Kolyma / Leo Demidow Bd.2
Thriller
Moskau, 1956: Leos Adoptivtochter Zoya wird entführt. Wenn er sie wiedersehen will, muss er einen Gefangenen befreien, der in Kolyma sitzt, im schlimmsten aller Lager in Sibirien. Leo lässt sich als Gefangener nach Kolyma einschleusen. Doch schon am ersten Tag wird er enttarnt.
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Produktinformationen zu „Kolyma / Leo Demidow Bd.2 “
Moskau, 1956: Leos Adoptivtochter Zoya wird entführt. Wenn er sie wiedersehen will, muss er einen Gefangenen befreien, der in Kolyma sitzt, im schlimmsten aller Lager in Sibirien. Leo lässt sich als Gefangener nach Kolyma einschleusen. Doch schon am ersten Tag wird er enttarnt.
Klappentext zu „Kolyma / Leo Demidow Bd.2 “
Der zweite Band der Thrillerreihe um den Geheimdienstoffizier Leo DemidowKolyma - das ist der Vorhof der Hölle. Am äußersten Rand von Sibirien gelegen, tausende Kilometer von Moskau entfernt, gibt es hier nur Steine, Schnee, Permafrost - und Lager. Die schlimmsten Gulags der Sowjetunion. In diese eisige Wüste lässt Leo Demidow sich einschmuggeln, denn seine Tochter wurde entführt, und ihr Leben steht auf dem Spiel. Doch als einer der Mithäftlinge ihn als ehemaligen KGB-Agenten enttarnt, sitzt Leo plötzlich in einer tödlichen Falle ...
Lese-Probe zu „Kolyma / Leo Demidow Bd.2 “
Kolyma von Tom Rob SmithSowjetunion
Moskau
3. Juni 1949
Im Großen Vaterländischen Krieg hatte er zur Verteidigung von Stalingrad die Brücke von Kalatsch gesprengt. Fabriken hatte er mit Dynamit präpariert und danach in Schutt und Asche gelegt und Raffinerien, die nicht mehr zu verteidigen waren, in Brand gesetzt, bis überall am Horizont Säulen brennenden Öls gelodert hatten. Alles, was die einfallende Wehrmacht vielleicht requirieren konnte, hatte er in aller Eile zerstört. Mochten seine Landsleute auch Tränen vergießen, wenn ihre Heimatstädte in sich zusammenfielen, ihn hatte der Anblick der Zerstörung mit grimmiger Genugtuung erfüllt. Der Feind würde ein verwüstetes Land erobern, verbrannte Erde und einen rauchenden Himmel. Oft hatte er mit dem improvisieren müssen, was gerade zur Hand war, mit Panzergranaten oder Glasflaschen, das Benzin hatte er sich aus liegen gebliebenen Militärlastwagen abgesaugt. Er hatte sich beim Staat den Ruf eines Mannes erarbeitet, auf den Verlass war. Nie hatte er die Nerven verloren und nie einen Fehler gemacht, auch dann nicht, wenn er unter extremen Bedingungen operierte, in eiskalten Winternächten, bis zur Hüfte in reißenden Flüssen oder unter Feindbeschuss. Für einen Mann mit seiner Erfahrung und seinem Temperament war die heutige Aufgabe eigentlich eine Routineangelegenheit. Er musste sich nicht beeilen, und ihm pfiffen auch keine Kugeln um die Ohren. Dennoch zitterten seine Hände, die doch eigentlich als die ruhigsten in seiner gesamten Zunft galten. Schweißtropfen rannen ihm in die Augen und zwangen ihn, sie mit einem Hemdzipfel abzutupfen. Ihm war schlecht wie einem Anfänger. Denn es war das erste Mal, dass der fünfzigjährige Kriegsheld Jekabs Duwakin eine Kirche in die Luft jagen sollte.
Eine Sprengladung musste noch angebracht werden, direkt
... mehr
vor ihm im Altarraum. Den Altar selbst hatte man ebenso fortgeschafft wie die Ikonostase, die heiligen Ikonen und die Kerzenleuchter. Bis auf das Dynamit, das er in die Fundamente gegraben und an den tragenden Säulen befestigt hatte, war die Kirche leer, entweiht und vollkommen geplündert. Sogar das Blattgold hatte man von den Wänden gekratzt. Nichts war mehr übrig außer dem riesigen, Ehrfurcht gebietenden Raum selbst, dessen Hauptkuppel mit ihrer Krone aus Buntglasfenstern ganz oben so sehr vom Tageslicht erfüllt war, dass sie ihm erschien wie ein Teil des Himmels selbst. Jekabs legte den Kopf in den Nacken und bewunderte mit offenem Mund die Spitze der Kuppel etwa fünfzig Meter über ihm. Sonnenstrahlen fielen durch die hohen Fenster und strahlten Fresken an, die schon bald in die Luft fliegen sollten, eine Million Farbtupfer, zerstäubt in alle Einzelteile. Als wolle es nach ihm greifen, breitete sich das Licht über den glatten Steinboden bis fast zu ihm hin aus, eine ausgestreckte, goldene Hand.
