Sie, zur zeit hat sie ziemliche Probleme mit dem Einschlafen und deshalb eine Tablette genommen ...»
Nina trat in die Diele. Es war genau die gleiche Wohnung wie die von David und Julia, nur deutlich gepflegter.
«Bitte machen Sie sich wegen uns keine Umstände», sagte Nina.
Sie merkte, dass Erlandsson seine Worte an Landén gerichtet hatte, den größten der Männer. Jetzt sah er verwirrt von einem zum anderen und wusste nicht, wo er den Blick lassen sollte.
«Herr Erlandsson», sagte Nina und legte ihre Hand sachte auf seinen Oberarm. «Können wir irgendwo in Ruhe über Ihren Anruf sprechen?»
Der Mann erstarrte.
«Sicher», sagte er. «Ja, sicher, natürlich.»
Er ging ihnen voraus in ein penibel aufgeräumtes Wohnzimmer mit braunen Ledersofas und dicken Teppichen auf dem Fußboden. Aus alter Gewohnheit ließ er sich in einem Sessel vor dem Fernseher nieder, und Nina setzte sich auf das Sofa gegenüber.
«Würden Sie uns bitte berichten, was passiert ist?»
Der Mann schluckte, und sein Blick irrte immer noch zwischen den Polizisten hin und her.
«Ich bin aufgewacht», sagte er. «Ich bin von einem Geräusch aufgewacht, einem Knall. Es hörte sich an wie ein Schuss.»
«Was hat Sie zu der Vermutung veranlasst, dass es sich um einen Schuss handelte?», fragte Nina.
«Ich lag im Bett und wusste erst nicht, ob ich geträumt hatte, aber dann hörte ich noch einen Knall.»
Der Mann griff nach einer Brille und putzte sie hektisch. «Sind Sie Jäger?», erkundigte sich Nina.
Gunnar Erlandsson starrte sie erschrocken an.
«Nein, Gott bewahre», sagte er. «Unschuldige Tiere ermorden gehört für mich ins finsterste Mittelalter.»
«Wenn Sie sich mit Schusswaffen nicht auskennen », sagte Nina, «was hat Sie dann auf die Idee gebracht, dass Sie ausgerechnet einen Schuss gehört haben? Könnte es nicht die Fehlzündung eines Autos gewesen sein oder irgendein anderes lautes Geräusch von der Straße?»
Er blinzelte einige Male und blickte hilfesuchend zu Landén.
«Das kam nicht von der Straße», sagte er und zeigte zur Zimmerdecke. « Das kam von Lindholms. Da bin ich mir fast sicher.»
Nina spürte, wie sich alles zu drehen begann, und erhob sich hastig. Sie biss die Zähne zusammen, um einen Aufschrei zu unterdrücken.
«Danke», sagte sie. «Wir kommen später nochmal wieder, um Ihre Aussage zu Protokoll zu nehmen.»
Der Mann fing wie der von seinem Kaffee an, aber sie verließ die Wohnung und lief die Stufen zum nächsten Stockwerk hinauf, nahm immer zwei auf einmal, bis sie vor Davids und Julias Tür stand.
David und Julia Lindholm.
Ich weiß nicht, ob ich das aushalte, Nina.
Du hast doch hoffentlich nichts Dummes gemacht, Julia?
Sie drehte sich um und gab Sundström und Landén ein Zeichen, die Treppenabsätze oberhalb und unterhalb der Etage zu sichern. Dann winkte sie Andersson zu sich an die Wohnungstür. Sie stellten sich links und rechts neben dem Türrahmen auf, um aus der Schussbahn zu sein.
Vorsichtig berührte Nina die Tür. Verschlossen. Sie wusste, dass die Tür automatisch ins Schloss fiel, so fern man sie nicht blockierte. Sie zog ihren Teleskopschlagstock aus dem Gürtel und ließ ihn mit einer leichten Handbewegung ausfahren. Dann steckte sie die Spitze in den Briefschlitz und spähte vorsichtig durch den Spalt.
In der Diele brannte Licht. Ein schwacher Luftzug kam aus der Wohnung, es roch nach Druckerschwärze und Essen. Sie erkannte eine Tageszeitung, die hinter der Tür lag. Rasch drehte sie den Schlagstock um und steckte ihn schräg in den Briefschlitz, damit die Klappe offen blieb. Dann zog sie ihre Waffe, lud sie durch und signalisierte den anderen, dass von nun an erhöhte Alarmbereitschaft galt. Sie nickte Richtung Türklingel, zum Zeichen, dass sie sich nun zu erkennen geben werde.
Die Waffe auf den Boden gerichtet, drückte sie auf den Klingelknopf und hörte es in der Wohnung läuten. «Polizei», rief sie. «Aufmachen!»
Sie horchte angestrengt.
Keine Reaktion.
«Julia!», rief sie mit etwas leiserer Stimme. «Julia, ich bin es, Nina. Mach auf. David?»
© 2008 by Rowohlt Verlag GmbH
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Autoren-Porträt von Liza Marklund
1962 geboren, wuchs in Nordschweden auf. Jahrelang hat sie für verschiedene Zeitungen und Fernsehsender gearbeitet. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Stockholm und ist nach wie vor als Reporterin tätig. Für ihren Roman "Olympisches Feuer" wurde sie von der Schwedischen Krimiakademie mit dem Poloni-Preis für das beste Debüt des Jahres 1998 ausgezeichnet. Anne Helene Bubenzer, geboren 1973 in Siegen, studierte in Freiburg i. Br. und Oslo Skandinavistik, Anglistik und Germanistik und hat als freie Autorin, Lektorin und Übersetzerin gearbeitet. Sie starb im Herbst 2022 an ALS.
Bibliographische Angaben
- Autor: Liza Marklund
- 2012, 4. Aufl., 496 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Dagmar Lendt, Anne Helene Bubenzer
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499239019
- ISBN-13: 9783499239014
- Erscheinungsdatum: 23.03.2010
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