»Es gibt keinen Gott«, murmelte er.
Er wiederholte die Worte, diesmal lauter, das Echo hallte von den Wänden der Kuppel wider: » Es gibt keinen Gott!«
Schließlich war ein Sommertag, logisch, dass es da hell war. Das war kein Zeichen. Kein göttliches Zeichen. Das Licht hatte nichts zu bedeuten. Er grübelte zu viel, das war das Problem. Dabei glaubte er gar nicht an Gott. Er versuchte sich die vielen antireligiösen Maximen ins Gedächtnis zu rufen, die der Staat ausgab.
DIE RELIGION GEHÖRTE EINEM ZEITALTER AN,
IN DEM JEDER FÜR SICH SELBST WAR.
UND GOTT WAR FÜR ALLE.
Dieses Gebäude war nicht heilig oder gesegnet. Er musste es sehen als das, was es war, nämlich Stein, Glas und Holzbalken, eine hundert Meter lange und sechzig Meter breite Kirche, die nichts produzierte und keine nachvollziehbare Funktion hatte. Ein archaisches Bauwerk, von einer Gesellschaft, die es nicht mehr gab, aus archaischen Beweggründen errichtet.
Jekabs lehnte sich zurück und strich mit der Hand über den kühlen Steinboden, den die Füße Hunderter, Tausender von Kirchgängern jahrhundertelang blank gescheuert hatten. Überwältigt vom Ausmaß dessen, was er im Begriff war zu tun, kämpfte er gegen das Gefühl an, so als ob ihm etwas im Halse stecken geblieben sei. Doch das ging vorbei. Er war müde und überarbeitet, mehr nicht.
Normalerweise wurde er bei einer Sprengung wie dieser von einer ganzen Mannschaft unterstützt. In diesem Fall hatte er sich jedoch dafür entschieden, seine Männer nur am Rande zu beteiligen. Wozu die Kollegen unnötig in etwas hineinziehen? Keiner von ihnen dachte so klar wie er. Nicht alle hatten sämtliche religiösen Gefühle aus ihrem Herzen verbannt. Er wollte nicht mit Männern zusammenarbeiten, die nicht vollkommen hinter der Sache standen.
Fünf Tage arbeitete er nun schon vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang. Er hatte jede Sprengladung selbst angebracht und sie so positioniert, dass das Gebäude auf jeden Fall nach innen in sich zusammenfallen würde, eine Kuppel fein säuberlich über der anderen. Eine Sprengung war beileibe keine chaotische Angelegenheit, ganz im Gegenteil. Sorgfalt und Präzision zeichnete seine Arbeit aus, und auf diese Kunst war er besonders stolz. Dieses Bauwerk hier stellte eine ungewöhnliche Herausforderung dar. Nicht etwa wegen der moralischen Frage, sondern wegen der intellektuellen Aufgabe. Angesichts des Glockenturms und der fünf vergoldeten Kuppeln, deren größte auf achtzig Meter hohen Bögen ruhte, würde die heutige Sprengung einen würdigen Abschluss seiner Karriere darstellen. Danach hatte man ihm den vorzeitigen Ruhestand versprochen. Selbst davon, ihm den Lenin-Orden zu verleihen, war die Rede gewesen, Lohn für einen Auftrag, den sonst keiner übernehmen wollte.
Er schüttelte den Kopf. Er sollte nicht hier sein. Er sollte so etwas nicht tun. Er hätte sich krankmelden sollen. Er hätte jemand anderen zwingen sollen, die alles entscheidende Sprengladung anzubringen. Das hier war keine Arbeit für einen Helden. Aber wenn man sich vor der Arbeit drückte, waren die Risiken viel größer und viel realer als irgendeine abergläubische Idee, dass der Auftrag verflucht sein könnte. Er hatte eine Familie zu beschützen, seine Frau und eine Tochter. Und die beiden liebte er über alles.
Lasar stand in der Menge, die in einem Sicherheitsabstand von hundert Metern von der Kirche der Heiligen Sophia ferngehalten wurde. Sein ernstes Gebaren stach aus dem aufgeregten Geschnatter der Menschen um ihn herum heraus. Das war die Sorte Leute, dachte er, die wohl auch zu einer öffentlichen Hinrichtung gekommen wären, nicht aus Überzeugung, sondern einfach nur wegen des Spektakels, weil was los war. Die Stimmung war ausgelassen, voller Vorfreude sprudelten die Gespräche. Kinder wippten auf den Schultern ihrer Väter, sie konnten kaum erwarten, dass es losging. Eine Kirche allein reichte ihnen nicht, die Kirche musste schon in sich zusammenfallen, damit sie ihren Spaß hatten.
Vorne an der Absperrung bauten auf einer eigens errichteten erhöhten Bühne Filmleute ihre Stative und Kameras auf. Dabei diskutierten sie, aus welchem Blickwinkel man die Sprengung wohl am besten aufnehmen konnte. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass man auch ja alle fünf Kuppeln im Visier hatte, und es wurde ernsthaft darüber spekuliert, ob sie wohl schon in der Luft auseinanderbrechen würden, wenn sie ineinanderkrachten, oder erst auf der Erde. Das hing, vermutete man, vom Können der Experten ab, die da drinnen das Dynamit anbrachten.
Lasar fragte sich, ob ein paar in der Masse wohl auch traurig waren. Auf der Suche nach Gesinnungsgenossen blickte er nach rechts und nach links – in einiger Entfernung stand ein Ehepaar, beide stumm und aschfahl im Gesicht, die ältere Frau ganz am Rand hatte eine Hand in der Jackentasche stecken. Sie verbarg etwas, vielleicht ein Kruzifix. Lasar hätte gern die Menge geteilt, die Trauernden von den Schaulustigen getrennt. Er hätte gern an der Seite derer gestanden, die begriffen, was hier verloren gehen würde: eine dreihundert Jahre alte Kirche, erbaut nach dem Vorbild der Kathedrale der Heiligen Sophia in Gorki, deren Namen sie auch trug. Bürgerkriege und Weltkriege hatte sie überdauert, und der jüngste Bombenschaden war eher ein Grund gewesen, sie zu erhalten, als sie zu zerstören. Mit Wut im Bauch hatte Lasar den Artikel in der Prawda gelesen, in dem von Baufälligkeit die Rede gewesen war – nichts weiter als ein Vorwand, um das Bevorstehende erträglich zu machen. Der Staat hatte die Zerstörung der Kirche befohlen. Aber noch schlimmer, sogar viel schlimmer war, dass die Orthodoxe Kirche dem Dekret zugestimmt hatte. Beide Parteien, die sich dieses Vergehens schuldig machten, schoben vor, dass es sich um eine rein pragmatische und nicht etwa um eine ideologische Entscheidung handle. Sie hatten eine ganze Liste von Gründen erstellt. Da waren zunächst einmal die durch die deutsche Luftwaffe verursachten Schäden. Dann bedurfte das Kircheninnere einer aufwendigen Restaurierung, für die indes kein Geld da war. Und schließlich wurde der Grund und Boden mitten in der Stadt für ein wichtiges Bauprojekt benötigt. Alle, die etwas zu sagen hat ten, waren einer Meinung: Diese Kirche, die noch nicht einmal zu den wichtigsten Moskaus zählte, sollte abgerissen werden.
Was sich hinter dieser beschämenden Argumentation verbarg, war Feigheit. Nachdem die kirchlichen Würdenträger während des Krieges sämtliche Gemeinden hinter Stalin versammelt hatten, waren sie jetzt nur mehr Instrumente des Staates, ein Ministerium des Kremls. Der Abriss war eine Demonstration dieser Unterwerfung. Diese Sprengung hier diente nur einem einzigen Zweck, nämlich die Ergebenheit der Kirche zu beweisen. Ein himmelschreiender Akt der Selbstverstümmelung, um zu zeigen, wie harmlos, fügsam und bezähmt die Religion war. Man brauchte sie gar nicht mehr weiter zu verfolgen.
Lasar verstand die Taktik hinter diesem Opfer. War es nicht besser, eine einzige Kirche zu verlieren als alle? Als junger Mann war er Zeuge geworden, wie theologische Seminare in Arbeiterbaracken umfunktioniert worden waren und Kirchen in antireligiöse Ausstellungsräume. Ikonen hatte man als Feuerholz benutzt, Priester inhaftiert, gefoltert und exekutiert. Permanente Verfolgung oder kritiklose Unterwürfigkeit – das waren die Alternativen gewesen.
Jekabs hörte das Lärmen der Menge, die sich draußen versammelte, wie sie aufgeregt wartete, dass es endlich losging. Er war spät dran, eigentlich hätte er schon so weit sein sollen. Doch in den letzten fünf Minuten hatte er nichts unternommen, hatte nur die letzte Sprengladung angestarrt und sich nicht gerührt. Hinter sich hörte er das Quietschen der Tür und blickte über die Schulter. Es war sein Kollege und Freund, er verharrte auf der Türschwelle, als ob er Angst habe einzutreten. Er rief ihn an, seine Stimme hallte von den Wänden wider.
»Jekabs! Was ist los?«
» Gar nichts«, antwortete Jekabs. » Bin gleich so weit.«
Sein Freund zögerte einen Augenblick, dann fuhr er mit leiserer Stimme fort: »Heute Abend betrinken wir uns, wir zwei, und feiern deine Pensionierung. Morgen früh hast du bestimmt fürchterliche Kopfschmerzen, aber abends geht es dir dann schon besser.«
Jekabs musste lächeln angesichts dieses Trostversuchs seines Freundes. Die Schuldgefühle würden auch nicht schlimmer sein als ein Kater, sie würden verschwinden.
»Noch fünf Minuten.«
Und damit ließ sein Freund ihn in Ruhe.
Wie in der schlechten Parodie eines Gebets, schweißtriefend, kniete Jekabs sich mit schlüpfrigen Fingern hin. Er wischte sich das Gesicht ab, aber das brachte nichts, sein Hemd war schon klatschnass. Bring die Sache zu Ende! Danach würde er nie wieder arbeiten müssen. Morgen würde er mit seiner kleinen Tochter am Fluss spazieren gehen. Und übermorgen würde er ihr etwas kaufen und zusehen, wie sie sich freute. Ende nächster Woche hätte er die Kirche schon vergessen, ihre fünf goldenen Kuppeln und wie sich ihr kalter Steinboden angefühlt hatte.
Hastig griff er nach dem Zünder und hockte sich vor das Dynamit.
Buntglas schoss in alle Richtungen aus der Kirche heraus, als in einem Augenblick sämtliche Fenster unten und oben gleichzeitig barsten und die Luft mit farbenfrohen Bruchstücken füllten. Die eben noch solide Rückwand wurde in eine sich auftürmende Staubwolke verwandelt. Scharfe Steinbrocken flogen in hohem Bogen nach oben und krachten dann auf die Erde, fraßen sich durch die Grasnarbe und schlitterten auf die Menge zu. Die kümmerliche Absperrung bot keinen Schutz, mit lautem
Scheppern flog sie zur Seite. Links und rechts von Lasar gingen Menschen zu Boden, weil sie von den Beinen gerissen wurden. Auf den Schultern ihrer Väter hielten sich Kinder die Hände vor die von sirrenden Stein- und Glassplittern zerschnittenen Gesichter. Als wäre sie eins, ein Schwarm, stob die Menge davon, duckte sich, einer suchte Schutz hinter dem anderen aus Angst, dass die Trümmer sie zerfetzen würden. Niemand hatte damit gerechnet, dass es schon losging, viele hatten noch nicht einmal hingesehen. Die Filmkameras waren noch nicht bereit. In der Einsturzzone, die man entweder hoffnungslos unterschätzt oder wo man die Wucht der Explosion verkannt hatte, befanden sich noch Arbeiter.
Mit klingelnden Ohren stand Lasar auf und starrte auf die Staubfahnen, bis sie sich wieder legten. Als die Wolke sich langsam auflöste, enthüllte sie ein Loch in der Wand, das so hoch und breit war wie zwei Männer. Es sah aus, als hätte ein Riese aus Versehen seine Stiefelspitze in die Kirche gesetzt und dann peinlich berührt den Fuß wieder zurückgezogen, um die übrige Kirche nicht auch noch zu beschädigen. Lasar blickte hoch zu den goldenen Kuppeln. Die Umstehenden folgten seinem Blick, und jeder dachte dasselbe: Würden die Türme zusammenfallen?
Aus dem Augenwinkel konnte Lasar sehen, wie die Filmcrew fieberhaft die Kameras ans Laufen brachte, den Staub von den Linsen wischte und die Stative stehen ließ, um nur ja die Szene aufzunehmen. Wenn sie den Einsturz verpassten, egal aus welchem Grund, dann ging es ihnen an den Kragen. Ungeachtet der Gefahr lief keiner von ihnen weg, alle blieben auf ihren Posten und warteten auf die kleinste Bewegung, ein Kippen oder Ruckeln ... ein Zittern. Einen Moment lang schien es, als würden selbst die Verletzten in gespannter Erwartung verharren.
Die fünf Kuppeln stürzten nicht ein, majestätisch überragten sie das Chaos zu ihren Füßen. Denn während die Kirche stehen blieb, waren in der Menge viele verwundet, sie bluteten und schrien. Und als ob sich plötzlich der Himmel verdunkelt hätte, spürte Lasar, wie die Stimmung unter den Leuten kippte. Zweifel machten sich breit. War eine überirdische Macht eingeschritten und hatte dieses Verbrechen unterbunden? Die Schaulustigen fingen an, sich zu zerstreuen, eilten schließlich davon. Keiner wollte mehr zusehen. Mit Mühe unterdrückte Lasar ein Lachen. Die Menge war zerstoben, aber die Kirche hatte überdauert! Er wandte sich in der Hoffnung, den Anblick gemeinsam mit ihnen genießen zu können, zu dem älteren Ehepaar um.
Der Mann stand direkt hinter Lasar, so nahe, dass sie sich fast berührten. Lasar hatte sein Näherkommen nicht bemerkt. Der Mann lächelte, aber seine Augen waren kalt. Er trug weder eine Uniform noch zeigte er seinen Ausweis. Trotzdem bestand kein Zweifel, dass er zur Staatssicherheit gehörte. Das war ein Geheimpolizist, ein Mitglied des MGB. Lasar konnte es nicht etwa aus dem schließen, was der Mann tat, sondern aus dem, was er nicht tat. Rechts und links lagen Verletzte herum, doch der Mann zeigte kein Interesse an ihnen. Man hatte ihn in der Menge postiert, um die Reaktionen der Leute zu beobachten. Und Lasar hatte versagt. Als er sich hätte freuen sollen, war er traurig gewesen. Und als er hätte traurig sein sollen, hatte er sich gefreut.
Während der Mann ihn mit einem schmallippigen Lächeln ansprach, ruhten seine toten Augen unverwandt auf Lasar: »Eine kleine Panne, nur ein Malheur, das schnell behoben sein wird. Sie sollten dableiben. Vielleicht klappt es heute doch noch mit der Sprengung. Sie wollen doch bleiben, oder? Sie wollen doch sicher sehen, wie die Kirche einstürzt. Das wird ein ziemliches Schauspiel.«
»Ja.« Eine vorsichtige Antwort und sogar die Wahrheit. Lasar wollte tatsächlich bleiben. Dass die Kirche einstürzte, wollte er allerdings nicht, aber das würde er bestimmt nicht sagen.
Der Mann fuhr fort: »Auf diesem Gelände wird eines der größten Hallenbäder der Welt entstehen. Für die Gesundheit unserer Kinder. Die Gesundheit unserer Kinder ist wichtig. Wie heißen Sie?«
Die einfachste aller Fragen und doch gleichzeitig die furchteinflößendste.
» Ich heiße Lasar. «
»Was sind Sie von Beruf?«
Die Maskerade einer zwanglosen Plauderei war gefallen, jetzt war es ein offenes Verhör. Unterwerfung oder Verfolgung, Pragmatismus oder Prinzipien – Lasar musste sich entscheiden. Anders als viele seiner Mitbrüder, die sofort zu erkennen waren, hatte er immerhin die Wahl. Er musste ja nicht zugeben, dass er ein Priester war. Wladimir Lwow, der ehemalige Oberprokuror der Heiligen Synode, war der Ansicht gewesen, dass die Priester sich nicht mehr durch ihre Tracht absondern mussten, sondern stattdessen »ihre Priestergewänder abstreifen, die Haare schneiden und sich in normale Sterbliche verwandeln« durften. Lasar stimmte ihm zu. Mit seinem kurz geschorenen Bart und seinem unauffälligen Äußeren könnte er diesen Agenten nun anlügen. Er könnte seine Berufung verleugnen und hoffen, dass seine Lüge ihn schützen würde. Er arbeitete in einer Schuhfabrik oder war Tischler – egal was, nur nicht die Wahrheit. Der Agent wartete.
Übersetzung: Armin Gontermann
Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
»Es gibt keinen Gott«, murmelte er.
Er wiederholte die Worte, diesmal lauter, das Echo hallte von den Wänden der Kuppel wider: » Es gibt keinen Gott!«
Schließlich war ein Sommertag, logisch, dass es da hell war. Das war kein Zeichen. Kein göttliches Zeichen. Das Licht hatte nichts zu bedeuten. Er grübelte zu viel, das war das Problem. Dabei glaubte er gar nicht an Gott. Er versuchte sich die vielen antireligiösen Maximen ins Gedächtnis zu rufen, die der Staat ausgab.
DIE RELIGION GEHÖRTE EINEM ZEITALTER AN,
IN DEM JEDER FÜR SICH SELBST WAR.
UND GOTT WAR FÜR ALLE.
Dieses Gebäude war nicht heilig oder gesegnet. Er musste es sehen als das, was es war, nämlich Stein, Glas und Holzbalken, eine hundert Meter lange und sechzig Meter breite Kirche, die nichts produzierte und keine nachvollziehbare Funktion hatte. Ein archaisches Bauwerk, von einer Gesellschaft, die es nicht mehr gab, aus archaischen Beweggründen errichtet.
Jekabs lehnte sich zurück und strich mit der Hand über den kühlen Steinboden, den die Füße Hunderter, Tausender von Kirchgängern jahrhundertelang blank gescheuert hatten. Überwältigt vom Ausmaß dessen, was er im Begriff war zu tun, kämpfte er gegen das Gefühl an, so als ob ihm etwas im Halse stecken geblieben sei. Doch das ging vorbei. Er war müde und überarbeitet, mehr nicht.
Normalerweise wurde er bei einer Sprengung wie dieser von einer ganzen Mannschaft unterstützt. In diesem Fall hatte er sich jedoch dafür entschieden, seine Männer nur am Rande zu beteiligen. Wozu die Kollegen unnötig in etwas hineinziehen? Keiner von ihnen dachte so klar wie er. Nicht alle hatten sämtliche religiösen Gefühle aus ihrem Herzen verbannt. Er wollte nicht mit Männern zusammenarbeiten, die nicht vollkommen hinter der Sache standen.
Fünf Tage arbeitete er nun schon vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang. Er hatte jede Sprengladung selbst angebracht und sie so positioniert, dass das Gebäude auf jeden Fall nach innen in sich zusammenfallen würde, eine Kuppel fein säuberlich über der anderen. Eine Sprengung war beileibe keine chaotische Angelegenheit, ganz im Gegenteil. Sorgfalt und Präzision zeichnete seine Arbeit aus, und auf diese Kunst war er besonders stolz. Dieses Bauwerk hier stellte eine ungewöhnliche Herausforderung dar. Nicht etwa wegen der moralischen Frage, sondern wegen der intellektuellen Aufgabe. Angesichts des Glockenturms und der fünf vergoldeten Kuppeln, deren größte auf achtzig Meter hohen Bögen ruhte, würde die heutige Sprengung einen würdigen Abschluss seiner Karriere darstellen. Danach hatte man ihm den vorzeitigen Ruhestand versprochen. Selbst davon, ihm den Lenin-Orden zu verleihen, war die Rede gewesen, Lohn für einen Auftrag, den sonst keiner übernehmen wollte.
Er schüttelte den Kopf. Er sollte nicht hier sein. Er sollte so etwas nicht tun. Er hätte sich krankmelden sollen. Er hätte jemand anderen zwingen sollen, die alles entscheidende Sprengladung anzubringen. Das hier war keine Arbeit für einen Helden. Aber wenn man sich vor der Arbeit drückte, waren die Risiken viel größer und viel realer als irgendeine abergläubische Idee, dass der Auftrag verflucht sein könnte. Er hatte eine Familie zu beschützen, seine Frau und eine Tochter. Und die beiden liebte er über alles.
Lasar stand in der Menge, die in einem Sicherheitsabstand von hundert Metern von der Kirche der Heiligen Sophia ferngehalten wurde. Sein ernstes Gebaren stach aus dem aufgeregten Geschnatter der Menschen um ihn herum heraus. Das war die Sorte Leute, dachte er, die wohl auch zu einer öffentlichen Hinrichtung gekommen wären, nicht aus Überzeugung, sondern einfach nur wegen des Spektakels, weil was los war. Die Stimmung war ausgelassen, voller Vorfreude sprudelten die Gespräche. Kinder wippten auf den Schultern ihrer Väter, sie konnten kaum erwarten, dass es losging. Eine Kirche allein reichte ihnen nicht, die Kirche musste schon in sich zusammenfallen, damit sie ihren Spaß hatten.
Vorne an der Absperrung bauten auf einer eigens errichteten erhöhten Bühne Filmleute ihre Stative und Kameras auf. Dabei diskutierten sie, aus welchem Blickwinkel man die Sprengung wohl am besten aufnehmen konnte. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass man auch ja alle fünf Kuppeln im Visier hatte, und es wurde ernsthaft darüber spekuliert, ob sie wohl schon in der Luft auseinanderbrechen würden, wenn sie ineinanderkrachten, oder erst auf der Erde. Das hing, vermutete man, vom Können der Experten ab, die da drinnen das Dynamit anbrachten.
Lasar fragte sich, ob ein paar in der Masse wohl auch traurig waren. Auf der Suche nach Gesinnungsgenossen blickte er nach rechts und nach links – in einiger Entfernung stand ein Ehepaar, beide stumm und aschfahl im Gesicht, die ältere Frau ganz am Rand hatte eine Hand in der Jackentasche stecken. Sie verbarg etwas, vielleicht ein Kruzifix. Lasar hätte gern die Menge geteilt, die Trauernden von den Schaulustigen getrennt. Er hätte gern an der Seite derer gestanden, die begriffen, was hier verloren gehen würde: eine dreihundert Jahre alte Kirche, erbaut nach dem Vorbild der Kathedrale der Heiligen Sophia in Gorki, deren Namen sie auch trug. Bürgerkriege und Weltkriege hatte sie überdauert, und der jüngste Bombenschaden war eher ein Grund gewesen, sie zu erhalten, als sie zu zerstören. Mit Wut im Bauch hatte Lasar den Artikel in der Prawda gelesen, in dem von Baufälligkeit die Rede gewesen war – nichts weiter als ein Vorwand, um das Bevorstehende erträglich zu machen. Der Staat hatte die Zerstörung der Kirche befohlen. Aber noch schlimmer, sogar viel schlimmer war, dass die Orthodoxe Kirche dem Dekret zugestimmt hatte. Beide Parteien, die sich dieses Vergehens schuldig machten, schoben vor, dass es sich um eine rein pragmatische und nicht etwa um eine ideologische Entscheidung handle. Sie hatten eine ganze Liste von Gründen erstellt. Da waren zunächst einmal die durch die deutsche Luftwaffe verursachten Schäden. Dann bedurfte das Kircheninnere einer aufwendigen Restaurierung, für die indes kein Geld da war. Und schließlich wurde der Grund und Boden mitten in der Stadt für ein wichtiges Bauprojekt benötigt. Alle, die etwas zu sagen hat ten, waren einer Meinung: Diese Kirche, die noch nicht einmal zu den wichtigsten Moskaus zählte, sollte abgerissen werden.
Was sich hinter dieser beschämenden Argumentation verbarg, war Feigheit. Nachdem die kirchlichen Würdenträger während des Krieges sämtliche Gemeinden hinter Stalin versammelt hatten, waren sie jetzt nur mehr Instrumente des Staates, ein Ministerium des Kremls. Der Abriss war eine Demonstration dieser Unterwerfung. Diese Sprengung hier diente nur einem einzigen Zweck, nämlich die Ergebenheit der Kirche zu beweisen. Ein himmelschreiender Akt der Selbstverstümmelung, um zu zeigen, wie harmlos, fügsam und bezähmt die Religion war. Man brauchte sie gar nicht mehr weiter zu verfolgen.
Lasar verstand die Taktik hinter diesem Opfer. War es nicht besser, eine einzige Kirche zu verlieren als alle? Als junger Mann war er Zeuge geworden, wie theologische Seminare in Arbeiterbaracken umfunktioniert worden waren und Kirchen in antireligiöse Ausstellungsräume. Ikonen hatte man als Feuerholz benutzt, Priester inhaftiert, gefoltert und exekutiert. Permanente Verfolgung oder kritiklose Unterwürfigkeit – das waren die Alternativen gewesen.
Jekabs hörte das Lärmen der Menge, die sich draußen versammelte, wie sie aufgeregt wartete, dass es endlich losging. Er war spät dran, eigentlich hätte er schon so weit sein sollen. Doch in den letzten fünf Minuten hatte er nichts unternommen, hatte nur die letzte Sprengladung angestarrt und sich nicht gerührt. Hinter sich hörte er das Quietschen der Tür und blickte über die Schulter. Es war sein Kollege und Freund, er verharrte auf der Türschwelle, als ob er Angst habe einzutreten. Er rief ihn an, seine Stimme hallte von den Wänden wider.
»Jekabs! Was ist los?«
» Gar nichts«, antwortete Jekabs. » Bin gleich so weit.«
Sein Freund zögerte einen Augenblick, dann fuhr er mit leiserer Stimme fort: »Heute Abend betrinken wir uns, wir zwei, und feiern deine Pensionierung. Morgen früh hast du bestimmt fürchterliche Kopfschmerzen, aber abends geht es dir dann schon besser.«
Jekabs musste lächeln angesichts dieses Trostversuchs seines Freundes. Die Schuldgefühle würden auch nicht schlimmer sein als ein Kater, sie würden verschwinden.
»Noch fünf Minuten.«
Und damit ließ sein Freund ihn in Ruhe.
Wie in der schlechten Parodie eines Gebets, schweißtriefend, kniete Jekabs sich mit schlüpfrigen Fingern hin. Er wischte sich das Gesicht ab, aber das brachte nichts, sein Hemd war schon klatschnass. Bring die Sache zu Ende! Danach würde er nie wieder arbeiten müssen. Morgen würde er mit seiner kleinen Tochter am Fluss spazieren gehen. Und übermorgen würde er ihr etwas kaufen und zusehen, wie sie sich freute. Ende nächster Woche hätte er die Kirche schon vergessen, ihre fünf goldenen Kuppeln und wie sich ihr kalter Steinboden angefühlt hatte.
Hastig griff er nach dem Zünder und hockte sich vor das Dynamit.
Buntglas schoss in alle Richtungen aus der Kirche heraus, als in einem Augenblick sämtliche Fenster unten und oben gleichzeitig barsten und die Luft mit farbenfrohen Bruchstücken füllten. Die eben noch solide Rückwand wurde in eine sich auftürmende Staubwolke verwandelt. Scharfe Steinbrocken flogen in hohem Bogen nach oben und krachten dann auf die Erde, fraßen sich durch die Grasnarbe und schlitterten auf die Menge zu. Die kümmerliche Absperrung bot keinen Schutz, mit lautem
Scheppern flog sie zur Seite. Links und rechts von Lasar gingen Menschen zu Boden, weil sie von den Beinen gerissen wurden. Auf den Schultern ihrer Väter hielten sich Kinder die Hände vor die von sirrenden Stein- und Glassplittern zerschnittenen Gesichter. Als wäre sie eins, ein Schwarm, stob die Menge davon, duckte sich, einer suchte Schutz hinter dem anderen aus Angst, dass die Trümmer sie zerfetzen würden. Niemand hatte damit gerechnet, dass es schon losging, viele hatten noch nicht einmal hingesehen. Die Filmkameras waren noch nicht bereit. In der Einsturzzone, die man entweder hoffnungslos unterschätzt oder wo man die Wucht der Explosion verkannt hatte, befanden sich noch Arbeiter.
Mit klingelnden Ohren stand Lasar auf und starrte auf die Staubfahnen, bis sie sich wieder legten. Als die Wolke sich langsam auflöste, enthüllte sie ein Loch in der Wand, das so hoch und breit war wie zwei Männer. Es sah aus, als hätte ein Riese aus Versehen seine Stiefelspitze in die Kirche gesetzt und dann peinlich berührt den Fuß wieder zurückgezogen, um die übrige Kirche nicht auch noch zu beschädigen. Lasar blickte hoch zu den goldenen Kuppeln. Die Umstehenden folgten seinem Blick, und jeder dachte dasselbe: Würden die Türme zusammenfallen?
Aus dem Augenwinkel konnte Lasar sehen, wie die Filmcrew fieberhaft die Kameras ans Laufen brachte, den Staub von den Linsen wischte und die Stative stehen ließ, um nur ja die Szene aufzunehmen. Wenn sie den Einsturz verpassten, egal aus welchem Grund, dann ging es ihnen an den Kragen. Ungeachtet der Gefahr lief keiner von ihnen weg, alle blieben auf ihren Posten und warteten auf die kleinste Bewegung, ein Kippen oder Ruckeln ... ein Zittern. Einen Moment lang schien es, als würden selbst die Verletzten in gespannter Erwartung verharren.
Die fünf Kuppeln stürzten nicht ein, majestätisch überragten sie das Chaos zu ihren Füßen. Denn während die Kirche stehen blieb, waren in der Menge viele verwundet, sie bluteten und schrien. Und als ob sich plötzlich der Himmel verdunkelt hätte, spürte Lasar, wie die Stimmung unter den Leuten kippte. Zweifel machten sich breit. War eine überirdische Macht eingeschritten und hatte dieses Verbrechen unterbunden? Die Schaulustigen fingen an, sich zu zerstreuen, eilten schließlich davon. Keiner wollte mehr zusehen. Mit Mühe unterdrückte Lasar ein Lachen. Die Menge war zerstoben, aber die Kirche hatte überdauert! Er wandte sich in der Hoffnung, den Anblick gemeinsam mit ihnen genießen zu können, zu dem älteren Ehepaar um.
Der Mann stand direkt hinter Lasar, so nahe, dass sie sich fast berührten. Lasar hatte sein Näherkommen nicht bemerkt. Der Mann lächelte, aber seine Augen waren kalt. Er trug weder eine Uniform noch zeigte er seinen Ausweis. Trotzdem bestand kein Zweifel, dass er zur Staatssicherheit gehörte. Das war ein Geheimpolizist, ein Mitglied des MGB. Lasar konnte es nicht etwa aus dem schließen, was der Mann tat, sondern aus dem, was er nicht tat. Rechts und links lagen Verletzte herum, doch der Mann zeigte kein Interesse an ihnen. Man hatte ihn in der Menge postiert, um die Reaktionen der Leute zu beobachten. Und Lasar hatte versagt. Als er sich hätte freuen sollen, war er traurig gewesen. Und als er hätte traurig sein sollen, hatte er sich gefreut.
Während der Mann ihn mit einem schmallippigen Lächeln ansprach, ruhten seine toten Augen unverwandt auf Lasar: »Eine kleine Panne, nur ein Malheur, das schnell behoben sein wird. Sie sollten dableiben. Vielleicht klappt es heute doch noch mit der Sprengung. Sie wollen doch bleiben, oder? Sie wollen doch sicher sehen, wie die Kirche einstürzt. Das wird ein ziemliches Schauspiel.«
»Ja.« Eine vorsichtige Antwort und sogar die Wahrheit. Lasar wollte tatsächlich bleiben. Dass die Kirche einstürzte, wollte er allerdings nicht, aber das würde er bestimmt nicht sagen.
Der Mann fuhr fort: »Auf diesem Gelände wird eines der größten Hallenbäder der Welt entstehen. Für die Gesundheit unserer Kinder. Die Gesundheit unserer Kinder ist wichtig. Wie heißen Sie?«
Die einfachste aller Fragen und doch gleichzeitig die furchteinflößendste.
» Ich heiße Lasar. «
»Was sind Sie von Beruf?«
Die Maskerade einer zwanglosen Plauderei war gefallen, jetzt war es ein offenes Verhör. Unterwerfung oder Verfolgung, Pragmatismus oder Prinzipien – Lasar musste sich entscheiden. Anders als viele seiner Mitbrüder, die sofort zu erkennen waren, hatte er immerhin die Wahl. Er musste ja nicht zugeben, dass er ein Priester war. Wladimir Lwow, der ehemalige Oberprokuror der Heiligen Synode, war der Ansicht gewesen, dass die Priester sich nicht mehr durch ihre Tracht absondern mussten, sondern stattdessen »ihre Priestergewänder abstreifen, die Haare schneiden und sich in normale Sterbliche verwandeln« durften. Lasar stimmte ihm zu. Mit seinem kurz geschorenen Bart und seinem unauffälligen Äußeren könnte er diesen Agenten nun anlügen. Er könnte seine Berufung verleugnen und hoffen, dass seine Lüge ihn schützen würde. Er arbeitete in einer Schuhfabrik oder war Tischler – egal was, nur nicht die Wahrheit. Der Agent wartete.
Übersetzung: Armin Gontermann
Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Tom Rob Smith
Tom Rob Smith wurde 1979 als Sohn einer schwedischen Mutter und eines englischen Vaters in London geboren, wo er auch heute noch lebt. Er studierte in Cambridge und Italien und arbeitete anschließend als Drehbuchautor. Mit seinem Debüt »Kind 44« gelang Tom Rob Smith auf Anhieb ein internationaler Bestseller. Der in der Stalin-Ära angesiedelte Thriller basiert auf dem wahren Fall des Serienkillers Andrej Chikatilo und wurde u. a. mit dem »Steel Dagger« ausgezeichnet, für den »Man Booker Prize« nominiert und bisher in dreißig Sprachen übersetzt. Nach »Kind 44« und »Kolyma« schloss der Autor seine Trilogie um den Geheimdienstoffizier Leo Demidow mit dem Roman "Agent 6" ab.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tom Rob Smith
- 2010, 496 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Armin Gontermann
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442472350
- ISBN-13: 9783442472352
- Erscheinungsdatum: 04.08.2010
Kommentare zu "Kolyma / Leo Demidow Bd.2"
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